Jakob Lorber

Großes Evangelium Johannes - Band 4

Ein Buch der Offenbarungen Jesu durch Jakob Lorber

Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre. Durch das Innere Wort empfangen von Jakob Lorber. Nach der Siebten Auflage.

Copyright © 2000 by Lorber-Verlag, Hindenburgstraße 5, D-74321 Bietigheim-Bissingen.

Inhaltsverzeichnis

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1. Die wahre Weisheit und die lebendige Gottesverehrung.

2. Das Schicksal der Orte Palästinas.

3. Jesus bei den neun Ertrunkenen.

4. Jesu Anordnungen bei der Erweckung der Ertrunkenen.

5. Der Zweifel des Kornelius.

6. Die Perser und die Pharisäer im Streite über das Wunder. Judas Ischariot geht auf den Goldfischfang.

7. Der untreue Diener der Helena.

8. Die äußere Ruhe und innere Tätigkeit der Gesellschaft.

9. Die Spione des Herodes.

10. Zinkas Verteidigungsrede, und sein Bericht über das Ende Johannes des Täufers.

11. Freundliche Antwort des Cyrenius an Zinka.

12. Die Gefangennahme Johannes des Täufers. Des Herodes Verhältnis zur Herodias.

13. Mordanschlag der Templer gegen Johannes den Täufer.

14. Befehl des Herodes zur Verhaftung Jesu.

15. Die rätselhafte römische Vollmacht des Herodes.

16. Die falsche Vollmacht des Herodes.

17. Die Staatspolitik der Templer.

18. Die Lehre des galiläischen Propheten.

19. Zinkas Ansicht über die Lehre Jesu.

20. Zinkas Staunen über das Tischwunder.

21. Das Wesen des Wissensdurstes. Vom rechten Singen.

22. Raphael als Sänger.

23. Der Verkehr mit Gott durch das innere Wort im Herzen.

24. Die Pflege des menschlichen Herzens.

25. Zinkas Fragen über Raphael und sein Forschen nach Jesus.

26. Jesus erweckt die zwei Ertrunkenen. Zinka erkennt Jesus.

27. Die Lebensgeschichte der beiden Mädchen.

28. Cyrenius erkennt seine Töchter. Risa und Zinka werden die Schwiegersöhne des Cyrenius.

29. Zinkas Bescheidenheit.

30. Handeln und Reden.

31. Selbstbetrachtungen Hebrams und Risas.

32. Ein Ereignis aus der Jünglingszeit Jesu.

33. Gelöbnis des Cyrenius, für Jesu Lehre zu wirken.

34. Das Muß- und Soll- Gesetz.

35. Der Unterschied der Seelen auf Erden.

36. Seelenkrankheiten und ihre Behandlung.

37. Von Seelenheilanstalten und Seelenärzten.

38. Wahre Gerechtigkeit.

39. Das ewige Grundgesetz der Nächstenliebe.

40. Der Somnambulismus und seine Anwendung.

41. Leibliche und geistige Reinlichkeit. Fernheilung.

42. Jesus kündigt ein praktisches Beispiel des Somnambulismus an.

43. Der abgebrannte Bürger Zorel bittet um Schadenersatz.

44. Zorels Eigentumsbegriff.

45. Zorel muß die Wahrheit hören.

46. Zorel bittet um freien Abzug.

47. Die vorbereitenden Bedingungen zur somnambulen Behandlung.

48. Selbsterkenntnis des Zorel.

49. Die Seele des Somnambulen reinigt sich.

50. Die gereinigte Seele wird bekleidet.

51. Der Leib der Seele.

52. Die Seele Zorels auf dem Wege der Selbstverleugnung.

53. Jorel im Paradiese.

54. Das Verhältnis zwischen Körper, Seele und Geist.

55. Jorels Einblick in die Schöpfung.

56. Das Wesen des Menschen und seine schöpferische Bestimmung.

57. Jorels Einblick in die Entwicklungsprozesse der Natur.

58. Richtet nicht!

59. Zorels materialistischer Glaube.

60. Zorels Kritik der Moral und Erziehung.

61. Materialistische Irrtümer.

62. Vom berechtigten Schutze des Eigentums.

63. Zorels Herkunft und Verwandschaft.

64. Zorels Vergangenheit als Sklavenhändler.

65. Zorels Entschuldigungen.

66. Die Mädchenschändungen des Zorel.

67. Des Cyrenius über die Verbrechen des Zorel.

68. Zorels Entschuldigungen.

69. Zorel als Muttermörder.

70. Zorels Rechtfertigung seiner Charaktereigenschaften.

71. Des Cyrenius Verwunderung über den Scharfsinn Zorels.

72. Johannes ermahnt Zorel zu einem besseren Lebenswandel.

73. Erkenntniswille und Genußwille im Menschen.

74. Das Wesen Gottes und Seine Menschwerdung.

75. Cyrenius nimmt sich des Zorel an.

76. Vom Geheimnis des inneren Geisteslebens.

77. Zorels Entschluß zur Besserung.

78. Der Weg zum ewigen Leben.

79. Von der Armut und der Nächstenliebe.

80. Von der Fleischeslust.

81. Vom rechten, gottgefälligen Geben.

82. Von der Demut und vom Hochmute.

83. Die Erziehung zur Demut.

84. Zorels gute Vorsätze.

85. Zorel wird Kornelius anvertraut.

86. Übertriebene und rechte Demut.

87. Kornelius und Zorel besprechen sich über Wunder.

88. Die verschiedenen Ansichten über das Wesen Jesu.

89. Der Leuchtstein von der Nilquelle.

90. Seele und Leib.

91. Die Fortbildung armer Seelen im Jenseits.

92. Die Führung im Jenseits.

93. Der Fortschritt der Seele auf der Erde und im Jenseits.

94. Die Entwicklung des Seelenlebens.

95. Der Zweck des Dienens.

96. Einblick in die Schöpfungsgeheimnisse.

97. Die rechte Betätigung der Nächstenliebe.

98. Von der Geldhilfe.

99. Vom rechten und vom falschen Dienen.

100. Die Lehre Mosis und die Lehre Jesu.

101. Das Unkraut unter dem Weizen.

102. Gedanken und ihre Verwirklichung.

103. Die Entwicklung der Materie.

104. Die Selbstsucht als Ursache der Materie.

105. Die Entstehung der Sonnensysteme.

106. Die Bedeutung und Entstehung der Erde.

107. Die Entstehung des Mondes.

108. Vom Erbübel der Eigenliebe.

109. Erlösung, Wiedergeburt und Offenbarung.

110. Die Taufe. Die Dreieinigkeit in Gott und Mensch.

111. Von der Mosaischen Speiseordnung.

112. Eine Vorhersage über die jetzigen Offenbarungen.

113. Die Berufung zum inneren Wort.

114. Ein Blick in die Welt der Naturgeister.

115. Jarah und die Naturgeister.

116. Das Wesen und Treiben der Naturgeister.

117. Ein Seelensubstanzknäuel.

118. Das Wesen des Sauerstoffes.

119. Raphael zeigt das Erschaffen der organischen Wesen.

120. Die Zeugung beim Tiere und beim Menschen.

121. Grund der Enthüllungen Jesu.

122. Jesus enthüllt das Innere des Judas.

123. Die Zurechtweisung des Judas.

124. Von der Erziehung der Kinder.

125. Das Leben des Judas Ischariot.

126. Die Folgen der falschen Erziehung.

127. Die Furcht vor dem Tode.

128. Die Trennung der Seele vom Körper beim Tode.

129. Die Vorgänge beim Scheiden der Seele vom Körper.

130. Beobachtungen des hellsehenden Mathael bei der Hinrichtung von Raubmördern.

131. Eine Sadduzäerkritik über römische Strafen.

132. Das Ende der gekreuzigten Raubmörder.

133. Die Gestaltung der Seelen der Raubmörder.

134. Mathael kommt zum sterbenden Vater des Lazarus. Die sonderbare Naturerscheinung auf seinem Wege nach Bethanien.

135. Der Wiederbelebungsversuch des Rabbi an der Leiche des alten Lazarus.

136. Der Geist des Lazarus gibt ein Zeugnis vom Messias.

137. Der wortbrüchige, feige Rabbiner.

138. Die Lebensgeschichte des alten Lazarus.

139. Erläuterung der geistigen Erscheinungen beim Tode des alten Lazarus.

140. Vom törichten Fragen.

141. Der 'Zorn' Gottes.

142. Vom ersten Menschenpaare Adam und Eva.

143. Die Sündflut.

144. Die Ursachen der Katastrophen.

145. Der Einfluß des Schlechten auf das Gute.

146. Das wunderbare Heilpflänzchen. Das Wesen des Lichtes und der Finsternis, des Guten und des Bösen.

147. Die Ursachen der Wärme und der Kälte.

148. Der tödliche Fall des neugierigen Knaben.

149. Die geistigen Erscheinungen bei dem Unglück. Der Selbstmord des vom Tempel verfluchten Essäers.

150. Die Seelen der beiden Verunglückten im Jenseits.

151. Jesu Erklärung der jenseitigen Seelenzustände der beiden Verunglückten.

152. Die verschiedenen Arten der Selbstmörder und deren Zustände im Jenseits.

153. Vom Steine der Weisen.

154. Die giftige Außenlebensphäre der Witwe.

155. Das Schlangengift als Heilmittel.

156. Die geistigen Vorgänge beim Tode der Witwe und ihrer Tochter.

157. Die Entwicklung der Seelengestalten der zwei verstorbenen Weiber.

158. Das Gift in Minerialien, Pflanzen, Tieren und Menschen.

159. Die giftige Natur der beiden verstorbenen Weiber.

160. Des Cyrenius Bedenken über die irdische Seelenentwicklungsordnung.

161. Cyrenius kritisiert die Mosaische Schöpfungsgeschichte.

162. Die Erschaffung Adams und Evas.

163. Der vierfache Sinn der Schöpfungsgeschichte Mosis.

164. Der Schlüssel zum Verständnis geistiger Schriften.

165. Die wahren Lehrer des Evangeliums.

166. Der herrliche Morgen.

167. Vom Fasten und von der Freude.

168. Simons Rede über Ermahnungen aus Eigenliebe.

169. Simon kritisiert das Hohelied Salomos.

170. Der Schlüssel zum Verständnis des Hohenliedes.

171. Simon erläutert einige Verse des Hohenliedes.

172. Gabi bekennt seine Dummheit und Eitelkeit.

173. Gabis einstige pharisäerische Grundsätze.

174. Simons Ansichten über Jesus.

175. Simons Gedanken über die geschlechtliche Beschaffenheit Jesu als Mensch.

176. Des Menschen Einswerden mit Gott. Simons Bekenntnis seiner fleischlichen Schwächen.

177. Vom Zweck und Wesen der Sinnlichkeit.

178. Über das Wesen der Engel. Herz und Gedächtnis.

179. Das Volk von Abessinien und Nubien.

180. Jesus sendet der nubischen Karawane einen Boten entgegen.

181. Jesus spricht mit dem Anführer der Nubier.

182. Der Anführer erzählt seine Reise nach Memphis.

183. Der Fluch der Urkultur der Ägypter.

184. Der Segen der Urkultur des einfachen Menschen.

185. Der Aufenthaltsort der Nubier in Ägyten.

186. Der Schwarze verlangt Gewißheit über den Aufenthalt Jesu.

187. Die Nubier erkennen Jesus.

188. Von der übertriebenen Demut.

189. Oubratouvishar schildert seine Heimat Nubien.

190. Der Schatz des Oubratouvishar.

191. Die nachgereisten Schwarzen.

192. Vom Wesen der Isis und des Osiris.

193. Der große Felsentempel Jabusimbil.

194. Oubratouvishar zeigt den Seinen den persönlichen Gott in Jesus.

195. Die gerechten Zweifel der Schwarzen an der Göttlichkeit Jesu.

196. Oubratouvishar versucht seine Landsleute von der Göttlichkeit Jesu zu überzeugen.

197. Die geistigen Vorzüge und Nachteile der Mohren.

198. Die Verschiedenheit der Klimas und der Rassen auf Erden.

199. Vom langsamen und vom schnellen Begreifen der Wahrheitslehre.

200. Raphael überzeugt die Mohren von der Göttlichkeit Jesu.

201. Der Mohr und Oubratouvishar übergeben dem Cyrenius ihre Schätze.

202. Der Ursprung des Jabusimbiltempels, der Sphinx und der Memnosäulen, dargestellt duch die Hieroglyphen der beiden ersten Perlen.

203. Das Geheimnis der dritten Perle: Die sieben Riesen und die Sarkophage.

204. Raphael erklärt die Sternbilder auf der vierten Perle.

205. Die Einteilung der Zeit auf der fünften Perle.

206. Das Rätsel der sechsten Perle: die Darstellung der Pyramiden, Obelisten und der Sphinx.

207. Die Sternbilder der siebenten Perle. Der Verfall der ägyptischen Kultur. Die Geschichte der sieben Perlen.

208. Die Sitten der Nubier und die Sitten der Weißen.

209. Verstandes- und Gemütsbildung.

210. Der Zweck der Menschwerdung Jesu. Die Mohren als Zeugen wahren Menschentums.

211. Die Herrschaft der Mohren über das Wasser.

212. Die Herrschaft der Mohren über die Tiere.

213. Die Herrschaft der Mohren über Pflanzen und Elemente.

214. Die Selbsterkenntnis des Menschen.

215. Die Außenlebensphäre der menschlichen Seele und die Außenlichtsphäre der Sonne.

216. Vom Einfluß des menschlichen Charakters auf die Haustiere.

217. Die Vorteile der rechten Seelenbildung.

218. Die Macht einer vollkommenen Seele.

219. Die Wirkung des Sonnenlichtes. Die Einrichtung des menschlichen Auges. Die Sehe der Seele.

220. Von der Wiedergeburt und der rechten Erziehung des Menschen.

221. Vom rechten Verständnis und vom Gedankenlesen.

222. Die Bedeutung der Außenlebensphäre der Seele.

223. Die Kraft des liebevollendeten Menschen.

224. Vom Hungern nach geistiger Speise.

225. Die Wunderkraft der Wiedergeborenen.

226. Das Verhältnis zwischen Seele und Geist.

227. Gehirn und Seele.

228. Die rechte Bildung des Gehirns.

229. Cyrenius bittet um Verdeutlichung der Gehirnlehre.

230. Die Folgen der Unkeuschheit.

231. Der Segen einer geordneten Zeugung.

232. Der Bau des menschlichen Gehirns.

233. Der Zusammenhang des Vorderhauptgehirnes mit dem Hinterhauptsgehirn.

234. Die Verbindung der Sinnesorgane mit dem Gehirne.

235. Das unverdorbene und das verdorbene Gehirn.

236. Der Charakter des Weltweisen und sein jenseitiges Unglück.

237. Die Folgen eines geistig finsteren Gehirns.

238. Die Entwicklungsschwierigkeiten einer verweltlichten Seele im Jenseits.

239. Der Einfluß einer falschen Erziehung auf das Gehirn.

240. Das Gehirn eines Weltweisen.

241. Die Frage nach dem Ursprung der Sünde.

242. Scheinbare Ungerechtigkeiten der Seelenführung im Diesseits und Jenseits.

243. Das Wesen Gottes. Des Erdenlebens notwendige Probeschwere.

244. Das Ich des Menschen als eigener Herr seines Geschickes.

245. Die selbständige Entwicklung der zur Kindschaft Gottes berufenen Menschenseele.

246. Gottes Gründe für die selbständige Vollendung einer freien Menschenseele.

247. Vom Besessensein. Die langsame Ausbreitung des Evangeliums.

248. Vom Wunderwirken zur rechten Zeit.

249. Das Zeichenwirken bei der Ausbreitung der Lehre Jesu.

250. Schwierigkeiten bei der Verbreitung der reinen Lehre.

251. Das Schwert als Züchtigungsmittel bei ungläubigen Völkern.

252. Der "Vater" und der "Sohn" in Jesus.

253. Die Erscheinungen bei der Taufe Jesu. Die Ewigkeit Jesu.

254. Die Größe der Schöpfung.

255. Die Menschwerdung Jesu in unserer Schöpfungsperiode und auf unserer Erde. Die Allgegenwart des Geistes.

256. Die Außenlebensphäre der Seele und die des Geistes.

257. Die Allwissenheit Gottes.

258. Die Sprache der Tiere.

259. Beispiele von der Intelligenz der Tiere.

260. Unterhaltung des tiersprachkundigen Nubiers mit dem Esel des Markus.

261. Das Wachstum der menschlichen Außenlebensphäre.

262. Die Außenlebenslichtsphäre des Moses und der Patriarchen.

263. Der Grund der Erklärungen Jesu.

Jesus in der Gegend von Cäsarea Philippi, Fortsetzung (Kap.1-263)

1. Kapitel. Die wahre Weisheit und die lebendige Gottesverehrung.

1. Als Ich Mich aufgerichtet habe und alle, die mit Mir über drei Stunden lang recht süß geschlummert haben, berufe Ich sogleich die drei zu Mir und frage sie, warum sie sich denn nicht auch die drei Stunden hindurch dem stärkenden Schlafe ergeben haben.

2. Sagt Mathael: „Herr! Du Herrlicher, Du Weisester! Wer kann schlafen, so er durch Dein Wort ohnehin die mächtigste Stärkung erhielt! Wir sind alle drei so gestärkt, als hätten wir die ganze Nacht allerbestens geschlafen! Wir aber haben die drei Stunden in Deinem Namen – so gut, als es uns möglich war – benutzt und haben vermittels Deiner gnädigsten Zulassung Dinge erfahren, von denen wohl noch keinem Sterblichen je etwas geträumt hat. Dafür wir Dir nun aber auch den innigsten und wärmsten Dank abstatten; Du bist der Herr, und allenthalben bist Du allein alles in allem; Dir allein darum aber auch alle unsere Liebe und höchste Achtung!“

3. Sage Ich: „Gut denn, Ich weiß, was ihr alles besprochen und erfahren habt vor der für euch einberaumten Zeit! Aber da ihr solches erfahren habt, so behaltet es vorderhand bei euch und machet auch nachderhand keinen unrechten Gebrauch davon; denn solches fassen die Kinder dieser Erde nicht; denn sie sind nicht von dorther, von woher ihr seid. Ihr werdet aber noch viel Größeres erfahren; wenn der Heilige Geist über euch kommen wird, den Ich dereinst aus den Himmeln über euch ausgießen werde, der wird euch erst in alle Wahrheit leiten! Das wird sein der Geist der Liebe, der Vater Selbst, der euch ziehen und lehren wird, auf daß ihr alle dorthin kommen möget, da Ich sein werde.

4. Denn wahrlich sage Ich es euch: Niemand wird zu Mir kommen, so ihn nicht der Vater zu Mir hinziehen wird! Ihr müsset alle vom Vater, also von der ewigen Liebe in Gott gelehret sein, so ihr zu Mir kommen wollt! Ihr alle müßt also vollkommen sein, wie der Vater im Himmel vollkommen ist! Aber das viele Wissen, wie auch die reichlichste Erfahrung wird euch nicht dahin bringen, sondern allein die lebendige Liebe zu Gott und im gleichen Maße zum Nächsten; darin liegt das große Geheimnis der Wiedergeburt eures Geistes aus Gott und in Gott.

5. Jeder aber wird zuvor mit Mir durch die enge Pforte der vollsten Selbstverleugnung ziehen müssen, bis er wird, wie Ich bin. Ein jeder muß aufhören, für sich etwas zu sein, um in Mir alles werden zu können.

6. Gott über alles lieben, heißt: in Gott ganz auf- und eingehen, – und den Nächsten lieben, heißt ebenfalls: in den Nächsten ganz eingehen, ansonst man ihn nie ganz lieben kann; eine halbe Liebe aber nützt weder dem, der liebt, noch dem, der geliebt wird.

7. Wenn du von einem hohen Berge die volle Aussicht nach allen Seiten hin haben willst, so mußt du in jedem Falle dessen höchste Spitze erklimmen; denn von einem unteren Höhenpunkte wird dir von der Ganzaussicht stets ein guter Teil verdeckt bleiben. Also muß denn auch in der Liebe alles und das Äußerste aus dem Innersten heraus geschehen, damit ihre Früchte an euch offenbar werden.

8. Euer Herz ist ein Acker, und die tätige Liebe ist das lebendige Samenkorn; die armen Brüder aber sind der Dünger für den Acker. Wer aus euch in den wohlgedüngten Acker viel der Samenkörner legen wird, der wird auch eine Vollernte machen. Mit je mehr Armen ihr den Acker düngen werdet, desto kräftiger wird er sein; und je mehr der guten Samenkörner ihr hineinlegen werdet, desto reicher wird die Ernte ausfallen. Wer da reichlich säen wird, der wird auch reichlich ernten; wer aber sparsam säen wird, der wird auch sparsam ernten.

9. Darin aber liegt die höchste Weisheit, daß ihr weise werdet durch die lebendigste Liebe. Alles Wissen aber ist ohne die Liebe nichts nütze! Darum bekümmert euch nicht so sehr um ein vieles Wissen, sondern daß ihr viel liebet, so wird euch die Liebe geben, was euch kein Wissen je geben kann! Es ist ganz gut, daß ihr drei die drei Stunden zur vielfachen Bereicherung eures Wissens und eurer Erfahrungen alleremsigst verwendet habt; aber alles das würde für sich eurer Seele wenig nützen. So ihr aber in der Folge die Zeit also emsig der Liebe zum Nächsten opfern werdet, so wird euch ein Tag schon von größerem Nutzen für eure Seelen sein!

10. Was nützete es euch vor Mir, so ihr euch nahe auflösen möchtet vor Verwunderung über Meine Macht, Größe und nie ergründbare Herrlichkeit, außerhalb eures Hauses aber weineten arme Brüder und Schwestern vor Hunger, Durst und Kälte? Wie elend und zu gar nichts nütze wäre ein lautes Jubel- und Lobgeschrei zur Ehre und zum Ruhme Gottes, über dem man das Elend des armen Bruders überhörete! Was nützen all die reichen und prunkvollsten Opfer im Tempel, wenn vor dessen Tür ein armer Bruder vor Hunger verschmachtet?

11. Darum sei euer Forschen vor allem nach dem Elend eurer armen Brüder und Schwestern gerichtet; denen bringet Hilfe und Trost! Da werdet ihr in einem Bruder, dem ihr geholfen habt, mehr finden, als so ihr alle Sterne bereist hättet und Mich gepriesen mit Zungen der Seraphim!

12. Wahrlich, Ich sage es euch, alle Engel, alle Himmel und alle Welten mit all ihrer Weisheit können euch nicht geben in Ewigkeit, was ihr erreichen könnet, so ihr einem Bruder, der im Elende war, wahrhaft geholfen habt nach aller eurer Kraft und nach allen euren Mitteln! Nichts stehet höher und näher bei Mir denn allein nur die wahre, tätige Liebe!

13. So du zu Gott betest und hörst, solange du betest, die Klagestimme deines armen Bruders nicht, der in deiner Betstunde zu dir um Hilfe gekommen ist, dann sei verflucht dein leeres Geplärr! Denn Meine Ehre bestehet in der Liebe – und nicht im eitlen Geplärre deines Mundes!

14. Ihr sollet nicht sein, wie da Jesajas gerufen hat: ,Siehe, dieses Volk ehret Mich mit den Lippen; aber sein Herz ist ferne von Mir!‘, sondern so ihr zu Mir betet, da tuet das im Geiste und in aller Wahrheit! Denn Gott ist ein Geist und kann nur im Geiste und in der Wahrheit angebetet werden.

15. Das wahre, Mir allein wohlgefällige Gebet im Geiste besteht demnach nicht im Bewegen der Zunge, des Mundes und der Lippen, sondern allein in der tätigen Ausübung der Liebe. Was nützt es dir, so du mit vielen Pfunden Goldes eines Propheten Grab geschmückt hast, hast aber darob die Stimme eines leidenden Bruders überhört?! Meinst du, Ich werde daran ein Wohlgefallen haben? Tor! Mit zornigen Augen wirst du von Mir angesehen werden, darum du eines Toten wegen die Stimme eines Lebendigen überhört hast!“

2. Kapitel. Das Schicksal der Orte Palästinas.

1. (Der Herr:) „Seht, Ich habe es darum schon vorgesehen, daß die Orte, die wir nun besuchen, schon in hundert Jahren nicht mehr dasein werden, auf daß mit der Zeit mit ihnen keine zu derbe Abgötterei getrieben werden soll!

2. Mein Nazareth wird man nicht mehr finden, wohl aber ein anderes überm Gebirge von hier gegen den Untergang. Genezareth wird erlöschen, nur Tiberias diesseits des Meeres wird bleiben. Cäsarea Philippi, da wir nun sind, ist schon erloschen, aber es wird eines bleiben ober dem Merom (See), daher der Jordan kommt, und eines im Abende unfern des großen Salzmeeres, unweit da Tyrus und Sidon steht. Das Land Samaria aber wird nur in dem Teile von hier gen Mittag bis ans große Meer bleiben, der kleine Teil, der mehr gen Morgen liegt, mit dem wahren Sichar und dem wahren Berge Horeb, wird verwischt werden, und die späten Nachkommen werden es suchen und finden unweit vom großen Meere; aber es wird nur der Name noch sein und ein schroffer Berg, aber die Wahrheit nicht. Und also wird es auch ergehen mit Jerusalem und noch gar vielen Orten des Gelobten Landes, das vielfach in eine Wüste wird verwandelt werden.

3. Merket euch alles dieses wohl; denn es wird also geschehen, auf daß die Menschen über dem Vergöttern dieser Orte die Stimme ihrer armen Brüder und Schwestern nicht zu sehr überhören! Sie sollen darüber alle verwirrt werden! Sie sollen im falschen Nazareth Meine Hütte suchen und dumm werden; denn das rechte Nazareth wird bald, nachdem Ich werde aufgefahren sein in Mein Reich, von dem Boden der Erde vertilgt werden.

4. Wer da nach Eitlem forschen wird, der wird auch Eitles finden und sterben daran; wer aber das echte Nazareth im Herzen suchen wird, wird es finden in jedem armen Bruder und ein echtes Bethlehem in jeder armen Schwester!

5. Es werden Zeiten kommen, in denen die Menschen hierher ziehen werden von weiter Ferne und werden suchen diese Orte. Die Namen werden wohl bleiben, – aber die Orte nicht! Ja, die Völker in Europa werden Krieg führen um den Besitz dieser Orte und werden meinen und glauben, Mir einen guten Dienst damit zu erweisen; aber daheim werden sie ihre Weiber und Kinder und Brüder und Schwestern verschmachten lassen in Armut, Not und Elend!

6. Wenn sie dann aber drüben zu Mir kommen werden, um den vermeinten Lohn für ihre Mühe und Aufopferung zu empfangen, da werde Ich ihnen ihre große Torheit offenbar werden lassen und ihnen zeigen, welch ein Elend sie durch ihre von Mir nie gebotene Torheit unter den Menschen angerichtet haben, und zunächst unter denen, die ihrer Sorge auch zunächst anvertraut waren, als da sind die armen, schwachen Weiber, Kinder und sonstige der Hilfe Bedürftige des Hauses! Und es wird ihnen bedeutet werden, daß sie nicht eher ans Licht Meiner Gnade kommen werden, bis sie all das von ihnen angerichtete Übel vollends werden gutgemacht haben, – was ihnen sehr schwer gehen wird, da sie dazu nur höchst dürftige Mittel besitzen werden im schwachen Dämmerlichte des Geisterreiches über und unter der Erde.

7. Ich sage es euch: Der großen Torheit der Menschen wegen werden diese Orte einem Heidenvolke überantwortet werden. Und Ich werde durch jene Heiden die falschen Bekenner Meiner Lehre geißeln lassen im Aufgange und Untergange, im Mittage und in den Gegenden der Mitternacht.

8. Trachtet darum, daß nicht Torheit und blinder Aberglaube Platz greife inmitten Meiner Lehre des Lebens und der wahren Gotteserkenntnis auf dem alleinigen Wege der werktätigen Liebe; diese wird jedermann geben das wahre Licht und die rechte und unbegrenzte Anschauung aller Dinge der Natur- und Geisterwelt! Dies ist und bleibet ewig der allein wahre und wirksame Weg zu Mir und in Mein ewiges Reich.

9. Ich als die Liebe von Ewigkeit bin allein das Licht, der Weg, die Türe und das ewige Leben; wer anderswo in Mein Reich des Lichtes eindringen will, ist gleich wie ein Dieb und ein Räuber und wird in die äußerste Finsternis hinausgestoßen werden schon dies- und noch mehr erst dereinst jenseits. – Nun wisset ihr, was ihr zu tun habt, und was vor Mir Rechtens ist. Tut danach, und ihr werdet des rechten Weges wandeln!

10. Nun aber wollen wir zu den neun Ertrunkenen übergehen, und du, Markus, lasse Wein hintragen; denn dessen werden wir bedürfen!“

3. Kapitel. Jesus bei den neun Ertrunkenen.

1. Hierauf begaben wir uns schnell zu den neunen hin, und Ich ließ sie mit den Gesichtern nach aufwärts schauend und mit den Häuptern bergan legen. Als sie also gelegt waren, sagte Ich zum Markus: „Gib einem jeden etliche Tropfen Weines in den Mund!“ Solches war leicht zu bewerkstelligen, weil alle den Mund offen hatten. Als solches vollzogen ward, sagte Ich zu allen Anwesenden: „Gehet, und prüfe ein jeder Schwachgläubige aus euch, ob die neun nicht vollkommen tot sind!“

2. Es war aber unter den dreißig bekehrten Pharisäern auch ein Arzt, der sich wohl auskannte, ob ein Leib vollkommen tot war oder nicht. Dieser trat hinzu und sagte: „Nicht, als würde ich am Tode dieser Ertrunkenen nur den geringsten Zweifel hegen, trete ich, sie zu untersuchen, hierher, sondern um als ein Sach- und Fachkundiger euch den vollgültigen Beweis zu geben, daß diese neun vollkommen tot sind.“ Hierauf befühlte er die neun, besah ihre Augen, die hippokratische Nase als ein sicheres Zeichen des vollkommenen Todes und des vollkommenen Erloschenseins aller physischen Lebensgeister.

3. Als der Arzt nach genauester Besichtigung, wie auch nach dem Mitzeugnisse aller, die seine Erkenntnis für echt und gültig und wahr fanden, dahin laut sein Urteil abgab und noch hinzufügte: „Nicht jetzt, sondern schon gestern, eine Stunde darauf, als sie ins Wasser kamen, waren sie schon so vollkommen tot, als sie jetzt sind! Nach der Nase und nach dem Geruche zu urteilen, hat sich bereits auch schon die Verwesung eingestellt. Keine menschliche Wissenschaft, Kraft und Macht ruft diese neun mehr ins Leben! Das kann nur Dem möglich sein, der am Jüngsten Tage alle Toten aus den Gräbern zum Leben hervorrufen wird!“

4. Sagte Ich: „Auf daß ihr auf dies gültige Zeugnis des Arztes aber ganz wohl erkennet die Herrlichkeit des Vaters im Menschensohne, so rufe Ich laut zum Vater und sage: ,Vater, verherrliche Deinen Namen!‘“

5. Hier vernahmen viele wie eine Stimme vieler Donner: „Ich habe ihn verherrlicht durch Dich, Mein geliebtester Sohn; denn Du bist es, an dem Ich Mein rechtes Wohlgefallen habe! Dich sollen die Menschen hören!“

6. Viele vernahmen diese Worte, viele aber vernahmen nur einen puren Donner und fingen an zu fragen, wie es nun gedonnert habe. Aber jene, die im Donner Worte vernahmen, gaben das Zeugnis von dem, was sie vernommen hatten, und die anderen wunderten sich darob und sagten: „Das ist sonderbar! Wir vernahmen zwar nur den Donner, – aber so ihr zu mehreren die gleichen Worte vernommen habt, so glauben wir solches so gut, als hätten wir sie selbst vernommen. Aber es geht aus dem dennoch hervor, daß dieser Meister hier eigentlich nur der Sohn ist und nicht der heilige, allmächtige Vater, der im Himmel wohnt, und den kein Mensch je sehen, sondern allein nur in geheiligten Momenten sprechen kann. Moses war demnach auch ein Sohn des Allerhöchsten, da auch er übergroße Zeichen gewirkt hat, und die andern Propheten waren es im gleichen Maße; nur dürfte dieser Nazaräer wohl der größte aller Propheten sein, weil er die größten und meisten Zeichen tut.“

7. Sagt Murel, der dies ganz gut angehört hatte: „Nein, da irret ihr euch; dies ist von euch noch ein ganz gewaltiger Unverstand! Wer hat vor Moses einen Moses angekündigt durch den Geist des Herrn, wer einen Elias, wer einen Samuel, wer einen der vier großen Propheten? Sie wurden wie zufällig von Gott erweckt und weissagten! Und von wem weissagten sie am meisten? Eben von Dem, der nun vor uns ist! Die Stimme, die nun wie ein mächtiger Donner zu vernehmen war, war ebensogut Seine höchst eigene wie die, welche Er aus Seinem leiblichen Munde zu uns redet! Der Unterschied besteht nur darin: Mit dem Leibesmunde redet Er als Mensch zu uns, mittels der Donnerstimme aber ließ Er sich als Derjenige vernehmen, der ewig war, ist, und sein wird, – der alles, was da ist, erschaffen hat und auf Sinai dem Volke die Gesetze gab unter beständigen Blitzen und Donnern. Darum auch ist Ihm allein alles möglich, auch das, daß Er aus höchster Liebe zu uns, Seinen Kindern, ein Mensch, wie wir es sind, werden konnte, ansonst Er von Seinen Kindern, die Er über alles liebt, ewig nie gesehen und vollkommen erkannt werden könnte!“

4. Kapitel. Jesu Anordnungen bei der Erweckung der Ertrunkenen.

1. Hier trete Ich zum Murel und sage: „Gut hast du es gemacht, Mein Sohn! Du bist wahrlich tiefst in die Wahrheit gedrungen und hast die, so da ein wenig schief sahen, ganz der vollsten Wahrheit gemäß belehrt. Du wirst Mir darum schon auch ein tüchtiges Rüstzeug werden wider Juden und Heiden; dein Lohn im Himmel wird darum kein kleiner sein!

2. Aber nun lasset uns zur Tat schreiten, die Ich für euch bestimmt habe, auf daß es jeder mit seinen Händen greifen kann, daß Ich allein es wahrhaft bin, der da kommen sollte nach der Weissagung aller Propheten bis auf Simeon, Anna, Zacharias und Johannes, den Herodes enthaupten ließ! Siehe, diese neun sollen allesamt vollkommen lebendig werden und nach Hause zu den Ihrigen gehen! Wenn sie aber vollkommen gestärkt erwachen werden, dann haltet sie nicht auf, sondern lasset sie gleich fortziehen; erst wenn Ich diese Gegend werde verlassen haben, möge jemand aus euch ihnen kundtun, was hier mit ihnen vorgegangen ist!“

3. Als Ich solches ausgeredet hatte, sagte Ich zum Markus: „Nun gib ihnen noch einmal Wein in den Mund!“

4. Markus tat solches; aber Cyrenius und Kornelius fragten Mich, warum den Ertrunkenen vor der Belebung Wein eingegossen werden müsse.

5. Sagte Ich: „Es ist dies zur Belebung dieser neun durchaus nicht nötig; aber da sie gleich nach der Belebung von hier ziehen werden, bedürfen sie auch einer leiblichen Stärkung, und diese wird eben dadurch bewerkstelligt, daß man nun noch vor der Belebung ihnen Wein in den Mund gibt. Er wird von den Gaumen- und Zungennerven aufgesogen und auf diese Weise auch den andern Lebensnerven mitgeteilt. Werden diese neun nachher lebendig, so hat ihre in den Leib zurückgekehrte Seele schon ein gestärktes Werkzeug, das sie sogleich für allerlei Tätigkeit verwenden kann. Würde aber diese Vorstärkung unterbleiben, so müßten die Neubelebten einige Zeit hier verweilen, um sich für eine Tätigkeit ihrer Glieder zu stärken. Zugleich verschafft diese Vorstärkung den Betreffenden einen guten Geschmack im Munde, was auch nötig ist, weil ihnen der Trübwassergeruch nach der Erweckung Übelkeiten verursachen würde, von denen sie lange nicht völlig frei gemacht werden könnten. – Nun wisset ihr denn auch dieses; habt ihr nun noch irgendein Anliegen in dieser Beziehung?“

6. Sagt Kornelius: „Nein, das eben nicht, Herr und Meister; aber nur der Gedanke ist mir aufgestoßen, wie Du als der Allmächtige, dessen Wille allein alles vermag, Dich hie und da zur Erreichung irgendeines Zweckes dennoch ganz natürlicher Mittel bedienen magst!“

7. Sage Ich: „Und warum sollte Ich das nicht?! Ist das natürliche Mittel denn nicht auch ein Werk Meines Willens, – namentlich aber der Wein aus dem Keller des Markus, dessen leere Schläuche und andere Gefäße Ich allein ganz wundersam mit dem Weine gefüllt habe?! So Ich Mich sonach eines natürlichen Mittels bediene, da ist das nicht minder ein Wunder, als hätte Ich Mich keines natürlichen Mittels, sondern bloß nur Meines Willens bedient! – Verstehet ihr nun dieses?“

8. Sagen Kornelius und Cyrenius: „Ja, jetzt ist uns auch schon das wieder klar; wir freuen uns nun schon auf die Belebung der neun Ertrunkenen! Wird diese ehest erfolgen?“

9. Sage Ich: „Nur eine kleine Geduld noch, bis sie ein drittes Mal noch Wein in den Mund bekommen, alswann sie dann für die Neubelebung eine hinreichende Vorstärkung in sich haben werden!“

10. Damit sind alle Neugierigen zufriedengestellt, und Markus gibt den neunen auf Mein Geheiß zum dritten Male Wein in den Mund.

11. Darauf sage Ich dann zu den vielen Umstehenden: „Nun ist dies Werk auch vollbracht! Entfernen wir uns aber nun von diesem Orte und setzen uns zu den Tischen, auf denen schon ein wohlbereitetes Frühmahl unser harret! Denn blieben wir hier, so würden wir die Neuerwachten nur beirren, und sie würden in der Meinung sein, daß da mit ihnen etwas Außerordentliches müsse vorgefallen sein; sehen sie aber niemanden in ihrer Nähe, so wird es ihnen vorkommen, daß sie vom gestrigen Sturme ganz betäubt und ermattet auf diesem Hügel eingeschlafen und nun am Morgen dieses nächsten auf den gestrigen Sabbat folgenden Tages wieder vom tiefen Schlafe erwacht sind! Darauf werden sie, sich um uns ganz und gar nicht kümmernd, von ihren Lagern ganz ruhig sich erheben und nach Hause ziehen, allwo sie von den Ihrigen natürlich mit der größten Freude von der Welt aufgenommen und erquickt werden.“

5. Kapitel. Der Zweifel des Kornelius.

1. Auf dies Mein Wort tun zwar alle sogleich, was Ich angeordnet habe, – aber die meisten nicht eben gar zu gerne, da sie gern das Wunder in der Nähe beobachtet hätten; es getrauet sich aber niemand, Mir eine Bemerkung zu machen. Wir kommen an unsere Tische und setzen uns, und greifen auch zu den Fischen, die diesmal gar sehr wohlschmeckend bereitet sind, und essen sie recht heitern Mutes.

2. Besonders ist diesmal Meine Jarah bei guter Laune und sagt: „Ich weiß es wirklich nicht, wie das kommt, daß ich heute gar so heitern Mutes bin. Aber etwas merke ich dennoch, und das ist, daß alle andern nicht ebenso heiter sind wie ich! Ich bin zwar ein Mädchen und sollte von der Neugier auch am meisten geplagt sein, – aber es ist hier gerade umgekehrt! Die Männer lugen stets hin, ob die neun schon erwacht seien. Ich habe noch gar nicht hingelugt, habe sie aber dennoch schon fortgehen sehen einen nach dem andern, – und die Männer und Herren und Könige sehen noch immer dahin und fragen sich im Gemüte, ob sie wohl wieder lebend geworden seien? Oh, schon vor einer kleinen halben Stunde! Gleich, als wir zu den Tischen kamen, fingen die neun an, sich zu rühren und erhoben sich vom Boden einer nach dem andern, rieben sich den Schlaf aus den Augen und entfernten sich dann. Ich bemerkte solches ganz leicht durch die uns etwas von jener Stelle verdeckenden Bäume, weil ich klein bin und unter den Zweigen der Bäume recht leicht hinwegsehe; ihr aber seid groß, und die Baumäste verdeckten euch das Wunder der Macht des göttlichen Willens. Jetzt aber ist es schon zu spät; so ihr auch hinginget, würdet ihr nichts finden als höchstens die Stellen, über denen die neun gelegen sind. Auch jene, die der Herr gestern bald nach dem Sturme erweckt hat, sind mit den neun heimwärtsgezogen.“

3. Sagt Kornelius: „Aber hast du doch gute Augen und entdeckest alles! Wenn denn schon alles vorüber ist, da ist ja ohnehin alles wohl und gut, und wir brauchen nichts als das sichere Gelingen dessen, was der Herr anordnet und will; denn ein einziges Mißlingen würde manche Zweifel bei den Hartgläubigen hervorrufen. Hast du die neun aber auch wirklich sich erheben und fortziehen sehen?“

4. Sagt die Jarah, ein wenig aufgeregt: „Na, ich meine doch, daß man in mir keine Lügnerin erschauen wird!? Solange ich lebe und denke, ist noch nie eine Lüge über meine Lippen gekommen, – und an der Seite meines Herrn, meines Gottes und allerwahrhaftigsten Meisters sollte ich eine Lüge vorbringen, um dadurch eure Neugier zu stillen?! Oh, da kennst du, hoher Herr, die Jarah noch lange nicht! Sieh, im noch so hellen Verstande wohnt auch die Lüge; denn du kannst jemandem aus deinem Verstande etwas erklärt haben nach dem, wie es dir einleuchtend war; aber es war dein Dir- einleuchtend-Sein ein ganz grundfalsches, und du hast mit deinem Erklären vollkommen gelogen, – denn du hast dich und deinen Nächsten hinters Licht geführt. Aber die wahre und reine Liebe lügt nie und kann nicht lügen, weil sie den Nächsten, als auch ein Kind Gottes, mehr denn sich selbst achtet und Gott aber über alles! Ich aber bin voll Liebe zu Gott und somit auch zum Nächsten – und sollte dir demnach eine falsche Kunde zu geben imstande sein?! Hoher Kornelius, diese Zumutung war als von dir ausgehend eben nicht sehr artig!“

5. Sagt Kornelius: „Aber, allerholdeste Jarah, also habe ich es ja ewig nie gemeint! Ich fragte dich darum also, weil dies eine ganz gewöhnliche Frageweise ist, dachte aber nicht im entferntesten daran, als hättest du mir irgend etwas Unwahres sagen wollen! Frage den Herrn Selbst, der doch sicher weiß, wie es in meinem Gemüte aussieht, ob ich dich, du treuherzigstes, holdestes Mädchen, einer Lüge habe zeihen wollen! Die neun sind erweckt worden durch den Herrn Willen und sind auch schon abgereist ebenfalls nach dem Willen des Herrn, und die ganze Sache ist damit abgetan. Ich gab dir aber die etwas plumpe Frage aus purer Gewohnheit und dachte eigentlich gar nichts dabei. – Wirst du mir darum wohl gram sein können?“

6. Sagt die Jarah: „O mitnichten, aber ein zukünftiges Mal mußt du deine Fragen ein wenig besser überdenken! Nun aber verhandelt etwas anderes; denn wir haben nun des Leeren zur Genüge verhandelt!“

7. Sagen Kornelius und Cyrenius: „Ja, ja, da hast du wohl recht; es ist um jede Minute Zeit schade, die wir selbst verplaudern, so der Herr unter uns ist! Lassen wir nun dem Herrn allein die Ehre, etwas zu bestimmen und anzuordnen!“

8. Sage Ich: „Lasset das gut sein; wir haben nun Zeit zum Fischen und wollen dem Markus einen guten Vorrat verschaffen! Nach dem Mittage aber wird schon wieder was vorkommen!“

9. Der alte Markus, der solches von Mir vernahm, gebot sogleich seinen Söhnen, die nötigen Fahrzeuge zurechtzubringen; denn die Fische im großen, eingezäunten Behälter am See hatten durch den gestrigen Sturm ziemlich viel gelitten.

6. Kapitel. Die Perser und die Pharisäer im Streite über das Wunder. Judas Ischariot geht auf den Goldfischfang.

1. Während wir an unserm Tische aber also dies und jenes behandelten, entspann sich ein Streit zwischen den dreißig jungen Pharisäern und den noch anwesenden zwanzig Persern. Die Perser betrachteten die Erweckung der neun Ertrunkenen als ein ordentliches Wunderwerk; aber die dreißig jungen Pharisäer zogen es kleinweg als solches in einen Zweifel. Und namentlich war der Risa, der früher den Hebram für Mich bestärkte, am meisten gegen dasselbe.

2. Hebram sagte: „Freund Risa, wenn ein Mensch einmal dem Leibe nach so total tot ist, wie die neun es waren, kannst du ihn legen, wie du willst, und ihm am nächsten Tage ebenso und denselben Wein in den Mund geben, so wird er doch nimmer lebendig werden! Das ist das Werk der göttlichen Willenskraft, und das Legen und der eingegossene Wein haben dabei nichts anderes zu tun, als daß durchs Legen einmal das Wasser aus dem Magen und aus der Lunge sich verlaufe, und daß durch den Wein den noch unfesten Nerven eine nötige Vorstärkung und dem Gaumen ein uneklicher Geschmack gegeben werde. Aber in bezug auf das nachherige Erwecken des toten Leibes ist weder das Legen noch der Wein als nötig zu betrachten. Solches ließ der Herr nur darum zuvor geschehen, weil Er die Absicht gefaßt hatte, diese neun durch Seinen Willen ins Leben zurückzurufen, und daß ihre Seelen sogleich einen bewohnbaren und brauchbaren Leib anträfen! – Siehst du denn das nicht ein?“

3. Sagt Risa: „Ja, ja, ich sehe das wohl ein, und du wirst auch ganz recht haben; aber es käme dabei dennoch nicht unzweckmäßig auf eine Probe an, um sich faktisch selbst zu überzeugen, daß das Legen und hernach das dreimalige Eingeben des Weines für sich keinem gänzlich Ertrunkenen das Leibesleben wiedergibt! Hat man auch diese Überzeugung, dann erst ist diese Erweckung ein vollkommen reinstes Wunder! Das ist so meine Meinung.“

4. Sagt Hebram: „Na, so du schon darauf bestehst und der Herr es will, so kann es sich vielleicht ja noch treffen, daß bei dieser nun angeordneten Fischerei sich noch irgendein Leichnam vorfinden wird, und du kannst dann mit demselben den haargleichen Leg- und Weineingebungsversuch zu dessen Wiederbelebung machen, wobei du aber sicher zu keinem erfreulichen Resultate gelangen wirst!“

5. Sagen die Perser: „Dieser Meinung sind auch wir! Denn was nur der Macht des göttlichen Willens möglich ist, das ist keinem Menschen, der selbst nur ein Geschöpf ist, möglich, – außer Gottes Wille wirkt mit und durch den menschlichen. Das ist so unsere Meinung, und wir glauben damit auf keinem Irrpfade uns zu befinden. – Aber nun begibt sich alles ans Wasser, und so wollen denn auch wir unsere Fahrzeuge besteigen; denn bei dieser Gelegenheit wird sich sicher wieder so manches Wunderbare ereignen, und davon müssen auch wir Zeugen sein.“

6. Darauf erfolgt ein allgemeiner Aufbruch aufs Wasser, das an diesem Morgen besonders ruhig und zum Fischen tauglich ist. Diesmal machen Meine Jünger bis auf den Ischariot ganz gemeinsame Sache mit den Söhnen des alten Markus und helfen ihnen die großen Netze auswerfen und ausspannen.

7. Judas Ischariot aber macht sich ein Privatvergnügen und geht ganz allein nach der gänzlich zerstörten Stadt, um nachzusehen, wie es dort aussieht; er hatte ja früher vernommen, daß dort die reichen Griechen einige Straßen mit Gold und Silber haben bepflastern wollen. Und er meinte und verstand solches auch also, als hätten die Reichen damit schon einen ausgiebigen Anfang gemacht; er schlich sich darum nach der Brandstätte, um dort offenliegendes Gold, Silber und andere Kostbarkeiten zu fischen.

8. Aber es trug ihm seine Schmutzerei diesmal keine Rechnung, – außer auf seinen Rücken; denn als er in den Gassen als ein Fremdling nach Gold und Silber jagend ersehen ward, wurde er von den Wächtern alsbald ergriffen und ganz tüchtig durchgebleut. Darauf verließ er freilich die hier und da trotz des gestrigen Sturmes noch dampfenden Ruinen der alten Stadt, die vor alters ,Vilipia‘, unter den Griechen ,Philippi‘ hieß und erst unter den Kaisern Roms auch den Beinamen ,Cäsarea‘ bekam.

9. Als unser Goldfischer aber eilenden Schrittes wieder zum Hause des Markus kam, da traf er natürlich niemand außer dem Weibe und den Töchtern des Markus daheim, mit denen nicht gar viel zu machen war; denn sie hatten alle Hände voll zu tun fürs Mittagsmahl und hatten keine Zeit, sich mit ihm abzugeben. Zudem glaubten sie schon zu fest an Mich und waren darum gar nicht aufgelegt, dem Judas Ischariot seine etwas vorlauten Fragen zu beantworten; auch stand dieser Jünger durchaus nicht absonderlich in ihrer Gunst, weil er sich in den etlichen Tagen schon zu öfteren Malen sättig und unausstehlich erwiesen hatte.

10. Da er im Weiberhause des Markus keine gute Aufnahme fand, so verließ er das Haus und ging ans Meer nachsehen, wo wir wären, konnte aber nichts erspähen, weil wir, um einen guten Fang zu machen, gar auf die hohe See hinausgesteuert sind ob eines Fischzuges, der nur zwei Male im Jahre nach dem Laufe des Jordans, von dem Meromsee kommend, seinen Riebzug hält und zumeist aus den besten Goldlachsforellen besteht.

11. Weil der zurückgebliebene Jünger nun vor Langweile nicht wußte, was er tun sollte, begab er sich in die Zelte des Ouran, um nachzusehen, ob denn da auch alles ausgezogen sei, und ob nicht vielleicht bei der Gelegenheit so ein paar überflüssige Gold- oder Silberstücke zu finden wären, die jemand verstreut hätte! Aber auch da war die Welt mit Brettern vernagelt; denn Ouran hatte in jedem Zelte drei Wachleute zurückgelassen, mit denen sich in Abwesenheit ihrer Herrschaft nicht gut reden ließ. Er verließ denn auch mit großem Ärger die Zelte und suchte sich einen schattenreichen Baum aus, unter dem er sich niederlegte und ganz behaglich einschlief.

12. Aber es ging mit dem Schlafen für die Dauer auch nicht, da ihm die Fliegen keine Ruhe ließen, – kurz, Ischariot war ein Geplagter drei volle Stunden hindurch und ging schon nahe in eine Verzweiflung über. Da aber ersah er endlich unsere Schiffe, und es ward ihm darum etwas leichter ums Herz, und er bereute es nun schon sehr, Meine Gesellschaft verlassen zu haben.

7. Kapitel. Der untreue Diener der Helena.

1. Wir aber machten einen wahren Millionenfang von den besten Fischen, und ganz auf der hohen See wurden auch zwei weibliche Leichen ganz nackt herumschwimmend gefunden, die in die Hände von Seeräubern geraten, von selben aller ihrer Habe beraubt und darauf lebendig ins Wasser geworfen worden waren. Beide, Mägde von neunzehn und einundzwanzig Jahren, sehr wohlgestaltet, waren aus Kapernaum, Töchter eines reichen Hauses, wollten nach Gadarena reisen und vertrauten sich dem Meere an. Ihr Schiff und ihre Schiffsleute waren ganz in der Ordnung. Aber inmitten des Sees stießen sie auf einen griechischen Kaper; der nahm das Schiff. Die vier Schiffer und die beiden Mägde verloren das Leben. Die vier Schiffer wurden erschlagen und dann erst ins Meer geworfen. Gegen die beiden Mägde waren die Seeräuber etwas humaner; sie zogen die beiden ganz nackt aus, notzüchtigten sie und warfen sie sodann erst ins Meer. Die Übeltäter aber sind noch heute vor Tagesanbruch vom Arme der Gerechtigkeit und des Gerichtes aufgegriffen worden, und es werden diese Teufel ihrer schärfsten Strafe nicht entgehen.

2. Die beiden Mägde aber waren bei den Haaren fest zusammengebunden und schwammen als völlig tot auf dem Wasser. Das war ganz gut für die Leg- und Weinprobe zur dadurch möglich gemeinten Wiederbelebung eines Ertrunkenen, wie es Risa meinte. Darum wurden die beiden Leichname auch in Tücher gewickelt und in ein Schiff gelegt.

3. Es gab nun sehr viel Arbeit, und Markus wußte kaum, wie er die Fische alle unterbringen werde; aber Ich gebot dem Raphael, dem Markus zu helfen, und schnell war da alles in der besten Ordnung. Risa aber übernahm die zwei Leichen zum Wiederbelebungsversuche und legte sie einmal, wie Ich tags vorher die Leichen der neun legen ließ.

4. Thomas aber begrüßte geschwind Judas Ischariot und fragte ihn etwas ironisch, wie denn sein Fischzug ausgefallen sei? Judas Ischariot murrte etwas in seinen dicken Bart, getraute sich aber mit dem Thomas in keine Kontroversen einzulassen; denn er gedachte, daß ihn eben Thomas zuvor gewarnt hatte, nicht nach der Stadt Gold suchen zu gehen und nun wisse, wie es ihm dort ergangen sei! Darum schwieg Judas Ischariot; Ich aber gab dem Thomas einen Wink, daß er den Goldsucher nicht weiter verfolgen solle, indem solches wenig Früchte brächte.

5. Es begab sich aber, daß ein Diener des Ouran auf Rechnung des Judas Ischariot in den Schatzbeutel der Helena griff und ihr dreißig Silbergroschen entwendete. Dieser kam eilends an unsern Tisch und sagte: „Ein Dieb, ein Dieb! Als die hohe Herrschaft auf dem Meere dem vergnüglichen Fischfange beiwohnte und niemand, außer den römischen Soldaten, die um den Berg lagern und ihre Übungen halten, hier war, da mußte ich zu meiner Notdurft aus dem großen Zelte; im selben Augenblicke schlich sich ein Jünger des großen Propheten, den ihr euren Meister mit Recht nennt, ins Zelt und entwendete, ehe ich noch ins Zelt kam, aus dem Schatzbeutel der Prinzessin dreißig Silbergroschen!

6. Als ich ins Zelt trat, fand ich ihn verlegen im Zelte, und zwar mit den Augen den Boden also forschlich betrachtend, als suchte er etwas Verlorenes; ich rollte ihn, weil er mir verdächtig vorkam, ganz barsch an, und er, darob erschreckt, verließ sogleich das Zelt. Ich dachte von einem Jünger des großen Propheten anfangs nichts Arges; aber als ich im Zelte auf und ab ging, fiel mir der Schatzbeutel der erhabensten Prinzessin auf, weil er nicht mehr in der frühern, mir nur zu bekannten Ordnung sich befand. Da ich als der Vertraute mit dem numerischen Inhalte des Schatzbeutels nicht im Ungewissen mich befand, so nahm ich den Beutel und überzählte den kostbaren Inhalt, und siehe da, – es fehlten im selben dreißig Silbergroschen! Diese dreißig köstlichen Silberlinge kann unmöglich jemand anders genommen haben als jener von mir früher angezeigte Jünger! Ich zeige dieses hiermit zur rechten Zeit alleruntertänigst an, damit am Ende nicht unschuldigsterweise gar auf mich ein Verdacht falle.“

7. Sagt die Helena: „Knecht, warum entschuldigest du dich denn eher, als noch jemand einen Verdacht auf dich geschöpft hat?!“

8. Sagt der Wächter: „Allergnädigste Prinzessin! Ich entschuldigte mich ja nicht, sondern ich zeigte hiermit nur pflichtschuldigst und ganz einfach nur den sicher durch den Jünger des großen Propheten verübten Diebstahl an!“

9. Sagt Helena: „Wann hast denn du ohne mein Wissen und Wollen zum vorletzten Male meinen Schatzbeutel visitiert?!“

10. Sagt der Wächter: „Oh, sogleich, nachdem die hohe, allergnädigste Prinzessin das Zelt meiner Hut überließen! Da waren noch vollkommen 600 Groschen darin; nun sind aber deren nur noch 570 – fehlen also offen 30 Groschen, die niemand anders hat entwenden können als jener bezeichnete Jünger! Weil ich als Wächter der erhabenen Schätze für alles verantwortlich bin, so muß ich ja doch auch wissen, über was und über wieviel ich Wache zu halten habe, und es kann mir als einem alten, treuen Diener nicht verargt werden, so ich zu Zeiten mir eine Einsicht nehme, über was und über wieviel ich zu wachen habe! Ich habe aber nun den angezeigten Abgang bemerkt und habe solchen pflichtschuldigst angezeigt.“

11. Sagt Helena: „Ganz gut, ganz gut und wohl, wir werden die Sache später noch näher untersuchen und den Täter des Übels herausfinden, der dann der gerechten Strafe nicht entgehen wird! Vielleicht ist es aber auch möglich, daß du dich beim Zählen das erste Mal oder das zweite Mal geirrt hast, und es wäre darum nicht fein, einen Jünger des göttlichen Meisters darum zu beschuldigen, weil er vielleicht aus purer Langweile das Zelt betreten hat, wozu er sogar ein Recht hatte, weil von uns aus kein Gebot gegeben ward, daß unsere Zelte von niemandem betreten werden sollten! Gehe nun wieder auf deinen Stand; ich werde bald selbst nachkommen und alles strengst untersuchen!“

12. Mit diesem Bescheide entfernte sich der Wächter, und sein erstes Geschäft war, so schnell wie möglich die dreißig Groschen wieder in den Beutel zu stecken, auf daß die Prinzessin recht habe mit der Bemerkung, daß er sich einmal im Zählen geirrt haben möge. Als er mit dieser Operation fertig war, wurde er sehr verlegen, was er bei der Untersuchung sagen werde. Am besten dünkte es ihm, daß er wieder zur Prinzessin ginge, sie um Vergebung bäte und damit anzeigte, daß er sich richtig im Zählen geirrt habe und dem Jünger sehr unrecht tat. – Gedacht, getan! Er kam nach wenigen Minuten Zeit wieder zurück, erklärte es also der Prinzessin und bat sie zugleich, da nun kein Verbrechen mehr obwalte, die verheißene Untersuchung fahren zu lassen.

13. Dabei aber sah er dennoch sehr verlegen aus, denn er wußte, daß der König Ouran nichts so sehr scharf bestraft wie die Lüge und den Diebstahl. Die Helena erbarmte der alte Wicht, der sich sonst noch nie untreu erwiesen hatte, und sie sagte zu ihm: „Stehe auf und gehe deiner Wege! Es war nicht fein von dir, daß du dich auf eine so niedrige Art an dem dir nicht zu Gesichte stehenden Jünger des Herrn hast rächen wollen, der dir doch nie etwas anderes zuleide tat, als daß du ihn, schon seit wir hier sind, nicht leiden kannst! Sieh, das war arg von dir, und du hast dich darob der schärfsten Strafe würdig gemacht; denn mir ist nun alles bekannt, wie du gehandelt hast!“

14. Hier fängt der Knecht sehr zu zittern an, und Judas Ischariot, der von einiger Ferne diese Zwiesprache mit aller Aufmerksamkeit angehört hatte, trat zum Knechte hin und sagte zu ihm: „Du hast zwar schlecht an mir gehandelt und das ohne allen Grund; aber ich vergebe es dir! Ich war wohl im Zelte, und als ich mich kaum ein paar Augenblicke darin aufhielt, kamst du mir aus einem Hinterhalte grimmig entgegen, und ich ging meinen Weg; aber von einem Sichvergreifen an den Schätzen des Zeltes war doch unmöglich eine Rede! Und wärest du mir auch nicht gar so grimmig entgegengetreten, so hätten durch mich die von dir bewachten Schätze nirgends einen Schaden gelitten. Kurz, nun sei ihm denn, wie ihm wolle, – ich habe dir's vergeben; mit deiner Herrschaft aber magst du nun selbst gut auszukommen trachten!“

8. Kapitel. Die äußere Ruhe und innere Tätigkeit der Gesellschaft.

1. Damit trat Judas Ischariot zurück, und Ich sagte zu Helena, Ouran und Mathael: „Lasset ab von alldem; denn wir haben wichtigere Dinge zu verhandeln! Behaltet den Knecht, und strafet ihn nicht; denn er hätte diesen losen Streich nie unternommen, so er nicht von einem Geiste dazu getrieben worden wäre! Darum aber ward er getrieben, daß auch er für uns täte eine Weissagung, die erfüllt werden wird. – Doch davon nun nichts weiteres; denn wir haben nun viel wichtigere Dinge zu verhandeln!“

2. Es fragte Mich aber ganz erstaunt Cyrenius: „Herr, worin soll das bestehen? Mir kommt es vor, daß es nun schon nichts mehr gäbe, das da noch wichtiger wäre denn das, was wir hier schon alles durchgemacht haben! O rede, Herr! Mein Herz bebt ordentlich vor Begierde, Deine neuen Anordnungen und Beschlüsse zu erfahren und mich dann auch danach zu kehren!“

3. Sage Ich: „Habe nur eine kleine Geduld; denn alles muß seine Zeit haben, auf daß es in selbiger zur Reife gelangt! Darum ist nun vor allem eine kleine Ruhe vonnöten. Ruhet darum nun mit Mir eine ganz kurze Weile!“

4. Darauf ruhten alle, und die Sache zwischen dem Judas Ischariot und dem Wächter der Schätze Ourans, die den Ouran und den Mathael ohnehin ganz wenig bekümmerte, war abgemacht. Die beiden hatten mit dem Kornelius und mit dem Faustus ganz wichtige Regierungsangelegenheiten abzumachen; denn den Ouran fing schon an die Zeit zu drängen, da er sehr daran zu denken begann, mit dem großen Wahrheitsfunde zum Volke, dessen König er war, zurückzukehren und es damit nach Möglichkeit zu beglücken. Er wollte ein König eines verständigen und weisen Volkes sein und nicht von puren Menschenlarven und -maschinen, die ohne Erkenntnis und ohne Willen einhergehen wie die Tiere.

5. Risa aber beobachtete seine zwei Leichen und dachte nur darüber nach, ob sie mit der von ihm gesehenen Vormanipulation und endlich durch die Kraft Meines Namens nicht wieder ins Leben zu rufen wären. Andere um Mich herum dachten wieder darüber nach, worin das Großwichtige etwa bestehen werde, das Ich nach der genommenen kurzen Ruhe ausführen würde. Kurz, obschon äußerlich alle zu ruhen schienen, so waren sie dennoch innerlich in der Seele im höchsten Grade tätig, und es wußte da niemand, wohinaus und wohinein! Philopold, Murel und Kisjonah steckten die Köpfe zusammen und deliberierten (überlegten) ganz enorm, was da noch irgend kommen sollte; Cyrenius und Ebahl und die Jarah dachten auch viel nach und konnten nichts finden, um was es sich nun noch handeln könnte. Denn ihnen schien nun schon alles erschöpft zu sein.

6. Der Schabbi und der Jurah, die beiden persischen abgeordneten Sprecher, aber sagten zu ihren Gefährten, die stark in sie drangen: „Laßt das! Das hieße Gottes Kraft in unseren Herzen versuchen! Was wissen denn wir, wie wir innerlich beschaffen sind! Wissen wir aber schon von uns selbst nichts, was sollen wir dann erst wissen, wie Gott in Sich beschaffen ist, und was Er tun wird?! Das aber wissen wir, daß alles, was Er tun wird, höchst weise sein wird und vollauf zu unserem Besten; komme da nun, was ihm wolle, mehr oder weniger Großartiges, als schon da war, das kümmere uns wenig! Wir sind und bleiben Handelsleute und können alles, was zu unserem Besten abgezielt ist, gar überaus gut gebrauchen. Wir halten aber am Ende schon alles für gleich großartig, wert und wichtig, was da kommt von Ihm, dem alleinigen Herrn der Ewigkeit und der Unendlichkeit aller Seiner zahllosen Taten und Werke.

7. Da wir uns aber eben selbst noch gar lange nicht kennen, so können wir auch nicht wissen, was uns noch über alles das hinaus not tut, was wir schon empfangen haben; Er aber weiß es und kann daher ganz gut das, was da noch kommen wird, als etwas groß- und überaus Wichtiges bezeichnen! Denn der Herr aller Ordnung von Ewigkeit kann doch unmöglich bei 13 oder 14, sondern stets nur bei 1 zu zählen anfangen. Und so weiß Er sicher auch gar rein und klar, was für uns der Reihenfolge nach dienlich ist zu unserer innern Lebensvollendung; wir können darum schon in aller Ruhe abwarten, was Er heute noch alles unternehmen wird!“

8. Diese recht weise Belehrung beruhigte die Gemüter der Perser ganz; aber auch die Gemüter derjenigen, die an Meinem Tische saßen, wurden ruhiger und erwarteten mit gespanntester Erwartung und Freude das, was Ich nachher ganz offen tun würde.

9. Kapitel. Die Spione des Herodes.

1. Der alte Markus aber kam aus dem Hause, in dem er schon fürs Mittagsmahl Voranstalten traf, zu Mir und sagte ganz leise: „Herr, – vergib, so ich Dich mit meinem Anliegen auf einige Augenblicke störe!“

2. Sage Ich zu ihm: „Freund, gehe und sage es den hinter deinem Hause lauernden Spionen des Herodes: ,Des Menschen Sohn handelt und redet ganz offen vor aller Welt Augen und Ohren und will mit niemandem irgendwas Geheimes abzumachen haben; wer demnach mit Mir reden und irgendwas verhandeln will, der muß zu Mir kommen und ebenfalls ganz offen reden und handeln! Bei Mir wird nichts ganz still und geheim ins Ohr geblasen und im Verborgenen gehandelt und ratgehalten; dies ist eine verdammliche Sitte der Weltkinder nur, so sie irgend Arges im Sinne haben und sich sohin damit nicht schnell und offen genug ans Tageslicht getrauen, weil sie sich vor den Menschen fürchten ihrer schlechten Absichten wegen. Ich aber handle offen und rede alles laut und habe keine Furcht vor den Menschen, weil Meine Absichten mit den Menschen gut sind!‘ – Gehe sonach hin und sage den schnöden Verräterischen dieses dir von Mir nun Angesagte!“

3. Markus verneigte sich tiefst vor Mir und ging, seinen Auftrag mit der größten Pünktlichkeit zu erfüllen. Als er den von Herodes nach allen Richtungen nach Mir ausgesandten Lauerern solches mit allem Ernste ins falsche Gesicht raunte, da sagte einer aus der Menge: „Freund, du scheinst nicht zu wissen, daß wir vom Herodes mit allen Vollmachten sogar über Leben und Tod versehen sind und jeden frechen Widerspenstler sogleich zu verderben das Recht haben!“

4. Sagte Markus: Auch über einen Bürger Roms, der ich einer bin?“

5. Sagte der freche Wortführer: So wir ihn verderben, werden wir vom Herodes nicht zur Verantwortung gezogen!“

6. Sagte Markus: Aber dafür desto sicherer von Gott und vom römischen Oberstatthalter Cyrenius, der sich zum größten Glücke soeben schon seit etwelchen Tagen mit vielen Großmächtigen Roms allhier bei mir aufhält! Wehe euch, so ihr mein Haus nur mit einem feindlichen Finger anzurühren waget!“

7. Sagte der Freche: „Was sagst du vom Oberstatthalter Roms, daß er hier sei – und hat erst vor ein paar Tagen durch den Landpfleger Jerusalems dem Herodes das offene Schwertrecht erteilt?“

8. Sagte Markus: „Ganz gut, ganz gut! Es soll sich sogleich weisen, wer dem Herodes ein solches Recht erteilet hat!“

9. Hier sandte Markus einen seiner Söhne an den Cyrenius mit dem Auftrage, solches sogleich dem Oberstatthalter zu vermelden. Als Cyrenius solches mit einem tiefen Ingrimme vernahm, beorderte er sogleich den Julius mit hundert Soldaten, die Spione, bei dreißig an der Zahl, sogleich gefangenzunehmen und jeden, der sich nicht sogleich seine Waffen abliefernd ergeben würde, ohne alle Gnade zu töten.

10. Sagte Ich: „Zu töten nicht, wohl aber gefangenzunehmen!“ – Dieses ward denn auch sogleich befolgt.

11. Als die Spione die Römer ganz wütend auf sich losstürzen sahen, wollten sie davonfliehen; aber es gelang ihnen solches nicht. Die römischen Soldaten bedeuteten ihnen laut, daß sie jeden ohne Gnade und Erbarmung töten würden, der sich ihnen widersetze. Diese ganz wütend ernst lautende Verheißung wirkte; die frechen Spione ergaben sich, wurden sogleich mit Stricken und Ketten gefesselt und also, mit verzweifelten Gesichtern, dem Oberstatthalter, unter dem Vortritte des Markus und Julius, vorgeführt.

12. Als sie also vor dem Cyrenius und Kornelius und Faustus standen, fragte sie Cyrenius mit dem gewöhnlichen römischen Diktatorenernste: „Wo sind eure Vollmachten und der Befehl, der euch heißet den Propheten Galiläas zu verfolgen auf allen seinen Wegen und Stegen?

13. Spricht der Anführer, der Zinka hieß: „Mein Herr! Geknebelt an Händen und Füßen kann ich sie dir nicht aus meinem verborgenen Sacke hervorholen! Laß mich losknebeln, und du sollst sie haben, auf daß du einsehen magst, daß auch wir einen Herrn im Hintergrunde haben, der über uns gebietet, und dem wir gehorchen müssen, weil er von euch Römern das Recht teuer erkauft hat, an eurer Statt auch ein Herr über unser Leben zu sein, und kann – unverantwortlich gegen euch nach Belieben töten lassen, wann er nur will!

14. Unsertwegen können durch ganz Galiläa zehntausend Propheten herumschwärmen; so sie uns in Ruhe lassen, werden auch wir ihnen sicher nichts zuleide tun. Aber so da irgendein mächtiger Gewaltträger uns beruft, uns in einen guten Sold nimmt, im Dienstverweigerungsfalle uns aber auch sogar durch seine vielen Scharfrichter töten lassen kann, da bekommt die Sache ein ganz anderes Gesicht! Da müssen wir jedermanns Verfolger auf Leben und Tod werden, mag der zu Verfolgende ein noch so ehrlicher Mensch sein! Oder fehlen eure Krieger und Kriegsknechte, so sie eure Befehle auf Leben und Tod vollziehen? So dabei jemand vor Gott, so es einen gibt, verantwortlich ist, da kann es nur ein Herr, nie aber dessen Knecht und getreuer Diener sein! Laß mich entfesseln, und ich werde dir sogleich unsere von des Herodes eigener Hand in drei Sprachen ausgestellten Vollmachten vorweisen; daraus erst kannst du ein vollgültiges Urteil über uns fällen!“

15. Cyrenius läßt den Zinka losbinden, und dieser greift sogleich in die verborgene Tasche, zieht eine Pergamentrolle hervor, überreicht sie dem Cyrenius und sagt: „Da lies, und urteile dann mit Recht vor aller Welt, ob unsere Nachstellungen bezüglich des galiläischen Propheten, eines gewissen Jesus aus Nazareth, gesetzlich oder ungesetzlich sind!“

16. Cyrenius liest die Vollmacht, die am Ende mit dem Namenszuge des Herodes unterzeichnet ist. Sie lautet kurz wörtlich also: ,Laut der mir, Vierfürsten Herodes, aus Rom für 1000 Pfunde Silbers und 100 Pfunde Goldes verliehenen Gewalt über ganz Judenland verordne und gebiete ich, mich auf die teuer erkaufte Hilfe Roms stützend, den mir und meinen Institutionen sehr gefährlich dünkenden Propheten Galiläas zu fangen und ihn mir dann lebend oder tot einzuliefern, – im ersten Falle ich ihn selbst prüfen werde und sehen, welches Geistes Kind er sei. Meine ausgesandten Häscher aber haben mit dieser von mir eigenhändig geschriebenen Urkunde das vollste Recht, den Betreffenden auf allen Wegen und Stegen und auf allen Gassen und Straßen zu suchen, zu verfolgen, zu ergreifen und im Widersetzungsfalle ihn samt seinem Anhange zu töten und ihn mir dann auch als tot zu überbringen, wofür jedem, der seiner habhaft wird, eine Belohnung von 300 Silbergroschen erteilet wird. – Gegeben zu Jerusalem im eigenen Palaste.‘

17. Sagt Zinka: „Nun, was sagst du dazu? Sind wir dreißig im Rechte oder nicht?“

18. Cyrenius denkt hier ein wenig nach und sagt dann: „Mit meinem Wissen und Wollen ist dem Herodes in solcher Weise aus Rom nie eine solche Vollmacht erteilt worden. Wohl ist ihm meines getreuen Wissens eine Vollmacht nur dahin eingeräumt worden, in seinem eigenen Hause im Notfalle selbst das Schwertrecht auszuüben, – außer dem Hause nur dann, so sich gegen uns Römer irgendeine Verschwörung vorfände, und es wäre eine römische Besatzung und ebenso ein ordentliches Gericht für den aufständischen Ort zu entlegen, Herodes aber wäre mit seiner Ehren- und Schutzmacht zugegen; in diesem einzigen Falle könnte er das scharfe Schwertrecht ausüben!

19. Also lautet die von Rom aus an den Herodes ausgefertigte Vollmacht, die ich eingesehen und selbst mit unterfertigt habe; denn was von Rom aus nach Asien verfügt wird, muß durch meine Hände oder durch die eines Abgeordneten von mir gehen, der mir aber alles in jüngster Zeit rückzuberichten hat, was immer irgend da gekommen ist. Diese Vollmacht wird von mir somit für null und nichtig erklärt, und das auf so lange, bis ich darüber aus Rom nicht die Weisung erhalten werde, wie, wann und warum – mir unbekannt – dem Herodes solch eine umfassendste Vollmacht erteilt ward, die uns getreusten Römern eine gerechte Angst und Besorgnis einflößen muß.

20. Diese Vollmacht bekommt ihr nicht wieder zurück, als bis sie von Rom wiederkehren wird; ihr aber bleibet unterdessen meine Gefangenen! Seid ihr schon für euch selbst weltgesetzlich auch keine Verbrecher, so seid ihr aber dennoch Werkzeuge, mit denen der eine Verbrecher einen Greuel um den andern begeht, – und zu Greueltaten hat Rom noch nie jemandem eine Befugnis erteilt und wird sie sicher auch eurem Herodes nicht erteilt haben!

21. Aber ich weiß es, wie die Herodesse ihre Konzessionen unter irgendeinem patriotischen Scheinvorwande mißbrauchen! Der vom alten Herodes verübte Mord an den unschuldigsten Kindern dient mir noch immer als ein klarer Beweis, wie diese schlauen griechischen Füchse ihre von Rom aus zugestandenen Rechte zu ihren Gunsten zu mißbrauchen verstehen, um das Judenvolk in Massen den Römern abhold zu machen.

22. Oh, ich werde den Herodes schon in jene Schranken zurückzuweisen verstehen; das wird meine ganz vollkommen ernste Sache sein! Der alte Herodes verkostete meinen altrömischen Gerechtigkeitssinn, obschon ich damals kaum etwas über die dreißig Jahre zählte; nun bin ich nahe ein Greis, bin erfahrener und ernster geworden, – nun halte ich denn auch noch größere Stücke auf ein strengstes Recht! Jetzt gilt es bei mir vollkommen: PEREAT MUNDUS, FIAT IUS!

23. Ich werde nun sogleich zwei Boten entsenden, den einen nach Rom und den andern nach Jerusalem zum Herodes, auf daß er verlange alle Vollmachten Roms, die sich befinden in den Händen des Herodes. Wehe ihm und seinen Knechten, Dienern und Dienersdienern, wenn seine Vollmachten nicht mit dem Sinne dieser euch erteilten Vollmacht zusammenstimmen!“

10. Kapitel. Zinkas Verteidigungsrede, und sein Bericht über das Ende Johannes des Täufers.

1. Sagt Zinka: „Herr! Das wird doch etwa nicht auch unsere böse Sache sein? Unser Herr und Gebieter war bis jetzt Herodes. Er tat wohl so manches an und für sich greuelhaft Ungerechte an der armen Menschheit – ich erkannte solches recht klar und gut –, aber was ließ sich dabei anderes tun, als seine Befehle in den traurigen Vollzug zu setzen? Was kann denn einer deiner Büttel tun, so du ihm gebietest, einem wirklichen oder auch nur scheinbaren Verbrecher den Kopf vom Leibe zu schlagen? Er mag hundertmal bei sich die vollste Überzeugung haben, daß der Verurteilte im Ernste unschuldig ist, – er muß dennoch das scharfe Beil an seinen Nacken legen!

2. Wußten wir etwa von der vollsten Unschuld des erst vor kurzem enthaupteten Johannes nichts? Oh, wir kannten sie und liebten den weisen und Gott ergebenen Sonderling; denn er gab uns im Kerker noch die schönsten Lehren, ermahnte uns zu allerlei Geduld und Ausdauer und warnte uns vor Sünden gegen Gott und gegen den Nächsten, und zeigte uns auch an, daß nun in Galiläa ein Prophet aller Propheten und ein wahrster Priester aller Priester aufgestanden sei, dem zu lösen die Schuhriemen er nicht würdig wäre! Er verkündete es uns, daß dieser uns erst von allem Übel erlösen und uns zeigen werde den Weg des Lichtes, der Wahrheit und des ewigen Lebens. Kurz, er belehrte uns Wächter, als wären wir seine Jünger und seine besten Freunde.

3. Wenn Herodes uns fragte, was der Gefangene mache, und wie er sich benehme, konnten wir alle nur das Beste von ihm aussagen. Es gefiel dies dem Herodes so wohl, daß er Johannes selbst besuchte und sich von ihm belehren ließ. Es hätte wahrlich nicht viel gefehlt, daß ihm Herodes die volle Freiheit gegeben hätte, wenn Johannes nicht zu früh als ein sonst höchst weiser Mann die große Torheit begangen hätte, dem wollustsüchtigen Gebieter den Umgang mit der schönen Herodias als höchst sündhaft zu bezeichnen. Ja, es gelang aber dem Johannes beinahe, den Herodes von der Herodias abzuwenden!

4. Unglückseligerweise feierte in dieser Zeit Herodes seinen Tag mit großem Gepränge, und die Herodias, mit allen Schwächen des Herodes so ziemlich vertraut, schmückte sich an diesem Tage ganz ungewöhnlich und erhöhte dadurch ihre sonstigen Reize bis zu einer kaum glaublichen Höhe. Also aufgeputzt kam sie mit ihrer Drachenmutter, ihn zu beglückwünschen, und da es in seinem Hause Harfner und Pfeifer und Geiger gab, so tanzte die Herodias vor dem ganz geil gewordenen Herodes. Dies gefiel dem geilen Bocke so sehr, daß der Narr einen schweren Schwur tat, ihr alles zu gewähren, was immer sie von ihm verlangen würde! Nun war es um unsern guten Johannes so gut wie geschehen, weil er der verfluchten Habgier der Alten schnurgerade im Wege stand; diese gab der Jungen den Wink, daß sie das Haupt des Johannes auf einer silbernen Schüssel verlangen solle, was die Junge – wennschon mit einem geheimen Grauen – tat.

5. Nun, was nützte da unsere Liebe zu Johannes, was unsere überzeugende Einsicht von seiner vollsten Unschuld, was unser Bedauern? Zu was war unser lautes Verwünschen der alten und jungen Herodias? Ich selbst mußte mit einem Schergen ins Gefängnis, dem guten Johannes den scheußlichen Willen des mächtigen Gebieters kundzutun, und mußte ihn binden und ihm dann auf dem verfluchten Blocke mit dem scharfen Beile das ehrwürdige Haupt vom Rumpfe schlagen lassen. Ich weinte dabei wie ein Kind über die zu große Bosheit der beiden Weiber und über das traurigste Schicksal meines mir so teuer gewordenen Freundes! Aber was nützte alles das gegen den finstern, verblendeten und starren Willen eines einzigen mächtigen Wüterichs?!

6. Also sind wir nun ausgesendet, den in Galiläa sein Wesen treibenden Propheten, der wahrscheinlich ebenderselbe ist, von dem uns Johannes so große Dinge verkündet hat, aufzugreifen und ihn dem Herodes auszuliefern. Können wir darum als eidlich verdungene Diener und Knechte dieses Wüterichs? Oder können wir aus seinem Dienste treten, wann wir wollen? Ist von ihm aus nicht etwa der Kerker und der Tod auf eine treulose Entweichung aus seinem Dienste gesetzt? Wenn wir nun so sind und handeln, wie wir sein und handeln müssen, da sage du, Herr, mir den gerechten Richter an, der uns darob verdammen könnte!

7. Lasse du alle Engel und Gott Selbst vom Himmel herab zur Erde steigen und über uns ein Verdammungsurteil aussprechen, so wird es geradeso gerecht sein wie die Enthauptung des Johannes. Wenn es einen gerechten Gott gibt, so muß Er doch offenbar weiser sein denn alle Menschen! Ist Er aber weiser und allmächtig dazu, so begreife ich wohl wahrlich nicht, aus welch einem Grunde Er auf der Welt solche Scheusale von Menschen aufkommen und dazu noch mächtig werden läßt.

8. Dies ist auch der einzige Grund, warum ich und meine neunundzwanzig Helfershelfer an gar keinen Gott mehr glauben. Den letzten Funken Glaubens aber hat uns die schmählichste Enthauptung des Johannes genommen; denn da hätte ich als Gott ja doch eher tausend Herodesse mit hunderttausend Blitzen zerschmettern lassen – als einen Johannes enthaupten! Es kann wohl wahr sein, daß ein Gott dem Johannes drüben tausendfach vergelten kann, so er die hier an ihm verübte Grausamkeit mit Geduld und Ergebung ertrug; aber ich für mein Urteil gebe dem lieben Herrgott nicht ein halbes Leben, in dessen Überzeugung ich einmal lebe, für tausend allerglücklichste Leben, von denen noch kein Mensch etwas überzeugend Gewisses hat erfahren können!

9. Wer die Gewalt hat, der kann diktieren und tun nach seiner Lust; wir Schwachen und Gewaltlosen aber müssen ihm dann als Lasttiere dienen auf Leben und Tod. Wenn er mordet, so ist das gar nichts, denn er hat ja ein Recht dazu durch seine Gewalt; morden aber wir, so sind wir Missetäter und werden darum wieder gemordet. Ich aber frage da dich und alle Herren und Weisen deines Rates, welch ein Gott das als Recht dulden kann! – Ich bitte dich, Herr, mir darüber eine klare Antwort zu geben!“

11. Kapitel. Freundliche Antwort des Cyrenius an Zinka.

1. Cyrenius macht über diese Einwendung große Augen und sagt zu Mir mit halblauter Stimme: „Der Mensch ist wahrlich nicht auf den Kopf gefallen und scheint recht viel Gemüt zu besitzen. Dem sollte geholfen werden! Was meinst Du, o Herr, soll der Mann und etwa auch sein Gefolge zu uns gewendet werden?“

2. Sage Ich ganz offen: „Mit einem Hiebe fällt kein nur einigermaßen starker Baum! Mit einer gewissen Geduld aber kann ein Mensch viel ausrichten. Auch muß man den, den man führen will ans Licht, nicht in die volle Mittagssonne schauen lassen. Denn gibt man ihm mit einem Male zu viel Licht, so wird er blind auf eine längere Zeit; wenn man ihn aber so nach und nach ans Licht gewöhnt, so wird er dann auch im hellsten Lichte alles in großer Klarheit zu sehen imstande sein und darauf in keine Blindheit mehr übergehen.

3. Dieser Mensch aber hat Mir damit nun einen guten Dienst erwiesen, indem er als Augen- und Ohrenzeuge vor Meinen Jüngern getreulichst ausgesagt hat, wie Mein Vorläufer Johannes, der in den Gegenden des Jordans gepredigt und getauft hatte, von Herodes gefangen und ums Leben gebracht wurde. Nicht Meinet-, sondern Meiner Jünger wegen soll er noch kundgeben, warum denn Herodes den Johannes so ganz eigentlich fangen und ins Gefängnis werfen ließ. Stelle du an ihn die Frage!“

4. Sagt Cyrenius, sich zu Zinka wendend: „Freund, meine Sentenz wollte ich nicht also verstanden haben, daß ich die Diener und Knechte eines Wüterichs auch dann möchte züchtigen lassen, wenn sie nicht von ferne in ihrem Gemüte seines Sinnes sind, – nur dann, so sie es wären und hartnäckig und gewisserart schon eigenwillig das arge Vorhaben ihres herrscherischen Wüterichs vollziehen würden! Aber Menschen wie du, die das Unmenschliche ihres unmenschlichen Gebieters nur zu gut einsehen und es in ihrem Herzen tiefst verabscheuen, werde ich stets nach Recht und größter Billigkeit zu behandeln verstehen!

5. Warum aber Gott nicht selten das Laster auf dieser Welt triumphieren läßt, während die Tugend oft leidet und bis zum Leibestode erdrückt wird, davon, Freund, ist wohl auch ein gar herrlicher Grund vorhanden, liegt aber für deinen gegenwärtigen Verstandeszustand noch viel zu tief, als daß du ihn nun fassen könntest samt deinen Gefährten, deren Verstand noch um vieles äußerlicher zu sein scheint als der deinige; aber es wird schon noch eine Zeit – vielleicht in Kürze – kommen, in der du es ganz genau einsehen wirst, mit deinem ganzen Gemüte sogar, warum es auch Herodesse geben muß!“

6. Sagt Zinka: „Herr, der du mir soeben die Gnade erwiesest, mich mit dem Worte ,Freund‘ anzureden, laß dies vielbedeutende Wort keinen leeren Schall sein, so wie es nun unter den Menschen leider nur zu oft gebräuchlich ist! Hast du aber das Wort in der wahren Bedeutung genommen, so erweise mir die Freundschaft und lasse auch meine neunundzwanzig Gefährten losbinden von den schweren Fesseln! Daß weder ich noch sie dir durchgehen werden, dafür steht schon erstens die starke Wache, und zweitens und hauptsächlich dein freundliches Wort. Glaube es mir – ich rede nun ganz frei und offen –: Wir alle sind mit höchstem Widerwillen das, was wir leider sind! Könntest du uns von diesem Joche befreien, so würdest du das menschlichste und gerechteste Werk vollbracht haben!“

7. Sagt Cyrenius: „Laßt das gut sein; das soll meine Sorge sein! Sehet umher, und ihr erblicket lauter Gerettete aus der Hand des Verderbens! Es werden darunter wenige sein, die nicht nach unserer römischen Strenge entweder das scharfe Beil durch den Hals oder gar das Kreuz verdient hätten; und siehe sie an, wie sie als wahre Menschen nun wie lauterstes Gold vor uns stehen und keiner sich wünscht, unsere Gesellschaft zu verlassen! Ich hoffe es, daß es euch jüngst ebenso ergehen wird; denn bei Gott sind alle Dinge ganz leicht möglich, wovon ich selbst die lebendigste Überzeugung habe.

8. Aber nun erlaube du mir, noch eine recht gewichtige Frage an dich zu richten, und diese besteht darin: Du hast uns allen einen recht gewichtigen Dienst dadurch erwiesen, daß du uns ganz offen kundgetan hast, wodurch und wie der würdige Seher Gottes durch Herodes ums Leben gebracht worden ist; nun, du warst aber sicher auch bei seiner Gefangennehmung zugegen!? Könntest du mir denn nicht auch dazu noch kundgeben, warum und aus welcher Veranlassung denn so ganz eigentlich Herodes den Johannes, der ihm sicher nichts zuleide getan hatte, hat gefangennehmen lassen? Denn irgendeinen Grund muß er dazu denn doch gehabt haben!“

12. Kapitel. Die Gefangennahme Johannes des Täufers. Des Herodes Verhältnis zur Herodias.

1. Sagt Zinka: „Wenn ich ohne irgend arge Folgen ganz frei und offen reden darf, da könnte ich dir als selbst Handanleger an den unschuldigsten aller unschuldigen Menschen wohl den getreust wahren Grund angeben; aber wenn da etwa irgend zu dürres Stroh in einem Dache stäke, da ist es mir um vieles lieber, so ich schweigen darf von einer Geschichte, an die ich mich nicht ohne das größte Herzeleid erinnern kann, aber auch nicht ohne den bittersten und giftigsten Zorn!“

2. Sagt Cyrenius: „Rede ganz frei und offen, denn unter uns findest du kein überdürres Stroh im Dache!“

3. Sagt Zinka: „Nun gut denn, und du höre mich! Ich sagte dir ehedem, daß ich nun an gar keinen Gott mehr glaube; denn alles, was von Ihm im Tempel gelehrt wird, ist Lüge, die schwärzeste und schändlichste Lüge! Denn solch einen Gott kann es ewig nirgends geben! Unser unglücklicher Freund Johannes lehrte das Volk im Ernste einen rechten Gott erkennen, und seine Lehre tat not und jedem Menschen im höchsten Grade wohl, der nicht dem Tempel angehörte und kein Pharisäer war. Aber ein desto größerer Greuel war seine Lehre vom wahren Gott dem Tempel. Nun wirst du als ein sehr vernünftiger Mann schon können so ganz sachte zu spannen anfangen, von wo der Sturmwind zu wehen begann.

4. Die Templer hätten dem armen Johannes schon lange gerne einen Garaus gemacht, so sie nicht das Volk gefürchtet hätten, das nun denn doch schon zum größten Teile hinter die schändlichsten Lügen und schwärzesten Betrügereien gekommen ist. Sie sannen sich darum einen Plan aus, durch den sie dem Herodes weiszumachen gedachten, daß unser Johannes ganz geheim mit dem Plane umginge, durch allerlei falsche und sehr fein verhüllte Vorspiegelungen das Volk gegen den Bedrücker Herodes zu einer fürchterlichsten Meuterei aufzuwiegeln.

5. Dies vermochte den Herodes am Ende denn doch dahin, daß er mit uns selbst zu Johannes hinaus in eine sehr wüste Gegend des Jordans eilte und sich selbst überzeugen wollte, ob es mit der Sache des Johannes denn wirklich also gefährlich stünde! Allein bei Johannes angelangt, fand er selbst bei der allerkritischsten Probe aber auch nicht eine allerleiseste Spur von all dem, was ihm die Templer vorgelogen hatten. Er ward darum am Ende selbst ganz grimmig aufgebracht über solch eine namenloseste Schlechtigkeit des Tempels und seiner Bewohner.

6. Als die Templer darauf in ihn zu dringen begannen, den Johannes unschädlich zu machen, sagte er mit drohender Miene in meiner Gegenwart zu ihnen: Auf den Rat und Willen elender, gefräßiger Hunde werde er niemals wider seine Überzeugung irgendeinen Menschen richten!

7. Auf solch eine energische Antwort zogen sich die schwarzen Ritter zurück und schwiegen. Aber nichtsdestoweniger ruhten sie in ihren bösen Ratschlägen; während sie äußerlich eine gute Miene zum für sie bösen Spiele machten und taten, als kümmerte sie Johannes nicht im geringsten mehr, dingten sie heimlich Meuchelmörder, die dem Manne Gottes das Lebenslicht ausblasen sollten.

8. Als Herodes solches erfuhr, da dauerte ihn der ehrliche, harmlose Seher. Er berief uns zu sich und erzählte uns, was er gehört hatte, und sprach am Ende: ,Höret, diesen Menschen muß ich retten! Gehet zum Scheine hinaus mit Waffen und Stricken, bindet ihn leicht, gebet ihm meinen geheimen Plan kund, und er wird euch folgen! Hier will ich ihn in einem guten Gefängnisse wohl verwahren; aber er soll mit allen seinen Jüngern freien Verkehr haben!‘

9. Solches geschah denn auch, und Johannes war damit, so gut er es nur immer sein konnte, zufrieden. Aber die schwarze Natternbrut des Tempels erfuhr nur zu bald, daß Herodes den Johannes nur zum Scheine habe ins Herrengefängnis legen lassen, ihm aber alle Freiheit gewähre, mit seinen Jüngern zu verkehren. Da fingen sie wieder an zu beraten, wie sie den Herodes am Ende dennoch dahin vermöchten, daß er am Ende selbst die Hand an den Johannes lege.“

10. Darauf schwieg Zinka; aber Cyrenius bat ihn sogar, die Geschichte weiterzuerzählen. Und Zinka begann also weiterzureden: „Die schwarzen Knechte des Tempels brachten es bald in Erfahrung, daß Herodes, der halb ein Jude und halb noch immer ein Heide ist, die junge Herodias gerne sehe, aber als ein Jude sich wegen des Ehebruchverbrechens nicht so recht getraue, mit ihr in ein näheres Verhältnis zu treten. Er für sich hätte sich darob gerade kein Gewissenshaar grau werden lassen; aber des weitmauligen Tempels wegen mußte er wenigstens das äußere Dekorum beachten.

11. Solches alles wußten die schwarzen Ritter, sandten einen so recht verschmitzten Feinzüngler an den Herodes mit dem Antrage, daß Herodes ob der bekannten Unfruchtbarkeit seines Weibes sich gegen ein kleines Opfer in den Gotteskasten ohne weiteres ein Kebsweib halten dürfe und vollauf versichert sein könne, daß der Tempel dagegen keinen Anstand nehmen werde.

12. Herodes ließ sich diese Sache eben nicht zweimal sagen, gab dem Überbringer dieser Urkunde etliche Pfunde Goldes, und die Geschichte war abgemacht. Er sandte sogleich einen Boten zu der Herodias, und diese machte natürlich wenig Anstand, dem Verlangen des Vierfürsten Herodes nachzukommen, zumal sie auch noch von ihrer Mutter dazu beredet und angetrieben ward; denn die alte Herodias war ein Weib, das für den Satan wie geschaffen war. Gutes war nichts an ihr, – aber dafür um so mehr Erzschlechtes. Die Alte selbst führte ihre Tochter zum ersten Male, ganz entsetzlich reich geziert, zum Herodes und empfahl sie seiner Gnade. Herodes koste die Herodias zwar zärtlichst, beging aber mit ihr noch keine Sünde. Er beschenkte sie reichlich und gewährte ihr völlig freien Zutritt zu sich.

13. Als sie vom Herodes wieder nach Hause zu ihrer Mutter kam, so befragte diese sie, was Herodes alles mit ihr geredet und getan habe. Die Tochter redete die Wahrheit, lobte des Herodes zwar sehr freundlichen, aber dennoch ganz nüchternen Sinn, und wie er sie reich beschenkt und ihr den allzeit freien Zutritt zu sich gestattet habe; nur müsse sie ihm vollkommen treuesten Herzens verbleiben.

14. Die alte Hexe aber dachte dabei ganz sicher, was ich, der ich die Herodias nach Hause zu begleiten hatte, der Alten wie eine gut geschriebene Schrift aus den Augen las: ,Siehe, da steckt etwas dahinter! Hat sich Herodes das erste Mal nicht durch die großen Reize meiner Tochter gefangennehmen lassen, so wird er dasselbe auch ein zweites Mal nicht tun!‘ Da dabei aber die Alte dann das Recht verlöre, den Herodes um die Ehrentschädigung anzugehen, so gab sie der Tochter eine schöne Lehre, wie sie es ein nächstes Mal anstellen solle, um den Herodes zum Beischlafe zu bewegen.

15. Ich verließ bald aus Ärger das Haus der Hexe, kam zu Herodes zurück und erzählte ihm alles, was ich beobachtet hatte; daß Herodes davon eben nicht zu sehr erbaut war, kann sich ein jeder leicht von selbst denken. Er begab sich darum auch zu Johannes und stellte ihm die ganze Sache vor.“

13. Kapitel. Mordanschlag der Templer gegen Johannes den Täufer.

1. (Zinka:) „Johannes aber sagte zu ihm: ,Habe du nichts zu schaffen mit der Herodias und ihrer Mutter; denn die Alte ist eine Schlange und die Junge eine Natter! Zudem kennst du den Willen des allmächtigen Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs und kennst Seine Ordnung, in der Er vom Anbeginne aller Kreatur einem Manne nur ein Weib gegeben hat. Fruchtbarkeit oder keine Fruchtbarkeit eines Weibes, das einmal mit einem Manne sich ehelich verbunden hat, gibt dir keinen Grund zur Annahme eines Afterweibes; denn so du ausharrest in der Geduld, da ist's Gott ja doch gar leicht möglich, im Schoße deines Weibes in ihrem hohen Alter noch eine lebendige Frucht dir zu erwecken! Lies die Geschichte der Patriarchen, und du wirst es finden, daß die Geduld und Ergebung derselben ihnen im hohen Alter noch den reichlichsten Segen gebracht hat!

2. Habe also mit der Herodias nichts zu schaffen und nimm ja keinen Scheidebrief vom Tempel; denn Gott hat nie einen Scheidebrief verordnet! Solches hat Moses aus sich heraus als Mensch getan, der mannigfachen Härte der Menschenherzen wegen; aber er hat daran nicht sehr wohl getan, und Gott der Herr sah solche Verordnung nicht mit wohlgefälligen Augen an, dessen du vollends versichert sein kannst! Halte du dich darum nur zu deinem Weibe und lasse die Herodias nicht zu dir kommen! Gib dem Zinka (mir nämlich) die Vollmacht, und er wird es schon zu veranstalten verstehen, daß dir die Natter nicht mehr ins Haus kommt! Wirst du diesen Rat befolgen, so wirst du in der Freundschaft Jehovas verbleiben, wo aber nicht, wirst du zugrunde gerichtet und ein Feind Jehovas werden!‘

3. Herodes nahm sich das zu Herzen und beschloß, sich von der Herodias zu enthalten. Aber die alte Schlange samt der jungen Natter wandten alles auf, um Herodes zu verblenden. Sie wußten, wann er ausging und wohin, und die Herodias wußte ihm zu begegnen, stets so reizend als möglich geschmückt und geputzt. Er machte mit ihr zwar nichts, aber in seinem Herzen fing es dennoch stets mehr zu glühen an, so daß er nun am Ende selbst die Gelegenheiten zu suchen begann, der schönsten Herodias sooft als möglich zu begegnen.

4. Als es endlich gegen seinen Tag zu gehen anfing, da wandte die Herodias aber schon alle Mittel an, daß sie zum großen Feste käme. Mittlerweile aber erkundigten sich auch die Templer bei der Herodias, wie weit sie mit dem Herodes wäre. Und sie konnte ihnen nichts anderes sagen, als daß sie sich noch trotz aller ihrer Kunstgriffe und bösen Kniffe total auf dem alten Flecke befände; wer oder was daran schulde, wisse sie kaum, obwohl sie es nur zu klar sehe, daß sie vom Herodes dennoch gerne gesehen werde, und er ihr so ganz verstohlen stets mehr und mehr nachstelle.

5. Als der Templer solches erfuhr, da sagte er den beiden ganz offen: ,Daran schuldet niemand als jener Wasser- und Taufprophet, an dem sich Herodes sein Heil gefressen hat! Er selbst nahm ihn vom Jordan gefangen, um ihn vor uns zu schützen; aber es wird ihm das dennoch nichts nützen! Der Wasserprophet muß und wird fallen! Er ist für euch und für uns der gefährlichste Stein des Anstoßes! Wenn das eher nicht ginge, so wird es doch am Tage des Herodes sich fügen! Sucht den Propheten um jeden Preis zu vernichten, und ihr werdet den Herodes um den Finger winden können!‘

6. Damit hatten die beiden Weiber mehr denn eine genügende Aufhellung über den Grund ihrer mißlingenden Versuche. Die beiden hielten nun Rat, wie sie Johannes verderben könnten, und die Junge zog mich in ihr Geheimnis und versprach mir viel Goldes und Silbers, so ich den Johannes auf irgendeine gute Art ums Leben brächte. Ich ließ mich aber ganz natürlich nicht dazu bewegen, tat aber doch, als ginge ich so nach und nach in ihre Pläne ein; solches aber tat ich nur, um desto sicherer hinter alle die argen Satanspläne zu kommen, die von den beiden Weibern und den Tempelrittern gegen den armen Johannes ausgeheckt worden sind.

7. Herodes kratzte sich dabei hinter den Ohren und sagte zu mir: ,So stehen die Sachen, wie ich es schon seit mehreren Tagen einsehe; aber was läßt sich da tun? Das Beste dürfte noch das sein, daß wir den Johannes mehr absperren von dem offenen Zutritte, nur seine bekanntesten Jünger zu ihm kommen lassen und jedem Fremden die Türe weisen. Denn gar leicht kann es geschehen, daß ein von den Weibern oder vom Tempel erkaufter Meuchelmörder unserem Johannes einen Dolch ins Herz stößt, und des Tempels Bosheit hätte ihr Ziel erreicht. Denn glaube du mir: auch die Weiber sind vom Tempel aus bearbeitet! Ich will aber, um den Johannes zu retten, den Weibern und namentlich der Herodias den Zutritt gewähren, und gehe du darum hin und sage es der Herodias, daß sie mich von nun an besuchen kann und darf!‘

8. Ich als der Diener mußte gehorchen, obwohl ich das nur zu gut einsah, daß mit dieser Hilfe dem Johannes schlecht geholfen sein werde. Von der Zeit an kam Herodias beinahe täglich ins Haus des Herodes und verstand es wie keine zweite, sich seine Neigung wachsend zu verschaffen. Solches erfuhren nur zu bald die schwarzen Templer, und sie lagen den Weibern in den Ohren, gegen viel Goldes bei einer Gelegenheit den Herodes dahin zu vermögen, dem Johannes, der dem Tempel soviel Volk abwendig gemacht hatte, das Lebenslicht auszublasen. Dieses durchzusetzen, schwur die Alte beim Tempel: sie werde nicht ruhen, bis der Wasserprophet gefallen sein werde! Die Junge wußte nun auch stets den Herodes daran zu verhindern, den Johannes zu besuchen und sich von ihm neuen Rates zu erholen. Ich als Diener getraute es mir auch nicht, den Herodes an die Worte des Johannes zu erinnern, da ich ihn nur zu gut kannte, welch ein Wüterich er ist, wenn sein Gemüt von irgendwas leidenschaftlich ergriffen wird.

9. Und so ging die böse Sache bis zum Tage des Herodes vorwärts; nur ein paar Tage vor dem Tage des Herodes mußte zwischen ihm und der Herodias etwas vorgefallen sein, ansonst sie die paar Tage sicher nicht ausgeblieben wäre. Aber diese paar Tage machten des Herodes Herz erst für die schöne Herodias erregt, und der Triumph, den sie dann über Herodes an seinem Tage feierte, war ein desto sicherer.“

14. Kapitel. Befehl des Herodes zur Verhaftung Jesu.

1. (Zinka:) „Daß und wie sie ihn für mich und für Tausende gefeiert hat, ist bekannt; aber euch allen wird es nicht bekannt sein, daß unter den Jüngern des Johannes die Sage geht, daß Johannes wiederum auferstanden sei, sich aber nach Galiläa gezogen habe und nun wiederum alldort sein Wesen treibe, wo er es ursprünglich zu treiben angefangen hatte. Solche Sage erfuhr denn auch Herodes und seine Herodias, die seit dem Tode des Johannes ganz eigens zu siechen angefangen hatte samt dem alten Drachen von einer Mutter. Solches erfüllt des Herodes und der Herodias Herz mit großer Furcht und mächtigem Bangen, und Herodes sandte darum mich als einen bewährten Freund des Ermordeten aus, um ihn wieder zum Herodes zu bringen, damit ihm Herodes vergelten könnte die große Unbill, die er ihm zugefügt hatte. Auch die Herodias beweint nun jene Stunde, in der sie ihrer bösen Mutter nachgab, und möchte nun auch den beleidigten Johannes wieder versöhnen!

2. Ich aber sehe es wohl ein, daß Johannes nimmer auferstanden ist; wohl aber habe ich aus dem Munde des Johannes selbst gehört, daß in Galiläa ein gar großer Prophet auferstanden sei, dessen Schuhriemen aufzulösen er nicht würdig sei. Ich sagte das dem Herodes, und er sagte: ,So ziehe dennoch hin und bringe mir jenen, von dem Johannes mit einer so großen Achtung sprach; denn der kann uns vielleicht auch helfen!‘ Ich sagte ihm aber auch, was ich von dem großen Propheten vernommen habe, nämlich daß er zur Bekräftigung seiner Lehre ungeheure Zeichen wirke. Ich sagte ihm, daß der galiläische Prophet Tote erwecke und Berge versetze und dem Sturme gebiete, und dergleichen unerhörte Dinge mehr. Ich sagte dem Herodes ferner, daß ich gegen die Macht solch eines Propheten wenig oder nichts ausrichten würde, weil er Tausende mit einem Gedanken töten könnte. Aber Herodes und die Herodias standen von ihrem Begehren darum nicht ab, und Herodes sagte nur: ,Dreihundert schwere Silbergroschen dem, der ihn mir bringt!‘, mit dem Beisatze: wenn es lebendig nicht möglich wäre, so wolle er ihn doch als Toten sehen!

3. Ich erwiderte ihm ganz beherzt, sagend: ,Wenn er selbstwillig nicht kommen will, so werden wir fruchtlos nach ihm ausziehen! Denn bis wir ihn einmal töten, leben wir schon lange nicht mehr; denn da er die verborgensten Gedanken der Menschen erkennt und ihre Absichten auch, so wird er uns schon töten, so wir seiner noch kaum ansichtig werden! Wenn aber dies sich also verhält, so sehe ich wirklich nicht ein, wozu wir nach ihm ausziehen sollen!‘ Da sagte er: ,Ich will es, und mein Wille ist gut; ist der Prophet gut, so wird er meinen guten Willen auch als gut anerkennen und zu mir kommen! Daß ich mit ihm das nicht tun werde, was ich in meiner Verblendung mit dem Johannes getan habe, beweisen meine Tränen um den guten Johannes. Gehet und vollziehet meinen Willen!‘

4. Darauf erst gingen wir und sind nun darum da, – bisher noch vollkommen unverrichteter Dinge, obwohl wir nun schon bei neun Wochen in der stets gleichen Absicht in Galiläa herumziehen! Ich habe schon unter der Zeit etliche Male Boten an den Herodes abgesandt und ihm das Fruchtlose unserer Mühen klar dargestellt; allein, das hilft nichts! Er weiß es irgend aus anderen Quellen, daß sich entweder der auferstandene Johannes oder der große Prophet in Galiläa aufhalte und große Zeichen tue; wir sollen daher alles aufbieten, seiner habhaft zu werden. Jede Lauheit von unserer Seite werde er allerstrengst zu ahnden wissen!

5. Und so sind wir denn auch nun auf unseren Streifzügen hierher gekommen, weil wir vernahmen, daß sich bei Cäsarea Philippi große Zeichen sollen zugetragen haben! Wir fanden aber eigentlich nichts als die total abgebrannte Stadt, eine durch den gestrigen Kardinalsturm verheerte Gegend und nun euch gestrengste Römer allhier!

6. Versorget uns und machet uns frei von dem Narren, dem in seiner Wut nicht zu trauen ist, und wir werden euch dafür dankbar sein, dessen ihr vollkommen versichert sein könnet! Was ich euch nun kundgetan habe, ist vollste Wahrheit; ihr wisset nun genaust, wie die Dinge stehen. Handelt nun nach Recht und Billigkeit! Seid ihr Römer einmal vollends unsere Herren, so geht uns dann Herodes nichts mehr an! Wir aber werden bereit sein, euch noch um tausend Male treuer zu dienen als dem alten Narren und Wüterich! Denn bei euch schaut doch noch etwas Menschliches heraus, während der Herodes ein Unmensch ist, so er von seiner Wut befallen wird!“

15. Kapitel. Die rätselhafte römische Vollmacht des Herodes.

1. Sagt Cyrenius: „Was ihr wünschet, das soll euch geschehen; denn ich bin mit deiner Beschreibung des Herodes ganz zufrieden und weiß nun, was ich mit ihm zu tun haben werde. Aber sage mir nun noch, ob es sich mit seiner Fürstenvollmacht wohl also verhält, wie du sie ehedem mir beschrieben! Hast du dahinter wohl nicht meinen Namen unterzeichnet gesehen? Oder hast du irgend die Gelegenheit gehabt oder gefunden, jene Urkunde einsehen zu können? Sei wahrhaft und gib mir das ganz genau kund!“

2. Sagt Zinka: „Nichts leichter als das, weil ich, des Schreibens wohl kundig und der drei Sprachen mächtig, dieselbe Urkunde schon vielleicht bei fünfzig Male abgeschrieben habe, welche Herodes als dem Originale gleichlautend stets beim Landpfleger vidieren (bescheinigen) ließ um zehn Silbergroschen! Deinen Namen sah ich nicht, wohl aber den des jetzt herrschenden Kaisers. – Mehr kann ich dir darüber nicht sagen.“

3. Sagt Cyrenius: „Das ist dann offenbar eine neue Vollmacht, die ganz anders lautet als jene, in der ich selbst unterschrieben bin! Könntest du mir etwa auch noch hinzu sagen, um welche Zeit Herodes zu der berüchtigten Vollmacht aus Rom gelangt ist?“

4. Sagt Zinka: „Oh, nichts leichter als das! Diese Vollmacht bekam er schon im Vorjahre, was ich um so genauer weiß, weil ich das Ansuchen darum selbst geschrieben habe. Es ist im Gesuche zwar wohl der Punkt gestanden, daß der Kaiser als ein vollkommener Alleinherr und Herrscher, alle untergeordneten Stellen übergehend, ihm AD PERSONAM zu seiner nötigen Deckung eine Vollmacht in der Art und Weise erteilen möchte, wie sie unter der Anmerkung im Gesuche stilisiert sei. Nun aber kommt eigentlich die Hauptsache, hinter der – so bloß nach meiner Ansicht – die Großlumperei steckt!

5. Daß Herodes ein solches Ansuchen nach Rom gestellt hat, dafür bürge ich als Zeuge um so glaubwürdiger, weil ich, wie gesagt, das Gesuch selbst stilisiert und geschrieben habe. Das außerordentliche Gesuch aber ging – wie es sich leicht von selbst versteht – nicht ohne schwere Begleitung von viel Gold und Silber nach Rom. Die Überbringer waren fünf der ersten Pharisäer, die in ihren höchst eigenen Angelegenheiten um jene Zeit eine Reise nach Rom unternahmen. Diese kamen etliche Tage vor ihrer Abreise zum Herodes und baten ihn, ob er aus Rom nichts zu bestellen hätte.

6. Sie kamen dem Herodes wie gerufen; denn er brütete schon bei vier Wochen lang, wie und durch wen er am sichersten und am geheimsten das außerordentliche Gesuch nach Rom bringen könnte. Diese Gelegenheit kam ihm deshalb um so erwünschter, weil er mit den fünf gescheitesten Pharisäern recht wohlan war und er sie auch für die Ehrlichsten ihres Gelichters hielt. Als er sie um den Botenlohn fragte, der sonst von Jerusalem aus nicht leichtlich unter zweihundert Pfunden unternommen wird, verlangten sie nichts; denn was sie dem Herodes, der ihnen auch schon viele und gewichtige Freundschaftsdienste erwiesen habe, täten, das täten sie auch nur aus purer Freundschaft!

7. Damit war Herodes mehr als vollkommenst zufrieden und übergab den fünfen das Gesuch samt der schweren Ladung, an der dreißig Kamele hinreichend zu tragen hatten. Sogestaltig wanderte das außerordentliche Gesuch dem Wortlaute zufolge nach Rom, der sicheren Wahrheit nach aber irgendwoandershin, was unsereiner nicht wissen kann!

8. Eine Reise von hier bis nach Rom dauert bei günstigsten Witterungsverhältnissen drei volle Wochen, sonst auch einen Monat; etliche Tage, oft Wochen, bleibt man in Rom, und es hat seine Zeit, bis jemand vor den Kaiser kommt. So ein Gesuch erledigt der Kaiser im günstigsten Falle vor einem halben Jahre nicht, weil er tausend wichtigere Regierungssachen vor sich hat. Nun kommt es auf die Rückreise, die doch auch soviel Zeit wie die Hinreise braucht! Genau aus vieler Erfahrung berechnet ist von Rom meines Wissens noch nichts vor dreiviertel Jahren zurückgekommen.

9. Die fünf Boten aber haben die angesuchte Vollmacht, genau nach der Anmerkung im von mir geschriebenen Gesuche, ganz auf schönem Pergamente geschrieben und mit allen bekannten kaiserlichen Zeichen ausgestattet und versehen dem Herodes vor der Zeitdauer von sechs Wochen überbracht und haben dem Herodes dazu mit allem Pompe gratuliert; ich aber dachte mir mein Teil dabei und setze noch heute meinen Kopf zum Pfande, daß die fünf Boten bei der in der Rede stehenden Gelegenheit ebensowenig in Rom waren als ich!

10. Die Kerls haben die schwere Mitgabe samt den dreißig gesunden Kamelen gut verwahrt, haben des Kaisers Unterschrift und die andern Zeichen nachgemacht und so dem Herodes eine geheime kaiserliche Vollmacht überbracht, von der er selbst sicher so wenig weiß wie du, hoher Herr und Gebieter! Weißt du, hoher Herr, es ist dies nur so meine Ansicht; es kann auch möglich sein, daß die Vollmacht doch noch vom Kaiser herrührt! Vielleicht haben die Schiffe einen guten Wind gehabt einmal hin und einmal zurück, da ginge es wenigstens mit der Hin- und Herreise so ziemlich aus, und zufälligerweise können sie den Kaiser in einer gutgelaunten und geschäftslosen Stunde sogleich bei ihrer Ankunft in Rom angetroffen haben. Der hat sie sogleich vorkommen lassen und ihnen die gewünschte Vollmacht erteilt, worauf sie dann gleich wieder ein hierher nach Asien steuerndes Schiff antrafen, bestiegen und mit dem besten Winde die Küste Judäas erreichten! Kurz, ich will da durchaus kein Richter sein! Es ist das alles nur so meine Mutmaßung und Berechnung.“

16. Kapitel. Die falsche Vollmacht des Herodes.

1. Sagt Cyrenius: „Freund, das ist mehr denn eine Mutmaßung; das ist vollkommen reinste Wahrheit! Denn hätte der Kaiser dem Herodes auch im schnellsten Umschwunge die verlangte Vollmacht erteilt, so wäre sie in sechs Wochen unmöglich von Rom zurück nach Jerusalem gekommen, da jede Verordnung, von Rom ausgehend, bis nach Sidon bei bestem Winde schon bei vierzig Tage Zeit braucht. Übers hohe Meer, wo der Weg vielleicht wohl am kürzesten wäre, fährt ja kein Schiff; bis aber einer längs den Küsten entweder des großen Mittelländischen oder Adriatischen Meeres über Griechenland hierherkommt, braucht er wenigstens vierzig Tage, und es kann darum niemand den Weg in derselben Zeit hin und zurück machen.

2. Dazu muß ein jeder Fremde, der nach Rom kommt und vom Kaiser etwas erbitten will, zuvor siebzig Tage in Rom zubringen, vor welcher Zeit außer einem Feldherrn oder sonstigen Großamtswürdenträger wohl kein fremder Gesandter oder Privater vor den Kaiser kommt. Denn es ist einmal in Rom die Einrichtung also getroffen, daß ein jeder Fremde, der in Rom vom Kaiser eine Gnade erreichen will, zuvor der Stadt ein Opfer bringen muß dadurch, daß er in der Stadt zuvor möglichst viel verzehrt und andere Geschenke und Opfer den vielen Einrichtungen und Anstalten gebracht hat, was sozusagen nahe ein jeder Fremde, von fernen Landen kommend, gar wohl tun kann, weil er, ohne sehr reich zu sein, nicht nach Rom kommen kann und auch um keine besondere Gnade zu bitten hat. Denn für die allgemeine, unbemittelte Volksklasse sind die Gesetze und die gerechten Richter gestellt und sanktioniert; wen irgend ein Schuh drückt, der weiß es, wohin er zu gehen hat. Geht er, so wird ihm auch rechtlichst nach dem Gesetze geholfen; denn bei uns Römern gibt es keinen Unterschleif, und es gilt der Grundsatz gleichfort: ,Justitia fundamentum regnorum!‘ (Gerechtigkeit ist aller Reiche Grundfeste!) und ,Pereat mundus, fiat ius!‘ (Es gehe die Welt aus den Angeln, so geschehe doch jedem das Recht!) Das sind bei uns Römern nicht nur so leere Redensarten, sondern Sätze, die bis jetzt noch stets allergewissenhaftigst beachtet worden sind.

3. Es ist also demnach denn doch nicht unbillig, so die nach Rom Kommenden zuvor der großen Völkerstadt ein Opfer bringen, bevor sie irgendeiner kaiserlichen Gnade für würdig gehalten werden. Und es geht nun aus dem wieder hervor, daß die fünf vom Tempel Abgesandten vor siebzig nacheinanderfolgenden Tagen nicht vor den Kaiser gekommen sind und daher in sechs Wochen unmöglich eine effektive Reise von hier nach Rom und wieder zurück haben machen können. Haben sie aber das nicht tun können, so ergibt sich von selbst der sichere Rechtsschluß, daß die fünfe des Herodes Ehrenschätze an den Kaiser selbst behalten und dem herrschgierigen Vierfürsten eine nachgeäffte und somit grundfalsche Vollmacht überbracht und überreicht haben! Herodes bildet sich nun ein, größere Rechte zu besitzen, als welche er ursprünglich mit dem Vierfürstentume von Rom aus erhalten hat. Aber es soll ihm darob ehest klarster Wein kredenzet werden!

4. Ja, nun ist es denn auch begreiflich, warum mir darüber von Rom aus keine wie immer geartete Anzeige gemacht worden ist! Denn mir als dem unbeschränktesten Gewaltträger Roms über ganz Asien und einen angrenzenden Teil Afrikas muß ja doch Kenntnis gegeben werden von allem, was immer da von Rom aus über Asien verfügt wird, ansonst ich eine mir unbekannte Anordnung von Rom aus, wenn sie sich irgend aktiv zu äußern begänne, als eine provinzielle Eigenmächtigkeit, also als einen Aufstand gegen Rom und seine Macht ansehen und sogleich mit allen mir zu Gebote stehenden Gewaltmitteln dagegen einschreiten müßte! Daher werdet ihr nun wohl einsehen, daß des Herodes Vollmacht falsch sein muß! Ist aber die Vollmacht falsch, so werdet ihr auch einsehen, daß ich fürs erste dem Herodes den Betrug entdecken muß und ihm fürs zweite die falsche Vollmacht abnehme, sie dem Kaiser einsende, auf daß er selbst wegen der Entheiligung seiner Person die argen Frevler bestrafe!“

17. Kapitel. Die Staatspolitik der Templer.

1. Sagt Zinka: „Hoher Freund! Hoher Herr! Das sehen wir alles ganz vollkommen gut ein; aber wir sehen daneben noch etwas ein, was du nicht einzusehen scheinst!“

2. Sagt Cyrenius: „Und was wäre das wohl?“

3. Spricht Zinka: „Die liebe Staatspolitik ist's, der zufolge nahe zu allen Zeiten und in allen Landen der Erde die Priesterschaften ein gewisses Privilegium besitzen, demzufolge sie vieles tun können, was für die andere Menschheit ein Frevel wäre. Die Priester sind kühn genug, sich den anderen Menschen als förmliche Götter aufzudrängen und das angebliche Gotteswort nach ihrem Belieben vor allen Menschen im Munde zu führen. Und kein Mensch steht wider sie auf, und selbst der Kaiser muß solch freches Spiel mit freundlichen Augen ansehen, des altangewohnten Volksaberglaubens wegen, durch den die Menschen in der gewissen gehorsam demütigen Stellung erhalten werden und sich nicht erheben wider den König des Landes, so dieser demselben zumeist schwer zu haltende Gesetze gibt und so manchen schwer zu leistenden Tribut auferlegt.

4. Wird aber den Priestern gestattet, an der Stelle Gottes zu schalten und zu walten nach ihrem Belieben, so wird sich der Kaiser auch nicht gar absonderlich aufhalten, so diese Volksbetäuber im nötigen Falle manchmal heimlich oder auch öffentlich in des Monarchen Haut schlüpfen, in seinem Namen reden und sogar Gesetze erlassen, wenn sie so etwas als etwas Heilsames sowohl für den Herrscher, für seinen Staat und natürlich auch für sich erkennen, was besonders in jenen Provinzen um so verzeihlicher erscheinen muß, die von des Herrschers Residenz, wie das Judenheimatland hier, sehr weit entfernt sind.

5. Wenn der Kaiser sie wegen der falschen Vollmacht heute zur Rede und Verantwortung verlangt, so werden sie es ganz und gar nicht leugnen, solches getan zu haben auch ohne allen Auftrag; aber sie werden dem Kaiser daneben auch den guten Grund anzugeben imstande sein, laut dessen sie so etwas nur zum Besten des Monarchen und seines Staates verfügt haben! Und sie werden dem Kaiser auch haarklein und sonnenhell zu beweisen suchen, warum solche Verfügung nötig war, und welch ein Nutzen dem Staate und dem Monarchen daraus erwuchs. Und der Kaiser wird sie am Ende dafür noch beloben und belohnen müssen.

6. Stelle du sie heute zur Rede, und du wirst ihnen nach dem Verhöre ebensowenig anhaben können wie der Kaiser selbst und wirst am Ende noch dem Herodes die gewisse Vollmacht bestätigen müssen, so sie dir beweisen, daß so ein Akt notwendig war, um durch ihn der Herrschgier des Herodes gewisse Schranken zu setzen, ohne die er sich mit Hilfe seiner unermeßbaren Schätze und Reichtümer gar leicht geheim eine große Macht gebildet hätte, mit der er dann mit euch Römern ganz kategorisch zu reden angefangen hätte! Sie seien aber dahintergekommen und hätten sogleich durch die Erleuchtung von oben ein rechtes Mittel ergriffen, durch das Herodes pro forma ein Privilegium aus des Kaisers Willensmacht erhielt, welches er sich sonst in Kürze mit Gewalt ertrotzt haben würde. – Wenn dir die Tempelritter mit solchen Erklärungen entgegentreten, was anders kannst du da tun, als sie beloben und belohnen?“

7. Sagt Cyrenius: „Das sehe ich noch nicht so ganz recht ein! Wenn Herodes einen solch bösen Plan vorhatte und ihn auch ausführen wollte, warum ward mir das nicht auf einem geheimen Wege angezeigt? Ich hätte ja doch auch die rechten Mittel ganz wohl dagegen ergreifen können! Von Jerusalem bis Sidon oder Tyrus ist es ja doch nicht gar so weit! Und endlich, – wie werden die Templer die dem Kaiser entwendeten großen Schätze und die dreißig Kamele verantworten? Ich meine, daß es ihnen damit denn doch ein wenig schwerfallen wird!“

8. Sagt Zinka: „Hoher Freund, hoher Herr! Du scheinst sonst recht viel der gediegensten Staatsklugheit zu besitzen, aber hier scheinst du wieder um so unerfahrener zu sein – wie jemand, der noch nie auch nur ein Hauszepter in seiner Hand geführt hat! Um selbst dir das anzuzeigen, kann sie ein doppelter Grund abgehalten haben! Erstens: Gefahr beim Verzuge; und zweitens: Vermeidung jedes in dieser Sache gefährlichen Aufsehens! Denn wärest du davon zu früh in Kenntnis gesetzt worden, so hättest du sogleich ganz Jerusalem belagern und allersorglichst bewachen lassen; das hätte im Volke eine große Aufregung gemacht und es mit einem bittern Hasse gegen euch erfüllt. Herodes aber hätte da solch eine Stimmung gegen euch ganz gut zu benützen vermocht, wodurch ganz unberechenbare Übel hätten entstehen können!

9. Dieses alles wohl berechnend und zum voraus einsehend, verfügte der Tempel aus seiner göttlichen Weisheitsfülle eben ein Etwas, wodurch ohne alles Geräusch der schlimmen Sache abgeholfen war; zur rechten Zeit aber hätten sie dich und den Kaiser so ganz sachte schon ohnehin in die Kenntnis dessen, was da geschehen ist, gesetzt, begleitet mit dem Rate, was da weiteres zu verfügen wäre. Die für den Kaiser bestimmten Schätze aber könnten sie ja ohnehin erst dann an dich übersenden, wenn sie dir die Nachricht von allem zu geben für rätlich gefunden hätten.

10. Wenn du, hoher Freund und hoher Herr, ganz sicher solch eine Antwort auf einige deiner Fragen erhalten würdest, sage mir, ob du infolge einer wahren Staatsklugheit etwas anderes tun könntest, als den Templern alles Lob erteilen und sie nach dem Gesetze belohnen, wie jeder gute und ehrliche Geschäftsführer mit zehn bei hundert zu belohnen ist!“

11. Sagt Cyrenius: „So ich aber für mich von der nur zu sichern großartigsten Schlechtigkeit der Templer überzeugt bin, kann ich sie da loben und belohnen auch noch dazu? Gibt es denn kein Mittel und keinen Weg, um diesen Satansbrüdern an den Leib zu kommen?“

12. Sagt Zinka: „Ob Zinka oder du die argen Ritter mehr kennt und tiefst verabscheut, ist eine bedeutende Frage; wenn ich sie alle, den Tempel und ihre Synagogen mit einem Hauche vernichten könnte, glaube es mir, ich würde mich dazu nicht zwei Augenblicke lang besinnen! Aber die Sachen stehen nun einmal so, daß dir selbst ein Gott keinen andern Rat geben kann, als vorderhand zum bösen Spiele ein gutes Gesicht zu machen. Kommt nachher die Zeit, so kommt auch der Rat.

13. Nach meiner Berechnung und nach der Berechnung des Johannes werden sie von jetzt an in vierzig Jahren vollkommen reif sein zum Umfällen, und ihr werdet dann ganz Judäa und ganz Jerusalem von neuem erobern und ihre Nester vom Grunde aus zerstören müssen; vor dieser Zeit aber wird sich mit gewappneter Hand wenig oder nichts gegen sie unternehmen lassen, außer das, was ich dir ehedem angeraten habe. Du kannst sie in einer Zeit fragen lassen, wie sich die bewußten Dinge und Sachen verhalten; wenn du aber den Aufschluß offenbar sogleich erhalten wirst, dann handle, wie ich dir's gesagt habe, ansonst du der Sache einen schlimmen Ausgang bereiten kannst!“

18. Kapitel. Die Lehre des galiläischen Propheten.

1. Sagt Cyrenius: „Freund, ich erkenne deine große Umsicht und Schlauheit, und Herodes hat sich an dir einen Advokaten erzogen, der in ganz Judäa seinesgleichen sucht! Nun bist du zwar nicht mehr herodisch, sondern römisch, und brauchst nimmer des Herodes Sache zu vertreten, sondern rein die unsrige nur, und das für uns; daher kannst du nun schon manches mehr erfahren, was sich alles hier auf diesen Punkt am Meere konzentriert hat, und weshalb so ganz eigentlich! Vor allem aber sage du mir nun, was du tun würdest, wenn nun auf einmal von irgendwoher der große galiläische Prophet käme!“

2. Sagt Zinka: „Ich?! – Gar nichts; ich ließe ihn ziehen seine Wege! Besprechen wohl möchte ich mich mit ihm, um zu sehen, ob Johannes wohl recht hatte zu sagen, daß er nicht einmal würdig wäre, diesem die Schuhriemen aufzulösen! Johannes war ein höchst weiser Prophet und hatte mehr Licht denn alle die alten Propheten zusammengenommen. Nun, so aber Johannes über den Jesus aus Nazareth schon ein solches Zeugnis gibt, wie groß, wie weise und wie mächtig muß er sein!

3. Weißt du, hoher Freund, wenn ich ernstlich Jesus irgend hätte aufgreifen wollen – wenn auch zum Scheine nur –, so hätte ich das schon lange tun können; denn im Grunde wußte ich doch zumeist, wo sich Jesus aufhielt! Aber es war mir wahrlich nicht darum, und aufrichtig gesagt, – ich hatte eine eigene Scheu vor diesem Manne! Denn nach dem, was ich alles von ihm gehört habe – und das von glaubwürdigen Zeugen, sogar von Samariten –, muß er ordentlich in einer Fülle irgendeiner vollendetsten Göttlichkeit – oder er muß ein ausgepickter Magier aus der altägyptischen Schule sein! In keiner Beziehung möchte ich darum mit ihm etwas Besonderes zu tun haben; denn da bekäme ich doch sicher alle Spreu ins Gesicht. Fürwahr, ich für mich nur möchte ihn sehen und sprechen, doch nur in der friedlichsten Situation; aber in diesem meinem Häscherkleide von ferne nicht einmal!“

4. Frage nun Ich Selbst den Zinka und sage: „Lieber Freund, Ich bin auch einer, der den Jesus aus Nazareth so gut kennt wie Mich Selbst, kann dir aber nur das von Ihm sagen, daß Er keines Menschen Feind ist, sondern ein Wohltäter aller, die zu Ihm kommen und Hilfe bei Ihm suchen. Er ist zwar wohl ein Feind der Sünde, aber nicht des Sünders, der seine Sünde bereut und demütig zum Guten zurückkehrt. Von Ihm ist noch kein Mensch gerichtet und verurteilt worden, und wären seiner Sünden mehr gewesen als des Sandes im Meer und des Grases auf der Erde.

5. Seine Lehre aber besteht ganz kurz darin, daß der Mensch Gott erkenne und Ihn über alles liebe und seinen Nebenmenschen, was und wer er auch sei, hoch oder nieder, arm oder reich, männlich oder weiblich, jung oder alt, ebenso liebe wie sich selbst. Wer das allezeit tue und meide die Sünde, der werde es jüngst in sich erfahren, daß solch eine Lehre wahrhaft aus Gott ist und nicht gekommen ist aus dem Munde eines Menschen, sondern aus dem Munde Gottes; denn kein Mensch könne wissen, was er tun solle, um zu erlangen das ewige Leben, und worin dieses bestehe. Solches wisse nur Gott, und am Ende auch der, welcher es aus dem Munde Gottes vernommen habe.

6. Er lehret auch, daß alle Menschen, die das ewige Leben erreichen wollen, von Gott gelehret sein müssen; die da nur von Menschen es vernehmen, was sie tun sollen, die sind noch ferne dem Reiche Gottes. Denn sie hören wohl die Worte einer sterblichen Zunge entgleiten; aber wie die Zunge, die die Worte gab, sterblich ist, so ist es dann auch das Wort in dem Menschen, der es vernommen hat. Er achtet nicht darauf und macht es durch keine Tat lebendig. Aber das Wort, das aus dem Munde Gottes kommt, ist nicht tot, sondern lebendig, beweget des Menschen Herz und Willen zur Tat und macht dadurch den ganzen Menschen lebendig.

7. Ist aber einmal der Mensch durch das Gotteswort lebendig geworden, so bleibt er dann lebendig und frei für ewig und wird keinen Tod je mehr irgend fühlen und schmecken, – und könnte er auch dem Leibe nach tausendmal sterben!

8. Siehe, Freund, das ist so in aller Kürze der Kern der Lehre des großen Propheten aus Nazareth! – Sage es uns, wie er dir gefällt, und was du dann von dem großen Propheten hältst!“

19. Kapitel. Zinkas Ansicht über die Lehre Jesu.

1. Zinka denkt hier ein wenig nach und sagt nach einer Weile: „Lieber Freund! Gegen solch eine Lehre, obschon sie etwas Gewagtes ist, läßt sich durchaus nichts einwenden; sie ist, wenn es überhaupt einen Gott gibt, der Sich um die Sterblichen irgend ein wenig nur kümmert, offenbar göttlicher Natur! Es haben zwar wohl auch andere große Weise den Grundsatz aufgestellt, daß die reine Liebe der Grundkeim alles Lebens sei, und daß die Menschen die Liebe am meisten pflegen sollten, weil nur aus der Liebe den Menschen jegliches Heil erblühen könne; aber sie erklärten das reine Wesen der Liebe nicht. Es ist aber die Liebe so viel gut- und auch bösseitig, und man weiß am Ende nicht, welche Seite der Liebe man denn eigentlich als heilbringend pflegen soll.

2. Hier aber ist es sonnenhell ausgedrückt, welche Art der Liebe der Mensch pflegen und zu seinem Lebensprinzip machen soll. Somit kann solch eine Lehre freilich wohl ursprünglich von keinem Menschen herrühren, sondern nur von Gott, und beweist unter einem, daß es einen Gott denn doch gibt. Nun, nun, ich bin dir, du lieber, mir ganz unbekannter hoher Freund – seist du etwa auch ein Heide – von ganzem Herzen dankbar; denn du hast mir nun, wie auch meinen nicht auf den Kopf gefallenen Freunden, einen großen Dienst erwiesen! Wir waren gewisserart alle mehr oder weniger gottlos; nun aber kommt es mir wenigstens vor, daß wir den verlorenen Gott wieder aufgefunden haben, was mir sehr erfreulich und angenehm ist.

3. Johannes gab sich zwar auch alle Mühe, mich vom Dasein eines ewigen Gottes zu überzeugen; aber es wollte ihm die Sache dennoch nicht gelingen. Ich wußte ihm ganz gehörig zu begegnen, und er löste mir alle meine Zweifel nicht, und so blieb ich denn auch in meinen alten Zweifeleien stecken bis zu diesem Augenblick. Aber nun ist es mit aller Zweifelei auf einmal aus!

4. Merkwürdig! Ja, ja, also ist es: So jemand das rechte Tor in einen Irrgarten nicht findet, der kommt nicht zum Palaste des Königs, der in der weiten Mitte des großen Irrgartens seine bleibende Wohnstätte errichtet hat; du aber hast mir nun das rechte Tor gezeigt und geöffnet, und es ist also nun ein leichtes, in aller Kürze bis in des großen und ewigen Königs Palast zu dringen.

5. Sage mir aber nun auch zur Güte, wo denn du das hohe Glück hattest, mit dem großen Manne zusammenzukommen! Sicher ist er kein Magier, sondern ein mit höheren Gotteskräften ausgerüsteter Mensch; denn das bezeiget seine wahrhaft göttliche Lehre! Sage mir sonach, wo du ihn gesprochen hast! Ich möchte selbst hin und aus seinem Munde solche lebendigen Heilsworte vernehmen.“

6. Sage Ich: „Bleibe du nun nur hier; im kurzen Verlaufe noch nachfolgender Besprechungen wirst du Ihn von selbst finden! Auch ist es nun schon bei einer guten Stunde über den Mittag. Unser guter Wirt Markus ist bereits mit dem Mittagsmahle fertig, und es wird sogleich aufgetragen werden; nach der Mahlzeit aber werden wir noch sehr viel Zeit finden, über allerlei miteinander zu verkehren. Du bleibst an unserem Tische, – deine neunundzwanzig Gefährten aber sollen sich nebenan setzen!“

7. Markus bringt nun die Speisen. Als die Speisen auf den Tischen waren, fiel es dem Zinka auf, daß so viele große Tische von wenig Menschen auf einmal wie mit einem Schlage mit Speisen und Weinbechern vollbesetzt waren.

8. Er (Zinka) fragte den neben ihm sitzenden Ebahl, sagend: „Freund, sage mir gefälligst, wie denn nun auf einmal auf so viele und große Tische eine solche Masse von Speisen hat können hergeschafft werden, und das von nur sehr wenig Menschen! Wahrlich, es nimmt mich das im höchsten Grade wunder! Da möchte ich schon nahe behaupten, daß es hier nicht ganz mit natürlichen Dingen zugeht! Hat denn der alte Wirt etwa so ganz geheime dienstbare Geister, die ihm bei solchen Geschäften helfen?“

9. Sagt Ebahl: „Du wirst nicht immer achtgegeben haben, dieweil du in dein Gespräch sehr vertieft warst, unter welcher Zeit dann, ohne von dir sonderheitlich bemerkt zu werden, denn auch die vielen Tische gar leicht mit Wein und Speisen haben können besetzt werden. Ich habe zwar selbst nicht darauf achtgegeben; aber geradewegs unnatürlich wird es etwa doch nicht hergegangen sein!“

10. Sagt Zinka: „Freund, glaube es mir, ich kann in irgendein Gespräch noch so sehr vertieft sein, so wird um mich herum doch nichts geschehen können, das ich nicht gesehen hätte, und ich weiß es ganz bestimmt, daß vor wenigen Augenblicken noch auf keinem Tische eine Brosame sich befand, – und nun beugen sich die Tische vor lauter Eßwaren! Erlaube du mir, da wird denn für einen Menschen mit Herz und Verstand doch wohl eine Frage erlaubt sein, zumal man ein Fremdling ist!? Es ist nun schon eins, ob mir darüber jemand einen rechten Aufschluß gibt oder nicht; aber dabei bleibe ich, daß es hier durchaus nicht mit ganz natürlichen Dingen zugeht! Sieh auf meine neunundzwanzig Gefährten hin, die untereinander ganz denselben Gegenstand verhandeln; nur ihr alle, die ihr nun schon vielleicht mehrere Male hier gespeiset habt, seid ganz gleichgültig bei dieser Geschichte, weil ihr schon wisset, wie es hier zugeht! Aber es macht das alles nichts, – ich werde später schon noch hinter dieses Geheimnis kommen!“

20. Kapitel. Zinkas Staunen über das Tischwunder.

1. Hier steht Zinka, der ein sehr großer Mensch war, auf und sieht sich nach allen Tischen um, die natürlich durchgehends mit Schüsseln voll der bestzubereiteten Fische besetzt sind, und mit Brotlaiben und mit sehr vielen Bechern und Krügen des besten Weines; und er bemerkt auch, daß alle Gäste bereits wacker zugreifen, ohne daß da an den vielen Tischen ein Wenigerwerden der Speisen bemerkbar würde. Kurz, unser Zinka wird, je länger er seine Betrachtungen anstellt, desto verblüffter, so daß es ihm am Ende schon ordentlich zu schwindeln anfängt. Nur ein ziemlicher Hunger und der gute Geruch der Speise nötigen ihn, sich zu setzen und auch zu essen anzufangen.

2. Ebahl legt ihm den besten und größten Fisch vor und bezeichnet ihn als eine der edelsten Gattungen des Sees von Tiberias; denn also hieß des Galiläischen Meeres große Bucht in der ziemlich weiten Umgegend von Cäsarea Philippi. Zinka ißt den Fisch mit stets größerem Eifer, da er ihm überaus wohl schmeckt, schont dabei das honigsüß schmeckende Brot nicht und begrüßt auch fleißig den vollen Becher, der aber darum nicht um ein bedeutendes leerer werden will, wie er auch mit dem Fische nicht fertig werden kann, obschon er sich dabei recht wacker tummelt.

3. Wie es aber ihm ergeht, so ergeht es auch seinen Gefährten. Sie möchten alle recht heiter und munter und sehr gesprächig werden, aber die stets wachsende Verwunderung über die seltenen Erscheinungen bei diesem Gastmahle läßt ihnen keine Zeit dazu; denn es sind das für sie Erscheinungen, von denen sie früher noch nie etwas erlebt haben. Also sind sie auch schon satt, wie sich's gehört, – aber dennoch reizt sie der Wohlgeschmack der Fische, des Brotes und des Weines zu stets neuem Genusse; auch das begreifen sie nicht, wie solches komme.

4. Zinka fragt endlich den Cyrenius und nötigt ihn, es zu sagen, wie sich alles das verhalte.

5. Cyrenius aber antwortet, sagend: „Wenn die Mahlzeit vorüber sein wird, dann wird es auch an der Zeit sein, über so manches zu reden; für jetzt aber iß und trinke du nur nach Herzenslust!“

6. Sagt Zinka: „Freund und mein hoher Herr und Gebieter! Ich war in meinem ganzen Leben kein Schlemmer; so ich aber noch lange um dich sein werde, da werde ich sicher einer! Ich begreife nur nicht, wo ich hinesse und – trinke!? Ich bin satt und mein Durst ist gestillt, und dennoch kann ich nun noch in einem fort essen und trinken! Und der Wein ist besser und geistiger denn jeder, den ich je irgend zu trinken bekommen habe; aber es nützt das nichts, ich bekomme dennoch keinen Rausch!

7. Ich bleibe einmal dabei, daß es hier nicht mit natürlichen Dingen zugeht! In dieser großen Gesellschaft muß ein großer Magier stecken und tut hier damit ein Zeichen seiner unbegreiflichen Wunderkraft! Oder wir befinden uns etwa gar in der Nähe jenes großen Propheten, den ich mit meinen neunundzwanzig Gefährten gesucht habe!? Wenn das der Fall wäre, dann müßte ich dich, hoher Freund und Gebieter, wohl alleruntertänigst bitten, uns dreißig von dannen ziehen zu lassen, wohin du uns immerhin haben wolltest, oder du müßtest uns wieder binden lassen; denn käme uns der Prophet geradeso in den Wurf, so müßten wir, des dem Herodes geleisteten schweren Eides wegen, unsere Hände an ihn legen. Es würde uns das zwar nichts nützen, und dennoch müßten wir das des Eides wegen wagen zu unserem Verderben!“

8. Sagt Cyrenius: „Was, – woher dieses?! Wo und in welchem Gesetze steht es denn geschrieben, daß ein schlechter, gezwungener und verdammlicher Eid gehalten werden soll?! Dein Eid hebt sich nun aber auch schon dadurch von selbst auf, daß du mein Gefangener bist samt deinen neunundzwanzig Gefährten! Von nun an heißt's ja doch das tun, was ich und meine mir untergebenen Feldherrn dir gebieten werden, und ewig nimmer, was euch euer dummer Herodes geboten hat! Eures schlechten Eides seid ihr enthoben für alle Zeiten und für ewig!

9. Käme da nun der große Prophet auch von irgendwoher in unsere Mitte, so dürfte es aus euch ja niemand wagen, ihn mit einem Finger anzutasten; wer es aber seines dummen Eides wegen dennoch täte, dem soll alle Schwere des römischen Ernstes zuteil werden!

10. Mein Freund Zinka, ich hielt dich ehedem laut deiner wahrlich geistreichen Äußerungen für einen recht weisen Menschen; durch diese letzte Enthüllung deines Verstandes aber hast du bei mir sehr viel verloren! War denn das Frühere alles nur eine Verstellung von dir?“

11. Sagt Zinka: „Nein, nein, durchaus nein, du hoher Herr und Gebieter! Ich und wir alle denken und wollen nun gerade also, wie wir früher gedacht, gewollt und geredet haben; aber du mußt es ja doch einsehen, daß man bei derlei Erscheinungen, wie sie hier vorgekommen sind und noch immer vorkommen, als ein Mensch von doch einiger Gewecktheit Großaugen zu machen anfangen und am Ende in seinem ganzen Denken, Wollen, Reden und Handeln ein wenig verlegen und verwirrt werden muß!

12. Hätte ich je so etwas gesehen, so würde auch ich hier mich sicher so ruhig wie ihr alle verhalten haben; aber mein weiser Nachbar sagte zuvor kaum, daß das Mittagsmahl kommen werde, und siehe, in ein paar Augenblicken darauf bogen sich schon alle Tische von der Last der auf sie gestellten Speisen und Getränke! Es kann schon irgendeine künstliche Vorrichtung bestehen, mit deren Hilfe so eine Arbeit etwas schneller als gewöhnlich verrichtet werden kann; aber so schnell!? Da dürfte wohl keine mechanische Vorrichtung ausreichen! Kurz, sage mir da einer, was er will, und ich bleibe dabei und sage: Das war entweder eine außerordentliche Zauberei oder ein vollkommenes Wunder!

13. Du, hoher Freund und Herr, hast leicht ruhig sein, weil du sicher den Grund davon kennst; aber bei uns ist das eine ganz andere Sache! Da sieh nur den Fisch an, den ich nun noch verspeise! Ich habe davon schon über und über gegessen, und noch ist die bei weitem größere Hälfte übrig! Ich bin vollkommen satt und kann doch gleichfort essen! Hier mein Becher, aus dem ich doch schon mehr denn ein volles Maß (sieben Seidel) mag getrunken haben, und sieh her, – kaum drei Finger stehet der Wein unter dem Rande! Ja, das kann man denn doch nicht als ein denkender Mensch so ganz gleichgültig hinnehmen, als wäre daran sozusagen gar nichts! Ich bin hier dein Gefangener und kann von dir keine Aufklärung dieser wunderbaren Erscheinung fordern; aber bitten kann und darf ich ja doch wohl? Ich bat euch aber darum, und ihr beschiedet mich aufs Warten!

14. Das Warten wäre schon recht, so in mir statt einer wißbegierigen Seele ein toter Stein seine Trägheit pflegete; aber meine Seele ist kein Stein, sondern ein stets nach Licht dürstender Geist. Seinen Durst löscht kein kühler Labetrunk, sondern ein erklärend Wort, das aus dem Munde eines schon getränkten Geistes kommt. Ihr habt dieses ätherischen Getränkes in Hülle und Fülle und seid getränkt bis über den Hals; aber mir, dem Heißdurstigen, wollet ihr von eurem Überflusse auch nicht einen Tropfen auf meine glühende Zunge träufeln lassen! Sehet, das aber ist es eben, was mich nun am meisten bekümmert und am meisten meine Sinne verwirrt macht! Wenn ich unter solchen Umständen so ein wenig konfus werde, – kann das, hoher Freund, dich wohl wundernehmen?

15. Aber nun nichts mehr von alldem! Ich werde darob in mir selbst nun schon ganz ordentlich voll Ärgers und lasse diese ganze Wunderbarkeit einen guten Mann sein! Der Mensch soll nicht alles wissen und braucht auch nicht alles zu wissen! Zur nötigen Erwerbung des täglichen Brotes braucht der Mensch gar nicht viel zu lernen, zu erfahren und zu wissen. Ein rechter Narr, der darüber hinausstrebt! Darum nun nur gegessen und getrunken, solange etwas da ist! Darf ich nichts wissen, so will ich lieber nichts wissen! Denn was man selbst will, erträgt man leicht; nur des Fremden Wille ist für jede ehrliche Seele schwer zu verdauen. Von nun an könnet ihr alle darin ganz unbesorgt sein, von mir je wieder mit irgendeiner Frage belästigt zu werden!“

16. Mit diesen Worten verstummte Zinka, aß seinen Fisch ganz ruhig fort und nahm dazu öfters Brot und Wein; auch seine Gefährten taten dasselbe und kümmerten sich wenig um das, was um sie herum geschah, oder was da irgend gesprochen wurde.

21. Kapitel. Das Wesen des Wissensdurstes. Vom rechten Singen.

1. Cyrenius aber fragte Mich geheim, was da nun mit diesem Menschen zu machen sein werde.

2. Ich aber sagte: „Noch recht viel! Die werden uns auch ganz tüchtige Rüstzeuge werden; aber nun tut ihnen ein wenig Ruhe sehr not, und Ich ließ sie darum in diesen Gleichgültigkeitszustand kommen.

3. Glaube du Mir! Eine Seele, die einmal nach einem höheren Wissen dürstet, begibt sich nicht so leichten Kaufes in die volle Trägheit! Es geht da einer solchen Seele wie einem jungen Verlobten, der in die erwählte Maid so recht sterbensverliebt ist. Die Maid aber, weil sie eine Maid und keine ehrsame Jungfrau ist, nimmt es mit der Liebe ihres Angelobten um vieles leichter und denkt sich: ,Ist's der nicht, so gibt es noch eine Menge anderer!‘

4. Solches erfährt aber nach einer Weile der Angelobte und wird dabei sehr trüben Herzens. Er nimmt sich voll Ärgers und Grimmes nun ganz ernstlich vor, an die treulose Dirne gar nie mehr zu denken; aber je mehr er sich's vornimmt, desto mehr denkt er an sie und wünscht sich's heimlich, daß all das Schlimme, was er von der Maid vernommen durch fremden Mund, eine barste Lüge sein möchte.

5. Doch er sieht endlich die Maid ihm angesichts mit einem andern verkehren! Da möchte er heimlich vor Zorn gerade zerbersten und will mit aller Gewalt der Treulosen nicht mehr gedenken; aber da zerplagen ihn so recht glühheiße Gedanken also, daß neben ihnen gar kein anderer gesunder Gedanke mehr Raum findet. Tag und Nacht hat er keine Rast und keine Ruhe; er seufzt und weint oft bitterlich und verwünscht die Treulose.

6. Ja, warum aber doch das alles? Hatte er sich's nicht fest vorgenommen, der Nichtswürdigen nimmer zu gedenken?

7. In seiner Qual aber kommt dann ein rechter Freund zu ihm und sagt: ,Freund, du tust deiner Angelobten denn doch ein wenig unrecht! Siehe, mit ihrem scheinbaren Leichtsinn hat sie nur deine Liebe erforschen wollen; denn sie wußte und mußte es wissen, daß sie eine arme Maid ist und du aber im Reichtume steckst. Sie begriff ja kaum die Möglichkeit, daß du sie je zum ordentlichen Weibe nehmen könntest; sie hielt deine ihr angelobte Liebe mehr denn zur Hälfte für eine Fopperei und gedachte dir vor der vollen Handreichung ein wenig auf den Zahn zu fühlen, ob du sie wohl also liebst, wie deine Worte lauteten! Denn zu oft lehrte die armen Maiden die traurige Erfahrung, daß solch reiche Jungen, wie du einer bist, mit den armen Maiden ein loses und lockeres Spiel trieben. Deine Maid aber hat nun gesehen, daß du es doch ernst mit ihr gemeint hast, und liebt dich darum mehr, als du je glauben könntest; seit sie dir die Liebe angelobt hat, ward sie dir im Herzen auch nicht mehr ungetreu. – Nun weißt du, blinder Eiferer, wie du mit ihr stehst! Tue nun, was du willst!‘

8. Meinst du, Cyrenius, wohl, der so tief verletzte Liebhaber werde nun von der armen, aber schönsten Maid nichts mehr hören und sehen wollen, wie er sich's vornahm? O mitnichten! Die Rede seines Freundes war ihm das liebste, und er konnte den Augenblick kaum erwarten, in welchem er seiner Geliebten seine Hand für immer reichen würde.

9. Und also wird es auch unserem Zinka ergehen! Er ißt und trinkt zwar nun, als kümmere ihn das Wunderbare gar nicht mehr; aber in seinem Innern ist er nun damit um vieles beschäftigter, als er es je früher war. Darum deshalb keine Sorge!

10. Ich kenne die Menschen alle und weiß, was da alles in ihren Herzen vorgeht. Zudem geht auch nur von Mir die Lenkung der Gefühle im Herzen aus; wo es nötig ist, da weiß Ich, was Ich zu tun habe. Seien wir darum nun guter Dinge und essen und trinken, was da vorgesetzt ist; denn wir benötigen für heute nachmittag etwas mehr Leibesstärkung und werden spät ans Abendmahl kommen!“

11. Alles ist nun recht heiter und froh, und viele loben Gott den Herrn. Einige fingen sogar an zu singen; aber es war außer dem Herme kein ordentlicher Sänger da. Dieser aber ward von mehreren angegangen, daß er etwas sänge; er wollte aber nicht recht daran, denn er fürchtete die Kritik der feinohrigen Römer, und ließ sich darum sehr bitten.

12. Er (Herme) aber sprach: „Meine Freunde und Herren! Gott dem Herrn singe ich ein Lied im Herzen; der Herr Israels vernimmt es sicher mit Wohlgefallen! Sänge ich dasselbe Lied laut vor euren Ohren, so würde es euch wegen einiger vielleicht unreiner Töne nicht gefallen. Das würde dann mich mit Scham und Ärger erfüllen, was weder für mich noch für euch gut wäre; darum singe ich das Herzenslied lieber nicht laut, sondern ganz still im Herzen. Dem es gilt, der versteht es sicher!“

13. Sage Ich: „Hast recht, Herme, singe du also nur gleichfort in deinem Herzen! Dieser Gesang klingt in den Ohren Gottes um vieles angenehmer als ein lautes, sinnloses Geplärr, durch das nur das fleischliche Ohr gekitzelt wird, das Herz aber dabei kalt und ungerührt bleibt.

14. Wenn bei Gelegenheiten aber schon auch äußerlich gesungen wird, so soll das erst dann geschehen, wenn das Herz vom Gefühle der Liebe schon derart übervoll ist, daß es sich durch des Mundes Stimme muß Luft zu machen anfangen, um gewisserart nicht zu ersticken in der zu mächtigen Liebeaufwallung zu Gott. Dann freilich ist auch der äußere Gesang Gott wohlgefällig; aber er soll mit einer reinen Stimme gesungen sein, welche das Gemüt noch mehr erhebt.

15. Denn eine unreine und nicht wohlklingende Stimme ist wie ein trübes Sumpfwasser, auf eine lodernde Flamme gegossen! Die Folge davon kann sich ein jeder aus euch leicht von selbst denken.“

16. Als Ich über den Gesang diese Erklärung machte, sagte die liebliche Jarah zu Mir: „Aber Herr, wie wäre es denn – weil wir nun schon gar so heiter beisammensitzen –, wenn uns der Raphael etwas vorsänge?“

17. Sage Ich, gleichsam scherzend, zu ihr: „Gehe ihn darum an! Vielleicht tut er dir zum Gefallen so etwas. Ich werde natürlich nichts dagegen sagen und haben.“

18. Die Jarah packt nun gleich den Raphael und ersucht ihn dringend, daß er etwas sänge.

19. Und der Raphael sagt: „Du hast wohl noch keinen Begriff, wie unsereins singt; das aber sage ich dir zum voraus, daß du meine Stimme nicht lange ertragen wirst, weil sie zu ergreifend klingt und auch klingen muß, da sie durch zu reine Elemente gebildet wird. Dein Fleisch hält den Klang meiner Stimme gar nicht aus; wenn ich dir eine Viertelstunde vorsinge, so stirbst du vor lauter Anmut des Klanges meiner mit nichts auf der Erde vergleichbaren Stimme! Verlange nun, wenn du, Holdeste, mich singen hören willst, und ich werde singen; aber welche Wirkung mein Gesang auf dein Fleisch machen wird, weiß ich dir kaum vorauszubestimmen!“

20. Sagt die Jarah: „So singe doch zum wenigsten einen einzigen Ton; der wird mich doch sicher nicht umbringen oder gar töten!“

21. Spricht Raphael: „Gut, so will ich dir denn nur einen Ton singen, und es sollen ihn alle hören, die hier sind, und die auch in ziemlicher Ferne von hier wohnen, auf daß sie forschen sollen, welch einen Klang sie vernommen haben! Aber ich selbst muß mich dazu einige Augenblicke lang vorbereiten! Mache dich nur gefaßt darauf; denn auch der eine Ton wird für dich von einer ungeheuren Wirkung sein!“

22. Kapitel. Raphael als Sänger.

1. Diese Worte vernimmt natürlich auch unser Zinka und fragt den neben ihm sitzenden Ebahl: „Ist jener holde Junge wohl so ein Kapitalsänger? Hast du ihn schon einmal gehört?“

2. Sagt Ebahl: „Er sagt es; ich aber habe ihn wohl schon oft reden, doch singen noch niemals gehört und bin darum auf seinen einen Ton selbst sehr neugierig!“

3. Spricht Zinka: „Woher ist er denn, und wer ist jenes Mädchen?“

4. Antwortet Ebahl: „Der Junge ist bei mir in Genezareth zu Hause, und das Mädchen ist meine leibliche Tochter. Sie ist erst fünfzehn Jahre alt, hat aber die ganze Schrift im Kopfe und im Herzen, – und der Junge ebenfalls und ist vorderhand Lehrer in meinem Hause. Ich kenne ihn also sehr gut! Aber von dem, daß er ein so außerordentlicher Sänger sei, wußte ich bis zur Stunde nicht eine Silbe; ich bin darum nun selbst sehr neugierig auf seinen Ton.“

5. Als Ebahl dieses ausgesprochen, sagte Raphael: „Nun horchet und passet wohl auf!“

6. Daraufhin vernahmen alle wie aus weiter Ferne einen zwar sehr schwachen, aber so unbeschreibbar reinsten Ton, daß sie alle in eine Entzückung gerieten und Zinka in einem großen Enthusiasmus ausrief: „Nein, so singt kein irdischer Sänger! So kann nur ein Gott singen oder mindestens ein Engel Gottes!“

7. Der Ton aber ward nach und nach stärker, lebensvoller und mächtiger. In der größten Kraft wie von tausend Posaunen ausgehend, klang er wie ein Quartsextakkord in Des-Moll, von der kleinen in die eingestrichene Oktave mit der Wiederholung der Oktave reichend, nahm darauf wieder ab und verlor sich am Ende wieder in ein schwächstes As (eingestrichen) von nie vernommener Reinheit.

8. Alle waren von diesem einen Tone so entzückt, daß sie in eine Art Betäubung ihres Sinnenlebens übergingen und sich in einer gewissen Ohnmacht befanden. Der Engel mußte sie erst alle wieder auf Meinen Wink beleben.

9. Alle erwachten darauf wie aus einem seligsten Traume, und Zinka, voll Enthusiasmus, stürzte auf den Raphael zu, umarmte ihn mit aller Gewalt und sagte: „Junge! Du bist kein Sterblicher! Du bist entweder ein Gott oder ein Engel! Ja, mit dieser Stimme mußt du ja auch die Toten erwecken und alle Steine beleben können! Nein, nein, nein! So einen überhimmlischen Klang hat wohl noch niemals irgendein Sterblicher auf der ganzen Erde vernommen! O du überhimmlischer Junge du! Wer lehrte dich denn solche Töne aus deiner Kehle erklingen machen?!

10. Oh, ich bin ganz weg! Noch zittern alle meine Lebensfibern von der unbeschreiblichen Schönheit und Reinheit dieses Eintons! Mir kam es nicht einmal vor, als hättest du den unerhört reinsten Ton aus deiner Kehle entwickelt, sondern so kam es mir vor, als hätten sich alle Himmel aufgetan und eine Harmonie aus dem Munde Gottes wäre über die tote Erde ausgegossen worden!

11. O Gott, o Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, – Du bist kein leerer artikulierter Mundlaut! Du bist allein die Wahrheit und die reinste, ewige Harmonie! Ach, dieser Ton, dieser Ton! Ja, dieser Ton gab mir alles Verlorene, er gab mir meinen Gott, meinen heiligen Schöpfer und Vater wieder; er war für mein Gemüt ein reinstes Evangelium aus den Himmeln! Was vielleicht tausend und abermals tausend Worte nicht vermocht hätten, das bewirkte dieser eine Ton aus den Himmeln; er hat an mir einen Menschen vollendet! Mein ehedem steinernes Herz ist wie Wachs an der Sonne und so zartfühlend wie ein hängender Tautropfen!

12. O Johannes, dessen Todesverkünder ich mit dem gebrochensten Herzen sein mußte! Hättest du solch einen Ton im letzten Augenblick deines irdischen Seins vernommen, wahrlich, dir müßte des Leibes Tod zur lichtumstrahlten Pforte in die Himmel Gottes geworden sein! Aber in dem dunklen Kerker, der dich Geheiligten Gottes barg, hörte man nur Töne des Jammers, der Not und der Trauer!

13. O Menschen, Menschen, Menschen! Wie arg muß es in euren Herzen und wie finster in euren armen Seelen aussehen, die ihr das nicht vernommen habt, was ich nun vernommen habe, und das auch nicht fühlen könnet, was ich nun fühle und zeit meines Lebens fühlen werde! O du großer, heiliger Vater im Himmel, der Du ein vollebenswarmes Flehen auch eines Sünders niemals unerhört gelassen hast, – wenn ich dereinst von dieser Kummer- und Totenwelt scheide, dann lasse mich ein paar Augenblicke zuvor noch einmal einen solchen Ton vernehmen, und ich werde allerseligst diese Erde verlassen, und meine Seele soll darauf ewig loben Deinen allerheiligsten Namen!“

23. Kapitel. Der Verkehr mit Gott durch das innere Wort im Herzen.

1. Nach diesen schönen und aller Anwesenden Gemüter tief erbauenden Exklamationen des Zinka sagte die Jarah: „O Raphael, Raphael! Welch ein ganz anderes Wesen bist du nun, als du vormals warst! Du hast mir ja ganz mein Herz zerbrochen! Ach, hättest du den Ton doch lieber gar nicht gesungen!“

2. Sagt Raphael: „Warum hast du mich dazu genötigt?! Ich wollte es ja eigentlich ohnehin nicht; aber da ich den Ton nicht mehr zurücknehmen kann, so macht das gerade auch nichts! Denke dabei, daß in den Himmeln Gottes alles diesem Tone gleichen muß, so wirst du dich für die Folge desto ernster bestreben, dein Leben so einzurichten, daß es in allen seinen Erscheinungen, Wirkungen und Einrichtungen diesem einen Tone gleicht; wessen Leben aber nicht diesem Tone gleichen wird, der wird in das Reich der ewigen und reinsten Liebe nicht eingehen.

3. Denn der vernommene Ton ist ein Ton der Liebe und ein Ton der höchsten Weisheit in Gott! Merke dir das nur so recht gut und handle, daß du ganz dem vernommenen Tone gleich wirst, so wirst du in aller Liebe und Weisheit gerecht sein vor Gott, der dich zu einer rechten Braut des Himmels erkoren hat und hat darum mich dir zum Führer verordnet!

4. Was aber hier nun geschieht, das geschieht vor Gott und vor Seinen Himmeln; aber für diese Welt geschieht das nicht, denn diese würde so etwas nimmer fassen; darum wird davon die Welt auch wenig oder nichts erfahren, und wird auch von diesem Tone nichts erfahren. Siehe aber an die Menschen an den anderen Tischen, wie sie allerlei urteilen und in einen ordentlichen Streit geraten; aber lassen wir sie urteilen und streiten untereinander! Sie werden doch alle miteinander nichts herausbringen; denn dies begreift nimmer ein Weltverstand!

5. Der Herr verweilet hier schon mehrere Tage; aber der morgige wird der letzte sein! Was nachher geschehen wird, weiß niemand als nur der Herr allein. Darum erfülle du dein Herz mit aller Liebe und Demut und behalte verborgen in deinem Herzen, was du hier als Besonderes und Außerordentliches gehört und gesehen hast; denn dieses den Weltmenschen wiedererzählen, hieße die edelsten und größten Perlen den Schweinen vorwerfen, was den Weltmenschen nichts nützen würde. Dies alles mußt du dir wohl merken und so tun, so wirst du ein nützliches Werkzeug in der Hand des Herrn werden im Himmel und auf Erden. – Hast du dir das wohl alles gemerkt?“

6. Sagt die Jarah: „O liebster Raphael! Gemerkt habe ich mir wohl alles; aber angenehm ist das gerade nicht, was du mir nun kundgemacht hast, – namentlich die von dir mir schon für morgen angekündigte Abreise des Herrn von hier! Du weißt, wie sehr und wie über alles ich Ihn liebe! Wie wird es mir ergehen, so ich Ihn nicht mehr werde sehen, hören und mit Ihm nicht mehr werde sprechen können?!“

7. Sagt Raphael: „Es wird dir ganz gut gehen, denn wirst du Ihn auch nicht sehen, so wirst du Ihn doch allzeit hören und sprechen können; denn so du Ihn fragen wirst im Herzen, da wird Er dir auch antworten durchs Herz.

8. Sieh, was müssen denn wir tun!? Ich bin nun, wie du siehst, hier; wenn es aber der Herr will, muß ich eiligst zu einer von hier entferntesten Welt mich begeben und dort so lange verbleiben, als es nach der Ordnung des Herrn notwendig ist. Glaube es mir, daß wir da von der persönlichen Gegenwart des Herrn gewiß oft sehr ferne sind, – aber von der geistigen gar nicht; denn da sind wir beständig in Gott, also wie auch Gott in uns ist und wirket Seine nie ermeßbar großen Taten.

9. Wer Gott den Herrn wahrhaft liebt, der ist beständig bei Gott und in Gott. Und will er von Gott etwas hören und wissen, so frage er Ihn im Herzen, und er wird durch die Gedanken des Herzens auch sogleich eine vollste Antwort bekommen, und es kann sogestaltig jeder Mensch von Gott allzeit und in allen Dingen belehret und gelehret werden. Du ersiehst daraus, daß man nicht immer auch zu schauen vonnöten hat, um glückselig im Herrn zu sein, sondern nur zu hören und zu fühlen, – und man hat dann auch alles, was zur wahren Seligkeit in Gott nötig ist.

10. Siehe! Auch ich werde nicht stets sichtbar um dich sein; aber du wirst mich in deinem Herzen nur zu rufen haben, und ich werde bei dir sein und werde dir antworten durch deines Herzens zwar sehr leise, aber dennoch überdeutlich vernehmbare Gedanken. Hast du solche vernommen, so denke, daß ich sie dir in dein Herz hineingehauchet habe! Du wirst sie auch erkennen, daß sie nicht auf deinem Grunde und Boden gewachsen sind. Hast du sie aber erkannt, dann handle danach!

11. Denn zu wissen allein, was recht und gut ist und was Gott dem Herrn wohlgefällig, genügt nicht, ja bei weitem nicht, – auch dann nicht, wenn man das entschieden alleinige und größte Wohlgefallen an der Lehre aus den Himmeln hätte, würde sich aber dennoch nie ganz ernstlich dazu entschließen, danach zu handeln in allem und jedem, was die heilige, aus den Himmeln kommende Lehre vorschreibt.

12. Darum heißt es, die Lehre wohl vernehmen, wohl erkennen und dann wohl danach handeln! Ohne das streng genommene Handeln nach der Lehre aber ist, bleibt und wird nichts!“

24. Kapitel. Die Pflege des menschlichen Herzens.

1. (Raphael): „Weißt du, meine lieblichste Jungfrau Jarah, als der Herr in Genezareth Sich aufhielt, da unterwies Er Selbst dich in allerlei Gartenkultur! Er lehrte dich allerlei nützliche Pflanzen kennen, zeigte dir, wie sie zu bearbeiten sind und wie zu gebrauchen. Er legte für dich einen kleinen Garten an und bepflanzte ihn mit allerlei nützlichen Pflanzen und sagte dir von einer jeden insbesondere, welche Gestalt sie haben werde, wie sie wachse, wann und wie sie blühe, welche Früchte sie zum Vorscheine bringen werde, wozu diese gut seien, wie man sie genießen und wie man von ihnen eine reichere Ernte aufbewahren könne, daß sie nicht verderbe. Kurz, der Herr Selbst gab dir den nötigen Unterricht in allem, wie dein Gärtchen zu bestellen sei.

2. Nun, du hattest darob eine überaus große Freude! Wäre es aber mit der Freude allein schon abgetan?! Hätte dir das Gärtchen des Segens Früchte getragen ohne die tatsächliche fleißige Bearbeitung?! Wegen deines großen Wohlgefallens und wegen deiner Freude an solcher Lehre aus dem Munde des Herrn wäre in deinem Gärtchen dennoch nichts gewachsen – außer einiges Unkraut! Dieweil du aber fleißig Hand anlegtest nach der Lehre, so erblühte dein Gärtchen bald zu einem kleinen irdischen Paradiese, und du hast die sichere Aussicht, eine recht reiche Ernte aus dem Gärtchen zu machen!

3. Und sieh nun! Eben also ist auch des Menschen Herz ein zwar kleines Gärtchen; wenn man es aber nach der Lehre aus dem Munde des Herrn recht fleißig bearbeitet und keine Mühe scheut, alles, was man vernommen hat, in die Tat zu verkehren, so wird man auch ehest so viel alles Segens und aller Gnade aus den Himmeln im eigenen Herzen besitzen, daß man am Ende für Seele und Geist schon ganz aus eigenen Mitteln wird leben können und wird nicht stets unseres Rates und unserer Hilfe benötigen!

4. Denn das eben will ja der Herr mit dem Menschen bezwecken, daß er ein ganz selbständiger Bürger der Himmel werde nach der ewig unwandelbaren Ordnung Gottes; wer das erreicht hat, der hat dann aber auch schon alles erreicht. – Hast du, liebste Jarah, dieses alles wohl so ganz recht und gut verstanden? Kennst du dich nun wohl so ein wenig aus mit dem reinsten Tone, den ich dir vorgesungen habe?“

5. Sagt die Jarah: „Oh, nun wohl ganz und so klar und rein wie die Sonne am hellen, wolkenlosen Mittage! Deine Worte gaben meinem Herzen einen mächtigen Trost, und ich werde sie auch zur vollen Tat erheben, auf daß sie in mir zur freudigsten und seligkeitsvollsten Lebenswahrheit werden. Mich zu lehren und die Lehre in die volle Tat verwandelt zu sehen, dürfte für dich die schwerste Lebensaufgabe wohl kaum sein!? Aber werden das auch die andern Menschen alle tun, was du mir so treu und wahr angeraten hast?“

6. Sagt Raphael: „Sorge zuerst nur für dich; für die andern wird schon gesorgt werden vom Herrn!“

25. Kapitel. Zinkas Fragen über Raphael und sein Forschen nach Jesus.

1. Es hatte aber natürlich auch der Zinka von dieser Belehrung nicht nur manches, sondern alles vernommen, und er fragte den Ebahl, zu dem er wohl noch das meiste Vertrauen hatte, sagend: „Freund, jener sonderbare Junge, der uns ehedem einen Ton aus den Himmeln vernehmen ließ und nun deiner Tochter eine Belehrung so sonderbar mystischer Art gab, daß mir – offen gesagt – etwas Ähnliches noch nie vorgekommen ist, scheint denn doch nicht so ganz, gleich uns, dieser Erde anzugehören; sage mir's, ob etwa nicht hinter ihm eben derjenige steckt, für dessen Schuhriemenauflösung sich mein Johannes viel zu gering hielt! Nur zu jung kommt er mir vor; denn er soll bereits in die dreißig Jahre sein!“

2. Sagt Ebahl: „Liebster Freund, das zwar ist der Jüngling nicht, – aber wohl ein Hauptjünger von ihm! Denn ich muß es dir nun ganz offen bekennen, daß jener Prophet aus Nazareth eine derartige Macht und Weisheit besitzt, daß da sogar, wie man sagt, Engel aus den Himmeln auf die Erde herabkommen, um seine Lehre zu vernehmen und seine Taten zu bewundern und in ihm zu preisen die Allmacht Gottes!

3. Als Beweis dieser meiner Aussage dient eben jener Junge, von dem du nicht weißt, was du aus ihm machen sollst! Als ein irdischer Mensch ist er denn doch ein wenig zu himmlisch, und als ein Engel vielleicht denn doch noch ein wenig zu irdisch aussehend! Er wohnt schon seit nahe einem Monde bei mir und ist der Erzieher meiner Tochter; daß er auf der Erde weder Vater noch Mutter hat und eine Macht in allen Dingen besitzt, die da rein ins fabelhafteste geht, das kannst du mir allerfestest glauben! Eine weitere Genealogie kann ich dir von ihm nicht geben. Übrigens kannst du dich mit ihm selbst näher besprechen, er wird dir auf keine Frage eine Antwort schuldig bleiben! Hochmut ist keiner in seinem ganzen Wesen!“

4. Sagt Zinka: „Ich weiß nun genug, und weiß, für was ich in dieser außerordentlichen Zeit den Jungen zu halten habe! Aber nun möchte ich denn doch erfahren, ob denn jener große Prophet aus Nazareth sich etwa nicht auch hier unter uns befindet!? Denn ohne ihn begreife ich ewig nicht, was da sozusagen ein Engel zu tun hätte! Wenn er da ist, so sage es mir, auf daß auch ich ihm meine tiefste Ehre bezeige! Denn nach deinen Reden muß er durchaus rein göttlichen Wesens sein! Zeige mir darum nur mit einem leisesten Wink, ob er da ist, und welcher es ist!“

5. Hierauf sagt Ebahl: „Liebster Freund, habe nur eine kleine Geduld; du wirst ihn schon noch kennen lernen! So viel aber kann ich dir zu deiner größeren Beruhigung sagen – dieweil du kein Scherge oder Häscher mehr bist –, daß er sich unter uns befindet und wirklich hier ist, ansonst alle die Großen Roms sicher nicht hier wären!“

6. Sagt Zinka: „Auch genug; ich brauche nicht mehr! Jetzt werde ich ihn schon herausfinden!“

7. Mit dem ward nun unser Zinka beruhigt, gab aber nun schon auf alles Obacht und wendete seine Augen und Ohren nicht ab vom Cyrenius, Kornelius und vom Engel, da er meinte, daß Mich diese am ehesten verraten dürften, wobei er sich aber freilich ein wenig täuschte; denn denen habe Ich es sogleich in ihr Herz gelegt, was sie zu reden und wohin sie des Zinka Aufmerksamkeit zu lenken haben. Auch ward nun die Sitzung aufgehoben und die Tische wieder abgeräumt, und wir gingen ans Ufer und besprachen uns daselbst über ganz gleichgültige Dinge. Freilich wohl ließ uns Zinka samt seinen Gefährten nicht leichtlich aus den Augen.

26. Kapitel. Jesus erweckt die zwei Ertrunkenen. Zinka erkennt Jesus.

1. Aber bei der Hin- und Herwanderung am Ufer des Meeres kamen wir an die Stelle, wo unser Risa die beiden Ertrunkenen pflegte und auf ihre Wiederbelebung harrte.

2. Cyrenius sagte zu ihm: „Nun, Freund Risa, beginnen die beiden schon, so ganz leise Lebenszeichen von sich zu geben?“

3. Sagt Risa: „Hoher Herr, da ist alles rein vergebliche Mühe! Diese beiden werden gewisserart nun immer toter statt lebendiger; bei denen ist rein alle Mühe und weitere Behandlung vergeblich! Gottes Allmacht allein nur kann denen das Leben wiedergeben! Da nützt kein Legen und kein Weineinschütten in den Mund irgend mehr etwas!“

4. Sage Ich: „Das wird wohl so deine Meinung sein!?“

5. Sagt Risa: „Herr, da sieh nur die blauen Flecken und verspüre den schon sehr vorwärtsgeschrittenen Verwesungsprozeß, und Du Selbst wirst mir recht geben, daß diese beiden nur am Danielschen Jüngsten Tage durch Gottes Allmacht wieder belebet werden!“

6. Hier drängte sich auch Zinka vor, da er sich bei den Verstorbenen sehr gut auskannte, ob sie völlig tot wären, und besah sich die beiden Ertrunkenen. Als er seine Proben alle angestellt hatte, da sagte auch er: „Der Freund hat recht gesprochen! Die beiden haben mit dem vollkommenen Totsein bis zum Jüngsten Tage zu warten, vorausgesetzt, daß da auf dieser Erde je einer erfolgen wird, – was ich sehr schwer glaube! Denn ich weiß es, in was alles sich so ein Fleischklumpen verwandelt: in Motten, Würmer, Fliegen, Käfer, in allerlei Gras und andere Pflanzen! Wie viele werden von den wilden Bestien zerrissen und verzehrt! Wie viele kommen im Feuer um! Sollte das am Jüngsten Tage sich so mir und dir nichts wiederfinden und eins werden, wie es jetzt ist, da leiste ich auf meine Menschheit für ewig den vollsten Verzicht! Ich, Zinka aus Jerusalem, in vielen Dingen kundig, behaupte hier, daß am einst kommen sollenden Jüngsten Tage sich bei der Wiederbelebung dieser beiden weiblichen Fleischklumpen auch sogar die Allmacht Gottes ein wenig Zeit lassen wird! Sie wird ihren Seelen einen neuen, geistigen Leib geben; aber in diesen Leibern wird keine Seele mehr mit einem Kopfübel geplagt werden!“

7. Sage Ich zum Zinka: „Freund! Du weißt so manches und triffst nicht selten den Nagel auf den Kopf; aber hier hast du, streng genommen, denn doch ein wenig danebengehauen! Du hast zwar vollkommen recht, daß jede Seele jenseits nimmer in diesem Leibe wandeln wird, aber eben diese beiden Leiber sollen denn doch noch eine Zeitlang recht brauchbare Träger ihrer Seelen werden! So Ich es will, müssen diese beiden erwachen! Eine davon wird noch dein recht fruchtbares Weib werden, und du wirst es lieben über die Maßen; die andere aber soll das Weib des auch noch ledigen Risa werden, – aber er wird in ihr keine Frucht erwecken!“

8. Nach dem berufe Ich die beiden Ertrunkenen, und sie richten sich im Augenblick auf und schauen voll Staunen um sich, sich gar nicht fassen könnend, wo sie nun seien, und was mit ihnen vorgegangen sei.

9. Risa und Zinka aber fallen vor Mir nieder, und Zinka ruft: „Du bist's, den Johannes verkündete! Aber Du bist kein Prophet, sondern Du bist Jehova Selbst!“

10. Bei dieser Erweckungsszene kamen auch die noch anwesenden Perser, und der uns namentlich bekannte Schabbi sagte zum Zinka: „Diesmal hast du, wie ich's fühle, ein rechtes Urteil gesprochen! Also ist es, Freund, – das ist Jehova! Und der Junge, der uns ehedem einen himmlischen Ton hat hören lassen, ist ein Erzengel, und zwar derselbe, der schon einmal auf dieser Erde den jungen Tobias geführt hat. Also stehen die Sachen: das ist der von allen Propheten und Sehern geweissagte große Messias, und mit Ihm beginnt ein neues, geistiges Reich auf dieser Erde!

11. Er ist es, an dem sich viele ärgern werden und werden über Ihn herfallen und mit Ihm tun wollen, was Herodes mit Johannes getan hat; aber alle, die das unternehmen werden, werden sich zerschellen an Seiner Macht und dumm werden und blind wie die finsterste Nacht vor Seiner Weisheit! Denn Seinesgleichen hat die Erde nie in ihrem Fleische getragen!

12. Was ich dir im Namen meiner zwanzig Gefährten sage, das sage ich dir ohne Scheu; denn von nun an fürchte ich keine Welt mehr, da ich Diesen habe kennen gelernt, der allein zu fürchten ist von allen jenen, die sich wider Ihn erheben wollen und werden! Oh, Er wird den Frevlern allen gar mächtig auf den Zahn fühlen, – und tausend Male Wehe den Frevlern! Er wird wider niemanden mit dem Schwerte in der Hand zum Kampfe ziehen, – aber die Macht Seines Wortes wird sie richten und verderben!

13. Welche Macht aber in Seinem Worte liegt, davon hast du nun die noch barmutternackten Beweise vor dir! Diese beiden Mägde waren doch so vollkommen tot, daß daran wohl niemand mehr irgendeinen Zweifel erheben konnte! Er sprach nur: ,Erhebet euch!‘, – und die beiden erhoben sich und leben nun wie neugeboren frisch und gesund und sind bei vollkommen klarstem Bewußtsein; nur wäre es zu wünschen, daß die beiden gar lieben Geschöpfe eine Leibesbedeckung bekämen! – Aber ich weiß, was ich tun werde! Es sind mit uns Persern etliche Weiber, die eine dreifache Bekleidung mit sich führen; da kann jede ein Kleid hergeben, und diesen beiden ist geholfen!“

27. Kapitel. Die Lebensgeschichte der beiden Mädchen.

1. Hier wandte sich Schabbi an Mich und fragte, ob er das tun dürfte.

2. Sagte Ich: „Oh, tue das immerhin; denn durch eine Wohltat hat sich noch nie jemand vor Mir versündigt! Gehe hin, und lasse die beiden bekleiden!“

3. Und Schabbi ging, und in wenigen Augenblicken war er mit zwei feinsten Seidenhemden von blendend weißer Farbe und mit zwei himmelblauen, feinsten Kaschmiroberkleidern bei der Hand, wie auch mit zwei Paaren der teuersten Festsandalen mit langen, mit Seide gefütterten Bändern; auch zwei diademartige Kämme und goldene Stirnspangen, mit kostbaren Edelsteinen geschmückt, wurden den beiden Neuerweckten verabreicht. Sie weigerten sich, den ihnen zu kostbar dünkenden Schmuck anzunehmen.

4. Aber Ich sagte: „So Ich es will, da nehmet nur, was euch gegeben wird; denn es ziemet sich für Bräute, daß sie fein geschmückt sind!“

5. Da nahmen die beiden auch den Schmuck an; und als sie so ganz angekleidet und geschmückt waren und dastanden wie zwei Königstöchter, zeigten sie eine große und dankbare Freude.

6. Als sie aber also vor uns standen und vor Schönheit ordentlich strahlten, da sagte Zinka: „Nein, nein, das ist ja schon wieder ein Wunder! Als ich die beiden ehedem als Tote besah, kamen sie mir wie als ein paar Weiber von etlichen vierzig Jahren, und ihre verschrumpften Formen zeigten von keiner Anmut etwas Besonderes; selbst als sie darauf wunderbarsterweise erweckt wurden, zeigte sich eben auch nichts Besonderes; und nun sind das zwei Schönheiten, wie meine Augen nie etwas Ähnliches gesehen haben! Nun sind das zwei Jungfrauen, von denen noch keine zwanzig Jahre zählen kann! Ja, das ist ja doch auch ein Wunder der Wunder! Was wäre da die junge Herodias?! Na, wenn Herodes eine von diesen beiden zu Gesichte bekäme und sie verlangete es, so ließe er ihr zuliebe schon gleich alle Juden enthaupten! Soll ich armer Sünder wirklich der Gnade gewürdigt werden, einen dieser beiden Engel zum Weibe zu bekommen, da sieht mich Jerusalem ewig nimmer; denn das wäre so ein Köder für Herodes und auch für die andern vielen Heiligen der Stadt Gottes!“

7. Sagte Cyrenius: „So diese beiden Wunderkinder entweder keine ordentlichen Eltern mehr haben oder so selbst die ordentlichen Eltern durch den dazwischengetretenen Tod jedes Recht auf sie verloren haben, dann sind sie meine Töchter und bekommen von mir aus eine genügende Aussteuer!“

8. Sagt die ältere der beiden, die Gamiela hieß: „Wir beide sind – streng genommen – elternlos; und die wir Vater und Mutter nannten, sollen mit uns im Grunde nicht von ferne hin anverwandt sein. Wir kamen als Kindlein von zwei und ich drei Jahren in das Haus eines eigentlich griechischen Kaufmannes, der erst später so halbwegs das Judentum angenommen hat; nach einer alten Magd Versicherung wurden wir von einem Sklavenhändler von Sidon nach Kapernaum gebracht und daselbst vom bewußten Kaufmanne, den wir Vater nannten, um fünf Schweine und drei Kälber und acht Schafe erkauft.

9. Der Verkäufer habe dem Kaufmanne eine Schrift hinzugegeben, in der unsere Namen und unsere eigentlichen Eltern sollen aufgezeichnet sein! Unsere wahren Eltern sollen Römer und von sehr hoher Abkunft sein. Wieviel Wahres nun daran sein mag, wissen wir nicht; aber die Reise, auf der wir verunglückt sind, haben wir geheimermaßen auch zu dem Behufe unternommen, um von einem anderorts wohnenden Verwandten unserer Scheineltern die volle Wahrheit zu erfahren, ob wir wirkliche oder im Ernste nur angekaufte Töchter unserer Eltern sind.

10. Allein, da fielen wir in die Hände der bösen Seeräuber, wurden aller mitgenommenen Habe beraubt, unserer Kleidung entblößt, dann bei den Haaren trotz alles unseres Flehens fest zusammengebunden und so dann lebendig ins tiefe Meer geworfen. Was nachher mit uns geschehen ist, wissen wir nicht, und auch nicht, wie wir nach diesem uns ganz unbekannten Ort gekommen sind, und wer uns das Leben wiedergegeben hat; denn wir mußten ja tot gewesen sein, als man uns, sicher vom Meer ans Land gespült, an irgendeinem Ufer oder Strande gefunden hat! – Wo sind wir denn nun, und wer seid ihr guten und herrlichen Menschen?“

28. Kapitel. Cyrenius erkennt seine Töchter. Risa und Zinka werden die Schwiegersöhne des Cyrenius.

1. Sagt Cyrenius: „Nur eine kleine Geduld, meine liebsten Kinder und Töchter! – Du heißt Gamiela, und wie heißt denn die jüngere Schwester?“

2. Sagt die Jüngere: „Ich heiße Ida; denn also rief man mich stets.“

3. Hier fiel Mir Cyrenius um den Hals und sagte: „Herr, ja, wie soll ich Dir denn danken?! O Gott, o Vater! Du hast mir auf diese Art ja meine zwei leiblichen Töchter wiedergegeben, die mir vor siebzehn Jahren von den frechsten Händen entwendet worden sind! Wie das möglich war bei der Überwachung, wie sie in meinem Hause stattfand, ist mir nun bis zur Stunde ein Rätsel!

4. Ich sandte sogleich nach allen Seiten Kundschafter aus, die sich nach dem verlorengegangenen Schwesternpaare umsehen und erkundigen sollten, und ein mutiger Hauptmann sagte: ,Und sollte sie dir der Pluto geraubt haben, so bringe ich sie dir! Hat sie aber das Meer verschlungen oder irgendein gefräßiges Raubtier, dann wird alle Mühe eine vergebliche sein!‘ Er ging und mühte sich drei Jahre vergeblich ab.

5. Ich sandte auch Forscher nach Dir, o Herr, nach Nazareth. Sie erfragten Dich wohl, kamen aber mit der Hiobspost nach Hause, daß mit Dir gar nichts mehr sei. Du wärest ein zwar ganz ruhiger, aber sonst völlig blöder Junge zwischen dreizehn und vierzehn Jahren, und von einem Weissagen sei da schon gar keine Rede!

6. Deine irdischen Eltern gaben von Dir Selbst ein ganz leidiges Zeugnis und sagten, daß mit Deinem zwölften Jahre jede Spur von irgendeiner Weisheit ganz verraucht sei und Du nun, was da Verstand und Einsicht betrifft, jedem ganz gewöhnlichen Erdjungen naehstehest. Sie sollen damals meinetwegen in Dich gedrungen sein, nur diesmal noch für meine Boten eine Weissagung zu machen; aber Du verhieltest Dich stumm und sagtest etwa am Ende, Du seiest nicht der Weissagung wegen in die Welt gegangen, sondern der Arbeit wegen wie ein jeder Mensch!

7. Als man Dich fragte, ob Du Dich nicht erinnertest, was alles Du von der Wiege bis in Dein zwölftes Jahr geleistet habest, sagtest Du, was da war, das sei nicht mehr! Und als man Dich um den Grund fragte, da redetest Du nichts mehr, verließest das Zimmer und gingst hinaus ins Freie, – und meine Sendlinge kamen unverrichteterdinge nach Hause!

8. Und so war damals all mein Forschen ein vergebliches. Sieben volle Jahre trauerte ich um meine zwei liebsten Töchterchen, – und siehe da, hier sind sie nun! Du hast sie damals mir vorenthalten, um sie mir nun doppelt wunderbar wiederzugeben! Ja, Herr, wie soll ich Dir denn nun so ganz eigentlich danken dafür?“

9. Sage Ich: „Das hast du schon dadurch, daß du alle, die hier aufgefangen wurden, angenommen hast und hast Sorge getroffen für ihre Unterbringung und für ihre künftige bessere Bestimmung, als sie sie bis jetzt hatten! Kurz, – du, Mein erster Freund Cyrenius, hast Mir schon so vieles getan, daß Ich dich auf dieser Erde nicht unbelohnt lassen kann! Dereinst in Meinem Reiche im Himmel sollst du darum aber auch schon noch einen größeren Lohn überkommen!

10. Aber da du nun deine Töchter vollkommen gesund wieder hast, so gedenke dessen, wem Ich sie zu Bräuten bestimmt habe! Die beiden Männer sind zwar nicht königlicher Abkunft; aber sie sind nun gewisserart Meine Söhne, – und das kann dir denn doch auch genügen!“

11. Sagt Cyrenius: „Herr, Dein Wille ist mir ein angenehmstes Gebot, und ich werde für meine beiden Schwiegersöhne schon Mittel und Wege treffen, vermöge welcher sie so gestellt werden, den armen Menschen geistig und naturmäßig möglichst viel nützen zu können!

12. Aber nun kommet, ihr meine liebsten Töchter, zu mir und lasset euch an mein Herz drücken; denn ich bin ja nun einer der glücklichsten Väter auf der ganzen Erde! Wie glücklich wird erst eure Mutter sein, euch wieder zu besitzen; denn die war um euch untröstlich! Könnte sie euch auch sehen, so wäre ihr Glück noch größer; aber sie ist bei aller ihrer großen Liebenswürdigkeit denn doch blind. Als eine Blinde ward sie mein Weib, bekam auf eine Zeitlang wohl das Augenlicht, ward aber später dennoch wieder blind! Aber sie hat ein so scharfes Gefühl, daß ich darauf wetten kann, daß sie euch sogleich erkennen wird! Oh, wie unendlich glücklich bin ich nun! Kommet her, ihr Armen alle, ich will euch dafür beglücken nach allen meinen Kräften!

13. Wenn ich nun daran denke, wie wir euch auf dem Meere schwimmend fanden bei den Haaren zusammengehängt! Hätte ich damals mir nur von ferne hin denken können, daß ihr meine Töchter wäret, wie entsetzlich unglücklich hätte mich euer damaliger Anblick gemacht! Jetzt erst, da ihr wieder lebet, machte mich der Herr mit euch näher bekannt, auf daß ich so selig als möglich würde! Und nun bin ich es, und dafür Dir, o Herr, alles Lob und alle meine Liebe!“

29. Kapitel. Zinkas Bescheidenheit.

1. Tritt hinzu der Zinka und sagt: „Hoher Herr und Gebieter! Da die Sachen einmal also stehen, wie ich von ihnen auch nicht die allerleiseste Spur haben konnte, so bekommt die Sache nun auch ein ganz anderes Gesicht. Das sind nun keine Kaufmannstöchter aus Kapernaum mehr, sondern das sind Töchter aus dem Kaiserhause Roms; auf diesem Baume wachsen auch keine Äpfel für unsereinen! Denn für solche Kinder müssen sich auch wieder Kinder vorfinden, die von königlichen Eltern abstammen. Ich bin nur ein gemeiner Judensohn, stamme wohl von Juda ab; aber was ist nun das gegen dich, der du ein Bruder des großen Kaisers Augustus warst und somit den Stamm der ältesten Patrizier für dich hast?! Dazu bist du unermeßlich reich, und ich habe nichts als meinen kärglich zugemessenen Sold für eine ungeheure Arbeit.

2. So unendlich glücklich mich die Gamiela auch gemacht hätte, so ich sie nun als ein Wunder der Himmel zum Weibe bekommen hätte, – aber da sie nun als deine Tochter, hoher Herr, über meiner Nichtigkeit steht, kann und darf ich sie nimmer zum Weibe nehmen! Du, hoher Herr, würdest sie mir heute in deiner reinen Geistesstimmung auch geben; aber morgen könnte es dich hoch gereuen! Und könnte ich es dir verwehren, so du sie mir wieder nähmest? Welchen Gram und welche Trauer würde ich dann empfinden! Muß ich sie zum Weibe nehmen mit der vollsten Versicherung, daß sie mir bleibt, dann nehme ich sie auch sicher und werde der glücklichste Mensch sein; aber verlangen werde ich sie nimmer, denn ich kenne meinen Stand und den deinen auch.

3. Verschaffe mir aber auf römischem Gebiete irgendeine kleine Besitzung; die will ich durch meiner Hände Fleiß bearbeiten und mir und meinen Mitarbeitern den Unterhalt verschaffen! Nur nach Jerusalem laß mich nicht mehr gehen und im Judenlande nicht mehr verbleiben! Denn mit Herodes und mit dem Tempel will ich nichts mehr zu tun haben!“

4. Sagt Cyrenius: „Laß alles das gut sein! Ich kann dir ja meine Gamiela nicht mehr nehmen; denn der Herr hat sie ja dir gewisserart zuvor gegeben denn mir, – und Dessen Wort und Ausspruch ist mir heilig, überheilig! Was aber der Herr nur von ferne hin wünscht, das müssen wir tun, wollen wir Seinen heiligen Engeln gleichen! Wohl bin ich auf dieser Welt nun etwas, solange Er mich leben läßt; aber drüben im großen Jenseits sind wir dann alle gleich, und unsere hiesigen Schätze bleiben auf der toten Kruste der Erde hängen und werden zur Nahrung der alles verzehrenden Zeit.

5. Darum hindere dich nicht mein hoher Stand; denn ich trage ihn nur zum Wohle der Menschheit, soviel es nur immer in meinen Kräften steht. Und solltest du, den mir der Herr der Unendlichkeit, des Lebens und des Todes besonders ans Herz gelegt hat, davon ausgeschlossen sein? Nein, nein und nimmermehr! Du bist und bleibst mein Sohn!“

6. Als Zinka diese Worte vernimmt, sagt er: „Ja, wahrlich, so kann nur ein Gott dem Herrn über alles ergebenes Gemüt sprechen! Was der Herr will, das will denn sicher auch ich; denn Der, der die beiden erweckt hat, ist der Herr Selbst, dessen ich nun vollkommen überzeugt bin. Und sollten Milliarden nun dagegenzeugen, so wird Zinka in seinem Glauben nimmer wanken! Ihm allein von nun an alle meine Liebe und alle meine wahre Anbetung! Ihm sei alle Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

7. Mit diesen Worten fällt Zinka vor Mir nieder und sagt: „O Herr, vergib mir alle meine Sünden, auf daß ich als ein gereinigter Mensch zu Dir beten kann!“

8. Sage Ich: „Stehe auf, Mein Bruder! Deine Sünden sind schon lange von Mir hinweggetan worden; denn dein Herz kannte Ich schon lange und ließ es endlich gar zu Mir kommen. Mich zu fangen warst du zwar ausgesandt, und Ich ließ Mich von dir auch gefangennehmen, – aber für dein Herz nur und zu deinem Heile! Stehe nun auf und sei in Meinem Namen voll heiteren Mutes und werde Mir ein gutes, brauchbares Rüstzeug!“

9. Mit dem erhebt sich Zinka und fängt erst so recht an, über die Größe und über die Bedeutung dieser Begebenheit seine Betrachtungen zu machen. Wenn er sich so nächst Mir gesetzt haben wird, so werden wir ihn dann erst wieder reden hören. Denn nach Mathael ist das wohl der größte Geist bei unserer Gesellschaft.

30. Kapitel. Handeln und Reden.

1. Nachdem wir aber den Zinka auf diese Weise ein wenig zur Ruhe gebracht hatten, kam Risa als der zweite Schwiegersohn des Cyrenius und fing an, sich auch auf eine ähnliche Art zu entschuldigen.

2. Aber Raphael klopfte ihm auf die Achsel und sagte: „Freund! Bleibe du nur schön bei der Wahrheit deines Herzens; denn du bist lange kein Zinka! Du bist zwar gut und ehrlich, aber reden sollst du nie anders, als es dir ums Herz ist! – Verstehst du das?“

3. Sagt Risa: „Ja, Freund aus den Himmeln, ich verstehe, was du mir gesagt hast, und ich will reden, so ich je rede, wie es mir ums Herz ist, und keine Unwahrheit soll über meine Lippen kommen! Ich bin zwar noch ein junger Mensch und habe weniger Erfahrungen als so mancher andere; besonders wenige Erfahrungen aber habe ich mit dem weiblichen Geschlechte gemacht und war noch nie in irgendeine Jungfrau verliebt. Aber ich fühle mich im Herzen außerordentlich angezogen und fühle es, wie ich über alle die Maßen glücklich sein werde, wenn die himmlisch schöne Ida mein Weib würde; aber ich fühle es auch, wie ich mich bei diesem großen Glücke ganz entsetzlich dumm ausnehmen werde. Aus diesem eigentlichen Grunde möchte ich dieses Glück für mich missen!

4. Jetzt ist meine Liebe zur Ida noch lange keine Leidenschaft, und ich könnte auf dies zu erwartende Glück noch leichten Gemütes verzichten; werde ich aber später mehr entzündet, und mir würde das Glück dennoch nicht zuteil werden, so würde mir das ein übergroßes Herzeleid bereiten, dessen ich mich dann schwerst entledigen könnte. Aus eben diesem Grunde möchte ich es vom Herrn und vom Cyrenius aus haben, daß ich jeder Hoffnung auf so ein Glück ledig würde!

5. Siehe, du mein Himmelsfreund Raphael, so fühle ich es, und also habe ich denn nun auch geredet! Kannst du mir da ein wenig helfen, so tue es, bevor es zu spät wird! Denn eine rechte Hilfe muß auch zur rechten Zeit geschehen, – sonst ist sie zu wenig nütze!“

6. Sagt Raphael: „Freund, da wirst du von mir aus wenig oder gar keiner Hilfe benötigen; darum bleibe es nur so, wie es der Herr bestimmt hat! Du selbst kannst zwar auf alles verzichten – denn wider des Menschen freien Willen bestimmt der Herr nie etwas, außer das Maß und die Form des Leibes –; aber es bringt dem Menschen eben nicht irgend besonders vielen Segen, so er auf das zuwenig achtet, was der Herr, wenn auch nur durch einen leisesten Wink, geraten hat. – Verstehst du auch das?“

7. Sagt Risa: „Ja, auch das verstehe ich und sage darum nichts als: Es geschehe stets des Herrn Wille; denn wer Gottes Willen tut, der kann unmöglich je fehlen. Denn Gott der Herr muß es ja doch am besten wissen, was uns Menschen am meisten frommt. Daher werde ich aber auch von nun an stets alles mit dem größten Dank im Herzen annehmen und danach tun, wie es der Herr verordnen wird! Was der Mensch leicht tun kann, weil er dazu schon im Herzen einen Drang hat, das soll er schon allzeit tun und sich nie darüber hinwegsetzen. Es ist genug des Kampfes in anderen Dingen, über die des Menschen schwacher Wille schwer Sieger wird. Soll er nun in leichten und höchst angenehmen Dingen auch schwachwillig werden, da wird er in der wahren Tugend schon ganz sicher schlechte Fortschritte machen! – Habe ich recht geredet oder nicht?“

8. Sagt Raphael: „Allerdings; aber das sei dir auch noch gesagt, daß es besser ist viel und gut handeln, als viel und gut reden! Wenn dich die Menschen viel und gut handeln sehen werden, so werden es dir auch viele nachtun; werden sie dich endlich viel und gut reden hören, so werden sie es dir auch wollen gleichmachen. Da aber gar vielen zur wahrhaft guten Rede die rechte Weisheit mangelt, so müssen sie denn doch sicher nur einen Unsinn zusammenreden und schaden dadurch vielen schwachen Gemütern und sich selbst auch, weil sie dadurch hochmütigen und einbildnerischen Herzens werden. Durch eine unnötige Redelust werden mit der Zeit allerlei falsche Lehren verbreitet, und die arme Menschheit wird geblendet und in alle Finsternis gebracht, so daß es hernach etwas Schweres ist, sie wieder zu erleuchten; durch viele und gute Handlungen aber wird die Menschheit edlen und offenen Herzens. Ein edles und offenes Herz aber ist ohnehin die beste Pflanzschule zur wahren Weisheit und wird auch da gut und recht zu reden verstehen, wo es vonnöten sein wird.

9. Dieses aber habe ich dir darum gesagt, weil du eine oft zu große Redelust in dir birgst, aber dazu noch lange nicht alles besitzest, was zu einer vollkommen guten Rede vonnöten ist; daher rede du wenig, aber dafür höre und handle du desto mehr, so wirst auch du ein wahrer Jünger des Herrn sein, und das nach Seinem Willen und nach Seinem Wohlgefallen!

10. Die dereinst reden und predigen sollen, die wird der Herr dazu schon eigens auserwählen; die Er aber nicht eigens fürs Reden und Lehren auserwählen wird, die sind von Ihm nur fürs Handeln nach Seinem Worte und nach Seiner Lehre bestimmt und sollen demnach nur allzeit das tun, wozu sie vom Herrn aus die unzweifelhafte Bestimmung haben. So werden sie sich allzeit des Wohlgefallens Gottes und irgendeiner besonderen Gnade zu erfreuen haben. Sage das auch deinen Freunden und Amtsgefährten; denn auch unter ihnen gibt es manche, die sich darauf auch so manches noch zugute halten, daß sie geordnet und geschmeidig reden können! Sie sind vom Herrn auch nicht zur Rede, sondern nur zur Handlung ausersehen.

11. Der Herr läßt dich aber darum nun irdisch glücklich werden, auf daß du dereinst recht viel Gutes wirken kannst; hätte der Herr dich aber zu einem Redner und Lehrer berufen, so würde Er zu dir sagen: ,Komme und folge Mir, wohin Ich ziehe, und lerne alle Weisheit des Reiches Gottes erkennen!‘ Denn siehe, zum Reden und Lehren wird mehr erfordert denn zum Handeln, und dennoch ist das Handeln die Hauptsache – und Rede und Lehre nur der Wegweiser dazu!

12. Siehe, wie angenehm dem Herrn der Cyrenius ist; aber wegen der guten Rede sicher nicht, sondern wegen der guten und vielfach edlen Handlungen! Wer aber viel Gutes und Edles tut, der kann, so es irgend nötig ist, schon auch gut und recht reden; denn ein offenes und edles Herz bleibt nie ohne Licht aus den Himmeln. Wer aber das hat nach dem Maße seiner vielen guten und edlen Taten, dem wird es auch stets klar sein, wo, wann und wieviel er zu reden hat. – Verstehst du, mein lieber Risa, nun auch das so recht wohl, was ich nun zu dir geredet habe?“

13. Sagt Risa: „Wie sollte ich das nicht; denn du hast ja die reinste Wahrheit geredet, und diese ist allzeit für jedermann wohl verständlich! Ich werde mich streng und stets nach diesen deinen Worten richten. Was ich aber nun von dir vernommen habe, werde ich sogleich auch allen meinen Gefährten wiedergeben; nur das einzige möchte ich noch erfahren, ob denn Zinka auch bloß nur zum Handeln oder danebst auch zum Lehren berufen ist!“

14. Sagt Raphael: „Mein Freund Risa, zwischen deinen und des Zinka Erfahrungen besteht ein gar großer Unterschied! Er ist eine große Seele, von oben herabkommend, und hat viele und große Erfahrungen hinter sich, obwohl er nur um zehn Jahre älter ist denn du; und daher wird er vom Herrn auch gesetzt werden zum Handeln und zum Reden. Wenn aber auch du viele Erfahrungen hinter dir haben wirst, so wirst du auch gut zu reden und zu lehren haben. Aber für jetzt sammle dir Erfahrungen und werde reich an guten und edlen Handlungen!“

31. Kapitel. Selbstbetrachtungen Hebrams und Risas.

1. Risa schreibt sich das tief ins Herz und begibt sich zu seinen Gefährten, die ihn zu seinem Glücke zu beglückwünschen anfangen; er aber öffnet seinen Mund und tut ihnen von Wort zu Wort kund, was er von Raphael vernommen hat.

2. Als er damit zu Ende war, sagte Hebram zu ihm: „Das ist eine gar herrliche Rede, wie aus dem Munde Gottes kommend; aber etwas ist daran denn doch zu bemerken, wennschon nicht an der Rede selbst, so doch an dem, der sie vortrug. Sie enthielt viele und gar denkwürdig wahre Worte, die in guter Reihenfolge nacheinander ins Dasein traten; der Vortragende aber hatte dennoch zuvor geredet – als gehandelt! Allein ich finde das ganz recht; denn jeder guten Handlung muß ja doch allzeit eine gute Lehre vorangehen, ansonst der Handelnde doch unmöglich irgendeine Direktion zu seinem Tun und Lassen bekommen kann.

3. Aber im Grunde des Grundes hat Raphael dennoch recht; denn so viel weiß der Mensch bald, was gut und recht ist. Einfache Gesetze geben ihm das! Er braucht nun nur recht zu wollen, und ein gutes Handeln kann da nicht unterm Wege verbleiben. Aber das Wissen allein scheint mir denn doch noch ein zu geringer Beweggrund zum Guthandeln zu sein, besonders bei sehr materiellen Menschen, die nur zu leicht von einem eitel materiellen Vorteile übertölpelt und zum Schlechthandeln verleitet werden. Da heißt es denn dann doch die Vorlehre so weit ausdehnen, daß durch sie dem Jünger klare, handgreifliche und unumstößliche Beweise als Beweggründe zum Guthandeln gegeben werden, wider die zu handeln es dem Jünger ebenso nahe unmöglich vorkommen muß, als ohne ein Schiff übers Meer kommen zu wollen.

4. Hat man es mit einem Jünger einmal so weit gebracht, dann ist das wahre Guthandeln eine gar leichte Sache; aber ohne die hinzugegebenen handgreiflichen und fest erwiesenen Beweggründe wird es stets nur ein Problem bleiben, dessen Güte man wohl so einsieht, aber weil das Handeln danach denn doch mit so manchen Schwierigkeiten und Sichselbstverleugnungen verbunden ist, so läßt man sich in lieber Trägheit und leidiger Selbstsucht ganz wohl geschehen und läßt das viele und gute Handeln einen guten Mann sein. Man geht seinen tierischen Gelüsten gleichwegs nach und ist nach dreißig Jahren noch derselbe Tiermensch, der man so ganz eigentlich in der Wiege war. Es gehören darum meiner unmaßgeblichen Ansicht nach zur Guthandlungslehre auch die obbezeichneten Beweise, und diese fordern schon bei weitem mehr als zu sagen: ,Dies und jenes hast du zu tun, weil es gut ist, und dies und jenes mußt du lassen, weil es schlecht und böse ist!‘“

5. Sagt Risa: „Da hast du ganz recht und sagst im Grunde denn doch nichts anderes, als was Raphael damit doch auch handgreiflich klar dargetan hat, daß nämlich nur der lehren und reden soll, der vom Herrn dazu im Geiste berufen ist. Ein solcher Lehrer wird seinen Jüngern die Lehre samt den erforderlichen Beweisen schon geben und sie dadurch zum Handeln bewegen, so wie mich des Engels Rede zum Handeln allerunfehlbarst bewegt hat. Aber so wir beide nun als Lehrer aufträten, da würden wir sicher sehr viel dummes Zeug zusammenreden, und käme so ein recht feiner und wohlgeschliffener Redner zu uns und finge an, so recht kräftige Gegenworte zu uns zu reden, so würde er uns am Ende verwirren, und wir tanzten vielleicht zuletzt gar nach seiner Pfeife noch! Handeln wir aber gut, so kann er dagegen mit allen Verstandesgründen der Welt nicht die geringste Einwendung und Entgegnung finden. Darum ist für viele das Handeln besser als das Lehren. – Bist du darüber etwa noch nicht völlig im klaren?“

6. Sagt Hebram: „O ja, jetzt wohl, und war es auch schon früher, und es ist gut also! Sonderbar aber ist doch der Mensch, – das merke ich an mir! Denke dir: Als wir denn doch oft genug so die Schrift durchlasen und studierten, wie durch und durch unbegreiflich erhaben und die größte und tiefste Ehrfurcht einflößend kamen uns da alle die wunderbaren Erzählungen, Begebnisse und hie und da vorkommenden Lehren vor! Den hie und da wirkend vorkommenden Geist Gottes getrauten wir uns aus der blindest höchsten Ehrfurcht am Ende ja gar nicht mehr auszusprechen! So wir von einem erschienenen Engel etwas lasen, – das durchrieselte uns Mark und Bein! Moses stand so groß da, daß sich vor seinem Namen nahe alle Berge zu neigen schienen!

7. Nun stehen wir hier vor demselben Gott, der auf Sinai Seine Gesetze gedonnert hat! Derselbe Engel, der den jungen Tobias geführt hat, geht unter uns umher wie ein ganz gewöhnlicher Mensch und lehret uns mit gar süßen Worten den Willen des Herrn näher erkennen! Dazu geschehen aber noch in einem fort Wunder über Wunder von der unerhörtesten Art und Weise, – und uns kommt nun alles das aber schon so ganz gewöhnlich vor, als wären wir schon von Kindheit an dabei aufgewachsen! Sage mir, worin denn das liegen mag!

8. Wir sollten nun vor lauter Verwunderung und Anbetung ja ganz ordentlich aus der Haut fahren, – sind aber statt dessen so schön stumpf wie ein altes, verrostetes Schwert eines alten Kriegers! Woran liegt das, was kann daran schulden? Wenn ich dessen gedenke, so könnte ich mir vor Ärger selbst den Kopf vom Leibe herabreißen!“

9. Sagt Risa: „Sei darum ruhig, Freund! Es wird das der Herr also haben wollen; denn stünden wir aus begreiflichen Gründen stets in der höchsten Gemütsaufregung, da würde uns sehr vieles entgehen, was hier geschieht und gesprochen wird. Der Herr aber versteht es, unsere Gemüter in den nüchternen Schranken festzuhalten, und wir können darum alles, was hier geschieht und vor uns geredet wird – wenn auch von einer noch so unbegreiflich erhabensten Art –, ganz kaltblütig anschauen und anhören und können es uns auch desto tiefer in die Seele einprägen. Wenn dies alles vorüber sein wird, dann wird sich's darüber in unseren Gemütern schon sicher auch auf die allerkolossalste Art zu regen anfangen! Oh, das wird nicht ausbleiben! Aber für jetzt ist es also sicher um vieles besser! – Bist du hierin etwa einer andern Meinung?“

10. Sagt Hebram: „Durchaus nicht, – deine Meinung ist da wieder eine ganz vollkommen richtige, und es wird ganz bestimmt also sein! Aber schlecht ist es gerade auch nicht, so man sich dessen selbst ermahnt, daß man sich bei dieser noch nie dagewesenen, heiligst außerordentlichen Gelegenheit gar leicht und viel zuwenig erbaut fühlt, während einen doch die gelesenen Außerordentlichkeiten aus der Vorzeit gar so tief ergriffen und oft hingerissen haben. Würde diese geistige Stumpfheit von uns allein abhängen, so müßte ich sie als eine große und äußerst grobe Lebenssünde ansehen; aber so nach deiner Meinung der Herr durch Seinen allmächtigen Willen in uns alles also bewirkt, so müssen wir Ihm dafür dankbar sein und alles, was Er spricht und tut, desto ernster und tiefer in uns erwägen und darüber sehr nachdenken, wie wir Sein Wort ins volle Werk setzen werden. Aber daß der Zinka ein gar so geistvoller Mann ist – und war und ist doch nur ein Oberdiener des Herodes! –, das ist mir ein Rätsel! Wo hat er denn seine überwiegende Weisheit geschöpft und sich die vielen Erfahrungen gesammelt?“

11. Sagt Risa: „Das weiß ich kaum; aber ein so großer Herr, wie Herodes einer ist, wird seinen Diener sicher zuvor aus und aus und durch und durch geprüft haben, bis er ihn zu einem ersten und obersten seiner Diener gemacht hat. Zudem war Zinka nach eigenem Geständnis ein besonderer Freund des Propheten Johannes und hat von ihm sicher so manches aufgefangen, was auch von großer Lebensbedeutung war, und es ist daher wenig Wunderbares daran, so er weiser ist denn unsereins. Er werde aber etwa noch über etwas eine Rede halten, auf die ich sehr gespannt bin. – Aber nun scheint der Herr eine Rede halten zu wollen, darum schweigen wir einmal; denn aus unserem Reden kommt ohnehin nicht viel Gescheites heraus!“

32. Kapitel. Ein Ereignis aus der Jünglingszeit Jesu.

1. Während des Zwiegespräches der beiden aber verschaffe Ich den beiden Erweckten die Gelegenheit, Mich als denjenigen kennen zu lernen, der vor etlichen Monden auch in Kapernaum ein paar Tote erweckt hatte, und die beiden erkannten Mich bald als denselben und kannten auch Maria und die andern des Hauses Joseph. Die Gamiela erzählte auch, daß sie sich noch ganz gut erinnern könnten, wie der alte Zimmermeister Joseph mit seinen sechs Söhnen bei ihrem Ziehvater in Kapernaum einen ganz neuen Schafstall erbaut habe, und sie sich auch erinnere, Mich Selbst als den jüngsten der Söhne Josephs bei der Arbeit gesehen zu haben; aber damals habe sie wohl keine Ahnung gehabt, daß hinter Mir der Geist des Allerhöchsten verborgen wäre.

2. Aber die Ida sagte dazu: „Doch, doch, liebe Schwester! Es war am letzten Abend, als der Bau vollendet war und unser Ziehvater dem alten Joseph die Arbeit bezahlte, aber nach seiner kaufmännischen Sitte ihm am Ende etliche Groschen abzog, da trat dieser Heilige zum Kaufmanne hin und sagte: ,Tue das nicht; denn das wird dir keinen Segen bringen! Du bist ein Heide zwar, glaubst aber an den Gott der Juden. Und sieh, dieser mächtige Gott wohnt in Meinem Herzen, und so Ich Ihn bitte, gewährt Er Mir das, um was Ich Ihn gebeten habe! Er wohnt auch in den Herzen aller Gerechten vor Ihm und erhört gerne ihre Bitten. Würdest du hart gegen den Joseph, der bei dir eine schwere Arbeit zu bestehen hatte, so würde Ich Meinen Gott und Vater bitten, daß Er es dir vergelten möchte, und es würde dir alsbald gar übel vergolten werden! Bedenke, daß es nicht gut ist, die zu beleidigen, mit denen Gott eins ist!‘ Mein Ziehvater aber horchte wenig darauf und blieb bei seinem Abzuge bestehen. Der alte Zimmermann aber sagte: ,Siehe, ich bin ehrlich und sage es dir ehrlich: Die etlichen Groschen wären gerade mein ganzer Gewinn bei dieser schweren Arbeit gewesen, und ich hätte damit meinen Hauszins bezahlen können! Weil dir aber, der du ein reicher Mensch bist, schon gar soviel daran liegt, so behalte sie; aber du behältst sie mit Unrecht, und dieses tut nie gut!‘

3. Ich, Ida, aber weinte vor Ärger über die verstockte Härte meines Vaters, ging in meine Kammer und brachte geheim all mein Erspartes, und Gamiela tat nach mir dasselbe, und wir steckten so dem alten Joseph heimlich bei hundert Groschen ins Lägel seiner Werkzeuge. Niemand bemerkte das außer Dir, o Herr! Und Du sagtest darauf: ,Euch aber, ihr beiden Mägdlein, wird dereinst hoch vergolten werden, was Gutes ihr uns erwiesen habt!‘ Bei diesen Worten aber sahst Du einem Verklärten gleich. Darauf erhobet ihr euch und verließet unser Haus. Es war spät abends, und ihr hattet zu Fuß doch etliche Stunden Weges nach Nazareth; da sagte ich zu Dir: ,Möchtet ihr denn nicht lieber die Nacht hier verbleiben, als den unsichern, weiten Weg gehen, zumal die Nacht gar so finster ist, weil dichte Gewitterwolken den Himmel bedecken und auch ein Ungewitter im Anzuge ist?‘ Da sagtest Du, was mir stets denkwürdig blieb: ,Wer den Tag gemacht hat, ist sein Herr, und wer die Nacht, ist auch ihr Herr; darum hat der Herr des Tages wie der Nacht weder den Tag noch die Nacht zu fürchten! Das Gewitter aber stehet auch in desselben Herrn Macht, den die Welt nicht kennt; es wird uns weder die Nacht noch das Gewitter einen Schaden zu bringen vermögen! Lebet wohl, ihr beiden Engelchen!‘ Mit dem verließet ihr unser Haus, und weiß der Himmel, – kaum waret ihr über des Hauses Schwelle, so war auch keine Spur mehr von euch irgend zu entdecken!

4. Oh, ich habe oft an Dich, o Herr, gedacht, – konnte aber später bis zur Stunde mit Dir nirgends mehr zusammenkommen! Aber an unserem Ziehvater sind Deine Worte in eine furchtbare Erfüllung gegangen in derselben Nacht noch! Ein furchtbares Gewitter kam, der Blitz schlug dreimal in den neuen Schafstall, in dem schon am Tage seiner Vollendung siebzehnhundert der schönsten Schafe sich befanden. Alles verbrannte in ein paar Stunden und konnte bei aller Anstrengung nichts gerettet werden! Da bedauerte unser Ziehvater, sich am treuen Zimmermanne so hart versündigt zu haben; denn er sagte selbst: ,Diese Strafe kommt über mich von oben, weil ich sie verdient habe. Niemals soll je wieder in meinem Hause ein treuer Arbeiter auch nur um einen Stater seines wohlverdienten Liedlohnes verkürzt werden!‘ Er hielt auch das Wort. Den Stall ließ er jedoch auf derselben Stelle nicht wieder erbauen; aber auf einer andern Stelle ließ er hundert Morgen Grundes fest einzäunen und hineinsetzen nur eine Hütte für zehn Hirten und Schafwärter. Den alten Zimmermann aus Nazareth aber sahen wir nie wieder. Er muß jüngst darauf gestorben sein; denn er sah schon damals recht schwach aus.

5. Wir kamen etwa ein halbes Jahr darauf auf den großen Markt nach Nazareth und erkundigten uns emsigst nach dem alten Zimmermann und nach seinen Söhnen; aber es hieß, sie seien weit übers Land geholt worden, allwo sie mehrere Häuser zu erbauen bekommen hätten, – und wir zogen also ganz unverrichteterdinge wieder Kapernaum zu. Nachher erfuhren wir aber nichts mehr von der Zimmermannsfamilie. Der Ziehvater soll einmal, etwa drei Jahre darauf, in Erfahrung gebracht haben, daß sich der Joseph wegen einer großen Arbeit nach Hochnazareth soll gezogen haben, das gegen Samaria hin im Gebirge liegt. Aber wir jedoch bekamen da niemand von den Seinigen mehr zu Gesichte! Und doch hätte ich mit dem jungen Zimmermanne, der meines Wissens Jesus hieß, gar so gerne eine nähere Bekanntschaft gemacht!

6. Doch, – was uns damals nicht mehr vergönnt war, das hast Du, o Herr, bis jetzt wunderbar aufbewahrt! Jetzt erst ist uns auch ein Licht aufgegangen über jene von Dir am selben Abende, an dem ihr in der stockfinstersten Nacht unser Haus verließet, so geheimnisvoll gesprochenen Worte! Jetzt wissen wir, wer der Herr des Tages, der Nacht und des Gewitters war und ist! Aber nun bringen wir Dir noch einmal mit Herz und Mund unseren Dank dar für alle die namenlosen Gnaden und Wohltaten, die Du, o süßester Herr Jesus, uns erzeiget hast ohne alle unsere Verdienste!“

7. Sage Ich: „Oh, gar so ohne allen Verdienst seid ihr mitnichten; denket nur an das, was ihr dem alten Joseph erwiesen habt! Wie sehr zustatten kamen ihm eure hundert Groschen, als er sie am kommenden Morgen in seinem Werkzeuglägel fand! Er dachte anfangs, daß ihm solches euer Ziehvater heimlich getan habe; aber er ward von Mir bald in seinem Irrtume berichtigt. Er lobte sehr eure guten Herzen, und Ich versprach ihm, daß Ich Selbst solche Güte an euch einmal vielfach vergelten werde, und habe euch darum nun das Leben und eure wahren Eltern freundlichst und freudigst wiedergegeben. Gehet nun vollends hin und machet ihm eine rechte Freude; denn seine Freude ist auch die Meine!“

8. Darauf erst gingen die beiden zum Cyrenius und umarmten ihn, und er weinte vor Freuden wie ein Kind. –

33. Kapitel. Gelöbnis des Cyrenius, für Jesu Lehre zu wirken.

1. Als Cyrenius seinen Freudenschmerz nach einer Weile erst so recht ausgeweint hatte, wobei ihn auch die beiden Töchter, der Zinka und auch der herbeigekommene Risa so recht wonniglich kräftig unterstützt haben, ging er wieder auf Mich zu, umarmte Mich und sagte schluchzend: „O du ewige, reinste Liebe! Wer soll Dich denn nicht über alles lieben?! O Herr, o Vater, wie gut und wie heilig bist Du denn?! O Herr, laß mich sterben in dieser meiner Liebe!

2. Herr und Vater! Solange ich die nie ermeßbar große Gnade habe, Dich von Deiner irdischen Geburt an zu kennen, habe ich Dich auch allzeit geliebt, und Du warst stets der Angelpunkt aller meiner Gedanken! Aber ich war nicht immer gleich stark Herr über meine eigene Welt in mir und über die Welt außer mir; jetzt aber glaube ich, durch Deine Gnade und Liebe die nötige Kraft erreicht zu haben, in allem und jedem Deinem heiligsten Willen gemäß nach menschlicher Weise vollends den Rest meiner noch zu lebenden Tage zu durchwandeln.

3. Ich regiere freilich zumeist nur Heiden, deren Götterlehren ich leider hie und da auch noch beschirmen muß – es ist das wohl ein großes Übel; aber mit einem Hiebe fällt ja doch nie ein Baum um –; ich werde es mir aber sehr angelegen sein lassen und trachten, wenigstens in meinem Regierungsterritorium die Erkenntnis des allein wahren und lebendigen Gottes unter den besseren Heiden soviel als nur immer möglich auszubreiten!

4. Mit den Priesterschaften werden wir wohl die größte Not haben; denn diese Kaste lebt schon seit mehreren Jahrhunderten von ihrer Volksverfinsterungssache. Die Alten werden wohl Blitz und Donner vom Himmel rufen, und die Jungen werden dazu grimmige Gesichter schneiden; aber am Ende werden sie wohl gezwungen sein, ihre alte Gewohnheit zu verlassen und sich auf unser neues Feld zur Arbeit zu begeben. Das Traurigste für den ehrlichen Menschen auf dieser Erde ist es aber, daß er die Lüge sogleich ohne alle Mühe leicht findet, die Wahrheit aber nur durch ein sehr mühevolles Suchen, das nicht selten mit vielen und großen Gefahren verbunden ist, erreichen kann.

5. Die alten Ägypter hatten ihre Schulen sehr klassisch eingerichtet. Wer nur so eines oder das andere fürs äußere Leben erlernen wollte, der hatte seine Taxe zu entrichten, und es wurden ihm die mannigfachen Vorteile gezeigt; wer aber da kam, um die Wahrheit zu suchen und sie zu finden, durch die das innere Leben des Menschen bedingt ist, dem wurde sein ominöses Suchen auf eine nahe unerhörte Weise heiß gemacht. Und hatte er die große Lebenswahrheit gefunden, so mußte er ein Priester verbleiben, und unter dem schwersten Eide durfte er von dem, was er gefunden, ja keinem Laien auch nur eine Silbe mitteilen!

6. Die heilige Wahrheit war somit stets schwer zu erreichen, während sich das Regiment der Lüge gratis über die ganze Welt breitmachte. Weil aber die alte Lüge stets das Zepter über die Menschen geführt hat, so haben sich die Menschen auch an die Lüge gewöhnt; sie ist ihnen zur zweiten Natur geworden, und das um so leichter, weil sich gar viele, wenn auch nicht alle, ganz wohl dabei befunden haben und sich noch befinden. Nun, von wegen des Fahrenlassens der Lüge wäre soviel des Anstandes, wie ich mir's denke, eben nicht; aber das Fahrenlassen der bisher genossenen Vorteile ist eben der Haken, der sich sehr schwer wird biegen lassen!

7. Doch Geduld, – es wird alles noch gehen! Man verspreche und gebe der Priesterschaft andere Vorteile, zeige dieser Kaste, die ohnehin keinen Glauben hat, freundlich unter vier Augen die Wahrheit und verdinge sie dann – wenigstens den bessern Teil – zur Ausbreitung der Wahrheit, und ich meine, daß sich auf diese Art die sonst größte Schwierigkeit in eine ganz leichte Mühe wird umgestalten lassen. Ob man aber je auf der Erde der Lüge ganz wird Meister werden, das ist nun eine andere Frage! Gute und rechtschaffen gesinnte Menschen, deren Seelen voll Wahrheit sind, werden wohl sicher alles aufbieten, um wenigstens ihre Nachbarn in ein besseres Licht zu setzen. Kurz, um solche Leuchter wird es stets so hübsch helle aussehen. Aber weiter weg von den Leuchtern wird es dann schon wieder finsterer werden, und gar weit weg, sowohl im Raum und in der Zeit, wird so wie jetzt die volle Nacht ihr Zepter führen!

8. Das ist so meine Ansicht. Du, o Herr, könntest es vielleicht wohl anders machen; aber Du weißt es auch, warum es auf dieser Erde also sein muß! Daher geschehe auch nur stets Dein allein heiliger Wille!“

34. Kapitel. Das Muß- und Soll- Gesetz.

1. Sage Ich: „Mein lieber Freund! Deine Ansichten gefallen Mir ganz gut, und der heilige Vater im Himmel hat stets eine rechte Freude daran, wenn Seine Kinder sich mit Ihm weise beraten; aber es sind gewisse Dinge, die einmal so sein müssen, und es muß dies und jenes zur Erreichung eines bestimmten Zweckes also geschehen, wie es geschieht, ohne das der Zweck unmöglich erreicht werden könnte.

2. Daher gibt es von Gott aus ein zweifaches Gesetz. Das eine ist ein rein mechanisches und heißt ,Muß!‘. Aus diesem Gesetze heraus gehen alle Formen und deren Gliederungen, nach denen sich dann die Tauglichkeit der Form erweist; an diesem mechanischen Gesetze kann ewig kein Häkchen verändert werden. Das andere Gesetz aber heißt ,Soll!‘. Und diesem allein gilt die Lehre des Lebens!

3. Nach dem Gesetze des Lebens kannst du alle Häkchen des Ganzen vertilgen, zerstören oder gar vernichten, so macht das eben soviel nicht und ist eins; was da frei werden soll, das muß auch schon in seiner ersten Entwicklung frei sein! Verbildet es sich auch ganz im freien innern Sein, so kann es darum das Mußgesetz über sich doch nicht aufheben; in der Form aber liegt gleichfort der Keim, der von neuem wieder zu treiben beginnt in der rechten Ordnung, das in der freien Lebenssphäre Verdorbene wieder ergreift und in die rechte Ordnung herüberzieht.

4. So siehst du Völker auf der Erde in aller Verdorbenheit stecken, was die Seele betrifft; aber ihre Gestalt bleibt, und so du sie ansiehst, mußt du bekennen, daß es Menschen sind. Ihre Seelen zwar sind verzerrt durch allerlei Lügen, Falschheit und Bosheiten; zur rechten Zeit aber lasse Ich irgend mehr Wärme in den Lebenskeim dringen, und er fängt an zu wachsen, verzehrt die alte Unordnung der Seele wie die Graswurzel den auch schon faul gewordenen Wassertropfen, und es geht dann ein ganz gesunder, lebenskräftiger und in allen Teilen reiner Grashalm mit Blüte und Samen hervor.

5. Aus dem Grunde sollet ihr nicht und nie über ein verdorbenes Volk ein zu hartes Urteil fassen! Denn solange die Form bleibt, bleibt auch der reine Keim im Menschen, bleibt aber der, da kann auch noch ein Teufel zum Engel werden!

6. Gewöhnlich sind irrige Lehrer, Herrsch- und Habsucht einiger Mächtigeren und eine zeitweilige Besitznahme von bösen Geistern, die das Fleisch und den Nervengeist der Menschen beschleichen, die steten Ursachen der Verderbung der Menschen und ihrer Seelen. Aber von einer gänzlichen Verderbung etwa auch des innersten Lebenskeimes kann keine Rede sein.

7. Sieh an den Mathael und seine vier Gefährten; wie waren sie von den argen Geistern zugerichtet! Ich erlöste die fünf davon und erweckte den Lebenskeim in ihnen, und siehe, was für vollkommene Menschen das nun sind!

8. Freilich gibt es Unterschiede unter den Menschen! Einige Seelen sind von oben her. Diese sind kräftiger, und die argen Geister dieser Erde können ihnen weniger oder auch nichts anhaben. Solche Seelen können denn auch eine stärkere Fleischlebensprobe aushalten, ohne irgendeinen bedeutenden Schaden zu erleiden. Wird bei denen der Geist, das ist der verborgene Urlebenskeim, erweckt, und durchdringt er dann mit seinen ewigen Lebenswurzeln die Seele durch und durch, so wird das nur wenig Verdorbene an solch einer Seele sogleich ausgeheilt, und der ganze Mensch steht vollendet da, – wie du solches an Mathael, Philopold und noch etlichen anderen ersehen kannst.

9. Mancher Menschen Seelen sind gar vormalige Engel der Himmel gewesen. Nun, bei denen kann leichtlich nichts verdorben werden! Johannes der Täufer und mehrere Propheten, wie Moses, Elias, Jesaja und noch andere mehr, können dir als Beispiele dienen, und es gibt solcher noch jetzt mehrere auf dieser Erde, die aus den Himmeln gekommen sind, um hier mit Mir den schmalsten Weg des Fleisches durchzumachen. Solche Menschen sind einer schon gar starken Fleischlebensprobe fähig und ertragen sie auch stets mit der größten Aufopferung.“

35. Kapitel. Der Unterschied der Seelen auf Erden.

1. (Der Herr:) „Daneben gibt es auch noch Unterschiede der Seelen, die von oben her sind, in der Art, daß da einige aus den vollkommenen Sonnenwelten stammen. Diese sind kräftiger als solche, die aus den kleinen, dieser Erde ähnlichen Planeten hierherkommen, um auf dieser Erde die Kindschaft Gottes zu erreichen.

2. Je unvollkommener aber irgend ein Planet ist, desto schwächer sind auch seine Auswanderer. Diese haben zwar eine geringere Lebensprobe zu bestehen, können aber an der Seele schon einen größeren Schaden bekommen. Sie haben aber dennoch einen kräftigen Urlebenskeim in sich; wird der in rechter Art erweckt, so sind die Seelen dann auch bald wieder in der vollen Lebensordnung.

3. Endlich, am häufigsten, gibt es Seelen, die aus dieser Erde von Uranbeginn abstammen. Diese sind am eigentlichsten zur Kindschaft Gottes berufen, sie sind die Schwächsten und könnten für sich am ehesten total verdorben werden; aber es ist solches wieder darum nicht leicht möglich, weil je unter hundert sicher ein oder zwei Starke von oben sich befinden, durch die die schwachen Seelen vor einem gänzlichen Verderben gehindert und geschützt werden. Gibt es darunter auch schon sehr verlorene Schafe, so werden sie zu seiner Zeit doch wieder aufgefunden werden.

4. Jede Seele aber – ob in sich noch so schwach, ohnmächtig, zertragen und verdorben – hat in sich den Urlebenskeim, der nimmerdar verdorben werden kann. Ist die Seele mit der gerechten Länge der Zeit nur dahin gebracht worden, daß ihr innerster Urlebenskeim in ihr erweckt werden kann, so ist sie dann aber auch gleich selig und in allen Dingen liebe- und weisheitskräftig und ist dann so gut ein Kind des Allerhöchsten wie ein menschgewordener Engelsgeist oder eine Seele aus einer Zentralsonne, aus einer minderen Planetarsonne oder aus irgendeinem außerirdisch anderwärtigen dunkeln und für sich lichtlosen Erdkörper, deren es im weiten Schöpfungsraume mehr gibt als des Sandes im Meere und des sämtlichen Grases auf der Erde.

5. Wer zum Beispiel von euch ein schon mehr vollendeter Mensch ist, der mag einem noch so dummen und abergläubischen Sünder von einem ordentlichen Tiermenschen seine Hände auflegen oder ihm sanfte Striche geben von der Nasenwurzel über die Schläfen hinab bis in die Magengrube, so wird der Mensch dadurch in einen verzückenden Schlaf gebracht. In diesem Schlafe wird dessen wenn noch so verstörte Seele frei von Plagegeistern ihres Leibes, und der Urlebenskeim tritt dann sogleich auf eine kurze Zeit wirkend in der Seele auf.

6. Fraget dann solch einen Verzückungsschläfer, und ihr werdet da Antworten bekommen, über die sich eure Weisheit höchst erstaunen wird!

7. Wird nach einer kurzen Zeit ein solcher Mensch nach seiner eigenen Verordnung, die zu beachten ist, wieder ins irdische Leben herüber erweckt, so ist der Urlebenskeim wieder in seine alte Ruhe zurückgekehrt, und die Seele tritt dann wieder in ihre alten Fleischbande zurück und erinnert sich an nichts, was mit ihr in dem verzückenden Schlaf ihres Leibes vor sich gegangen ist. Sie weiß kein Jota von all dem Weisen, was sie geredet hat durch des Fleisches Mund, und ist dann für sich wieder so dumm und abergläubisch, wie sie früher war.

8. Dieses diene euch als ein Beweis, daß im Grunde keine Seele so verdorben werden kann, daß sie nimmer zu heilen wäre.

9. Freilich wird bei so mancher Seele eine geraume Zeit entweder hier und noch mehr jenseits erforderlich sein, bis sie jene selbständige, gesunde Festigkeit erreichen wird, die dazu erforderlich ist, um den Urlebenskeim in sich vollends zu erwecken und sich vom selben in allen Teilen durchdringen zu lassen. Aber diesen Lebensakt sich als unmöglich und nie erfolgbar zu denken bei einer Seele, die im Grunde und Boden schon gänzlich verdorben zu sein scheint, wäre eine ebenso grobe Sünde gegen die Liebe und Weisheit Gottes, wie die als verdammt geglaubte Seele in sich selbst als ein Auswurf der Hölle erscheint und vor den richtenden Weltaugen als ein bergegroßer und dichter Sündenknäuel dasteht.“

36. Kapitel. Seelenkrankheiten und ihre Behandlung.

1. (Der Herr:) „Darum sollet ihr die Menschen nicht richten, auf daß ihr dadurch am Ende nicht zu Richtern über euch selbst werdet!

2. Wäre es denn nicht eine allerunmenschlichste Torheit, einen leiblich kranken Menschen deshalb richten und über ihn eine gewissenlose Strafe verhängen zu wollen, weil er krank und elend geworden ist?! Eine um wie vieles größere und um gar vieles unmenschlichere Torheit aber ist es erst dann, so ihr einen seelenkranken Menschen darum richtet und verdammet, weil seine Seele aus den früher angeführten Gründen schwach und krank geworden ist!

3. Ihr nennet solche Menschen nach euren Gesetzen und Bestimmungen Verbrecher und unterziehet sie der unerbittlichen, harten Strafe; was tuet ihr aber dadurch? Ihr strafet eine Seele, weil sie im Grunde ohne ihr Verschulden krank geworden ist! Fraget euch selbst, wie sich vor Gott eure Gerichte ausnehmen müssen.

4. Frage dich aber selbst, du Mein menschenfreundlicher Cyrenius, was du ohne Mich mit den fünf Hauptverbrechern als oberster Richter Roms und als Gewaltträger über Leben und Tod gemacht haben würdest!? Siehe, du hättest dir die ruchlosen, argen Taten vorerzählen lassen und endlich alle fünf dem Kreuzestod übergeben! Wäre es dir je in den Sinn gekommen, zu denken, daß hinter diesen fünfen solche Geister zu Hause sein könnten? O nein! Das wäre dir nimmer in den Sinn gekommen!

5. Du hättest, ganz ergrimmt über ihre Untaten, sie mit dem kältesten Blute von der Welt zum Tode verurteilt und würdest dabei noch der beruhigenden Meinung geworden sein, Gott und der Menschheit einen guten Dienst erwiesen zu haben! Welchen Schaden aber hättest du der Menschheit bereitet, solche Geister von der Erde vertilgt zu haben, die nun als vollkommen geheilt – seelisch und leiblich – den Menschen der Erde wie Frühlingssonnen leuchten und viele tausendmal tausend Menschenherzen zum Guten und Wahren erwärmen und beleben werden! Von jetzt an wirst du freilich wohl anders verfahren; aber früher wärest du unerbittlich gewesen!

6. Und siehe, so steht es mit allen weltlichen Gerichten auf der lieben Erde! Für die leiblichen Krankheiten und Gebrechen finden sich Ärzte und bereiten allerlei Arzneien; nur für die Krankheiten der armen Seelen gibt es keine anderen Ärzte und Arzneien als zuerst ein ganzes schweres Buch voll der oft schwerst zu haltenden Gesetze – und hinter den Gesetzen das richtende Schwert!

7. Wäre es denn nicht feiner, klüger und menschlicher, mehr Ärzte und Arzneien für krank gewordene Seelen als für deren Leiber zu errichten, die in kurzer Zeit eine Speise der Würmer werden?!

8. Daß da eine weit gediehene Seelenkrankheit schwerer zu heilen ist denn so manche des Leibes, das weiß Ich wohl am besten; aber keine ist völlig unheilbar, während es doch für jeden Leib endlich eine letzte Krankheit gibt, für deren Heilung auf der ganzen Erde kein Kraut gewachsen ist! Und doch tut ihr Menschen des Verkehrten so viel!

9. Für den morschen, total sterblichen Leib errichtet ihr Heilanstalten über Heilanstalten, Apotheken und Bäder, Salben und Pflaster und heilsame Getränke; aber für die unsterbliche Seele habt ihr noch nicht auch nur eine Heilanstalt errichtet!

10. Du sagst bei dir im Herzen nun freilich wohl: ,Wie wäre das ohne Dich, o Herr, möglich gewesen?! Wo hätten wir es hernehmen sollen und von wem es erlernen?!‘ Das ist allerdings wahr, – diese Kenntnis verlangt freilich wohl ein tieferes Erforschen der gesamten Menschennatur, als bloß aus der alten Erfahrung zu wissen, was für ein Kräutersaft die Beschwerden eines überschoppten Magens am ersten heilt; aber die unsterbliche Menschenseele ist es auch wert, daß man sich um ihre mannigfache Beschaffenheit ein wenig mehr kümmert als um die Beschaffenheit eines aus Fraßsucht überfüllten Magens!

11. Es sind aber wohl zu allen Zeiten auch wahre, von Gottes Geist erfüllte Seelenärzte in diese Welt gesandt worden und haben den rechten Weg zur Heilung der Seelen gepredigt. Manche haben sich daran gekehrt und wurden auch unfehlbar geheilt; aber die sogenannten Großen und Mächtigen der Erde hielten sich ohnehin für ganz seelengesund, mißachteten die von Mir auf die Erde gesandten Seelenärzte, verfolgten sie am Ende und verboten ihnen, das Heilwerk für kranke Seelen zu betreiben, – und so geschah es immer durch der Erde Große und Mächtige, daß die Gnadenlehre zur Genesung der kranken Seelen bei den Menschen nie diejenigen Wurzeln fassen konnte, durch die sie dann zu einem vollkräftigen Heilbaum erwachsen wäre.

12. Und ist irgendwo auch ein ganz gesunder und kräftiger Same gelegt worden, so wußten die selbstsüchtigen und herrschgierigen Menschenkinder dieser Erde den Baum so lange zu putzen, ihm die ihnen überflüssig scheinenden Äste und Zweige zu nehmen und ihm die notwendige Rinde so lange abzuschaben, bis der ganze Baum endlich verdorren mußte. Und so ist denn auch für die Heilung der kranken Seelen bis zur Stunde keine andere Heilanstalt als allerschärfste Gesetze, Arreste, Untersuchungsgefängnisse, erschreckliche Strafkerker, das scharfe, allerunbarmherzigste Schwert und allerlei qual- und martervolle Hinrichtungs- und Tötungsinstrumente errichtet und brauchbar hergestellt worden. Es sind das Produkte von zwar auch lauter kranken, aber starken Seelen; denen muß vor allem geholfen werden, so es mit der Heilung der kleinen, schwachen und untergebenen Seelen zu irgendeinem glücklichen Erfolg auf dieser Erde noch kommen soll.“

37. Kapitel. Von Seelenheilanstalten und Seelenärzten.

1. (Der Herr:) „Ich habe ebendarum Selbst auf diese Erde kommen müssen, um für alle kranken Seelen eine bleibende und für alle Zeiten wirksame Seelenheilanstalt zu errichten, weil die Menschen eine solche nimmer zustande gebracht haben würden.

2. Aber es wird noch, alles dessen ungeachtet, stets schwer gehen mit der bleibenden Errichtung einer in Rede stehenden Heilanstalt für kranke Seelen, weil gewisse Menschen sich dadurch in ihren Scheinweltrechten werden beeinträchtigt zu fühlen anfangen.

3. Die Selbst- und Weltliebe, die ein Hauch der Hölle in des Menschen Brust ist, wird da immer sich dagegen sträuben und von ihrer argen Krankheit nicht geheilt werden wollen und wird nicht lassen von ihren Weltmitteln, als da sind die schwer zu erfüllenden harten Gesetze, deren Gerichte und Strafen.

4. Aber dennoch werden nach Mir allenthalben stets viele sein, bei denen diese Meine nun errichtete Seelenheilanstalt bleiben wird für viele, die sie werden benützen wollen. Zwar werden solche echten Heilanstalten um Meines wahren und lebendigen Namens willen von den zwar weltlich mächtigen, aber in sich erzkranken Seelen manches und oft vieles zu erdulden haben; aber Ich Selbst werde sie zu schützen wissen!

5. Sollten jedoch zu selbstwillig arg krank gewordene Weltmenschenseelen aus einem förmlichen Wahnsinn eine und die andere Seelenheilanstalt ganz zugrunde zu richten beabsichtigen, so werde Ich sie dann schon durch ein zweckdienliches außerordentliches Gericht zu ergreifen und ihre Seelenheilung in jenseitigen Heilanstalten zu verordnen verstehen, wo bis zur nur sehr langsam vorwärtsschreitenden Heilung viel Heulens und Zähneknirschens vernommen werden wird!

6. Schon auf dieser Welt schmeckt eine sehr wirksame Leibesarznei gewöhnlich sehr bitter; aber noch bitterer werden die jenseitigen Seelenheilungsarzneien schmecken, weil sie sehr kräftig sein müssen, um eine gefährlichst kranke Seele sonach dort zu heilen, weil für sie hier keine Heilung mehr möglich war. Ja, geheilt werden sie wohl werden, aber lange und sehr verzweifelt bitter wird es hergehen! Darum wohl dem, der seine Seele in diesen irdischen Heilanstalten gesund machen wird!

7. Aus allen den bisher angezeigten Gründen aber seid ihr mächtigen Richter wahre Seelenärzte in aller Zukunft, und richtet über jede kranke Seele ein rechtes Gericht zu ihrer Heilung und nicht zu ihrer noch größeren Verkümmerung!

8. Wahrlich, um wieviel ihr durch ein eigens selbst seelenkrankes Gericht eine ohnehin schon äußerst kranke Seele noch kränker gemacht habt, um ebensoviel werdet ihr selbst an eurer Seele elender und kränker werden, und es wird drüben eure Heilung dann eine um sehr vieles bitterere als die der von eurem bösen Gericht noch elender gewordenen Seele! Denn solch eine Seele ist und bleibt trotz eures bösen und unsinnigen Gerichtes dennoch einfach krank und wird auch jenseits mit einer einfachen Heilung wiederhergestellt werden können; eine unsinnige Richterseele aber wird nach jedem ungeratenen und bösen Gericht stets einmal ins Doppelte in jener Seele Krankheit verfallen, die sie arg gerichtet hatte, und wird dadurch auch ihr höchst eigenes Grundseelenübel notwendig ums Doppelte erhöhen. Daß es dann jenseits mit der Heilung solch einer höchst elend und krank gewordenen Richterseele auch höchst bitter und langwierig hergehen wird, läßt sich bei nur einigem Nachdenken leicht von selbst verstehen!

9. So du als ein ungeschickter Arzt selbst krank zu einem sehr gefährlich Kranken verlangt wirst, und du gehest des Gewinnes wegen dahin und gibst ihm in deiner Ungeschicktkeit eine Arznei, die ihm nicht hilft, sondern hie und da noch elender macht, – welchen Nutzen hast du davon?! Denn hast du ihm nicht geholfen, so bekommst du auch keinen Lohn – wie es bei euch Sitte ist –; du bist aber dabei auch noch von des gefährlich Kranken Übel angesteckt worden und hast nun erstens keinen Lohn und zweitens an dir selbst statt einer einfachen eine doppelte Krankheit zu bestehen!

10. Wenn nun an deiner Stelle ein kluger Arzt kommt, wird er nicht deinen früheren Kranken mit einer tauglichen einfachen Arznei heilen, während er bei dir, weil du nun von zwei Übeln behaftet bist, auch sicher eine doppelte Arznei wird in Anwendung bringen müssen, um dir möglicherweise zu helfen?! Und solche doppelte Arznei wird in deinem leidigen Fleische auch sicher wenigstens eine doppelt so große Revolution bewirken als die einfache bei deinem früher behandelten nur einfach Kranken.“

38. Kapitel. Wahre Gerechtigkeit.

1. (Der Herr:) „Ich meine, daß dieses euch nun klar sein dürfte, und so führe Ich das Wort weiter und sage: Es ist damit nicht an dem, als solltet ihr darum nun, weil Ich solches zu euch geredet habe, alle Gefängnisse und Verwahrungsorte, die dennoch ein notwendiges Übel gegen das große Übel sehr kranker Seelen sind, zerstören und zerbrechen alle Fesseln und alle Schwerter; o nein, das soll damit gar nicht gesagt sein! Denn sehr ansteckend kranke Seelen müssen sogar sorgfältig von den gesunden abgesondert und so lange in Gewahrsam gehalten werden, bis sie von Grund aus geheilt sein werden.

2. Aber nicht euer Zorn und euer Rachegefühl halte sie in festen Gemächern in Gewahrsam, sondern eure große Nächstenliebe und die damit engst verbundene innigste Sorge um ihre mögliche gänzliche Heilung! Wird es euch der rechte Geist der Liebe anzeigen, daß bei einem oder dem andern Schwerkranken eine bitter schmeckende Arznei vonnöten ist, so enthaltet sie ihm nicht vor, weil das ein sehr unreifes und unzeitiges Erbarmen wäre! Aber nur in der wahren Liebe müsset ihr dem Schwerkranken eine bittere Arznei verabreichen, so wird sie ihm auch sicher die erwünschte Heilung verschaffen, und ihr werdet dann viel des Segens über euch bekommen!

3. Die Arznei, die Ich anfangs am Abend den fünfen verordnete, war sicher nicht süß und fein schmeckend; aber Meine große Liebe zu ihnen erkannte sie für unvermeidbar nötig zu ihrer völligen Heilung, und so war jene bittere Arznei auch ein höchster Akt Meiner Liebe zu ihnen. Sie wurden am Morgen dadurch von allen Übeln um so leichter geheilt, und sie sollen reden, ob Mir einer wegen der genossenen bittern Arznei gram sein kann!

4. Aber so jemand, nur durch Zorn und Rachedurst geleitet, den vermeintlichen Verbrecher auf die unbarmherzigste Art quält und martert, so ist er dadurch schon der vielfach größere Verbrecher und wird dereinst auch desto mehr des Bittersten zum Verkosten bekommen.

5. Mit welchem Maße ihr ausmesset, mit demselben Maße wird es euch dereinst wiedervergolten werden! Wer mit wahrer Liebe mißt, dem wird es auch also zurückgemessen werden; wer aber in Zorn und Rache mißt, dem wird dereinst zu seiner Heilung ganz dieselbe Arznei im sehr verdoppelten Maße wiedergereicht werden, und er wird nicht um eine Sekunde eher aus der jenseitigen bittersten Anstalt entkommen, als bis jede harte Fiber an seiner Seele weiß und weich wie Wolle gemacht worden ist!

6. Ich habe euch nun die durchgängig wahre Natur und Beschaffenheit des Menschen gezeigt, und ihr möget nun nicht mehr sagen: ,Solches haben wir nicht gewußt!‘ Da ihr solches nun aber wohl kennet und wisset, so handelt auch danach und lehret solches auch diejenigen, die unter euch stehen und bis jetzt als selbst Kranke nicht wissen, was sie tun, so werdet ihr als wahre und gesunde Mitarbeiter an Meinem Reich auf dieser Erde im rechten und besten Maße tätig sein, und Mein Wohlgefallen wird euch begleiten auf allen euren Wegen und Stegen; werdet ihr aber irgendwo wieder nach eurem alten Sinne arbeiten, da denket, daß eure Seele wieder von einem Übel befallen ist, und bittet dann, daß Ich sie davon heile und ihr nicht verfallet in ein doppeltes Selbstleiden!

7. O ihr, die ihr richtet und mit euren Urteilen die armen kranken Seelen noch kränker machet, als sie ehedem waren, bedenket doch ernstlich, was ihr seid und sein sollet der Wahrheit gemäß, und was ihr tun sollet der Ordnung Gottes zufolge! Ihr Richter und Obergewaltträger über die Schwäche der Völker, die am Ende doch wieder auch alle eure Gewalt, Macht und Ansehen sind, sollet wahre Väter eurer Völker sein, und als solche sollet ihr sehr um die volle Gesundheit der euch anvertrauten vielen Kinder und mit aller Liebe und wahrer väterlicher Sorgfalt um deren Seelenwohl bekümmert sein! Leibesärzte brauchet ihr nicht zu sein – aber um desto mehr wahre Seelenärzte!

8. So ihr aber eure Kinder sehet, wie sie öfters eure elterlichen Gebote nicht beachten und sich dann und wann auch recht stark an ihnen versündigen, würde es euch wohl anstehen, so ihr darum ein und das andere Kind gewisserart zum abschreckenden Beispiele martern und am Ende gar ans Kreuz hängen ließet?! Dies kann vielleicht einmal ein herrschsüchtigster Vater getan haben; doch viele Beispiele derart wird die Welthistorie nicht aufzuweisen haben! Ihr besseren Eltern aber werdet eure fehlenden Kindlein wohl wenigstens scheinernstlich zurechtweisen und im dringendsten Falle sie auch mit der heilsamen Zuchtrute strafen. Werden sich die Kinder darauf bessern, so werdet ihr sicher eine große Freude daran haben; denn eine rechte Lust wird es für euch sein, eurer Kinder Seelen frisch und gesund vor euch zu sehen.

9. Also seid ihr mächtigen Richter auch gegen alle Menschen, und eurer Freuden wird nimmer ein Ende sein! Denket euch an die Stelle derer, die euch billigermaßen gehorchen müssen und annehmen und beachten eure Gesetze! Würde es euch nicht wohl tun, so sie als eure Richter mit euch barmherzig wären und möglichst schonend mit euch verführen?! Was ihr vernünftigerweise wünschen könnet, daß sie euch tun möchten, so ihr mit kranken Seelen vor ihnen stündet, das tut ihr auch ihnen, so sie mit ihren kranken Seelen vor euch stehen!

39. Kapitel. Das ewige Grundgesetz der Nächstenliebe.

1. (Der Herr:) „Siehe, in dem liegt die praktische Erklärung aller Gesetze Mosis und alle Weissagung aller Propheten: Liebet Gott als euren ewigen Vater über alles und eure armen und vielfach kranken Brüder und Schwestern aber unter allen Umständen wie euch selbst, so werdet ihr als wahre, seelengesunde Kinder des ewigen Vaters im Himmel ebenso vollkommen sein, wie Er Selbst vollkommen ist, – wozu ihr eigentlich berufen seid! Denn wer da nicht so vollkommen wird wie der Vater im Himmel vollkommen ist, wird nicht zu Ihm kommen und speisen für ewig an Seinem Tische.

2. Siehe nun, du Mein Cyrenius, in dem hast du alles, was du ehedem als ein schwer besiegbares Übel der Welt ansahst! Freilich wohl ist die in der Welt unter den Menschen eingerissene Lüge schwer zu bekämpfen, weil sie eine schwere Grundkrankheit der Seele ist; aber mit der Lüge kann man durch die Wahrheit, die aus der Liebe so wie das Licht aus der Flamme hervorgeht, leicht fertig werden. So du aber nur des Lichtes benötigest, um ein finsteres Gemach zu beleuchten, wird dich jemand als weise preisen, so du gleich lieber das Gemach in Flammen setzest und es dadurch zerstörst? Darum soll Mein Wort und Meine Lehre nicht mit dem Schwerte weiterverbreitet werden!

3. Wenn du jemand, der von einer Wunde geplagt wird, heilen willst, so mußt du ihm neben der zu heilenden Wunde nicht eine frische und noch zehnfach ärgere schlagen; denn so du das tun würdest, da wäre es besser, du hättest dem Verwundeten die alte Wunde ungeheilt gelassen!

4. Wahrlich, wer Mein Wort und Meine Lehre mit dem Schwerte in der Hand verbreiten wird, der wird für seinen Eifer keinen Segen von Mir überkommen, sondern selbst in die größte Finsternis hinausgestoßen werden! Wenn du ein Gemach mit reinen Öllampen zur Nachtzeit erleuchtest, so werden alle, die darin sind, ein erfreuliches Licht haben; zündest du aber das ganze Gemach an, so werden alle dir zu fluchen anfangen und dich fliehen wie einen wütenden Narren.

5. Wer da predigt zur Heilung der Seelen, der führe wohl ein vernehmliches, aber dabei dennoch sanftes Wort und schreie nicht wie ein Rasender, der vor Wut und Grimm schäumet; denn ein vor Wut schäumender Mensch bessert niemanden mit seinem wilden Geschrei! Er macht entweder, daß ihn die Zuhörer verspotten und verlachen und, treibt er es mit seinem Geschrei noch ärger, am Ende gar mit Knütteln und Fäusten aus der Gemeinde stoßen.

6. So rede auch niemand zu seinem Bruder ein versöhnlich Wort, so er in der eigenen Brust den Stachel des Ärgers fühlt; denn am Ende überredet er sich in seinem ärgerlichen Eifer selbst, wird erbost und hat dadurch seinen Bruder nicht nur nicht zur Versöhnlichkeit umgewandelt, sondern nur noch mehr zum Gegenteile gereizt und den sich vorgestellten guten Zweck in einen weiten Hintergrund zurückgedrängt!

7. Ja, ihr sollt bei der Verbreitung Meiner Lehre stets nur ein freundliches Gesicht machen; denn mit Meiner Lehre kommet ihr ja mit einer freundlichsten und freudenreichsten Kunde aus den Himmeln zu den Menschen und müsset sie ihnen auch mit der freudigsten und freundlichsten Gebärde verkünden!

8. Was würde dir aber jemand sagen, zu dem du kämest und ihn einlüdest zu einem Freudenmahle, die Einladung aber folgendermaßen von dir gäbest: ,Höre, du nicht werter, von Gott verfluchter Sünder! Ich hasse dich zwar deiner Sünden und der Gerechtigkeit Gottes wegen, komme aber dennoch und fordere dich mit all den mir zu Gebote stehenden Gewaltmitteln auf, zu meinem Freudenmahle um so gewisser zu kommen, als ich widrigenfalls dich für immer verfluchen und verdammen würde; kommst du aber, so sollst du wenigstens für den Freudentag meiner Gnade und meines Wohlwollens versichert sein!‘

9. Sage Mir, was der Eingeladene zu solch einer Einladung für ein Gesicht machen würde, und ob für ihn das anberaumte Freudenmahl wohl auch ein Freudenmahl sein würde! Ich meine, für solch eine Einladung wird sich jeder noch so dumme Mensch bedanken! Er wird wohl, so er sich schwach fühlt, kommen, um damit die angedrohten üblen Folgen von seiner Haut abzuwälzen; fühlt er sich aber stark genug, so wird er den groben Einlader ergreifen und ihn aus seinem Hause werfen. Und daß er solch eine Einladung sicher nicht annehmen wird, läßt sich leicht von selbst verstehen.

10. Ebendarum ist bei der Ausbreitung Meiner Lehre, die auch eine wahre Freudenmahlseinladung aus den Himmeln ist, das vor allem zu beachten, daß alle die, welche Meine Lehre unter den Menschen der Erde ausbreiten werden, als wahre Boten aus den Himmeln voll Freundlichkeit und Liebe unter den Menschen auftreten und also das Evangelium verkünden. Denn etwas überaus Erfreuliches und Gutes kann man ja doch nicht mit einer wie vom jähsten Zorne entbrannten Gesichtsverzerrung verkünden. Und täte jemand das, so wäre er entweder ein Narr oder ein Possenreißer und als solcher gänzlich untauglich zur Ausbreitung Meines Wortes. – Hast du und auch ihr andern alle dies von Mir nun Gesagte wohl treulich verstanden?“

11. Sagt Cyrenius, ganz zerknirscht von der Wahrheit solcher Meiner Ermahnung: „Herr, Du allein Wahrhaftiger, ich habe das alles wohl verstanden, und was mich betrifft, so werde ich mich in allem und jedem streng danach halten! Natürlich kann ich für alle andern keine Bürgschaft geben; aber ich meine, daß sie Dich alle so gut wie ich verstanden haben. Zugleich aber sehe ich es nun ein, wie groß und wie oft ich mich bei meinem möglichst besten Wissen, Gewissen, Willen und Wollen an der Menschheit allergröblichst versündigt habe! Wer wird solche meine Sünden wieder gutmachen an jenen, gegen die ich gesündigt habe?“

12. Sage Ich: „Darum sorge dich nimmer, sondern nur um das Künftige! – Nun aber wird gleich etwas Neues kommen!“

40. Kapitel. Der Somnambulismus und seine Anwendung.

1. Tritt näher zu Mir Kornelius und sagt fragend: „Herr, Du hast nun im Verlaufe Deiner übergöttlichen Rede und Lehre davon eine Andeutung gemacht, wie ein geistig vollendeter Mensch einem andern die Hände auflegen könnte, und dieser andere würde darauf alsbald in einen Verzückungsschlaf geraten und mit gesunder Seele weise Reden von sich geben, – und wäre er sonst ein noch so blinder und vollends dummer Mensch! Wenn ich doch nur den Vorgang einer solchen Behandlung sehen könnte, so wüßte ich dann, wie solch ein heilsamer Versuch an jemand vorzunehmen ist, so es irgend nötig wäre. Wenn man aber in der Behandlungsweise ein Laie ist, da kann man selbst bei bestem Willen nichts unternehmen und somit auch nichts zustande bringen. – Möchtest Du mir darüber etwas Näheres anvertrauen?“

2. Sage Ich: „O ja, recht gerne, weil dieser Akt zur Herstellung der verlorenen leiblichen und auch seelischen Gesundheit ein unbedingt notwendiger ist! Denn einmal lindert schon das pure Auflegen der Hände selbst den heftigsten Leibesschmerz, und dazu ergibt sich zumeist als Folge, daß der Mensch, dem du die Hände festgläubig aufgelegt hast mit dem starken Willen, ihm zu helfen, hellsehend wird und sich dann selbst eine taugliche Arznei bestimmen kann, die, nach seiner Vorschrift angewendet, ihm die volle Heilung bringen muß. Natürlich, wenn irgend, wider seine Vorschrift, sich widrige Fälle ereignet haben, da wird es mit der vollkommenen Heilung nicht gut gehen; ist aber die Vorschrift in ungestörter Behandlung geblieben, so erfolgt die volle Heilung ganz sicher.

3. Wenn aber bei dieser Heilbehandlung irgendeine menschliche Person in den weissagenden Schlaf gekommen ist, da soll sie nicht durch allerlei unnütze Fragen gestört und geschwächt werden, sondern nur um das gefragt werden, was da notwendig ist.

4. Wer aber jemand die Hände auflegt, der muß das in Meinem Namen tun, ansonst seine Behandlung keinen Nutzen brächte und nichts bewirkte.

5. Es gehört ein fester, unerschütterlicher Glaube und ein ebenso unerschütterlicher, fester Wille dazu.

6. Aus des Herzens tiefstem Grunde muß solch eine Bestrebung rühren und muß aus der wahren Nächstenliebe ausgehen, dann erfüllt solche Kraft der Liebe die Hände des Handauflegers, und sie dringt dann durch dessen Fingerspitzen und fließt wie ein sanfter Tau in die Nerven des Kranken und heilt den oft stechenden und oft brennenden Schmerz.

7. Das aber ist wohl zu merken, daß mehr dazu gehört, einen Mann in den Verzückungsschlaf zu versetzen denn ein Weib! In gewissen Fällen könnte auch ein Mann von einem Weibe in den Verzückungsschlaf versetzt werden; dem frommen Weibe aber gelänge solche Behandlung nur mit Hilfe eines ihm zur Seite stehenden, unsichtbaren Engels, den es sich dienstbar machte durchs Gebet und des Herzens Reinigkeit.

8. Solche frommen Weiber würden besonders den oft schwer und mit großen Schmerzen Gebärenden eine große Linderung verschaffen. Dies wäre besser, als daß gewöhnlich die Wehemütter nach Bethlehem reisen und dort die Kunst erlernen, wie einer Gebärenden beizustehen ist, wobei ein ganzer Haufe von allerlei abergläubischen Mitteln, die stets mehr schaden als nützen, in die dümmste Anwendung gebracht wird.

9. Welche höchst dummen und lächerlichen Zeremonien werden oft besonders bei den Erstgeburten vorgenommen! Wird ein Mägdlein zuerst geboren, dann müssen allerlei dumme Klagelieder angestimmt und es muß drei Tage lang jämmerlich geseufzt und geplärrt werden. Wird ein Knäblein geboren, so müssen Kälber und Lämmer geschlachtet und Semmeln gebacken werden und müssen alle Sänger, Pfeifer und Geiger zusammenkommen und einen ohrenzerreißenden Lärm machen den ganzen Tag hindurch, was der Gebärenden eine Linderung ihrer Geburtswehen verschaffen soll! Also – statt solcher Dummheiten wäre die vorerwähnte Geburtshilfe doch sicher sehr am Platze!“

10. Sagt Kornelius: „Na und ob! Aber kommt ein Weib zu solch einer Frömmigkeit?“

11. Sage Ich: „Ganz leicht! Zuerst gehört eine gute Erziehung dazu, und dann ein gründlicher Unterricht einer vollreif gewordenen Jungfrau! Aber der Unterricht darf einer noch so reifen Jungfrau nicht vor der erprobten wahren Frömmigkeit des Herzens erteilt werden.

12. Aber auch Männer können durchs Händeauflegen einer Gebärenden beistehen und ihr eine große Linderung verschaffen!“

41. Kapitel. Leibliche und geistige Reinlichkeit. Fernheilung.

1. Sagt der danebenstehende und auf alles aufpassende Stahar: „Würde aber so etwas den Mann nicht auf einen ganzen Tag verunreinigen nach den Vorschriften Mosis?“

2. Sage Ich: „Von nun an kann dich nichts verunreinigen als arge und unlautere Gedanken, Begierden und Wünsche, böser Leumund, Lüge und Ehrabschneidung, Verkleinerung und Verleumdung. Das sind Stücke, die den Menschen verunreinigen; alles andere verunreinigt den Menschen entweder gar nicht oder höchstens nur äußerlich an der Haut, und dafür hat er Wasser genug, um sich von einer äußeren Unreinheit zu säubern.

3. Moses hatte solche Vorschriften den Juden auch nur hauptsächlich wegen ihres großen Hanges zur Unreinheit in allen ihren äußeren Dingen gegeben; denn Menschen, die schon äußerlich zu ordentlichen Schweinen werden, werden es auch dann um so leichter im Herzen. Darum hatte Moses den Juden ganz besonders die äußeren Reinigungen anbefohlen.

4. Aber die eigentliche Reinigung der Menschen geschieht erst durch eine wahre Buße, durch die Reue über eine begangene Sünde an seinem Nächsten, durch den ernsten Vorsatz, nicht mehr zu sündigen, und durch die sohin vollkommene Besserung des Lebens.

5. Erfolgt solches nicht, so möget ihr hunderttausend Böcke mit Blut besprengen, verfluchen, und statt eurer Sünden in den Jordan schmeißen, so bleiben eure Herzen und Seelen vor Gott noch ebenso unrein und unlauter, wie sie zuvor waren! Mit dem Wasser reinigt man den Leib und mit einem festen, guten und Gott in allem ergebenen Willen Herz und Seele; und wie das reine, frische Wasser des Leibes Glieder stärkt, so stärkt ein Gott ergebener, fester Wille das Herz und die Seele.

6. Solche gestärkten Seelen können dann einem Kranken in Meinem Namen auch geistig, in die weiteste Ferne hin, die Hände auflegen, und es wird besser mit ihm werden.

7. Wer aber noch schwächer in der Vollendung seines Herzens und seiner Seele ist, der nehme zu den früher in Meiner Hauptrede angedeuteten Strichen seine Zuflucht, und er wird einem Leibeskranken auch eine große Linderung seiner Leiden verschaffen. Er wird ihn auch in den verzückenden Schlaf bringen, und der Behandelte wird im Schlafe weissagen, was ihm helfen kann. Das Geweissagte muß dann sorglichst angewendet werden, und es wird in einer Zeit dann auch besser mit dem Kranken werden, – aber freilich wohl so schnell nicht, als so ein geistig vollendeter Mensch ihm die segensreichen Hände aufgelegt hätte, allwo die Heilung augenblicklich bewirkt werden kann und mag.

8. So kann sich jeder überzeugen, daß im verzückenden Schlafe auch die sonst dümmste Seele sogar eines Kindes weissagen kann, weil sie für den Moment mit ihrem allergeistigsten Lebenskeime in Verbindung gesetzt wird. Wird nach dem vergangenen Entzückungsschlafe der innerste Lebenskeim wieder in seine Ruhestätte gebracht, so erwacht die Seele wieder in ihrem Fleische, und von all dem Geschehenen und aus sich selbst Gesprochenen weiß sie dann gar nichts. Das aber bezeugt eben, daß nirgends irgendeine Seele so sehr verdorben sein kann, daß sie nicht mehr zu heilen wäre.“

42. Kapitel. Jesus kündigt ein praktisches Beispiel des Somnambulismus an.

1. (Der Herr:) „Auf daß ihr aber das auch praktisch sehet, werde Ich nun veranlassen, daß aus Cäsarea Philippi so ein recht dummer und kreuzarger Mensch ankommen wird. Dieser soll von einem aus euch also behandelt werden, und ihr werdet es sehen und hören, in welch eine verwunderungswürdige Weisheit der dumme und arge Mensch im Verzückungsschlafe übergehen wird. So er aber dann wieder erwachen wird, da wird er gleich wieder derselbe arge und dumme Mensch sein, der er zuvor war, und wir werden zu tun haben, ihm auf dem natürlichen Wege nur einigermaßen hellere Begriffe von Gott und den Menschen einzuhauchen.“

2. Sagt Cyrenius: „Herr! Da freue ich mich schon wieder überaus darauf; denn da wird sich wieder sehr viel erfahren und lernen lassen! Ist besagter Mensch etwa schon auf dem Wege hierher?“

3. Sage Ich: „Jawohl; er sucht dich und wird dich höchst plump um eine Unterstützung angehen, weil er bei Gelegenheit des Brandes eine Hütte, zwei Schafe, eine Ziege und einen Esel eingebüßt hat. Er erfuhr aber, daß du dich hier aufhältst und den Beschädigten Hilfe zukommen läßt, und der sonst recht arge und dumme Mensch hat sich darum auf den Weg gemacht, um von dir seinen erlittenen Schaden wieder ersetzt zu bekommen. Aber er ist eigentlich, wennschon ein armer Tropf, so stark geschädigt nicht; denn die zwei Schafe hat er zwei Tage zuvor, ehe der Brand entstand, einem andern gestohlen, und den Esel und die Ziege aber hat er schon vor einem Jahre auf dieselbe Weise in seinen Besitz gebracht.

4. Du siehst also schon aus dem dir nun Kundgegebenen, daß unser neuer Ankömmling ein ziemlich arger Schelm, dabei zugleich aber dennoch auch recht blitzdumm ist, was bei solchen Menschen von der tierisch blinden Habgier herrührt. Er hätte seine Hütte samt seinen Habseligkeiten ganz leicht retten können; aber während des Brandes schlich er stets überall herum, um auf einem ungesetzlichen Wege sich so manchen Fund zuzueignen. Nun, er fand aber nichts, und als er ganz verdrießlich nach Hause kam, fand er seine Hütte in den schönsten Flammen, und seine vier Tiere waren bereits bis auf die Knochen verbrannt.

5. Bis heute jammerte er um seine Hütte; als er aber vor einer Stunde in die Erfahrung brachte, daß du aus obangezeigten Gründen hier verweilest, da hat er sich nach nicht gar zu langem Bedenken entschlossen, hierher nachsehen zu kommen, ob du wirklich hier seist, und ob du auch wirklich Beschädigungen vergütest.

6. Damit du nun zum voraus weißt, mit was für einem Menschen wir hier ganz bald zu tun bekommen werden, und wie du dich wenigstens anfänglich zu benehmen haben wirst, habe ich dir ihn zum voraus ein wenig gezeichnet; das Bessere wirst du hernach schon von ihm selbst in die Erfahrung bringen.“

7. Fragte Cyrenius: „Soll ich ihm wohl irgendeine Vergütung zukommen lassen?“

8. Sage Ich: „Vorderhand nicht, denn da mußt du ihm ganz echt römisch auf den Zahn fühlen; erst nach der Behandlung, wenn er etwas Menschlicheres annehmen wird, wird sich das andere finden lassen! Zinka aber soll die Behandlung an ihm vornehmen; denn er besitzt die meiste Kraft dazu. Ich werde zum voraus dem Zinka Meine Hände auflegen, auf daß er desto mehr Kraft gewinne und ihm die Behandlung besser gelinge.“

9. Zinka aber, der stets, um ja keine Silbe zu verlieren, um Mich war, trat hervor und sagte: „Herr, wie werde ich solches wohl vermögen, da ich mit der Form der Behandlung viel zuwenig vertraut bin?“

10. Sage Ich: „Lege die rechte Hand auf die Stirne und die linke auf die Magengrube, und er wird sobald in den besprochenen Schlaf versinken und auch alsbald zu reden anfangen, doch mit schwächerer Stimme als im Naturzustande! Willst du ihn dann wieder erwecken, so brauchst du bloß deine Hände in verkehrter Ordnung aufzulegen, etliche Augenblicke lang anhaltend. Gleich aber, wie er erwachen wird, ziehst du deine Hände zurück, und die Behandlung ist zu Ende!“

11. Zinka ist nun mit allem einverstanden und ist auch voll des festesten Glaubens, daß ihm alles also gelingen werde, und erwartet nun selbst sehnsüchtig seinen Mann, – fragt Mich aber dennoch, ob er die Behandlung sogleich bei dessen Ankunft vornehmen oder eines Winkes harren soll.

12. Sage Ich: „Ich werde es dir schon andeuten, wann da etwas zu geschehen hat. Vorher müsset ihr ja doch seine Dummheit und Roheit kennenlernen, das heißt, den bedeutenden Krankheitszustand seiner Seele. Wird er darin von euch hinreichend erkannt sein, so ist es dann erst an der Zeit, seine Seele im gesunden Zustande zu betrachten und daraus zu erkennen, daß von euch Menschen kein noch so verworfen scheinender Mensch zu richten und ins volle Verderben zu verdammen ist, dieweil eine jede Seele noch einen gesunden Lebenskeim in sich birgt. – Aber bereitet euch und sehet euch vor; er wird nun sogleich da sein!“

43. Kapitel. Der abgebrannte Bürger Zorel bittet um Schadenersatz.

1. Als Ich solches kaum ausgesprochen hatte, kommt unser Mann, der Zorel hieß, mit einem sehr zerstörten Ansehen, in halbverbrannte Lumpen gehüllt und einen bedeutenden Lärm schlagend.

2. Ich bedeute dem Julius, daß er hingehe und ihn frage, was er wolle, und was er hier am Nachmittage suche. Und Julius geht ganz ernsten Gesichtes hin und tut, was Ich ihm geraten habe.

3. Und Zorel stellt sich und sagt mit fester Stimme: „Ich bin ein ganz abgebrannter Bürger aus der Stadt und habe erst heute erfahren, daß sich der große Cyrenius hier befindet, um den bei dem Brande Verunglückten zu helfen durch reiche Mittel. Ich faßte denn auch Mut und kam hierher, um fürs erste zu sehen, ob Cyrenius wohl hier sei, und ob er wirklich zum Troste der Verunglückten etwas tue. Tut er etwas nach der edlen Römer Sitte, so werde auch ich meinen Weg sicher nicht umsonst gemacht haben; tut er aber aus was immer für einem Grunde nichts, na, so wird er im Nichtstun mit mir sicher keine Ausnahme machen! Sage mir darum, du edler Römer, ob Cyrenius hier ist, und ob er wohl also, wie ich's vernommen habe, Wohltaten ausübt, auf daß ich zu ihm gehe und ihn darum anflehe!“

4. Sagt Julius: „Ja, er ist hier und übt bedeutende Wohltaten aus, – aber nur an solche, die ihm eines vollkommen unbescholtenen Rufes bekannt sind! Ist bei dir das auch sicher der Fall, so wirst du nicht leer nach Hause zurückkehren! Drüben an jenem langen Tische, den die hohen Zypressen und Zedern beschatten, sitzt er nun und gibt Audienzen nach allen Seiten. Gehe hin und stelle dich ihm vor! Aber nimm dich nur fest zusammen; denn er ist so scharfsichtig wie ein Aar und hat den Charakter eines Menschen oft auf den ersten Blick heraus! Was er erkennt, ist soviel als eine beeidete Wahrheit, und wehe dem, der ihm etwas widerspricht! Er ist niemals kritischer, als wenn er Wohltaten austeilt!“

5. Zorel denkt auf diese Vorrede stark nach, was er bei so bewandten Umständen tun solle. Nach einer kleinen Weile aber entschließt er sich, doch zum Cyrenius hinzuhinken, – was eigentlich eine dumme Verstellung von ihm ist. Beim Cyrenius angelangt, macht er drei Verbeugungen, sich bis zur Erde mit dem Kopfe duckend. Als er mit dem dritten Ducker zu Ende ist, sagt er mit einer bebend kreischenden Stimme: „Hoher Herr und allergestrengster Gebieter! Ich, Zorel, gewesener Kleinbürger aus dem abgebrannten Cäsarea Philippi, bitte Eure allerhöchste römische Gestrengheit, mir armem Faune von einem verunglückten Menschen zu helfen mit etwas wenigen, selbst ordinärsten Geldes und mit etwas Kleidung, weil ich nichts denn diese Lumpen besitze.

6. Ich war der redliche Besitzer einer kleinen Hütte mit einem Grundanteile von zwei Morgen mageren Ackergrundes. Ich hatte auch ein Weib, das mir die Götter vor zwei Jahren sicher sogleich ins Elysium aufgenommen haben. Kinder hatte ich keine, wohl aber eine Magd, mit der ich noch lebe, aber auch ohne Kinder. Mein beweglicher Besitz bestand in zwei Schafen, einer Ziege und einem Esel, und in einigen schlechten Ackergerätschaften und etwas Kleidung. Alles ward, während ich mit dem Löschen anderer Häuser beschäftigt war, ein Raub der Flammen.

7. Ich bin nun, wie Hunderte mit mir, ein vollkommener Bettler; selbst meine Magd, die meine einzige Lebensstütze war, verließ mich, weil ich ihr nichts mehr geben konnte, – was ihr aber gemerket bleiben wird! Denn sollte ich das außerordentliche Glück haben, wieder zu einer Hütte und zu einem anderartigen Besitztume zu kommen, so soll sie mir nur kommen und ich werde der Losen schon den Weg vom Hause zu weisen verstehen!

8. Überhaupt werde ich in der Folgezeit meines Lebens alles, was Weib heißt, fliehen und verachten; denn es ist kein Weib etwas wert! Man sagt zwar, daß ich ein dummes Vieh sei und gar nicht verstehe, mit einem Weibe umzugehen, und mein Weib sei mir aus Gram gestorben! Wenn das der Fall gewesen wäre, da hätte ich nicht nahe ein Jahr um sie getrauert, und meine Magd wäre nicht bis zu meinem Unglücke recht gerne bei mir geblieben, obschon ich ihr keinen großen Lohn geben konnte.

9. Es ist überhaupt eine ordentliche Schande, daß auch der Mann von einem Weibe geboren sein muß; mitunter wäre es nun schon beinahe ehrsamer, so meine Leibesmutter eine Bärin gewesen wäre!

10. Wenn die Götter alles weise eingerichtet haben, so haben sie sich mit den Weibern doch eine große Blöße gegeben, die ihnen durchaus zu keiner Ehre gereicht! Aber es geschieht dem Zeus vollkommen recht, wenn ihm die Juno alle Augenblicke ein böses Wetter macht! Überhaupt scheint die ganze Götterschaft noch nicht recht ausgebacken zu sein; sonst könnte sie unmöglich mitunter so recht untermenschlich blitzdumme Streiche machen!

11. Ich bin zwar ein gläubiger Mensch und ehre die Götter wegen mancher weisen Einrichtung der Welt; aber wo sie manchmal vor Dummheit ordentlich stinken, da bin ich kein Freund von ihnen. Wäre unsere Stadt etwa abgebrannt, wenn Apollo nicht irgend wieder einen dummen Streich begangen hätte?! Er hatte sich – wie auch unsere weisen Priester allerfestest behaupten – in irgendeine so recht feinfleischige Erdnymphe vergafft, vielleicht ihr gar einen schmutzigen Besuch gemacht, ließ unterdessen den Himmelswagen mit den mutigen Rossen allein stehen, und die Juno oder die Diana haben ihm unterdessen einen Schabernack gespielt, und wir armen Faune müssen dafür das schöne Götterbad bezahlen!

12. Daß dann und wann ein Mensch schwach wird, gewöhnlich aus Mangel an hinreichenden Erfahrungen, das ist begreiflich. Was kann das schwache Rohr dafür, so es von den Winden hin und her gewehet wird?! Aber wenn die gewaltigen Zedern, als Symbole unserer lieben Götter, sich auch von den elenden Erdwinden gleich einem Rohre nach allen Richtungen, sogar nach den schmutzigsten manchmal, biegen und beugen lassen, so ist das unbegreiflich, und ein nur ein wenig nüchtern denkender Mensch muß so etwas ja notwendig für sehr dumm ansehen!

13. Gott hin oder Gott her! Handelt er weise, wie es sich für einen Gott ziemt, so ist er aller Verehrung wert; handelt er aber mitunter auch so wie ein sterblicher Mensch schwach, und wir armen Menschen kommen unverdientermaßen durch einen leichtsinnigen Götterstreich zu Schaden, so ist das auch von einem Gotte dumm, und ich kann ihn darum nicht ehren und preisen.

14. Du, hoher Gebieter und eigentlich selbst so ein bißchen etwas von einem Halbgotte, wirst nun doch einsehen, daß an meinem Unglücke rein die Götter schuld waren – und namentlich der verliebte Apollo!? Ich flehe darum zu dir, mir den Schaden zu ersetzen!“

44. Kapitel. Zorels Eigentumsbegriff.

1. Sagt Cyrenius: „Wieviel wünschest du denn hernach, daß ich dir gäbe?“

2. Sagt Zorel: „Nicht gar zuwenig, aber auch nicht gar zuviel; wenn ich nur das Eingebüßte wiederherstellen kann, so bin ich dann schon gedeckt!“

3. Sagt Cyrenius: „Kennst du auch Roms Gesetze, die den Völkern zum Schutze ihres erworbenen Eigentums gegeben wurden?“

4. Sagt Zorel: „O ja, – nicht alle zwar wie irgendein Rechtsgelehrter, aber etwelche kenne ich dennoch! Gegen die mir bekannten habe ich mich noch niemals versündigt. Eine Sünde gegen unbekannte Gesetze aber ist ohnehin eine Null!

5. Übrigens bin ich ein Grieche, und wir Griechen haben es mit den Gesetzen übers streng geschiedene Mein und Dein noch nie gar zu ernst und genau genommen, weil wir mehr für den Gemein- als für den Sonderbesitz eingenommen sind. Denn Gemeinbesitz erzeugt Freundlichkeit, Brüderlichkeit, wahre und dauernde Ehrlichkeit und Herrschlosigkeit unter den Menschen, was sicher eine sehr gute Sache ist! Der Sonderbesitz aber erzeugt stets Habgier, Neid, Geiz, Armut, Dieberei, Raub, Mord und die großartigste Herrschsucht, aus der am Ende alle Erdenqualen wie aus einer Pandorabüchse für die Menschheit hervorgehen!

6. Wenn es keine übertrieben scharfen Gesetze zugunsten des Sonderbesitzes gäbe, so gäbe es auch um vieles weniger Diebereien und allerlei Betrügereien. Ich sage und behaupte es, daß die Sonderbesitzschutzgesetze der gut gedüngte Acker sind, auf dem alle erdenklichen Laster gedeihen und zur Reife kommen, während im Gemeinbesitze weder ein Neid, eine Habgier, eine Scheelsucht, ein Leumund, ein Betrug, ein Diebstahl, Raub, Mord, noch irgendein Krieg und anderes Elend je Platz greifen können!

7. Weil ich aber die Gesetze zum Schutze des Sonderbesitzes stets als einen Greuel der Verwüstung fürs freundliche und brüderliche Zusammenleben allzeit erkannt habe und noch gleichfort erkenne, so habe ich mir – in kleinen Dingen wenigstens – nie ein besonderes Gewissen gemacht, so ich sie mir auf einem illegalen Wege habe verschaffen können; hatte sich aber jemand bei mir auf demselben Wege etwas ausgeborgt, so ist er von mir darum sicher nie verfolgt worden.

8. Meine Hütte und mein Acker sind legal mein; na, – mit dem, was sich darin als Bewegliches meines Besitztumes befand, da habe ich es aus den angeführten wahren Gründen niemals gar zu genau genommen, weil ich ein Spartaner bin. Wer Sparta und dessen alte und weiseste Gesetze kennt, dem wird es klar sein, warum ich mir aus einem kleinen sogenannten Diebstahle nie ein besonderes Gewissen gemacht habe. Die beiden Schafe, eine Ziege und mein Esel waren zwar kein gekauftes, aber eben auch nicht zu sehr gestohlenes Gut meines Besitzes; denn ich habe sie im Walde soviel wie wild weidend gefunden, zwar nicht auf einmal, aber dennoch so nach und nach. Der Besitzer jener großen Waldweiden ist auch Besitzer vieler Tausende von derlei Tieren. Den schmerzte der kleine Verlust sicher nicht, – und mir kam er äußerst gut und dienlich zustatten!

9. Damit habe ich mich an den römischen Besitzschutzgesetzen sicher nicht gar zu gewaltig versündigt, zumal ich die angeführten Tiere im großen stundenlangen und -breiten Walde als einzeln herumirrend und als für ihren legalen Besitzer ohnehin verloren aufgefunden habe! Die Nachlese ist sogar bei den Juden erlaubt, die dafür vom höchsten Gott Selbst ein Gesetz zu haben vorgeben. Warum soll sie dann bei uns Römern ein Verbrechen sein?!

10. Nur mit dem Schwerte in den Händen der Erdmächtigen, also durch die wilde Bären- und Löwengewalt, läßt sich solch ein widersinniges Sonderbesitzschutzgesetz verteidigen, mit der Vernunft niemals! Und sollten alle zehntausend Götter dafür sein, so bin ich dawider, solange ich leben werde mit der Fähigkeit, so rein zu denken, wie ich jetzt und allzeit gedacht habe!

11. Du, hoher Gebieter, hast wohl des Schwertes Gewalt und kannst mich armen Faun züchtigen nach deinem Wohlgefallen, aber die geraden Linien meiner Lebensgrundsätze wirst du mit allen Waffen Roms nimmer krummzubiegen imstande sein; hast du aber etwa andere und triftigere Vernunftgründe für streng legalen Besitz, so will ich sie anhören und meine künftige Lebensweise danach einrichten!“

45. Kapitel. Zorel muß die Wahrheit hören.

1. Sagt Cyrenius, große Augen machend, etwas geheim zu Mir: „Herr! Du hast mir ehedem die Vorbemerkung gemacht, daß der Mensch so recht dumm und arg sei, und nun redet der Mensch so in aller Ordnung als einer der ersten heidnischen Advokaten! Er hat zwar vom Judentume wenig angenommen, aber in unseren Gesetzen und in denen des alten Griechenreiches ist er so gut bewandert wie unsereiner, und es läßt sich ihm durchaus nicht viel einwenden! Ich wartete nun auf eine so recht armdicke Dummheit; aber vergebens, – er wird nur stets heller und verteidigt seinen Diebstahl auf eine Weise, gegen die sich nahe gar nichts einwenden läßt! Was wird sich denn bei so bewandten Aussichten mit ihm machen lassen?“

2. Sage Ich: „Laß das nur gut sein; er selbst wird alles, was er nun nach seiner arg dummen Idee für völlig vernünftig recht findet, auf eine schlagende Weise widerlegen! Prüfe ihn aber nun nur noch weiter; denn Mir liegt es sehr daran, daß ihr des menschlich sogenannten Mutterwitzes Gründe von denen des Verstandes so recht klar und helle würdet unterscheiden lernen!“

3. Sagt Cyrenius: „Na, da bin ich denn doch neugierig im höchsten Grade, was am Ende da herauskommen wird!“

4. Sagt Zorel, fragend: „Hoher Gebieter Roms! Was habe ich zu erwarten, und was zu gewärtigen? Bist du meiner Ansicht, oder soll ich der deinigen werden, die du aber freilich noch nicht ausgesprochen hast?“

5. Sagt Cyrenius: „Bis dahin, daß ich deinem Wunsche willfahren werde oder auch nicht willfahren werde, werden wir noch einiges miteinander zum Besprechen bekommen! Du scheinst mir ein mutterwitziger Kauz zu sein, und deine Ehrlichkeit scheint nicht weit her zu sein! Ob du die besprochenen vier Tiere gerade als schon für ihren legalen Besitzer sowieso verloren im großen Walde herumirrend oder vielleicht doch irgendwo anderwärts gefunden hast, und ob du auch deine andern Hausgerätschaften bloß nur gefunden hast, das lassen wir vorderhand dahingestellt sein. Aber ich sage dir nun etwas anderes, und das besteht darin, daß es nun hier in meiner Gesellschaft, wie in andern Orten, so hellsehende Menschen gibt, die bereits tausend Beweise von ihrer hellsehenden Fähigkeit abgelegt haben, und daß ich ihrer höchst nüchternen Aussage einen solchen Glauben beilege, daß derselbe durch hunderttausend Gegenbeweise nicht entkräftet werden kann!

6. Sieh, ein solcher Mann sagte mir, als du noch kaum die Stadt kannst verlassen haben, daß du kommen werdest, und was du von mir verlangen würdest. Ich wußte schon, bevor ich dich ersah, daß dir das Unglück begegnet ist. Du hättest es auch leicht verhüten können, so du daheim geblieben wärest; aber deine illegalen Begriffe vom schutzrechtlichen Besitze trieben dich in die Straßen der brennenden Stadt, um dir irgendwo wieder etwas auf illegalen Wegen zu eigen zu machen. Unterdessen fing deine Strohhütte Feuer, und dieses verzehrte dir schnell deine illegalen Besitztümer. Daß dich bei dieser Gelegenheit deine Magd im Kote stecken ließ, ist begreiflich, weil sie dich kennt und weiß, daß du ein Mensch bist, dem bei einer solchen Gelegenheit durchaus nicht zu trauen ist.

7. Denn so sehr du bei andern gegen den legalen Sonderbesitz bist, so willst du solchen aber in deinem Hause doch äußerst ungestört und völlig gesichert haben! Nun, das Feuer hat deinen Besitz aber illegal verzehrt, und du kannst das Element nicht zur strengsten Verantwortung ziehen, weil dir das sicher keine Rede und Antwort geben würde; aber deine Magd hättest du auf das härteste hergenommen, und sie hätte dir unter allerlei Mißhandlungen den Schaden auf Leben und Tod ersetzen müssen, weil du fest behauptet haben würdest, daß das Feuer nur durch ihre Fahrlässigkeit dir alles verzehrt hätte.

8. Sieh, das und noch anderes sagten solche Menschen über dich zum voraus aus, denen ich mehr als allen Göttern Roms und Athens den vollsten Glauben schenke! Aber in unseren Gesetzen steht ein Spruch, der also lautet: AUDIATUR ET ALTERA PARS! Und demzufolge kannst du mir einen Gegenbeweis liefern. Wende zu deiner Rechtfertigung ein, was du weißt und kannst; von mir wird alles mit der größten Geduld angehört werden!“

46. Kapitel. Zorel bittet um freien Abzug.

1. Sagt etwas nachdenkend Zorel: „Hoher Gebieter! Wenn du schon im voraus behauptest, einem deiner erprobtesten Wahrsager mehr Glauben zu schenken als hunderttausend andern Zeugen, da möchte ich denn doch wissen, wozu da eine in jedem Falle wahnwitzige Entgegnung von meiner Seite gut wäre! Gegen deinen auf was immer für Gründe basierten unwandelbaren Glauben läßt sich unmöglich mehr irgendein Gegenbeweis liefern. Zudem hast du die große Gewalt in deinen Händen! Wer könnte da mit dir zu rechten anfangen?!

2. Was nützt es mir, wenn ich dir auch allerfestest sage, daß es dennoch nicht also sei? Du wirst mir den Wahrsager vorstellen, der mir das, was du mir schon gesagt hast, noch einmal ins Gesicht sagen wird, und ich sitze dann mit meiner Gegenrede so recht in der Pfütze aller Pfützen. Kurz, mit deinem Über- hunderttausend-Menschen-Glauben ist nichts Weiteres mehr zu machen, als ihn dir ganz gutmütig gelten zu lassen; denn du wirst dem Wahrsager dennoch mehr glauben als den hunderttausend von mir dir entgegengestellten Beweisen! Ich rede bei solch einer Vorbehauptung nichts anderes mehr als: Hoher Gebieter, vergib es mir, daß ich mich dir genähert habe!

3. Übrigens bleibe ich denn doch bei meinem Grundsatze stehen, daß ein durch scharf sanktionierte Gesetze geschützter Sonderbesitz um tausend Male schlechter ist für die Menschengesellschaft als ein freier Kommunalbesitz! Meine Gründe habe ich gegen diese echte Büchse der Pandora bereits an den Tag gelegt und brauche sie sonach nicht mehr zu wiederholen. Nur das setze ich nun dazu, daß ich in der Folge ob des leidigen Muß der äußern, rohen Gewalt die Praxis meines Grundsatzes werde fahren lassen!

4. Ich sehe zwar in den Besitzschutzgesetzen kein Heil für die arme Menschheit, und im Grunde die größte Vernunftwidrigkeit; aber was kann ein einzelner, in die elendesten Lumpen gehüllter Mensch gegen hunderttausendmal Hunderttausende?! Es mögen schon durch den legalen Besitz irgend im Kommunalbesitze vorkommende Übelchen hintangehalten werden auf Grund dessen, daß jedes Schlechte auch irgend etwas Gutes mit sich bringt; aber die Hintanhaltung der Kleinübelchen steht in gar keinem Verhältnisse zu den Greueln, die aus dem unterminierten Sonderbesitze entstehen und entstehen müssen!

5. Ich habe somit ausgeredet. Etwas Gutes zu gewärtigen habe ich bei obwaltenden Umständen durchaus nicht, und so wird es besser sein, mich mit deiner gnädigen Genehmigung wieder aus dem Staube zu machen. Aber natürlich nur mit deiner Genehmigung! Denn laut den – die Götter wissen es, wie wahr aussehenden Aussagen wider mich, mit denen du von deinen Wahrsagern voll sein wirst, stehe ich als ein Verbrecher vor dir; und diese müssen ja zuvor gestraft sein, ehe sie wieder freigelassen werden. Das Gesetz muß zuvor mit dem Blute eines armen Fauns gesättigt werden, bevor ihm die Freiheit wieder erteilt wird!

6. Stehe ich als ein nach deinen Begriffen strafbarer Verbrecher vor dir, so strafe mich sogleich, und gib mir dann die Freiheit wieder – oder den Tod! Mir ist es nun einerlei, denn ich stehe nun vollkommen wehrlos vor dir; ihr Römer aber seid und bleibet trockene Gesetzesritter, und niemanden schützt seine Vernunft und seine Not vor der Rache eurer Gesetze! Sage, hoher Gebieter, darf ich, wie ich gekommen, wieder abziehen, oder muß ich hier einer über mich zu verhängenden Strafe wegen verweilen?“

47. Kapitel. Die vorbereitenden Bedingungen zur somnambulen Behandlung.

1. Sagt Cyrenius in einem zwar ernsten, aber doch menschlich sanften Tone: „Fortziehen darfst du nicht, aber wegen einer zu erwartenden Strafe auch nicht hier verweilen, sondern allein um deines Heiles willen! Am Strafen der Sünder haben wir Römer noch nie ein Vergnügen gehabt, sondern nur an ihrer wahren und vollkommenen Besserung. Kann diese ohne die scharfe Zuchtrute erzielt werden, so ist uns das allzeit um vieles lieber! Die Zuchtrute nehmen wir erst dann zur Hand, wenn alle andern Mittel nichts nützen. So wird auch niemand wegen einer einmaligen Sünde gegen das bestehende heilsame Gesetz zur strengsten Verantwortung gezogen; das geschieht erst dann, so er zum wiederholten Male dieselbe Sünde begangen hat, entweder aus zu großem Leichtsinn oder gar aus dem allerverderblichsten Mutwillen. Wer da immer mutwillig wiederholt eine Sünde begeht, der muß auch mutwillig bestraft werden!

2. Nun, du hast nach deinen alten spartanischen Grundsätzen nur aus Not gesündigt und stehst nun zum ersten Male vor einem Richter! Aus diesem Grunde allein wirst du auch nicht verflucht und gerichtet werden; aber du mußt nun hier dein Arges und Dummes erkennen und ablegen! Deine sehr kranke Seele wird geheilt werden, und du mußt den Segen der weisen Gesetze einsehen und sodann erst fest danach zu handeln anfangen, so wirst du dann erst von hier als ein ganz Freigewordener heimziehen und selbst eine große Freude haben darum, weil du ein wahrhaft reiner und freier Mensch sein wirst.

3. Damit aber solch eine Heilung bezweckt werden kann, so wird ein reiner und physisch und geistig kräftiger Mann aus unserer Gesellschaft dir seine heilbringenden Hände auf dein Haupt und auf deine Brust legen; und solch eine überzarte Behandlung wird bei dir erst jene in dir selbst schlummernden Begriffe erwecken und beleben, aus denen heraus du dann erst das Heil der geordneten und scharf sanktionierten Gesetze Roms erkennen und dich selbst darüber freuen wirst! – Bist du damit einverstanden?“

4. Sagt Zorel, etwas heiterer denn zuvor: „Hoher Herr und erhabenster Gebieter! Ich bin schon mit allem einverstanden, was da nicht Schläge, Enthauptung oder gar Kreuzigung heißt! Ob mich aber solch eine Behandlung zu besseren und vernünftigeren Grundsätzen bringen wird, dafür stehe ich nicht völlig gut; denn ein bejahrter Baum läßt sich nicht mehr gar leichtlich biegen! Aber an der Möglichkeit will ich gerade eben auch nicht gänzlich zweifeln! – Wo aber ist der Mann, der mir seine kräftigen Hände auflegen wird?“

5. Cyrenius fragt Mich seitwärts, ob es nun an der Zeit wäre.

6. Sage Ich: „Noch eine kleine Geduld; lasse nun der Seele noch eine kleine Verdauungsfrist! Der Mensch ist nun voll aufgeregter Gedanken und würde nicht gut in den verzückenden Schlaf zu bringen sein; auch Zinka darf nicht eher als der dazu Gewählte ihm gezeigt werden, als bis es an der vollends rechten Zeit sein wird! Ich werde euch dazu schon den Wink geben.“

7. Nach solchen Meinen Worten und nach solcher Meiner Bestimmung verhält sich alles eine Zeitlang still, und unser Zinka harret mit einer ängstlichen Freude auf Meinen Wink zur Behandlung des Zorel. Dieser aber faßt nun allerlei Gedanken, was man etwa doch im Ernste Gutes, möglich nach seiner Idee aber auch Arges mit ihm vornehmen könnte. Aber er durchmustert unsere Gesichter und sagt dann bei sich selbst: ,Nein, aus diesen Menschen leuchtet keine Hinterlist; denen kann man sich anvertrauen! Diese können nur Gutes, nie aber etwas Arges tun!‘

8. Nun, diese Vorbereitung aus sich selbst heraus war vor der vorzunehmenden Behandlung notwendig, ohne welche das Auflegen der Hände von seiten unseres Zinka eine fruchtlose Mühe geblieben wäre. Denn bei diesen Behandlungen muß der zu Behandelnde selbst in ein gewisses Glaubens- und Vertrauensstadium gesetzt werden, ohne das es nicht leicht möglich wäre, ihn mit aller menschlich möglichen, wenn noch so überflutenden Seelensubstanzialkraft in den heilsamen Verzückungsschlaf zu bringen.

9. Ah, ganz was anderes ist es dann bei vollkommen aus dem Geiste und im Geiste wiedergeborenen Menschen! Diese bedürfen so wie Ich nur ihres erregten Willens, – und der Akt der Heilung ist vollbracht! Aber bei noch nicht voll wiedergeborenen, einen Kranken also behandelnden Menschen muß auch die Erweckung und Belebung des zu behandelnden Menschen vorausgehen, ansonst – wie bemerkt – die ganze Behandlung eine vergebliche Mühe und Arbeit wäre.

10. Nun ist unser Zorel reif, und Ich gebe nun sogleich dem Zinka den bekannten Wink, dem Zorel die Hände aufzulegen.

48. Kapitel. Selbsterkenntnis des Zorel.

1. Ich winke nun dem Zinka, und er tritt sogleich zum Zorel hin und sagt: „Bruder, also will es der Herr, der allmächtig und voll Erbarmung, Güte und Liebe und Weisheit ist, daß ich dich allein durch die Auflegung meiner lebenskräftigen Hände heilen soll. Fürchte nichts, sondern vertraue und werde dann ein anderer Mensch, und es soll dir darauf nichts vorenthalten werden, was dir nur irgend leiblich und geistig zum wahren Heile gereichen kann! Willst du, und vertraust du mir, deinem wahren Freunde und Bruder, so lasse es mir, daß ich dir meine Hände auflege!“

2. Sagt Zorel: „Freund, mit der treuen Sprache kannst du mich in den Tartarus schicken, und ich werde gehen! Daher lege du immerhin deine wahren Bruderhände auf mich, wo und wie du sie legen willst, und ich werde mich dir nicht widrig entgegenstellen!“

3. Sagt Zinka: „Nun wohl denn, – so setze dich denn auf diese Bank, und ich will dich von der Kraft Gottes durchströmen lassen!“

4. Sagt Zorel: „Welches Gottes denn? Etwa gar des Zeus, Apollo, Mars, Merkur oder des Vulkan, Pluto oder Neptun? Ich bitte dich, laß mir nur den Pluto aus dem Spiele; denn von dessen orkanischer Kraft möchte ich wahrlich nicht durchdrungen sein!“

5. Sagt Zinka: „Laß die Götter, die da nirgends als nur in der Phantasie der lange Zeiten blinden Menschen existieren! Es gibt nur einen wahren Gott, und das ist der euch unbekannte große Gott, dem ihr Heiden zwar auch allenthalben einen Tempel erbauet, Ihn aber bisher noch nie erkannt habt. Nun aber ist die Zeit herangekommen, daß ihr auch diesen allein wahren Gott werdet kennen lernen! Und siehe, von dieses Gottes Gnade und Kraft sollst du nun zu deinem Heile durchströmt werden, so ich dir meine Hände auflegen werde!“

6. Sagt Zorel: „Ah, wenn also, dann lege mir deine Hände nur sogleich auf nach der Weise, die dir bestens bekannt sein wird!“

7. Hier legt Zinka dem Zorel in der vorbeschriebenen Weise die Hände auf, und sogleich verfällt Zorel in den Verzückungsschlaf.

8. Nach einer Zeit von einer starken Viertelstunde fängt Zorel, sonst fest schlafend mit stark zugeschlossenen Augen also zu reden an: „O Gott, o Gott, was bin ich doch für ein gar elender und schlechter Mensch, und was für ein ehrlicher und biederer Mensch könnte ich sein, wenn ich's nur sein wollte; aber darin liegt eben der Fluch der Sünde und der Lüge und des Hochmuts, welche beiden die eigentliche Grundsünde sind, daß sie sich selbst stets wieder von neuem zeuget und vermehret wie das Gras auf der Erde und der Sand im Meere!

9. O Gott! Ich habe so viele Sünden und Makel an meiner Seele, daß ich vor lauter Sünden meine Haut nicht sehe; ja, wie in einem dicksten Rauche und Nebel stecke ich nun in meiner zahllosen Sünden Wucht!

10. O Gott, o Gott, wer wird mich je von meinen Sünden frei zu machen imstande sein?! Ich bin ein Hauptdieb, ich bin ein Lügner, und so ich lüge, da lüge ich noch immer neu hinzu, um durch eine neue Lüge die alte zu bekräftigen und sie als irgendeine Wahrheit geltend zu machen. O ich abscheulicher Lügenhund ich! Alles, was ich habe, habe ich nur durch Lüge und Betrug und durch geheimen und offenen Diebstahl an mich gebracht!

11. Freilich wohl hielt ich das alles in meiner großen Blindheit für keine Sünde, aber ich hatte auch oft die Gelegenheit, mich von der Wahrheit überzeugen zu lassen. Aber ich wollte mich nicht überzeugen lassen! Ich schob immer Sparta und Lykurg vor und verachtete stets Roms weise Gerechtigkeitsgesetze! Oh, ich gar zu gemein schlechter Lump ich!

12. Na, das einzige nur tröstet mich, daß ich noch niemanden ermordet habe; aber es hätte nicht viel gefehlt! Wäre meine Magd nicht vorher durchgegangen, als ich nach Hause kam, so wäre sie ein trauriges Opfer meiner teufelsargen Wut geworden!

13. Oh, ich bin ein gar scheußliches Ungeheuer! Ich bin ärger denn ein Bär, ärger denn ein Löwe, ärger denn ein Tiger, ärger denn eine Hyäne, viel ärger denn ein Wolf, und um vieles ärger denn eine wilde Sau! Denn ich bin auch schlau wie ein Fuchs, und das stempelt mich zu einem wahren vermummten Teufel!

14. Oh, ich bin sehr krank an meiner Seele, und du, Bruder Zinka, wirst mich schwer oder gar nicht heilen!

15. Es wird nun wohl etwas heller in mir, und der gar dicke Rauch und die gar dichten Nebel um mich schwinden! Sieh, sie werden dünner, und es kommt mir vor, daß ich leichter atme; aber in dieser größern Helle sehe ich erst so recht meine wahre Ungestalt, voll von allerlei Aussatz, voll von Beulen und eklichen Geschwülsten! Ach, ach, meine Gestalt ist ein wahres Scheusal! Wo ist der Arzt, der mich heilete?! Mein schlechter Leib ist wohl gesund; aber es läge nichts an dem schlechten Leibe, wenn nur ich, Seele, gesund wäre!

16. O Gott, könnte jemand meine Seele schauen, er würde sich entsetzen vor ihrer zu großen Häßlichkeit! Je heller es um mich wird, desto scheußlicher nimmt sich meine Seele aus! Bruder Zinka, gibt es denn kein Mittel, durch das meine Seele ein nur etwas besseres Aussehen bekommen könnte?!“

49. Kapitel. Die Seele des Somnambulen reinigt sich.

1. Hier fängt Zorel an zu seufzen in seinem Schlafe, und einige meinen, daß er nun erwachen werde.

2. Ich aber sage zu ihnen allen: „O mitnichten! Das war nun nur das erste Stadium seines Schlafes; er wird noch über eine Stunde lang schlafen und bald wieder, in einem andern und höheren Stadium seines Seelenlebens zu reden anfangen. Dieses Stadium bestand in dem Sichloswinden der Seele von ihren fleischlichen und weltsinnlichen Leidenschaften, die er als lauter Krankheiten am Formleibe seiner Seele sehen und gegen die er von tiefstem Abscheu ergriffen werden mußte. Für solche Seelenübel aber gibt es keine andere Arznei, als zuerst die Erkenntnis derselben, dann ihre tiefste Verabscheuung und endlich den festen Willen, ihrer ehestmöglich vollends los zu werden. Ist der Wille einmal da, so geht es dann leicht mit der Heilung vorwärts.

3. Gebet nun nur acht, er wird gleich wieder zu reden beginnen! So er dich, Freund Zinka, wieder um etwas fragt, so antworte du ihm nun bloß nur mit den Gedanken, und er wird dich hören und ganz wohl verstehen!“

4. Als Ich dem Zinka solch eine Weisung noch kaum gegeben hatte, begann Zorel schon also zu reden und sagte: „Siehe, ich weinte über mein großes Elend! Aus den Tränen entstand ein Teich wie Siloah in Jerusalem; und ich bade mich nun in diesem Teiche, und siehe, dieses Teiches Wasser heilt die vielen Wunden, Geschwüre und Beulen am Leibe meiner Seele! Ah, ah, das ist ein wahres Heilbad! Die Masen (Narben) sehe ich nun wohl noch, aber die Wunden, Beulen und Geschwüre sind verschwunden vom Leibe meiner gar so armen Seele. Aber wie war das möglich, daß sich sichtlich aus meinen Tränen ein ganzer Teich gebildet hat?

5. Den Teich umgibt eine recht herrliche Gegend; es ist das die Gegend des Trostes und einer lieblichen Hoffnung. Es kommt mir auch in meinem Gefühle so vor, als dürfte ich auf eine volle Genesung hoffen. – Ah, gar so lieblich ist diese Gegend; da möchte ich immer bleiben! Das Wasser in meinem Teiche ist sehr klar nun, aber früher war es trübe; und je klarer es wird, desto heilsamer wirkt es auf mich ein!

6. Ah, jetzt merke ich aber auch, daß sich in mir etwas zu regen anfängt wie ein starker Wille, und hinter dem starken Willen merke ich etwas wie einen Worttrieb, und der redet laut: Ich will, ich muß, – ich muß, weil ich will! Wer kann in mir hemmen das, was ich will? Ich bin frei in meinem Willen; ich darf gar nicht wollen, was ich soll, sondern ich will, was ich selbst will! Was wahr und gut ist, das will ich, weil ich es selbst wollen will, und niemand kann mich dazu zwingen!

7. Ich erkenne nun die Wahrheit; sie ist ein göttliches Licht aus den Himmeln! Unsere Götter alle sind Schemen; nichts, gar nicht sind sie. Wer an sie glaubt, ist ärger denn ein wirklicher Narr; denn ein wirklicher Narr glaubt niemals an solch nichtigste Götter. Ich sehe die Götter nirgends, aber das göttliche Licht sehe und das göttliche Wort vernehme ich. Aber Gott Selbst kann ich nicht sehen; denn Er ist zu heilig für mich.

8. Aber nun ist mein Teichwasser schon zu einem See um mich herum geworden! Der See ist nicht tief; mir steht das Wasser nur bis an die Lenden. Und klar ist es, ganz ungeheuer klar; aber es gibt noch kein Fischlein darin! Ja, da werden aber auch nie Fischlein hineinkommen; denn die Fischlein rühren vom Gotteshauche her, und das ist gar ein allmächtiger Hauch! Ich bin nur eine sehr schwache Menschenseele, aus deren Hauche keine Fischlein Gottes werden.

9. Oh, da gehört viel dazu, da muß man sehr allmächtig sein, so man mit seinem Hauche Fischlein zeihen will! Oh, das kann ein Mensch nimmer; denn ein Mensch ist da viel zu schwach dazu! Ganz unmöglich wäre es wohl gerade nicht für den Menschen, aber da müßte er voll des göttlichen Willens und des göttlichen Geistes sein! Das ist für einen rechten Menschen zwar nichts Unmögliches; aber ich bin kein rechter Mensch, und darum ist das für mich dennoch rein unmöglich!

10. Aber rein ist das Wasser, und der Boden ist auch rein, lauter schönes Gras; 's ist wohl recht wunderbar: unterm Wasser ein so schönes, üppiges Gras! Und sieh, das Gras wächst zusehends und fängt an, das schöne Wasser zu verdrängen! Ja ja, die Hoffnung wird mächtiger als die Erkenntnisse und die sie begleitende Furcht!

11. Ah, ah, nun sehe ich einen Menschen am ziemlich fernen Ufer; der winkt mir! Ja, ich möchte wohl hin zu ihm, weiß aber nicht, wie tief allenthalben der See ist! Wenn dazwischen etwa sehr tiefe Stellen sich vorfänden, da könnte ich ja untergehen und wäre verloren!

12. Aber eine Stimme aus dem Wasser tönt: ,Ich bin durchweg gleich tief! Du kannst ohne Furcht und Scheu durch mich ziehen; gehe hin zu dem, der dich ruft, der dich führen und richten wird!‘ Das ist doch sonderbar; hier redet sogar das Wasser und das Gras! Nein, das ist noch nicht dagewesen!

13. Ich gehe nun zum Freunde am Ufer. Ein Freund muß er ja doch sein, sonst hätte er mir nicht gewinkt! Zinka, du bist es nicht, – das ist ein anderer! Dich sehe ich nun auch hinter ihm; aber du bist lange nicht so freundlich wie er! Wer er etwa doch sein mag? Aber ich schäme mich vor ihm sehr, weil ich ganz nackt bin. Mein Leib sieht nun zwar schon ganz gut aus; ich entdecke nun nahe keine Krankheitsspuren mehr an ihm. Oh, wenn ich doch nur ein Hemd hätte! Aber so bin ich ganz nackt wie ein Badender. Aber ich muß doch hin; sein Winken zieht mich gewaltig! Ich gehe nun, – und sieh, es geht sich recht gut!“

50. Kapitel. Die gereinigte Seele wird bekleidet.

1. Hier erfolgt eine Redepause des Zorel, und Zinka fragt: „Wie sieht er denn das alles, und wie geht er nun durch ein Wasser, und doch liegt er so unbeweglich da, als wäre er tot?!“

2. Sage Ich: „Seine Seele sieht nun nur ihre zum Bessern führenden Zustände; aus diesen formt sich im Gemüte der Seele eine eigene Welt, und das, was du hier eine Gedankenbewegung nennst, das erscheint im Seelenreich als eine Bewegung von einem Orte zum andern.

3. Der Teich, der aus seinen Tränen entstand, und dessen Wasser seine Seele heilte, stellt seine Reue über die begangenen Sünden vor, und das Bad darin bezeichnet eine rechte Buße, die aus der Reue entspringt. Das reine Wasser bezeichnet das gerechte Erkennen seiner Sünden und Gebrechen; und so der Teich zu einem See wird, so drückt dies das mächtigere Wollen aus, aus sich selbst gereinigt und geheilt zu werden. Das schöne Gras unter dem Wasser bezeichnet die Hoffnung auf die Erreichung der vollen Gesundheit und der höheren freien Gnade Gottes. Diese stellt sich bereits am noch etwas fernen Ufer erscheinlich auf; Ich selbst bin das im Geiste und im Willen. Die Bewegung zu Mir hin durch das Gewässer der wahren Reue und Buße aber bezeichnet in sich den Fortschritt der Seele zur wahren Besserung.

4. Das alles aber ist für seine Seele nur eine entsprechende Erscheinlichkeit, aus der die Seele ersieht, wie sie beschaffen ist und was zu ihrer Besserung sie in ihrem Gemüte vornimmt und tut, – freilich in diesem Zustande nur allein im Willen, ohne eine äußere, wirkliche Tätigkeit. Diese muß erst erfolgen, so er sich im wachen Zustande im vollen Verbande mit seinem Leibe befinden wird.

5. Nun wird er bald bei Mir sein und sogleich wieder zu reden beginnen. Gebet nur recht acht; alles, was er nun aussagt, hat Entsprechung mit seinem innern Seelenzustande! Es wird noch manches Verworrene zum Vorscheine kommen, bis er ins dritte Stadium, das ist in die zeitweilige Verbindung mit seinem reinen Lebenskeime treten wird.

6. Im dritten Stadium werdet ihr euch dann schon überzeugen, wie zusammenhängend und wie weise er da reden wird! Jetzt spricht nur seine für diesen Augenblick geläuterte Seele; im dritten Stadium aber wird sein Geist aus ihm sprechen! Und da werdet ihr gar keine Lücken mehr in ihm entdecken; da wird er eine Rede führen, bei der es euch allen warm ums Herz wird!

7. Nun kommt er schon ans Ufer und sagt: ,Ah, war aber das doch eine recht mühevolle Reise! Da bin ich nun bei dir, du edler Freund! Hast du kein Hemd bei dir? Sieh, ich schäme mich meiner Nacktheit ganz entsetzlich!‘

8. Sage Ich aus Meinem ihm nun sichtbaren Geiste und Willen: ,Steige heraus aus dem Wasser; nach deinen Werken wirst du bekleidet werden!‘

9. Sagt Zorels Seele: ,Freund, o rede nicht von meinen Werken; denn diese sind eitel schlecht und böse! Wenn ich danach ein Kleid bekomme, so wird es ganz entsetzlich schwarz und zerlumpt aussehen!‘

10. Sage Ich: ,Wenn das, so ist ja hier des Wassers genug, um es weiß zu waschen!‘

11. Sagt Zorel: ,O Freund, das hieße einen Mohren weiß waschen wollen! Das wird nicht gut gehen! Aber ein Kleid ist immer besser denn gar keines. Ich steige sonach aus dem Wasser!‘

12. Zu Meinen Füßen liegt eine Toga mit vielen Falten, aber sehr beschmutzt, obschon die Grundfarbe weißgrau ist, – eine Eigentümlichkeit der Heidenkleidungenfarbe im Geisterreiche. Er nimmt das Kleid und findet einen Ekel an dem Schmutze, was da ein gutes Zeichen ist. Aber er nimmt es dennoch, eilt aber damit schnell ins Wasser und fängt an, es zu rippeln und zu schwemmen und endlich auszubalgen.

13. Nun ist er fertig, und das Kleid ist rein. Da es aber noch feucht ist, getraut er sich nicht, es so recht mutig anzuziehen. Ich aber bedeute ihm, daß er es dennoch anziehen soll; er habe doch ehedem das Wasser nicht gescheut, wie solle er nun vor dem noch ein wenig feuchten Kleide eine Art Abscheu haben?! Nun sagt er – höret nur, denn solches wird er laut reden! –:“

14. Zorel: „Ist aber auch wahr! Früher hat mir der ganze See nichts gemacht, und nun sollte das feuchte Hemd mir etwas machen? Nur über den Leib damit! – Ah, wie das wohl tut!“

51. Kapitel. Der Leib der Seele.

1. Nun macht Zinka mit seinen Gedanken eine Frage und sagt: „Hat denn die Seele auch einen Leib?“

2. Diese Frage stellte Zinka, weil er selbst keinen Dunst von dem hatte, wie da eine Seele aussieht und beschaffen ist. Denn der gewöhnliche jüdische Begriff von der Seele war, daß sie sich solche als eine Art von einem dunstigen Nichts vorstellten und sagten: sie, die Seele, sei ein purer Geist, der einen Verstand und Willen, aber durchgehends weder eine Gestalt, noch weniger irgendeinen Leib habe.

3. Zinka machte darum große Augen, als Zorel ihm auf die Gedankenfrage zur Antwort gab: „Na freilich hat die Seele auch einen, zwar nur ätherischen Leib, – aber für die Seele ist ihr Leib ebenso vollkommen Leib, wie dem Fleische das Fleisch vollkommen Leib ist. Nichts fehlt dem Seelenleibe, was immer da innehat der fleischliche Leib. Du siehst solches mit deinen Fleischaugen freilich wohl nicht, aber ich kann das alles sehen, hören, empfinden, riechen und schmecken; denn auch die Seele hat dieselben Sinne, wie sie der Leib hat als Verkehrsmittel zwischen sich und seiner Seele.

4. Die Sinne des Leibes sind die Leitzügel in den Händen der Seele zur Beherrschung ihres Leibes für die Außenwelt. Hätte der Leib solche Sinne nicht, so wäre er gänzlich unbrauchbar und der Seele eine unerträgliche Last.

5. Denke dir nur einen Menschen, der völlig blind und taub wäre, nichts fühlte, weder Schmerz noch das Behagen der Gesundheit, und auch keinen Geruch und keinen Geschmack hätte; sage es dir selbst, ob der Seele mit solch einem Leibe in etwas gedient wäre! Müßte sie bei ihrem sonstigen vollsten und klarsten Bewußtsein nicht völlig verzweifeln?

6. Aber im gleichen Maße würden der Seele die schärfsten Sinne des Leibes nichts nützen, so sie nicht selbst in ihrem ätherischen Leibe ganz dieselben Sinne besäße! Weil aber auch die Seele dieselben Sinne besitzt wie der Leib, so nimmt sie denn auch leicht und bestimmt mit ihren feinen Sinnen wahr, was vorausgehend die Sinne des Leibes von der Außenwelt wahr- und aufgenommen haben. – Nun weißt du, wie die Seele auch eine leibliche Form ist.

7. Du weißt es zwar nun, da ich es dir gesagt habe, wie ich es nun schaue, fühle und wie körperlich empfinde; wenn ich aber wieder wach werde, dann wirst du das noch wissen, aber ich werde nichts davon wissen, weil ich das nun nur mit meinen feinen Seelensinnen sehe, fühle und empfinde – und nicht zugleich auch mit den Sinnen des Leibes.

8. Würde ich das alles nun auch mit den Sinnen des Leibes wahrnehmen, so würden diese auf meines Gehirnes Nerven und entsprechend auf die Lebensnerven des Fleischherzens gewisse Merkmale eingraben, und ich Seele würde sie dann in meinem Fleischleibe wiederfinden und sie durch und durch erkennen. Aber da ich nun nahe außer allem Verbande mit meinem Leibe frei dastehe und auf die Sinne meines Leibes nicht rück- und einwirken kann, so werde ich nach dem Wiedereintritte in meinen Leib von all dem gar nichts wissen, was ich nun sehe, höre und fühle und rede, und was alles nun mit mir vorgeht.

9. Es hat aber die Seele auch für sich gar wohl ein Erinnerungsvermögen und kann sich demzufolge an alles Kleinste und Unbedeutendste erinnern, was je mit ihr vor sich gegangen ist; aber nur in ihrem freien Zustande kann sie das. Ist sie aber im sie durch und durch verdunkelnden Leibe, so sieht, hört und fühlt sie, alles Geistige übertäubend, nur die groben und übermächtig rauschenden und rohen Eindrücke; ihr Selbstisches aber nimmt sie oft kaum derart wahr, daß sie sich ihrer selbst nur insoweit bewußt wird, daß sie da sei, geschweige daß sie von den in ihr rastenden höheren und tieferen geistigen Eindrücken etwas wahrnähme.

10. Du hast auch eine Seele, wie ich selbst nun eine völlig freie Seele bin; aber du wußtest auch wenig oder nichts von dir selbst. Der Grund davon liegt im finstersten Fleische, mit dem eine Zeitlang eine jede Seele umhüllt ist. Erst nun, weil ich dir durch des noch lebendigen Leibmundes Stimme einige Eindrücke in deines Hinterhauptes Nerven machte und du als Seele nun durch solche Eindrücke die gleichen Urmerkmale in dir selbst liesest, so weißt du nun auch als Seele und nicht als Fleisch, daß du eine Seele hast und auf Grund deines Denkens und Wollens selbst Seele bist, die in ihrem ätherisch-leiblichen Wesen die gleiche Gestalt hat wie dein Leib.

11. Wundere dich aber übrigens gar nicht, so ich dir nun sage, daß ich nachher bei meinem Erwachen ins irdische Leben nichts mehr wissen werde von all dem, was ich dir nun gesagt habe; denn ich habe dir den Grund davon erklärt!“

52. Kapitel. Die Seele Zorels auf dem Wege der Selbstverleugnung.

1. (Zorel:) „Jetzt sagt der Freund zu mir: ,Komm, Zorel, verlasse diese Stätte, ich werde dich in eine andere Gegend führen!‘

2. Ich gehe nun mit dem guten Freunde fort, weit fort und hinweg von dem See. Wir wandeln nun durch eine herrliche Allee, und die Bäume verneigen sich vor dem, dem ich folge. Der muß etwas Großes sein im Reiche aller Geister! Oh, einige der Bäume brechen sich fast ab vor lauter Verbeugung!

3. Du, Zinka, gehest wohl auch mit, schaust aber sehr neblig aus und scheinst nicht zu bemerken, wie sich die Bäume beugen vor meinem Freunde! Das ist doch etwas sonderbar für die Welt, aber dennoch ist es wahr!

4. Merkwürdig, merkwürdig! Jetzt fangen die Bäume sogar zu reden an! Sie rufen in lautem und wohl vernehmbarem Geflüster: ,Heil dem Heiligen der Heiligen, Heil dem großen Könige der Könige von Ewigkeit zu Ewigkeit!‘

5. Findest du das nicht höchst merkwürdig?! Du tust aber ärgerlicherweise dennoch, als bemerktest du so etwas gar nicht, oder als wäre das eine so ganz gewöhnliche Erscheinung wie irgendein fauler Regen auf der Erde!

6. Ja, ja, der Freund, vor dem sich die Bäume verneigen und sein Lob ausrufen, sagt's mir, daß das, was dir ähnlich uns folgt, nicht du selbst, sondern nur ein schattenartiges Ausbild deiner Seele sei und sich erst in unserer Atmosphäre erzeuge. Aus deiner Seele gingen gewisse Lebensstrahlen wie von einem Lichte aus; sobald sie unsere Atmosphäre berührten, da gewännen sie auf eine nahe ähnliche Weise die Gestaltung, wie die am Tage von einem Menschen ausgehenden Strahlen, wenn sie auf die Oberfläche eines Spiegels fallen, auch sogleich die Gestaltung desjenigen Menschen annehmen, von dem ausgehend sie auf die Fläche eines Spiegels gelangen.

7. Ich möchte dir nur auf die Füße sehen und werde mich überzeugen, daß du nicht mitgehst, sondern nur mitschwebst. Und richtig, du bewegst weder Füße noch Hände und folgst uns dennoch in einer Entfernung von sieben guten Schritten! Ja, nun begreife ich's, warum du die Bäume sich nicht verneigen siehst und nicht hörest ihr wunderbares Geflüster!

8. Aber die Allee wird nun immer enger, und die Bäume werden niederer, stehen aber dafür enger aneinander; aber die Verneigungen und das Flüstern hört darum nicht auf. Der Weg wird aber auch stets beschwerlicher. Nun ist die Allee schon so enge und der Weg so dornig und gestrüppig, daß wir nur sehr mühsam durchkommen können! Noch ist kein Ende zu sehen, obschon der Freund sagt, daß der Weg nun bald sein Ende erreicht haben wird und wir am Ziele sein werden. Oh, jetzt werden die Gestrüppbäumlein gar dicht, und der Boden nahezu steinicht, und zwischen den Steinen ist alles voll von Dornen und Disteln; da ist es aber nun schon fast rein nicht mehr zum Weiterkommen!

9. Ich frage den Freund, warum wir denn einen gar so heillos schlechten Weg eingeschlagen haben. Der Freund aber sagt: ,Siehe dich nur nach rechts und links um, und du wirst zu beiden Seiten ein Meer entdecken, das eine grundlose Tiefe hat! Das ist die einzige und alleinige, zwar am Ende sehr schmale und dornige, aber feste Landzunge, die zwischen den beiden endlos großen Meeren sich dahinzieht. Sie verbindet alle irdische Welt mit dem großen jenseitigen Paradieslande der Seligen. Wer dahin kommen will, muß sich diesen Weg, weil er der einzige ist, schon gefallen lassen!‘

10. Siehst du, Zinka, solche merkwürdige Antwort gab mir nun der Freund und Führer meiner Nichtigkeit! Ich frage ihn aber nun wieder und sage: ,Auf der Welt gibt es auch recht viele schlechte Wege, aber da helfen sich die Menschen; sie nehmen Hauen, Krampen und Schaufeln und machen den Weg gut. Warum geschieht denn hier so was nicht?‘

11. Aber der Freund sagt: ,Weil eben dieses gewaltige Gestrüppe diese Landzunge vor den oft zu gewaltigen Meeresstürmen schützt! Wäre diese einzige, feste Zunge nicht so dicht und so fest mit diesem Gestrüppe verwahrt, so hätten die mächtigen Wogen des beiderseitigen Meeres sie schon lange ganz hinweggespült durch ihre starke Brandung. Weil aber dies Dorngestrüppe so dicht verwachsen ist, besonders gegen die beiden Ufer hinaus, so brechen sich an ihm die starken Wogen und setzen zwischen sein dichtes Gezweige ihren Schaum ab, der sich nach und nach zu Stein verhärtet und so diese gar wichtige Landzunge nur stets mehr und mehr befestigt. Diese Landzunge aber führt den Namen Demut und feste Grundwahrheit. Beide, Demut und Wahrheit, aber sind für den Menschen ja noch allzeit voll Dornen gewesen!‘

12. Siehe, Zinka, also hat der Freund geredet, und in mir wird es nun sonderbar helle, und ich fange an wahrzunehmen, als finge in meinem Herzen etwas an, sich zu regen; und das, was sich regt, ist ein Licht, und das Licht hat eine Form im Herzen wie die eines Embryo im Mutterleibe. Es ist ganz rein, – ich sehe es. Es wird aber stets größer und mächtiger nun! Ah, was das doch für ein herrliches und völlig reinstes Licht ist! Das ist sicher die eigentliche Lebensflamme aus Gott im wahren Herzen des Menschen! Ja, ja, das ist es! Es wächst nun in einem fort, und ach, wie wohl tut mir das!

13. Noch wandeln wir den schmalen Pfad; aber nun beirrt mich das Gestrüppe und das Dornwerk nicht mehr; auch empfinde ich nichts Schmerzliches mehr, so mich auch noch irgendein Dorn sticht und ritzt! – Nun wird das Gestrüppe dünner, die Bäume werden wieder größer, es gestaltet sich wieder eine herrliche Allee. Das Gestrüppe hört gänzlich auf, die Landzunge erweitert sich, und der Meere Ufer entfernen sich von uns stets mehr und mehr, und schon sehe ich, wohl noch in weiter Ferne, ein gar herrliches Land mit den schönsten Gebirgen, und über die Gebirge strahlet wie ein herrlichstes Morgenrot! Aus der nun stets größer und breiter werdenden Allee aber sind wir noch immer nicht herausgekommen, und die nun sehr großen und hohen Bäume haben noch nicht aufgehört, ihre majestätischen Kronen zu beugen vor meinem Freunde und Führer, und ihr Geflüster tönet nun wie die herrlichsten und reinst gestimmten Harfen!

14. O Zinka! Da, wohl da, da ist es schon gar unbeschreibbar herrlich! Aber du schwebest uns auch noch nach und bist so stumm wie ehedem, kannst aber nicht darum; denn du bist es ja nicht, sondern nur dein flüchtig Abbild ist es. Ach, könntest auch du so etwas schauen, aber dann auch davon ganz lebendig die guten Merkmale behalten hinüber ins irdische Leben, – was für ein denkwürdiger Mensch wärest du dann! Ich könnte es auch sein, wenn mir von all dem etwas in der Erinnerung bliebe; aber mir wird gar nichts bleiben! Doch der Freund sagt, mit der Zeit solle mir die lebendige Erinnerung an alles das wiedergegeben werden; aber ich werde zuvor auch im Fleische diesen dornigen Weg, der sich finden wird, durchmachen müssen.“

53. Kapitel. Jorel im Paradiese.

1. (Zorel:) „Ah, mein inneres Lebenslicht wird nun aber schon ungeheuer stark; es durchdringt nun schon alle meine Eingeweide! Oh, wie wohl doch tut dieses Licht meinem ganzen Wesen! Aber ich sehe es nun in der Gestalt eines vierjährigen Kindes von ungemein freundlichem Aussehen! Und sehr weise muß es sein; denn es sieht aus wie ein reinst gedachter kleiner Gott, aber nicht wie ein Phantasiegott der Ägypter, Griechen und Römer, sondern wie ein wundersames Abbild des wahren Gottes der Juden! Es ist ein Abbild der wahren Gottheit!

2. Oh, jetzt erkenne ich es wohl, daß es nur einen wahren Gott gibt; aber nur diejenigen werden Sein heiliges Angesicht schauen, die eines vollkommen reinen Herzens sind! Ich werde wohl schwer zu dessen Anschauung gelangen; denn mein Herz war schon ganz verzweifelt unrein! Du wohl, Freund Zinka; denn an deinem Herzen entdecke ich beinahe gar nichts Unreines, außer den Fleck und den Faden, mittels welchem du notwendig mit der Welt noch eine Zeitlang zusammenhängend bleiben mußt!

3. Aber nun erst erschaue ich in wohl noch ziemlicher Ferne das breite Ende der Allee. Nun ist von keinem Meere irgendwo mehr eine Spur, überall üppigstes und wunderschönstes Land, Gärten an Gärten; überall stehen die schönsten Häuser und Paläste! Ach, ist das doch eine unbeschreibliche Herrlichkeit!

4. Mein Freund sagt, dies sei noch lange kein Himmel, sondern das sei das Paradies. In den Himmel wäre bis jetzt noch kein Sterblicher gekommen; denn dahin sei bis jetzt noch keine Brücke erbaut worden. Alle die Guten, die vom Anfange der Schöpfung an auf der Erde gelebt haben, weilen hier mit Adam, Noah, Abraham, Isaak und Jakob. Jene hohen Berge begrenzen dieses gar wundersam herrliche Land. Wer auf jene Berge käme, der würde wohl den Himmel erschauen mit den großen Scharen der Engel Gottes, aber hinein könnte niemand kommen so lange, als über die große Kluft, die keinen Boden habe, nicht eine feste Brücke für ewig dauernd erbaut sein wird.

5. Wir gehen nun so schnell wie ein Wind. Mein Lichtmensch in mir hat bereits die Größe eines achtjährigen Knaben, und es kommt mir vor, daß seine Gedanken wie Blitze mein ganzes Wesen durchzucken. Ich fühle wohl ihre unbegreifliche Erhabenheit und Tiefe, aber ihre Formen erfasse ich noch nicht. Es muß etwas Wundersamstes darin sein! Jeder ausfahrende Gedankenblitz aber verursacht mir ein unbeschreibbares Wonnegefühl! So eine Wonne kennt die ganze Erde nicht, – kann sie auch nicht fühlen! Denn die ganze Erde ist ja nur ein Gnadengericht Gottes, – aber immerhin ein Gericht; im besten Gericht aber sind die Wonnen stets spärlich ausgeteilt.

6. Nun kommen wir den hohen Bergen schon sehr nahe, und immer herrlicher wird es! Welch eine unbeschreibliche Mannigfaltigkeit von Wundern über Wundern! Sie alle zu beschreiben würden tausend Menschenalter nicht auslangen!

7. Und da siehe erst, an den Bergen wohnen eine Unzahl von den schönsten Menschen! Aber uns beide, das heißt mich und meinen lieben Freund, scheinen sie nicht zu bemerken; denn sie gehen eilenden und stets muntern Schrittes an uns vorüber, tun aber nicht dergleichen, als sähen sie uns, während doch meinen Freund sichtlich alle Bäume begrüßen! Ein sonderbares Geistervolk das!

8. Aha, aha, bei dieser Gelegenheit haben wir auch den Gipfel eines hohen Berges erstiegen! O Gott, o Gott, da stehen wir nun, und besonders ich, wie ein wahrer Ochse am Berge! Ich erschaue stets klarer in die weiteste Ferne hin einen großen, übersonnenhellen Horizont. Da soll der Himmel Gottes Anfang sein, der aber dann immer fortginge, höher und höher ewig fort!

9. Aber zwischen hier und dort gähnt eine Kluft, größer denn der Raum zwischen der Erde und der Sonne! Darüber werde nun eine Brücke erbaut werden! Bei Gott mag das wohl alles ganz gut möglich sein!

10. Aber nun ist mein innerer Lichtmensch schon so groß wie ich selbst, und sonderbar, ich werde nun schläfrig, und der Freund heißt mich auf dem grünen und duftigen Rasen ausruhen! Ich werde es auch tun!“

54. Kapitel. Das Verhältnis zwischen Körper, Seele und Geist.

1. Sage Ich: „Sehet, nun erst wird er ins dritte Stadium übergehen; da merket wohl auf seine Rede!“

2. Fragt Cyrenius: „Herr, wenn Zorel nun auf dem für uns unsichtbaren Rasen einschläft, was wird dann dadurch bezweckt? Muß das sein, oder könnte er nicht ohne ein gewisses Einschlafen ins dritte Stadium übergehen?“

3. Sage Ich: „Wenn seine Seele pur wäre, so ginge es auch ohne einen gewissen Schlaf; aber solange seine Seele noch durch gewisse Bande mit dem Leibe in Verbindung steht, muß vor dem Wechsel des Stadiums eine gewisse Betäubung eintreten, in der die Seele unvermerkt in ein anderes Stadium übergeht. Was des Zorel Seele nun im zweiten Stadium geschaut und gesprochen hat, war bis auf sich selbst nur eine zuständliche Erscheinlichkeit; im dritten Stadium erst kommt sie ins wahre Hellsehen, und was sie da reden wird, das wird auch volle Realität haben.“

4. Fragt Cyrenius: „Was ist aber dann so ganz eigentlich der Schlaf? Wie und wodurch entsteht dieser?“

5. Sage Ich: „Mußt du denn auch das wissen? Nun wohl denn, so du es schon durchaus wissen willst, da muß Ich es dir gleichwohl kundtun, und so höre denn!

6. Wenn du einen Rock am Leibe hast und nach griechischer Art eine Hose an den Beinen, so leben durch deines Leibes Bewegung Rock und Hose, das heißt, sie müssen deinem Willen sich also fügen, als wie sich deines Leibes Glieder fügen dem Willen deiner Seele. So du aber im Sommer in ein Bad gehst, da ziehst du die Kleider aus, weil du sie im Bade nicht brauchen kannst. Rock und Hose befinden sich nun, während du im Bade bist, in einer notwendigen Ruhe und haben für sich weder eine Regung noch eine Bewegung. Entsteigst du wieder dem Bade, so werden dein Rock und deine Hose gleich wieder die frühere Regung und Bewegung bekommen und gewisserart mit dir leben. Warum zogst du aber des Badens wegen deine Kleidung aus? Sieh, weil sie dir beschwerlich war und dich zu drücken begann! Im Bade aber hast du dich gestärkt, und deine dir beschwerlich gewordene Kleidung wird dir nach dem Bade völlig federleicht vorkommen.

7. Wenn deine Seele durch des Tages Beschwerden müde und schwach geworden ist, so erwacht in ihr das Bedürfnis nach einer erquicklichen und stärkenden Ruhe. Da zieht dann die müde Seele alsbald ihr gegliedertes Fleischgewand aus und begibt sich in ein stärkendes Bad des geistigen Wassers und badet, reinigt und stärket sich darin; ist sie wieder stark geworden, dann begibt sie sich wieder in ihren Fleischrock und bewegt dessen schwerfällige Glieder wieder mit einer großen Leichtigkeit.

8. Nun hast du aber durch die Erzählung des Zorel sicher gesehen oder vielmehr so recht lebendig wahrgenommen, daß in seiner Seele noch ein innerster Lichtmensch aus dem Herzen der Seele aufzukeimen angefangen hat, zu dem sich das Wesen der Seele nahe also verhält, wie zur Seele ihr materieller Leib. Nun, dieser Lichtmensch hatte zuvor in dieser seiner Seele, als seinem gegliederten Gewande, noch nie eine wie immer geartete Stärkung erhalten; er lag so im Herzen der Seele wie das Ei im Weibe ohne eine männliche Belebung, Erregung und Erweckung. Durch diese eigenste Behandlung ist der eigentliche Urlebenskeim durch Mein und durch des Zinka Wort für den Moment belebt, erregt und erweckt worden, und da das mit ihm vorgenommen ward, so fing er an zu wachsen so lange, bis er seine ganze Seele, das ist sein Kleid, erfüllt hatte mit seinem rein geistigen Wesen.

9. Die Seele aber, obschon so viel als für den Moment möglich gereinigt, hat doch noch so gewisse materielle Teile in sich, die für den reinen Geist zu beschwerlich sind, da er früher nie ein solches Joch zu tragen eingeübt ward. Dieser gewisserart nur auf eine künstlich geistige Weise erweckte und zum Schnellwachstume genötigte Geistmensch ist zur Tragung der schwerfälligen Seele noch viel zu schwach und sehnt sich nach Ruhe und Stärkung. Dieser Scheinschlaf der Seele auf dem Gebirgsrasen ist sonach auch nichts anderes als eine Entkleidung des Geistes von den materiellsten Teilen seiner Seele; nur das ihm Ähnliche in der Seele behält er, das andere muß derweil also ruhen, wie der Leib ganz stumm ruht, wenn die Seele sich stärkt, oder wie dein Rock ruht, wenn du deinem Leibe in einem Bade eine erquickliche Stärkung gönnest.

10. Aber es besteht bei solcher zur Stärkung der edleren Menschensphäre erfolgten Zur-Ruhe-Legung der gröberen und unedleren Außenteile dennoch immerdar eine Verbindung. So jemand käme, wenn du im Bade dich erquickst, und nähme dein ausgezogenes Kleid und begänne es zu zerstören, da würde deine natürliche und notwendige Liebe zu deinem Kleide sogleich ein ganz gewaltiges und grimmiges Veto einlegen. Eine noch intensivere Verbindung besteht zwischen dem Leibe und der Seele; wer vor der Zeit den Fleischrock nehmen und zerstören wollte, den würde sie dann ganz kurios behandeln.

11. Aber die Verbindung zwischen Seele und Geist ist eine allerintensivste, weil die Seele, besonders eine ganz reine, selbst ein ganz geistiges Urelement ist, und der Geist würde eine ganz entsetzliche Bewegung machen, so man ihm seinen Leib und sein Kleid ganz entreißen wollte. Er würde dann gleich ins höchste Feuer geraten und alles zerstören, was sich ihm nahen würde.

12. Aber das Materielle muß die Seele zuvor doch ganz ablegen, bis der Geist das ihm Verwandte in ihr als sein Selbstisches anziehen kann und werden mit demselben ein vollkommenes Ich. Das Materielle der Seele ist für den Geist ersichtlich in dem, womit die Seele bekleidet ist. Du hast gehört, wie Zorel von einem schmutzigen Hemde redete, das er selbst reinigte im See, dann ausbalgte und als ein noch feuchtes Vestiment anzog. Siehe, dies Vestiment ist eben die noch materielle Außenseite der Seele, die zuvor ab- und zur Ruhe gelegt werden muß, bevor der innerste, göttliche Geistmensch völlig in seine ihm nun sehr verwandte Seele übergehen und mit ihr eins werden kann.

13. Das braucht stets eine kleine Zeit für den Moment des Überganges, weil alles, was in den eigentlichen Bereich des freien Lebens gehört, erst mit dem neuen und edleren Wesen in eine volle Verbindung (geistige Ehe) treten muß, bevor das neue Wesen oder der neue, himmlische Mensch als in allem selbst fühlend, denkend, sehend, hörend, riechend, schmeckend und aus sich heraus selbsttätig auftreten kann. In dem gewissen Schlafe geschieht solche notwendige geistige Übersiedlung; ist die Übersiedlung geschehen, so ist der neue Mensch fertig und braucht zu seinem nur ganz rein geistigen Bestehen fürder ewig keine weitere Umwandlung mehr.

14. In solchem Zustande ist aber ein Mensch dann auch ganz vollendet und kann in der Wesenheit nicht noch mehr vollendet werden; nur im Erkennen und im steten Vollkommenerwerden in der reinsten Liebe und Weisheit der Himmel und ihrer die ganze Unendlichkeit ordnenden, regierenden und führenden Macht ist ein stetes Zunehmen in Ewigkeit und dadurch auch die Erreichung einer stets höheren Seligkeit als Folge der stets höheren Liebe, Weisheit und Macht zu gewärtigen.

15. Als ein so vollendeter Geistmensch wird nun unser Zorel sogleich auftreten und wird – immer noch durch seinen Fleischmund – Kunde geben von der Vollendung seiner wesenhaft höchst vollendeten Menschheit. – Gebet nun acht; er wird sogleich wieder zu reden anfangen!“

55. Kapitel. Jorels Einblick in die Schöpfung.

1. Als Ich solches dem Cyrenius erklärt hatte, fing Zorel, der die Zeit hindurch ohne alle Regung wie tot dalag, an, sich zu rühren, und bekam das Aussehen eines Verklärten derart, daß sein Anblick sogar den anwesenden römischen Soldaten eine große Ehrfurcht einflößte und einer sagte: „Dieser Mensch sieht aus wie ein schlafender Gott!“

2. Cyrenius sagte auch: „Wahrlich, ein unbeschreiblich erhabenes Menschenbild!“

3. Endlich machte Zorel den Mund auf und sagte: „Also stehet der vollendet in seiner Wesenheit vor Gott, der Ihn nun erst erkennt, liebt und anbetet!“ – Hier folgte eine Pause.

4. Nach dieser spricht Zorel weiter und sagt: „Mein ganzes Wesen ist nun Licht, und ich sehe keinen Schatten, weder in mir noch außer mir; denn auch um mich ist alles Licht. Im Allichte aber sehe ich noch ein allerheiligstes Licht; es leuchtet wie eine gar mächtige Sonne, und in dieser ist der Herr!

5. Zuvor dachte ich von meinem Freunde und Führer, daß er nur eine Menschenseele gleichwie unsereins wäre; allein in meinem Vorzustande war noch viel Täuschung in mir. Nun erkenne ich erst den Führer! Er ist nun nicht mehr bei mir, sondern in jener Sonne sehe ich Ihn, der da heilig ist über heilig! Endlose Scharen der vollendetsten Lichtgeister umschweben diese Sonne nach allen Richtungen in engeren, weiteren und weitesten Kreisen. Welch eine unendliche Majestät ist das doch! O Menschen! Gott zu schauen und Ihn über alles zu lieben ist die höchste Wonne, ist der Seligkeiten höchste!

6. Aber ich sehe nun nicht nur die Himmel alle, sondern mein Blick dringt nun auch in die Tiefen der Schöpfungen des allmächtigen, einen, großen Gottes. Ich sehe diese unsere magere Erde durch und durch und sehe alle Inseln und Festlande auf der ganzen Erde. Ich sehe der Meere Grund und was unter demselben alles ist und besteht, alle die vielen Geschöpfe im Meere von der kleinsten bis zur größten Art. Welch eine unendliche Mannigfaltigkeit doch unter denselben haust!

7. Ich sehe auch, wie das Gras gebaut wird von allerlei Geisterchen, die sehr munter und emsig sind. Ich sehe, wie der Wille des Allmächtigen sie nötigt, emsig zu sein, und sehe eines jeden der zahllos vielen Geisterchen genaust abgemessene Bestimmung und Arbeit. Wie da arbeiten die Bienen an ihren Wachszellen, so arbeiten die Geisterchen an und in den Bäumen und Gesträuchern, Gräsern und Pflanzen. Aber sie tun das alles, wenn sie ergriffen und durchdrungen werden von dem Willen Dessen, der mein Freund und Führer war auf dem schmalen und dornigen Pfade meiner Selbstprobe des Lebens bis hierher und nun in jener nie erreichbaren Sonne als in Seinem urheiligsten Lichte wohnt und ausfahren läßt Seinen Willen in alle Unendlichkeiten.

8. Ja, Dieser allein ist der Herr, Ihm ist niemand gleich! Seinem Willen muß sich fügen groß und klein. Nichts in der ganzen Unendlichkeit gibt es, das Ihm einen Widerstand bieten könnte. Seine Macht geht über alles, und Seine Weisheit ist nie erforschbar. Alles, was da ist, ist aus Ihm, und es gibt nichts in den endlosesten Räumen Seiner Schöpfungen, das da nicht aus Ihm hervorgegangen wäre.

9. Ich sehe aus Ihm die Kräfte fahren, wie man siehet am Morgen der aufgehenden Sonne Strahlen nach allen Richtungen mit mehr denn Blitzesschnelle ausfahren, und wo ein Strahl etwas erreicht und ergreift, da fängt es an, sich zu regen, zu leben und zu bewegen, und bald tauchen neue Formen und neue Gestalten auf. Aber des Menschen Form ist aller Formen Grenz- und Schlußstein, und seine Gestalt ist eine rechte Gestalt des Himmels; denn der ganze Himmel, dessen Grenzen nur Gott allein kennt, ist auch ein Mensch, und jeder Verein der Engel ist ebenfalls ein ganz vollendeter Mensch.

10. Das ist ein großes Geheimnis Gottes, und wer nicht auf dem Punkte steht, auf dem ich nun stehe, der kann solches unmöglich fassen und begreifen; denn nur der reinste Geist aus Gott im Menschen kann fassen und begreifen und schauen, was des Geistes ist, und was da ist in ihm und außer ihm, und wie es besteht und entsteht, und warum und wofür! Nichts gibt es in der Unendlichkeit, daß es nicht da wäre für den Menschen; alles ist auf den Menschen und sein jedzeitliches und zuständliches Bedürfnis abgezielt.“

56. Kapitel. Das Wesen des Menschen und seine schöpferische Bestimmung.

1. (Zorel:) „Gott Selbst ist der höchste und allervollkommenste, ewigste Urmensch aus Sich Selbst; das heißt, dieser Mensch ist in sich selbst ein Feuer, dessen Gefühl die Liebe ist; ein Licht, dessen Gefühl Verstand und Weisheit sind; und eine Wärme, deren Gefühl das Leben selbst ist in der vollsten Sphäre des Seiner- selbst-Bewußtseins. Wenn das Feuer heftiger wird, so wird auch heftiger das Licht und mächtiger die alles schaffende Wärme und strahlt am Ende weithin, und der Strahl ist selbst Licht, hat in sich schon die Wärme, und diese schafft in der Ferne wie in sich. Das Geschaffene nimmt stets mehr des Lichtes und der Wärme auf, leuchtet und erwärmt dann stets weiter und weiter hin und schafft abermals, dahin es gelangt. Und so pflanzt sich alles ewig fort aus dem Urfeuer, Urlichte und aus der Urwärme und erfüllt stets fort und fort und mehr und mehr den unendlichen Schöpfungsraum.

2. Alles nimmt sonach aus dem einen Ursein Gottes seinen Ursprung und bildet sich aus, bis es ähnlich wird dem Urwesen des Urmenschen, in welcher Ähnlichkeit es dann auch in einer vollends selbständigen Freiheit in der Form des Menschen bestehet aus Gott, wie ein Gott für sich in der notwendigen Erzfreundlichkeit mit dem Urgotte, weil es dasselbe ist, was der Urgott Selbst ist.

3. Wo ihr sehet Licht, Feuer und Wärme, da ist auch der Mensch entweder fertig oder im Beginne. Milliarden von Licht-, Feuer- und Wärmeatomen puppen sich ein und erzeugen Formen. Die einzelnen Formen ergreifen sich wieder von neuem, puppen sich in eine größere und dem Menschen schon entsprechendere Form ein und bilden sich in derselben zu einem Wesen. Dieses Wesen erzeugt nun schon mehr des Feuers, des Lichtes und der Wärme; mit dem stellt sich aber ein höheres Bedürfnis nach einer höheren und vollkommeneren Form ein. Gleich zerreißen die vielen, wenn auch in sich schon vollkommeneren Formen ihre Umhäutungen, ergreifen sich und puppen sich mit der Substanz ihres Willens wieder in eine höhere und vollendetere Form ein. Das geht so fort bis zur Vollendung des Menschen hin, und der Mensch puppt sich dann selbst aus bis zu dem Zustand, in welchem ich mich nun befinde, und ist also dem Urfeuer, Urlichte und der Urwärme völlig ähnlich, welches alles da ist Gott, den ich nun schaue mit unverwandtem Blicke in Seinem Urlichte, in Sich das volle Feuer und die volle Wärme, was allein da ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.

4. Der Mensch ist darum zuerst ein Mensch aus Gott und dann erst ein Mensch aus sich. Solange er allein aus Gott ist, gleicht er einem Embryo im Mutterleibe; erst wenn er auch aus sich selbst ein Mensch wird in der Ordnung Gottes, dann ist er ein vollkommener Mensch, weil er dadurch erst zur wahren Gottähnlichkeit gelangen kann. Ist er zu dieser gelangt, dann bleibt er wie ein Gott in Ewigkeit und ist ein Selbstschöpfer der weiteren Welten und Wesen und Menschen geworden. Denn es ist sonderbar, daß ich nun alle meine Gedanken, Gefühle und Wünsche schaue, und mein Wille ist gleich der Umhäutung dessen, was ich mir gedacht und was ich gefühlt habe! Seht, so geht das Erschaffen stets von neuem vor sich!

5. Das Gefühl als Wärme, und sohin Liebe, hat das Bedürfnis nach Wesenhaftem; je mehr aber das Gefühl mächtig wird, je mehr Flammen und Wärme sich da in sich erzeugt, desto mächtiger wird auch der Flammen Licht.

6. Im Lichte drückt sich das Bedürfnis der Liebe in Formen aus. Aber die Formen entstehen und vergehen gleich wie bei einem Menschen von einer erhitzten Phantasie bei geschlossenen Augen die Augenliderbilder, wie man sie also benamset; es kommen aber dafür stets wieder andere, sie werden größer und nehmen nach und nach weilendere und bestimmtere Formen an. Aber bei den vollendeten Menschen, wie bei mir nun freilich nur für eine kurze Dauer, wird der Gedanke in seiner Form erhalten, weil er, vom Willen erfaßt, sogleich durch eine schnelle Umhäutung in der aufgetretenen Form erhalten wird und dieselbe nicht mehr ändern kann; da die Umhäutung aber ursprünglich nur höchst ätherisch zart und somit und sonach durchscheinend ist, so dringt vom Schöpfer des nun eingefangenen Gedankens stets mehr Licht und Wärme hinein. Dies vermehrt des eingefangenen Gedankens eigenes Licht und eigene Wärme, aus welch beiden geistigen Elementen er ursprünglich entstand, und der also eingefangene Gedanke fängt bald an, sich mehr und mehr zu entwickeln, und wird nach dem Lichte der Weisheit und der vollendetsten Erkenntnis, der die noch so künstliche Konstruktion klarer als der hellste Tag ist in allen ihren notwendigen Teilen, Verbindungen und Gliederungen, notwendig und zwecklich organisch eingerichtet. Hat der Gedanke einmal die Organeinrichtung, so fängt dann schon an, sich in ihm ein eigenes Leben seiner selbst bewußt zu werden und sich zu richten.

7. Nun läßt sich wohl denken, daß ein vollendeter Mensch schon eine endlose Fülle von allerlei Gedanken und Ideen in einigen Augenblicken, ganz organisch eingerichtet, wird denken und zusammenfassen können. Will er sie mit seinem Willen einhäuten, so werden sie fortbestehen und sich ausbilden, am Ende dem Schöpfer selbst ähnlich werden in ihrer natürlich höchsten endlichen Selbstvollendung und werden ihresgleichen fortzeugen und erschaffen und so aus sich eine endlose Vermehrung ihresgleichen auf dieselbe Art bewerkstelligen, auf welche Art sie selbst ins Dasein getreten sind. Davon weist schon die materielle Welt handgreifliche Beispiele auf.

8. Die Selbstfortzeugung findet ihr bei Pflanzen, Tieren, Menschen dem Leibe nach und bei den Weltkörpern, die sich auch vermehren. Ihrer Vermehrung sind jedoch Grenzen gesetzt. So ist einem Samenkorne von einer bestimmten Art und Gattung auch nur eine bestimmte Anzahl nachgezeugter gleicher Samenkörner zugeteilt, welche Anzahl es nicht übertreten kann; ebenso den Tieren – und zwar: je größer das Tier, desto beschränkter in der Nachzeugung! Ebenso ist es beim Menschen, und noch um vieles mehr bei den Weltkörpern. Aber im Geisterreiche der vollendeten Menschen geht, wie bei Gott, das Fühlen und Denken ewig fort. Da aber auf die vorbeschriebene Weise ein jeder Gedanke und eine jede Idee von dem sie schaffenden Geiste durch seinen Willen eingehäutet und endlich gar selbständig werden kann, so ist es zu begreifen, daß die ewige Vermehrung der Wesen nie ein Ende haben kann.

9. Du, Zinka, fragst nun in deinem Gemüte, wo am Ende alle die so endlos vielfach entstandenen Wesen Raum haben werden, wenn das Erschaffen ewig im stets ungeheuer vervielfachten Maße und Verhältnisse zunehmen soll. O Freund, bedenke nur, daß der physische Raum selbst unendlich ist, und so du ewig fort in jedem Augenblicke zehnmal hunderttausend Sonnen erschaffen möchtest, so würden diese bei schnellster Fortbewegung im unendlichen Raume sich dennoch ewig fort also verlieren, als wäre keine Sonne je erschaffen worden! Niemand außer Gott fasset des ewigen Raumes Unendlichkeit; selbst die größten und vollkommensten Engel fassen des Raumes ewige Tiefen nicht, wohl aber erschauern sie vor den zu endlosen Tiefen des ewigen Raumes!

10. O Freund, ich sehe nun mit meines Gemütes Augen die Ganzheit der materiellen Schöpfung! Diese Erde, ihr Mond, die große Sonne und alle die zahllosen Sterne, die du erschaust, und deren es welche gibt, die, deinem Auge wie ein schwach schimmernder Punkt vorkommend, selbst ein unmeßbar großes Sonnen- und Weltengebiet sind, das in sich milliardenmal Milliarden Sonnen und noch mehr Planeten faßt, sind nicht das gegen die gegenwärtige Allheit der Schöpfung, was ein kleinstes und feinstes Sonnenstäubchen gegen diesen ganzen dir sichtbaren Sternenraum ist! Und doch kann ich dir sagen, daß es unter den vielen Sternen, die dein Auge erschaut, etliche gibt, deren Durchmesser noch um viele tausend Male größer ist, als wie lang die Linie selbst von dem dir kaum sichtbaren, entferntesten Sterne bis zum von diesem gleich weit abstehenden Gegensatze ist, – eine Entfernung, zu deren Durchwanderung du sogar mit des Blitzes Schnelle mehr denn eine Milliarde mal Milliarden von Erdjahreslängen zu tun hättest!

11. Also einzelne Körper sind schon von solch einer rätselhaften Größe, und doch erscheinen sie deinem Auge als kaum leuchtende Punkte wegen ihrer zu großen Ferne von hier! Und doch ist das alles gegen die Allheit des gesamten Schöpfungsalls, wie gesagt, ein kleinstes Stäubchen, das die Sonnenstrahlen ganz leicht tragen können! Ich sage es dir: Du kannst eine Milliarde Sonnen mit all ihren Planeten und Monden und Kometen erschaffen und sie alle verteilen in dieser Sonnengebietsglobe, und sie werden dir diesen nur einen Globenraum noch ebensowenig merkbar beengen, wie ein Tropfen Wassers das Meer vergrößert und dessen weites Bett beengt; und milliardenmal Milliarden Globen würden im ganzen nun bestehenden Schöpfungsallgebiete ebensowenig bemerklich sein wie die Milliarden Regentropfen im Meere.

12. Sieh an die ganze Erde! Wie viele tausend Bäche, Flüsse und Ströme in das Meer auch fallen, so wird dasselbe darum dennoch nicht um eine Linie vergrößert; nun denke dir noch so viele Schöpfungen über Schöpfungen in jedem Augenblick, und sie werden sich im unendlichen Raume stets ebenso verlieren wie die Myriaden mal Myriaden Wassertropfen, die, in jedem Augenblick ins Meer fallend, sich in ihm verlieren. Es sei dir darum wegen des zu vielen Erschaffens ja nicht kleinmütig bange; denn im Unendlichen gibt es ewig Raum und Platz genug fürs Unendliche, und Gott ist mächtig genug, alles für ewig zu erhalten und einer endlichen Hauptbestimmung zuzuführen!

57. Kapitel. Jorels Einblick in die Entwicklungsprozesse der Natur.

1. (Zorel:) „Ich sage dir nun noch mehr, Zinka! Soviel du je von deiner Jugend an auf dieser Erde gedacht, gesprochen und getan hast, und was du auch in deiner vordieserdlichen Seelenexistenz gedacht, geredet und getan hast, das alles ist aufgezeichnet im Buche des Lebens; davon trägst du ein Exemplar im Haupte deiner Seele, das ganz große Exemplar aber ruhet stets offen und weit aufgeschlagen vor Gott. Wenn du vollendet sein wirst, so wie ich nun vollendet vor Gott stehe, so wirst du alle deine Gedanken, Reden und Taten getreust wiederfinden. An dem, was gut war, wirst du natürlich eine große Freude haben; was aber nicht war in der guten Ordnung, daran wirst du zwar keine Freude haben, aber als ein vollendeter Mensch auch keine Trauer. Denn du wirst daraus die großen Erbarmungen und weisen Führungen Gottes erkennen, und das wird dich stärken in der reinen Liebe zu Gott und in aller Geduld gegenüber allen jenen armen, noch unvollendeten Brüder, die Gott der Herr deiner Führung anvertrauen wird, sei es in dieser oder auch in einer andern Welt.

2. Aus solchen deinen aufgezeichneten Gedanken werden einst auch noch neue Schöpfungen hervorgehen. Gewöhnlich werden aus solchen aufgezeichneten Gedanken, Reden und Taten zuerst größere oder kleinere Weltkörper in der Neuzeit. Sie werden ins Feuer der Sonnen gegeben, um dort bis zu einer gewissen Reife zu gelangen; haben sie solche erreicht, so werden sie dann mit aller Gewalt in den Schöpfungsraum hinausgeführt und dort nach und nach und stets mehr und mehr ihrer selbsttätigen Ausbildung anheimgestellt. Nach und nach bilden sich in einer solchen neugeborenen Welt die vielen tausendmal tausend Einzelgedanken und Ideen – wie die ins Erdreich gelegten Samenkörner – durch das in ihnen lebenskeimige Feuer und Licht stets mehr und mehr aus und dienen dann der neuen Welt als Grundlage zur nachherigen Entstehung von allerlei Wesen, als Mineralien, Pflanzen und Tieren, aus deren Seelen mit der Zeit Menschenseelen gebildet werden.

3. Derartige Neuwelten siehst du dann und wann als zum größten Teile dunstige Nebelsterne, auch als Schweifsterne durch den Himmelsraum ziehen. Ihr Urursprung sind die im Gottesbuche aufgezeichneten Gedanken, Ideen, Reden und Handlungen.

4. Du siehst daraus, daß da auch der leiseste Gedanke, den ein Mensch je gedacht hat, entweder auf dieser oder auf einer andern Erde, unmöglich ewig je verlorengeht und – gehen kann; und die Geister, aus deren Gedanken, Worten und Ideen und Taten solch eine Neuwelt durch Gottes Willen gebildet wird, erkennen in ihrem vollendeten Zustande gar bald, daß solch eine Welt ein Werk ihrer Gedanken, Ideen, Reden und Taten ist, und übernehmen dann ganz gerne und mit einem großen Seligkeitsgefühle die Führung, Leitung, Ausbildung und volle Belebung und zweckliche innere Organisierung des Weltkörpers selbst und endlich aller Dinge und Wesen, die auf solch einem Weltkörper zu bestehen haben werden.

5. Du schauest dir nun diese Erde an und siehst nichts denn eine totscheinende Materie. Ich sehe nun zwar die totscheinenden Formen der Materie auch; aber ich sehe noch viel mehr darin, was du mit deinen Augen nimmer sehen kannst. Ich sehe darin die gebannten geistigen Dinge und Wesen und fühle ihr Bestreben, und sehe, wie sie stets zunehmen an der inneren Ausbildung und besseren und bestimmteren Gestaltung und Entfaltung ihrer zweckdienlichen Formen, und ich sehe abermals zahllose Geister und Geisterchen, die da unablässig tätig sind, so wie der Sand in einem römischen Stundenmesser. Da ist von keiner Ruhe eine Rede, und aus ihrer unablässigen Tätigkeit bildet sich das gesamte zweckdienliche Werden alles und jedes Naturlebens.

6. Ich sage es dir: In jedem Tautropfen, der noch so helle an einer Grasesspitze zittert, sehe ich wie in einem Meere schon Myriaden Wesen sich nach allen Richtungen herumtummeln! Des Tropfens Wasser ist nur eine erste und allgemeine Umhäutung eines Gottesgedankens. Aus dieser nehmen dann die darin gefangenen Geistlein ihre sonderheitliche Umhüllung und bestehen darauf schon gleich in irgendeiner bestimmteren Form, die von der äußern allgemeinen schon sehr verschieden ist; dadurch aber verschwindet dann der Tropfen als Wasserperle, und die im selben sich neu gebildeten Formen als schon Leben tragende Püpplein bekriechen dann die Pflanzen oder andere Dinge, an denen der Wassertropfen sich gebildet hatte. Da gehen aber diese Püpplein, sich ergreifend, alsbald in eine andere Form über, und aus hunderttausenden wird eins. Eine neue Haut wird um die neue Form gebildet; in ihr werden die vielen kleinen Formen durch den Einfluß des Lichtes und der Wärme zum zweckdienlichen Organismus der neuen und größeren Form umgewandelt, und das also entstandene neue Wesen beginnt eine neue Tätigkeit als Vorbereitung zum abermaligen Übergange in eine stets mehr und mehr ausgebildete Form, in der es wieder für den Übergang in eine noch höhere und vollendetere Form tätig zu werden beginnt. Und so ist die sichtliche Tätigkeit eines jeden schon in irgendeine bestimmte Form eingegangenen Wesens nichts als eine rechte Vorbereitung für eine höhere und vollkommenere Form zur stets größeren Festigung des seelischen und endlich in der Menschenform des rein geistigen Lebens.

7. Was ich dir hier sage, ist keine Phantasie, sondern die reinste und ewige Wahrheit. Ich könnte dir nun noch gar vieles von der Ordnung aus Gott kundtun also, wie ich's nun schaue und allerklarst erkenne! Aber ich erkenne nun auch, daß die Zeit dieser meiner Vollendung zu Ende geht; darum muß ich dir hiermit nur noch die Bitte anfügen, daß du mit mir, wenn ich wieder ein sehr dummer und mitunter ärgerlicher Mensch sein werde, Geduld habest und mich in der rechten, dir nun bekannten Ordnung Gottes leitest und führest auf den rechten Weg. Du wirst bei meinem Erwachen in die Welt dich hoch erstaunen, daß ich wieder ganz dumm und finster sein und von allem dem, was nun mit mir vorgegangen ist, keine Silbe wissen werde; aber es wird mir das alles dennoch wohl zustatten kommen.

8. Eine Zeitlang wird mein nun gezwungen reif gewordener Geist, dieses ungewohnten und ungeübten Zustandes müde, sich wohl ganz schlafstumm verhalten; aber er wird durch die für jetzt noch nötige Ruhe bald gestärkt und wach werden und fühlen die Dringlichkeit der wirklichen Lebensvollendung, deren seligste Süße er nun zum Verkosten bekam, und wird sonach zur schnelleren Vollausbildung der Seele sehr viel beitragen, auf daß sie ehest reif werde in ihm in aller Wahrheit und rechten Fähigkeit, um vollends überzugehen in den sie durchdringenden Geist.

9. Ich werde nun abermals schlafen noch eine halbe Stunde lang, nach welcher Zeit du mich durch die Gegenlage deiner Hände erwecken mußt. Wenn ich aber wieder wach werde, da lasse mich nicht von der Stelle, bis ich nicht den Menschen der Menschen an diesem Tische werde vollends erkannt haben! Denn Dieser ist eins mit Dem, den ich nun noch sehe in der Sonne der ewig großen Geisterwelt.

10. Nun habe Dank darum, daß du mir aufgelegt hast deine Hände!“

58. Kapitel. Richtet nicht!

1. Nach diesen Worten schlief unser Zorel wieder ruhig, und Zinka sagte: „Nein, was dieser Mensch uns jetzt alles geoffenbart hat! Wenn das alles also wahr ist, dann haben wir eine Kenntnis erhalten, von der schwerlich je irgendeinem Propheten etwas geträumt hat! Nein, ich bin ganz wie aufgelöst von dieses Menschen tiefster Weisheit! Wahrlich! Kein Engel kann eine tiefere Weisheit besitzen!“

2. Sagt auch Cyrenius: „Ja, dem Menschen muß geholfen werden; denn so viel des höchst Wundervollen aus Deiner göttlichen Ordnung ist hier noch nicht enthüllt worden! Mathaels Enthüllungen waren groß und machten mich sehr denken; aber was nun dieser Zorel alles enthüllt hat, ist unerhört! Kaum glaublich und denkbar, daß solche innersten Weisheitstiefen sich noch in menschliche Worte einkleiden und dann als klar verständlich darstellen lassen! Kurz, ich bin ganz außer mir ob diesem Zorel! Könnte er das auch im nachfolgenden fleischwachen Zustande sagen, oh, ich würde ihn auf einen Thron setzen, von dem herab er den Menschen die hohe Wahrheit predigen sollte, auf daß sie alle desto sicherer erreichten ihres Seins und Lebens wahre und vollendete Bestimmung!“

3. Sage Ich: „Ganz gut, Freund Cyrenius! Es liegt vorderhand weniger an dem, was er in seinem dritten Stadium geweissagt hat – obschon es durchgängig wahr ist –, als vielmehr an dem, daß ihr in der Folge über keinen Menschen darum den Stab brechet, weil er an sich eine kranke Seele ist. Denn ihr alle habt es nun gehört und empfunden, wie auch in einer noch so kranken Seele ein völlig allergesundester Lebenskeim rastet; und wird die Seele durch eure brüderliche Mühe gesund gemacht, so habt ihr einen Gewinn gemacht, den euch ewig keine Welt bezahlen kann! Welchen Nutzen kann danach ein solch vollendeter Mensch stiften! Wer ermißt dessen Tragweite?! Ihr Menschen wisset es nicht, aber Ich weiß es, wie weit solch eine Mühe sich der Mühe lohnt!

4. Darum sage Ich es euch: Seid allzeit barmherzig auch gegen die großen Sünder und Verbrecher wider eure und wider die göttlichen Gesetze! Denn nur einer kranken Seele ist eine Sünde zu begehen möglich, einer gesunden wohl niemals, weil eine gesunde Seele gar nicht sündigen kann, da die Sünde stets nur eine Folge einer kranken Seele ist.

5. Wer aus euch Menschen aber kann eine Seele wegen der Verletzung eines Meiner Gebote richten und strafen, da ihr doch alle unter demselben Gesetze stehet?! Ein Gesetz aus Mir aber besteht ja eben darin, daß ihr niemanden richten sollet! Wenn ihr eure Nächsten richtet, die sich an Meinem Gesetze versündigt haben, so versündigt ihr euch ja im gleichen Maße an Meinem Gesetze! Wie könnet ihr aber als selbst Sünder einen andern Sünder richten und verdammen?! Wisset ihr denn nicht, daß, während ihr euren seelenkranken Bruder zur harten Sühne verdammet, ihr damit auch für euch ein doppeltes Verdammungsurteil ausgesprochen habt, welches an euch dereinst, wenn nicht nach Umständen auch schon hier, vollzogen werden wird?!

6. So einer aus euch ein Sünder ist, der lege das Richteramt nieder; denn richtet er, so richtet er sich selbst in doppeltes Verderben, aus dem er schwerer frei werden wird als derjenige, den er gerichtet und verdammt hat. Kann denn je ein Blinder einen andern führen oder ihn setzen auf den rechten Weg?! Oder kann ein Tauber einem andern Tauben etwas erzählen von der Wirkung der Harmonien der Musik, wie sie am reinsten geübet ward vom David? Oder kann ein Lahmer zum andern sagen: ,Komme her, du Elender, ich werde dich führen auf die Herberge!‘? Werden da nicht alle beide bald ausgleiten und fallen in einen Graben?!

7. Daher merket euch das vor allem, daß ihr niemanden richtet, und leget das auch allen denen ans Herz, die dereinst eure Jünger werden! Denn bei der Befolgung dieser Meiner Lehre werdet ihr aus Menschen Engel zeihen, – bei der Nichtbefolgung aber Teufel und Richter wider euch selbst.

8. Niemand zwar ist ganz vollkommen auf dieser Welt; doch der Vollkommenere im Verstande und im Herzen sei der Leiter und Arzt seiner kranken Brüder und Schwestern, und der selbst stark ist, der trage den Schwachen, sonst erliegt er samt dem Schwachen, und sie werden beide nicht mehr von der Stelle kommen!

9. Daß ihr alle aber das so recht grundrichtig und wahr einsehet, dazu habe Ich euch eben mit diesem Zorel so ein recht handgreifliches Beispiel gestellt, aus dem ihr wohl erkennen möget, wie sehr und wie hoch gefehlt es ist, einen Verbrecher nach eurer Art zu richten! Zwar wird eure Art zu richten stets ein Angehör der Welt verbleiben, und dem Drachen der Tyrannei wird das harte, diamantene Haupt schwer je völlig zertreten werden – denn die Erde ist ja eben darum eine Probewelt für Meine angehenden Kinder –; aber unter euch soll es nicht also verbleiben, denn unter euch streuen die Himmel Früchte mit reichlichen Samenkörnern versehen.

10. So ihr die Früchte Meines Eifers nun genießet, da vergesset es ja nicht, die davon entfallenden Samenkörner so reichlich als möglich in die Herzen eurer Brüder und Schwestern zu streuen, auf daß sie darin aufgehen und eine reichliche und gesunde neue Frucht tragen mögen! Wie sich aus den ins Herz gelegten Samenkörnern aber eine neue wunderbare Frucht erzeugt, das hat euch Zorel nahe ins kleinste klar und deutlich gezeigt. Tut also danach, so werdet ihr wie aus euch selbst schon Leben zeihen und eben dadurch selbst das ewige Leben in aller euch nun bekannten Vollendung überkommen! Das ist nach diesem Händeauflegungsakte für euch zur möglichst genauesten Danachachtung und Handhabung gegeben.

11. Nun aber ist die Zeit herangekommen, wo du, Zinka, dem Zorel deine Hände entgegengesetzt auflegen mußt, auf daß er wach werde; dann aber, so er wach wird, gib du, Markus, ihm Wein mit etwas Wasser, auf daß sein Leib in die frühere Kraft komme! So er aber wach wird und zu reden anfangen wird wieder wie früher, da ärgert euch nicht und erinnert ihn nun gar nicht an das, was er in seiner Ekstase geredet hat; denn solches könnte ihm einen leiblichen Nachteil bewirken. Belachet ihn aber auch nicht, so er mit irgendeiner Dummheit zum Vorscheine kommen wird! Ganz sachte könnet ihr nach und nach auf Mich hinlenken; aber nur keine Übereilung dabei, weil durch sie vieles auf lange Zeit für ihn verdorben werden könnte! Und jetzt gehe du, Zinka, an dein Werk, dieweil der Markus mit dem Weine und Wasser bereits schon da ist!“

59. Kapitel. Zorels materialistischer Glaube.

1. Zinka legte dem Zorel nun die Hände entgegengesetzt auf, und dieser schlug alsbald die Augen auf und wurde wach. Als Zorel vollends wach geworden war, winkte Ich dem alten Gastwirte Markus, ihm den etwas gewässerten Wein zu verabreichen, da ihn der Durst sehr plagte. Markus tat solches sogleich, und der sehr durstige Zorel leerte einen ganz tüchtigen Becher mit einem Zuge und bat um noch einen Becher voll, da es ihn noch dürste. Markus fragte Mich, ob er so etwas wohl tun solle. Und Ich bejahte solche Frage, nur mit dem hinzugesetzten Bemerken, das zweitemal mehr Wasser als Wein zu geben. Und Markus tat solches, und es bekam dies dem Zorel wohl. Als er sich aber also gestärkt hatte, sah er sich um und musterte die Umgebung, die er noch ganz gut ausnehmen konnte, obwohl sich die Sonne schon sehr dem Untergange zu nahen begann.

2. Nach einer Weile sagte er (Zorel), mit seinen Augen Mich unverwandt anschauend: „Zinka, jener Mensch dort kommt mir sehr bekannt vor! Ich muß ihn schon irgendwo gesehen haben! Wer er etwa doch ist, und wie er heißt? Je länger ich ihn betrachte, desto mehr kommt es mir ganz lebendig vor, daß ich ihn irgendwo gesehen habe! Zinka, ich habe nun eine große Sympathie für dich, – darum vertraue es mir an, wer jener Mann ist!“

3. Sagt Zinka: „Jener Mann ist eines Zimmermanns Sohn aus Nazareth, das da liegt über Kapernaum, – aber nicht aus dem gleichnamigen Flecken, der da liegt hinterm Gebirge und zum größten Teile von den schmutzigen Griechen bewohnt ist. Sein Charakter ist der, daß er ein Heiland ist und überaus geschickt in seiner Kunst; denn dem er hilft, dem ist geholfen. Sein Name entspricht seinem Charakter, und er heißet darum ,Jesus‘, was da ist ein Heiland der Seelen und der kranken Leibesglieder zugleich. Er hat eine noch viel größere Kraft in seinem Willen und in seinen Händen und ist dabei engelsgut und weise. Nun weißt du alles, darum du gefragt hast; hast du etwa noch um irgend etwas zu fragen, so tue das, – ansonst dürften die hohen Herren etwas unternehmen, und wir hätten dann wenig Zeit mehr, über manches uns näher zu verständigen!“

4. Sagt Zorel so etwas halblaut zum Zinka: „Ich danke dir für das Mitgeteilte, obschon ich nun noch nicht weiß, wie ich so ganz eigentlich daran bin; denn ich kann mir nur den Grund nicht aufhellen, aus dem mir jener Mann gar so bekannt vorkommt! Es kommt mir vor, als hätte ich irgendwann eine große Reise mit ihm gemacht! Ich bin gereist, und das viel zu Wasser und zu Lande, und habe Gesellschaft gehabt, kann mich aber nicht irgend entsinnen, solch einen Mann gesehen und gesprochen zu haben; und doch kommt es mir, wie gesagt, gar sehr also vor, als hätte ich gar vieles auf einer Reise mit ihm zu tun gehabt! – Erkläre mir das, wie das kommen mag!“

5. Sagt Zinka: „Auf die natürlichste Art von der Welt! Du hast irgendeinmal einen recht lebhaften Traum gehabt, dessen du dich nun so ganz dunkel erinnerst, und das wird der sichere Grund deines nunmaligen Gefühles sein!“

6. Sagt Zorel: „Kannst recht haben! Mir träumt öfter etwas, dessen ich mich erst so nach etlichen Tagen entsinne, so ich durch ein ähnliches Außenobjekt daran gewisserart erinnert werde; ansonsten geht da alles verloren, und ich erinnere mich dann keines Traumes, und hätte ich noch so lebhaft geträumt! Aber das wird schon so sein; denn in der Wirklichkeit habe ich jenen Nazaräer wohl noch nie gesehen.

7. Nun aber noch etwas, lieber Freund! Sieh, ich bin hierhergekommen, um vom hohen Statthalter das bewußte Almosen zu erhalten. Was meinst du, wird mit ihm etwas zu machen sein? Wäre da nichts zu hoffen, so könntest du dich wohl bei ihm wenigstens dahin für mich verwenden, daß ich wieder heimziehen dürfte. Denn was soll ich nun hier? Für all den theosophisch und auch philosophisch weisen Kram gebe ich nichts. Meine Theosophie und Philosophie sind ganz kurz beisammen: Ich glaube an das, was ich sehe, also an die Natur, die sich von Ewigkeit her immer und immer erneuert. Darauf glaube ich auch, daß das Essen und Trinken die zwei allernotwendigsten Stücke zum Leben sind; aber an sonst etwas glaube ich nicht leichtlich.

8. Es gibt wohl manches Sonderbare in der Welt, wie allerlei Magie und andere Künste und Wissenschaften. Aber zwischen ihnen und mir besteht dasselbe Verhältnis wie zwischen dem Feuer und mir: solange es mich nicht brennt, blase ich nicht! Ich fühle kein Bedürfnis in mir, mehr zu wissen und zu verstehen, als was ich nun weiß und verstehe; und so wäre es auch sehr dumm von mir, noch länger etwa darum verweilen zu wollen, um irgendeine schwer verständliche Weisheitslehre zu erschnappen, damit ich mich dann irgend vor dummen Kerlen patzig machen könnte.

9. Du siehst in mir einen Naturmenschen, dem alle die weise sein wollenden Einrichtungen und Gesetze der Menschen zuwider sind, weil sie dessen angeborene Freiheit oft auf zu harte Weise beeinträchtigen, und das bloß darum, damit einige wenige sehr reich, mächtig und hoch angesehen werden können, wofür dann freilich Millionen im oft tiefsten Elend schmachten dürfen. Verstünde ich mehr noch, als ich jetzt verstehe, so würde ich noch tiefer auf den Grund solcher Ungerechtigkeiten sehen können, was mich sicher nicht glücklicher machen würde; so aber muß mir in meiner Dummheit viel Kummer erspart werden, weil ich nicht den Grund von all den menschlichen Schlechtigkeiten recht fundamental einsehe.

10. Wo die argen, weise sein wollenden Menschen nicht aus sich selbst genug die Menschheit drückende Gesetze haben erfinden können, da stellten sie denkende und sehr erfinderische Köpfe auf, die, mit ekstatisch verzerrten Gesichtern einhergehend, mit mancherlei Gesetzen von seiten der Götter sicher nur lügnerisch ans Licht traten und damit die arme und schwache Menschheit von neuem zu plagen anfingen unter den lächerlichsten Androhungen von den schrecklichsten, ewigen Strafen und unter Verheißungen von den allergrößten Belohnungen, aber freilich das alles erst nach des Leibes Tode, wo es gut belohnen ist, weil die Toten nichts mehr brauchen.

11. Doch was die Strafen betrifft, da ließen die Menschen es nicht bis nach dem Tode anstehen, griffen ihren erfundenen und nichtigen Göttern vor und straften die Vergeher gegen die Gesetze der Götter gleich lieber schon hier, damit jenseits ja niemand zu kurz käme in der angedrohten Strafe. Nur auf die Belohnung ließen sie die Frommen bis ganz nach dem Tode warten; da kommt in diesem lieben Leben niemals irgendein freier Vorschuß zum Vorscheine, außer man hätte sich für einen Großen irgend förmlich totschlagen lassen! Alles, was in den menschlichen Gesellschaftsverbänden ist und besteht, ist so einzeln hoch menschenintereßlich eingeleitet, daß jeder nüchterne Denker auf den ersten Griff gleich den Grund heraus hat, auf dem es erbaut ist: das göttergesetzliche und menschengesellschaftliche Element!

12. Freund! Wenn einer allein als ein freiester Herr aller Herrlichkeiten der Erde leben will, da muß dann freilich die andere willens- und kraftschwache Menschheit weinen samt dem Erdboden, darauf sie steht! Für die Bedrücker der Menschheit, für die allerherzlosesten Tyrannen wäre dereinst freilich wohl eine entsprechende Vergeltung gut; aber wer soll solche erteilen können?! Kurz, es ist nichts! Ein pures, loses Puppenspiel!

13. Wer die andern, das ist die Nebenmenschheit, sich dienstbar machen kann, der tut recht und wohl; denn ein dummer Mensch ist nicht mehr wert denn ein dummer Hund! Der Stärkere und Pfiffigere erschlage ihn, nehme von seinen Gütern vollen Besitz und suche sie dann auf Leben und Tod vor fremden Eingriffen auf jede mögliche Art zu beschützen! Bringt er das zustande, dann wird er bald ein großer und freier Herr; kann er das nicht, so geschieht es ihm auch recht, darum er etwas unternommen hat, von dem er als ein weiser Mann lange genug hätte voraussehen sollen, daß es ihm nicht gelingen werde. Kurz, für die Dummen tauget nichts besser als die Vernichtung; wenn sie nicht mehr sind, da haben für sie alle Gesetze, alle Verfolgungen und alle die unmenschlichen Strafen für ewig aufgehört! Nur nicht sein, wenn man elend sein muß; eine Stunde rechten Elends wiegt zehntausend Jahre der größten Glückseligkeit nicht auf!

14. Liebster Freund Zinka, sieh, das ist so mein harmloses Glaubensbekenntnis, gegen das sich auf dieser Welt wohl schwer wird irgend etwas entgegenstellen lassen. Es ist Wahrheit, die man nun nirgends hören will; alles wiegt sein Dasein in lauter lügenhaften Phantasien und dünket sich dabei so recht glücklich zu sein! Nur zu! Wühle ein jeder denn im Reiche der Lüge und suche in der phantastischsten Phantasie den Trost, wenn das Elend mit eherner Ferse ihm das Genick zu zertreten beginnt!

15. Betäubet euch, ihr Elenden, alle mit dem Mohngifte der Lüge, und schlafet solange ihr lebet unter dem süßen Drucke des Wahnsinns, und es geschieht jedem wohl und recht, so ihn das glücklich macht; nur mir geschieht es unrecht, weil ich mich unter den Aarsfittichen der Wahrheit überaus unglücklich fühlen muß, so ich aus den lichten Höhen den stets gleichen und todbringenden Sturz sehen, fühlen und selbst berechnen muß, der meiner und der andern, mir ähnlichen, harrt! Wer wird mich im Falle aufhalten, so das lockere Band bricht, mit dem mich meine Torheit an des Aars mächtigen Fittich befestigt hat?!

16. Menschen! Lasset mich in der Ruhe doch meinen Raub verzehren, ich tue euch ja nichts; gebt mir von eurem Überflusse nur so viel, daß ich mir das wieder anschaffen kann, was mir der arge Zufall genommen hat, und ihr sollet an mir keinen undankbaren Bettler finden! Wollt ihr mir aber nach der gewöhnlichen Art gar nichts geben, so lasset mich zum wenigsten unbeirrt heimziehen, auf daß ich als ein armer Faun, natürlich auf ungesetzlichen Wegen, mir so viel Holz zusammensammle, um mir auch nur eine allernotdürftigste Hütte zu erbauen, so gut wenigstens, wie sich das Bibertier eine erbaut! Eines oder das andere werdet ihr mir ja etwa doch gewähren; mich aber etwa noch elender zu machen, als ich nun schon bin, das werdet ihr ja etwa doch wohl nicht tun! Habt ihr für mich aber solches im Sinne, da tötet mich lieber gleich! Denn elender als ich nun schon bin, will ich durchaus nicht werden und sein! Denn tötet ihr mich nicht, dann weiß ich, was ich zu tun habe! Ich werde mich selbst zu töten verstehen!“

17. Sagt Zinka endlich wieder: „Das sei ferne von dir! Auch sollst du bei deinen sonderlich guten Kenntnissen und Erfahrungen zu solch einer tollsten Tat, sie zu vollführen, nicht genötigt werden; denn während du schliefst, hat Cyrenius für dich schon bestens gesorgt, – aber erst wenn du einsehen wirst, wie eben das, was du als Wahrheit nun erkennst, die größte Unwahrheit ist! Sei also unbesorgt und nimm eine bessere Lehre an, und du sollst dann erst wahrhaft und ganz glücklich werden!“

60. Kapitel. Zorels Kritik der Moral und Erziehung.

1. Sagt Zorel: „Deine Worte klingen recht freundlich, gut und zart, und ich bin überzeugt, daß du ebenso redest, wie es dir ums Herz ist und die Sache auch wahr sein wird; aber es fragt sich da wohl sehr, welch eine Lehre ich da annehmen soll, unter deren Leuchtfackel ich das, was ich nun als höchst wahr einsehe, als etwas Grundfalsches erkennen werde! Zwei und noch einmal zwei geben zusammen vier, das ist eine mathematische Wahrheit, gegen die sich aus allen Himmeln heraus nichts einwenden läßt, und es kann da unmöglich irgendeine andere Lehre geben, die diese ewige Wahrheit Lügen strafen könnte! Ich müßte nur ein abergläubischer Narr sein, um annehmen zu können, daß zwei und abermals zwei zusammen gleich sieben als Summe geben könnten, dann wäre bei mir freilich wohl eine Glaubensänderung möglich; aber bei meinem gegenwärtigen Erkennen ist das rein unmöglich!

2. Daß es irgendeine intelligente, ewige Urkraft geben muß, von der wenigstens die Urkeime oder zum mindesten deren erste Regelungen herrühren, kann von keiner noch so reinen Vernunft geleugnet werden; denn wo es einmal ein Zwei gibt, da muß es zuvor auch ein Eins gegeben haben. Aber wie lächerlich und überaus dumm ist es von den albernen, blinden Menschen, so sie sich eine Urkraft – die doch in der ganzen, ewigen Unendlichkeit gleich verteilt und ausgebreitet sein muß, weil ihre Grundwirkung durch die ganze Unendlichkeit gleich verspürbar sein wird – in einer Form, und gar in einer menschlichen, vorstellen, ja mitunter sogar in einer bestialischen!

3. Die Juden hätten, wenn sie bei ihrer Urlehre stehengeblieben wären, im Grunde noch die vernünftigste Vorstellung von einer allgemeinen Urkraft, die sie ,Jehova‘ nennen; denn es lautet bei ihnen ein Satz: ,Du sollst dir Gott unter gar keiner Form vorstellen und dir noch weniger ein geschnitztes Bild von Ihm machen!‘ Aber sie sind davon ganz abgegangen und haben nun ihre Synagogen und Tempel voll Bilder und Zieraten und glauben daneben an die albernsten Dinge, und die Priester strafen jene ihrer Bekenner, die das nicht glauben, was sie lehren. Sie heißen sich Gottes Diener und lassen sich darum ungeheuer ehren; aber dafür plagen sie die arme Menschheit mit allerlei, was sie dazu nur immer erfinden können. Soll ich etwa bei solchen Bewandtnissen ein Jude werden? Nein, dies sei ewig ferne!

4. Wohl heißt es, daß sie Gesetze von Gott Selbst haben, die Er ihnen durch ihren Grundlehrer Moses gegeben habe auf dem Berge Sinai. Die Gesetze sind zwar an und für sich ganz gut, so sie jedermann als eine unerläßliche Lebensregel dieneten; aber was nützt das, so man dem armen Menschen das Stehlen und Betrügen auf das strengste untersagt, selbst aber, als ein auf dem Stuhle der Herrlichkeit Sitzender, alle ihm ganz sklavisch untergeordnete Menschheit bei jeder Gelegenheit ausraubt, sie bestiehlt und betrügt, wie da nur immer möglich ist, und sich darum dem göttlichen Gesetze zum Trotz aber auch nicht das allergeringste Gewissen macht! Sage mir, in welch einem Lichte einem Reindenker solch ein Gesetz und die Hüter desselben erscheinen müssen!

5. Hat einen armen Faun die Not dazu gezwungen, sich irgend, wo er einen Überfluß fand, für sein dringendes Bedürfnis etwas zu nehmen, so wird er mit aller unnachsichtigen Strenge zur Verantwortung gezogen und sogleich über und über gestraft; aber der Gesetzeshüter, der alle Tage und bei jeder Gelegenheit raubt, mordet, stiehlt und betrügt, steht über dem Gesetze, beachtet es nicht im geringsten und glaubt bei sich selbst auch an nichts, außer an seine viel fordernden zeitlichen Vorteile! Kann das wohl irgendeine göttliche Einrichtung sein, die mit den selbst nur sehr geringen Anforderungen der armen Menschheit in einem gar zu grellen Widerspruche steht?! Welche nur einigermaßen gereinigte Vernunft kann das wohl je billigen?!

6. Was mir sicher nur angenehm sein kann, daß man es mir tue, das muß ich auch von meinem Nebenmenschen denken, daß es auch ihm nicht unangenehm sein werde, so ich ihm tun werde, was ihm bescheidenstermaßen wohl und angenehm dünkt! So ich bis über die Ohren in aller Not und Armut stecke, kein Geld habe, mir auch nur das Notdürftigste zu verschaffen, gehe, suche und bitte, auf die Bitte von niemandem etwas erhalte und erst am Ende mir selbst nehme, was mir not tut, – kann ein Gesetz mich darum verdammen?! Habe ich denn gar kein Recht, von etwas mir höchst Nötigem Besitz zu ergreifen, da doch die starken Vorfahren sicher keine Sünde begingen, von ganzen Ländern den vollen Besitz zu ergreifen?!

7. Ja, so ich aus Arbeitsscheu stehlen und immer stehlen würde, da könnte sich darob keine Vernunft für beleidigt halten, so man mich darum zur Verantwortung zöge; wenn ich aber nur im äußersten Notfalle von irgend etwas mir Notwendigstem den gewisserart gesetzwidrigen Besitz ergreife, so kann und soll mich darum auch kein Gott zur Verantwortung ziehen können, – geschweige ein selbstsüchtiger, schwacher Mensch, der in mancher Hinsicht in einem Tage mehr Ungerechtigkeiten begeht denn ich in einem ganzen Jahre! Ich will mich zwar gegen das göttlich sein sollende Besitzschutzgesetz nicht schmähend äußern; aber besser und menschlicher macht es in seiner ausnahmslosen Rigorosität die Menschheit nicht, sondern nur härter und liebloser!

8. Ebenso ist das Verwahrungsgesetz für reine Zucht und Sittlichkeit sehr roh und rauh hingeworfen, ohne alle Rücksicht auf die Natur, Zeit und Kraft der Menschen. Man bedenke, welchen Zuständen der Mensch – gleichviel, ob männlich oder weiblich – ausgesetzt ist! Oft gar keine Erziehung, oft eine, die noch schlechter denn gar keine ist! Er genießt oft Speisen und Getränke, die sein Blut sehr aufregen; er findet oft eine leichte Gelegenheit, seinen mächtigen Naturtrieb zu befriedigen und befriedigt ihn auch. Aber die Geschichte kommt auf, und er wird als Sünder ohne alle Rücksicht bestraft, denn er hat ja ein – göttliches Gesetz übertreten.

9. O ihr Narren samt euren göttlichen Gesetzen! Warum habt ihr denn nicht dahin ein göttliches Vorgesetz herausgegeben, demnach vor allem für eine wahre und beste Erziehung gesorgt sein sollte, und hättet dann erst gesehen, ob irgendein anderes Nachgesetz notwendig gewesen wäre?! Ist es nicht kaum aussprechbar dumm von einem Gärtner, der zu einem Bugspalier Bäume setzt, wenn er sie dann erst zu beugen beginnt mit aller Macht und Kraft, so die Bäume zuvor schon eine Reihe von Jahren hindurch groß, hart und unbeugsam geworden sind?! Warum hat der dumme Gärtner denn mit seinen Bäumen die Beugung nicht zu einer Zeit vorgenommen, in der sie ganz leicht und ohne alle Gefahr zu beugen gewesen wären?! Sorge ein Gott oder auch ein Mensch, durch dessen Mund die Gottheit reden soll, zuerst für eine gerechte, der sittlichen Menschennatur angemessene weise Erziehung und gebe erst dann weise Gesetze, wenn der besterzogene Mensch derselben irgend noch bedürfen sollte!

10. O Freund Zinka! Du bist wohl ein Jude und wirst deine Lehre besser kennen als ich; aber soviel mir von ihr zufälligerweise bekannt ist, kann ich dir nichts anderes sagen, als was ich dir bereits gesagt habe, und du wirst aus dem einsehen, daß ich wegen der Versorgung von seiten des hohen Cyrenius meine auf der reinen Vernunft und auf den mathematischen Grundsätzen fußende Erkenntnis durchaus nicht von mir lassen kann. Unter solchen Tauschbedingungen weise ich jede noch so glänzende Versorgung zurück, ergreife lieber den Bettelstab und bringe so den armseligen Rest meiner Tage auf dieser Erde zu; was aber nachher die Natur mit mir machen will, das wird einem Toten und ins alte Nichts Zurückgekehrten wohl sehr einerlei sein! – Rede nun du, Zinka, ob ich recht oder nicht recht habe nach deiner Ansicht!“

11. Sagt Zinka: „Freund und Bruder Zorel! Ich kann dir im Grunde des Grundes ganz und gar nicht unrecht geben; aber das muß ich dir dennoch auch hinzubemerken, daß es noch ganz sonderbare Dinge gibt, von deren Möglichkeit du dir noch gar keine Vorstellung machen kannst. Wenn du dahinterkommen wirst, dann erst wirst du selbst erkennen, wieviel Gutes und Wahres an deinen diesmaligen Grundbehauptungen liegt!“

12. Sagt Zorel: „Ja, ja, recht also; wenn du aber schon etwas Besseres weißt, so wende mir was ein, und ich bin bereit, dir Rede zu stehen!“

13. Sagt Zinka: „Das würde dir und mir wenig nützen; aber wende dich an jenen Mann dort, von dem du sagtest, daß er dir gar so bekannt vorkäme! Der wird dir schon ein rechtes Licht anzünden, und du wirst darauf die Wahrheit oder das Gegenteil deiner Behauptungen gleich heller einzusehen beginnen!“

14. Sagt Zorel: „Gut denn, ich werde solches tun und habe keine Scheu vor ihm; aber er wird an mir eine harte Nuß zum Knacken bekommen!“

61. Kapitel. Materialistische Irrtümer.

1. Mit diesen Worten verläßt der in seine sehr elenden Lumpen gehüllte Zorel den Zinka und tritt zu Mir hin, sagend: „Hoher Herr und Meister der Heilkunde, dies Kleid, das da bedeckt meinen elenden Leib, sind Lumpen von gar elender Art; aber sie decken wenigstens die Scham eines Menschen, dem es wirklich leid tut, unter diesen vielen sein wollenden oder sollenden Menschen leider auch ein Mitmensch zu sein! Form haben wir zwar bis aufs Kleid dieselbe; aber zwischen dem Sein scheint ein himmelhoher Unterschied obzuwalten.

2. Ich bin ein Mensch, der da wohl zu unterscheiden versteht, daß zwei und zwei zusammen nicht sieben, sondern vier ausmachen! Zinka sagte mir, daß du der Mann wärest, der mir noch ein helleres Lichtchen anzünden könnte, als da ist das meinige, das mir wenigstens unter meinen Glaubensgenossen den Stempel der Menschheit aufdrückte; aber ich habe mir darauf nie was zugute getan und will mir noch weniger zugute tun, wenn du mir ein anderes Lichtlein anzünden willst. Zinka sagte mir, daß du allein solches zu tun imstande wärest.

3. Meine eben sicher nicht aus der blauen Luft gegriffenen Grundsätze hast du gehört. Sie waren für mich leider eine nur zu handgreifliche Wahrheit; kannst du mir aber dafür etwas Besseres geben, so tue das, und ich lasse gerne augenblicklich meinen ganzen Wahrheitsplunder von ganzem Herzen fahren! Ich weiß zwar nicht, mit welchem Ehrentitel ich dich begrüßen soll, – aber ich denke, daß auch du ein Mensch der Wahrheit bist, und solchen Menschen ist es wohl eins, welchen Titel man ihnen beilegt. Ich nenne dich ,Hoher Meister‘ und ehre dich als solchen, obwohl ich dich bloß nur vom Hörensagen kenne. Wirst du mir aber auch in der Tat genügen, da sollst du von mir angebetet werden!

4. Sage mir denn, so es dir genehm ist, inwieweit ich mit meinen Wahrheitsgrundsätzen wohl oder irrig daran bin! Sind wir nun mehr oder weniger Menschen, als jene es waren, die als erste vernünftige Wesen diese Erde bewohnt haben? Darf ich nun, weil die Menschen einmal ein Besitzschutzgesetz erfunden haben, von dem sie sagen, daß es ein Gott gegeben habe, als ein armer Faun, der schon oft drei Tage keinen Bissen zu essen hatte und durchs Bitten auch nichts bekommen konnte, mir nicht so viel nehmen von irgendeines andern Menschen Überflusse, um mich nur zur Not vor dem Hungertode zu schützen, da doch ein jeder Erdwurm das Recht hat, sich mit einem Fremdbesitze zu sättigen, ohne ihn kaufen zu müssen, weil auch er ein Bewohner dieses Erdbodens ist und leider sein muß, da es einmal die mächtige Natur also eingerichtet hat? Oder soll ein Mensch weniger Recht haben, sich mit den seiner Natur zusagenden Erdfrüchten zu sättigen darum, weil er sich kein gutes Stück Erdreich kaufen konnte –, als ein Vogel in der Luft, von denen doch ein jeder ein ausgemachter Dieb ist?! Ich bitte dich, daß du mir darüber einen rechten Bescheid geben möchtest!“

5. Sage Ich: „Freund, solange du deine Menschenrechte denen der Tiere gleichstellst, hast du mit deinen Naturgrundrechten auch vollkommen recht; da kann Ich dir durchaus nichts einwenden, und jedes Eigentum schützende und jedes andere Moralgesetz ist da eine allerabsurdeste Lächerlichkeit! Wie dumm müßte der sein, der den Vögeln in der Luft, den Tieren auf der Erde und den Fischen im Wasser Eigentumsschutzgesetze und andere sittliche Vorschriften geben wollte; denn ein nur einigermaßen vernünftiger Mensch, oder gar ein Gott, muß es ja wissen, daß diese Wesen ihre Natur zum einzigen Gesetzgeber haben! Du hast demnach ganz recht mit deinen Ansichten, wenn der Mensch vorderhand nichts anderes ist und zu erwarten hat – als irgendein Tier, wie es so in seiner Natur dasteht.

6. Aber wenn der Mensch irgendeines sehr wohl möglichen höheren Zweckes wegen da ist oder da sein dürfte, wovon dir freilich bis jetzt wohl noch nichts in deinen Sinn hat kommen können, was deine nur für die untersten Bedürfnisse streitende Weisheit nur zu deutlich zu erkennen gibt, so dürften deine mathematischen Grundsätze wohl auf sehr schwachen und wankenden Füßen stehen!

7. Daß aber ein jeder Mensch für einen höheren Zweck auf diese Erde gesetzt wurde, solltest du ja schon daraus erkennen, daß er als ein neugeborenes Wesen tief unter jedem Tiere steht und erst nach einigen Jahren tüchtiger Pflege anfängt, ein Mensch zu werden. Er muß in irgendeine Ordnung treten und mit allerlei gerechter Mühe und rechtlichem Kampfe sich sein Brot erwerben. Darum hat er aber denn auch Gesetze überkommen, damit er sie als erste Wegweiser zu einem höheren Ziele hin betrachten soll und sie auch halten aus seinem freien Willen heraus wegen der ferneren Selbstbildung und Selbstbestimmung, durch die allein er am Ende seine hohe Bestimmung erreichen kann, – aber nie als ein noch so beißend vernünftiger Tiermensch, sondern als ein vollkommener Menschmensch.

8. Solange du dich nur kümmerst um das, was dem Fleische gebührt, wirst du als Mensch nicht weit kommen; ah, wenn du aber dahinterkommen wirst, daß in dir noch ein Mensch wohnt, der ganz andere Bedürfnisse als dein Leib hat und auch für etwas ganz anderes bestimmt ist, da wird es dir nimmer schwer werden zu erkennen, wie sehr du mit deinen Grundsätzen im lockersten Sande herumwühlst!

9. Siehe, Ich kenne deinen sonst guten Willen und dein Forschen nach Wahrheit und nach dem Grund all des Bösen, mit dem nun die Menschheit auf Erden wahrlich bis über die Ohren behaftet ist! Deine Gedanken, dieweil du am Stehlen von jeher eine besondere Freude hattest, haben dir das Schutzgesetz für Eigentum und rechtlichen Besitz als deine Pandorabüchse bezeichnet; und weil du in deinen jüngeren Jahren zugleich ein großer und genußsüchtiger Freund der Weiber warst, so genierte dich auch stets ein Moralgesetz, das dir wie jedermann den Mißbrauch des Beischlafs als eine Sünde bezeichnet hat.

10. Ja, als ein Tiermensch hast du auch da mit deinen Grundsätzen ganz vollkommen recht, wie auch damit, daß vor den anderen Gesetzen dahin ein Vorgesetz bestehen sollte, demnach alle Kinder eine solche Erziehung erhalten sollten, durch die ihnen die gesellschaftliche Ordnung so eingebleut werden müßte, daß es ihnen im männlichen Alter zur blanksten Unmöglichkeit würde, je irgendein Gesetz zu übertreten, was dann eine nachträgliche Gesetzgebung ganz natürlich überflüssig machen würde.

11. Ja, siehe, diese Ordnung hat der Schöpfer der Welten und aller Wesen ja auch bei den Tieren eingeführt! Jedes Tier bekommt schon im Mutterleibe deine verlangte Vorerziehung ordentlich in seine ganze Natur und bedarf für späterhin gar keines Gesetzes mehr; denn es bringt mit der Vorerziehung im Mutterleibe schon alles mit sich, was es fürs ganze Leben braucht! Der aber, der die Engelsgeister, die Himmel, die Welten und die Menschen erschuf, wußte sicher recht wohl, was dazu erforderlich ist, um den Menschen zu einem freien Menschen und zu keinem gerichteten Tiere zu erschaffen und nachher zu erziehen.

12. Wenn du deine mathematisch richtigen Lebensgrundsätze noch etwas genauer untersuchst, so wirst du bald auch finden, daß die Sprache für den Menschen ein großes Übel ist, da die Menschen sich durch sie in allen schlechten Dingen und Sachen unterweisen können. Auch wäre die Lüge nie unter die Menschen gekommen, so sie nicht reden könnten, weder durch Zeichen noch durch Worte; ja sogar das Denken ist gefährlich, weil die Menschen durch dasselbe auf allerlei Bosheiten und Hinterlistigkeiten geraten könnten! Am Ende sollten sie auch nicht klar sehen, rein hören, nicht schmecken und nicht riechen dürfen; denn alle diese Sinne im klaren und reinen Zustande könnten den Menschen ja noch gar leicht auf irgend etwas gierig und lüstern machen, was zufälligerweise schlecht wäre! Jetzt betrachte du deinen Menschen nach deinen mathematischen Grundsätzen und frage dich selbst, ob zwischen ihm und einem Meerespolypen, mit Ausnahme der Form, irgendein Unterschied obwaltet!

13. Was willst du aber dann für den hohen Zweck, für den ein jeder Mensch erschaffen ist, mit solch einem Menschen machen? Welche Bildung wirst du ihm geben können? Wann wird so ein Mensch zur Erkenntnis seiner selbst und zur Erkenntnis des wahren Gottes, des Urgrundes aller Dinge und alles Lichtes und aller Seligkeiten, gelangen? Siehe an die Einrichtung eines gesunden Menschen, betrachte und durchforsche sie mit deinem kritischen Verstande genau, und du wirst finden, daß ein so weise und überaus kunstvoll eingerichtetes Wesen am Ende ja doch noch eine andere Bestimmung haben muß als bloß die nur, sich täglich den Bauch zu füllen, um hernach recht viel Unrates von sich lassen zu können!“

62. Kapitel. Vom berechtigten Schutze des Eigentums.

1. (Der Herr:) „Du schützest hier freilich deine und noch vieler anderer Menschen Armut vor und willst für dich gegen das göttliche Eigentumsschutzgesetz so viel des Rechtes haben, daß du als hungrig und durstig dir im dringenden Notfalle so viel ohne Sünde gegen das besagte Gesetz nehmen darfst, um dich zu sättigen. Ich kann dir da aus verläßlichster Quelle sagen, daß Jehova, als Er durch Moses dem israelitischen Volke die Gesetze gab, dieses Bedürfnisses wohl gedachte und ebenfalls als ein förmliches Gesetz den Menschen einschärfte, indem Er sagte: ,Dem Esel, der auf deinem Acker arbeitet, sollst du nicht wehren, daselbst einen Fraß zu nehmen, und dem Ochsen, der den Pflug zieht, das Maul nicht zubinden! So du aber die gebundenen Garben in deine Scheuern trägst, da lasse die auf dem Acker gebliebenen Ähren liegen, auf daß die Armen sammeln für ihre Notdurft! Jeder aber sei stets bereit, dem Armen zu helfen, und wer da sagt: ,Es hungert mich!‘, den lasse nicht weiterziehen, als bis er sich gesättigt hat!‘ Siehe, das ist auch ein Gesetz Jehovas, und Ich meine, daß da auch der Armut hinreichend gedacht wurde.

2. Daß aber nicht ein jeder auf dieser Erde geborene Mensch ein Grundbesitzer werden und sein kann, liegt ja klar in der Natur der Dinge. Die wenigen ersten Menschen konnten sich in den Besitz der Ländereien freilich leicht teilen, denn es war damals noch die ganze Erde herrenlos; nun aber wird die Erde besonders in ihren fruchtbaren Ländern von nahe zahllos vielen Menschen bewohnt und darunter kann man doch jenen Familien, die den Erdboden schon seit lange her im Schweiße ihres Angesichtes bearbeitet und ihn mit vielen Lebensgefahren gereinigt und fruchtbar gemacht haben, den ihnen zugemessenen Grundbesitz nicht mehr streitig machen, sondern muß sie des allgemeinen Wohles wegen allerkräftigst schützen, daß denen, die einmal durch ihren Fleiß den Erdboden gesegnet haben, ihr Anteil nicht entrissen werde, weil sie ihn nicht nur für sich ganz allein, sondern noch danebst für hundert andere Menschen, die keinen Grund und Boden besitzen können, alljährlich bearbeiten müssen.

3. Wer einen großen Grundteil besitzt, der muß sehr viele Dienstleute haben, und diese leben alle wie der Besitzer selbst vom selben Grund und Boden. Wäre es gut für die Diener, so man einem jeden von ihnen irgendeinen gleich großen Grund gäbe? Könnte ihn ein Mensch wohl bearbeiten?! Und könnte er dies auch eine Zeitlang, – was aber geschähe dann, wenn er krank und schwach würde? Ist es denn nicht bei weitem besser und klüger, so da wenige etwas Festes besitzen und haben Kammern und Vorräte, als so da alle Menschen, ja sogar schon die neugeborenen Kinder nichts als lauter vereinzelte Grundbesitzer wären, bei welcher Einrichtung am Ende, und das ganz sicher, zur Zeit der Not gar niemand einen Vorrat hätte?!

4. Weiter frage Ich deinen mathematischen Verstand: Wenn es in der Gesellschaft von Menschenvereinen nicht ein Eigentumsschutzgesetz gäbe, so möchte Ich denn doch sehen, was du für eine Miene dazu machen würdest, so da andere kämen, die es nie besonders gelüstet hatte zu arbeiten, und dir wegnähmen deinen kleinen Vorrat, um sich zu sättigen! Würdest du ihnen da nicht zurufen und sagen: ,Warum habt denn ihr nicht gearbeitet und gesammelt?!‘? Und wenn sie dir antworteten: ,Weil wir dazu keine Lust hatten und wohl wußten, daß unsere Nachbarn arbeiten!‘, würdest du da nicht ein Schutzgesetz für höchst zweckmäßig finden und wünschen, daß solche losen Frevler durch irgendein Gericht gezüchtigt würden und endlich angehalten zu dienen und zu arbeiten, und möchtest du fürder nicht wünschen, daß dir die weggenommenen Vorräte wieder zurückerstattet würden? Siehe, das verlangt alles auch die reine Vernunft des Menschen!

5. Wenn du deine mathematischen Grundsätze aber schon durchaus für die besten von der Welt ansiehst, so wandere du von hier tausend Feldwege gen Osten fort; dort wirst du noch eine Menge vollkommen herrenlosen Grundes finden in den hohen und weitgedehnten Gebirgen! Dort kannst du dich sogleich ganz ungehindert in den Besitz eines viele Stunden Weges langen und breiten Grundes setzen, und kein Mensch wird dir den Besitz streitig machen. Du darfst dir sogar ein paar Weiber und noch etliche Diener mitnehmen und dir in jener etwas fernen Gebirgsgegend einen förmlichen Staat einrichten, und in tausend Jahren wird dich kein Mensch in deinen Besitzungen stören; nur etwelche Bären, Wölfe und Hyänen wirst du dir zuvor aus dem Wege zu räumen haben, weil sie dich sonst zur Nachtzeit ein wenig beunruhigen könnten. Auf diese Weise würdest du wenigstens die bedeutenden Schwierigkeiten samt und sonders kennenlernen, mit denen die Besitzer dieser Gründe zu kämpfen hatten, bis der Boden auf den gegenwärtigen Kulturzustand gebracht werden konnte! Wenn du das alles selbst versucht haben würdest, da würdest du dann auch einsehen, wie ungerecht es wäre, den Urgrundbesitzern nun für die trägen und arbeitsscheuen Gauner den Besitz wegzunehmen und ihn diesen einzuräumen.

6. Siehe, weil du selbst weder ein besonderer Freund vom Arbeiten und noch weniger vom Bitten bist, so hat dich das alte Eigentumsschutzgesetz auch stets geniert, und du nahmst dir darum selbst das Recht, zu nehmen, wo du nur etwas ungesehen und ungestraft zu nehmen bekamst! Nur den bei zwei Morgen großen Acker hast du dir samt der Hütte angekauft, aber auch mit einem Gelde, das du dir nicht durch Arbeiten verdient, sondern in Sparta einem reichen Kaufmanne auf eine ganz pfiffige Art entwendet hast. Nun, in Sparta war einst das Stehlen erlaubt, wenn es auf eine pfiffige Art vollzogen wurde; aber nun bestehen auch in Sparta schon seit vielen Jahren dieselben Eigentumsschutzgesetze wie hier, und du hattest darum jenen Kaufmann ganz rechtswidrig bestohlen und ihn um ein paar Pfunde Goldes leichter gemacht. Und damit hast du dir als ein Flüchtling hier den bewußten Acker samt der Hütte angekauft; alles andere aber, was du besessen, hast du dir in Cäsarea Philippi und in der Umgegend zusammengestohlen!

7. Wehe jedoch dem, der dir etwas entwendet hätte; dem hättest du das dich so stark anwidernde Eigentumsschutzgesetz auf eine Weise eingeschärft, die einem römischen Büttel sicher keine Schande gemacht haben würde! Oder wäre es dir wohl genehm gewesen, so deines Ackers reife Frucht jemand anders darum, weil er ein vollkommen Armer wäre, eingeerntet hätte?! Siehe, was dir nicht recht wäre, das wird auch einem andern nicht recht sein, so du ihn mit deinen mathematisch wahren und richtigen Lebens- und Erziehungsgrundsätzen seiner Ernte berauben würdest! Wenn aber die Sache sich praktisch nur so verhalten kann, wie Ich sie dir nun dargestellt habe, hältst du da nun noch deine Lebensgrundsätze für die allein wahren und unbestreitbar richtigen?“

8. Hier stutzt Zorel sehr, da er sich gänzlich überwiesen und besiegt ersieht.

63. Kapitel. Zorels Herkunft und Verwandschaft.

1. Zinka aber kommt von hinten zu ihm, klopft ihm auf die Achsel und sagt: „Nun, Freund Zorel, wirst du nun die Versorgung vom Cyrenius annehmen oder nicht? Denn mir scheint's, daß deine Lebensmaximen, so gut sie anfänglich sogar mir selbst geschienen haben, samt und sonders in den Brunnen hinabgefallen sind!“

2. Sagt nach einer Weile Zorel: „Ja, ja, der Heiland hat allein recht! Ich sehe nun meinen Unsinn ganz hell und klar ein, und es verhält sich alles also, wie er es über mich ausgesagt hat. Wie er aber nur das alles hat erfahren können?! Ja, wahr ist alles, und das nur leider zu wahr! Aber, was nun anfangen, was nun tun?“

3. Sagt Zinka: „Nichts, als weiter bitten um eine rechte Belehrung, sie dann hören und danach handeln; alles andere überlasse du nun denen, die dir wohlwollen und dir helfen können und auch werden, so du das tust, was ich dir nun angeraten habe!“

4. Hier fällt Zorel gleich vor Mir auf die Knie nieder und bittet Mich um eine Belehrung, und Ich bescheide ihn zum Apostel Johannes darum. Zorel fragt Mich nun sehr ehrfurchtsvoll, warum Ich ihm nicht eine weitere Belehrung geben wolle.

5. Ich aber sage: „So ein Herr einer Sache allerlei Diener und Knechte um sich hat, tut er etwa unrecht, so er auch ihnen nach ihren guten Fähigkeiten Arbeiten zuteilt? Es ist nicht nötig, daß er selbst alles mit seinen Händen angreift, damit es vollendet werde; es genügt des Herrn Geist, und die Arbeit wird doch vollendet werden auch durch der Knechte gewandte Hände. Gehe du darum nur hin, zu dem Ich dich beschieden habe, und du wirst schon auch an ihm den rechten Mann finden! Jener dort an der Ecke des Tisches ist es, der einen lichtblauen Mantel über seinen Lenden trägt.“

6. Nach diesen Meinen Worten erhebt sich Zorel und eilt zu Johannes hin. Als er zu Johannes kommt, sagt er zu ihm: „Du treuer Knecht jenes überweisen Herrn dort! So du auch vernommen hast, wer ich bin und wie beschaffen, so gib du mir zu meiner vollen Besserung jene Lehre, die mich würdig machen soll, unter die Zahl derjenigen aufgenommen zu werden, die sich mit wahrem Rechte Menschen nennen dürfen! Ich verlange nun keine Versorgung mehr darum, daß ich ein rechter Mensch werde, sondern allein um der Wahrheit willen möchte ich von dir die volle Wahrheit hören!“

7. Sagt Johannes: „Die soll dir im Namen jenes Herrn dort auch zuteil werden! Aber zuvor mußt du mir die Versicherung geben, daß du dein Leben in der Zukunft völlig ändern wirst und gutmachen jeglichen Schaden, den du je jemand wider seinen Willen zugefügt hast; auch dem noch lebenden Kaufmanne in Sparta müssen seine zwei Pfunde Goldes zurückerstattet werden! Nebstbei mußt du dein Heidentum auch ganz fahren lassen und ein Neujude werden; denn es war dein Großvater ein Jude, und zwar aus dem Stamme Levi. Er zog vor vierzig Jahren nach Sparta, um dort den Griechen den allein wahren Gott zu verkünden und sie zu Juden im Geiste zu machen; aber er ließ sich am Ende selbst überreden und ward mit seinem ganzen Hause ein dummer und sehr blinder Heide, und du wardst dasselbe, weil du in Sparta erst auf die Welt kamst. Deine beiden Brüder aber, die sich nun in Athen aufhalten, wurden zufolge ihrer guten Beredsamkeit gar heidnische Priester und weihen noch zur Stunde ihre leeren Dienste dem Apollo und der Minerva, und deine einzige Schwester ist das Weib eines Krämers, der mit den Ephesergöttern und -bildern einen lockern Handel treibt und daneben auch mit allerlei Lust- und Buhldirnen ziemlich Geld eintragende Geschäfte, teils durch Verkauf und größtenteils durch Verkuppelung, macht. Das ist dein Schwager, einst auch ein Jude, und nun das, was ich dir soeben bemerket habe.“

8. Zorel war ganz betroffen darob, daß Johannes alles wußte, was er selbst aus ganz triftigen Gründen wohl nie jemandem gemeldet hätte; aber er konnte nun nicht umhin, solches alles aus dem Munde eines Menschen zu vernehmen, von dem er nichts anderes halten konnte, als daß dieser im Griechenlande war und um alles wußte, was dort war und geschah und nun noch ist.

9. Zorel fragte darum etwas hastig den Johannes, sagend: „Aber wozu dies alles nun hererzählen vor allen Menschen? Ist es denn nicht genug, daß du und ich es wissen?! Warum müssen denn das alle uns Umgebenden vernehmen?“

10. Sagt Johannes: „Sei darob ruhig, Freund! Täte ich solches, um dir zu schaden an Seele und Leib, so wäre ich ein schlechter Mensch und wäre vor Gott ärger daran denn dein loser Schwager in Athen; aber ich muß dich nun um deines Heiles willen ganz enthüllen vor den Menschen, auf daß du vor niemandem als etwas dastehest, was du nicht bist! Willst du vollkommen werden, so mußt du dich entdecken, und es darf kein Hehl in deiner Seele sein; erst wenn alles Unordentliche aus dir heraus ist, kannst du an der Vollendung zu arbeiten anfangen. Du könntest zwar auch im stillen bei dir selbst alle deine vielen Sünden gänzlich ablegen und ein besserer Mensch werden, so daß dich die Menschen darob achteten und ehrten; denn sie wüßten von dir ja nur Gutes und nichts Schlechtes, und es würden viele deinem guten Beispiele folgen! Aber so sie nach der Zeit von einem glaubwürdigen Zeugen erführen, welch ein grober und großer Sünder du so ganz im Verborgenen gewesen bist, mit welch bedenklichen Augen würden dich am Ende alle die ansehen, die dich zuvor als einen reinen Menschen ehrten und deinem Beispiele folgten?! Alle deine Tugend würde zu einem Schafspelze werden, hinter dem man einen reißenden Wolf zu wähnen anfinge, und man würde dich dann trotz aller deiner an und für sich tadellosen Tugend fliehen und deine sonst so lehrreiche Gesellschaft meiden.

11. Du siehst daraus, daß man, um vollkommen zu sein, nicht nur das Sein, sondern auch den Schein des Bösen meiden muß, ohnedem es schwer sein wird, seinem Nächsten wahrhaft zu nützen, was am Ende doch der Hauptberuf eines jeden Menschen ist und sein muß, weil ohnedem sich keine wahrhaft glückliche Gesellschaft auf dieser Erde denken läßt!

12. Denn was nützete das einer Menschengesellschaft, so auch jeder Mensch für sich ganz vollkommen wäre, hielte sich aber stets verborgen vor seinem Nachbar? Da würde einer dem andern zu mißtrauen anfangen, und wo irgendeine Mücke um das Haupt eines noch so harmlosen Nachbarn sumsete, würde man lauter fliegende Drachen und Elefanten ersehen! Lernen dich aber nun alle kennen, wer und wie du warst, was du getan und wie du gelebt hast, und du besserst dich nun und wirst vor aller Menschen Augen und Ohren ein anderer Mensch voll Einsicht in deine früheren Übel und voll wahrer und lebendiger Verabscheuung gegen dieselben, so wird ein jeder Mensch dich auch mit dem aufrichtigsten Vertrauen und Wohlwollen umfassen und dich lieben, wie da ein reiner Bruder den andern reinen Bruder liebt. Es muß daher hier von dir zuvor alles offenkundig werden, bevor du wirksam in eine bessere Lehre eingehen kannst.

13. Es ist nun zwar vieles schon offenbar geworden, aber noch nicht alles, und weil dir das Bekennen etwas schwer vorkommt, so erleichtere ich dir solches eben dadurch, daß ich statt deiner ganz wort- und sinngetreu erzähle, was mir aus deinem Leben sonnenhell und klarst bekannt ist!“

14. Fragt Zorel: „Aber wie möglich kannst du das alles wissen? Wer hat es dir geoffenbart? Ich habe dich zuvor noch nie gesehen und gesprochen!“

64. Kapitel. Zorels Vergangenheit als Sklavenhändler.

1. Sagt Johannes: „Darum kümmere dich nun wenig; wenn du vollkommen wirst, dann wird dir alles klar werden; aber nun zu unserer Sache!

2. Das Schlimmste an deinem Wesen aber ist, daß du einen geheimen Sklavenhändler gemacht hast, in der letzten Zeit mit zwölf- bis vierzehnjährigen Mägdlein aus Kleinasien, und verhandeltest sie nach Ägypten und nach Persien, und es kamen solche edlen Mägdlein oft in sehr böse Hände und nur wenige in gute. Daß solche Mägdlein von dem, der sie an sich gekauft hatte, alsbald auf das schnödeste geschändet worden sind, kannst du dir wohl denken. Wenn es noch beim natürlichen Beischlafe geblieben wäre, so machte das noch nicht gar soviel der Schuld aus; aber wie sind welche in Alexandrien, in Kahiro, in Theben und in Memphis zugerichtet worden! Und wie werden sie noch zugerichtet! Sähest du so ein armes Mädchen, wie es vor dem Genusse der größeren Sinnlichkeitserregung halber von ihrem Teufel von einem Herrn mit Ruten und Peitschen zerfleischt wird, so würdest du dich selbst, bei deinem wenigen Menschengefühle, verfluchen, durch schnöde Gewinnsucht einen Menschen solch einem unbeschreiblichen Elende ausgeliefert zu haben!

3. Wie viele tausend Flüche und allergräßlichste Verwünschungen sind über dich schon ausgesprochen worden, wie viele hunderttausendmal hunderttausend Tränen im zu großen Schmerze zu teuflischer Mißhandlungen geweint und verächzet worden! Wie viele solcher zarten Mägdlein sind infolge zu unaushaltbarer Schmerzen in der allergrinsendsten Verzweiflung gestorben! Und siehe, diese alle hast du, dich verdammend, auf deinem Gewissen! Denn sieh, du triebst dein geheimes, losestes Geschäft ins Große, besonders vor etwa drei Jahren, und die Zahl derer, die du also sehr unglücklich gemacht hast, ist groß geworden und faßt nun schon die Vielheit von achttausend Köpfen! Frage: Wie wirst du das je wohl gutzumachen imstande sein? Was haben dir diese Mägdlein je getan, darum du sie gar so unglücklich gemacht hast? Jetzt rede und verantworte dich!“

65. Kapitel. Zorels Entschuldigungen.

1. Hier steht Zorel ganz betroffen und bestürzt, und erst nach einer ziemlich langen Pause sagt er: „Freund, hätte ich damals das erkannt und gekannt, wie und was ich nun erkenne, so kannst du dir's wohl denken, daß ich alles eher denn einen Sklavenhandel getrieben hätte! Ich bin ein Staatsbürger Roms, und kein Gesetz verbot je meines Wissens den Sklavenhandel; er ist und war von jeher erlaubt, und was Hunderte gesetzlich erlaubt treiben durften, wie hätte das dann mir untersagt sein sollen?! Kinder dürfen ja sogar die Juden kaufen, besonders so sie kinderlos sind, warum irgend andere gebildete Völker nicht, zu denen die Ägypter doch schon seit Menschengedenken ohne allen Zweifel gehörten, wie im gleichen Maße auch die Perser?! Man hatte also die Mägdlein an kein wildes und rohes Volk verkauft, sondern an das in jeder Hinsicht gebildetste auf der nun bekannten weiten Erde, wo man mit Fug und Recht erwarten konnte, dadurch das heimisch traurige Los solcher Kinder nicht zu verschlimmern, sondern offenbar nur zu verbessern!

2. Denn gehe du hin in die Gegend von Kleinasien, und du wirst dort solche Massen von Menschen und besonders Kindern antreffen, daß du als ein weisester Mann dich am Ende dennoch selbst zu fragen anfangen müßtest, woher diese Menschen sich, ohne daß sie sich gegenseitig aufzuessen anfangen, ernähren und erhalten sollen! Ich kann dir versichern, daß ich beim jedesmaligen Kommen in die Gegenden von Kleinasien von den Bewohnern mit Kindern ordentlich bestürmt wurde. Um etliche Brotlaibe bekam ich Mägdlein und auch Knaben in Hülle und Fülle; und die Kinder rannten mir jauchzend zu und wollten sich von mir gar nicht mehr trennen. Wenn ich hundert kaufte, bekam ich noch eine Zuwage von vierzig bis fünfzig Mägdlein. Viele kauften mir die Essäer ab, die Knaben nahe alle, welchen Alters sie auch waren; auch Mägdlein nahmen sie mir häufig ab. Die Ägypter kauften nur die schon mehr erwachsenen Mägde teils zur Arbeit, teils wahrscheinlich auch zu ihrer Lust. Daß es einige Geilböcke darunter geben mag, die eine Sklavin aus Wollust peinigen, will ich nicht gerade bezweifeln; aber viele solcher wird es ja doch wohl nicht geben.

3. Nach Persien sind meines Wissens nicht viele gegangen, und die wurden zumeist von persischen Kaufleuten und allerlei Künstlern aufgekauft, allwo sie meines Wissens zu allerlei nützlichen und guten Arbeiten verwendet werden. Dazu besteht in Persien schon seit langem ein recht weises Gesetz, laut dem ein jeder Sklave und eine jede Sklavin nach zehn Jahren, wenn sie sich gut aufgeführt haben, die volle Freiheit erlangen und am Ende tun können, was sie wollen. Sie können dort bleiben, für sich ein Gewerbe anfangen oder aber auch heimwärts ziehen. Also die nach Persien Verkauften können wahrlich von wenig Unglück reden! Nun, daß es gerade einigen in Ägypten eben nicht am besten gehen dürfte, will ich nicht in irgendeine Abrede stellen; aber begeben wir uns nur in ihr Vaterland, und wir werden dort gar viele treffen, denen es sicher als Freie nicht um ein Haar besser geht als jenen Unglücklichen in Ägypten! Denn fürs erste haben diese nahe nichts zu essen, und viele nähren sich von rohen Wurzeln, die sie in Wäldern sammeln, und viele gibt es, die sommers und winters aus Mangel an irgendeiner Bekleidung ganz nackt herumziehen und betteln, stehlen und wahrsagen. Manche von ihnen erbetteln oder erstehlen sich einige Lumpen; den meisten gelingt dies nicht, und die ziehen darum ganz nackt herum, stets mit einem Haufen Kinder versehen.

4. Von diesen Herumziehern haben ich und mein Gesellschafter denn auch stets die größte Anzahl von überzähligen Kindern aufgekauft und sie auf diese Weise versorgt. Die festen Pontusbewohner heißen sie ,Zagani‘, was soviel besagt als ,die Vertriebenen‘. Es wimmelt von diesen Menschen; ganze, große Horden treiben sich herum und haben weder Dach noch Fach, noch irgend Grund und Boden. Höhlen, Erdlöcher und hohle Bäume sind gewöhnlich ihre Wohnung; und ich frage nun dich, ob man diesen Menschen nicht schon dadurch eine große Wohltat erweist, so man ihnen die Kinder umsonst abnimmt und sie irgend versorgt, geschweige erst, so man sie den nackten und überhungrigen Eltern ums bare Geld, um Kleidung und ums gute Brot abkauft?

5. Wenn man nach meiner bisherigen Art zu denken nun das gegeneinander hält, wie einige von diesen Menschen früher die leidigsten Sklaven der größten Armut waren und hernach durch mich zu von Menschen ganz gut versorgten Sklaven wurden, so wird man mit Leichtigkeit finden, daß das Unglück, das ich nach deinem Dartun diesen Menschen zubrachte, nicht ein gar so enorm großes ist, wie du es dir vorstellst. Aber auch dieses würde ich ihnen nicht zugefügt haben, wenn ich ehedem so wie nun gedacht hätte.

6. Übrigens sage ich dir nur so im Vertrauen, obwohl ich über deine fromme und gottergebene Weisheit staune, daß es von einem allgütigen Gott, wenn Er irgend in die Geschicke des Menschen eingreift, denn doch auch ein wenig sonderbar ist, eine so große Anzahl ganz wohlgestalteter Menschen gleich wilden Tieren auf der Erde herumkriechen zu lassen! So viel könnte irgendein allmächtiger Gott schon tun, daß derlei Menschen irgendeine etwas bessere Unterkunft auf der lieben Erde fänden!

7. Es ist ja für einen denkenden Menschen doch ein bißchen sonderbar, wenn er Hunderttausende von sonst ganz wohlgestalteten Menschen im höchsten Grade unversorgt, hungrig und nackt herumziehen sieht und kann ihnen selbst mit dem besten Willen von der Welt nicht helfen! Wäre es denn ein Wunder, Freund, so man beim Anblick solcher Menschen am Dasein eines allweisen und höchst gütigen Gottes ein wenig zu zweifeln anfinge?! Und meine frühere Behauptung gegen wenigstens ein zu schroffes Eigentumsschutzgesetz dürfte beim Anblick so vieler Elenden am Ende doch nicht ganz ohne sein!

8. Nun, Freund, hast du meine Verantwortung und Rechtfertigung wider den schwersten von dir mir gemachten Vorwurf; tue nun, was du willst, doch vergiß es nie, daß ein sehr weltkundiger Zorel mit gespanntem Bogen vor dir steht und trotz der Lumpen, die ihn nun bedecken, vor keiner Weisheit irgendeine zu übermäßige Furcht hat! Gib mir aber nun bessere Gründe dafür, daß alles, was da ist, nach der Weisheit Gottes so sein muß, wie es ist, und ich werde dir leichten Atems höchst dankbar sein! Denn das mußt du so gut wie ich einsehen, daß es auf der Erde nach meiner menschlichen Einsicht viel des unnötigen Elendes nebst eines häufig vorkommenden zu großen Wohlstandes einzelner Menschen gibt! Warum hat gerade einer alles – und Hunderttausende neben ihm nichts? Kurz, erkläre mir das Elend von all den kleinasiatischen Zaganen! Wer sind sie, von woher kommen sie, und warum müssen sie in solcher ewigen Not schmachten?“

66. Kapitel. Die Mädchenschändungen des Zorel.

1. Sagt Johannes: „Wenn du die wahre Weisheit aus Gott mit der Elle des etwas geweckten Verstandes bemißt, dann hast du recht, dich vor keiner Weisheit zu scheuen. Aber da die wahre Weisheit aus Gott nie mit der kurzen Verstandeselle bemessen wird, sondern wie alles aus Gott mit dem Maße der Ewigkeit und Unendlichkeit, da dürftest du mit deinem Verstande schier etwas zu kurz kommen! Aber lassen wir das und kehren zu dem zurück, von dem wir ausgegangen sind.

2. Du sagtest mir aus guter Sachkenntnis, wie schlecht es den Zaganen in Kleinasien ergeht, und wie elend sie sind, und daß es für ihre Kinder eine rechte Wohltat sei, und mitunter auch ist, von den Sklavenhändlern aufgekauft und sodann irgendwohin weiterverkauft zu werden. Lassen wir somit das; denn du schützest eine Art guten Wollens von deiner Seite vor, und ich will dir einen Zehnteil davon zugute kommen lassen! Aber ich habe aus deiner Gewissenskammer noch etwas im Hintergrunde, und dieses sonderbare Etwas verzehrt das dir zugute kommen sollende Zehntel nahe ganz, so daß dir am Ende nichts als pur Arges wird zugeschrieben werden können! Ich zweifle, daß dir dagegen dein Verstand irgendein Recht zuerkennen wird.

3. Sage mir, womit du, sage nur für deine Person, die von dir sehr häufig vorgenommene Mädchenschändung rechtfertigst! Findest du da nicht auch irgendeinen vernünftigen Grund, nicht gegen das mosaische Gottesgesetz, sondern gegen das römische Staatsgesetz, das mit starker Ahndung gegen die Schändung unreifer Mägdlein zu Felde zieht?! Hat dich je das gewaltige Angst- und Wehegeschrei eines Mägdleins, das deiner großen Sinnlichkeit zu Gesichte stand, gerührt?! Und sind nicht bei fünf von dir, wennschon in früherer Zeit, erbärmlichst genotzüchtigte, sonst sehr wohlgestaltete Mägdlein auf eine elendeste Art von der Welt verstorben?! Dein Kompagnon zeigte dir noch den Geldschaden, der euch dadurch erwachsen war, denn die fünf zehn- bis zwölfjährigen Mägdlein hättet ihr wegen ihrer schönen und üppigen Gestalt leicht um fünfhundert Pfunde Silbers in Kahiro verkaufen können. Dich schmerzte zwar ein so bedeutender Verlust, und du verwünschtest darum auch zu öfteren Malen deine starke Geilheit; aber darum hast du sie noch nie verwünscht, weil du ein blinder Mörder von fünf gar lieblichen Mägdlein geworden bist!

4. Nun fasse du das alles zusammen und sage mir, wie du dir nun als Mensch unter den Menschen vorkommst, und ob das Maß deines Verstandes hier auch noch einen entschuldigenden Grund für dich finden wird! Mit dem, als wärest du ein ganz verwildeter, roher Naturmensch, der kaum das noch so Schlechte von etwas Gutem zu unterscheiden vermöchte, kannst du dich nicht entschuldigen; denn du hast mir ehedem recht schön gezeigt, wie bedauerlich elend die Zaganen leben, und wie solch eine Vernachlässigung eines ganzen Volkes Gott dem Herrn und Seiner Liebe und Weisheit eben keine besondere Ehre mache. Ja du fordertest mich sogar auf, dir den göttlichen Weisheitsgrund zu zeigen, aus dem ein Gott ein ganzes, großes Volk gar so elendiglich darben läßt! Du hast demnach ein ganz respektierliches Rechtsgefühl und eine vollkommene Kenntnis von Gut und Böse. Wie konntest du mit jenen Mägdlein gar so unmenschlich verfahren? Du hast sie wohl selbst darauf nach deiner schlechten Kenntnis ärztlich behandelt, verdarbst sie aber dadurch nur noch mehr als früher durch deine Geilheit! – Rede nun, und rechtfertige dich vor Gott und den Menschen!“

67. Kapitel. Des Cyrenius über die Verbrechen des Zorel.

1. Hier ist unser Zorel endlich ganz geschlagen und weiß nun nichts mehr zur Rettung seiner Ehre vorzubringen. Er fängt nun an, bei sich sehr nachzudenken, was er noch zu seiner Rechtfertigung aus seiner Verstandeskammer hervorbringen könnte; aber er findet sich allenthalben verrammt, und kein noch so kleines Loch will sich irgendwo zeigen, zu dem er hinausschlüpfen könnte.

2. Johannes ermahnt ihn, zu reden und von seinem gespannten Bogen Gebrauch zu machen; aber Zorel will noch immer seinen Mund nicht eröffnen.

3. Mich aber fragt Cyrenius, etwas erstaunt über Zorels Schlechtigkeit: „Herr, was wird denn da zu machen sein? Der Mensch ist bei all solchen Umständen ja den Gerichten verfallen! Denn unsere Gesetze hinsichtlich des Sklavenhandels gestatten wohl, Sklaven samt ihren Kindern, so sie welche haben, an jedermann zu veräußern, aber Kinder von freien Menschen, besonders weiblichen Geschlechts, dürfen unter dem vollends zurückgelegten vierzehnten Jahre bei großer Strafe nirgends auf den Markt gebracht werden. Das ist ein Verbrechen!

4. Ferner muß ein jeder, der den Sklavenhandel treiben will, eine eigene, wohlgeordnete Befugnis dazu haben und dem Staate eine bedeutende Kaution für diese Befugnis geben, nebst einer jährlichen eigenen großen Steuer. Bei dem und seinem Gesellschafter ist darin von weitem her keine Spur irgend zu entdecken; sie haben sonach einen Schleichhandel betrieben, was abermals ein starkes Verbrechen gegen die bestehenden Gesetze bekundet, auf das bei solch erschwerenden Umständen ein zehnjähriger schwerer Kerker als Strafe gesetzt ist.

5. Und dazu kommt gar noch eine fünffache allergewissenloseste Schändung, der als einer zu mächtigen Verletzung der Tod folgte! Das ist schon wieder ein Verbrechen, auf das bei so erschwerenden Umständen ein mindestens fünfzehnjähriger schwerster Kerker gesetzt ist oder gar der Tod!

6. Dazu kommen im Vordergrunde noch allerlei Diebereien, Betrügereien und massenhafte Lügen!

7. Herr, Du kennst meine Staatspflichten und meinen Eid auf alles, was mir heilig und teuer ist! Was soll ich hier tun? Beim Mathael und seinen vier Gefährten war ihre totalste Besessenheit ein sicherer Schutz gegen meine harten Staatsoberrichterspflichten; aber hier deckt den Menschen ja gar nichts vor meiner Richterpflicht. Er ist ein vollendeter Bösewicht! Werde ich da nicht bemüßigt sein müssen, mein strenges Amt zu handhaben?“

8. Sage Ich: „Verstehe, – da Ich hier zufälligerweise der Herr bin und du im Grunde des Grundes nur Mir deinen Eid schuldest und Ich dir ihn erlassen kann, wie und wann Ich will, so habe hier unterdessen auch Ich allein zu bestimmen, was hier der Reihenfolge nach zur Heilung einer kranken Seele zu geschehen hat! Zudem hast du deinen Eid zu den Göttern, die ewig nirgends bestehen, geschworen; da es aber mit den Schützern deines Eides gar so sehr luftig aussieht, so wird auch dein Eid kein größeres Gewicht haben. Deine Götter und dein Eid sind demnach gleich eine Null für sich. Nur insoweit, als Ich deinen Eid als ein Treuzeichen ansehe, hat er auch eine Geltung; inwieweit Ich aber deinen Eid als eine Null ansehe, hat er vor Mir auch nicht die geringste Geltung, und du bist wenigstens für jetzt desselben völlig enthoben.

9. Ich sage es dir, daß es mit dem Examen dieses Menschen noch nicht ganz zu Ende ist; es wird schon noch etwas zum Vorscheine kommen, das dich noch mehr ergreifen wird!

10. Es ist dies ein gar sonderbarer Mensch, den du eigentlich dadurch schon mehr und mehr nun kennen solltest, daß er in seinem Entzückungsschlafe sich schon ohnehin zum größten Teile, wennschon etwas allgemeiner wie nun, enthüllt hat, besonders in seinem ersten reuigen Stadium. Die gegenwärtige offene Enthüllung geht freilich spezieller zu Werke, weil sie also zu Werke gehen muß; aber sie muß dir nicht anstößig erscheinen, denn Ich lasse sie ja eben darum geschehen, um euch eine total kranke Seele ganz zu zeigen und endlich auch die Medizin, wie sie möglicherweise noch zu heilen ist. Ich habe es dir ja ehedem erzählt, wie ungeschickt und dumm es wäre, einen leiblich kranken Menschen darum zu strafen mit Rute und Kerker, weil er krank geworden ist; um wieviel ungeschickter und dümmer aber ist es dann erst, einen Menschen seiner total kranken Seele wegen leiblich und moralisch mit den tödlichsten Hieben zu strafen! – Sage Mir, du Mein Freund Cyrenius, hast du solche Meine Lehre in deinem Eifer nun schon völlig vergessen?“

11. Sagt Cyrenius: „Das nicht, o Herr und höchster Meister von Ewigkeit; aber weißt Du, aus alter Gewohnheit kommt mir zuweilen, wenn so ein recht armdicker Bösewicht irgendwo auftaucht, so ein kleiner Sturm! Aber du siehst es ja, wie geschwinde ich mich ermahnen lasse und meine alte Dummheit auch sogleich einsehe! Jetzt freue ich mich ja schon wieder aufs weitere Examen, auf das sich unser Johannes sehr zu verstehen scheint! Aber dazu gehört auch des Johannes Weisheit und sein innerer Scharfblick, geleitet natürlich von Deinem Geiste. Das Schönste dabei aber ist, daß der Zorel von etwas Wunderbarem im Grunde noch nichts merkt, und doch sollte es ihm auffallen, wie der weise Johannes ihm seine allergröbsten Todsünden aus allen Landen, in denen er sie begangen hat, so schön hererzählt, als wäre er überall Augen- und Ohrenzeuge gewesen!“

12. Sage Ich: „Jetzt horche du nur wieder fein zu; denn der Johannes wird ihn nun sogleich wieder angehen!“

13. Cyrenius wird nun wieder voll Aufmerksamkeit; Ich aber beheiße alle anwesenden Weiber und Jungfrauen, sich unterdessen etwa in die Zelte zurückzuziehen, weil die fernere Verhandlung nur von reifen Männern vernommen werden solle. All das Weibervolk gehorcht samt der Jarah und den zwei neubelebten Töchtern des Cyrenius, der Gamiela und Ida.

68. Kapitel. Zorels Entschuldigungen.

1. Die Neugier der Weiber ist zwar groß gewesen; aber Mein Wort wirkte dennoch mächtiger, und alle begaben sich in die Zelte des Ouran, allwo sie so lange zu verweilen hatten, bis man sie wieder berief.

2. Als die Weiber auf diese Weise versorgt waren, sagte Johannes zum Zorel: „Nun, wie sieht es denn aus mit dem Losdrücken deines gespannten Bogens? Mir scheint es, als hättest du deine vielen scharfen Pfeile alle ins Blaue verschossen, ohne irgend etwas getroffen zu haben. Und doch wolltest du zuvor sogar mit der unendlichen Weisheit Gottes einen Kampf eingehen! Ich sage dir, daß du nun redest, so du noch etwas zu reden vermagst!“

3. Sagt endlich Zorel: „Was soll ich da noch reden? Dir ist – die Götter wissen's woher – ja ohnehin alles bekannt, was ich von der Wiege an alles angestellt habe; warum soll ich dir dazu noch etwas mehreres erzählen? Ich könnte nun auch reden; aber wozu mich noch weiter rechtfertigen? Wie ich war und zum größten Teile noch bin, so handelte ich auch; denn ich konnte ja nicht anders handeln, als ich beschaffen war in meinem Gemüte! Können denn ein Löwe und ein Tiger darum, daß sie wilde, reißende Bestien sind? Das ist einmal ihre Natur, und sie sind doch sicher darum nicht im Grunde und Boden fehlerhaft, weil sie so sind, wie sie sind! Wenn sie schlecht sind, so trägt daran die Schuld nur Der, der sie also geschaffen und gemacht hat!

4. Warum kann es Tausende von Menschen geben, die da frömmer denn die Lämmer sind, und warum bin ich's denn nicht?! Habe ich mich etwa selbst erschaffen und also gemacht?! Wollte ich aber schon ganz schlecht sein, so könnte ich dir jetzt noch alles in die vollste Abrede stellen, was auch du aus deiner Weisheit mir vorgetragen hast; denn einzelner Menschen Weisheitssprüche gelten bei uns vor dem Forum des Weltgerichtes nie als ein Beweis, solange sie nicht durch andere Zeugenaussagen als sich durch und durch bestätigend erwiesen werden. Aber ich erkenne deine Weisheit und glaube in dir den Menschen zu erkennen, der mir nun nicht schaden, sondern nur helfen will, und gestehe darum auch das, was du über mich aussagtest, als etwas Wahres. Ich leugne die Wahrheit alles dessen nicht im geringsten; aber irgend rechtfertigen werde ich mich wohl etwa immer noch dürfen!

5. Du hast aber ohnehin das freie Recht über mich, alles laut vorzutragen, was ich je zufolge meiner dazu inklinierenden (neigenden) Natur angestellt habe; denn mehr als töten könnet ihr mich nicht dafür, und dem Tode kann ich mutigst in die hohlen, finstern Augen schauen und habe keine Furcht vor ihm! Du kannst aus dem schon ersehen, daß ich kein heuriger Hase bin. Wenn dir aus meinem allerlumpigsten Leben etwa noch so einige Mordspektakel bekannt sein sollten, so packe damit nur aus; denn mich geniert nun schon lange nichts mehr in der Welt!

6. Übrigens hast du in bezug auf die fünf Mägdlein dahin ein wenig zuviel aufgetragen, so du mich beschuldigest, daß mir um sie bloß darum leid war, weil mir durch ihren Tod, der auch nicht so ganz von einer leichten Schändung herrührte, sondern durch den Rücktritt eines bösen Aussatzes erfolgte, ein bedeutender Gewinn entging; ich könnte dir sogar etliche glaubwürdige Zeugen aufführen, die es gehört haben, daß ich den Zeus inständigst bat, mir die fünf Mägdlein zu erhalten, und tat den Göttern einen Schwur, die Mägdlein als Töchter zu behalten für immer, so sie gesund würden und am Leben blieben. Als mir aber trotz aller Pflege im Verlaufe von dreißig Tagen dennoch alle fünfe starben, ward ich untröstlich und tat abermals einen Schwur, kein Mädchen mehr zu berühren und keinen Sklavenhandel mehr zu betreiben. Das hielt ich bis zur Stunde, habe mich ebendarum hierhergezogen und meine Besitzung mir angekauft, mit der ich durchs Feuer nun alles verlor, was ich mir je irgend erworben hatte. – Rede du nun, ob ich auch diesmal eine Unwahrheit geredet habe!“

69. Kapitel. Zorel als Muttermörder.

1. Sagt Johannes: „Ja ja, das tatest du wohl später; aber im Anfange warst du nur also gesinnt, wie ich es dir gesagt habe! Daß du dich aber der Mägdlein nur so ganz leicht bedient habest, da redest du auch nun noch eine grobe Unwahrheit! Nur eine hast du etwas milder hergenommen, und das war die letzte, als deine Geilheit dir den schnöden Dienst schon versagte; die ersten vier hast du nicht im geringsten geschont, sondern sie ganz entsetzlich bedient! Kannst du das in Abrede stellen? – Sieh, du schweigst und bebst! Die Mägdlein bekamen darauf einen sehr gefährlichen Aussatz, der freilich den Tod beschleunigte; aber auch dafür war deine Geilheit die so ganz eigentliche und alleinige Schuldträgerin! Aber dies Kapitel ist zu Ende, und wir gehen nun auf ein anderes über!

2. Weißt du, was noch auf deinem Gewissen rastet, ist freilich etwas, wobei abermals dein Wille nicht haftet; aber die Tat ist da und ihre Folge! Darum soll der Mensch im Zorne nie handeln; denn den Taten, die im Zorne geschehen, schleichen stets böse Folgen wie der Schatten auf der Ferse nach. Kannst du dich noch erinnern, als besonders deine Mutter Agla, die eine sehr vernünftige Person war, dich von deinen liederlichen Streichen und von deiner ruchlosen Gesellschaft vollernstlich abmahnte, was du ihr da entgegentatst?“

3. Sagt Zorel: „O Götter! Mir schwebt wohl noch so was wie aus einem Traume vor; aber etwas Genaues kann ich darüber nicht mehr sagen! Rede daher nur du, weil du schon einmal im Redezuge stehst! Das weiß ich, daß ich nie etwas Arges mit einem vorgefaßten bösen Willen tat; für das aber, daß ich dem Jähzorne unterliege, kann ich ebensowenig, wie ein Tiger darum kann, daß er eine blutdürstige, reißende Bestie ist! – Rede du nun!“

4. Sagt Johannes: „Das werden wir erst später durchnehmen; aber damals hast du einen Topf, der auf einer Bank sich befand, ergriffen und schleudertest ihn mit aller Gewalt an den Kopf deiner Mutter, daß sie darob ganz betäubt zu Boden sank. Du aber, statt deiner guten Mutter nun beizuspringen und ihr Hilfe zu verschaffen, nahmst die bewußten Goldpfunde und entflohst auf einem Korsarenschiffe hierher und machtest darauf einige Jahre lang das schöne Seeräuberhandwerk mit, bei welcher Gelegenheit du dann auch ein Sklavenhändler wurdest. Deine Mutter aber starb bald darauf, teils an den Folgen einer starken Hirnschädelverletzung und teils aus Gram ob deiner Unverbesserlichkeit. Und so hast du nebst vielen anderen Sünden auch die eines Muttertotschlägers auf deinem Gewissen, und als Krone für deine vielen argen Taten rastet auf deinem Haupte ein allerbitterster Fluch von seiten deines Vaters, wie auch von seiten deiner Geschwister! – Nun bist du ganz enthüllt; was sagst du nun zu alledem als ein Mensch von reiner Vernunft?“

5. Sagt Zorel: „Was soll ich dazu sagen? Geschehen ist geschehen und kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden! Jetzt sehe ich gar manches aus meinen früheren Handlungen ein, was da hoch gefehlt war; aber was nützt mir alle diese Einsicht? Es ist genau also, als könntest du aus einem Tiger einen einsichtsvollen Menschen machen, der zurücksähe, welche blutigsten Greuel er angerichtet hat; was würde ihm alles das nützen?! Könnte er das Geschehene ungeschehen machen, so würde er sich dazu sicher alle erdenkliche Mühe geben; aber was konnte er in seinem Tigerzustande dafür, daß er eben ein Tiger und kein Lamm war?! Da ist auch die Reue über eine verruchte Tat und der beste Wille, sie wieder völlig gutzumachen, etwas so Vergebliches wie eine albernste Mühe, einen vergangenen Tag wieder zu einem gegenwärtigen zu machen. Ich kann wohl von nun an ein ganz anderer und besserer Mensch werden; aber dort, wo ich ein böser Mensch war, kann ich mich unmöglich mehr besser machen, als ich war. Soll ich etwa darüber bittere Schmerzenstränen vergießen, daß ich so viele arge Taten verübt habe? Das wäre doch etwas so Lächerliches, als ob ein menschgewordener Tiger darum die bittersten Tränen der Reue vergießen wollte, weil er früher ein Tiger war!“

70. Kapitel. Zorels Rechtfertigung seiner Charaktereigenschaften.

1. (Zorel:) „Ich besaß von der Geburt an ein jähzorniges Temperament. Statt dasselbe durch eine sanfte und vernünftige Erziehung zu dämpfen und den Verstand möglichst auszubilden, ward ich mit allen Strafen korrigiert, die es nur gibt. Meine Eltern waren stets meine größten Peiniger! Hätten sie Verstand mit gutem Willen vereinigt, so hätten sie aus mir einen Engel der Juden erziehen können; aber mit den tausend Strafen ward ich zu einem Tiger! Und an wem liegt da die Schuld, daß ich zu einem Tiger ward? Ich selbst habe mir fürs erste schon nicht können vor der Zeugung und Geburt irgend weisere Eltern aussuchen, und fürs zweite, als ich geboren ward, war ich sicher noch so hübsch lange kein Plato oder Phrygius und keine Spur von einem Sokrates und konnte mir darum selbst keine Erziehung geben! Was hätte da aber geschehen sollen, daß ich ein besserer Mensch und kein Tiger geworden wäre?

2. Ich halte dich für zu weise, als daß du auf diese Frage keine vernünftige Antwort von selbst finden solltest. Bei euch Juden gibt es stets hie und da von bösen Geistern besessene Menschen, wie ich erst vor etlichen Wochen einen bei den Gadarenern gesehen habe, und das wäre noch der bessere; einer soll etwa gar eures jüdischen Teufels sein, der sein Unwesen in den finstersten Nächten halte! Es war aber der Tagesteufel sein Geld wert; denn ganze Scharen von Menschen richteten nichts mit ihm aus. Er verrichtete Taten, vor denen aller Menschheit die Haut schaudert und angstrunzlich wird. Könnte aber möglicherweise der erwähnte Besessene von seinem Übel geheilt werden, sage mir, welcher Ochse von einem Menschenrichter könnte so blind und finster dumm sein, daß er dem geheilten Menschen zeigte alle die unerhörtesten Greuel, die er in seiner Besessenheit verübt hat, und hielte ihn darum an zur tränenvollsten Reue und Besserung?! Konnte denn der Mensch darum, daß er in seinem Besessensein solche Greuel verübt hat?!

3. Sage mir, Freund voll Weisheit: Von einer großen Höhe fällt ein schweres Felsstück und erschlägt unten, dahin es stürzte, zufällig zwanzig daselbst weilende Menschen. Warum mußte denn das geschehen? Wer trägt an dieser Kalamität die Schuld? – Ich setze aber den wenigstens denkbar möglichen Fall, daß dazukäme ein so mächtiger Zauberer, der aus dem Felsblocke nach Art des Deukalion und der Pyrrha einen Menschen machte, mit aller Einsicht und Intelligenz begabt. Wie der neue Mensch so ganz gesund dastünde, da käme dann ein weiser und barmherziger Richter und sagte zu diesem Neumenschen: ,Da siehe hin, du Verruchter! Da ist dein böses Werk! Warum fielst du als Felsstück also mit aller Gewalt auf diese zwanzig Menschen? Rechtfertige dich, oder du hast für die Tat die furchtbarste Strafe zu gewärtigen!‘ Was wohl würde der Neumensch zu dem dummen Richter sagen? Nichts als: ,Konnte ich als schwerer und völlig bewußtloser Felsblock denn dafür, daß ich fürs erste irgend auf einer Höhe durch eine fremde Gewalt von meinesgleichen getrennt wurde, und fürs zweite irgend darum, daß ich eben so entsetzlich schwer war, und habe ich fürs dritte irgend diese zermalmten Menschen berufen, hier zu harren, bis ich herabstürzte und sie alle erschlug?!‘

4. Das höchst unvernünftige Beschuldigen dieses Neumenschen von seiten eines superklugen Richters wirst du nun hoffentlich einsehen, aber daneben vielleicht doch auch, daß ich, als nur erst aus einem Rohklotze ein Neumensch werdend, für alle meine schlechten Taten nahe ebensoviel kann wie der dir soeben gezeigte Felsklotz-Neumensch! Willst du kein dummer Richter sein, so richte mich nach der Gerechtigkeit der reinen Vernunft und nicht nach deiner sich weise dünkenden Laune! Sei ein Mensch, wie auch ich nun ein Mensch bin!“

71. Kapitel. Des Cyrenius Verwunderung über den Scharfsinn Zorels.

1. Johannes fängt an, über diese schlagenden Worte des Zorel tiefer nachzudenken und findet, daß sie nicht ohne Grund dastehen, und wendet sich still, bloß nur im Herzen, mit einer Frage an Mich, was er nun fürder mit dem Menschen noch weiteres anfangen solle, da ihm dieser offenbar über den Kopf zu wachsen beginne.

2. Ich aber sage dem Johannes: „Laß ihm nun ein wenig Zeit; dann werde Ich dir wie bis jetzt schon ins Herz und auf die Zunge legen, was du als weiteres mit ihm zu reden haben sollst!“ – Das befolgt Johannes.

3. Cyrenius, der die Rechtfertigung des Zorel mit großer Aufmerksamkeit angehört hatte, sagte zu Mir: „Herr, ich muß es hier offen bekennen, daß dieser Mensch ein ganz merkwürdiges Wesen ist! Nun scheint es, daß er sogar den weisen Jünger Johannes ganz bedeutend zum Nachdenken gebracht hat. Kurz, ich zum Beispiel wäre jetzt rein fertig mit meiner Weisheit und müßte ihn als Richter von aller seiner Schuld lossprechen!

4. Aber unbegreiflich ist es mir, woher dieser Hauptlump in seinen Handlungen solch eine schlagende Verstandesschärfe überkommen hat! Daß Menschen, wie zum Beispiel ein Oberster Stahar, auch ein Zinka, ganz scharf verständig zu ihrem Vorteile reden konnten, bevor sie mit Dir noch die nähere Bekanntschaft gemacht hatten, ist begreiflich, denn das sind lauter gelehrte Menschen und in vielen anderen Dingen tief erfahren; aber dieser Mensch war von jeher doch sicher ein Lump der allerersten Klasse, – und trotzdem diese enorme Verstandesschärfe! Ah, so was ist mir noch gar in meinem ganzen Leben nicht vorgekommen! Sage es mir doch, o Herr, wie dieser Mensch wohl dazu gekommen ist!“

5. Sage Ich: „Gar so leer ist er nie gewesen; denn die Griechen sind ja stets die besten Advokaten Roms! Sie kennen die rücksichtslose Schärfe der römischen Gesetze und studieren sie darum ungemein genau durch, auf daß sie, wenn ein Richter sie irgendeines Vergehens wegen zur Verantwortung zöge, mit einer gediegensten Entgegnung in steter Bereitschaft seien; und solche Menschen, die sich vorgenommen haben, den Staat so recht baumdick zu hintergehen, die haben sich die Rechte des Staates und der Menschheit schon gar ungewöhnlich fest angeeignet und auch die Schriften von verschiedenen Weltweisen sich ungemein intensiv zu eigen gemacht. Und zu solch einer Klasse gehört auch dieser Zorel.

6. Vor dem Verzückungsschlafe aber hätte er auch nicht mit solch einer determinierten Verstandesschärfe gesprochen; aber von dem Schlafe ist ihm aus seinem Geiste so ein gewisser Nachduft geblieben in seiner Seele, und darum kritisiert diese nun so scharf. Diese Schärfe würde sich aber wohl bald wieder verlieren, so er von nun an wieder ganz in die alte Lebenssphäre überginge; aber bei dieser Behandlung wird er noch immer schärfer werden, was Ich auch eigens Meiner Jünger wegen zulasse, damit sie bei dieser Gelegenheit die möglichste Schärfe des menschlichen Weltverstandes ein wenig zu verkosten bekommen, was ihnen sehr heilsam ist. Denn obwohl sie sehr demütige Menschen sind und ein schon sehr verständiges Herz besitzen, so kommt ihnen aber doch so dann und wann ein wenig ein eigendünklicher Gedanke, und dem gegenüber ist so ein Mensch ein ganz ausgezeichneter Stein des Anstoßes.

7. Johannes hat Mir bereits die Unzulänglichkeit seiner Weisheit im Herzen bekanntgemacht, und die anderen Jünger denken und denken nun, was dies sei; aber Ich lasse sie noch eine kleine Weile nachdenken, damit sie sich selbst besser finden. Haben sie sich etwas tiefer gefunden, so werde Ich ihnen dann schon wieder vorwärtshelfen. Aber Mücken wird er ihnen noch in die Ohren setzen, daß sie sich alle gar gewaltigst hinter den Ohren werden zu kratzen anfangen! Dann aber werden sie schon wieder einen Schritt weiter machen können. – Nun aber werde Ich wieder dem Johannes die Zunge lösen, und er wird wieder zu reden anfangen; darum gib nun nur recht acht!“

72. Kapitel. Johannes ermahnt Zorel zu einem besseren Lebenswandel.

1. Nach einer kurzen Weile sagte Johannes zu Zorel: „Ich kann es dir gerade nicht in Abrede stellen, daß du nun mit deinem Verstande so manches berührt hast, was allerdings nicht so ganz ohne allen Grund dasteht; aber auf dein Leben paßt es darum schlecht oder gar nicht, weil deine Seele in sich selbst allzeit so weit gebildet war, um das Falsche vom Wahren unterscheiden zu können. Welche Seele aber das in solcher Schärfe, wie es bei dir der Fall ist, zu tun imstande ist, die unterscheidet auch das Gute vom Bösen, und kann sie das, so sündigt sie wider ihre eigene Erkenntnis und ihr Gewissen; wer aber wider seine Erkenntnis und wider sein Gewissen sündigt, der kann nur durch eine wahre Reue und Buße von dem alten Unflate seiner Sünden gereinigt und Gott angenehm werden.

2. Du willst und sollst ein besserer Mensch werden! Willst du das, so mußt du auch erkennen, daß du an all den argen Handlungen selbst schuld warst; warst du aber das, so liegt es nun auch an dir, einzusehen, daß es nicht recht ist, die Schuld auf einen andern hinzulenken, sondern du sollst sie bei dir selbst und für dich als ganz zu eigen erkennen und darum eine wahre Reue fühlen, dieweil du das Wahre und Gute in vielfacher Hinsicht gar wohl erkannt, im Handeln aber doch fürs Entgegengesetzte dich bestimmt hast.

3. Ja, hättest du gar keine noch so blasse Idee von etwas rein Wahrem und somit Gutem in dir erkannt, sondern wärst nur in einem finstersten Aberglauben, als begründet in der Sphäre deines Lebens, dagestanden, da könnten dir deine Handlungen – und wären sie vor dem Richterstuhle des allerreinsten Verstandes an und für sich noch so böse – nicht als Schuld angerechnet werden, und so wärst du dann ebenso sündenfrei wie dein menschgewordener Tiger und Felsklotz, und niemand hätte das Recht, dir zu sagen: ,Bessere dich, bereue deine Untaten und tue eine rechte Buße, auf daß du dem wahren Gott wohlgefällig werdest!‘

4. Da müßte man dich zuvor erst in aller Wahrheit fein unterrichten, dir den rechten Weg zeigen und dich eine Zeitlang führen auf demselben! Würde jemand, als vollkommen in dieser Wahrheit unterwiesen, sich dennoch wieder in sein altes Falsche werfen und ebenso arg handeln wie zuvor, so würde er dann schon sündigen, weil er da wider seine feste Überzeugung handeln und sein Gewissen in eine tobende Unruhe versetzen würde. Deine mir vorgestellten Bilder taugen daher nur für Menschen, die gleich den Tieren noch nie irgendeine Wahrheit erkannt haben; aber du bist in der echten Wahrheit kein Laie, sondern erkennst sie nahe so gut, wie ich sie erkenne, und hast solche auch schon lange erkannt. Und es hat dir dein Gewissen auch allzeit eine jede deiner argen Taten vorgeworfen; du aber achtetest wenig darauf und suchtest durch allerlei falsche Vernunftgründe dasselbe zu übertäuben. Du fühltest auch allzeit Reue, sooft du etwas Schlechtes wider dein Erkennen und wider dein Gewissen begangen hattest; nur zur Buße und zur wahren Besserung kam es bei dir bis jetzt noch nicht.

5. Gott der Herr aber hat dich darum nun in ein großes Elend kommen lassen. Du hast nun nichts; auch dein ehemaliger Sklavenhandelsgesellschafter hat dich im Stiche gelassen und befindet sich nun schon in Europa, allwo er seine bedeutenden Gewinne verzehrt. Du stehst nun nackt hier und suchest Hilfe. Diese soll dir auch werden; aber du mußt dich derselben zuvor erst würdig machen dadurch, daß du aus dir selbst freiwillig das allein Wahre und Gute ins handelnde Leben überträgst. Alsdann wird dir auch wahrhaft geholfen für zeitlich und ewig.

6. Verharrest du aber handelnd bei dem, was du so gut wie ich als falsch und schlecht erkennst, so bleibst du elend dein Leben lang, und wie es dereinst drüben aussehen wird, indem es ein reines Leben nach dem Abfalle des Leibes gibt, darüber kann dir deine eigene reine Vernunft den ganz guten Aufschluß geben, so du bedenkst, daß dieses zeitliche Leben der Same und das jenseitige ewige die Frucht ist.

7. Pflanzest du in diesem deinem Lebensgarten einen edlen, guten Samen ins Erdreich eben dieses deines Lebensgartens, so wirst du auch edle Früchte ernten; legst du aber Distel- und Dornensamen in deines Lebensgartens Erdreich, so wirst du dereinst auch das ernten, was für Samen du nun gesäet hast! Denn das wirst du wohl wissen, daß auf den Distelstauden keine Feigen und auf den Dornen keine Trauben wachsen!

8. Sieh, ich habe dich nun nicht gerichtet, sondern dir nur gezeigt, was du für die Folge tun sollst, und mein Wort war nicht hart gegen dich, und sanft war der Ton meiner Rede! Beherzige solche meine Worte, und ich stehe dir als Freund mit meinem Leben dafür, daß dich dessen wohl ewig nie gereuen wird!“

73. Kapitel. Erkenntniswille und Genußwille im Menschen.

1. Sagt Zorel: „Ah, also lasse ich mit mir schon reden; denn das hat echt menschlich getönt, und ich werde mir alle Mühe geben, das zu tun, was du mir als Mensch, nur nicht als Richter, sagen wirst. Lieber Freund! Ich kenne mich nun genau, mein innerer Lebenskern scheint nicht eben der schlechteste zu sein; aber mein Äußeres ist durchgängig schlecht! Wäre es möglich, dieses Fleisch samt seinen schlechten seelischen Anhängseln total auszuziehen und den inneren Lebenskern mit einer besseren Fleischmasse zu umhüllen, so wäre ich ein ganz rarer Mensch; aber bei dieser meiner gegenwärtigen Leibeskonstitution ist nichts zu machen! Ich bin nun freilich kein so bedeutender Bösewicht mehr, als ich war; aber zu trauen ist meinem Fleische nimmer. Merkwürdig ist doch immer das, daß ich bei allen meinen noch so arg aussehenden Handlungen mit meinem Willen nie dabei war! Ich bin noch allzeit gerade wie zufällig hineingezogen worden; was ich eigentlich wollte, davon geschah gerade das Gegenteil! Wie ist das zu verstehen?“

2. Sagt Johannes: „Ja sieh, der Wille des Menschen ist ein zweifacher: der eine Wille ist der, an dem das Erkennen der Wahrheit ein stets etwas schwaches Zug- oder Leitseil besitzt; der andere Wille aber ist der, an dem die sinnliche Welt mit ihren wonnig duftenden Ansprüchen auch ein Zugseil besitzt, und das ein durch allerlei Gewohnheiten recht stark und mächtig gewordenes. Läßt dich die Welt einen angenehmen Bissen erschauen samt der Möglichkeit, seiner leicht habhaft zu werden, da fängt das starke Seil am Willensknaul des Herzens sogleich stark zu ziehen an; rührt sich da zu gleicher Zeit auch das weniger starke Zug- und Leitseil der Wahrheitserkenntnis, so nützt das wenig oder nichts, weil seit jeher der Starke noch allzeit den Sieg über den Schwachen davonträgt.

3. Der Wille, der wirken soll, muß entschieden ernst auftreten und vor nichts irgendeine Furcht haben. Mit der stoischsten Gleichgültigkeit muß er all den Vorteilen der Welt ins Angesicht lachen können und sogar auf Kosten seines Leibeslebens den lichten Weg der Wahrheit verfolgen. Dann ist der sonst schwache Erkenntniswille zum starken und mächtigen geworden und hat sich den rein weltlichen Gefühls- und Genußwillen vollends untertänig gemacht. Dieser geht endlich selbst ganz ins Licht des Erkenntniswillens über, und so ist der Mensch endlich eins in sich geworden, was zur inneren Vollendung des menschlich unsterblichen Wesens von der allerunerläßlichsten Wichtigkeit ist.

4. Denn kannst du im Denken und in dir selbst nicht einig werden, wie kannst du da sagen: ,Ich habe die Wahrheit erkannt in ihrer Tiefe und Fülle!‘, – bist aber in dir selbst noch vollkommen uneins und somit für dich selbst nichts als eine barste Lüge?! Die Lüge aber ist der Wahrheit gegenüber nichts, als was da ist die dickste Nacht gegenüber dem hellsten Tage. Eine solche Nacht ersieht kein Licht, und der Mensch in sich als Lüge kann keine lichte Wahrheit erkennen, und darum ist bei allen in sich höchst zertragenen Weltmenschen das Zug- und Leitseil des Erkenntniswillens gar so schwach, daß es schon von einem leichtesten Gegenzuge des weltlichen Genußwillens über Bord geworfen und somit besiegt wird.

5. Hat bei manchen Menschen der Weltgenußwille den Erkenntniswillen für immer ganz besiegt und erdrückt, so daß dadurch auch eine Art Einheit in der Finsternis des innern Menschen erfolgt ist, so ist der Mensch im Geiste tot geworden und ist somit ein in sich selbst Verdammter und kann zu keinem Lichte mehr kommen in Ewigkeit, außer durchs Feuer seiner durch den Begierdendruck entzündeten groben Materie. Aber die Materie der Seele ist hartnäckiger um vieles als die des Leibes, und es gehört ein gar mächtiges Feuer dazu, um alle die Seelenmaterie zu verzehren und zu vernichten.

6. Da sich aber eine Seele solch eine überaus schmerzliche Purifikation (Reinigung) nicht aus Liebe zur Wahrheit oder zum Lichte wird gefallen lassen, sondern sich aus alter Genuß- und finsterer Herrschsucht derselben wie ein Proteus dem Fange zu entziehen trachten wird, so ist ein Mensch, der in dieser Welt in sich in seiner Lebensnacht völlig eins geworden ist, auch so gut wie für ewig verloren.

7. Nur der Mensch, der durch seinen energischen lichtvollen Erkenntniswillen den weltlichen Genußsuchtswillen gänzlich besiegt hat und also im Lichte und in aller Wahrheit in sich eins geworden, ist dadurch ganz Licht und Wahrheit und sohin auch das Leben selbst. Dazu ist aber, wie ich dir schon früher bemerkt habe, eine wahrhaft stoische Selbstverleugnung nötig, – nur nicht jene in sich hochmütige eures Diogenes, die sich für mehr und höher dünkt als ein vom Golde strahlender König Alexander, sondern jene demütige eines Henoch, eines Abraham, Isaak und Jakob. Kannst du das, so wird dir geholfen sein für zeitlich und ewig; kannst du aber das nicht, und nicht aus deiner eigenen Wahrheitserkenntniskraft, dann ist es aus mit dir, und es kann dir weder auf der einen noch auf der andern Seite geholfen werden. Ich aber bin der Meinung, daß du solches über dich vermögen wirst; denn an der Einsicht und Erkenntnis fehlt es dir nicht. Was sagt dazu nun dein innerer Sinn?“

74. Kapitel. Das Wesen Gottes und Seine Menschwerdung.

1. Sagt Zorel: „Der sagt: ,Zorel kann alles, so er als der echte Zorel es will!‘; und der will es nun, und so wird ihm sicher auch geholfen werden! Könnte ich aber wenigstens nur etliche Wochen bei dir sein, so ginge die Sache offenbar leichter und schneller!“

2. Sagt Johannes: „So du nur den vollkommen ernsten Willen, ein besserer Mensch zu werden, gefaßt hast, so wirst du schon unter Männern verbleiben, die ebenso stark sind wie wir in der unmittelbarsten Nähe des großen und lebendigen Lichtes aus Gott!“

3. Sagt Zorel: „Was und wer ist denn so ganz eigentlich euer Gott, den ihr Juden den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs nennet?“

4. Sagt Johannes: „Diese Frage wirst du, so du in dir in deinem Lichte eins geworden sein wirst, klarst beantwortet finden, so wie wir sie gefunden haben; wollten wir dir aber nun solches näher zu erklären suchen, so würdest du uns nicht verstehen dein Leben lang. Das aber kannst du wohl zum voraus wissen, welchen Begriff sich ein wahrer Mensch von Gott machen soll, und so höre denn!

5. Der allein wahre und einige Gott ist in Sich ein ewiger, purster Geist aus Sich Selbst, ausgerüstet mit dem höchsten Grade des Selbstbewußtseins, mit der tiefsten und lichtvollsten Weisheit und mit jenem festesten Willen, dem kein Ding unmöglich ist.

6. Gott ist das Wort in Sich, und das Wort selbst ist Gott. Dies ewige Wort aber hat nun Fleisch angenommen, kam in die Welt zu den Seinen, und diese erkennen nicht das Licht, das dadurch in die Welt gekommen ist. Darum wird dieses Licht den Kindern genommen und den Heiden (Abergläubern) überantwortet werden. Denn die Heiden suchen nun die Wahrheit, des Lichtes Kinder aber fliehen sie, wie die großen Verbrecher das Gericht. Darum also wird es den Kindern genommen werden und gegeben den Heiden, wie solches soeben der Fall ist und geschieht.

7. Denn zu Jerusalem wohnen des Lichtes Urstammkinder, ächten die Wahrheit aus Gott und hängen sich stets mehr und mehr an die Nacht, an die Lüge und an ihre losen Werke. Aber die Heiden durchwandern die Welt und suchen die Wahrheit, und so sie sie gefunden haben, da haben sie eine große Freude und loben und preisen den Geber des Lichtes über alle die Maßen wahrhaft im Herzen und in der Tat.

8. Hier sieh dich um, und du ersiehst eine bedeutende Volksmenge! Die größte Anzahl sind Heiden, die das Licht aus den Himmeln gesucht haben. Sie haben es gefunden und freuen sich dessen; aber Jerusalem, die Stadt des Herrn, sandte nur Schergen und Häscher aus, daß sie das Licht erdrücken sollten! Doch die ausgesandt wurden, waren klüger als die, welche sie ausgesandt hatten; sie kamen aus ihrer großen Finsternis ans Licht, hatten eine rechte Freude am selben und blieben im selben. Sie haben das Licht zwar gefangengenommen, aber nicht für die Kerker Jerusalems, sondern für sich, für ihre Herzen, und sind nun unsere Brüder im Lichte aus Gott, und freuen sich desselben und Dessen, von dem das große Licht ausgeht.

9. Du kamst als ein Heide hierher, zwar nicht, damit du ein Licht fändest für deine Lebensnacht, sondern Gold und Silber. Aber wer da kommt aus den Kerkern in das Licht der Sonne, der wird es nicht leichtlich verhüten können, daß er erleuchtet wird. Und also ergeht es dir hier. Suchtest du auch eben nicht das Licht, so wirst du nun aber dennoch erleuchtet, da du an die Sonne kamst, das heißt nicht an das Licht der Natursonne, die jetzt soeben den Horizont des Unterganges berührt, sondern an das Licht der Geistessonne, das erleuchtet mit aller Weisheit die Unendlichkeit, auf daß alle Wesen, die der Gedanken fähig sind, aus diesem Lichte denken und wollen können, so wie auf dieser Erde also auch auf zahllosen anderen Welten, mit denen aus Gott der endlose Raum erfüllt ist.

10. Lasse dich demnach durchleuchten von diesem Lichte, das du nun ein wenig zu merken anfängst, daß es durchleuchtet deine Eingeweide, und du wirst durch ein kleinstes Fünklein dieses Lichtes schon glücklicher werden, als so du dich in den Besitz aller Schätze der Erde versetzen könntest. Suche du nun selbst das wahre Reich der Wahrheit, und es wird dir alles andere als eine freie Zugabe werden, und du wirst an nichts irgendeinen Mangel haben!“

75. Kapitel. Cyrenius nimmt sich des Zorel an.

1. Sagt Zorel: „Freund, du hast recht: Was der Mensch in der Finsternis genießt, gedeihet nicht! Daß ich aber in einer starken Geistesnacht lebe, das merke ich nun schon selbst; denn deine Worte haben mir trotz ihres geheimnisvollen Klanges eine rechte und große Erleuchtung gegeben, und ich habe nun schon eine große Freude daran. Aber, so dein Wort auch beim Cyrenius etwas vermag, so bitte ihn, daß er mir doch wenigstens gäbe einen nur etwas besseren Mantel; denn ich kann mich in diesen Lumpen nicht mehr sehen in eurer Gesellschaft. Cyrenius wird wohl so irgendeinen alten, abgetragenen Dienerschaftsmantel haben!“

2. Ruft Cyrenius einen seiner Diener und sagt: „Gehe hin, da unser Gepäck ist, und hole mir ein gutes Hemd, eine Toga und einen griechischen Mantel!“

3. Der Diener geht und bringt das Verlangte.

4. Cyrenius aber beruft darauf den Zorel und sagt: „Hier, nimm das Gewand, gehe irgend hinter das Haus und kleide dich um!“

5. Zorel nimmt höchst dankbarlich das Gewand, begibt sich damit hinter des Markus Haus, kleidet sich um und bekommt dadurch ein ganz stattliches Aussehen.

6. In wenigen Augenblicken ist Zorel wieder bei uns und sagt zu Cyrenius: „Hoher Herr! Nicht mehr unsere nichtigen Götter, sondern der eine, wahre und ewig lebendige Gott lohne es dir! Du hast nun einen nackten, armen Menschen bekleidet; und das ist ein edles Werk, dessen ich wohl nicht wert bin! Aber so es einen wahren, allmächtigen und höchst weisen Gott gibt, dessen Kinder wir alle sind, oder doch zum wenigsten Seine Werke, und wie Er uns ja auch mit Wohltaten überhäuft, deren wir nicht wert sind, und für die wir Ihm auch nur danken können und sonst nichts, so bin auch ich nun hier vor dir, hoher Herr und Gebieter: aus dem innersten Grunde des Herzens kann ich dir nur danken und sonst nichts tun! Willst du mich aber als einen letzten deiner Diener annehmen, so bringe ich dir darum meinen Acker zum Geschenke!“

7. Sagt Cyrenius: „Dein Acker ist nicht dein, sondern dessen, um wessen Geld du ihn erkauft hast; daher werden wir ihn verkaufen, dem Eigentümer oder seinen Kindern das Geld einhändigen, und du wirst erst dann mein Diener sein können!

8. Sagt Zorel: „Hoher Herr und Gebieter! Was du willst, das tue! Von dir ist mir alles eine Gnade; aber nur verlasse mich nicht, und beschenke mich mit einem Dienste! Wie ich meine alten Lumpen ausgezogen habe für immer, so werde ich auch meinen schlechten, alten Menschen ausziehen und ein ganz anderer Mensch werden! Das kannst du mir glauben! So schlecht ich war, so gut will ich aber auch wieder werden, um mit dem Reste meiner allfällig noch übrigen Lebenszeit das einigermaßen zu sühnen, was alles ich Übles angerichtet habe.

9. Hätte ich je irgendeinen Menschen antreffen können, der mir über Recht und Unrecht ein so hell leuchtendes Licht angezündet hätte wie jener Johannes dort, so wäre ich nie so tief in alle Laster versunken; aber so mußte ich mir stets selbst der gescheiteste Mensch sein! Wie weit ich es aber mit meiner großen Gescheitheit gebracht habe, weißt du, und ich brauche dir meine große Schande vor euch nicht mehr zu wiederholen. Darum sei du mir von nun an gnädig und barmherzig; denn in der Folge sollst du keine Gelegenheit mehr bekommen, mit mir unzufrieden zu sein. Ich kann verschiedene Künste und bin sehr kundig im Schreiben und Rechnen, und die Geschichte der Völker bis auf diese Zeit ist mir nicht fremd. Der ganze Herodot ist mir geläufig; auch der Juden, Perser und der alten Babylonier Chronik ist mir nicht unbekannt. Und so wirst du mich wohl irgend verwenden können.“

10. Sagt Cyrenius: „Darüber wollen wir später reden; für jetzt aber kehre du nur wieder zu deinem Freunde Johannes zurück, und lasse dir von ihm den rechten Weg zeigen! Hast du den, – für alles andere dürfte dann bald gesorgt sein!“

76. Kapitel. Vom Geheimnis des inneren Geisteslebens.

1. Auf diese Worte des Cyrenius verneigte sich Zorel tiefst vor uns allen und begab sich dann sogleich wieder zu Johannes, der ihn abermals mit aller Freundlichkeit aufnahm und ihn fragte, wie es ihm nun wohl ergangen sei.

2. Sagt Zorel: „Mir ist es überaus wohl ergangen, was du aus meiner Bekleidung gar wohl ersehen kannst; denn wenn man einmal ein ganz gesundes Hemd besitzt, eine Toga und einen griechischen Mantel von blauem Merino um die Schultern gehangen trägt, dann ist es einem irdisch doch sicher sehr wohl! Freilich mit dem geistigen Wohlsein und Wohlergehen, ich sage es dir, da hat es noch ein ganz gewaltiges Unwohlergehen am Brette! Wollte Gott, daß ich auch im Geiste also neubekleidet auszusehen anfinge wie nun am Leibe, so ginge es mir sicher noch wohler; aber da wird es schon noch seine Zeit benötigen!

3. Eine Frage, Freund, aber wirst du mir schon erlauben, und diese lautet also: Ihr seid Menschen wie ich, habt Fleisch und Blut und die gleichen Sinne wie unsereins; du hast mir aber Beweise von deiner Geistesstärke gegeben, die alles, was mir bis jetzt vorgekommen ist, himmelhoch und weit übertrifft! Es fragt sich nun, wie du dazu kamst. Wer hat dich und deine Kollegen solches gelehrt? Wie kamet ihr auf den Weg?“

4. Sagt Johannes: „Dir das zu erklären, würde dir wenig nützen; so du aber das tust, was ich dir nun sagen werde, so wirst du die Lehre in dir selbst finden, und dein geweckter Geist wird dich, gestärkt vom Geiste Gottes, in alle Wahrheit und Weisheit leiten. Willst du irgendeine Kunst erlernen, so mußt du zu einem Künstler gehen und dir von ihm die Handgriffe zeigen lassen; dann kommt die fleißige Übung, dir die Handgriffe derart zu eigen zu machen, daß sie denen des Meisters völlig gleichen, und du bist dann ein Künstler wie dein Meister.

5. Willst du denken lernen, so mußt du zu einem Philosophen gehen; der wird dich auf die Ursachen und Wirkungen aufmerksam machen, und du wirst dadurch zu denken und zu schließen anfangen und wirst sagen: Dieweil das Wasser ein flüssiger Körper ist, so kann es leicht in eine Unruhe versetzt werden; es muß vermöge seiner Schwere talabwärts fließen, weil nach der allgemeinsten Erfahrung bis jetzt alles Schwere vermöge einer der Erdtiefe eigenen Anziehungskraft sich eben auch stets der Tiefe der Erde zugewendet hat und dahin unaufhörlich streben muß nach dem unwandelbaren Willen des Schöpfers, der da ein Mußgesetz in der gesamten Natur ist.

6. Hat das Wasser im Meere ein möglich tiefstes Bett erreicht, so kommt es in bezug auf ein Weiterfließen wohl zur Ruhe, – aber in sich bleibt es dennoch stets ein flüssiger Körper; und weht ein Sturmwind über die weite Oberfläche, so bringt er die sonst ruhige Oberfläche des Wassers in eine wogende Bewegung, und dies Wogen des Wassers ist an sich wieder nichts anderes als ein Bestreben des flüssigen Wasserkörpers nach der Ruhe. Aber weil eben nichts so sehr einen Trieb nach der Ruhe hat wie das Wasser, so kann es auch am leichtesten und am ehesten aus dem Gleichgewichte seiner Ruhe gebracht werden.

7. Hieraus kommt endlich der Schluß: je flüssiger irgendein Körper ist, desto mehr Bestreben nach Ruhe birgt er in sich; und je mehr Bestreben nach Ruhe er in seinem körperlichen Wesen äußert, desto leichter kann er in eine Unruhe versetzt werden. Je leichter aber ein elementarischer Körper in Unruhe zu bringen ist, desto flüssiger muß er sein. Du siehst aus diesem Beispiele, wie man in einer Schule der Philosophen denken zu lernen anfängt, und wie man von der Ursache auf eine Wirkung und also auch umgekehrt zu schließen anfängt.

8. Allein all dies sogestaltige Denken bewegt sich innerhalb eines Kreises, aus dem es nirgends einen weiteren Ausweg findet und auch nicht finden kann. All solches Denken nützt dem Menschen denn auch wenig oder nichts in bezug auf sein inneres, geistiges Sein, Wollen und Denken. Wenn du dir aber irgendeine Kunst nur bei einem Künstler, ein geordnetes rationales Denken nur bei einem Philosophen zu eigen machen kannst, so wirst du das innere, geistige Denken nur von einem Geiste, und zwar vom alles durchdringenden Geiste Gottes in dir selbst erlernen können, – das heißt: nur ein Geist kann einen Geist wecken; denn ein Geist sieht und erkennt den andern Geist, so wie ein Auge das andere erschaut und erkennt, daß es ein Auge und wie es beschaffen ist.

9. Der Geist ist der Seele innerste Sehe, deren Licht alles durchdringt, weil es ein innerstes und somit reinstes Licht ist. Aus dem ersiehst du nun, wie es mit dem Erlernen der verschiedenen Dinge zugeht, und wie man zu allem, was man erlernen will, stets den geeignetsten Lehrer haben muß, ansonst man ein ewiger Stümper verbleibt; es kommt aber dann sehr darauf an, so man schon auch den allergeeignetsten Lehrer gefunden hat, daß man das alles genaust und fleißigst tut, was einem der Meister zu tun und zu üben befohlen oder angeraten hat.

10. Wenn dein Geist in dir wach wird, so wirst du seine Stimme wie lichte Gedanken in deinem Herzen vernehmen. Diese mußt du wohl anhören und dich danach in deiner ganzen Lebenssphäre richten, so wirst du dadurch deinem eigenen Geiste einen stets größeren Wirkungsraum verschaffen; also wird der Geist wachsen in dir bis zur männlichen Größe und wird durchdringen deine ganze Seele und mit ihr dein ganzes materielles Wesen.

11. Hast du mit dir selbst diesen Standpunkt erreicht, so bist du dann auch ebenso wie unsereins fähig, nicht nur das zu sehen und zu erkennen, was alle natürlichen Menschen mit ihren Sinnen sehen und wahrnehmen können, sondern auch solche Dinge, die für den gewöhnlichen Menschen unerforschlich sind, wie du solches an mir entdeckt hast, da ich, ohne dich früher je gesehen und gekannt zu haben, dir doch alles von dir noch so verborgen Gehaltene auf ein Haar vortragen konnte, was du auf dieser Erde je irgend angestellt hast.

12. Nun habe ich dir nur so einen kleinen Vorgeschmack von dem Sachverhalte gegeben, auf daß du ersehen und erkennen kannst, wie es sich mit den Dingen des Geistes verhält. Aber mit alldem ist dir noch immer wenig oder auch nichts geholfen; du mußt nun erfahren, was du zur Erweckung deines Geistes tun mußt. Das dir vorzuzeichnen aber steht mir noch lange nicht zu, sondern einem andern, der auch unter uns ist, und dessen ganzes Wesen vom Gottesgeiste allerdichtest durchdrungen ist. Der wird dir erst den Wahrheitsweg zeigen und durch dein Fleisch zu deinem Geiste als Selbst Geist aller Geister rufen: ,Erwache in der Liebe zu Gott und daraus zu deinen Brüdern im Namen Dessen, der ewig war, ist, und auch ewig sein wird!‘ – Und nun sage du mir, wie du all das von mir dir nun Gesagte findest!“

77. Kapitel. Zorels Entschluß zur Besserung.

1. Sagt Zorel: „Ich finde deine mir nun gemachte Belehrung höchst geistreich, wahr und gut, und es muß alles also sein; denn sonst hättest du mir ehedem wohl nicht können meine verborgensten Taten wie aus einem Buche hersagen. Man kann als Mensch somit in jedem Falle einer kaum glaublichen Vollendung gewärtig werden, und es genügt mir vor allem diese nun gemachte Überzeugung; ich geize auch gar nicht nach solcher an dir nun wahrgenommenen Vollendung darum, um bei einer andern ähnlichen Gelegenheit einem armen Sünder seine begangenen Sünden vorzutragen, sondern der menschlichen Vollendung selbst wegen möchte ich in solch einen Zustand kommen, um dadurch mir selbst einen wahren Lebenstrost zu verschaffen und mich also im stillen über mich selbst zu freuen! Ich will nie ein Lehrer noch irgendein noch so sanfter Richter sein; nur dienen will ich als ein vollkommener Mensch, auf daß in der Folge kein Mensch durch meine Dummheit in irgendeinen Schaden kommen soll.

2. Dieses ist der alleinige Beweggrund, aus dem ich in deine Vollendung kommen möchte. Bestehe die Forderung dazu an mein Leben, worin sie nur immer wolle, ich werde ihr sicher nachkommen; denn so ich etwas will, da ist mir kein Opfer zu schwer! Es wird ausgeführt, selbst auf Kosten dieses meines Leibeslebens! Denn welchen Wert kann auch ein Leben haben, wenn es aus lauter Unvollkommenheiten zusammengesetzt ist?! Mit der Unvollkommenheit kann man nichts Vollkommenes erreichen, – nach etwas Unvollkommenem aber gelüstet es mich wahrlich durchaus nicht mehr!

3. Du sagtest aber, daß mich über das, was ich tun soll, ein anderer Mensch belehren wird, der voll des Geistes Gottes ist; du kennst ihn, – zeige mir ihn, auf daß ich hintrete zu ihm und ihn bitte um die Mittel zur Erweckung meines Geistes!“

4. Sagt Johannes: „Jener ist es, der dich ehedem zu mir beschied! Zu Dem gehe hin, Der wird dich erwecken!“

5. Sagt Zorel: „Eine innere Ahnung hat es mir schon seit meinem Erwachen gesagt, daß dieser mir früher bekanntgegebene Zimmermannssohn aus Nazareth etwas mehr denn bloß nur ein Mensch sein muß. Endlich kommt es als Wahrheit heraus, was ich bisher dunkel nur geahnt! Es ist überhaupt äußerst merkwürdig, daß mir eben jener Mensch gar so bekannt vorkommt! Wie aber kam denn hernach er zu solch einer Vollendung? Weißt du mir darüber keinen Bescheid zu geben?“

6. Sagt Johannes: „Darüber kann ich dir nichts anderes sagen, als daß dir so eine Frage wohl zu vergeben ist; sonst aber wäre das wohl so viel, als würdest du danach fragen, wie und auf welche Art Gott zu Seiner unendlichen Weisheits- und Machtvollkommenheit gelangt ist. Gott Selbst hat Diesen erwählt zu Seiner leiblichen Wohnstätte! Das ist die große Gnade, die durch diesen Erwählten allen Völkern widerfährt. Das Menschliche, das du an Ihm siehst, ist gleichsam der Sohn Gottes; aber in Ihm wohnt des Geistes Gottes Fülle!

7. Wenn aber das, da kann man ja nicht fragen, wie Er zu solch einer unendlichen Vollendung kam! Das, was Er nun ist, und ewig sein wird, war Er schon im Mutterleibe. Er machte zwar alles rein Menschliche mit, bis auf die Sünde, die die Menschen immer mehr oder weniger begehen; aber zu Seiner geistigen Vollendung trug das nichts bei, weil Er schon von Ewigkeit her vollendet war. Er tat und tut aber alles nur, damit alle Menschen ein vollkommenstes Vorbild an Ihm haben sollen, um Ihm als dem Urgrunde und Urmeister alles Seins und Lebens nachzufolgen.

8. Jetzt weißt du auch, mit wem du es in Ihm zu tun hast. Gehe darum hin, auf daß Er dir zeige den rechten Weg zu deinem Geiste, der in dir ist als die reine Liebe zu Gott, und durch deinen Geist oder durch deine Liebe zu Ihm, der da unter uns nun weilt als das wahre Heil aller Menschen, die je auf dieser Erde gelebt haben, jetzt leben und in der Zukunft leben werden.

9. So du aber zu Ihm gehest, da gehe in der Liebe deines Herzens zu Ihm und nicht mit der Purheit deines Verstandes! Denn nur durch die Liebe kannst und wirst du Ihn gewinnen und Ihn in Seiner Göttlichkeit auch begreifen; mit dem Verstande aber wirst du ewig nichts ausrichten! Denn nur die reine Liebe ist einer ewigen Steigerung fähig, während dem Verstande seine Grenzen gesetzt sind, über die er ewig nicht zu klettern vermögen wird. Aber des Menschen Liebe zu Gott ist, wie gesagt, einer ewigen Steigerung fähig, und je mächtiger die Liebe zu Ihm in dir werden wird, desto heller wird es auch in deinem ganzen Wesen! Denn die reine Liebe zu Gott ist ein lebendiges Feuer und ein hellstes Licht. Wer in diesem Lichte wandelt, der wird den Tod in Ewigkeit nicht sehen, wie Er Selbst also geredet hat. – Und nun weißt du schon gar vieles; erwecke dich im Herzen und wandle zu Ihm hin!“

10. Zorel weiß aber auf diese Nachricht vor lauter Ehrfurcht kaum, was er nun denken und tun soll. Denn diese letzte Belehrung läßt ihm nun gar keinen Zweifel mehr übrig, daß Ich die Gottheit in aller Fülle in Mir berge, und er wird darum aus der stets wachsenden Ehrfurcht auch stets verzagter und kleinmütiger, und er sagt nach einer Weile tiefernsten Nachdenkens: „Freund! Je mehr ich nun deine Worte überdenke und bedenke, desto schwerer wird es mir auch, zu Ihm hinzutreten und Ihn als ein Seiner Gnade Unwürdigster zu bitten, daß Er Selbst mir zeige den lichtvollen Weg zum Leben! Es ist, geradewegs zu sagen, mir nun nahe unmöglich, zu Ihm hinzutreten; denn ich fühle eine eigene Heiligkeit aus Ihm mir entgegenwehen, und diese sagt mir stets: ,Tritt zurück, du Unwürdigster! Wirke zuvor eine jahrelange Buße, dann erst komme und sieh, ob du den Saum Meines Gewandes anrühren kannst!‘ Sage mir, woher nun solch eine außerordentliche Bangigkeit mein ganzes Wesen durchdringt!“

11. Sagt Johannes: „Das ist schon recht also; der wahren Liebe zu Gott dem Herrn muß ja stets die Demut des Herzens vorangehen! Wo dies nicht der Fall ist, da kommt die Liebe nie und nimmer zum wahren und lebendigen Vorscheine. Verharre nur noch eine kleine Weile in solch einer rechten Zerknirschung deines Herzens vor Ihm! Wenn Er dich aber rufen wird, dann zaudere nimmer, eiligst zu Ihm hinzutreten!“

12. Nach diesen Worten findet Zorel etwas mehr Beruhigung in sich, denkt aber dennoch sehr darüber nach, wie gut und selig es nun wäre, ohne Sünde vor den Heiligsten hinzutreten.

78. Kapitel. Der Weg zum ewigen Leben.

1. Ich aber sage zum Zorel zu seiner höchsten Überraschung und zu seinem größten Erstaunen: „Wer seine Gebrechen reuig bekennt und Buße wirkt in der wahren, lebendigen Demut seines Herzens, der ist Mir lieber denn neunundneunzig Gerechte, die der Buße noch nie bedurft haben. Komme daher nun zu Mir, du bußfertiger Freund; denn in dir waltet nun das rechte Gefühl der Demut, das Mir lieber ist denn das der Gerechten von Urbeginn an, die da in ihren Herzen rufen: ,Hosianna, Gott in der Höhe, daß wir Deinen heiligsten Namen niemals entheiligt haben durch eine Sünde mit unserem Wissen und Willen!‘ Das rufen sie wohl und haben auch ein Recht dazu; aber darum sehen sie auch einen Sünder mit richterlichen Augen an und fliehen seine Nähe wie die Pest.

2. Sie gleichen den Ärzten, die selber von der vollsten Gesundheit strotzen, sich aber darum scheuen, dorthin zu gehen, wo ein Kranker um ihre Hilfe ruft, aus Furcht, etwa selbst krank zu werden. Ist da nicht ein Arzt besser und achtbarer, der keine Krankheit scheut und zu jedem Kranken hineilt, der ihn gerufen hat?! Wird er manchmal auch von einer Krankheit mitergriffen, so ärgert er sich nicht darob, hilft dennoch dem Kranken und sich selber auch. Und also ist es recht!

3. Komme du darum nun nur zu Mir, und Ich werde dir zeigen, was dir Mein Jünger nicht zeigen konnte, nämlich den allein wahren Weg des Lebens und der Liebe und der wahren Weisheit aus ihr!“

4. Auf diese Meine Worte bekam Zorel Mut und kam ganz langsamen Schrittes zu Mir.

5. Als er bei Mir war, sagte Ich: „Freund, der Weg, der zum Leben des Geistes führt, ist ein dorniger und schmaler! Das will soviel sagen als: Alles, was dir in diesem Leben von seiten der Menschen auch immer Ärgerliches, Bitteres und Unangenehmes begegnen kann, das bekämpfe du mit aller Geduld und Sanftmut, und wer dir Übles tut, dem tue nicht wieder dasselbe zurück, sondern das Gegenteil, so wirst du glühende Kohlen über seinem Haupte sammeln! Wer dich schlägt, dem vergelte nicht Gleiches mit Gleichem, nimm lieber noch einen Schlag von ihm, auf daß Friede und Einigkeit zwischen euch sei und bleibe; denn nur im Frieden gedeiht das Herz und des Geistes Wachstum in der Seele.

6. Wer immer dich um einen Dienst bittet oder um eine Gabe, dem verweigere nichts, vorausgesetzt, daß der von dir verlangte Dienst nicht den Geboten Gottes und den Gesetzen des Staates zuwider ist, was du schon gar wohl zu beurteilen imstande sein wirst.

7. Bittet dich jemand um den Rock, da gib ihm auch noch den Mantel hinzu, auf daß er erkenne, daß du ein Jünger aus der Schule Gottes bist! Erkennt er das, so wird er dir den Mantel lassen; nimmt er ihn aber, so ist seine Erkenntnis noch äußerst schwach, und dir sei nicht leid um den Mantel, sondern darum, daß ein Bruder noch nicht erkannt hat die Nähe des Reiches Gottes.

8. Wer dich bittet, eine Stunde mit ihm zu gehen, mit dem gehe zwei Stunden, auf daß ihm solche deine Bereitwilligkeit zu einem Zeugnis werde, aus welcher Schule der sein müsse, dem ein so hoher Grad von Selbstverleugnung eigen ist! Auf diese Weise werden sogar die Tauben und Blinden die rechten Winke bekommen, daß das Gottesreich nahe herbeigekommen ist.

9. An euren Werken und Taten wird man es erkennen, daß ihr alle Meine Jünger seid! Denn leichter ist, recht predigen als recht tun. Was nützt aber das leere Wort, wenn es nicht Leben durch die Tat bekommt?! Was nützen dir die schönsten Gedanken und Ideen, so dir das Vermögen mangelt, sie je ins Werk zu setzen?! So nützen die schönsten und die wahrsten Worte ebenfalls nichts, wenn dir selbst nicht einmal der Wille eigen ist, sie vor allem ins Werk zu setzen. Das Werk allein hat den Wert; Gedanken, Ideen und Worte aber sind wertlos, wenn sie nicht irgend ins Werk gesetzt werden. Darum soll jeder, der gut predigt, auch selbst gut handeln, – sonst ist seine Predigt nicht mehr wert als irgendeine hohle Nuß!“

79. Kapitel. Von der Armut und der Nächstenliebe.

1. (Der Herr:) „Es gibt in der Welt eine große Menge der Gefahren für die Seele. Auf der einen Seite hast du die Armut; ihre Begriffe von Mein und Dein werden desto schwächer, je mehr ein Mensch von derselben gedrückt wird. Darum lasset unter den Menschen die Armut nie zu groß werden, wollet ihr sicheren Weges wandeln!

2. Wer aber schon arm ist, der bitte die wohlhabenderen Brüder um eine nötige Gabe; stößt er an harte Herzen, so wende er sich zu Mir, und es soll ihm geholfen werden! Armut und Not entschuldigen den Diebstahl und den Raub nicht, und noch weniger den Totschlag eines Beraubten! Wer arm ist, der weiß nun, wohin er sich zu wenden hat.

3. Es ist zwar die Armut eine gar große Plage für die Menschen, aber sie trägt den edlen Keim der Demut und wahren Bescheidenheit in sich und wird darum auch stets unter den Menschen verbleiben; dennoch aber sollen die Reichen sie nicht mächtig werden lassen, ansonst sie sehr gefährdet werden hier und dereinst auch jenseits.

4. Wenn ihr unter euch Arme habt, so sage Ich es euch allen: Ihr brauchet ihnen nicht zu geben, daß auch sie reich würden; aber Not sollet ihr sie nicht leiden lassen! Die ihr sehet und kennet, denen helfet nach Recht und Billigkeit! Es wird aber noch gar viele geben auf dieser weiten Erde, die gar entsetzlich arm sind und eine übergroße Not leiden. Allein ihr kennet sie nicht und vernehmet auch nicht ihr Jammergeschrei; darum lege Ich sie euch auch nicht ans Herz, sondern die nur, die ihr kennet und die irgend zu euch kommen.

5. Wer von euch ein Freund der Armen sein wird aus vollem Herzen, dem werde auch Ich ein Freund und ein wahrer Bruder sein, zeitlich und ewig, und er wird nicht nötig haben, die innere Weisheit von einem andern Weisen zu erlernen, sondern Ich werde sie ihm geben in aller Fülle in sein Herz. Wer seinen nächsten armen Bruder lieben wird wie sich selbst und wird nicht hinausstoßen eine arme Schwester, welchen Stammes und welchen Alters sie auch sei, zu dem aber werde Ich Selbst kommen allzeit und Mich ihm treulichst offenbaren. Seinem Geiste, der die Liebe ist, werde Ich's sagen, und dieser wird damit erfüllen die ganze Seele und ihren Mund. Was der dann reden oder schreiben wird, das wird von Mir geredet und geschrieben sein für alle Zeiten der Zeiten.

6. Des Hartherzigen Seele aber wird ergriffen werden von argen Geistern, und diese werden sie verderben und sie einer Tierseele gleichmachen, wie sie dann auch jenseits also offenbar werden wird.

7. Gebet gerne und gebet reichlich; denn wie ihr da austeilet, so wird es euch wieder zurückerteilt werden! Wer ein Hartherz besitzt, das wird von Meinem Gnadenlichte nicht durchbrochen werden, und in ihm wird wohnen die Finsternis und der Tod mit all seinen Schrecken!

8. Aber ein sanftes und weiches Herz wird von Meinem Gnadenlichte, das gar zarter und übersanfter Wesenheit ist, gar bald und leicht durchbrochen werden, und Ich Selbst werde dann einziehen in ein solches Herz mit aller Fülle Meiner Liebe und Weisheit.

9. Solches möget ihr wohl glauben! Denn diese Worte, die Ich zu euch nun rede, sind Leben, Licht, Wahrheit und vollbrachte Tat, deren Realität ein jeder erfahren muß, der sich danach kehren wird.“

80. Kapitel. Von der Fleischeslust.

1. (Der Herr:) „Also, die Armut haben wir nun durchgemacht und haben auch gesehen die feindlichen Dinge, die aus ihrer Überhandnahme zum Vorscheine kommen können; wir haben aber auch gesehen, wie ihr abzuhelfen ist und warum, und welche Vorteile dem Menschen aus der Befolgung dieser Meiner Belehrung an euch alle für jedermann erwachsen können. Und so wären wir mit dieser Plage und Ärgerlichkeit fertig und kommen nun daneben auf ein anderes Feld, das dem nun bearbeiteten zwar sehr wenig ähnlich sieht, aber dennoch mit ihm in einer nächsten Verbindung steht. Dieses Feld heißt: des Fleisches Lust.

2. Darin liegt eigentlich das Hauptübel für alle Menschen mehr oder weniger begraben. Aus dieser Lust entspringen nahe alle leiblichen Krankheiten und gar alle Übel der Seele schon ganz sicher und vollends gewiß.

3. Jede Sünde legt der Mensch leichter ab als diese; denn die anderen haben bloß nur äußere Motive, diese Sünde aber hat das Motiv in sich selbst und im sündigen Fleische. Daher sollet ihr eure Augen abwenden von den reizenden Gefahren des Fleisches auf so lange, bis ihr Meister über euer Fleisch geworden seid!

4. Bewahret die Kinder vor dem ersten Fall und erhaltet ihnen ihre Schamhaftigkeit, so werden sie als Erwachsene dann ihr Fleisch leicht zu beherrschen haben und nicht leicht zu Falle kommen; aber einmal übersehen, – und des Fleisches böser Geist hat vom selben Besitz genommen! Kein Teufel aber ist schwerer aus dem Menschen zu vertreiben als eben der Fleischteufel; der kann nur durch vieles Fasten und Beten aus dem Menschen geschafft werden.

5. Hütet euch darum, die Kleinen zu ärgern oder sie durch übermäßiges Putzen und durch reizende Kleidung zu reizen und fleischlich zu entzünden! Wehe dem, der sich also an der Natur der Kleinen versündigt! Wahrlich, dem wäre es wohl erklecklicher, so er nie wäre geboren worden!

6. Den Frevler an der heiligen Natur der Jugend werde Ich Selbst züchtigen mit aller Macht Meines Zornes! Denn ist das Fleisch einmal brüchig geworden, dann hat die Seele keine feste Unterlage mehr, und ihre Vollendung geht schlecht vonstatten.

7. Welche Arbeit ist es für eine schwache Seele, ein brüchiges Fleisch wieder zu heilen und ganz und narblos zu machen! Welche Angst steht sie dabei oft aus, so sie merket ihres Fleisches, ihres irdischen Hauses Brüchigkeit und Schwäche! Wer schuldet daran? Die schlechte Überwachung der Kinder und die vielen Ärgernisse, die den Kindlein durch allerlei gegeben werden!

8. Namentlich aber ist die Sittenverderbnis in den Städten stets größer als auf dem Lande; darum machet einstens als Meine Jünger die Menschen darauf aufmerksam und zeiget ihnen die gar vielen bösen Folgen, die aus einem zu frühen Fleischbruche entstehen, so werden sich viele daran kehren, und es werden daraus gesunde Seelen zum Vorscheine kommen, in denen der Geist leichter zu erwecken sein wird, als es nun bei gar so vielen der Fall ist!

9. Sehet an die Blinden alle, die Tauben, die Krüppel, die Aussätzigen, die Gichtbrüchigen; sehet weiter an alle die verschiedenartig bresthaften und mit allerlei Leibesübeln behafteten Kinder und erwachsenen Menschen! Alles Folgen einer zu frühen Fleischbrüchigkeit!

10. Der Mann soll vor seinem vierundzwanzigsten Jahre keine Jungfrau anrühren – ihr wisset es, wie und wo es zu verstehen ist vor allem –, und die Jungfrau soll wenigstens vollkommen achtzehn Jahre zählen oder mindestens volle siebzehn; unter dieser Zeit ist sie nur notreif und soll keinen Mann erkennen! Denn vor dieser Zeit ist hie und da eine nur notreif; wird sie zu früh berührt von einem geilen Manne, so ist sie schon brüchigen Fleisches und zu einer schwachen und leidenschaftlichen Seele geworden.

11. Es ist schwer, eines Mannes brüchiges Fleisch zu heilen, – aber noch um vieles schwerer das einer Jungfrau, so sie vor der Zeit brüchig geworden ist! Denn fürs erste wird sie nicht leichtlich ganz gesunde Kinder zur Welt bringen, und fürs zweite wird sie darauf von Woche zu Woche beischlafsüchtiger und am Ende gar eine Hure, die da ist ein elendester Schandfleck beim Menschengeschlechte, nicht so sehr für sich selbst, als vielmehr für jene, durch deren Nachlässigkeit sie dazu gemacht wurde.

12. Wehe aber dem, der die Armut einer Jungfrau benützt und ihr Fleisch bricht! Wahrlich, für den wäre es auch besser, so er nie geboren worden wäre! Wer aber eine schon verdorbene Hure beschläft, anstatt durch die rechten Mittel sie von der Bahn des Verderbens abzuwenden und ihr auf den rechten Weg zu helfen, der wird dereinst vor Mir ein mehrfaches, strengstes Gericht zu bestehen haben; denn wer da schlägt einen Gesunden, der hat sich nicht so mächtig versündigt als einer, der einen Krüppel mißhandelt hat.

13. Wer irgend beschlafen hat eine ganz reife und gesunde Jungfrau, der hat zwar auch gesündigt; aber da das dadurch angerichtete Übel von keinem besonders schädlichen Belange ist, besonders so beide Teile ganz gesund sind, so steht darauf nur ein kleineres Gericht. Wer aber aus purer, schon alter Geilheit einer noch so reifen Jungfrau das tut etwa also, wie er es täte einer Hure, ohne Zeugung einer lebendigen Frucht in der Jungfrau Schoße, der soll ein doppeltes Gericht zu bestehen haben; wenn er aber solches tut mit einer Hure, so soll er auch ein zehnfaches Gericht zu bestehen haben!

14. Denn eine Hure ist eine in ihrem Fleische und in ihrer Seele vollkommen zerrüttete und zerbrochene Jungfrau. Wer ihr hilft aus solcher ihrer großen Not aus redlichem und Mir getreuem Herzen, der wird groß sein in Meinem Reiche dereinst. Wer eine Hure um einen schnöden Sold beschläft und sie noch schlechter macht, als sie früher war, der wird dereinst mit dem Lohne belohnt werden, mit dem ein jeder böswillige Totschläger belohnt wird im Pfuhle, der allen Teufeln und ihren Dienern bereitet ist.

15. Wehe dem Lande, wehe der Stadt, wo die Hurerei getrieben wird, und wehe der Erde, wenn dies große Übel auf ihrem Boden überhandnehmen wird! Über solche Länder und Städte werde Ich Tyrannen zu Herrschern setzen, und diese werden den Menschen unerschwingbare Lasten auferlegen müssen, auf daß alles Fleisch hungere und ablasse von der frevelhaftesten Handlung, die nur immer ein Mensch an seinem armen Mitmenschen begehen kann!

16. Eine Hure aber soll verlieren alle Ehre und Achtung sogar bei denen, die sie um den Schnödsold gebraucht haben, und ihr Fleisch soll in der Folge dazu noch behaftet werden mit allerlei unheilbarer oder wenigstens schwer heilbarer Seuche. Wenn sich aber eine ordentlich bessert, so soll sie bei Mir wieder in Gnaden angesehen werden!

17. So aber irgendein Geiler zu anderen Befriedigungsmitteln greift außerhalb des von Mir im Schoße des Weibes gestellten Gefäßes, der wird schwerlich je zur Anschauung Meines Angesichtes gelangen! Moses hat zwar dafür die Steinigung angeordnet, die Ich zwar darum nicht völlig aufhebe, weil sie eine harte Strafe für dergleichen schon ganz dem Teufel verfallene Verbrechen und Verbrecher ist, sondern Ich erteile euch nur den väterlichen Rat, solche Sünder von den Gemeinden zu entfernen, sie vorerst einer großen Not an einem Orte der Verbannung preiszugeben und erst, wenn sie nahe nackt an die Grenzen des Heimatlandes kommen, sie wieder anzunehmen, sie dann in eine Seelenheilanstalt zu bringen und sie diese nicht eher verlassen zu lassen, bis solche Menschen in die vollste Besserung übergegangen sind. Wenn sie, vielfach erprobt, ihr Bessersein vollkommen an den Tag legen längere Zeit hindurch, so können sie zur Gesellschaft wieder zurückkehren; lassen sich aber nur irgend noch die allergeringsten Spuren von sinnlichen Anfechtungen erkennen, so bleiben sie lieber unter Gewahrsam ihr Leben lang, was um vieles besser und heilsamer ist, als so die unverdorbenen Menschen einer Gemeinde durch sie verpestet würden.

18. Du, Zorel, warst in solcher Hinsicht eben auch nicht ganz rein; denn schon als Knabe warst du mit allerlei Unlauterkeit behaftet und warst ein ärgerliches Beispiel für deine Jugendgefährten. Aber es kann dir solches dennoch zu keiner Sünde gerechnet werden; denn du hattest keine jener Erziehungen bekommen, aus der du zu irgendeiner reinen Wahrheit gelangt wärst, die dir gezeigt hätte, was da nach der Ordnung Gottes vollkommen Rechtens ist. Das Bessere hast du erst einzusehen angefangen, als du bei einem Advokaten die Rechte der Bürger Roms kennengelernt hast. Von da an warst du zwar wohl kein Tiermensch mehr, aber sonst ein Gesetzesverdreher erster Klasse und betrogst deine Nächsten, wo es nur immer möglich war. Doch alles das ist vorbei, und du stehst nun nach deiner gegenwärtigen Erkenntnis als ein besserer Mensch vor Mir!

19. Aber alles dessenungeachtet merke Ich dennoch, daß in dir noch viel fleischliche Geilheit vorhanden ist. Auf diese mache Ich dich besonders aufmerksam und rate dir, daß du dich in diesem Punkte sehr in acht nehmen sollst; denn wenn du einmal in einem etwas bessern Leben stecken wirst, so wird sich dein noch sehr durchlöchertes Fleisch in seiner noch lange nicht geheilten Brüchigkeit zu rühren anfangen, und du kannst dann deine Not haben, dasselbe zu beruhigen und endlich an selbem die alte Brüchigkeit völlig zu heilen. Hüte dich darum vor aller Übermäßigkeit; denn in der Un- und Übermäßigkeit ruht der Same der fleischlichen Wollust! Sei daher in allem mäßig, und laß dich niemals zur Unmäßigkeit im Essen wie im Trinken verleiten, ansonst du dein Fleisch schwer wirst bezähmen können!

20. Und so haben wir nun denn auch das Feld des Fleisches so ein wenig durchgemacht, insoweit es nun für dich notwendig ist. Und nun wollen wir uns auf ein anderes Feld begeben, das bei dir auch als ein starkes bezeichnet werden kann!“

81. Kapitel. Vom rechten, gottgefälligen Geben.

1. (Der Herr:) „Dieses besteht in dem reinen Begriffe über Mein und Dein. Moses sagt: ,Du sollst nicht stehlen!‘ und wieder: ,Du sollst kein Verlangen tragen nach allem, was deines Nächsten ist, außer ein solches, das aller Gerechtigkeit entspricht!‘

2. Du kannst deinem Nächsten wohl ganz redlich etwas abkaufen und es dann gerecht und vor allen Menschen ehrlich besitzen; aber jemandem wider seinen Willen geheim etwas entwenden, ist Sünde wider die von Gott durch Moses den Menschen gegebene Ordnung, weil so eine Handlung offenbarst gegen alle Nächstenliebe streitet. Denn was dir rechtlichermaßen unangenehm sein muß, so es dir ein anderer tut oder täte, das tue auch du deinem Nächsten nicht!

3. Der Diebstahl entspringt zumeist der Eigenliebe, weil daraus hervorgehen die Trägheit, der Hang zum Wohlleben und zur Tatlosigkeit. Aus dem geht hervor eine gewisse Mutlosigkeit, die mit einer hochmütigen Scheu umlagert ist, der zufolge man sich zwar nicht zur etwas lästigen Bitte, aber desto eher zum geheimen Stehlen und Entwenden bequemt. Im Diebstahl ruhen sonach eine Menge Gebrechen, darunter die zu sehr emporgewachsene Eigenliebe der offenbarste Grund von den andern allen ist. Durch eine recht lebendige Nächstenliebe kann diesem Seelenübel am meisten entgegengewirkt werden zu allen Zeiten.

4. Du denkst nun erklärlicherweise in deinem Gehirne: ,Nächstenliebe wäre leicht geübt, wenn man nur immer die Mittel dazu besäße! Aber unter hundert Menschen gibt es stets kaum zehn, die so gestellt sind, daß sie diese herrliche Tugend üben können; die neunzig sind zumeist solche, an denen diese Tugend von den zehn Vermögenden ausgeübt werden soll. So man aber nur durch die Ausübung der Nächstenliebe dem Laster der Dieberei kräftigst begegnen kann, da werden die neunzig Armen sich schon schwer ganz davor verwahren können; denn denen fehlen die Mittel, diese Tugend kräftigst zu üben.‘

5. Du hast verstandesgemäß ganz richtig gedacht, und niemand kann dir mit dem Weltverstande etwas einwenden. Aber im Verstande des Herzens liesest du eine andere Sprache, und diese lautet: Nicht mit der Gabe nur werden die Werke der Nächstenliebe geübt, sondern vielmehr durch allerlei gute Taten und ehrliche und redliche Dienste, bei denen es am guten Willen natürlich nicht fehlen darf.

6. Denn der gute Wille ist die Seele und das Leben eines guten Werkes; ohne den hätte auch das an und für sich beste Werk gar keinen Wert vor dem Richterstuhle Gottes. Hast du aber auch ohne alle Mittel den lebendig guten Willen, deinem Nächsten, so du ihn in irgendeiner Not erschauest oder triffst, so oder so zu helfen, und es wird dir darum schwer ums Herz, so du solches nicht vermagst, so gilt dein guter Wille bei Gott um sehr vieles mehr als das Werk eines andern, zu dem man ihn durch was immer erst hat verlocken müssen.

7. Und hat ein Reicher eine ganz verarmte Gemeinde darum wieder auf die Füße gestellt, weil die Gemeinde ihm, so sie wieder wohlständig wird, den Zehent und eine gewisse Untertänigkeit zugesagt hat, so ist sein ganzes gutes Werk vor Gott gar nichts; denn er hat sich seinen Lohn schon genommen. Was er getan hat, das hätte des Gewinnes wegen auch ein jeder noch so wucherische Geizhals getan.

8. Du siehst daraus, daß vor Gott und zum Vorteile des eigenen inneren, geistigen Lebens ein jeder Mensch, ob er reich oder arm ist, die Nächstenliebe üben kann; es kommt nur auf einen wahrhaft lebendig guten Willen an, demnach ein jeder mit aller Hingebung gerne tut, was er nur kann.

9. Freilich wäre da der gute Wille allein auch nichts, so du ein oder das andere Vermögen wohl besäßest und es dir auch nicht am guten Willen fehlte, du nähmest aber dabei doch gewisse Rücksichten, teils auf dich selbst, teils auf deine Kinder, teils auf deine Anverwandten und teils noch auf manches andere, und tätest dem, der bedürftig vor dir steht, entweder nur etwas weniges oder mitunter auch gar nichts, weil man denn doch nicht allzeit wissen könne, ob der Hilfesucher doch nicht etwa ein fauler Lump sei, der der angesuchten Hilfe nicht würdig sei. Man täte da dann nur einen Lumpen in seiner Trägheit unterstützen und entzöge dadurch die Unterstützung einem Würdigeren! Kommt aber ein Würdigerer, so trägt man dann auch dieselben Bedenken; denn man kann es ja doch nicht mit völliger Bestimmtheit wissen, daß dieser ein völlig Würdiger ist!

10. Ja, Freund, wer sich beim Wohltun, selbst beim besten Willen, also besinnt, ob er etwas Erkleckliches tun solle oder nicht, dessen guter Wille ist und hat noch lange nicht das rechte Leben; darum zählen bei ihm weder der gute Wille noch die guten Werke etwas Besonderes vor Gott. Wo das Vermögen ist, müssen der Wille und die Werke gleich sein, sonst benimmt eines dem andern den Wert und die Lebensgeltung vor Gott.

11. Was du aber tust oder gibst, das tue und gib mit vielen Freuden; denn ein freundlicher Geber und Täter hat einen Doppelwert vor Gott und ist der geistigen Vollendung auch ums Doppelte näher!

12. Denn des freundlichen Gebers Herz gleicht einer Frucht, die leicht und früh reif wird, weil sie in sich eine Fülle der rechten Wärme hat, die zum Reifmachen einer Frucht von höchster Notwendigkeit ist, weil in der Wärme das entsprechende Element des Lebens, weil der Liebe, waltet.

13. Also ist des Gebers und Täters Freudigkeit und Freundlichkeit eben jene nicht genug zu empfehlende Fülle der rechten innern, geistigen Lebenswärme, durch die die Seele für die Vollaufnahme des Geistes in ihr ganzes Wesen mehr denn ums Doppelte eher reif wird und auch werden muß, weil eben diese Wärme ein Übergehen des ewigen Geistes in seine Seele ist, die durch solchen Übergang ihm stets ähnlicher gemacht wird.

14. Ein sonst aber noch so eifriger Geber und Wohltäter ist von dem Ziele der wahren innern, geistigen Lebensvollendung um so entfernter, je saurer und unfreundlicher er beim Geben und Tun ist; denn das unfreundliche und saure Gebaren beim Geben hat noch etwas materiell Weltliches in sich und ist darum vom rein himmlischen Elemente um sehr vieles entfernter denn das freudige und freundliche.

15. Also sollst du beim Geben oder Tun auch nicht ernste und oft bittere Ermahnungen mitgeben; denn diese erzeugen bei dem armen Bruder oft eine bedeutende Traurigkeit, und er fängt dann an, sich im Herzen sehr danach zu sehnen, von dem ihn stets mit ernster Miene ermahnenden Wohltäter ja nichts mehr annehmen zu müssen. Den Wohltäter aber machen solche unzeitige Ermahnungen nicht selten so ein wenig stolz, und der Bewohltätigte fühlt sich dadurch zu tief unter die Füße des Wohltäters geworfen und fühlt dann erst so recht seine Not vor dem Wohlstande des Wohltäters, und da ist es, wo das Nehmen bei weitem schwerer denn das Geben wird.

16. Wer Vermögen und einen guten Willen hat, der gibt leicht; aber dem armen Nehmer wird schon beim freundlichsten Geber bange, so er sich durch seine Armut genötigt sieht, dem noch so freundlichen Wohltäter zur Last fallen zu müssen. Wie schwer muß ihm aber erst ums Herz werden, so der Wohltäter ihm mit einem grämlichen Gesicht entgegentritt und ihm noch vor der Wohltat mehrere weise Lehren zukommen läßt, die für den Bewohltätigten in der Zukunft zu schmerzlichen Hemmschuhen werden, in einem Notfalle noch einmal vor die Tür des Mahnpredigers zu kommen, weil er bei einem zweiten Kommen noch eine weisere, längere und somit eindringlichere Predigt erwartet, die nach seinem Verständnisse allenfalls soviel sagt als: ,Komme du mir ja nicht sobald – oder auch gar nie wieder!‘, obwohl der Geber sicher nicht und nie im entferntesten Sinne daran gedacht hat.

17. Eben darum aber hat ein freudiger und freundlicher Geber einen so großen Vorzug vor dem grämlichen Mahnprediger, weil er das Herz des Nehmers tröstet und erhebt und in eine dankbare Stimmung versetzt. Auch erfüllt es den Nehmer mit einem liebevollen und gedeihlichen Vertrauen gegen Gott und gegen Menschen, und sein sonst so schweres Joch wird ihm zu einer leichteren Bürde, die er dann mit mehr Geduld und Hingebung trägt, als er sie zuvor getragen hat.

18. Ein freudiger und freundlicher Wohltäter ist einem armen und notleidenden Bruder gerade das, was dem Schiffer auf sturmbewegtem Meer ein sicherer und freundlicher Hafen ist. Aber ein grämlicher Wohltäter in der Not gleicht nur einer dem Sturme weniger ausgesetzten Meeresbucht, die den Schiffer wohl vor einer gänzlichen Strandung sichert, aber ihn danebst stets in einer spannenden Furcht erhält, ob nicht eine unheimliche und sehr verderbliche Springflut die Bucht nach dem Sturme, wie es dann und wann geschieht, heimsuchen könnte, die ihm dann einen größeren Schaden bringen könnte als zuvor des hohen Meeres Sturm.

19. Jetzt weißt du auch vollkommen nach dem Willensausmaße Gottes, wie die wahre und die geistige Vollendung einer leicht und ehest zu bewerkstelligenden Nächstenliebe beschaffen sein muß; tue danach, so wirst du auch leicht und ehest das allein wahre Lebensziel erreichen!“

82. Kapitel. Von der Demut und vom Hochmute.

1. (Der Herr:) „Aber nun kommt noch ein gar überaus wichtiges Lebensfeld, auf dem man dann erst so ganz zur vollen Wiedergeburt des Geistes in seiner Seele gelangen kann, was da ist des Lebens wahrster Triumph und höchstes Endziel. Dieses Feld ist der schnurgeradeste Gegensatz zum Stolz und Hochmut und heißt – Demut.

2. In einer jeden Seele aber liegt gleichfort ein Hoheitsgefühl und Ehrgeiz, der bei der geringsten Gelegenheit und Veranlassung sich nur zu leicht zu einer alles zerstörenden Zornleidenschaft entflammt und nicht eher zu dämpfen oder gar vollauf zu löschen ist, als bis er die ihn beleidigenden Opfer verzehrt hat. Durch diese gräßliche Leidenschaft aber wird die Seele so zerstört und materievoll, daß sie für eine innerliche, geistige Vollendung noch um vieles untauglicher wird – als der großen Wüste Afrikas glühender Sand zur Stillung des Durstes!

3. Bei der Leidenschaft des elenden Hochmutes wird am Ende die Seele selbst zum glühenden Wüstensand, über dem auch nicht ein elendstes Moospflänzchen erwachsen kann, geschweige irgendeine andere saftvollere und gesegnetere Pflanze. So die Seele eines Hochmütigen! Ihr wildes Feuer versengt und verbrennt und zerstört alles Edle, Gute und Wahre des Lebens vom Grunde aus, und tausendmal Tausende von Jahren werden vergehen, bis Afrikas Sandwüste sich in freundliche und segentriefende Fluren umgestalten wird. Da wird noch gar oftmals das ganze Meer seine Fluten darüber treiben müssen!

4. Siehe an einen stolzen König, der durch irgendeine kleine Sache von seinem Nachbar beleidigt wurde! Seine Seele gerät darauf stets mehr und mehr in den wüstesten Brand; aus seinen Augen sprühen schon lichterlohe Zornflammen, und die unwiderrufliche Losung heißt: ,Die furchtbarste Rache dem ehrvergessenen Beleidiger!‘ Und ein verheerendster Krieg, in dem sich Hunderttausende für ihren stolzen und übermütigen König auf die elendeste Weise zerfleischen lassen müssen, ist die altbekannte, traurigste Folge davon. Mit großem Behagen schaut dann der zornentflammte König aus seinem Zelte dem tollsten Schlachten und Morden zu und belohnet stolz jeden wütendsten Krieger mit Gold und Edelsteinen, der dem bekriegten Gegenteile irgendeinen größten und empfindlichsten Schaden hatte zufügen können.

5. Wenn ein solcher König seinen Beleidiger schon nahe bis aufs letzte Hemd beraubt hat mit seiner überwiegenden Macht, so ist ihm das noch viel zu wenig! Ihn selbst will er vor sich noch auf das allergrausamste martern sehen! Dagegen nützet kein Bitten und kein Flehen etwas. Und ist der Beleidiger auch vor des stolzen Königs Augen unter den peinlichsten und schmerzlichsten Martern gestorben, so wird dessen Fleisch noch dazu allergräßlichst verflucht und den Raben zum Fraße ausgestreut, und nimmer kehrt in das diamantene Herz eines solchen Königs irgendeine Reue zurück, sondern der Zorn oder die glühende Wüste Afrikas bleibt, einem jeden gleichfort den fürchterlichsten Tod bringend, der es je wagen sollte, auch nur der Stelle, wo irgend der stolze König stand, nicht die höchste Ehre zu bezeigen.

6. Ein solcher König hat freilich wohl auch noch eine Seele; aber wie sieht diese aus? Ich sage es dir: ärger denn die glühendste Stelle der großen Sandwüste Afrikas! Meinst du wohl, daß solch eine Seele je zu einem Fruchtgarten der Himmel Gottes wird umgewandelt werden können? Ich sage es dir: Tausendmal eher wird Afrikas Wüste die herrlichsten Datteln, Feigen und Trauben tragen, denn solch eine Seele auch nur einen kleinsten Tropfen der himmlischen Liebe!

7. Daher hütet euch alle vor allem vor dem Hochmut; denn nichts in der Welt zerstört die Seele mehr als der stets zornschnaubende Hochmut und Stolz! Ein immerwährender Rachedurst ist gerade also sein Begleiter, wie der ewige und unlöschbare Regendurst der großen, glühenden Sandwüste Afrikas steter Begleiter ist, und alles Getier, das seine Füße auf diesen Boden setzt, wird ebenfalls nur zu bald von derselben Plage ergriffen, so wie die Dienerschaft des Stolzen am Ende selbst ganz ungeheuer stolz und auch rachedurstig wird. Denn wer dem Stolze ein Diener ist, muß ja am Ende selbst stolz werden; wie könnte er sonst dem Stolzen ein Diener sein?!“

83. Kapitel. Die Erziehung zur Demut.

1. (Der Herr:) „Wie aber kann sich denn ein Mensch vor dieser allerbösesten Leidenschaft verwahren, da doch in einer jeden Seele der Keim dazu vorhanden ist und schon gar oft bei den Kindern einen beträchtlichen Wucherhöhepunkt erreicht hat? Durch die Demut allein ist dieses möglich!

2. Und es ist auf dieser Erde eben darum die Armut so überwiegend groß vor der Wohlhabenheit der Menschen, um dadurch den Hochmut gleichfort am scharfen Zügel zu haben. Versuche du, einem ärmsten Bettler eine Königskrone aufzusetzen, und du wirst dich alsbald überzeugen, wie seine frühere Demut und Geduld mit mehr denn Blitzesschnelle verdampft sein wird. Und es ist darum sehr gut, daß es sehr wenig Könige und sehr viele demütige Bettler gibt.

3. Eine jede Seele hat, angestammt von Gott aus, dessen Idee und Wille sie ist, ein Hoheitsgefühl, dessen Dasein man schon an der Kinder Schamhaftigkeit gar wohl merken kann.

4. Das Schamhaftigkeitsgefühl der Kinder ist eine Empfindung der Seele, sowie sie sich einmal zu fühlen anfängt, durch die sich stumm die Unzufriedenheit kundgibt, da sich die Seele als ein Geistiges mit einem plumpen und ungefügigen Fleische umkleidet sieht, dessen sie ohne Schmerzen nicht los werden kann; je zarter und sensitiver der Körper einer Seele ist, desto stärker wird auch ihr Schamhaftigkeitsgefühl sein. Wenn nun ein rechter Erzieher der Kleinen es versteht, dieses unvertilgbare Gefühl zur rechten Demut zu lenken, so schafft er aus diesem Gefühle dem Kinde einen Schutzgeist und stellt es auf den Weg, auf welchem fortwandelnd es leicht zur frühen geistigen Vollendung gelangen kann; aber eine nur ein klein wenig schiefe Leitung dieses angestammten Gefühls kann sogleich auf den Hochmut und Stolz hinüberlenken.

5. Das Schamhaftigkeitsgefühl in den sogenannten Kinderehrgeiz hinüberzulenken, ist schon hoch gefehlt; denn da fängt ein Kind gleich an, sich als ein vorzüglicheres zu denken denn ein anderes. Es wird leicht beleidigt und gekränkt und weint darum ganz bitterlich; in diesem Weinen gibt es klar und deutlich kund, daß es in seinem Hoheitsgefühle von jemand verletzt worden ist.

6. Suchen nun schwache und sehr kurzsichtige Eltern das beleidigte Kind dadurch zu besänftigen, daß sie, wenn auch nur zum Scheine, den Beleidiger des Kindes zur Verantwortung und zur Strafe ziehen, so haben sie bei dem Kind schon den ersten Keim zur Stillung des Rachedurstes gelegt; und so die Eltern ihr Kind gleichfort auf dieselbe Weise besänftigen, so erziehen sie aus demselben nicht selten einen Teufel für sich und für viele andere Menschen. Wo aber die Eltern klug sind und dem Kind schon frühzeitig stets den größeren Wert in den andern Menschen und Kindern erschauen lassen und so das Schamhaftigkeitsgefühl in eine rechte Demut hinüberlenken, da werden sie aus ihren Kindern Engel ziehen, die später als wahre Lebensvorbilder den andern, gleich den schönsten Sternen in der Nacht des Erdenlebens, voranleuchten und sie erquicken werden mit ihrer Sanftmut und Geduld.

7. Da aber Kinder nur selten eine solche Erziehung erhalten, durch die ihr Geist in ihrer Seele erweckt würde, so hat dann der erwachsene und zur reineren Erkenntnis gelangte Mensch vor allem darauf zu sehen, daß er sich der wahren und rechten Demut befleißige aus allen seinen Kräften. Bevor er nicht den letzten Rest eines Hochmutsgefühles getilgt hat, kann er weder hier noch jenseits in eine völlige Vollendung des rein geistigen Himmelslebens übergehen.

8. Wer da sich selbst erproben will, ob er in der Demut ganz vollendet ist, der frage sein Herz, ob er noch durch irgend etwas beleidigt werden kann, und ob er seinen größten Beleidigern und Verfolgern leicht aus vollem Herzen vergeben kann und Gutes tun denen, die ihm Arges zugefügt haben, ob er gar keine Sehnsucht nach irgendeiner Weltherrlichkeit dann und wann fühlt, ob es ihm angenehm ist, als der Geringste unter den Geringen sogar sich zu fühlen, um jedermann in allem dienen zu können! Wer das alles ohne Trauer und Wehmut vermag, der ist schon hier ein Einwohner der höchsten Himmel Gottes und wird es bleiben in Ewigkeit; denn durch solch eine gerechte Demut wird nicht nur die Seele völlig eins mit ihrem Geiste, sondern auch zum größten Teile der Leib.

9. Daher wird solch ein Mensch den Tod des Leibes auch nie fühlen und schmecken, weil der gesamte ätherische Leibesteil – als der eigentlich naturlebige – schon diesseits mit der Seele und ihrem Geiste unsterblich geworden ist.

10. Durch den physischen Tod wird nur das gefühl- und leblose Schattenwerk von der Seele abgelöst, was der Seele kein Bangen und keinen weiteren Schmerz verursachen kann, weil alles Gefühlslebendige des Leibes sich schon lange ganz mit der Seele geeinigt hat; und alsonach kann ein so vollendetgestaltiger Mensch denn auch den Abfall des ohnehin immer gefühllosen und somit toten, äußern Schattenleibes ebensowenig verspüren, als so man seinem Leibe bei dessen vollen Naturlebzeiten die Haare abschneidet oder die Nägel, wo sie übers Fleisch hinausgewachsen sind, oder den Wegfall einer Hautschuppe, die sich hie und da von der ohnehin unfühlbaren Oberhaut des Leibes ablöst. Denn was am Leibe nie ein Gefühl hatte, das kann auch beim gänzlichen Austritt der Seele aus dem Leibe keine Empfindung haben, weil alles Empfindsame und Lebendige des Leibes sich zuvor schon ganz mit der Seele vereinigt hat und mit ihr nun ein Wesen ausmacht, das nimmer von ihr getrennt wird.

11. Du sahst jetzt, was die rechte Demut ist, und was sie bewirkt, und so wirst du dich in der Folge dieser Tugend befleißigen! Wer nun dies dir von Mir Gesagte getreust befolgt, der wird sich in sich selbst überzeugen, daß diese leichtfaßlichen Worte, wenn auch ohne allen rednerischen, leeren Prunk gegeben, nicht von einem Menschen, sondern von Gott herkommen. Und wer danach lebt und handelt, der wandelt auf dem rechten Wege zur wahren innersten, geistigen Lebensvollendung. – Nun aber sage du Mir auch, ob dir das alles wohl so ganz klar und einleuchtend geworden ist!“

84. Kapitel. Zorels gute Vorsätze.

1. Sagt Zorel, ganz zerknirscht vor Verwunderung über die hohe Wahrheit und Reinheit dieser Meiner etwas gedehnten praktischen Lebenslehre: „Herr und ewiger Meister alles Seins und Lebens! Ich für meine Person habe Dich aus dieser Deiner Lehre auch ohne die vorhergehende praktische Lebensübung erkannt, – daß solches aus Deinem Munde kein Mensch, sondern nur ein Gott, der Himmel und diese Erde und den Menschen erschaffen hat, geredet hat; desto intensiver aber werde ich auch alles praktisch in mein Leben übertragen, was Du, o Liebe der Liebe, mich nun gnädigst gelehret hast!

2. Verstanden habe ich alles; denn es kam mir merkwürdigermaßen vor, als hätte ich ähnliche Worte schon irgendwo einmal vernommen und sie auch praktiziert. Aber es kann das nur so in einem Traume gewesen sein; denn im wirklichen Leben wüßte ich wahrlich nicht, wo und wann mir je solch eine Gnade wäre zuteil geworden! Sonderbar aber bleibt es immer, wie mich ein jedes Wort aus Deinem heiligen Munde gar so bekannt und überaus freundlich angeregt hat! Es war mir darum auch alles gar so verständlich! Aber sei ihm nun wie ihm wolle, – solche Worte und solche Lehren, die alles, was im Menschen irgend Leben heißet, so tief, wahr und treu berühren, sind von eines sterblichen Menschen Munde noch nie ausgesprochen worden!

3. Wer nach diesen Worten noch nicht den rechten Weg zu seiner innern, geistigen Lebensvollendung finden sollte und nicht den mächtigen Trieb in sich bekäme, all sein Tun und Lassen genau danach einzurichten, der müßte wahrlich entweder gar kein Mensch sein, oder er müßte sich gar mächtig in die dumme, tote Welt hineingelebt haben, und seine Seele müßte ganz diamanten geworden sein, ansonst es wohl gar nicht zu denken wäre, wie ein Mensch, der diese Lehre gehört und begriffen hat, nicht auch sein ganzes Leben danach einrichten würde, da er doch den dadurch zu erreichenden Endzweck so hell und klar wie die Sonne am Mittage vor sich sehen müßte! Ich will mich aber damit nicht rühmen, als hätte ich schon etwas erreicht; aber eine helle, ins Lebensbewußtsein eindringende und vollkommen klare Anschauung der reinsten Wahrheit solcher Lehre ist doch auch schon etwas, das da – für mich wenigstens – einen schon ganz bedeutenden Lebenswert hat.

4. Wer aber diese heilige Sache einmal so hell einsieht wie ich, der wird doch samt mir nicht mehr der Narr sein und sich bei all solcher lebendigster Einsicht und Erkenntnis lieber in alle Kotlachen und Pfützen der Welt stürzen, um den stinkenden Schlamm herauszufischen, an dem er am Ende ersticken müßte, als zu besteigen die lichten Höhen des Horeb und Libanon und dort zu sammeln die heilsamen Kräuter, die die kranke Seele heilen und völlig gesund machen zum ewigen Leben. Ich verstehe unter den heilsamen Kräutern auf den lichten Höhen Horebs und Libanons die Werke, die man nur auf der lichtvollsten Höhe der Wahrheitserkenntnis Deiner Lehre, o Herr, findet, das heißt, durch das Handeln nach dem Worte, das man aus Deinem Munde vernommen hat. Unter ,Horeb‘ und ,Libanon‘ aber verstehe ich das Göttlich-Wahre und das Göttlich-Gute, – das ist so nach meinem Verstande die Bedeutung.

5. Groß, heilig und über alles erhaben bist Du, o Herr, der Du hier vor mir stehest, – aber nie größer, heiliger und erhabener als in den Menschen, die Deine Liebe und Weisheit zu Deinen Kindern umgewandelt hat!

6. Siehe, Herr, es muß ja auch für Dich die größte Freude sein, so ein vorher bloß menschförmiges Geschöpf Dein Vaterwort zu hören und zu verstehen beginnt, ja endlich sogar frei aus sich den unwandelbaren Entschluß faßt, also zu wandeln und zu handeln, um zu jener geheiligten Vollendung zu gelangen, die Du als Gott, Schöpfer, Vater und Lehrer zum seligsten Ziele gesetzt hast!

7. Wie groß muß Deine Vaterfreude erst dann sein, so ein Mensch die Vollendung in Deiner heiligen Ordnung erreicht hat! Aber wie groß muß dann auch die Freude eines Kindes sein, das in und aus seiner geschöpflichen Nichtigkeit in der Fülle seiner wahren Demut in seiner inneren Vollendung endlich Dich Selbst als den wahren und einzigen Vater erkannt hat! Den himmlischen Engelsgeist möchte ich wohl kennenlernen, der mit der sonnenhellsten Phantasie mir solch eine Freude beschreiben könnte, – und denjenigen, der nun aus dieser seiner gegenwärtigen geistigen Verarmung solche Tiefe einer solchen Phantasie zu fassen vermöchte also, wie sie als nur einigermaßen gelungen zu fassen wäre! Ich habe wohl so ein dumpfes Vorgefühl, – ja, es kommt mir nun wieder gerade also vor, als hätte ich irgendwie in einem Traume einmal etwas Ähnliches gefühlt; aber das scheint dennoch alles nur so eine selige Rückwirkung von dem zu sein, was Deine Lehre, o Herr, in meinem Herzen und in meinem Willen geschaffen hat!

8. Es ist die Freude eines Säemanns, der das frohe Bewußtsein hat, daß sein Acker einmal von allem Unkraute gereinigt und in seine Furchen ein reinster Same gelegt wurde, der ganz gewiß auf eine segensreichste Ernte die schönste Hoffnung erweckt.

9. Mein Acker ist nun gut, was Du, o Herr, sicher gesehen hast, ansonst Du nicht so verschwenderisch den reinsten Samen hineingestreut hättest. Dies Bewußtsein aber mag in mir eben das mir unbeschreibliche Wonnegefühl erzeugen; denn ich bin ja des Erfolges sicher, weil ich der Möglichkeit so gut als vollkommen sicher bin, daß ich Dein heilig Wort in mir zur vollsten Realität bringen werde. Ist aber die Ursache einmal vollendet da, so kann die große, heilige Wirkung nicht unterm Wege bleiben. Ich aber will keine Halbheit, sondern das vollendete Ganze; daher soll bei mir in meinem Handeln auch nie eine Halbheit, sondern solch ein Ganzes wie Dein Wort werktätig zum Vorscheine kommen!

10. Habe ich doch als Lump etwas Ganzes leisten können, wo ich keinen Erfolg als irgend gesegnet nur mit einiger Sicherheit zu erwarten hatte; nur ein etwas arger Luftzug, und alle meine noch so vorteilhaften Hoffnungen lagen im Meeresgrunde! Und doch kann mich niemand je irgendeiner Lauheit zeihen und mir nie irgendeine Halbheit nachweisen. Konnte ich aber schon als Lump etwas Ganzes sein, oft auch ohne alle Aussicht auf irgendeinen nur halbwegs günstigen Erfolg, um wieviel mehr werde ich nun auf diesem Wege jede Halbheit zu vermeiden verstehen und meine Gedanken, Worte und Taten von dem abwenden, was die Welt verlangt; denn sie hat mich lange genug am Narrenseile herumgeführt.

11. Kein Keim von einem Weltgedanken und keine Spur von einer Welttat soll in mir mehr vorkommen, das heißt, nach meinem einmal gefaßten Willen sicher nimmer! Für das aber, was ich nicht handhaben kann, als da sind die ordentlichen Bedürfnisse meines Leibes, kann ich natürlich wohl nicht stehen; denn diese stehen, o Herr, in Deiner allmächtigen Willenshand. Aber meine Gedanken, meine Ideen, meine Worte und meine Handlungen sollen mir dereinst das Zeugnis geben, daß auch ein Grieche sein Wort und seinen einmal gefaßten Vorsatz halten kann!

12. Es kann auch sein, daß ich in dieser meiner seligen Gemütsaufloderung manches zu voreilig gesprochen habe; aber es macht das nichts! Vergessen wird es Zorel nicht, was er nun geredet hat; und vergißt er es nicht, so handelt er auch strenge danach – und sollte es ihm sein irdisches Leben kosten! Seit ich nun klarst weiß und lebendigst fühle, daß es nach dem Abfalle dieses Fleischlebens überaus sicher und wahr noch ein anderes, unvergleichbar vollkommeneres Leben gibt und geben muß, ist mir dieses Fleischleben um eine hohle Nuß feil! Habe ich mein Leben doch so oft um einen nichtigen, irdischen Gewinn in die Schanze schlagen müssen, – warum nun da nicht, wo ich des Gewinnes sicherer bin denn dessen, daß ich nun denke, fühle und rede?!

13. Oh, ich rede nun nicht wie irgendein berauschter Narr, sondern mit den nüchternsten Sinnen von der Welt rede ich solches zu einem Zeugnisse, daß ich die Fülle der Wahrheit des Wortes Gottes begriffen und verstanden habe! Daß ich's aber in der Fülle verstanden habe, beweist, daß ich nun mein irdisches Leben für diese heiligste Wahrheit in die Schanze schlagen will, – was ich nun nicht etwa darum also rede, um meinen Worten vor euch ein gewisses rednerisches Ansehen zu verleihen, sondern ich rede, wie es mir nun wahrhaft ums Herz ist.

14. Wohl gibt es Menschen, die, von der außerordentlichen Gelegenheit ergriffen und hingerissen, auch also reden, als wollten sie schon am nächsten Tage die ganze Erde in einen Garten umgestalten; wenn aber dann die Gelegenheit vorüber ist, da denken sie über all das Gesehene und Gehörte wohl nach, aber mit den Entschlüssen zum Handeln wird's von Tag zu Tag lauer, und die alten, dummen Gewohnheiten treten bald wieder an die Stelle der neuen Entschließungen. Bei mir aber ist das noch nie der Fall gewesen; denn hatte ich einmal etwas als Wahrheit erkannt, so handelte ich auch so lange strenge danach, bis ich mir von etwas Besserem eine volle Überzeugung verschafft hatte.

15. Meine früheren Handlungen standen in keinem Kontraste zu meinen Lebensansichten, die vor dem Forum sogar der reinsten und zum großen Teile philanthropisch (menschenfreundlich) eingestellten Weltvernunft durchaus nicht verwerflich waren. Wie aber konnte ich's auch nur ahnen, daß ich mit dem ewigen Meister alles Seins und Lebens je in dieser Welt in eine leibhaftige Berührung kommen würde, vor dessen reinster Weisheit und wahrhaftester Lebensanschauung und – bestimmung meine Vernunftansichten so wie Wachs vor der Sonne zerflossen! Aber das Unglaublichste ist geschehen: Der Gott in aller Fülle Seiner ewigen Macht- und Weisheitsvollkommenheit steht vor uns allen und lehrt uns des Menschen und seines Lebens nicht nur zeitliche, sondern ewige Bestimmung mit so handgreiflich klaren Worten, daß man sie schon als nahe ein Blinder und Tauber bis auf den Grund des Grundes verstehen muß! Und da kann man denn doch nicht umhin, einen Lebensentschluß zu fassen, von dem mich auch eine in Trümmer zerstoßene Welt ewig nicht abbringen würde!

16. Ja, Menschen, die da nichts als eitel feige Memmen sind, die werden sich allzeit nach der Welt mehr richten als nach der heiligsten Wahrheit aus dem Munde des allein wahren Gottes; denn die Welt hat ja auch Vorteile für die Zeit und Gold, Silber und Edelsteine! Um solchen Kot lassen die schwachen Menschen Gott bald einen guten Mann sein; denn Er läßt ihnen ja kein Gold und kein Silber aus den Wolken regnen. Ich aber habe nun das reinste Gold der wahren Himmel Gottes kennengelernt und verachte daher schon jetzt aus dem tiefsten Grunde meines Lebens diesen verlockenden Kot der Erde! Du, allmächtiger Herr der Ewigkeit, aber strafe mich nun, so ein Wort falsch ist, das nun meinen Mund verlassen hat!

17. Dich, hoher Cyrenius, aber habe ich nur in meiner Dummheit und geistigen Armut um eine Unterstützung angefleht; jetzt aber nehme ich meine ungeschickte Bitte zurück! Denn wo ich der Himmel Schätze in einem so reichlichsten Maße gefunden habe, da bedarf ich der irdischen nicht mehr; auch meinen Acker und meine verbrannte Hütte brauche ich nicht mehr, da ich Gottes Hütte in meinem Herzen erkannt und gesehen habe. Verkaufet alles und bezahlet die, denen ich irdisch etwas schulde! Ich aber werde arbeiten und den Menschen in allem, was vor Gott recht ist, dienen; denn ich kann ja arbeiten, habe mir die Zeit meines Lebens hindurch so manche Fertigkeiten erworben und bin darum ein brauchbarer Mensch. Nur so viel Zeit wird man mir doch überall gönnen, daß ich dem in meinem Handeln entsprechen kann, wozu ich mich nun für alle meine Zeit und für ewig bestimmt habe?!“

18. Sage Ich: „Weil Ich deine Seele wohl kannte, so habe Ich dich im Geiste auch berufen, ansonst du nicht hierhergekommen wärest; da du nun aber so sehr umgestaltet worden bist, so ist für dich auch schon für weiterhin gesorgt. Du wirst Mir auch ein gutes Rüstzeug sein für die Griechen an den Küsten von Kleinasien und auch bei denen in Europa. Dort gibt es gar manche, die nach dem Lichte schmachten und keines von irgendwoher erhalten können. Vorderhand aber bist du im Hause des Kornelius aufgenommen, der ein Bruder des Cyrenius ist. Von selbem Hause aus wirst du mit allem versehen werden. Wann es aber an der Zeit sein wird, daß du hinausgehest und den Völkern bekanntmachest Meinen Namen, werde Ich dir zur rechten Zeit bekanntgeben. Nun aber hast du alles, dessen du benötigest; ein mehreres wird dich der Geist der Wahrheit lehren. Wenn du zu reden haben wirst, wirst du nicht not haben nachzudenken, sondern zur Stunde wird es dir ins Herz und in den Mund gelegt werden, und die Völker werden dich hören und werden preisen Den, der dir solche Weisheit und Macht gegeben hat.“

85. Kapitel. Zorel wird Kornelius anvertraut.

1. (Der Herr:) „Nun aber ist es Abend geworden, und unser Wirt Markus hat das Abendmahl bereitet, und da wir an dir nun noch einen guten Fang gemacht haben, so werden wir uns nun das Abendmahl auch so gut als auf dieser Erde möglich schmecken lassen; in Meinem Reiche jenseits wird es dereinst schon besser gehen! Nach dem Abendmahle aber werden wir uns nicht mit dem Schlafen abgeben, sondern mit etwas ganz anderem, und morgen, bevor noch die Sonne aufgehen wird, werden wir uns trennen auf eine Zeit; denn Ich habe noch viele Orte zu besuchen. Du, Raphael, aber gehe nun zu den Weibern und lasse sie wieder hierherkommen; denn die Verhandlung, die sie wenig oder nichts anging, ist vorüber, und die Zeit des Abendmahles ist herbeigekommen!“

2. Raphael geht und holt die Weiber alle, und die Jarah kommt zu Mir gelaufen und sagt: „O Herr! Du meine Liebe! Eine Ewigkeit schien es mir nun zu dauern, bis wir wieder berufen wurden; aber nun Dir allen Dank, daß ich wieder bei Dir sein darf! Aber hätten wir weiblichen Wesen das gar nicht hören dürfen, was Du, o Herr, mit dem Zorel alles verhandelt hast?“

3. Sage Ich: „Nein, weil es für euch weibliche Wesen um vieles vor der rechten Zeit gewesen wäre; im übrigen aber hast du daran gar nichts verloren, – denn zur rechten Zeit wird dir das alles offenbar werden. Nun aber kommt das Abendmahl, und du kannst dich dabei recht erheitern mit dem Josoe und mit dem Raphael, den Ich erst nach dem Abendmahle näher mit dem Zorel werde bekannt machen; denn von dem hat er noch keine Vermutung.

4. Heute nach dem Mahle aber werden wir wieder bis an den Morgen wach verbleiben, und ihr alle werdet die letzte Nacht, die Ich leiblich unter euch verbringen werde, eine solche Masse des Wunderbaren zu sehen und zu hören bekommen wie früher noch nie; denn in dieser Nacht sollet ihr ganz kennenlernen, wer Der ist, der nun solches zu dir geredet hat. Aber davon darf vor der Zeit niemand etwas gemeldet werden! – Du, Mein lieber Zorel, aber halte dich nun an den Kornelius; denn er, und nicht der Cyrenius, wird von nun an dein Versorger sein!“

5. Sagt Cyrenius: „Herr! Ich mißgönne meinem Bruder sicher nichts, was nur irgend gut ist; aber den Zorel hätte auch ich überaus gerne bei mir gehabt!“

6. Sage Ich: „Dein Wunsch macht Meinem Herzen eine große Freude und gilt soviel als das Werk selbst; du aber hast von all denen, die hier bekehrt wurden, ja ohnehin schon eine große Anzahl auf deine Schüsseln übernommen! An Zinka und seinen Gefährten hast du einen Schatz, hast den Stahar, Murel und Floran, den Hebram und Risa, den Suetal, Ribar und Bael, den Herme mit Weib und Töchtern, und hast nun auch deine beiden Töchter Gamiela und Ida samt denen, die Ich zu deinen Schwiegersöhnen bestimmt habe, und hast den Wunderknaben Josoe; und es versteht sich, daß dir auch aller der Benannten Anhang gegeben ist, und du kannst damit vollkommen zufrieden sein! Dein Bruder Kornelius übernimmt nur den Zorel, und dieser wird vorerst seinem Hause gute Dienste leisten und später aber auch den Fremden, für die Ich ihn erweckt habe. Du aber wirst ohnehin noch oft genug zu deinem Bruder kommen und er zu dir, und da wirst du mit unserem Zorel schon auch über so manches dich besprechen können. – Bist du noch traurig darum, daß Ich dir den Zorel nicht übergeben habe?“

7. Sagt Cyrenius: „O Herr! Wie fragst Du mich denn um so etwas?! Du weißt es ja, daß Dein allein heiliger Wille meine höchste Seligkeit ist, laute er nun, wie er wolle! Dazu vergeht ja ohnehin nie ein voller Monat, daß nicht ich zum Bruder oder der Bruder zu mir kommt auf Besuch, entweder in Geschäften oder so aus alter Bruderliebe, und da wird sich wohl eine Gelegenheit geben, mit dem Manne etwelche Wörtlein zu reden!

8. Aber Du hast ehedem zu der lieben Jarah gesagt, daß Du diese Nacht hindurch noch eine Menge des Wunderbarsten wirken wirst, dieweil wir nun alle hinreichend eingeweiht sind in Deine Wesenheit; nun, worin wohl dürfte der Wunderhauptmoment bestehen?“

9. Sage Ich: „Lieber Freund! Das wirst du samt allen andern alles schauen und vernehmen zur rechten Zeit! Nun aber siehst du ja den alten Markus schon auf das emsigste die Speisen auf die Tische tragen und Wein, Salz und Brot, und vor allem bedürfen deine Töchter einer guten Stärkung; darum wird nun vor dem verzehrten Abendmahle nichts mehr unternommen, geredet und besprochen werden!“

86. Kapitel. Übertriebene und rechte Demut.

1. Markus gibt nun das Zeichen zum Sichniederlassen auf die angebrachten langen Bänke, und Kornelius beruft den Zorel, daß er bei ihm zur Rechten Platz nehme.

2. Zorel weigert sich dessen, sagend: „Hoher Herr und Gebieter! Tue mir doch so was nicht an! Denn siehe, ich gehöre dorthin nahe an der Holzhütte zum letzten und allergemeinsten Brettertische, an dem eure letzten und geringsten Diener und Knechte sitzen, – nicht aber hierher und sogar zu deiner Rechten, da der allererste Tisch gedeckt ist! Das wäre eine schöne Demutsübung von mir, die der Herr alles Lebens mir doch über alles ans Herz gelegt hat!“

3. Sage Ich: „Freund Zorel, es genügt hier dein Wille! Darum tue dem Kornelius den Gefallen! Die wahre Demut aber liegt ja ohnehin nicht in einem äußerlichen Werke ins Gesicht, sondern im Herzen, der vollen Wahrheit gemäß. Gehe nach Jerusalem, und siehe dort die Pharisäer und alle Schriftgelehrten an, mit welch demutsvollen Gesichtern und Kleidern sie einherschreiten; ihre Herzen aber sind danebst doch des stinkendsten Hochmutes voll und hassen bis tief unter die Hölle jedermann, der nicht nach ihrer Pfeife tanzen will, – während ein König mit Krone und Zepter, so er diese nicht setzt über den Wert eines Menschen, so demutsvollen Gemütes sein kann wie ein letzter Bettler auf der Straße! Wenn du das so recht bedenkst, da wird es dich zur Rechten des Kornelius an unserem Tische schon dulden.“

4. Sagt Zorel: „Ah, wenn so, da geht es freilich wohl!“ – Er geht nun hin und setzt sich nach dem Wunsche des Kornelius.

5. Kornelius aber sagt zu ihm: „So, lieber Freund, so freut es mich von ganzem Herzen! Wir wollen ja in der Folge miteinander leben und wirken im Namen Dessen, der uns erleuchtet hat! Ich denke es mir also, was da betrifft eine rechte Demut: Man soll im Herzen voll der wahren Demut und Nächstenliebe sein, aber äußerlich soll man damit eben nicht prunken; denn dadurch, daß ich mich äußerlich zu knechtisch tief unter die anderen Menschen beuge, mache ich sie hochmütig und benehme mir die Gelegenheit, ihnen in allem, was da nützlich wäre, dienen zu können.

6. Eine gewisse Achtung, die ich schon bloß nur als Mensch von meinen Nebenmenschen zu erwarten habe, darf ich nie völlig vergeben, weil ich ohne dieselbe nichts ersprießlich Gutes bewirken kann! Darum wollen wir beide zwar in unseren Herzen so demütig als nur immer möglich sein; aber von unserem notwendigen äußeren Ansehen können und wollen wir nichts vergeben!

7. Wir werden gar oft in Gelegenheiten kommen und sehen, wie irgend arme Menschen sich zu ihrem Unterhalte mit sehr geringen und allerunansehnlichsten Arbeiten abgeben müssen. Sollen wir, um etwa unserer Demut die Krone aufzusetzen, auch die Pfützen und Kloaken räumen gehen?! Dessen glaube ich, bedarf es nicht äußerlich; da genügt es, daß wir jene Menschen, die sich mit solcher Arbeit abgeben, darum in unseren Herzen nicht für geringer halten denn uns, die wir vom Herrn aus ein ganz anderes Amt zu versehen überkommen haben.

8. Wir selbst müssen zuerst das Amt hochachten, uns aber freilich nicht etwa um unsertwillen, sondern vor dem Volke nur um des Amtes willen. So aber das eine Notwendigkeit ist, da dürfen wir nicht selbst die Pfützen und Kloaken reinigen gehen, sondern müssen diese Arbeit denen übertragen, die vom Herrn und von der Natur dazu bestimmt sind. Wir würden es auch nicht aushalten, weil wir nicht von Jugend auf daran gewöhnt worden sind. Und der Herr wird so etwas von uns auch sicher nicht verlangen; aber das verlangt Er als Vater aller Menschen, daß wir in unseren Herzen keinen Menschen, sogar den größten Sünder nicht, verachten sollen, sondern alles aufbieten, um seine Seele zu retten! Und so glaube ich, daß wir recht handeln werden vor Gott und vor allen Menschen.“

9. Sage Ich: „Ja, also ist es recht! Die wahre Demut und die wahre Nächstenliebe wohnen wahrhaft in euren Herzen – und nicht im äußern Scheine wie bei den Pharisäern!

10. Wer sich ohne Not unter die Kleie und Treber menget, muß sich's am Ende gefallen lassen, von den Schweinen aufgefressen zu werden!

11. Also verlangt die rechte Demut auch nicht, daß ihr die Perlen Meiner Lehre gerade den Schweinen vorwerfen sollet. Denn es gibt Menschen, die da ärger sind denn die Schweine, und für die taugt Meine Lehre nicht; denn diese Art Menschen möget ihr ganz füglich eher zur Räumung der Pfützen und Kloaken verwenden, bevor ihr ihnen Meine Worte und Meinen Namen kundmachet!

12. Sehet aber da nicht etwa aufs Kleid oder auf eine Außenwürde, sondern allein auf das Benehmen eines Menschen seinem Herzen und Gemüte nach! Ist das edel, sanft und geduldig, dann verkündet ihm das Evangelium und saget: ,Der Friede sei mit dir im Namen des Herrn und mit allen Menschen auf Erden, die eines guten Willens sind!‘ Ist der also zum voraus gesegnete Mensch eines wahrhaft guten Willens und Herzens, so wird der segenvolle Friede in ihm verbleiben, und das ihm bekanntgemachte Evangelium wird ehest die schönsten Himmelsfrüchte zu tragen beginnen. Und so glaube und meine Ich Selbst nun nach eurer menschlichen Weise, daß ihr alle nun mit dem, was die rechte Demut ist, so völlig zu Hause sein dürftet!

13. Und da die Speisen bereits auf dem Tische im reichlichsten Maße sich befinden, so essen und trinken wir alle nach Herzenslust und voll heiteren Mutes; denn so Ich als ein wahrer Bräutigam eurer Seelen unter euch sitze, so möget ihr wohl heitersten Mutes und fröhlichsten Sinnes dies wohlbereitete Mahl mit Mir verzehren! Werde Ich aber jüngst wieder nicht also wie nun unter euch sein, so möget ihr schon wieder mit minderer Lust und Heiterkeit am Speisetische sitzen!“

87. Kapitel. Kornelius und Zorel besprechen sich über Wunder.

1. Alle greifen nun zu und essen wacker und heiter drauflos; besonders stark nahm wieder Raphael zur Sicht mehrere große Fische vor sich und verzehrte sie wunderbar schnell, was dem Zorel und dem Zinka sehr auffiel, besonders aber dem Zorel, der noch gar nicht wußte, wer der Jüngling sei. Er erkundigte sich darum beim Cyrenius, wie der Junge gar so heißhungrig die größten Fische verzehre, da er ja doch von ferne keinem Vielfresser gleichsehe.

2. Darauf gibt ihm Cyrenius zur Antwort: „Jener Junge ist ein wundersames Wesen; er ist ein Mensch und Geist zugleich, ist von einer Kraft und Macht belebt, von der dir noch nie etwas geträumt hat. Mein Bruder Kornelius, der neben dir sitzt, kann dir dasselbe bezeugen!“

3. Hierauf fragt Zorel den Kornelius, was es denn mit dem Jungen für eine besondere Bewandtnis habe.

4. Sagt Kornelius: „Siehe, lieber Zorel, es ist das, was dir mein Bruder schon gemeldet hat; ein mehreres über sein wundersames Wesen kann ich dir aus dem ganz einfachen Grunde nicht mitteilen, weil ich, ganz offen gesagt, es wahrlich selbst nicht verstehe. Er ist etwa derselbe Engel, der nach der Juden Mythe einst einem jungen Tobias schon als Führer gedient hat. Ich war sicher nicht dabei, um dir in dieser Sache als ein lebendiger Zeuge dienen zu können; aber ich glaube es, daß es also war, – und warum sollte man so etwas nicht glauben?!

5. Es geschehen ja hier wieder solche Wunderdinge, die unsere späten Nachkommen schwer glauben werden, – und doch sind sie wahr vor unseren Augen und Ohren, weil wir sie sehen und hören! Es geschieht nun des göttlich Wunderbaren ja so viel, daß man am Ende schon alles glauben muß, was immer in den Schriften und Büchern der Juden als Wundersames erzählt wird. Denn kann hier ein Wunder das andere ordentlich zudecken, warum nicht auch in jenen alten Zeiten, – und so kann unser Starkesser ganz gut vor etlichen hundert Jahren einem frommen jungen Tobias als ein Führer gedient haben! Ich für mich glaube das alles nun steinfest und bin der Meinung, daß du darin auch keinen Anstand nehmen wirst!“

6. Sagt Zorel: „Ich schon gar nicht; denn alles Wunderbare ist etwas Besonderes und hat mit den Erscheinungen im Gebiete des Natürlichen keine Ähnlichkeit. Es tritt die bekannten Gesetze der Naturwelt mit Füßen und ist in sich die Verwirklichung der Phantasie eines mit aller Weisheit begabten Dichters. Denn was nur immer ein phantasiereicher Mensch sich denken kann, wird im Gebiete des Wunderbaren realisiert!

7. Einem Gott muß ja doch alles möglich sein, weil der Bestand einer Welt und des gestirnten Himmels in einem fort als permanente Zeugen dastehen! Denn die erste Erschaffung einer Welt müßte uns ja ganz entsetzlich wunderbar vorkommen! Ist aber eine Welt als erschaffen und mit den gewissen Bestandsgesetzen versehen einmal da und von Wesen unter denselben Bestandsgesetzen bevölkert, so kann sie denen, die sie bewohnen, freilich wohl nicht mehr gar zu wunderbar vorkommen!

8. Kommt aber, wie außerordentlichstermaßen nun, auf derselben wunderbarst erschaffenen Welt der Schöpfer zu der Bevölkerung der Welt, so muß diese sicher von neuem groß zu staunen beginnen, wenn der alte Allmächtige vor ihren Augen Werke zu vollführen beginnt, die freilich nur Ihm und sonst in der ganzen Unendlichkeit ohne Seinen Willen niemandem möglich sein können.

9. Ich stelle damit aber gar nicht in irgendeine Abrede, daß irgendein geistig ganz vollendeter Mensch auch Wunderbares zu leisten imstande sein wird; vielleicht wird er als ein ganz vollendeter, reiner Geist sogar auch eine kleine Welt erschaffen können, – aber ohne Mitwirkung des göttlichen Willens sicher ewig nicht! Ein solcher Geist wird auch sicher höchst weise reden und lehren können, aber ohne den göttlichen Geist in seiner Brust auch ewig nicht!

10. Ich kann mich noch so dunkel entsinnen aus der jüdischen Geschichte, daß einmal ein Esel zu einem Propheten Bileam soll ganz weise gesprochen haben. Ja, in der gar alten Zeit sollen sogar die wilden und reißenden Tiere die verstockten Menschen gelehrt haben! Wir waren nach deinen Worten auch nicht dabei; aber es kann dem ungeachtet schon immer etwas Wahres daran sein. Aber solche Tiere wurden für den Augenblick sicher vom Geiste Gottes ergriffen und mußten Ihm als Werkzeuge dienen! Und nicht um vieles anders und besser wird es mit der Weisheit der weisesten Menschen und Geister stehen; der eigentliche, große Unterschied wird nur in dem Verbleiben und Wachsen bestehen!

11. Das ist so meine Ansicht! Dies will ich freilich wohl nicht als eine apodiktisch gewisse Wahrheit aufgestellt haben, – denn ich bin mit meinen Vernunftgründen schon einmal eingegangen und möchte solch einen Sprung auf Leben und Tod nicht noch einmal durchmachen; aber nur, wie man vernünftigermaßen also davon spricht, kann man ohne irgendeine Begründung ja doch immerhin so eine Meinung gegen eine andere aufstellen und am Ende zur Einsicht gelangen, ob und wieviel Wahres etwa daran ist oder auch nicht ist!“

12. Sagt Kornelius: „Freund, du redest wie geschrieben, und es ist an deiner bescheidenen Meinung schon sicher auch etwas daran; aber ich habe nun noch eine Meinung für dich, und diese besteht darin, daß du nun deinen Fisch verzehren sollst und nicht so sehr darauf sehen, wie der Himmelsjunge einen Fisch um den andern wegißt und noch immer einen Appetit äußert, aus dem sich mit aller Leichtigkeit erkennen läßt, daß er noch zehn solche Fische ohne alle Anstrengung unters Dach zu bringen imstande wäre! Iß nun auch du, und zeige, daß auch du wenigstens eines Fisches Meister werden kannst und eines Bechers guten, ja besten Weines!“

13. Auf diese Worte ißt und trinkt nun unser Zorel in aller Ruhe ganz wacker drauflos und kümmert sich nicht mehr gar so um alles, was da irgend um uns her geschieht.

88. Kapitel. Die verschiedenen Ansichten über das Wesen Jesu.

1. Der Wein aber fing an, an den Tischen die Zungen zu lösen, und es ward darum stets lebhafter und lebhafter. Es entstanden sogar verschiedene Meinungen über Mich, und man könnte sagen, daß hier beim Abendmahle eine erste Kirchenspaltung vor sich ging. Einige behaupteten, daß Ich ganz unmittelbar das allerhöchste Gottwesen sei; andere sagten aber: Ich sei das wohl, aber nicht unmittelbar, sondern mittelbar. Wieder andere sagten: Ich sei eigentlich nur ein Sohn Davids laut der Abkunft und sei zum Messias des Davidschen Reiches bestimmt und darum mit der Wunderkraft Davids und mit der Weisheit Salomos ausgerüstet. Noch andere meinten: Ich sei ein erster Engel der Himmel, nun auf Erden pro forma im Fleische wandelnd, und habe noch einen Adjutanten aus den Himmeln bei Mir.

2. Ein Teil, zu dem sich sogar Meine Apostel teilweise schlugen, erklärte Mich für den Sohn des Allerhöchsten. Ich hätte zwar dieselben Eigenschaften wie Mein Vater, sei aber dennoch eine ganz andere Persönlichkeit, und es möchte etwa also auch der oft besprochene Geist Gottes am Ende gar noch eine dritte Persönlichkeit ausmachen, die in gewissen Fällen für sich ganz allein ein Wörtlein zu reden hätte!

3. Mit dieser Meinung waren jedoch nur sehr wenige einverstanden. Einige fragten Petrus, was er denn meine.

4. Petrus aber sagte: „Er, der Herr Selbst, hat uns, als wir in dieser Gegend umherfuhren, befragt, was die Leute von Ihm hielten, wer Er sei, und was endlich wir selbst von Ihm hielten. Da ward auch dies und jenes behauptet, und als am Ende ich befragt ward, sagte ich es auch geradeheraus, wie ich es im Herzen empfand: ,Du bist der Sohn des Allerhöchsten!‘ Und Er war mit solch meinem Zeugnisse vollkommen zufrieden und nannte mich sogar einen Glaubensfels, auf dem Er Seine Kirche bauen werde, die von den Pforten der Hölle nicht mehr überwunden werden würde. Damit ward also meine damals ausgesprochene Meinung von Ihm Selbst gutgeheißen und bestätigt, und also tue ich nicht unrecht, so ich wie ein Fels dabei stehenbleibe!“

5. Johannes aber war dennoch sehr bedeutend gegen diese Meinung des Petrus und sagte: „In Ihm wohnt die Fülle der Gottheit körperlich! Als den Sohn, der aber keine andere Persönlichkeit ist und sein kann, erkenne ich nur Seinen Leib insoweit, als er ein Mittel zum Zwecke ist; aber im ganzen ist Er dennoch identisch mit der in aller Fülle in Ihm wohnenden Gottheit!

6. Oder ist denn mein Leib etwa eine andere Persönlichkeit als meine Seele? Machen nicht beide einen Menschen aus, obschon anfänglich meines Seins die Seele sich diesen Leib erst ausbilden mußte und man füglich sagen könnte: Die Seele hat über sich einen zweiten, materiellen Menschen gezogen und somit um sich eine zweite Persönlichkeit gestellt? Man kann wohl sagen, daß der Leib ein Sohn oder etwas von der Seele Erzeugtes ist, aber darum macht er keine zweite Persönlichkeit mit ihr oder gar ohne sie aus! Und noch weniger kann man das von dem Geiste in der Seele sagen; denn was wäre denn eine Seele ohne den göttlichen Geist in ihr? Sie wird ja erst ein vollkommener Mensch durch ihn, so er sie ganz durchdrungen hat! Da ist ja dann Geist, Seele und Leib vollkommen ein und dieselbe Persönlichkeit!

7. Zudem steht es geschrieben: ,Gott schuf den Menschen vollkommen nach Seinem Ebenmaß.‘ So aber der Mensch als vollkommenes Ebenmaß Gottes mit seinem Geiste, seiner Seele und seinem Leibe nur ein Mensch ist und nicht drei, so wird doch etwa Gott als der vollkommenste Urgeist, umgeben mit einer ebenso vollkommenen Seele und nun auch vor unseren Augen sichtbar mit einem Leibe, auch nur ein Gott und ewig nie ein Dreigott, etwa gar noch in drei gesonderten Personen, sein! – Das ist meine Ansicht, die ich ewig festhalte, ohne darob ein Glaubensfels sein zu wollen!“

8. Sagen alle an Meinem Tische: „Johannes hat recht geredet!“

9. Petrus aber will sich darum nun korrigieren und sagt: „Ja, also meine ich es ja auch; nur bin ich nicht so mundwendig, um mein inneres Verständnis so schnell an den Tag zu legen, obwohl diese Sache immer etwas schwer zu fassen sein wird!“

10. Sagt Johannes: „Schwer und wieder nicht schwer! Nach deiner Art wird es wohl nie ein Mensch auf dieser Erde fassen, – nach meiner Art, so denke ich, wieder ganz leicht! Der Herr allein aber soll nun zwischen uns beiden einen rechten Schiedsrichter machen!“

11. Sage Ich: „Der Glaube vermag vieles, aber die Liebe vermag alles! Du, Simon Juda, bist wohl ein Fels im Glauben; aber Johannes ist ein reiner Diamant in der Liebe, und darum sieht er auch tiefer denn jemand anders von euch. Er ist darum auch Mein eigentlicher Leibschreiber; er wird vieles von Mir zum Niederschreiben bekommen, das euch allen noch ein Rätsel sein wird! Denn in solcher Liebe hat vieles Raum, im Glauben aber nur etwas Bestimmtes, allda es heißt: ,Bis hierher und dann nicht mehr weiter!‘ Haltet euch nur an den Ausspruch Meines Lieblings; denn er wird Mich der Welt als vollkommen überbringen!“

12. Darob wird Petrus etwas verlegen und auf den Johannes ganz geheim stets so ein wenig eifersüchtig. Aus diesem Grunde hielt sich Petrus auch nach Meiner Auferstehung, als Ich ihn behieß, daß er Mir folgen solle und weiden Meine Lämmer, darüber auf, daß Mir Johannes ohne Mein Geheiß auch folgte, was Ich dann, wie bekannt, dem Petrus verwies, und wobei Ich dem Johannes auch eine vollste Unsterblichkeit verhieß, – woher dann die Sage ins Volk kam, daß dieser Jünger nimmer, auch leiblich sogar, sterben werde.

13. Petrus aber fragte den Johannes, wie er denn tue, daß er stets eine viel tiefere Einsicht und Erkenntnis an den Tag lege als er, Petrus nämlich.

14. Johannes aber sagte: „Sieh, ich wohne nicht in deinem Gemüte und du nicht in dem meinigen, und ich habe dazu keinen Maßstab, um bestimmen zu können, aus welchem Grunde meine Ansicht die gediegenere und richtigere ist! Aber so der Herr Selbst es nun gesagt hat laut vor uns, nämlich den Unterschied zwischen Glauben und Liebe, da nimm das als Antwort auf deine Frage! Denn Nieren und Herzen kann nur der Herr allein prüfen, und so wird Er es auch wissen auf ein Haar, welch ein Unterschied da ist zwischen unsern Gemütern.“

15. Mit dieser Antwort war Petrus vorderhand auch zufrieden und fragte nicht weiter. Es war aber nun auch das Mahl zu Ende, und wir erhoben uns und gingen alle auf den Berg.

89. Kapitel. Der Leuchtstein von der Nilquelle.

1. Als wir alle nach und nach auf dem uns schon bekannten Berge ankamen und unsere Plätze einnahmen, da trat der alte Markus mit seinem Weibe und seinen Kindern zu Mir hin und bat Mich inständigst, daß Ich doch noch den kommenden Tag über bei ihm verbleiben möchte, da es ihm zu schmerzlich vorkomme, so Ich ihn schon vor dem Aufgange verließe.

2. Sagte Ich: „Sei du darum unbesorgt! Ich kann gehen und bleiben, Mich nötigt keine Zeit; denn Ich bin auch ein Herr der Zeit und aller Zeiten! Mir wächst keine Zeit je über dem Haupte zusammen. Es gibt aber noch viele Orte, die Ich besuchen muß und besuchen werde; aber gerade auf einen Tag und auf eine Stunde kommt es bei Mir dort nicht an, wo Ich eine wahre, lebendige Liebe gefunden habe.“

3. Sagt Markus, mit Tränen in den Augen: „O Herr und Vater, ewig Dank Dir für diese übergroße Gnade! Dein allein heiliger Wille geschehe! Aber, Herr, die Nacht ist sehr finster, weil die Wolken den Himmel sehr dicht überzogen haben; soll ich nicht Fackeln herauftragen lassen?“

4. Sage Ich: „Laß das, wir werden uns schon Licht verschaffen!“

5. Hierauf berufe Ich den Raphael und sage zu ihm: „In Afrikas Mitte, da, wo die hohen Komrahai-Berge stehen und des Nils erste Quelle einem Felsen entsprudelt, wirst du zehn Manneshöhen unter dem Gerölle einen Stein von der Größe eines Menschenkopfes finden; den schaffe Mir her, er soll uns diese Nacht erhellen zur Genüge! So du ihn aber wirst hierhergebracht haben, dann lege ihn auf jenen kahlen Baumstamm, auf daß sein Licht weithin dringe und die Gegend erleuchte! Daß Ich mit dir aber nun also geredet habe wie mit einem Menschen, geschah eben um der Menschen willen, auf daß sie wissen sollen, was da zu geschehen hat, und Meine Macht erkennen in deiner Ausführung Meines Willens.“

6. Mit dem verschwand Raphael, war aber jedoch gleich einem fliegenden Lichtmeteore sogleich wieder samt dem sonnenhell leuchtenden Steine bei uns.

7. Bevor aber Raphael den Stein noch auf den bezeichneten hohlen und kahlen Baumstamm legte, verlangten mehrere, den Stein näher in Augenschein zu nehmen.

8. Als ihn aber Raphael sehr in die Nähe brachte, konnte denselben vor lauter Lichtstärke niemand anschauen, weil er nahe ein so starkes Licht von sich ließ, wie die Sonne für die Erde an einem kürzesten Wintertage, das heißt fürs Sehgefühl der menschlichen Fleischaugen, und es blieb demnach dem Raphael nichts anderes übrig, als den Leuchtstein sogleich an den Ort seiner Bestimmung zu legen. Von dort erleuchtete sein intensivstes Licht die Umgegend so bedeutend, daß man weithin noch alles recht gut ausnehmen konnte.

9. Daß sowohl Zinka mit seinen Leuten und ganz besonders aber Zorel sich vor lauter Verwunderung kaum zu atmen getrauten, läßt sich leicht begreifen. Zorel strengte sich an, etwas so recht Kernvernünftiges darüber zu sagen; aber er brachte nichts heraus, weil sich ihm hier nach seinen noch sehr mathematisch stereotypen Begriffen logische Unmöglichkeiten in der Erscheinung der schnellen Steinherbeischaffung und in dessen vehementesten Leuchten entgegenstellten, denen seine Erfahrungen und seine Wissenschaften keinen Sieg abnötigen konnten. Er war fürs erste mehrere Male mit seinen Sklavinnen in Ägypten, und einmal noch ein paar Tagereisen weit hinter den Katarakten gewesen. Es war ihm darum die Entfernung der hinterägyptischen Gegenden nicht ganz unbekannt, da er mit guten Kamelen bis zu den Katarakten stets fünf bis sechs Wochen Reisezeit benötigte.

10. Nach seiner Berechnung würde diese Strecke ein Orkan in drei Tagen und ein Pfeil diese Reise in einem Halbtage zurücklegen. Welche Schnelligkeit in der Bewegung muß sonach der Junge gehabt haben, um eine sicher dreimal so lange Strecke in wenigen Augenblicken zurückzulegen! Ist der Junge ein Geist, – wie konnte er eine Materie tragen, und wie konnte die Materie, selbst von der härtesten Art, vor der Zerstörung durch den Widerstand der Luft geschützt werden?! Das gibt es in den Naturgesetzen nicht! Dann kommt dazu das ganz hitzlose, sonnenähnlich intensivste Licht; das gibt es auch nicht! Keine Erfahrung hat das noch je irgend entdeckt, außer beim faulenden Holze, dessen Leuchten aber eigentlich auch nur ein so matter Schimmer ist, daß er in der Nacht, selbst in höchster Potenz, nur kaum dem Leuchten der Sonnenwendewürmer gleichkommt!

11. Also dachte unser Zorel eine Zeitlang und sagte nachher zu Kornelius und Zinka: „Das will ich denn doch ein wahrhaftes Wunder nennen; denn so etwas hat bisher auf der Erde noch nie stattgefunden! Was etwa doch das für eine Steinart sein wird? Von allen Zeiten bis jetzt ist ein solcher Stein noch nie entdeckt worden! Welchen Wert müßte ein solcher Stein für einen Kaiser oder für einen König haben, vorausgesetzt, daß er sein Licht mit der Zeit nicht einbüßt! Denn an der weitgedehnten Küste Afrikas bis sehr weit hinter die Herkulessäulen, bis in die Gegenden, wo des hohen Atlas Ausläufer den atlantischen Ozean begrüßen, sieht man im Spätsommer ebenfalls hie und da sehr weiße und in der Nacht zu gewissen Stunden sehr stark leuchtende Steine; aber ihr Leuchten dauert nicht lange, und läßt man einen solchen Stein in ein trockenes Gemach bringen, so ist's mit seinem Leuchten bald aus, und der Stein hat darum keinen Wert mehr. Mit diesem Steine aber scheint es eine ganz eigentümliche Bewandtnis zu haben! Der wird sein Licht sicher nimmer verlieren und muß darum einen unsäglichen Wert haben!“

12. Sagt Kornelius: „Nicht nur des Leuchtens wegen, sondern vielmehr dessen wegen, durch den er hergeschafft ward! Aber lassen wir nun das! Morgen am Tage werden wir ihn schon leichter besichtigen und beurteilen können als heute; denn da werden unsere Augen durch der Sonne Licht weniger empfindlich sein denn eben heute, das heißt nun in dieser dicken Nacht, in der das Gewölke zu einem tüchtigen Landregen ein allen gesegnetstes Gesicht macht. Nun seien wir aber ruhig; denn der Herr wird erst das beginnen, was Er uns unten am Tische verheißen hat!“

13. Mit dem begnügt sich Zorel und ist nun ganz Aug' und Ohr.

14. Es tritt aber nun Ouran zu Mir hin und sagt: „Herr, was wird morgen mit dem Steine geschehen, und wird er wohl sein Licht stets behalten?“

15. Sage Ich: „Mit dieser Frage hast du so ganz eigentlich den Wunsch an den Tag gelegt, daß du ihn für deine Kronen besitzen möchtest! Aber es geht das nicht; denn es könnten wegen der Eroberung dieses Steines große und sehr verderbliche Kriege entstehen. Daher wird ihn morgen Mein Engel wieder dahin zurückstellen, von woher er ihn geholt hat, und das macht dann allem Streite für immer ein Ende.“

16. Mit dem Bescheide begnügt sich Ouran vollkommen und tritt wieder an seinen Platz zurück.

17. Aber Cyrenius sagt dennoch: „Herr! Als ein Geschenk an den Kaiser würde dieser Leuchtstein sicher einen mächtigen Eindruck machen.“

18. Sage Ich: „Das ganz gewiß, er würde aber am Ende seines zu hohen Wertes wegen auch dort zu Kriegen sein Licht herleihen, und das wäre recht schlimm! Einige Körnchen davon sollst du wohl schon haben, – aber den ganzen Stein ja nicht!“

19. Sagt Cyrenius: „Aber wie und auf welche Weise ist denn diesem Steine diese Leuchtfähigkeit inne? Welchen Namen hat er wohl?“

20. Sage Ich: „Diese Steine gehören eigentlich nicht dieser Erde an, sondern sind nur in der großen Sonnenwelt einheimisch. Nun, in der großen Sonnenwelt aber gibt es von Zeit zu Zeit große Eruptionen von einer für eure Begriffe allerunmeßbarsten Kraftäußerung, von der gar oft solche Steine ergriffen und mit der größten Wurfgewalt in den weiten Schöpfungsraum hinausgeschleudert werden. Und da hast du einen davon!

21. Ihr Leuchten rührt allein von ihrer über alle deine Begriffe allerglattesten Oberfläche her, an der sich beständig eine Menge Blitzfeuer ansammelt und die in die überaus harte Materie gebannten Geister zur Tätigkeit eben durchs benannte Feuer stets von neuem auffordert. Zudem ist dieser Stein im höchsten Grade durchsichtig, und es wird demnach gar leicht jede auch innerste Geistertätigkeit in der äußern Erscheinlichkeit des Leuchtens tätig ersichtlich und natürlich durch die Außentätigkeit der an der höchst glatten Oberfläche der Kugel schnell vorbeigleitenden Geister der Luft im hohen Grade vermehrt.

22. Diese Steine aber werden in der Sonne nicht etwa in der Natur schon also angetroffen, sondern auch erst durch die Kunst und durch die Hände der dortigen Menschen dazu präpariert. Sie werden zumeist schon in der runden Form gefunden in der Gegend großer Gewässer und entstehen stets bei Ausbrüchen. Es werden da im höchsten Grade geschmolzene mineralische Elemente weit in den mit Äther erfüllten Raum hinausgetrieben und nehmen im freien Raume stets die runde Gestalt eines Tropfens an, nach dem in alle Materie gelegten, dem Mittelpunkte zustrebenden und denselben suchenden Ruhegesetze.

23. Das Zurückfallen solcher Kugeln, die von sehr verschiedener Größe sein können, dauert oft Tage, Wochen, Monate und bei größeren oft viele Jahre, je nachdem sie mehr oder minder weit von der Sonne entfernt hinausgeschleudert worden sind. Nun, manche fallen auf der Sonne Gebirge und Felsen und zerschellen sich; aber viele fallen in die großen Gewässer, bleiben unbeschädigt und werden leicht von den Menschen der Sonnenwelt herausgeholt. Denn die Sonnenmenschen können ganz leicht oft stundenlang unterm Wasser verbleiben und auf dem Meeresgrunde arbeiten wie auf dem trockenen Lande, und das um so leichter, weil sie nebst solcher nahe amphibienartigen Eigenschaft noch ganz überaus zweckmäßige Taucherinstrumente besitzen.

24. Wenn ein großes Sonnenhaus sich mit solchen Kugeln hinreichend versehen hat, so werden sie, trotzdem sie schon ohnehin eine äußerst glatte Oberfläche besitzen, mit allem Kunstfleiße noch mehr geglättet und poliert, und zwar bis auf den Grad, wo sie unter dem Polieren zu leuchten anfangen. Ist die Polierung einmal bis auf den Punkt gediehen, so werden sie in den häufig vorkommenden unterirdischen, katakombenartigen, langen Gängen, durch die stets ein starker Luftzug geht, als Leuchtkugeln auf eigens dazu hergerichtete Säulen gelegt und beleuchten sogestaltig mehr als zur Genüge die unterirdischen Gänge und dienen zugleich als besondere Zierde solcher Gänge, auf die besonders in der Sonnenwelt sehr gesehen wird; denn daselbst ist nicht selten ein ganz gewöhnliches Wohnhaus schon bei weitem gezierter und geschmückter, besonders inwendig, als in Jerusalem der Salomotempel. Und so läßt sich's wohl auch denken, daß die Sonnenmenschen, besonders die des Mittelgürtels, auch für die Verzierung ihrer unterirdischen Gänge alles mögliche aufbieten.

25. Jedoch, wir sind hier nicht versammelt, um eine Erdbeschreibung der großen Sonnenwelt zu erzielen, sondern der Stärkung eures Glaubens und Willens wegen. Dieses aber zu erreichen, dazu gehört ganz was anderes als eine noch so genaue und umfassende Erdbeschreibung der großen Sonnenwelt!“

26. Fragt Cyrenius: „Herr! Wenn aber diese Leuchtkugel also über alle Diamanten kompakt ist, wie wird man von ihrer Oberfläche irgendwelche einzelne Körner ablösen können, die ich zum Gedächtnisse für diesen Abend gar so gerne besitzen möchte?!“

27. Sage Ich: „Du denkst manchmal auch noch sehr irdisch! Dort, von wo diese Leuchtkugel her ist, gibt es noch eine Menge, sei es nun in Afrika oder in der Sonne selbst, – für Meinen Engel ist es überall gleich weit. Von dieser Leuchtkugel wird, ohne sie zu zerstören, freilich wohl kein Sterblicher irgend ein paar Körner herausbekommen können, und würde er die Kugel zerstoßen wollen, so würden die Stücke die Eigenschaft des Leuchtens auch sogleich einbüßen; aber die kleinen Kügelchen werden die Leuchteigenschaft gleichfort beibehalten. – Aber nun vollernstlich genug von dieser Sache!“

90. Kapitel. Seele und Leib.

1. (Der Herr:) „Wir wollen nun sogleich etwas anderes vornehmen! Zorel und du, Zinka, tretet nun etwas näher zu Mir und saget Mir, was ihr nun vor allem noch sehen und wissen möchtet.“

2. Die beiden Gerufenen treten nun näher, und Zinka sagt: „Herr, das ist für Menschen unserer noch sehr unvollkommenen Art und Weise eine sehr schwer zu beantwortende Frage! Denn wir möchten sehr vieles noch sehen und wissen, weil uns noch sehr vieles zu sehen und zu wissen übriggeblieben ist, trotzdem wir doch schon so gar manches gesehen und erfahren haben. Aber was da unter dem endlos vielen für uns das Notwendigste ist, das ist eine ganz andere Frage, die wir darum nicht zu beantworten imstande sind, weil wir noch lange nicht wissen, was uns eigentlich vor allem am allernotwendigsten wäre! Du, o Herr, aber weißt es genau, was uns so ganz eigentlich am allernotwendigsten ist; daher handle Du ohne unser Begehren nach Deiner unendlichen Liebe und Weisheit, und es wird da schon ein jeder das Beste sehen, hören und fühlen!“

3. Sage Ich: „Nun wohl denn, – so werde Ich sehen, was da zu machen sein wird! Ich meine, so eine recht zuversichtliche Einsicht in das Fortleben der Seele nach dem Tode des Leibes dürfte für euch alle wohl von der größten Wichtigkeit und Notwendigkeit sein; daher werden wir diese Sache ein wenig näher in den Augenschein nehmen!

4. Ich habe es euch durch Worte schon zu mehreren Malen gezeigt, worin der eigentliche Tod des Leibes besteht und auf welch eine verschiedene Art er vor sich gehen kann, und was seine Folgen für die Seele und ihren Geist sind und sein müssen. Sollte Ich euch aber das durch lange theoretische Sätze erklären, so würden wir damit in einem vollen Jahre nicht zu Ende kommen. Ich werde euch zu eurem gründlichen Erkennen die Sache mit Wort und Tat zeigen, und ihr werdet es dann begreifen.

5. Bevor wir aber zur eigentlichen Sache kommen, muß Ich dennoch das voranschicken, wie die Seele mit dem Leibe zusammenhängt.

6. Und so höret Mich: Die Seele als ein Gemengtes und sich ergreifend Zusammengesetztes ist durch und durch ätherisch-substantieller Beschaffenheit. Da aber der Leib in seinem Wesen auch im Grunde Ätherisch- Substantielles in sich faßt, so ist solches verwandt mit der substantiellen Wesenheit der Seele. Und dieses Verwandte ist das Eigentliche, das da die Seele mit dem Leibe so lange verbindet, solange es nicht mit der Zeit zu sehr in das pur Materielle übergegangen ist, woselbst es dann mit der seelischen Bestandwesenheit eine zu geringe und oft aber auch gar keine Verwandtschaft mehr hat, – und wenn schon noch welche vorhanden ist, so muß diese erst durch den Verwesungsprozeß aus dem Körper geschieden und jenseits der gewisserart nackten Seele zugeführt werden.

7. Hat aber die Seele selbst am Ende zu viel Materielles aus ihrem Leibe in sich aufgenommen, so erreicht der Leibestod auch sie, und sie muß mit dem Leibe verwesen und dann erst nach mehreren Erdenjahren als natürlich höchst unvollendet erwachen, wo es ihr dann sehr schwer wird, sich in ein höheres Licht emporzuschwingen, weil ihr alles ein finsteres Erdending ist, in dem wenig Leben und viel Finsternis in allen Winkeln rastet.

8. Von einer Geisteserweckung in ihr kann so lange keine Rede sein, bis die Zeit, die Not und allerlei Demütigungen das weltdinglich Finstere und Grob- oder gewisserart Leiblich-Substantielle aus der Seele geschieden und hinausgefegt haben; und das geht jenseits um vieles schwerer denn hier, weil die Seele jenseits so lange in einer gewissen Abödung für sich allein dastehen muß, um nicht als ein zu nacktes und gewisserart noch haut- und kleidloses Wesen von einer andern Wesenheit, die schon voll des höhern Lebensfeuers in voller Kraft dasteht, verschlungen und wie ein Wassertropfen auf glühendem Erze vernichtet und verzehrt zu werden. Denn für jede noch sehr unvollkommene Seele gilt gegenüber einem schon vollendeten Geiste das, was Ich dereinst zu Moses sagte, als er Mich zu sehen verlangte: ,Gott kannst du nicht schauen und leben!‘

9. Je höher potenziert ein Leben einmal für sich dasteht, desto kräftiger, mächtiger und schwerer steht es für sich da, und alles Leben, das da noch auf einer sehr niedern Stufe steht, kann sich einem potenzierten Leben gegenüber nie behaupten, außer in gewissen Entfernungen. Was ist eine Mücke gegen einen Elefanten, was eine Fliege gegen einen Löwen?! Was ist ein zartestes Moosschimmelpflänzchen gegen eine mehrere Jahrhunderte alte Zeder auf Libanon, was diese Erde gegen die große Sonne?! Was ist ein Tropfen Wassers gegen ein mächtiges Feuer?! – Wenn jemand von euch auf einen Elefanten tritt, so wird das einem Elefanten wohl gar nichts machen; tritt aber jemand von euch auf eine Ameise, so ist es mit ihrem Naturleben vollkommen zu Ende.

10. Was aber schon in der äußeren Natur, sogar mit Händen zu greifen, sich zeigt, das steht im Reiche der Geister desto ausgebildeter und ausgeprägter wahr da. In jedem schon für sich bestehenden Leben steht das unersättliche Bedürfnis da, stets mehr Leben in sich zu vereinen; das Einswerdungsprinzip aber ist im Grunde des Grundes die Liebe. Wäre dieses Prinzip aber einem Leben nicht vor allem inne, so gäbe es weder irgendeine Sonne im endlosen Raume noch eine Erde, und ebenso auch keine Geschöpfe auf derselben und in derselben.

11. Weil aber eben im Leben selbst das Lebeneinungsprinzip besteht und jedes freie Leben in einem fort bemüht ist, mit einem andern ihm ähnlichen und verwandten Leben sich zu vereinen, so wird aus vielen Sonderleben und Sonderintelligenzen am Ende nur ein Leben und eine vervielfachte und darum weit ausgreifende Intelligenz, und dadurch auch aus den mit wenig Vernunft begabten vielen Weslein ein mit viel Vernunft und mit vielem Verstande ausgerüstetes Wesen.“

91. Kapitel. Die Fortbildung armer Seelen im Jenseits.

1. (Der Herr:) „Wenn nun laut dieses fürs Sein und Leben nötigsten und unwandelbaren Prinzips eine sogenannte arme und nackte Seele drüben sogleich mit einem Geiste, wie zum Beispiel unser Raphael hier einer ist, zusammenkäme, so würde sie von ihm sogleich also verschlungen, wie da verschlingt das Meer einen einzelnen Wassertropfen. Es ist darum von Mir aus die Fürsorge durch die ganze Unendlichkeit getroffen, daß ein kleines, schwaches und noch sehr blödnacktes Leben immer also exponiert wird, daß es wie einzeln für sich dasteht und sich ihm nur solche Lebenspotenzen nahen dürfen, die sicher nicht in irgend etwas um vieles stärker sind als das einzeln für sich in seiner Abödung und Nacktheit dastehende Leben.

2. Solche Lebenspotenzen können sich nicht verschlingen, weil die einzelnen Ichheiten von gleicher Kraft und Stärke sind; aber sie bilden dennoch Vereine unter sich und halten Rat, aus dem aber nie viel Ersprießliches herauskommen kann, weil die Weisheit von einem jeden Einzelwesen nahe auf ein Haar die gleiche ist. Stellet euch einen Ratsverein von lauter blitzdummen Menschen vor, die etwas recht Weises beschließen und endlich mit vereinten Kräften ausführen möchten! Was wohl wird aus ihren Beratungen hervorgehen? Nichts als dummes Zeug!

3. Wir haben auf dieser Erde, und zumeist auf ihren Inseln, noch heutzutage Völkerschaften, die ihre Inseln ganz ungestört seit Adams Zeiten bewohnen; es sind das Kains Nachkommen, die heute noch auf derselben Kulturstufe stehen, auf der sie vor zweitausend Jahren gestanden sind. Ja, warum haben sie denn in ihrer Kultur gar keinen Fortschritt, sondern nur eher einen Rückschritt gemacht mit allen ihren häufig vorkommenden Rathaltungen? Weil unter ihnen der Weiseste dümmer und blinder ist denn hierzulande ein noch so blöder Schweinehirt! Wenn aber der Weiseste schon nichts weiß, was sollen dann erst die andern wissen, die sich bei ihm Rates erholen?!

4. Man wird freilich hier fragen und sagen: ,Ja warum hat Gott denn zu solchen Völkern keine von Seinem Geiste erfüllte Propheten gesandt?‘ Da sind wir nun eben zu dem Hauptpunkte gekommen!

5. In diesen Völkern wohnen noch viel zu unreife und nackte Seelen. Eine höhere Offenbarung würde sie verschlingen und verpanzern mit einem Gerichte, aus dem sie nimmer frei zu machen wären. Die höchste und reinste Wahrheit würden sie in den dicksten Aberglauben umwandeln und sich darin derart begründen, daß dann am Ende Ich Selbst sie durch kein Mittel mehr daraus erlösen könnte.

6. Es ist daher notwendig, daß sie noch bei tausend Jahre lang also, wie sie sind, verbleiben. Nach dieser Zeit erst sollen sie Besuche von pur verstandesgeweckten Menschen bekommen und von diesen aber noch lange keinen Unterricht, sondern nur ein sie nur ein wenig weckendes Beispiel bekommen. Sonach soll ihnen von Zeit zu Zeit zu öfteren Malen eine solche sie weckende Überraschung zuteil werden. Wenn das ein paar Jahrhunderte hindurch geschieht, dann werden solch nackte Völker etwas mehr bekleidet werden, leiblich und seelisch, und sodann erst nach und nach für eine höhere Offenbarung reif sein.

7. Und gerade also, und noch um ein bedeutendes mühsamer, geht im großen Jenseits die Fortbildung und Lebensvollendung einer ganz nackten Naturseele vor sich. Sie muß so lange in aller Lichtlosigkeit für sich dastehend belassen werden, bis sie, durch die eigene Not gedrungen, sich aus ihrer mehr denn noch halbmateriellen Lethargie aufrüttelt und so über was immer bestimmtere Gedanken in ihrem Herzen zu denken beginnt.

8. Werden die Gedanken immer ausgeprägter und bestimmter umrissen, so fängt es in einer solchen Seele dann ganz leise zu dämmern an, und sie beginnt einen Grund zu bekommen, auf dem sie ein wenig stehen und nach und nach auch ein wenig umhergehen kann. Dieses Umhergehen entspricht dann dem Übergehen eines Gedankens in einen andern und einer Empfindung in die andere. Es ist das ein Suchen, und dem Suchen muß irgendein Finden folgen, weil sonst der Sucher, so er zu lange gar nichts finden möchte, am Ende infolge seiner fruchtlosen Mühe erlahmen und also zurückfallen müßte in die alte Lethargie.

9. Aber wie die emsig zu suchen anfangende Seele nur irgend etwas findet, so gibt ihr das einen neuen und erhöhten Impuls zu einem noch weiteren und emsigeren Suchen und Forschen, und wenn sie gar Spuren vom Dasein ihresgleichen findet, so jagt sie diesen gleich einem Spürhunde nach und ruht nicht eher, bis sie etwas gefunden hat, das ihr wenigstens ein nahes Dasein von ihresgleichen bezeugt.

10. Durch dieses stets potenziertere Suchen wird sie aber auch reifer und sucht sich zu sättigen mit allem, was sie irgend wie zufällig zur Umhüllung ihres substantiellen Seelenleibes findet. Hie und da findet sich auch etwas, wenn auch noch so Mageres, zur Füllung ihres Magens und zur Stillung ihres oft brennenden Durstes. Denn wird es in einer Seele einmal so recht begierlich infolge des inneren, stets lebendiger werdenden Lebensfeuers, da findet sich dann stets ein mehreres irgend vor, für das in der Seele irgendein Bedürfnis wach wird.“

92. Kapitel. Die Führung im Jenseits.

1. (Der Herr:) „Da muß von seiten eines Geistes, der wie von einer gewissen Ferne eine solche Seele leitet und führt, aber wohl die größte Vorsicht gebraucht werden, damit sie auf dem Suchpfade ja nur das findet, was sie in ihrer Lebensvollendung weiterbringen kann.

2. Mit der Zeit erst kann sie eine auch ihr ähnliche Seele, von nahe gleichen Bedürfnissen bedrückt, finden, mit der sie dann natürlich alsogestaltig sogleich in eine Korrespondenz tritt, wie in dieser Welt zwei Menschen, die von einem und demselben Schicksale verfolgt worden sind. Sie fragen sich gegenseitig aus, bedauern sich und fangen nach und nach an, Rat zu halten, was da zu tun wäre, um ihr Los in irgend etwas erträglicher zu machen.

3. Es versteht sich von selbst, daß die zweite Seele nur eine scheinbare Ähnlichkeit mit der ersten, erst aus der vollen Abödung getretenen, haben muß; denn sonst würde ein Blinder einem Blinden als Führer gegeben, wobei dann nur zu leicht beide in eine Grube fallen könnten und sich dann in einem ärgeren Zustande befänden, als da war der frühere in der Abödungsperiode.

4. Der wie zufällig zu der jungen suchenden Seele stoßende, in sich vollendete Geistmensch aber darf von seiner Vollendung ja nichts merken lassen, sondern muß anfänglich ganz das sein, was die junge Seele ist. Lacht sie, so lache er mit ihr; und weint sie, da weine er mit! Nur so die Seele ärgerlich wird über ihr Schicksal und schimpft und flucht, da tue der Geist das wohl nicht mit, sondern tue anfänglich zwar auch, als wäre er selbst etwas ärgerlich über sein (zum Scheine) ähnliches Los, spiele aber dabei stets den Gleichgültigen, dem es nun schon alles eins ist, ob's ihm so oder so geht! Will's durchaus nicht besser werden, nun, so bleibe es denn, wie es wolle! Dadurch wird die junge Seele gefügiger und wird sich zufriedenstellen schon mit einem kleinen Vorteile, der sich wieder irgend wie zufällig hat auffinden lassen.

5. Wenn solch eine Seele im Jenseits dann irgendein Plätzchen gefunden hat, so lasse man sie dort so lange, als sie selbst kein Bedürfnis in sich verspürt, ihr Los zu verbessern; denn solche Seelen gleichen hier solchen Menschen, die mit einer ganz kleinen Besitzung insolange ganz zufrieden sind, wenn sie ihnen nur knapp so viel einträgt, daß sie dabei notdürftig bestehen können. Alles Höhere und Vollendetere und Bessere geht sie nach ihrer Sehnsucht gar nichts an, und sie bekümmern sich dessen auch gar nicht. Was liegt ihnen an der großen Beschäftigung eines Kaisers oder irgendeines Feldherrn?! Wenn sie nur etwas zu essen und die liebe Ruhe haben, so sind sie dann aber auch schon ganz glücklich und wünschen sich ewig nichts Besseres mehr.

6. Ebenso steht es dann in einem zweiten Stadium mit einer Seele, die, wie gezeigt, aus ihrer Abödung getreten und nun durch ihre Mühe irgend dahin versorgt worden ist, daß sie ihren Zustand als einen erträglichen ansieht und sich um nichts weiteres mehr bekümmert, ja sogar eine Furcht und Scheu davor hat, weil sie alles, was ihr irgendeine Mühe machen könnte, verabscheut.

7. Wir haben eine Seele im Jenseits nun dahin versorgt, daß sie zum Beispiel entweder bei so ziemlich guten Leuten einen Dienst gefunden hat, der sie mit dem Nötigsten versieht, oder sie hat irgendein Häuschen mit einem reichlich besetzten Obstgarten und ein paar Melkziegen als ein verlassenes Gut zum Eigentume mit etwa noch einem Diener oder einer Dienerin bekommen, oder besser auch gefunden; da hat dann der leitende Geist vorderhand nichts anderes zu tun, als eine solche Seele eine Zeitlang in solchem Besitze ganz ungestört zu belassen.

8. Er entferne sich auch zeitweilig von ihr und tue, als ginge er selbst etwas Besseres suchen, komme dann wieder und rede davon, daß er wohl Besseres gefunden habe, – aber es sei jenes Bessere um vieles schwerer zu bekommen, und man müsse es sich durch viele Mühe und Arbeit verdienen! Die Seele wird darauf sicher fragen, worin die Mühe und die Arbeit bestände; dann erkläre der Führer das der fragenden Seele. Fühlt sich die Seele dazu geneigt, so führe er sie dahin; im Gegenteile aber belasse er sie, sorge aber dafür, daß der Garten in seinen Erträgnissen stets magerer wird und am Ende nicht einmal mehr das Allernotdürftigste erträgt!

9. Die Seele wird nun wohl allen Fleiß anwenden, um den Garten zu einem reichlicheren Erträgnisse zu bringen; aber der Führer darf es nun nicht zulassen, daß die Seele ihren Wunsch erreicht, sondern muß machen, daß die Seele endlich das Fruchtlose aller ihrer Mühe einsieht und den Wunsch äußert, diese ganze Behausung aufzugeben und einen Dienst anzunehmen, bei dem sie, bei sicher nicht mehr Mühe und Arbeit, doch eine erträgliche Versorgung finde.

10. Hat sich in einer Seele solch ein Wunsch lebendig zur Genüge ausgesprochen, so werde sie weitergeführt und in einem Dienste mit vieler Arbeit untergebracht. Da verlasse sie dann der Führer wieder unter irgendeinem Vorwande, als hätte er auch an irgendeinem andern Orte einen zwar sehr beschwerlichen, aber sonst gut dotierten Dienst bekommen. Die Seele wird nun zur Arbeit gewiesen, die sie genaust zu verrichten hat. Man sage es ihr und lege es ihr ans Herz, daß da jede Vernachlässigung mit entsprechender Entziehung des bedungenen Liedlohnes bestraft, dagegen ein freiwilliges Mehrtun übers Bedungene hinaus sehr löblich berücksichtigt werde.

11. Nun wird die Seele entweder das Bedungene genau und noch manches darüber leisten, oder sie wird sich die Mühe zu sauer werden lassen, wird träge werden und darum in eine noch größere Not verfallen. Im ersten Falle werde sie dann erhoben und in einen freieren und schon bedeutend angenehmeren Zustand versetzt, allwo sie mehr zu denken und mehr zu fühlen bekommt. Im zweiten Falle aber überlasse sie der Führer einer bedeutenden Not, lasse sie zu ihrem früheren mageren Besitze zurückkehren, etwas Weniges, aber bei weitem nicht Genügendes finden.

12. Nach einer Zeit, wenn sich eine dringendste Not eingestellt hat, komme der nun viel besser aussehende Führer schon als ein Herr und Selbstbesitzer von vielen Gütern und frage die Seele, was ihr denn eingefallen sei, den guten und aussichtsvollsten Dienst so fahrlässig zu behandeln. Die Seele wird nun sich mit der für ihre Kräfte zu großen und zu anstrengenden Mühe ausreden und entschuldigen; da werde ihr aber gezeigt, wie ihre Mühe und Anstrengung hier auf dem magersten Kleinbesitze eine noch viel größere sei und doch sei da keine Aussicht vorhanden, je nur zu einem notdürftigsten Vorteile zu gelangen.

13. Auf diese Weise wird so eine Seele zur Einsicht gebracht, wird abermals einen Dienst annehmen und nun sicher mehr guttun denn vorher. Tut sie nun gut, so werde ihr in Kürze ein wenig vorwärtsgeholfen, – aber noch ist sie bei dem Gefühle zu belassen, als sei sie leiblich noch nicht gestorben; denn dies fühlen materielle Seelen lange nicht und müssen davon erst auf einem geeigneten Wege unterwiesen werden. Die Kunde davon wird für sie erst dann erträglich, wenn sie als ganz nackte Seelen zu einer mit schon gutem Gewande bekleideten, gewisserart seelenleiblichen Festigkeit gediehen sind. In solchem festeren Zustande sind sie dann auch irgend kleiner Offenbarungen fähig, weil ihres Geistes Keim sich in ihnen zu regen beginnt.

14. Ist eine Seele einmal so weit gediehen und hat sie einsichtig angenommen, daß sie sich nun in der Geisterwelt befindet und von nun an erst ihr ewiges Los ganz allein von ihr abhängt, so werde ihr der allein rechte Weg der Liebe zu Mir und dem Nächsten gezeigt, den sie ganz aus ihrem völlig freien Willen und aus ihrer ganz freien Selbstbestimmung zu wandeln hat.

15. Ist ihr das gezeigt worden nebst dem, was sie in jedem Falle ganz bestimmt zu erreichen vor sich hat, da verlasse sie der Führer abermals und komme erst dann wieder zu ihr, wenn sie ihn allerernstlichst berufen wird in ihrem Herzen. Beruft sie ihn aber nicht, dann wandelt sie ohnehin auf dem rechten Wege; ist sie aber von dem abgewichen und hat einen schlechten betreten, so lasse er sie wieder in ein entsprechend großes Elend kommen. Wird sie ihren Fehltritt einsehen und den Führer herbeiwünschen, so komme er und zeige ihr das vollauf Nichtige ihrer Mühen und Bestrebungen.

16. Hat sie darauf den Wunsch, sich wieder zu bessern, so bringe er sie abermals in einen Dienst, und so sie da erfüllt ihre Pflichten, so werde sie wieder befördert, aber nicht so bald wie ein erstes Mal, weil sie da gar leicht wieder in ihre alte, materielle Lethargie zurückverfiele, aus der sie viel schwerer zu befreien wäre denn aus der allerersten, weil sie sich bei jedem Rückfalle stets mehr und mehr wie ein wachsender Baum verhärtet und von Jahr zu Jahr sich auch schwerer beugen läßt denn in den ersten Wachstumsperioden.“

93. Kapitel. Der Fortschritt der Seele auf der Erde und im Jenseits.

1. (Der Herr:) „Es versteht sich schon von selbst, daß hier von einem sonderheitlichen Falle nicht die Rede sein kann, sondern nur von einer Grundnorm, nach der, sowohl bei der diesseitigen und ganz besonders bei der jenseitigen Führung, eine Seele aus ihrer lebenshemmenden Materialität zu heben ist.

2. Es gibt daneben noch zahllos viele Abweichungen, von denen eine jede ein wenig anders zu behandeln ist; aber alles dessen ungeachtet muß es dennoch eine Grundnorm geben, nach der sich endlich alle andern zu richten haben, so wie das Erdreich mit einem Regen befruchtet werden muß, damit im selben der ausgesäte Samen zu keimen beginnen kann. Wie aber dann die verschiedenartigen Samen, die im Erdreiche zur Belebung ruhen, das ihnen Zusagende aus dem Regentropfen an sich bringen, das ist eine Sache der speziellen Intelligenz der Geister, die die Keime bewohnen und für ihr Haus gar wohl zu sorgen verstehen.

3. Ich sage euch dies darum, damit ihr einsehen sollet, wie schwer und mühsam es jenseits vor sich geht mit und auf dem Wege zur Vollendung des innern Lebens, und wie leicht und ungebunden hier, wo die Seele noch den materiellen Leib um sich hat, in den sie zu allernächst alle ihre vorhandene Materialität ablagern kann, wie und wann sie solches nur immer will; aber jenseits ist das nicht so leicht möglich, weil die Seele eben keinen materiellen Leib mehr hat und mit ihren Füßen auch nicht mehr über einen materiellen Boden gleitet, sondern über einen geistigen, aus der Seele Gedanken und Ideen erbauten, der aber durchaus nicht geeignet ist, das aus der Seele geschiedene Materielle aufzunehmen und in sich für ewig zu begraben.

4. Denn was da auch aus der Seele auf ihren Boden fällt, das gilt nahe soviel, als so man einen Stein nähme und ihn ganz von dieser Erde hinweg in den endlosen Raum hinausschleudern wollte. Ja, wer die Kraft besäße, einen Stein mit einer solchen Schnellkraft empor- oder von dieser Erde hinwegzuschleudern, daß sie die Schnelle eines abgeschossenen Pfeiles ums dreißigtausendfache überträfe, der würde den Stein schon ganz sicher derart von der Erde entfernen, daß er nimmer zurückfiele; aber jede mindere Schnellkraft würde solch eine Wirkung nie zustande bringen. Sie würde den Stein wohl mehr oder minder weit von der Erde hinaustreiben; aber so die dem Steine mitgeteilte Wurfkraft zufolge der beständig weithinaus wirkenden Anziehungskraft der Erde dann minder und notwendig schwächer würde, so würde der Stein wieder umkehren, und auf den Boden der Erde jählings zurückfallen.

5. Und sehet, ebenso steht und also verhält sich's mit den der Seele im Jenseits noch anhaftenden materiellen Sündenbrocken! Entfernt die Seele solche auch aus sich und wirft sie hin auf ihrer Welt Boden, so nützt ihr diese Mühe wenig, ja dann und wann gar nichts, weil der Boden der Seele, auf dem sie in der Geisterwelt steht und sich bewegt, ebenso ihr höchst eigener Anteil ist, wie da irdisch die Anziehungskraft dieser Erde, und ob sie noch soweit hinausreicht, ein Anteil eben der Erde ist und nicht ein Atom sich von ihr entfernen läßt.

6. So dann jenseits die Seele alles Grobe und Materielle aus sich entfernen will, muß eine höhere Kraft in ihr wirksam werden; und das ist die Kraft, die in Meinem Worte und in Meinem Namen liegt! Denn es steht, aus dem Munde Gottes kommend, geschrieben: ,Vor Deinem Namen werden sich beugen alle Knie im Himmel, auf der Erde und unter der Erde!‘ Darunter sind zu verstehen alle Menschengeschöpfe der zahllos vielen anderen Welten im endlosesten Schöpfungsraume; denn im Himmel wohnen die schon für ewig vollendeten Gotteskinder, – auf dieser Erde, wohl verstanden, einzig und allein die werdenden Kinder Gottes. So aber nur dieser Erde der hohe Vorzug eingeräumt ist, so steht sie in der Würde vor Gott über allen anderen Weltkörpern; diese stehen dann moralisch unter ihr und daher auch ihre Bewohner, die denn auch unter dem ,die da wohnen unter der Erde‘ zu verstehen sind.

7. Also durch Mein Wort und durch Meinen Namen kann die Seele erst ganz geläutert werden. Aber es geht dies jenseits nicht so leicht, als man sich's etwa wohl vorstellen mag; da gehören große Vorbereitungen dazu! Die Seele muß zuvor in aller möglichen Selbsttätigkeit vollauf geübt sein und muß schon eine ganz tüchtige Kraft fest in sich haben, bevor es ihr möglich sein kann, Mein Wort und endlich gar Meinen Namen anzunehmen.

8. Ist aber eine Seele einmal des imstande, dann wird es ihr ein leichtes sein, auch das letzte materielle Atom aus ihrem ganzen Territorium derart zu entfernen, daß es ewig nimmer in sie zurückfallen kann. Wie und Warum, soll sogleich gezeigt werden!“

94. Kapitel. Die Entwicklung des Seelenlebens.

1. Sagt hierzu Cyrenius, der alles mit der allergespanntesten Aufmerksamkeit angehört hatte: „Herr, ich kann gerade nicht sagen, daß ich das alles nicht verstanden hätte; es ist mir wohl alles so recht klar, – nur kommt es mir vor, als könnte mir dies alles auf dieser Erde auch noch einmal unklar werden, und das würde mich dann unglücklich machen! Denn alles das, was wir nun aus Deinem heiligen Munde vernommen haben, ist denn doch ein wenig zu hoch über den selbst allergewecktesten Menschenverstand; daher wäre eine kleine Nachbeleuchtung über einiges vielleicht wohl nicht überflüssig zu nennen!“

2. Sage Ich: „Freund, ihr Römer habt ein recht gutes Sprichwort, das etwa also lautet: LONGUM ITER PER PRAECEPTA, BREVIS ET EFFICAX PER EXEMPLA! Sieh, das läßt sich hier auch recht gut anwenden! Warte auf die später folgenden Beispiele, die Ich euch wunderbarerweise zur Sicht stellen werde! Diese werden dir das, was dir jetzt noch unklar ist, aufhellen; das ganz Reine der Sache aber wirst du erst dann erfahren, wenn der reine Geist der ewigen Wahrheit über euch kommen und euch leiten wird in alle Wahrheit der Himmel und aller Welten.

3. Merkst du aber nicht, daß es schon in der Natur nur ein Gesetz im Wachstum aller Pflanzen und Tiere gibt?!

4. Siehe, alle Pflanzen wachsen und vermehren sich von innen heraus; sie ziehen aus der Feuchtigkeit der Erde ihre entsprechenden Stoffe an sich und endlich, geläutert durch viele tausend Kanäle und Röhrlein, in sich selbst oder in ihr Leben.

5. Die Tiere nehmen ihre Kost im Grunde aus derselben Quelle, – nur ist sie zuvor, entweder im Organismus der Pflanzen oder im schon viel mehr raffinierten Fleische der unteren Tiergattungen um sehr vieles geläuterter als im ursprünglichen Humus der Erde.

6. Der Mensch genießt am Ende schon das Allerfeinste und Reinste aus der Pflanzenwelt sowohl als auch aus der Tierwelt. Heu, Gras und Stroh nähren ihn nicht mehr. Von den Pflanzen braucht er hauptsächlich nur das Korn und von den Bäumen die edelsten, honigsüßen Früchte. Von den Tieren genießt er zumeist nur das anerkannt Reinste und hat einen Ekel vor dem Fleische ganz unreiner Tiere.

7. Aber wie viele Abweichungen, Abirrungen und Seitenwege gibt es im nur diesirdischen Sich-Entfalten der Pflanzen- und Tierwelt, und dennoch gelangt jedes an sein Ziel! Es kann dem sorgsamen Auge eines Forschers aller Dinge in der Naturwelt nicht entgehen, zu merken, wie da stets ein Ding dem andern dient und eines zur Hebung und Weiterbelebung des andern da ist.

8. Das Leben der Seele muß sich durch die verschiedenen Naturelemente durchseihen. Vorerst ist es im Äther; da sammelt es sich durchs Ergreifen des Gleichen mit Gleichem, Ähnlichem und Verwandtem. Dadurch wird es schwerer und sinkt vorerst in sich selbst in sein eigenes Zentrum, wird schwerer und schwerer und wird aus sich die schon schwerere und fühlbare Lebenssubstanz.

9. Als Luft sammelt es sich wieder wie oben im Äther, daraus werden Wolken und Nebel, und diese sammeln sich wieder, werden zu Wassertropfen und fallen zur Erde im Regen, Hagel, Schnee, Tau und in gewissen Gegenden als bleibende und fortwährende Dunstbildungen und feuchte Niederschläge aus der Luft.

10. Das Wasser, als ein zwar noch sehr untergeordnetes, aber schon über Äther und Luft stehendes Lebenselement, muß nun schon recht vielseitig den wieder höher stehenden Lebenskondensationsanstalten zu dienen anfangen. Es muß einmal das mehr und ganz zu Stein verhärtete Leben in der groben Materie erweichen und zur Aufnahme und Weiterbeförderung in sich selbst, das heißt, ins Element des Wassers, aufnehmen; das ist ein erstes Dienen.

11. Darauf muß es seine Lebensgeister oder gewisserart seelischen Substanzpartikel in die Pflanzen abgeben. Haben sich die Partikel in den Pflanzen nach und nach und mehr und mehr zu schon bestimmten Intelligenzformen ausgebildet, so werden sie wieder vom Wasser und von der dunstigen Luft aufgenommen, und das Wasser muß ihnen Stoff zu neuen und freieren Lebensformen schaffen. Also dient das Wasser noch stets in seiner Sphäre, obschon aus ihm stündlich Myriaden mal Myriaden Kleinseelenlebensintelligenzteilchen frei und mehr und mehr selbständig werden.

12. Aber das Pflanzenleben muß abermals mehrere und schon kompliziertere Dienste annehmen und verrichten. Des Wassers Dienste sind noch sehr einfach, während der Pflanzen Dienste zur Weiterförderung des Lebens schon bei nur einiger Betrachtung einer noch so einfachen Pflanze schon sehr zusammengesetzt sind.

13. Noch vielfacher und viel bedeutender sind die Dienstleistungen zur Weiterbeförderung des Seelenlebens selbst in den allerersten und einfachsten Tieren, die der Pflanzenwelt am nächsten stehen. Und so wird das Dienen ein immer komplizierteres in einer jeden höher stehenden Lebensform.

14. Ist das Seelenleben einmal ganz und gar in die Menschenform übergegangen, so ist Dienen seine erste Bestimmung. Da gibt es verschiedene Naturdienste, die jeder Menschenform als ,Muß‘ auferlegt sind; danebst aber gibt es dann auch eine zahllose Menge freierer und eine noch größere Menge freiester moralischer Dienste, die ein Mensch zum Verrichten überkommt. Und hat er nach allen Richtungen hin einen treuen Diener gemacht, so hat er dadurch auch sich selbst in die höchste Vollendung des Lebens erhoben. Nun, dies geschieht wohl bei einigen Menschen, die schon von der Geburt an auf eine höhere Stufe gestellt worden sind; aber bei anderen Menschen, die noch sozusagen knapp an der Linie der Tiere stehen, geht das diesseits nicht, und es geschieht ihre Weiterbildung erst jenseits, – aber immer auf dem Grundwege des Dienens.“

95. Kapitel. Der Zweck des Dienens.

1. (Der Herr:) „Durch das Dienen wird die Demut am meisten geübt und gefördert, je untergeordneter oft ein Dienst erscheint, desto tauglicher ist er für die wahre Ausbildung des Lebens. Die Demut selbst aber ist nichts als das sich stets mehr und stärker Kondensieren des Lebens in sich selbst, während der Hochmut ein stets lockereres Gestalten und sich ins Endloseste hin auseinander Zerstreuen und am Ende nahe gänzliches Verlieren des Lebens ist, was wir den zweiten oder geistigen Tod nennen wollen.

2. Im Hochmute hat alles Dienen ein Ende genommen und somit auch alle weitere Fort- und Ausbildung des Lebens. Wäre im hochmutsvollen Herrschen über die andern des Lebens Ausbildung bedungen, so würde von Mir sicher eine solche Ordnung getroffen sein, daß ein jeder Mensch irgendein unbeschränktes Recht zum Herrschen hätte; da aber das Meiner ewigen Ordnung zuwider ist, so muß ein jeder Mensch und Engel zum Dienen sich bequemen und am Ende eben im ewigen, stets mehr und ausgebreiteteren Dienen die größte Wonne und Seligkeit finden.

3. Ohne Dienen gibt es dann eigentlich gar kein Leben, keine haltbare Dauer desselben, kein Glück, keine Glückseligkeit und keine Liebe, keine Weisheit und keine Wonne des Lebens weder hier noch jenseits; und wer sich einen Himmel voll Dienstlosigkeit, voll Trägheit und voll müßiger Schwelgerei denkt, der irrt sich groß!

4. Denn ebendarum bekommen die seligsten Geister der höchsten Himmel eine Mir nahe gleiche Kraft und Gewalt, um Mir und allen Menschen hier schon auf dieser Lebensprobewelt desto gediegenere Dienste leisten zu können. Wozu würde ihnen sonst wohl der Besitz einer sogar schöpferischen Kraft und Gewalt dienlich sein?! Braucht man wohl zum Nichtstun eine Kraft und eine Weisheit?! Ist ihre Tätigkeit und Dienstleistung von einer für euch unbeschreibbaren Wichtigkeit für diese Erde schon, wie groß muß sie sein in ihrer Wichtigkeit für die Geisterwelt, und aus der für die ganze Unendlichkeit!

5. Ich kam ja auch nicht darum zu euch, um aus euch Müßiggänger zu zeihen oder euch bloß für den Ackerbau, für die Viehzucht und dergleichen mehreres zu bilden, sondern um aus euch tüchtige Arbeiter für den großen Weinberg der Himmel zu erziehen. Meine Lehre an euch alle ist dahin abgezielt, um fürs erste euch selbst im Gebiete eures inneren Lebens wahrhaft zu vollenden, und fürs zweite, daß ihr dann selbst als Lebensvollendete Mir schon hier und ganz besonders einstens drüben in Meinem Reiche die tüchtigsten und kräftigsten Arbeiter abgeben möchtet und sollet.

6. Würde dies nicht Meine Endabsicht sein, und Ich sagete zu euch: ,Seid nur hier tätig; einstens drüben in Meinem Reiche werdet ihr dann bei bestem Saus und Braus in alle Ewigkeit vollauf ruhen können und angaffen alle die Herrlichkeit Gottes!‘, so müßte Ich Selbst blöder sein als irgendein Blödester aus euch. Ja, ihr werdet wohl Gottes Herrlichkeiten ewig anzustaunen haben, aber ohne Tätigkeit nicht; denn an eurer Tätigkeit wird es ja eben liegen, die Wunder der Himmel zu mehren und sie stets herrlicher und göttlicher zu machen!

7. Ich will es, daß von nun an alle Meine Gedanken und Ideen durch euch, Meine Kindlein, erst ins vollste Werk gesetzt werden, hier schon für Seele, Herz und Geist eurer Brüder und Schwestern, und jenseits aber in alle die großen Wirklichkeiten von ihrer innersten geistigen Entstehungssphäre bis zu ihrer alleräußersten materiellen Ausbildung, und von da zur abermaligen Rückführung ins gemehrte, rein und selbständig geistige, vollendete Leben. Und dazu, Freunde, wird unendlich viel Zeit, Geduld und eine große Tätigkeit erforderlich sein und eine ebenso große und allumfassende Weisheit und Kraft!“

96. Kapitel. Einblick in die Schöpfungsgeheimnisse.

1. (Der Herr:) „Glaubet ja nicht, daß eine Welt, wie diese kleine Erde nur, von heute bis morgen erschaffen und auf ein mal bevölkert werden kann! Dazu gehören für eure Begriffe undenkbar viele Myriaden von Erdjahren. Welch eine für euch undenkbar lange Zeit gehört allein dazu, bis eine Welt zur Erkeimung eines Menschen reif wird! Wie viele Pflanzen- und Tiergattungen müssen zuvor der Erde Boden durch ihre Gärung und Verwesung gedüngt haben, bis sich auf ihrem Boden und in ihrem Pflanzen- und Tierweltsmoder jener Humus gebildet hat, aus dem eine erste kräftige Seele ihren Leib nehmen und ihn also einrichten konnte nach der göttlichen Ordnung, daß er ihr dienlich werden mußte und fähig zur Fortzeugung der gleichen Nachkommen, auf daß die fertigen und freien, aber noch unbeleibten Seelen nicht mehr jahrhundertelang sich aus den Dünsten einen Leib zusammenzuziehen notwendig haben, sondern denselben auf einem viel kürzeren Wege in einem schon mit allem dazu Nötigen vollkommenst ausgerüsteten Mutterleibe erzeugen.

2. Sehet, zu allem dem gehört viel Zeit und viel Weisheit, viel Geduld und eine unendliche Kraft! Da aber weder ihr und noch weniger Ich je werden zu denken und Ideen zu fassen aufhören, so geht das Erschaffen auch ewig fort; denn leer denken kann Ich und könnet auch ihr nicht! Wie der Gedanke aber einmal als ein Etwas empfunden wird, so muß er als eine Form dastehen; steht er aber einmal als Form da, so ist er auch schon geistig umhäutet, steht als Gegenstand lichtaufnahmefähig vor uns, ansonst wir ihn nicht als ein geformtes Etwas wahrnehmen könnten. Solange sonach Ich aus Mir denken und Ideen fassen werde und ihr aus Mir, so lange wird auch das Erschaffen unmöglich aufhören. An Raum wird die Unendlichkeit ewig nie einen Mangel leiden und uns nie eine Untätigkeitslangweile belästigen.

3. Wo es aber viel zu tun gibt, da gibt es auch viele Bedienstungen, je nach den Graden der Dienstfähigkeit derer, denen ein Amt zugemessen wird. Wer sich viele Eigenschaften in Meiner Ordnung erworben hat, der wird auch über vieles gesetzt werden; wer sich aber nur sehr wenige Eigenschaften erworben hat, der wird auch nur über sehr weniges gesetzt werden. Wer sich hier aber gar keine Fähigkeiten erwerben wird, der wird sicher dort so lange in aller Nacht schmachten und darben müssen, bis er sich durch seine inneren, freien und selbständigen Bestrebungen insoweit befähigt hat, um in irgendeinen auch nur allergeringsten Dienst zu treten. Versieht er den geringsten Dienst gut, so wird er schon in einen bedeutenderen gesetzt werden; versieht er ihn aber nur schlecht, so wird er bald auch das verlieren, was er sich mit seinen wennschon geringsten Fähigkeiten ganz leicht hätte erwerben können.

4. Wer da hat, dem wird noch mehr gegeben werden, daß er dann eine Fülle haben soll; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er schon hatte, und wieder wird Nacht, Finsternis, Hunger, Elend und allerlei Not sein Los sein so lange, bis er sich dazu bequemen wird, zuerst in sich selbst tätig zu werden, um dadurch zu irgendeiner weiteren Dienstfähigkeit zu gelangen.

5. Daher seid alle hier bestrebsam, und lasset euch nicht blenden von den Schätzen dieser Welt, die da vergehen werden wie die jetzige Materieform dieser ganzen dem Fleischauge sichtbaren Schöpfung; sammelt euch aber dafür desto mehr der geistigen Schätze, die für die ganze Ewigkeit dauern werden! Seid kluge Wirte und Haushälter im Hause eures Herzens; je mehr der Geistesschätze ihr durch allerlei gute Werke darin aufspeichern werdet, desto besser wird es euch drüben ergehen! Wer aber hier karget und filzet, der wird sich's dereinst nur selbst zuzuschreiben haben, wenn er seine Herzensvorratskammern nahezu völlig leer antreffen wird.

6. Hier ist's leicht sammeln; denn hier wird alles, was jemand tut im guten Willen aus Liebe zu Gott und zum Nächsten, als barstes und reinstes Gold angenommen; jenseits aber wird er alles mit dem reinsten Golde der inneren und pursten Selbsttätigkeit aus sich selbst und in sich selbst erwerben und bezahlen müssen. Und das, Meine Freunde, geht in jenem Reiche etwas schwer, wo es keine äußeren Gold- und Silberbergwerke gibt!

7. Hier könnet ihr aus dem gemeinsten Straßenkote Gold machen und euch den Himmel dafür erkaufen, so euer Herz in aller Wahrheit beim Kaufe dabei war; jenseits werdet ihr nur aus dem Edelsten das Edle in euch selbst erzeugen können, und dies wird noch schwerer sein, als hier aus den gemeinsten Kieseln Gold zu machen. Wer aber durch seine edlen und guten Werke hier schon eine Masse und große Menge Goldes erzeugt hat, der wird jenseits keinen Mangel daran haben; denn aus einem Sandkorne dieses geistig edlen Metalles wird jenseits ein weltengroßer Klumpen, und das gibt schon einen großen Vorrat.“

97. Kapitel. Die rechte Betätigung der Nächstenliebe.

1. (Der Herr:) „Aber Ich sehe nun in einigen von euch einen bösen Gedanken aufsteigen, den euch Satan geheim eingeflüstert hat! Der Gedanke aber lautet also: Euch hat es Mühe gekostet und viele Arbeit, daß ihr zu eurem Golde für euch und eure Nachkommen gekommen seid, und nun sollet ihr es vergeuden an solche, die in allerlei Trägheit ihr Leben verschleudert haben?! Lasset sie arbeiten und von euch ihr Brot verdienen, das ihr ihnen nach ihrem Verdienste stets nur karg zumessen möget! Wer nicht arbeiten kann und mag, der soll zugrunde gehen wie ein Hund auf offener Straße!

2. Oh, Ich sage es euch, das ist ein schlechter Gedanke, der euch eingegeben ward! Wie soll ein Blinder arbeiten? Und doch ist er euer Bruder, der dasselbe Recht zu leben hat wie ihr, die ihr sehet und höret und gerade Glieder habt. Wie sollen arme Greise und schwache Kinder verarmter Eltern arbeiten, denen dazu die nötige Kraft gebricht? Wie sollen Lahme und Krüppel arbeiten um euren Lohn, den ihr noch so karg als möglich zumessen wollet?

3. Wie sollen jene Menschen arbeiten, die von Tag zu Tag Arbeit suchen und nirgends eine finden? Denn zu wem sie kommen, der weist sie damit weiter, daß er derzeit keine Arbeit für sie habe. Und doch verweiset ihn euer böser Gedanke, Arbeit zu suchen, die er irgendwoanders ebensowenig wie bei euch finden kann. Aus dem Menschen wird endlich ein Bettler; den schmähet ihr dann und heißet ihn einen faulen Tagedieb. Aus einem andern wird ein Dieb; den fanget ihr wie ein reißendes Tier, mißhandelt ihn und werfet ihn dann erst in einen Kerker. Aus einem dritten wird gar ein Raubmörder oder zum wenigsten ein gefürchteter Straßenräuber. So ihr den fanget, wird er verurteilt, in einen Kerker geworfen und kurze Zeit darauf qualvoll getötet.

4. Sehet, das sind zumeist Erfolge eurer bösen Gedanken, die euch ganz geheim der Fürst der Finsternis eingehaucht hat zu allen Zeiten. Aber von nun an soll es nicht also sein! Solche Gedanken gehören der Hölle an, – aber in euren Gemütern sollen sie nimmer stattfinden.

5. Es wird nicht verlangt, daß ihr alle eure Habe darum an die Armen verteilen sollet, dieweil ihr Meine Jünger seid; aber weise Verwalter des euch anvertrauten Vermögens sollet ihr sein, auf daß ihr die unverschuldet Armen nicht darben und schmachten lassen möget, wenn sie vor eure Türe kommen!

6. Sehet an hier den Freund Ebahl aus Genezareth! Der hat, seit er ein Wirt ist, Tausende von allerlei einheimischen und auch weltfremden Armen beherbergt, und das nie mit Widerwillen oder mit einer Art Ängstlichkeit der Seinen wegen, – und doch ist sein Vermögen um nichts geschmälert worden! Er besitzt nun im Gegenteile so viele und große Erdenschätze, daß er sich dafür ein großes Königtum erkaufen könnte; aber er legt auf alle diese Schätze nur darum einen Wert, weil er dadurch um so mehr in den Stand gesetzt ist, noch mehr Armen kräftigst unter die Arme greifen zu können. Er denkt nicht an sein ganzes Haus und an seine Kinder nur so weit, daß sie alle in der Erkenntnis des einigen und allein wahren Gottes stark und kräftig werden; dafür aber sorge dann Ich für alles andere seines Hauses, und Ich stehe euch dafür, daß sein Haus an nichts je einen Mangel leiden wird!

7. Den Ängstlichen aber überlasse Ich die Sorge um ihr Haus und überschütte ihre Scheuer nimmer mit Weizen und Korn, und ihre Kelter soll nicht überfließen vom Weine. Ihrer Gärten Bäume sollen nicht strotzen vor Schwere Meines Segens, und ihre Teiche sollen nicht zu sehr getrübt werden vor zu großer Menge der edlen Fische, und ihre Herden sollen im Lande nicht die fettesten sein! Denn, wie her so auch hin, – und es ist nirgends zu erwarten ein zu großer Gewinn! Wer auf Mich schwach vertrauend baut, der soll auch ernten nach seinem Vertrauen! Ich werde jedermann geben nach seinem Vertrauen und nach seinem Glauben, der stets eine Frucht der Liebe zu Mir und zum Nächsten ist.

8. Seid darum stets und allzeit barmherzig, und ihr werdet dann auch bei Mir eben allzeit Barmherzigkeit finden! Wie ihr euch verhalten werdet gegen die armen Brüder und Schwestern, also werde auch Ich Mich verhalten gegen euch. Ich sage und rate es euch allen: Seid voll Dienstfertigkeit untereinander, überbietet euch im Wohltun, liebet euch wahrhaft untereinander, also wie auch Ich euch liebe, so werdet ihr aller Welt zeigen, daß ihr wahrhaft Meine Jünger und in eurem Geiste vollends Meine wahren Kinder seid.

9. Dies ist die Bestimmung aller Meiner Kinder, daß sie sich hier auf dieser Erde gleichfort üben sollen im einstigen großen Geschäfte in Meinen Himmeln; denn dort wird alles und allein nur die Liebe zu tun haben, und jede Weisheit, die nicht dem Flammenlichte der Liebe entstammt, wird in Meinen Himmeln für immer und ewig nie eine Aufnahme finden und ebenalso auch nichts zu tun bekommen!“

98. Kapitel. Von der Geldhilfe.

1. (Der Herr:) „Wer von euch viel des Geldes hat, der leihe es nicht stets denen, die ihm hohe und wucherische Zinsen und das Kapital zur bedungenen Zeit zurückbezahlen können, sondern auch den Armen, die ihm weder das Kapital noch die Zinsen zurückerstatten können, so wird er sein Geld bei Mir guthaben, und Ich werde ihm schon hier zehnfach und jenseits hundertfach Kapital und Zinsen zurückbezahlen. Wer aber sein Geld nur allein denen leiht, die ihm zur bedungenen Zeit Kapital und Zinsen zurückbezahlen können oder in gewissen Fällen durch gerichtlichen Zwang zurückzahlen müssen, der hat seinen Lohn schon hier ganz genommen und hat von Mir keinen mehr zu erwarten; denn er hat dadurch nicht Mir, sondern nur der Welt und sich selbst gedient.

2. Ihr werdet zwar sagen: ,So man jemand, der in einer Not steckt, auch ein Geld auf Zinsen leiht, so ist das ja auch eine Wohltat; denn der Entleiher hat sich dadurch geholfen, ist ein reicher Mann geworden und kann dann ja ganz leicht Kapital und Zinsen zurückerstatten! Denn der Darleiher hat ja doch wagen müssen, sein Geld im ungünstigen Spekulationsfalle zu verlieren! Da es aber dem Entleiher genützt hat, so kann darob ja doch kein Gott mit aller Seiner Weisheit Sich irgend aufhalten, wenn er, der Entleiher, dem Darleiher das Kapital samt den bedungenen Zinsen zurückbezahlt! Denn der Darleiher ist fürs erste ja auch ein Mensch, gegen den ein anderer dieselben Verpflichtungen hat wie er zu ihm, und fürs zweite kann das dargeliehene Geld ja des Darleihers ganze Habseligkeit sein, von der er also, wie der Landmann vom Grunde und Boden, leben muß! Läßt sich aber der Darleiher das dargeliehene Geld, wie auch die Zinsen davon, nicht zurückerstatten, wovon soll er dann leben? Oder kann es der Entleiher auch nur von ferne hin wünschen, das entliehene Geld zu behalten, indem er mit demselben doch sehr viel gewonnen hat und wohl wissen kann und muß, daß dies des gefälligen Darleihers einzige Habseligkeit ist?!‘

3. Dazu sage Ich: Jeder, der ein Geld hat, und ein Freund benötigt dessen und kommt und will ein Darlehen, so soll es ihm nicht vorenthalten werden. Wer es ihm darleiht gegen die gesetzlichen Zinsen, der hat an ihm schon ein gutes Werk vollbracht, das auch in den Himmeln seine Würdigung finden wird. Es ist aber ebenso die Pflicht des Entleihers, dem Darleiher nicht nur gewissenhaftest das Entliehene samt den bedungenen Zinsen zurückzuerstatten, sondern noch mehr; so er viel gewonnen hat, soll er auch aus freiem Herzensantriebe den Gewinn mit dem Darleiher teilen, da er ja doch nur mit dessen Gelde den Gewinn gemacht hat. Doch der Darleiher soll das nicht irgend verlangen! Das alles könnet ihr in aller Freundlichkeit tun, aber darum das andere nicht völlig fahren lassen!

4. Wenn aber zu dem, der ein Geld zum Ausleihen hat, ein ganz Armer kommt, von dem es nicht zu erwarten ist, daß er eine dargeliehene größere Summe ersprießlich und nutzbringend verwenden könnte oder möchte, da ist von Mir aus kein Mensch verpflichtet, solch einem Armen ein vom selben verlangtes Geld zu leihen, weil er auf diese Weise mutwillig sein Geld, ohne jemand damit wirklich genützt zu haben, gleichsam weggeworfen und dem armen Entleiher nur eine Gelegenheit bereitet hätte, durch die er sich zu allerlei Ausschweifungen angetrieben zu fühlen anfangen würde und je nach seiner Natur auch müßte. Solch ein Werk wäre sonach nicht besonders gut, im Gegenteile nur mehr, wennschon gerade nicht schlecht, so doch sehr dumm zu nennen, – was weder Meiner Liebe und noch weniger Meiner Weisheit angenehm sein könnte.

5. Ah, ganz was anderes wäre es, so ein armer Mann käme, von dem ihr wisset, daß er mit dem Gelde wohl umzugehen versteht und er nur durch widrige Zufälle arm geworden ist, und verlangte von euch ein Geld zu entleihen; dem sollet ihr es ja nicht vorenthalten, auch ohne Zinsen und ohne eine sichere Zuversicht, das dargeliehene Kapital je wiederzuerhalten! Hat der Mann das Geld gut verwendet, so wird er als euer Bruder schon auch wissen, was er danach zu tun haben wird; denn er hat dieselben Verpflichtungen gegen euch, wie ihr gegen ihn.

6. Sollte er das Entliehene jedoch nicht mehr zurückzuerstatten imstande sein, so sollet ihr ihm darum nicht gram werden oder euer Guthaben bei seinen Nachkommen suchen; denn dies wäre hart und gänzlich wider Meine Ordnung. Sind aber die Nachkommen, besonders die Kinder oder die ersten Enkel, zu einem Vermögen gekommen, so werden sie sehr wohl und Mir wohlgefällig daran tun, jene Schuld zu tilgen, die ihr armer Vater oder Großvater bei einem Menschenfreunde gemacht hat. Geschieht das, so wird der Menschenfreund dann aber auch schon wissen, was er mit solch einem Gelde aus Liebe zu Mir und zum Nächsten zu tun haben wird!

7. Wenn Ich demnach sage, daß ihr euer Geld auch denen leihen sollet, die es euch nicht zurückerstatten können, so will Ich damit nur eben das sagen, daß ihr mit eurem Geld oder sonstigen Vorrat eben also euch gebaren sollet, wie Ich es euch nun angezeigt habe; was darunter oder darüber ist, wäre entweder dumm oder von bedeutendem Übel, also eine grobe Sünde wider die wahre Nächstenliebe!“

99. Kapitel. Vom rechten und vom falschen Dienen.

1. (Der Herr:) „Dienen heißt demnach das große Losungswort durch alle Sphären der Unendlichkeit, im großen Reiche der Natur sowohl, als auch im endlosen Reiche der Geister!

2. Auch der Hölle arge Bewohner verstehen sich darauf, – nur mit dem gewaltigen Unterschiede von der Dienerei der Bewohner der Himmel: In der Hölle will im Grunde jeder bedient sein; und dient schon einer dem andern, so ist das bloß eine Augendienerei, also ein allzeit höchst selbstliebig interessierter Scheindienst, wodurch einer den andern täuschen will, um ihn bei einer günstigen Gelegenheit desto sicherer unter seine Krallen zu bekommen und aus seinem Falle Vorteile für sich zu ziehen.

3. Ein höllisches Gemüt hebt seinen Oberen gerade aus der Ursache in die Höhe, aus der es am Ufer des Meeres eine gewisse Gattung der Geier mit den Schildkröten macht. Ein solcher dienstbarer Geier ersieht eine Schildkröte in einem Sumpfe herumwaten. Die Kröte bemüht sich, aufs Land zu kommen, um Kräuter zur Stillung ihres Hungers zu suchen. Der fleischlüsterne Geier erweist ihr den Gefallen, hebt sie vorerst aus dem Sumpfe und setzt sie aufs trockene, kräuterreiche Land. Da fängt die Kröte bald an, sich mit dem Suchen der ihr dienenden Kräuter abzugeben. Der Geier sieht ihr eine Weile zu und macht bloß ganz leise Versuche, wie hart etwa ihre Schale ist. Da aber sein scharfer Schnabel von der Schale kein Stück Fleisches herauszwacken kann, so läßt er die arme Kröte so lange ganz ruhig weiden, bis sie furchtloser und kecker ihren Kopf aus der Schale, nach den Kräutern gierend, herausstreckt.

4. Wie der Geier solches Zutrauen bei der Kröte merkt, packt er mit seinen Krallen den weichen, fleischigen Kopf, hebt dann die Kröte hoch in die Luft und trägt sie dahin, wo er unten auf der Erde einen steinigen Grund merkt. Dort läßt er die so hoch emporgehobene Kröte los, und da beginnt ihr tödlicher Fall. Auf hartem Steinboden pfeilschnell anlangend, zerschellt sie in Stücke, und der Geier, der leichten Fluges sein fallend Opfer ebenso pfeilschnell begleitet hatte, ist dann auch schnell bei der Hand und fängt nun an, den Lohn seines früheren Diensteifers zu sich zu nehmen und damit seinen stets hungrigen Magen vollzustopfen. – Da habt ihr ein treues Naturbild des höllischen Diensteifers!

5. Es ist dies wohl auch ein Dienen, aber ein höchst eigennütziges, und sonach ist jeder irgend mehr oder weniger eigennützige Dienst, den sich die Menschen gegenseitig erweisen, auch stets mehr oder weniger mit der Dienerei der Hölle verwandt und kann, insoweit er mit der Hölle verwandt ist, unmöglich einen Wert vor Mir und allen Meinen Himmeln haben. Nur ein rein uneigennütziger Dienst ist auch ein wahrer und somit auch ein rein himmlischer Dienst und hat vor Mir und vor allen Meinen Himmeln allein einen wahren und vollkommenen Wert.

6. Wenn ihr euch sonach gegenseitig dienet, da dienet euch in Liebe und wahrer Brüderlichkeit, wie solches in den Himmeln gang und gäbe ist! Wenn jemand einen Dienst von euch sich erbittet, so verrichtet denselben in aller Freudigkeit und Liebe, und fraget den Dienstbieter nicht vor der Dienstleistung um den Lohn; denn solches tun auch die Heiden, die den wahren Vater im Himmel nicht kennen und ihre Sitten mehr von den Tieren denn von einem Gotte genommen haben! Beweise für das liefern noch bis auf den heutigen Tag die alten Ägypter, deren erster, sie zu einigem Nachdenken nötigender Schulmeister ein Stier war, dem sie darum auch bis auf diesen Tag eine göttliche Verehrung erweisen.

7. So dir aber jemand einen guten Dienst erwiesen hat, da sollst du dann aber auch nicht fragen und sagen: ,Freund, was schulde ich dir?‘, sondern du sollst den dir gut geleisteten Dienst deinem Freunde aus aller Liebe und Freudigkeit deines Herzens nach deinen Kräften bestens belohnen! Wird der, welcher dir den guten Dienst erwiesen hat, dessen gewahr, so wird er dich umarmen und sagen: ,Edler Freund, sieh, einen nur sehr kleinen Dienst habe ich dir geleistet, und du belohnst mich dafür so groß! Sieh, ein Zehnteil davon ist mehr denn übergenug, und selbst den nehme ich nur als einen Beweis deines mir so teuren Bruderherzens an!‘

8. Wenn der Dienstleister also zu seinem Dienstherrn reden wird aus dem wahren und lebenstiefen Gefühlsgrunde, werden da der Diener wie der Dienstgeber nicht sogleich zu wahren Himmelsbrüdern werden?! Ganz sicher, und es wird eben dadurch das wahre Reich Gottes zu euch kommen und euch himmlisch beherrschen mit dem Zepter des Lichtes und aller Gnade.“

100. Kapitel. Die Lehre Mosis und die Lehre Jesu.

1. (Der Herr:) „Oh, es genügt lange nicht, nur zu wissen und zu glauben, was nach der Ordnung Gottes und aller Himmel gut, recht und wahr ist, sondern handeln muß man danach in aller Liebe und Freudigkeit des Herzens, dann erst kommt das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit wahrhaft unter euch Menschen und macht euch also erst zu den wahren Kindern Gottes!

2. Was würde jemandem aber auch nützen alle Einsicht und Erkenntnis, er täte aber nicht danach, sondern bliebe bei der altgewohnten Weltsitte?! Gliche der nicht einem törichten Menschen, der einen Palast zum reinen Geschenke bekommen hat, daß er denselben bewohne mit den Seinen in großer Ruhe und aller Bequemlichkeit?! Dieser Mensch hätte zwar eine große Freude an des Palastes herrlichsten und bequemsten Einrichtungen; aber er ist des höchst unbequemen Wohnens in seiner alten, schmalen und unreinen Hütte von Jugend an gewohnt und bleibt trotz der Einsicht des Guten und überaus Zweckmäßigen des herrlichen und überaus geräumigen Palastes dennoch in der feuchten, ungesunden und höchst unbequemen Hütte mit den Seinigen und klagt aber in einem fort über die großen Mängel seiner engen Behausung!

3. Ja, wenn so ein Mensch nicht ein Narr ist, so ist doch kein Narr in dieser Welt! Aber ein noch bei weitem größerer Narr ist der, welcher Meine Lehre hat und sie als ewig wahr erkennt, dabei aber in all seinem Handeln dennoch stets ein alter Jochochse verbleibt!

4. Ich sage es euch allen: Gar sanft ist Mein euch an den Dienstnacken gelegtes Joch und überaus leicht die euch zum Tragen auferlegte Bürde. Wer sie tragen wird, wird eine leichte Mühe haben. Wer sie aber nicht tragen wird, der wird es sich nur selbst zuzuschreiben haben, so es ihm schlecht und bitter und jämmerlich ergehen wird. Erweiset euch gegenseitig eine rechte Liebe, so werdet ihr auf sanften und überweichen Kissen ruhen! Wollet ihr aber lieber Steine unter euren Häuptern haben, so möget ihr sie auch haben; aber dann klage am Morgen des Lebens ja niemand, daß sein Haupt auf dem Steine wund und schmerzhaft geworden sei!

5. So du einen treuen Diener hast und einen ungetreuen, bist du nicht ein riesenhafter Esel, so du den treuen Diener darum von dir entfernest, weil er um vieles kürzer in deinem Hause ist als jener echte, alte Spitzbube, der dich noch bei jeder Gelegenheit nach aller deiner Länge und Breite betrogen hat?! Darum muß von euch alle Altdienerei ganz verschwinden; denn sie taugt nicht zur reinen Lehre aus dem Himmel, und diese Lehre ist nicht nur so ein neuer Lappen zum Ausstopfen eines alten, ganz zerrissenen Rockes, sondern sie ist für sich ein ganz neues, fertiges Kleid, dem der alte, schlechte Rock ganz Platz machen muß!

6. Ich aber verstehe unter dem alten Rocke ja nicht etwa Moses und die Propheten – denn diese sind ein reinstes Gold aus den Himmeln –, sondern eure Menschensatzungen verstehe Ich unter dem Bilde des alten, zerrissenen Rockes. Aus diesen und aus den Satzungen des Tempels ist nichts mehr zu machen; denn setzte man da auch irgendeinen ganz neuen Fleck auf einen weitklaffenden Riß, so könnte man ihn doch nicht annähen, weil des alten Rockes zu morsch gewordener Stoff keinen Stich mehr halten würde.

7. Moses hat zwar für die damalige Zeit eine Verfassung für den ganzen Haushalt und für alle Bedürfnisse und Nöte der Menschheit dem israelitischen Volke gegeben; diese wurde aber schon ganz entstellt, und taugte auch als unentstellt zu dieser Meiner Lehre nicht mehr. Denn so man pflügt, kann man nicht Ernte halten; so aber das gesäte Weizenkorn reif geworden ist, da dinget man Schnitter, und dann taugt der Pflug nicht unter den Schnittern. Moses hat gepflügt, die Propheten haben gesät, und nun ist die Schnitt- und Erntezeit herbeigekommen, in der man Moses mit dem Pfluge in der Hand nicht mehr brauchen kann. Wir werden nun wohl Ernte halten und bringen in unsere Scheuern, was da nur immer reif ist; aber nach der Ernte wird euch wieder der Pflug Mosis in die Hände gegeben werden zum neuen Auflockern des Erdreichs und zur neuen Ansaat eines reinsten Weizens aus den Himmeln, und es werden da Hüter bestellt werden, die da wohl achthaben werden, daß kein Feind komme und Unkraut säe unter den reinsten Weizen!“

101. Kapitel. Das Unkraut unter dem Weizen.

1. (Der Herr:) „Wohl wird die Erde neu bebaut werden, wohl wird der reinste Same in die frischen Furchen gestreut werden, und es werden Hüter bewachen den Acker, – aber dennoch erschaue Ich schon eine Menge Unkrautes unter dem neuen Weizen! Wie kommt das unter den Weizen?

2. Ja sehet, das ist eine Sünde der Hüter! Sie schliefen ein, als die Nacht kam; denn sie dachten und sagten: ,Wer wird es wagen, so wir den Acker umstellt halten?!‘

3. Aber als sie schliefen, schlich sich der Feind auf den Acker und streute schnell seinen bösen Samen über den Acker.

4. Und als morgens die Hüter merkten, daß unter dem Weizen auch eine Menge Unkrautes zum Vorscheine gekommen ist, eilten sie freilich zum Herrn und sagten: ,Herr! Den reinsten Weizen, wie du ihn uns gegeben hast, haben wir in den ebenso lautern Erdboden gesät und hüteten wohl den schönsten Acker; aber was nützte all das?! Nun kam denn doch der Feind, irgend heimlich von uns unbemerkt, und hat viel Unkrautes unter den Weizen gestreut! Es geht nun wucherisch auf! Sollen wir es ausjäten oder wachsen lassen?‘

5. Was wohl wird der Herr ihnen zur Antwort geben? Ich sage es euch, daß er also reden wird: ,Dieweil ihr nicht wach geblieben seid zur Zeit der Nacht, die da ist eine Lebensprobe für jeden Menschen, so hatte der Fürst der Finsternis ja doch ein leichtes Spiel, sein Unkraut unter meinen Weizen zu säen! Lasset aber nun beides wachsen bis zur Zeit der Neuernte; da werden wir den Schnittern sagen: ,Sammelt zuerst den Weizen und bringet ihn in meine Scheuern, und darauf aber sammelt auch das Unkraut und bindet es in Bündel und machet ein Feuer und verbrennet alle Unkrautbündel, auf daß dessen Same nicht von neuem in die Erde komme und sie verunreinige!‘‘

6. Ihr fraget nun emsig in euren Herzen und saget: ,Wie so, wie das, wie soll man das verstehen?‘

7. Und Ich sage euch, daß dies gar leicht zu verstehen ist. Der Acker ist gleich den Herzen der Menschen dieser Erde; der reinste Weizen ist Meine Lehre; der Pflüger und Säer bin nun Ich Selbst und ihr mit Mir. Die bestellten Hüter seid auch ihr und die, die ihr in Meinem Namen bestellen werdet. Der Herr bin Ich, und Meine Scheuern sind die Himmel. Satan aber ist der Feind, und sein Unkraut ist die arge Welt mit all ihren bösen und todbringenden Gelüsten. Die neu bestellten Schnitter sind jene Boten, die Ich zu seiner Zeit neu aus den Himmeln erwecken und senden werde, zu sammeln den Weizen und zu verbrennen all das böse Unkraut, damit es fürder nicht mehr so leicht verunreinige den Acker und den Weizen. – Nun, werdet ihr das wahre Bild etwa wohl verstehen?

8. ,Ja‘, saget ihr, ,nun verstehen wir es wohl! Aber Du, o Herr, könntest mit Deiner Allmacht und Allweisheit ja doch leicht verhüten, daß fürder, wenn uns auch manchmal in der Lebensprobenacht ein wenig Schlaf käme, der Feind nicht kommt und seinen bösen Samen streut unter den reinsten Weizen!‘

9. Und Ich sage darauf: ,Meine Allmacht kann und darf da nichts zu tun haben, wo sich in Meinen Kindern ein freies Leben entfalten soll. Da kann Ich Selbst jemandem nicht mehr tun, als ihr euch untereinander. Ich gebe euch den Acker, den Pflug, den Weizen, und bestelle die Schnitter; aber arbeiten müßt ihr dann selbst! Und arbeitet ihr recht, und gebricht es euch irgend an der nötigen Kraft, so wisset ihr nun schon, daß Ich euch damit allzeit ausrüsten werde, so ihr Mich darum angehen werdet in euren Herzen, und ihr werdet dann mit erneuter Kraft gut arbeiten haben; aber für euch arbeiten kann und darf Ich ewig nicht! Und würde Ich das, so hättet ihr für die Freiheit und Selbständigkeit eures Lebens keinen Nutzen; denn da wäret ihr pure Maschinen, aber ewig keine freien, aus sich heraus lebenden, denkenden und handelnden Menschen!‘

10. Aus dem allem muß es euch nun vollauf klar werden, daß das gegenseitige Dienen nach Meiner nunmaligen Lehre die Hauptbedingung alles Lebens ist! – Verstehet nun dieses alles wohl!“

11. Sagt Cyrenius: „Herr, Du allein Wahrhaftigster in Ewigkeit, Dir ist niemand gleich! Deine Worte sind klar, sind Wahrheit und Leben! Ich fange nun erst an zu leben, und es kommt mir vor, als wäre ich nun erst so recht aus einem tiefsten Schlafe erweckt worden. Also, wie Du, o Herr, nun geredet hast, kann ja nur ein Gott und kein Mensch reden, weil kein Mensch wissen kann, was in ihm ist, und was ihn belebt, und wie er das Leben fruchtbringend kultivieren soll! Wir, o Herr, sind nun wohl versorgt und verwahrt von Dir aus unmittelbar für ewig; aber die nach uns kommen werden, werden bei allem Diensteifer vielleicht schon mit allerlei Unkraut auf Deinem Acker mitten unter dem herrlichsten Weizen sehr zu kämpfen bekommen! Doch was da steht in meiner Macht, so soll es der Hölle ein gar so leichtes nicht werden, ihr Unkraut dem Acker einzustreuen, den Du uns nun gezeigt hast!

12. Aber nun möchte ich denn doch auch noch aus Deinem Munde erfahren, wie denn die Hölle und ihr Fürst bei den Menschen einwirken! Wie bringen sie ihr Unkraut auf den Acker der Himmel?“

102. Kapitel. Gedanken und ihre Verwirklichung.

1. Sage Ich: „Nichts leichter als das! Ich habe es euch schon gezeigt, wie ein jeder Mensch durch den Weg des Gesetzes wandeln muß, so er zur Freiheit und zur Selbständigkeit seines Seins und Lebens gelangen will. Wenn aber ein Gesetz besteht, das dem Menschen wie von außen her gegeben wird, so muß ja auch eine Anreizung im Menschen sein, dasselbe noch leichter und freudiger, wenn auch nur für den Moment, zu übertreten, als es ganz strenge zu halten. Also wurden vor aller materiellen Schöpfung Geister von Mir aus ins Dasein gerufen, was und wie Ich es euch schon also gezeiget habe, daß ihr es habt verstehen und begreifen müssen; denn ihr selbst beachtet heutzutage, so ihr etwas schaffet, ganz dieselbe Ordnung.

2. Zuerst fasset ihr allerlei Gedanken; aus diesen bildet ihr dann Ideen und Formen. Habt ihr einmal aus den Gedanken und Ideen eine bestimmte Form entwickelt, so wird diese durch den Willen, daß sie bleibe, umhäutet. Ist sie einmal das, so bleibt sie schon in einem geistigen Sein ganz unverwüstbar, und ihr werdet euch ihrer allzeit bildsam gegenwärtig, sooft ihr derselben nur immer gegenwärtig werden wollet. Je länger ihr aber eine derartig geformte Idee in euch schon als einen förmlichen Gegenstand betrachtet, desto mehr Neigung fasset ihr zu der geformten und geistig umhäuteten Idee; es erwacht in euch Liebe zu dieser geistigen Form. Die Liebe zu ihr nimmt zu, es flammet in eurem Herzen für sie, und durch die Lebenswärme und durch das Licht aus der Liebesflamme wird die nun stets bestimmter geformte Idee in sich selbst mehr und mehr ausgebildet, vollständiger, schöner, und ihr fanget an, aus ihrer stets größeren Vervollständigung allerlei Nutzbarkeiten zu entdecken und Entschlüsse zu fassen, die nun stets mehr ausgebildete Idee in ein äußeres Werk zu setzen und zu übertragen.

3. Anfangs machet ihr auf dem Pergamente Zeichnungen, und das so lange, bis die Zeichnung vollähnlich dem schon ausgebildeten Geistbilde in euch wird. Findet ihr an der Zeichnung gegenüber dem Geistbilde in euch nichts mehr auszustellen, so beratet ihr euch mit Sachverständigen, wie dieses ins wirkliche materielle Werk umzugestalten und zu verwandeln wäre. Und die Sachverständigen denken nach, finden sich in der aufgestellten Idee bald zurecht und sagen: ,Dieses und jenes brauchen wir dafür, eine Zeit von ein paar Jahren, und soundsoviel wird es kosten!‘ Ihr machet dann einen Kontrakt, das Werk wird begonnen, und in ein paar Jahren steht eure Idee zur Ansicht, Bewunderung und Benutzung vor euch und Tausenden von anderen Menschen.

4. Sehet, also erschaffet ihr eure Häuser, Geräte, Städte, Burgen, Schiffe und noch tausenderlei andere Dinge! Und ebenalso erschaffe Ich auch die Himmel, die Welten und alles, was diese fassen und tragen. Freilich wird zur Erschaffung einer Welt mehr Zeit erfordert, als ihr da derselben bedürfet, um eine Hütte, ein Haus oder sonst etwas aufzubauen; denn ihr habt schon die fertige Materie vor euch, – Ich aber muß die Materie erst schaffen und sie nehmen aus der unwandelbarsten Festigkeit Meines Willens.

5. Ich könnte irgendeine Materie auch wohl augenblicklich herstellen, ja sogar ein ganzes Weltenheer in einem Moment ins Dasein rufen; aber solch eine Welt würde eben darum schwer einen haltbaren Bestand haben, weil sie von Mir früher zu wenig genährt worden ist bis zu ihrer Vollreife. Ist aber eine große Weltenidee bei Mir einmal gehörig ausgereift und genährt worden durch Meine Liebe und Weisheit, so wird sie dann auch stets mehr und mehr an Intensität gewinnen und wird dadurch stets mehr und mehr bestandfähig.

6. Ist es ja doch auch bei euch also, wo ihr schon mit der fertigen Materie zu tun habt! Ein Haus, das ihr zur Not innerhalb eines Tages erbaut habt, wird wahrlich keinem Jahrhundert und noch weniger einem Jahrtausend trotzen! Aber bei Bauten, vor deren Beginne ihr einmal die geformte Idee in euch in einer längeren Zeit habt vollauf ausreifen lassen und dabei erst selbst aus dem Widerstrahlen eurer Idee ins stets klarere gekommen seid, was da alles dazu erfordert wird, um eine solche Form in ein möglichst dauerhaftes und vollendetstes werkhaftes Dasein umzugestalten, da werdet ihr auch etwas Dauerhaftes aufstellen gleich den Pyramiden, die bis jetzt schon, allen gebildeten Sterblichen bekannt, nahe zweitausend Jahre stehen und allen Stürmen trotzen und noch mehr als viermal solange stehen werden, kaum von außen her ein wenig verwittert.

7. Hätten die alten Pharaonen nicht lange genug nachgedacht, solche Gebäude als Bewahranstalten für ihre Geheimkünste und Wissenschaften zu erbauen, die der Zahn der Zeit Jahrtausende hindurch nicht zerstören solle, so ständen diese Pyramiden nimmer als Denkmäler der Urbaukunst; aber weil die Erbauer zuvor ihre einmal gefaßte und in eine volle Form übergegangene Idee jahrelang genährt und auf diese Weise zu einer Reife gebracht haben, so ist es denn auch begreiflich, warum ihre in die Materie übersetzte Idee noch heute den Wanderer mit Staunen erfüllt.

8. In der Folge lernten die Menschen zwar recht schnell denken und konnten aus der Summe ihrer Gedanken schnell eine Idee entwickeln, die manchmal sogar sehr kompliziert war, auch zumeist ins Werk gesetzt ward; aber da die Idee bald und leicht entwickelt war, so wurde sie auch bald und leicht ins Werk gesetzt. Das Werk selbst aber war darum auch ein leichtes und der zu geringen Vorreife der Idee wegen ein bald vergängliches. Kurz, alles Leichte bleibt leicht, und alles Schwere bleibt schwer!“

103. Kapitel. Die Entwicklung der Materie.

1. (Der Herr:) „Als Ich im Voranfange die Geister als Meine reifgewordenen Ideen aus Mir hinausstellte und sie erfüllte mit Meiner Kraft also, daß sie selbst zu denken und zu wollen begannen, da mußte ihnen denn auch eine Ordnung gezeigt werden, nach der sie zu denken, zu wollen und endlich zu handeln haben sollten. Mit dieser angezeigten und gegebenen Ordnung mußte aber auch der Reiz zur Nichthaltung der gegebenen Ordnung in diese ersten Wesen gelegt werden, ansonst sie von ihrem Wollen nie irgendeinen Gebrauch zu machen imstande gewesen wären. Der in sie gelegte Reiz brachte in ihnen erst eine wahre Lebensregung zustande, der zufolge sie zu schließen, zu wählen, fest zu wollen und zu handeln begannen.

2. Es ist, so man das weiß, dann endlich ganz leicht zu begreifen, daß schon in den erstgeschaffenen Geistern ein gewisses Unkraut sich zu zeigen anfangen mußte, weil der Reiz gar viele der ersten Geister aus der Ordnung hob und sie im stets mächtiger werdenden Widerstreben am Ende verhärten mußten und auf diese Weise den Grund zur materiellen Weltenschöpfung boten.

3. Zuerst wurden Hauptzentralsonnen, und aus ihnen wurden endlich alle zahllosen anderen Sonnen und Weltkörper und mit diesen jedes und alles andere, was ihr auf, über und in ihnen entdecket und findet.

4. Alles, was nun Materie ist und heißt, war dereinst Geistiges, das da freiwillig aus der guten Ordnung aus Gott getreten ist, sich in den verkehrten Anreizungen begründete und in selben verhärtete, was dann die Materie bildete und ausmachte. Die Materie selbst ist demnach nichts anderes als ein gerichtetes und aus sich selbst verhärtetes Geistiges; noch deutlicher gesprochen, ist sie eine allergröbste und schwerste Umhäutung oder Umhülsung des Geistigen.

5. Das Geistige aber kann mit all der noch so harten und groben Umhülsung nie selbst zur vollkommenen Materie werden, sondern lebt und besteht in der Materie, welcher Art sie auch sei, fort. Ist die Materie sehr hart, so ist das geistige Leben in ihr auch sehr geknebelt und kann sich nicht irgend weiter äußern und entfalten, so ihm nicht irgendeine Hilfe von außen her gegeben wird.

6. Im harten Gesteine kann das Leben erst dann zu einer Äußerung gelangen, wenn der Stein in langer Zeitenreihe von Regen, Schnee, Tau, Hagel, Blitz und noch anderen Elementen erweicht und stets morscher und morscher wird. Dadurch entfleucht dann etwas Leben als Äther in die Luft, ein Teil bildet sich eine neue und leichtere Umhülsung, anfangs in der Form der zarten Schimmel- und dann Moospflanzen; aber für die Dauer mit dieser Umhülsung unzufrieden, ergreift sich das freiere Leben und schafft sich alsbald eine neue Umhülsung, in der es sich freier und selbständiger bewegen kann.

7. Solange die neue Umhülsung zart und weich ist, befindet sich das gefangene Geistige ganz wohl und verlangt nichts Besseres. Aber die anfangs ganz zarte Umhülsung wird durch die innere Tätigkeit der Geister, die nun stets mehr und mehr alles sie drückende Materielle zur Seite schaffen, auch wieder härter und gröber; daher trachtet das geistige Leben nach aufwärts, bildet dadurch des Grases Halm und im weitern Verfolge des Baumes Stamm und sucht sich durch gemachte und stets enger gezogene Ringe und Einschnitte vor der von unten her nachstrebenden stets größeren Verhärtung zu schützen. Aber da aus dieser Tätigkeit am Ende doch keine Rettung vor dem gänzlichen Erstarren zu erwarten ist, so verengern sie den untern Stamm soviel als nur möglich und ergreifen die weitere Flucht in kleine Zweiglein, Fäden, Blätter, Härchen und endlich in die Blüte; weil aber auch alles das in kurzer Zeit wieder härter und härter wird und die Geister zum größten Teile sehen, daß ihr ganzes Mühen ein vergebliches ist, so fangen sie bald gewisserart sich einzupuppen an und verwahren sich in Hülschen, die sie recht fest mit einer ihnen entsprechenden bessern Materie umlagern.

8. Dadurch entstehen dann allerlei Samen und Früchte. Aber der am meisten selbstsüchtige Teil des in einer Pflanze freier gewordenen Lebens gewinnt nicht viel; denn das, was sich in eine feste Keimhülse einschloß, muß so oft denselben Weg durchmachen, als wie oft der Same in die feuchte und lebensgesättigte Erde kommt. Der andere, mehr geduldige Lebensteil, der sich's gefallen ließ, in der unteren Materie als Schildwache und als Träger des eifrigsten, furchtsamsten und ungeduldigsten Lebens zu verbleiben, verwest bald und geht bald in eine noch höhere und freiere Lebenssphäre über, umhäutet sich zwar noch immer, aber gewöhnlich schon mit einer ihm entsprechenden Tierform; und was da als Frucht von Tieren und gar Menschen verzehrt ward, wird dem gröberen Teile nach zur Bildung und Nahrung des Fleisches verwendet, und dem edleren Teile nach wird es zum nervenstärkenden und belebenden Geiste, und der ganz edle Teil wird zur Seelensubstanz.“

104. Kapitel. Die Selbstsucht als Ursache der Materie.

1. (Der Herr:) „Wenn ihr nun diesen Fortgang ein wenig näher betrachtet, so wird es euch wahrlich nicht schwer werden, in richtiger Wahrheitstiefe zu erkennen, woher das Unkraut auf den reinen Acker des Lebens kommt.

2. Alles, was Welt und Materie heißt, ist ein Verkehrtes, der wahren, geistigen Ordnung aus Gott stets und notwendig Widerstrebendes, weil es ursprünglich als eine Gegenreizung zum Erwecken des freien Willens in der belebten und als Selbstwesen aus Gott hinausgestellten und wohlgeformten Idee in sie gelegt werden mußte, und ist darum als das wahre Unkraut auf dem allein wahren und geistreinen Lebensacker anzusehen.

3. Ist das Unkraut ursprünglich auch eine Notwendigkeit zur Konstatierung eines völlig freien, geistigen Lebens, so muß es aber endlich von dem frei geschaffenen Menschwesen doch als solches erkannt und freiwillig hinausgeschafft werden, weil es mit demselben unmöglich fortbestehen kann. Es ist wohl ein notwendiges Mittel zum Zwecke, kann aber nie mit dem Zwecke selbst eins werden.

4. Das Netz ist auch ein notwendiges Mittel zum Fange der Fische; aber wer wird es darum ins Wasser tauchen, um es statt der Fische um seiner selbst willen wieder herauszuziehen, es dann am Feuer zu rösten und als eine Speise zu genießen?! Das Netz ist also nur zum Fange der Fische notwendig; und hat man damit die Fische aus dem Wasser gehoben und sie in die Speisekammer gebracht, so legt man das Netz weg und benutzt den damit gemachten Gewinn.

5. Es muß sonach ja der Reiz zum Übertreten des Gebotes dasein; denn er ist ein Wecker des Erkenntnisvermögens und ein Wecker des freien Willens. Er erfüllt die Seele mit Lust und Freude auf so lange, als sie den Reiz gar wohl erkennt, ihm aber nicht huldigt, sondern ihn stets mit demselben freien Willen bekämpft, der eben durch den Reiz in ihr erweckt und belebt wurde, und die freie Seele gebraucht ihn dann als ein Mittel, nicht aber als einen in ihm erreichten Zweck.

6. Der Schlauch ist ja doch nie der Wein selbst, sondern nur ein Gefäß für die Erhaltung des Weines. Wer wird aber so dumm sein und möchte des reizenden Geruches wegen gleich in den Schlauch sich verbeißen und ihn beschädigen, da er doch wissen kann, daß er den Schlauch nur an der rechten Stelle zu öffnen hat, um den puren Wein aus dem Schlauche zu bekommen?!

7. Das Unkraut oder der Reiz zum Übertreten des Gesetzes ist daher ein Untergeordnetes und darf nie und nimmer zu einer Hauptsache werden; wer immer das höchst Untergeordnete zur Hauptsache macht, der gleicht einem Narren, der sich mit den Töpfen, in denen gute Speisen gekocht werden, sättigen will, die Speisen aber wegwirft!

8. Worin aber besteht das Unkraut, durch dessen Verwesung das Leben gedüngt werden soll? Welche Namen hat denn hernach der in die belebte Form gelegte gegengesetzliche Reiz? Er heißt Eigenliebe, Selbstsucht, Hochmut und am Ende Herrschsucht. Durch die Eigenliebe geht die belebte Form zwar in sich, aber mit einer Habgier, alles in sich zwar aufzunehmen, aber es dann in sich für immer also zu verschließen und zu verwahren, daß es da nie außer sich jemandem zugute kommen solle, und das aus Furcht, ja selbst nie in irgendeinen Mangel zu geraten! Durch solches In-sich-selbst-Verschließen alles dessen, was es von der alles ernährenden und erhaltenden Gottesordnung stets in sich aufnimmt, muß in dem Wesen eine stets wachsende Verdichtung entstehen und eine gewisse zeitweilige Gediegenheit und Präpotenz und dadurch ein besonderes Wohlgefallen an sich selbst, – und das ist im vollwahren Sinne des Wortes und der Bedeutung nach die Selbstsucht, die ihr Selbst als etwas fühlbar Vollgewichtiges über jedes andere Selbst mit aller Kraft und Gewalt zu erheben bemüht ist durch alle ihr zu Diensten stehenden Mittel, und wären sie schon gleich auch von der allerschlechtesten Art.

9. Hat die Selbstsucht das, was sie wollte, erreicht, dann erhebt sie sich über alles ihr Ähnliche und blickt gewisserart wonnetrunken auf alles mit einer Verachtung herab; und diese Verachtung gleicht dem Ekel eines überfüllten Magens gegen vor ihm stehende Speisen und ist dann das, was man den Hochmut nennt. Darin ist schon sehr viel Materie und ein ganzes Feld voll des schlechtesten Unkrautes.

10. Der Hochmut aber ist in sich selbst von der größten Unzufriedenheit, weil er noch immer die Wahrnehmung macht, daß ihm noch immer nicht alles zu Diensten steht, wie er es haben möchte. Er prüft nun alle seine Mittel und sonstigen Kräfte und findet, daß er sich alles dienstfertig machen könnte, so er politischermaßen einen Flotten und Freigebigen spielen würde. Gedacht, geprüft und getan! Da es der Hungernden stets mehr gibt als der Gesättigten, so hat der flott gewordene Hochmut ein ganz leichtes Spiel. Bald sammeln sich alle die hungernden Kleinkräfte um ihn und lassen über sich ganz strenge gebieten, weil nun auch sie von dem Reichtume des Hochmutes etwas zu schnappen bekommen. Sie gehorchen nun schon sklavisch dem Hochmute, vermehren dadurch seine Kraft, und der Hochmut trachtet nun schon gleich, sehr vieles oder lieber alles sich dienst- und zinsbar zu machen. Und dies unersättliche Trachten ist dann das, was man im wahrsten Sinne die allerverderblichste Herrschsucht nennt, in der keine Liebe mehr waltet.

11. In solcher Herrschsucht aber spricht sich dann schon die allerdickste Materie aus; mit ihr ist ein ganz zu Granit verhärteter Planet mit allen möglichen bösen Elementen allerbestens versehen. Daß aber die Herrschsucht und mit ihr die wirkliche Herrscherei der allerdichtesten Materie gleich ist, beweisen die überaus festen Burgen und Festungen, hinter denen sich die Herrscher verschanzen. Mehrere Klafter dick müssen die Mauern sein und bestellt mit starken Kämpfern, auf daß da ja niemand imstande sein soll, je zu durchbrechen die allergröbste Materie und zu schmälern den Herrscher in seiner allerhochmutsvollsten Ruhe. Wehe dem Schwachen, wenn er es wagete, nur einen Stein zu rütteln an des Herrschers Feste; der wird alsbald zermalmt und vernichtet werden!

12. Ich meine aber hier ja nicht jene Herrscher und Regenten, die hier die Ordnung Gottes zur Verminderung der Herrschsucht jedes einzelnen Menschen gesetzt hat zu Pfeilern und Aufrechthaltern der Demut und Bescheidenheit, der Liebe und der Geduld; denn diese von Gott bestellten Regenten der Völker müssen das sein, was sie sind, und können nicht anders, als wie sie zur Besserung der Völker vom Willen des allmächtigen Gottes getrieben und geleitet werden. Es ist hier nur von der allgemeinen wahren Herrschsucht jedes einzelnen Geistes und Menschen die Rede, und ist gezeigt, was sie an und für sich selbst ist. Ja, es gab wohl Herrscher, die man arge Tyrannen nannte! Diese haben sich aus dem Volke erhoben, rebellierten gegen die von Gott gestellten Herrscher, wie dereinst Absalom gegen seinen eigenen Vater David. Solche Herrscher sind nicht von Gott bestellt, sondern durch sich selbst, und sind darum schlecht und ein wahres Unkraut und entsprechende Formen der allerdicksten Materie.

13. Aber du, Mein Cyrenius, und dein Kaiser seid das nicht, sondern das nach Meinem Willen, was ihr seid, – obgleich noch Heiden! Aber Mir seid ihr als Heiden lieber denn viele Könige, die als sein sollende Führer der Gotteskinder nur wahre leibliche und noch mehr geistige Mörder derselben waren, darum ihnen die alten Throne und Kronen und Zepter aber auch für immer genommen und euch weiseren Heiden überantwortet wurden. – Ich machte hier notwendigerweise diesen Beisatz, auf daß du, Mein Cyrenius, etwa ja nicht meinen sollest, als säßest du und dein Neffe als ein Usurpator vor Mir auf dem Herrscherthrone. – Und nun weiter in unserer Betrachtung übers Unkraut auf dem guten Acker!“

105. Kapitel. Die Entstehung der Sonnensysteme.

1. (Der Herr:) „Sehet, so wie nun die Menschen durch die Eigenliebe, durch die Selbstsucht, durch den Hochmut und durch die daraus hervorgehende Herrschsucht derartig aller Materie voll werden, daß sie viele tausendmal Tausende von Jahren hindurch sich nicht völlig davon zu befreien imstande sein werden, – ebenso gab es dereinst auch urgeschaffene Geister, die auch durch den ihnen verliehenen Reiz zu sehr eigenliebig, selbstsüchtig, hochmütig und am Ende herrschsüchtig wurden, und die Folge davon war, daß sie sich in die purste Materie verwandelten.

2. Sie haben sich abgesondert in große Vereine und stellten sich in für euch nicht denkbar großen Entfernungen auf. Ein jeder Verein wollte von einem zweiten nichts mehr hören, sehen und erfahren, um nur der Eigenliebe so recht weltendick frönen zu können. Durch dieses stets wachsende Eingehen in die Eigenliebe und Selbstsucht, in den dadurch mehr und mehr erwachten Hochmut und in eine absolute Herrschsucht schrumpften die zahllos vielen Lebensformen endlich nach dem Gesetze der Schwere, das sich aus der Eigenliebe und Selbstsucht von selbst entwickelt hatte, zu einem übergroßen Klumpen zusammen, – und die materielle Urzentralsonne einer Hülsenglobe war fertig.

3. Nun aber gibt es im unendlichen Raume ebenfalls eine Unzahl solcher Systeme oder Hülsengloben, wo überall eine besprochene Urzentralsonne zahllosen Weltengebieten zum gemeinsamen Mittelpunkte dient, und diese Urzentralsonnen sind eben die zusammengeschrumpften Urgeistervereine, aus denen mit den Zeiten der Zeiten alle andern Sonnenalle, Sonnengebiete, Nebenzentralsonnen, Planetarsonnen, Planeten, Monde und Kometen hervorgegangen sind.

4. Wie aber ging das zu? Seht, in der Urzentralsonne ward vielen großen Geistern der Druck zu mächtig! Sie entzündeten sich zornglühendst und machten sich vom Urdrucke los. Sie flohen förmlich endlos weit von ihrem ersten Vereinsklumpen. Eine Zeitlang schwärmten sie ganz frei und harmlos für sich in aller Ungebundenheit im endlosen Raume umher und machten eine gute Miene, von selbst in die rein geistige Ordnung überzugehen; aber weil sie des Elementes der Eigenliebe nicht ledig werden konnten, so fingen sie endlich auch wieder an, zu einem festen Klumpen zusammenzuschrumpfen, und es entstanden daraus Zentralsonnen zweiten Ranges in einer wie in der andern der zahllos vielen Hülsengloben.

5. In diesen Zentralsonnen zweiten Ranges ergrimmten mit der Zeit der Zeiten die Hauptgeister ob des stets zunehmenden Druckes, entzündeten sich und machten sich in zahllosen Massen von den Gemeinklumpen zweiten Ranges los. Sie machten nun wieder die besten Mienen zu einem rein geistigen Übergange; da sie aber mit der Weile dennoch wieder ein großes Wohlgefallen an sich fanden und nicht völlig von der Eigenliebe lassen wollten, so wuchsen sie auch abermals im materiellen Gewichte und schrumpften ebenfalls wieder in große Klumpen zusammen, und es wurden daraus Zentralsonnen dritten Ranges.

6. Aber bald erhob sich da derselbe Anstand, wie bei den früheren Zentralsonnen. Die höheren Geister, als die wenigeren an der Zahl, wurden nach und nach von den noch immer zahllos vielen untergeordneten Geistern zu mächtig gedrückt, ergrimmten bald wieder und rissen sich zu vielen tausendmal Tausenden mit großer Gewalt vom gemeinsamen Klumpen los, mit dem festen Vorsatze, nun endlich ins völlig rein Geistige überzugehen. Undenkbar lange Zeiten schwebten sie als voneinander weit getrennte Ätherdunstmassen im weiten Schöpfungsraume.

7. Diese Freiheit gefiel ihnen in der Rückerinnerung an den mächtigen Druck, den sie ausgestanden hatten. Aber in dieser untätigen Freiheit fing es sie mit der Zeit zu hungern an, und sie fingen an, im Raume Nahrung zu suchen, – also eine Sättigung von außen irgendwoher. Diese fanden sie und mußten sie finden; denn die Begierde ist gleich jenem nordischen Magnetsteine, der alles Eisen, wie auch alle eisenhaltigen Minerale mit einer unwiderstehlichen Gewalt an sich zieht.

8. Was aber war davon die unvermeidbare Folge? Ihre Wesenheit fing dadurch sich nach und nach sehr zu verdichten an; damit erwachte auch bald wieder die Eigenliebe und ihr Gefolge, und die unausweichbare Folge war wieder die Einschrumpfung zu einem gemeinsamen Klumpen, wozu freilich wohl stets eine Unzahl von Erdjahren vonnöten war.

9. Allein, was ist eine noch so lange Zeitendauer vor dem ewigen Gott?! Ein Seher der Vorzeit sagte: ,Tausend Jahre sind vor Gott wie ein Tag!‘ Ich sage euch: Tausendmal tausend Jahre sind vor Gott im Ernste kaum ein Augenblick! Wer ein Müßiggänger ist, dem werden aus lauter Langweile die Stunden zu Tagen und die Tage zu Jahren. Dem Fleißigen und vielfach Tätigen werden die Stunden zu Augenblicken und Wochen zu Tagen. Gott aber ist von einem unendlichen Tätigkeitseifer von Ewigkeit her erfüllt und in einem fort unendlich tätig, und die seligste Folge davon ist, daß Ihm für euch undenkbar lange Zeiten wie einzelne Augenblicke vorkommen müssen, – und eine volle Ausbildung einer Sonne dauert vor Seinen Augen dann nur ganz kurz.

10. Aus der nun zuletzt bezeichneten Einschrumpfung entstanden und entstehen noch die Planetarsonnen, wie die da eine ist, die dieser Erde leuchtet. Diese Art Sonnen sind zwar in ihrer Wesenheit viel zarter und sanfter als die Zentralsonnen, haben aber dennoch eine ungeheure Masse von schwerer Materie als Folge der Eigenliebe ihrer äonenmal Äonen Geister, aus deren Eigenliebe eben solch eine Sonne zusammengeklumpt ist. Den edleren und besseren Geistern in diesem Leuchtklumpen wird mit den Zeiten der Zeiten der Druck von seiten der gemeinen Geister, die ganz Materie geworden sind, denn doch wieder viel zu schwer und unerträglich; die Folge davon ist, wie bei den früheren Sonnen, Gewalttätigkeit, Eruptionen über Eruptionen, und die edleren Geister machen sich frei.

11. Hier erwacht dann in ihnen der schon ganz ernstliche Wille, ins Urreingeistige durch die Befolgung der wahren Ordnung Gottes überzugehen. Viele bekämpfen den in sie gelegten Reiz und werden zu urgeschaffenen Engeln, ohne einen Fleischesweg vorderhand durchzumachen. Denen, die sich demselben aber entweder gleich auf der Sonne oder gar auf dieser Erde unterziehen wollen, wird solches freigestellt, was aber auch, hier nacherinnerlich, bei den vorher beschriebenen Zentralsonnen der Fall ist, – aber nicht so häufig, wie namentlich und besonders bei dieser Planetarsonne, die dieser Erde das Licht, das zumeist von der großen Tätigkeit ihrer Geister abstammt, verleiht.

12. Aber einige Geistervereine, die sich aus dem Sonnenklumpen auch mit den besten Vorsätzen losmachten, konnten sich von der Eigenliebe doch wieder nicht ganz losmachen und fingen so nach und nach wieder an, dem in sie gelegten Urreize zu frönen; von eins kamen sie bald auf zwei, und so fort und fort unvermerkt weiter hinauf!

13. Bald darauf wurden sie als dunstige Kometen mit einem langen Schweife schon materiell ersichtlich. Was besagt dieser Schweif? Er zeigt an den Hunger der schon materiell werdenden Geister und die große Gier nach materieller Sättigung. Diese Gier zieht aus dem Äther ihr zusagendes Materielles, und so ein Komet, als ein Kompendium (Zusammenfassung) von schon sehr materiell gewordenen Geistern, irrt dann gar viele Jahrtausende im großen Ätherraume umher und sucht Nahrung wie ein reißender Wolf.

14. Durch dieses stete Einsaugen und Fressen wird er ebenfalls stets dichter und dichter und schwerer und schwerer. Mit der Zeit wird er von der Sonne, der er durchgegangen ist, wieder insoweit angezogen, daß er ordnungsgemäß um sie zu kreisen beginnen muß. Muß er sich einmal solch eine Ordnung gefallen lassen, so wird er ein Planet, wie diese Erde, der Morgen- und Abendstern, oder der Mars, der Jupiter und der Saturn und etliche der euch unbekannten jeder für sich einer ist.

15. Nun ist ein Planet da und hat stets einen ungeheuren Hunger, und da er der Sonne näher steht denn früher als Komet, so bekommt er von ihr aus auch eine genügende Nahrung, die zugleich ein Köder ist, um den Entlaufenwollenden wieder stets näher und näher an sich zu ziehen und ihn nach langen Zeiten ganz wieder in sich zu begraben, – ein löblicher Wunsch der urgeschaffenen Geister in der Sonne, der aber in Anbetracht der gar großen Planeten, zu denen auch diese Erde gerechnet werden kann, gar nie in seiner Art in Erfüllung geht; denn obschon die in den Planeten gebannten Geister noch sehr materiell sind, so kennen sie aber der Sonne Materie und haben kein besonderes Bedürfnis und gar keine Lust, sich je mehr mit der Sonne völlig zu vereinen. Sie nehmen die aus der Sonne zu ihnen kommenden Geister und Geisterlein als eine gute Stärkung und Nahrung recht gerne auf, aber von einer völligen Vereinigung mit der Sonne wollen sie nichts wissen.

16. Es geschieht auch zuweilen, daß die einmal entflohenen Geister in ihrem materiellen Klumpenkompendium ganz in die Nähe der Sonne gelockt und gezogen werden; aber der ungeheure Tätigkeitseifer der den harten Klumpen der Sonne umgebenden freieren Geister, dem hauptsächlich das Leuchten der äußern Sonnenoberfläche zu verdanken ist, bewirkt, daß alle in den starren Klumpen zusammengeschrumpften Geister nahe augenblicklich insgesamt sich zu der möglich höchsten Tätigkeit erheben, auseinanderfahren und ein jeder für sich dann, wie man zu sagen pflegt, das Weite zu suchen anfängt.

17. Die Folge solch einer erwachten Tätigkeit der in einem Planeten oder wenigstens schon reiferen Kometen lange zusammengeklumpt gewesenen Geister ist die plötzliche und gänzliche Auflösung des Klumpens und die Erlösung vieler tausendmal tausend und abermals tausendmal tausend Geister, von denen die meisten, durch solch eine Lektion gewitzigt und belehrt, sich sogleich in die rechte Lebensordnung begeben und zu urgeschaffenen Engelsgeistern werden und zu nützlichen Hütern ihrer weniger freien Lebensbrüder, wie auch jener in harten Klumpen schmachtenden, und zur schnelleren Erlösung derselben vieles beitragen.“

106. Kapitel. Die Bedeutung und Entstehung der Erde.

1. (Der Herr:) „Ein Teil solcher aufgelösten Geister aber will noch auf irgendeinem Planeten den Weg des Fleisches durchmachen. Einige machen ihn auch in der Sonne durch, auf irgendeinem Gürtel, der ihnen natürlich am besten zusagt; nur auf diese Erde begeben sich höchst wenige, weil ihnen da der Weg des Fleisches zu beschwerlich vorkommt, denn hier müssen sie sogar alle Erinnerung an einen früheren Zustand aufgeben und ganz in ein von Anfang an neues Sein eintreten, was auf den anderen Planeten und Weltkörpern nicht der Fall ist.

2. Denn fürs erste bleibt den eingefleischten Geistern dort stets eine traumartige Rückerinnerung an die früheren Zustände, und die Folge davon ist, daß die Menschen auf den anderen Planeten und Weltkörpern vom Grunde aus schon um vieles weiser und nüchterner sind denn auf dieser Erde. Aber dafür sind sie auch keines Fortschrittes in eine höhere Stufe des freien Lebens fähig. Sie gleichen, wie schon einmal berührt, mehr den Tieren dieser Erde, die schon von Natur aus für ihr Sein die gewisse Instinktbildung haben, worin sie stets eine große Fertigkeit und Vollendung an den Tag legen, so daß ihnen der Mensch mit all seinem Verstande gar manches nicht nachzumachen imstande wäre. Versuchet nun aber, ein Tier darüber hinaus zu unterrichten, und ihr werdet nicht viel Ersprießliches ihm beizubringen imstande sein!

3. Wohl gibt es welche, die so viel Bildung annehmen, daß sie dann für eine höchst einfache und allergröbste Arbeit zur Not verwendet werden können, wie der Ochse zum Ziehen, das Pferd, der Esel und das Kamel zum Tragen, ein Hund zum Aufspüren, Jagen und Treiben; aber darüber hinaus werdet ihr ihnen nicht viel Weiteres beizubringen imstande sein, und mit der Sprache wird es schon gar nicht gehen. Die einfache Ursache liegt auch darin, daß eine stumpfe Rückerinnerung an ihre früheren Zustände die Tierseelen gleichfort noch wie ein Gericht gefangenhält und beschäftigt, und daß sie sonach in einer gewissen Betäubung leben.

4. Allein bei allen Menschen dieser Erde tritt der sonst nirgends mehr vorkommende Fall ein, daß sie aller Rückerinnerung bar werden und daher eine ganz neue Lebensordnung und -bildung vom Anfange an beginnen, die also gestellt ist, daß mit ihr ein jeder Mensch bis zur vollsten Gottähnlichkeit emporwachsen kann.

5. Darum kann aber auch nur eine solche Seele auf dieser Erde eingefleischt werden, die entweder aus einer Sonne, in der noch alle Urelemente beisammen sind, herstammt, alldort aber schon einen Fleischweg durchgemacht hat und somit alle jene Seelenintelligenzspezifika in sich faßt, die für die Vollendung eines höchsten Geisteslebens nötig sind, – oder eine Seele stammt unmittelbar von dieser Erde und hat zuvor alle die drei sogenannten Naturreiche durchgemacht von der plumpsten Steinmaterie durch alle Mineralschichten, von da durch die gesamte Pflanzenwelt und zuletzt durch die ganze Tierwelt im Wasser, auf der Erde und in der Luft.

6. Man nehme aber hier ja nicht den Materienleib, sondern das in dessen Gehülse enthaltene seelisch-geistige Element; denn das Gehülse ist zwar auch seelisch- geistig in der weiteren Analyse, aber es ist in sich noch zu gemein, zu träge und zu plump und ist noch ein zu schwerer Ausdruck der Eigenliebe, der Selbstsucht, des Hochmutes und des trägsten, faulen Genusses der gierigsten, geizigen und todbringend zornigen Herrschsucht. Solche Materie muß erst durch ein vielfaches Verwesen und nur teilweises Übergehen in die reinere Seelenumhäutungs- und – bekleidungssubstanz aufgenommen werden; zur eigentlichen Seelensubstanz wird daraus wohl nie etwas verwendbar sein.

7. Es gibt darum auf dieser Erde aber auch mehr verschiedene Gattungen von Mineralen, Pflanzen und Tieren als auf allen anderen Planeten und Sonnen, natürlich jedes für sich einzeln genommen. Alle zusammen würden wohl eine größere Gattungssumme herausbringen, aber auf einem jeden anderwärtigen Weltkörper einzeln gibt es im ganzen Schöpfungsraume nicht den hunderttausendsten Teil so vieler Gattungen wie hier auf dieser Erde in jedem ihrer drei Reiche. Eben darum ist aber auch nur diese Erde allein bestimmt, im vollwahrsten Sinne Gottes Kinder zu tragen.

8. Wie und warum aber solches? Es hat mit dieser Erde eine höchst eigentümliche Bewandtnis. Sie gehört zwar nun als Planet zu dieser Sonne; aber sie ist, streng genommen, nicht so wie alle die anderen Planeten – mit Ausnahme des einen zwischen Mars und Jupiter, der aber aus gewissen bösen Gründen schon vor sechstausend Jahren zerstört worden ist oder eigentlich durch sich selbst und durch seine Bewohner zerstört wurde – aus dieser Sonne, sondern hat ihre Entstehung ursprünglich schon aus der Urzentralsonne und ist in einer gewissen Hinsicht ums für euch Undenkliche der Zeit nach älter denn diese Sonne. Doch hat sie eigentlich erst körperlich zu werden angefangen, nachdem diese Sonne schon lange als ein ausgebildeter Weltenklumpen den erstmaligen Umlauf um ihre Zentralsonne begonnen hatte, und hat aber dann ihr eigentlich Materiell- Körperliches dennoch hauptsächlich aus dieser Sonne an sich gezogen.“

107. Kapitel. Die Entstehung des Mondes.

1. (Der Herr:) „Vor vielen tausendmal Tausenden von Erdjahren war sie (die Erde) körperlich noch bedeutend schwerer, und ihre Geister wurden sehr gedrückt. Da ergrimmten aber die ärgeren Geister und trennten sich mit sogar viel gröbstmaterieller Masse von ihr und schwärmten viele Jahrtausende hindurch in einer sehr ungeordneten Bahn um diese Erde.

2. Da aber alle die Teile dennoch bis auf einige Klumpen ganz weich und zur Hälfte flüssig waren und die ganze Masse in einem beständigen Rotieren war, so gestaltete sich endlich die ganze Masse zu einer großen Kugel, deren Achsenumschwingung für ihren kleinen Durchmesser viel zu langsam war, um auf ihrer dennoch nicht ganz unbedeutenden Oberfläche die Flüssigkeit gleichmäßig zu erhalten, weil deren Umlauf um diese Erde dagegen ein sehr geschwinder war, demzufolge alles Flüssige stets auf der der Erde entgegengesetzten Seite den Aufenthalt nehmen mußte, vermöge der alten Wurfschwere.

3. Dadurch aber ward dieses runden Klumpens eigentlicher Schwerpunkt stets mehr nach jener Seite hin verschoben, wo sich gleichfort sämtliche Flüssigkeit aufhielt, und so mußte mit der Zeit dieses Klumpens eigene, zu langsame Achsenrotation endlich – als der Klumpen selbst kompakter war, durch den das Wasser nicht mehr so schnell durchsickern konnte und die mitgenommenen Wogen an den gewordenen hohen Bergwänden zu schwer und widerhaltig anbrandeten – ganz aufhören, und der ganze Klumpen fing dann an, der Erde, von der er ausgeworfen ward, nur ein und dasselbe Gesicht zu zeigen.

4. Und das war auch gut, auf daß dessen zu hartnäckige Geister genießen können, wie gut es ist, in einer trockensten und nahe aller Nahrung baren Materie zu stecken. Und zugleich dient dieser Mondesteil (denn der in der Rede stehende Klumpen ist eben unser Mond), seit diese Erde von Menschen bewohnt ist, auch dazu, daß die allerweltliebigsten Menschenseelen dorthin beschieden werden und sich von dort aus, mit einer luftig-materiellen Umhäutung versehen, ihre schöne Erde von einer über hunderttausend Stunden langen Weges weiten Ferne etliche Tausende von Jahren hindurch recht sattsam ansehen können und sich selbst bedauern, daß sie nicht mehr ihre geizigen Bewohner sind. Daß sie aber trotz aller ihrer Begierde nicht wieder herab zur Erde gelangen können, dafür ist schon allerbestens gesorgt. Aber etliche Äonen von Erdenjahren werden nach und nach auch die Allerhartnäckigsten zur Besinnung bringen!

5. Ihr habt nun denn gesehen, wie die ganze materielle Weltenschöpfung entstanden ist, bis zu den Monden der Planeten, die fast überall, wo sie bestehen, auf dieselbe Weise entstanden sind, dieselbe Natur haben und nun zum selben Zwecke dienen.

6. Wie aber und aus welchem Grunde ursprünglichst aus in sich selbst hineingefallenen Geistern die gesamte materielle Weltenschöpfung, bis zu den Monden herab, hervorgegangen ist, auf eben dieselbe Weise sind mit der Zeit auf den harten und schweren Weltkörpern die Berge, als die ersten Riesenpflanzen einer Welt, und nachher allerlei Pflanzen, Tiere und zuletzt der Mensch selbst hervorgegangen.

7. Bessere Geister entwinden sich gewaltsam dem stets zunehmenden Drucke der Materie, ihre eigene auflösend mit der Kraft ihres Willens. Sie konnten sogleich in die Ordnung der reinen Geister übergehen; aber der alte Reiz übt noch immer auch seine alte Gewalt aus. Die Eigenliebe wird gleich wieder wach, die Pflanze saugt, das Tier frißt, und des Menschen Seele sucht, kaum von neuem in die alte Gottform eintretend, gierigst materielle Kost und ein gleiches, träges Wohlbehagen; sie muß sich darum gleich wieder mit einem materiellen Leibe umgeben, der aber dennoch zarter ist als die alte, sündige Materie. Trotz des zarteren Leibes aber nimmt im selben die pure Seele doch so sehr in der Eigenliebe zu, daß sie ganz wieder zur härtesten Materie würde, so Ich in ihr Herz nicht einen Wächter, ein Fünklein Meines Liebegeistes gesteckt hätte.“

108. Kapitel. Vom Erbübel der Eigenliebe.

1. (Der Herr:) „Ihr habt von dem Erbübel gehört – wenigstens ihr Juden sicher! Was ist dieses, und worin besteht es? Sehet und höret!

2. Es ist die alte Eigenliebe als der Vater der Lüge und aller Übel aus ihr; die Lüge aber ist die alte, sündige Materie, die an und für sich nichts ist als eine lose und sündige Erscheinlichkeit der Eigenliebe, der Selbstsucht, des Hochmutes und der Herrschsucht.

3. Alles das entstand zwar aus dem notwendigen Reize, den Ich wegen der Erkenntnis des eigenen freien Willens in die Geister legen mußte; aber obschon der Reiz notwendig war, so war ihm als Folge die sündige Werdung der materiellen Welten durchaus keine Notwendigkeit. Sie war nur eine aus Meiner Ordnung zugelassene, leider notwendige Folge dessen, daß so viele Geister dem Reize nicht widerstehen wollten, obschon sie es vermocht hätten, – ebensogut wie es sechsmal so viele urgeschaffene Geister vermochten, von denen uns zu Diensten nun einer hier stehet und den Namen Raphael führt.

4. Der Feind, der stets das Unkraut unter den reinen Weizen streute, und noch streut, und noch lange streuen wird, ist demnach die alte Eigenliebe, und ihr euch nun bekanntes Gefolge ist das Unkraut und im weitesten Sinne der Inbegriff aller wie immer gearteten Materie, Lüge, Satan, Teufel.

5. Mein Wort aber ist das edle und reine Weizenkorn, und euer freier Wille ist der Acker, in den Ich als Säemann alles Lebens das reinste Korn Meiner ewigen Ordnung streue und säe.

6. Lasset ihr euch nicht von der Eigenliebe überwältigen, sondern bekämpfet ihr dieselbe leicht und mächtig mit dem glühenden Schwerte der wahren, alleruneigennützigsten Liebe zu Mir und zu euren nächsten Brüdern und Schwestern, so werdet ihr den Acker von allem Unkraute rein erhalten und jüngst selbst als reinste und kostbarste Frucht in Mein Reich eingehen und dort neue und rein geistige Schöpfungen schauen und leiten in Ewigkeit!

7. Aber achtet wohl darauf, daß der Feind, oder die Eigenliebe in euch, auch nicht um ein Atom groß Platz greife; denn dieses Atom ist schon ein Same des wahren Unkrautes, das mit der Zeit euren freien Willen ganz für sich in Beschlag nehmen kann, und euer rein Geistiges geht dann stets mehr und mehr in das Unkraut der Materie über, wo ihr dann selbst zur Lüge werdet, weil alle Materie als das, was sie ist, sichtlich eine allerbarste Lüge ist!

8. Das kleinste Atom Eigenliebe in euch, Meinen Jüngern nun, wird in tausend Jahren zu ganzen Bergen voll des giftigsten Unkrautes, und Mein Wort wird man auf den Gassen und Straßen mit dem schlechtesten Kote einmauern, auf daß sich ja keine Lüge voll Hochmutes und Hasses daran stoße! Bleibet ihr aber rein in Meiner Ordnung, so werdet ihr bald die Wölfe mit den Lämmern aus einem Bache trinken sehen.

9. Ich habe euch nun eine Erklärung gegeben, von der bisher noch keinem Geiste etwas in den Sinn gelegt wurde, auf daß ihr daraus entnehmen könnet, wer Derjenige ist, der allein euch solch eine Lehre geben kann und warum. Der Lehre wegen allein sicher nicht, sondern wegen der wahren Tat danach! Darum aber sollet ihr nicht nur eitle und erstaunte Hörer von Lehren sein, die vor Mir noch nie jemand so offen wie Ich nun zu den Menschen gepredigt hat; auch ist es nicht genug, daß ihr nun klar erkennet, daß solches Gott Selbst, der Vater von Ewigkeit, zu euch geredet hat, sondern ihr müßt euer Herz streng erforschen, ob in seiner Liebe kein Unkrautsatom rastet. Findet ihr das, so jätet es mit allen noch so kleinsten Würzelchen aus und werdet sodann tätig in Hülle und Fülle nach Meiner euch nicht mehr unbekannten Ordnung, so werdet ihr den wahren Lebensnutzen für ewig daraus ernten!

10. Damit ihr auch sehen möget, wie das alles so ist, was Ich euch nun erklärt habe, so will Ich euch denn für eine kurze Zeit die Augen öffnen, auf daß ihr das alles auch selbsterfahrlich schauen könnet. Gebet darum nun auf alles wohl acht, was ihr sehen werdet!“

109. Kapitel. Erlösung, Wiedergeburt und Offenbarung.

1. Auf diese Erklärung war aus leicht begreiflichen Gründen wohl niemand gefaßt, und es ging da ein Staunen und Verwundern durch alle Anwesenden, das ebenso wie Meine Erklärung nichts Ähnliches hatte.

2. Viele schlugen sich auf die Brust und schrien überlaut: „Herr, Herr, Herr, töte uns, denn wir stehen als zu große und grobe Sündenklötze vor Dir; und das alles durch unsere höchst eigene bewußte und unbewußte Schuld! Du allein bist gut und heilig; alles andere aber, was da trägt eine materielle Umhüllung, ist schlecht und in sich fluchwürdig. O Herr, wie lange werden wir in unserer eigenen Materie wandeln? Wann werden wir vom alten Fluche erlöst werden?“

3. Sage Ich: „Eben jetzt, da Ich Selbst alle Materie dadurch segne, daß Ich Mich Selbst in euren alten Fluch hineingeschoben und ihm dadurch den Segen gebracht habe! Alle alte Ordnung der alten Himmel samt den Himmeln hört auf, und es wird nun auf die Grundlage der nun durch Mich gesegneten Materie eine neue Ordnung und ein neuer Himmel gemacht, und die ganze Schöpfung, wie auch diese Erde, muß eine neue Einrichtung bekommen.

4. Nach der alten Ordnung konnte niemand in die Himmel kommen, der einmal in der Materie gesteckt ist; von nun an aber wird niemand wahrhaft zu Mir in den höchsten und reinsten Himmel kommen können, der nicht gleich Mir den Weg der Materie und des Fleisches durchgemacht hat.

5. Wer immer von nun an in Meinem Namen getauft wird mit dem lebendigen Wasser Meiner Liebe und mit dem Geiste Meiner Lehre und in Meinem Namen der Kraft und Tat nach, von dem ist die alte Erbsünde für ewig abgewischt, und sein Leib wird dadurch nicht mehr sein eine alte Mördergrube der Sünde, sondern ein Tempel des Heiligen Geistes.

6. Aber ein jeglicher gebe da acht, daß er ihn nicht von neuem verunreinige durch das alte, giftige Unkraut der Eigenliebe! Hütet euch nur vor der, dann werdet ihr heiligen auch euer Fleisch und Blut; und wenn der reine Geist in euch zur Alleinherrschaft gelangen wird, so wird dann in ihm und durch ihn nicht nur zum vollendeten, ewigen Leben auferstehen die Seele, sondern auch des Leibes Fleisch und Blut samt Haut und Haaren!

7. Sehet, welch ein Unterschied da ist zwischen früher und jetzt! Wie es aber nun eingerichtet wird, so wird es auch bleiben in Ewigkeit.

8. Die Sonne, die ehedem voll Fluches war, wird von nun an voll Segens, und ebenso alles, was im endlosen Raume ein wie immer geartetes Dasein hat! Denn wie Ich's euch gesagt habe, so mache Ich nun alles neu, und alle alten Verhältnisse müssen umgewandelt werden, dieweil Ich Mich Selbst umgewandelt habe dadurch, daß Ich Selbst die Materie angezogen habe.

9. Aber das setze Ich hinzu und sage: Wer da nicht glaubt und getauft wird aus dem Wasser und aus dem Geiste in und auf Meinen Namen und auf Mein Wort, für den wird es bleiben beim alten! Solche werden nicht kommen in Mein Reich und nicht zu Meiner Anschauung jenseits, sondern werden bleiben an den äußersten Grenzen Meines Reiches, allda es viel Dunkelnis und Nacht geben wird und viel Heulens und Zähneknirschens. Und es wird der Himmel reinstes Lebenslicht nicht anders zu ihnen dringen, als da dringt das Licht eines kleinsten Fixsternes auf diese Erde, und sie werden vollends von Meinen wahren Lebenshimmeln geradesoviel wissen, als wie die Menschen hier nun wissen, wie dort aussehen die Fixsterne, und was in ihnen ist. Und die Menschen mögen Tag und Nacht tausendmal tausend Jahrhunderte hindurch stets nachdenken, was dort oben diese glänzenden Punkte sind, so werden sie auch nach dieser langen Periode der Zeit ebensoviel wissen, wie sie jetzt wissen. Wohl werden mit der Weile Menschen aufstehen, die da Augenwaffen erfinden, um ferne Gegenstände ganz so zu sehen, als ständen sie in der vollen Nähe; aber mit den Fixsternen werden sie dennoch nie etwas ausrichten, weil diese viel zu weit von der Erde abstehen.

10. Und ebenso werden im Jenseits die Heiden, die nicht glaubten und getauft worden sind, in ihrer besten Sphäre also gestellt sein und werden von weitester Ferne Meine Himmel schauen und über sie urteilen, wie nun die Menschen schauen den irdisch gestirnten Himmel, und welche Urteile sie darüber schöpfen. Sie werden nach einem Jahrtausend wohl etwas mehreres wissen denn jetzt und werden allenfalls herausfinden, daß dies lauter Sonnen sind; aber was eine Sonne ist, wie sie leuchtet, wie groß und wie weit entfernt sie ist, wie viele Planeten um sie kreisen, und wie diese beschaffen sind, welche Bewohner sie tragen, welche Sitten, Sprachen und Gebräuche dort vorhanden sind, – das werden sie mit ihrem Verstande nicht herausbringen!

11. Und so ihr, die ihr nun viel wisset, es ihnen möglicherweise sagen würdet, so würden sie es euch doch nicht glauben; denn ein reiner Weltverstand, wie er nun bei vielen Heiden so recht kernfest zu Hause ist, glaubt an nichts, was er nicht sehen und mit Händen greifen kann.

12. Ja, Ich werde in jenen künftigen Zeiten wohl auch hie und da unter den wahren Bekennern Meines Namens Männer und Mägde erwecken, denen alle Geheimnisse der Himmel und der Welten von Mir aus eröffnet werden durch ihr liebevolles Herz; aber es werden wenige sein, die das als etwas wie überzeugend Wahres annehmen werden!

13. Denen es aber geoffenbaret wird, die werden im Schauen sein, und werden eine große Freude haben, und werden loben und preisen den Namen Dessen, der ihnen solche Dinge als für sie vollüberzeugend wahr geoffenbaret hat, zu denen sonst keines Menschen Sinn je dringen kann.

14. Ja es wird auf dieser Erde dereinst noch Menschen geben, vor deren Sehe die ganze Schöpfung wie eine geheime Schrift Gottes offen aufgerollt sein wird; aber niemandem, der zuvor nicht geglaubt hat an Meinen Namen und getauft ward in selbem, wird solch eine Gnade erteilt werden!“

110. Kapitel. Die Taufe. Die Dreieinigkeit in Gott und Mensch.

1. Fragt Cyrenius: „Herr, ich glaube alles, was Du, o Herr, lehrest; bin ich darum auch schon getauft?“

2. Sage Ich: „Nein, getauft bist du zwar noch nicht; aber es hat dies eben nun nichts zur Sache! Denn wer da glaubt wie du, Freund, der ist im Geiste so gut wie getauft, und zwar mit aller Segnung der Taufe.

3. Die Juden haben wohl die Beschneidung, die eine Vortaufe ist und für sich wie vor Mir keinen Wert hat, so der Beschnittene nicht auch zugleich beschnittenen Herzens ist. Ich verstehe unter einem beschnittenen Herzen ein rein gefegtes und mit aller Liebe gefülltes Herz, das mehr wert ist denn alle Beschneidungen von Moses bis auf uns herab. Nach der Beschneidung kam auf eine Zeit die Wassertaufe des Johannes, die von seinen Jüngern fortgesetzt wird. Diese Taufe ist an sich selbst aber auch nichts, so ihr die geforderte Buße nicht entweder schon vorangeht oder doch ganz sicher nachfolgt.

4. Wer sich darum im ernsten Besserungsvorsatze mit dem Wasser taufen läßt, begeht dadurch keinen Fehler; aber nur soll er nicht glauben, daß da das Wasser reinige sein Herz und stärke seine Seele. Dies bewirkt nur der eigene, ganz freie Wille; das Wasser bewirkt nur ein Zeichen und zeigt durch dasselbe an, daß der Wille, als des Geistes lebendiges Wasser, nun die Seele ebenalso gereinigt hat von den Sünden, wie das natürliche Wasser da reiniget das Haupt und den andern Leib vom Staube und anderartigem Schmutze.

5. Wer die Wassertaufe im wahren tatsächlichen Sinne genommen hat, der ist vollkommen getauft, so bei oder schon vor der Taufhandlung der Wille im Herzen des Getauften seine Wirkung gemacht hat. Ist diese nicht dabei, so hat die pure Wassertaufe auch nicht einen allergeringsten Wert und erwirkt keine Segnung der Materie und noch weniger irgendeine Heiligung derselben.

6. Ebenso hat auch die Wassertaufe an unmündigen Kindern gar keinen Wert außer den als ein pur äußeres Zeichen für die Aufnahme in eine bessere Gemeinde, und daß das Kind irgendeinen Namen bekommt, der fürs Leben der Seele doch offenbar nicht den allergeringsten Wert hat, sondern bloß nur einen äußern politischen. Man könnte aus diesem Grunde dem Kinde auch ohne die Beschneidung und ohne die Wassertaufe des Johannes einen Namen geben, und es wäre das vor Mir alles gleich; denn kein Name heiligt die Seele eines Menschen, sondern allein der freie, gute Wille, nach der besten Erkenntnis recht zu handeln sein Leben lang. Jeder Name kann durch den Willen und durch die Handlung geheiligt werden; aber umgekehrt ist das unmöglich je der Fall.

7. Als Johannes taufte, da brachten sie ihm wie auch seinen Jüngern Kinder zur Taufe, und er taufte sie auch, wenn sich fürs Kind gewissenhafte Stellvertreter vorstellten und auf das heiligste gelobten, für die geistige Erziehung die eifrigste Sorge zu tragen. Nun, in diesem Falle kann wohl auch ein Kind des Namens wegen mit Wasser getauft werden; die Taufe aber heiligt des Kindes Seele und Leib auf nicht länger als auf so lange nur, bis das Kind zur wahren Erkenntnis Gottes und seiner selbst und zum Gebrauche des freien Willens kommt. Bis dahin hat der Stellvertreter auf das gewissenhafteste zu sorgen, daß das Kind in allem, was zur Erlangung der wahren Heiligung nötig ist, bestens versehen werde, – ansonst der Stellvertreter alle Verantwortung auf seine Seele geladen trägt.

8. Es ist darum besser, die Wassertaufe erst dann erfolgen zu lassen, wenn ein Mensch für sich fähig ist, alle Bedingungen zur Heiligung seiner Seele und seines Leibes aus seiner Erkenntnis und aus der freiwilligen Selbstbestimmung zu erfüllen. Übrigens ist die Wassertaufe zur Heiligung der Seele und des Leibes gar nicht nötig, sondern allein das Erkennen und das Tun nach dem richtigen Erkennen der Wahrheit aus Gott. So aber mit Wasser getauft wird, da bedarf es nicht eben nur des Jordanwassers, dieweil Johannes im Jordan getauft hat, sondern es ist dazu ein jedes frische Wasser gut, das Quellwasser jedoch besser denn ein Zisternenwasser, weil es der leiblichen Gesundheit zuträglicher ist als das faulere Zisternenwasser.

9. Die wahre und bei Mir allein gültige Taufe ist die mit dem Feuer der Liebe zu Mir und zum Nächsten und mit dem lebendigen Eifer des Willens und mit dem Heiligen Geiste der ewigen Wahrheit aus Gott. Diese drei Stücke sind es, die im Himmel für jedermann ein gültiges Zeugnis geben; es sind dies: die Liebe, als der wahre Vater; der Wille, als das lebendige und tatsächliche Wort oder des Vaters Sohn; und endlich der Heilige Geist, als das rechte Verständnis der ewigen und lebendigen Wahrheit aus Gott, aber als lebendig tätig im Menschen und nur allein im Menschen! Denn was da nicht im Menschen ist und nicht aus der höchsteigenen Willensregung geschieht, hat für den Menschen keinen Wert, und weil es für den Menschen keinen Wert hat und haben kann, so kann das auch vor Gott keinen Wert haben.

10. Denn Gott in Seiner Selbstheit ist für den Menschen so lange nichts, bis der Mensch durch die Lehre Gott erkennt und dessen Willen zu seinem höchst eigenen macht durch die Liebe und durch den lebendigsten Willenseifer all sein Handeln und Lassen nur nach dem erkannten allerhöchsten Willen einrichtet. Dadurch erst wird Gottes Ebenbild im Menschen lebendig und wächst und durchdringt bald des Menschen ganzes Wesen. Wo das, da geschieht es dann auch, daß der Mensch in alle Tiefen der Gottheit dringt; denn das Ebenbild Gottes im Menschen ist ein vollkommenstes Ebenmaß eines und desselben Gottes von Ewigkeit.

11. Wenn beim Menschen das geschieht, so ist in ihm alles geheiligt und die wahre Taufe der Wiedergeburt des Geistes erlangt. Durch solche Taufe macht sich dann der Mensch zu einem wahren Freunde Gottes und ist in sich selbst ebenso vollkommen, wie der Vater im Himmel vollkommen ist. Und Ich sage es euch allen ausdrücklich, daß ihr alle danach aus allen euren Kräften trachten müsset, ebenso vollkommen zu werden, als wie vollkommen da der Vater im Himmel ist! Wer nicht so vollkommen wird, der kommt nicht zum Sohne des Vaters.

12. Wer aber ist der Sohn? Der Sohn ist des Vaters Liebe. Er ist die Liebe der Liebe, Er ist das Feuer und das Licht, Er ist der Sohn der Liebe oder des Vaters Weisheit. Wenn sonach aber das Ebenmaß des Vaters in euch ist, so muß es ja so vollkommen werden wie der Urvater Selbst in allem, ansonst es kein Ebenbild des Vaters wäre; ist es aber als Ebenbild nicht vollkommen, woher soll dem Menschen dann die Weisheit kommen, oder wie soll der Mensch dann zur wahren Weisheit gelangen?

13. Wie Sich aber der Vater in Mir stets findet, also finde auch Ich Mich im Vater, und ebenso müsset ihr euch in euch selbst finden, so werdet ihr euch dadurch auch in Gott finden, und Gott wird Sich finden in euch. Wie da Ich und der Vater eins sind, so müsset auch ihr zuerst in euch eins sein mit dem Ebenmaße des Vaters in euch. Seid ihr das, da seid ihr dann auch mit Mir und mit dem ewigen Vater in Mir eins geworden, dieweil Ich und der Vater in Mir vollkommen eins sind von Ewigkeit!“

14. Hier sagen die Jünger: „Herr, dies fassen wir nicht! Du wirst hart in Deiner Lehre! Wir bitten Dich inständigst, daß Du Dich auch hierin klarer ausdrücken möchtest!“

15. Sage Ich: „Seid denn auch ihr noch unverständig? Wie lange werde Ich auch euch noch also ertragen müssen?! O du noch stark verkehrte Art! Aber euch soll es ja gegeben werden, zu verstehen das Geheimnis des Reiches Gottes auf Erden!

16. Wo habt ihr denn die Gedanken eures Herzens?! Mehrere Male habe Ich es euch schon erklärt, wer der Vater und wer der Sohn sei, daß Sich Vater und Sohn gerade also verhalten, wie die Liebe und die Weisheit sich zusammen verhalten, oder wie die Wärme und das Licht. Ich habe es euch gezeigt, wie das Licht ohne die Wärme nichts nütze wäre, aber auch eine Wärme ohne Licht keine Ähren auf den Feldern zur Reife bringen würde. Ich habe es euch gezeigt, wie aus der Wärme stets ein Licht entsteht, weil die Wärme der erste Ausdruck irgendeiner bestimmten Tätigkeit ist; die Erscheinlichkeit einer Tätigkeit aber ist das Licht, das sich steigert, wie sich irgendeine geordnete Tätigkeit steigert, und dennoch fasset ihr nicht das ,eins‘ des Vaters und des Sohnes, und nicht das ,eins‘ zwischen euch und Mir!“

17. Sagen die Jünger: „Herr, werde uns darum nur nicht gram! Wir fassen es nun schon, und was da noch irgend abgehen sollte, werden wir wohl nachtragen können und einholen nach Recht und Gebühr!“

18. Sage Ich: „Ich weiß es wohl, daß dies der Fall sein wird; aber Ich sagte das zu euch, weil Ich es wohl merkte, daß es euch mehr ums Fragen denn ums Wissen zu tun war.“

111. Kapitel. Von der Mosaischen Speiseordnung.

1. Sagt dazu Cyrenius: „Hat mich selbst gewundert, daß Deine Jünger das nicht verstehen sollen, was doch ich und sicher alle andern recht gut verstanden haben! Aber nun, da Du, o Herr, schon einmal in der Verfassung bist, Dinge, die noch nie jemand vor Dir erklärt hat, klarzumachen, so möchte ich denn von Dir nun vernehmen, was es denn bei den Juden mit dem Verbote des Genusses unreiner Speisen und mit dem Berühren gewisser als unrein bezeichneter Dinge für eine Bewandtnis hat! Wir Heiden genossen alles und wurden doch nach unserer Lehre nicht unrein! Die alten Ägypter aßen auch alles, was nur die Zeit und Erfahrung als genießbar darstellte, und ich weiß nichts von einer Verunreinigung, – im Gegenteile weiß ich aus der Geschichte, daß Ägypten sehr reine und wahrhaft große Geister auf seinem Boden getragen hat; auch bei uns Römern gab es deren zu allen Zeiten. Warum mußten gerade die Juden allerlei entbehren?“

2. Sage Ich: „Weil ihr Geschlecht, als von Adam her erhalten, von oben her war und zur gegenwärtigen Zeit zum größten Teile noch ist und bestimmt dazu, daß Ich in seiner Mitte in die Welt und in diese Materie kommen konnte zum Heile aller Kreatur. Du hast doch vernommen, wie durch Mich nun die gesamte Materie gesegnet und geheiligt wurde, dieweil auch Ich Selbst die Materie angezogen habe?! Du bejahest solches in deinem Gemüte! Siehe, vor Meiner Darniederkunft auf diese Erde lag, wie du nun weißt, mehr oder weniger der Fluch auf derselben, – nicht als hätte Gott sie verflucht, sondern weil sie in sich durch Eigenliebe, Selbstsucht, Hochmut und Herrschsucht als ein zusammengeklumptes Geistiges zum Selbstfluche geworden ist!

3. Es gab und gibt in der Materie aber dennoch verschiedene Grade und Abstufungen zwischen sehr viel, mehr, weniger und nahe gar keiner Härte. Je härter aber irgendeine Materie ist, desto wilder und in sich unreiner ist sie auch, weil ihr in sie zusammengeklumptes Geistiges im gleichen Verhältnisse aus desto mehr des bekannten Unkrautes besteht.

4. Die Tiere, die sich gleich anfangs der Bevölkerung dieser Erde zu den Menschen gesellt haben – als das Rind, das Schaf, die Ziege, und unter den Vögeln die Henne und die Taube –, sind sicher von reinerer Natur und sind sanfteren Charakters, und ihr Fleisch ist dem Menschen, der von oben her kam, sicher wegen der reineren Erhaltung der Seele am zuträglichsten gewesen; nur mußten selbst diese Tiere ganz vollkommen gesund sein und durften auch nicht in der Brunstzeit geschlachtet werden, weil in solch einer Zeit auch das sonst reine Tier unreiner ist.

5. Es gesellten sich aber nachderhand auch noch andere Tiere – als das Pferd, der Esel, das Kamel, das Schwein, der Hund und die Katze – zum Menschen, doch schon anfänglich nur mehr zu den Kindern dieser Welt, während mit Ausnahme des Esels allein, und nachderhand auch des Kamels, die vorbenannten Tiere mit den Juden in einer sehr geringen Freundschaft standen und noch gegenwärtig stehen.

6. Noch hat ein echter Jude eine eigene Furcht vor einem Pferde, vor einem Hunde, ist kein Freund einer Katze und traut dem Kamele eben auch nicht zuviel. Das zahme Wassergevögel ist ihm zuwider, und die Trut- und Perlhühner kann er schon gleich um die ganze Welt nicht leiden, und es wird noch lange dauern, bis er dieser Tiere Freund sein wird. Das ekelt den echten Juden ganz gewaltig an, während es den Griechen, wie auch euch Römern, schon lange einen angenehmen und sehr beliebten Braten gegeben hat.

7. Von nun an stehen die Sachen freilich ganz anders und werden noch viel anders stehen, so Ich einmal nach Hause gegangen sein werde! Zum Zeichen alles dessen werde Ich nach Meiner Heimkehr im großen Garten des Bruders Kornelius einem Meiner Jünger, der noch ein Erzjude vom alten Schrot und Korn ist, zeigen, was für Speisen in der Folge ohne alles Bedenken gegessen werden können.

8. Nun habe Ich dir den Grund auch von dieser Mosaischen Eßsatzung für die Juden gezeigt, und du und ihr alle müsset solchen nun wohl einsehen! Darum ist es nun Zeit, zu dem überzugehen, dessentwegen wir uns eigentlich und hauptsächlich auf diesen Berg gemacht haben!“

112. Kapitel. Eine Vorhersage über die jetzigen Offenbarungen.

1. (Der Herr:) „Ich sagte, daß ihr da Wunderdinge der seltensten Art schauen werdet; nun ist bis auf die aus Tief- und Hochafrika durch Raphael herbeigeschaffte Leuchtkugel noch nichts weiteres geschehen, obgleich die Nacht ihre Mitte bereits überschritten hat. Ich habe euch auch früher darauf aufmerksam gemacht, daß Ich auf eine kurze Zeit eure Augen auftun werde, auf daß ihr vorderhand einmal bloß schauen könnet, wie es so ganz eigentlich in der Welt aussieht.

2. Bevor Ich jedoch das nun tue, sage und gebiete Ich es euch allen sogar, daß ihr von den Gesichten ja niemand etwas saget; denn dazu wird die Menschheit der Welt wohl noch sehr lange nicht von ferne hin reif sein, und es ist im Grunde auch zu ihrem Seelenheile gar nicht nötig, daß die Weltmenschheit so etwas erfahre! Wenn sie es sich nur sehr angelegen sein lassen wird, Gott über alles und den Nächsten wie sich selbst zu lieben, so wird ihr alles andere und weitere schon ohnehin, soweit als nötig, geoffenbart werden.

3. Aber ihr, als die ersten Grundpfeiler Meiner Lehre, müsset für euch so manches mehr wissen im geheimen denn alle anderen zusammen, auf daß ihr nach einiger Zeit ja in keine Versuchung zum Abfalle von dieser Meiner Lehre gelangen möget.

4. Es wird aber alles das dennoch nicht verlorengehen, und wenn da tausend und nicht ganz tausend Jahre von nun an verflossen sein werden und Meine Lehre nahe ganz in die schmutzigste Materie begraben sein wird, so werde Ich in jener Zeit schon wieder Männer erwecken, die das, was hier von euch und von Mir verhandelt ward und geschehen ist, ganz wortgetreu aufschreiben und in einem großen Buche der Welt übergeben werden, der dadurch vielseitig die Augen wieder geöffnet werden!“

5. Nota bene: Du, Mein Knecht und Schreiber, meinst nun wohl, als hätte Ich damals dessen kaum erwähnt?! Willst du auch schwach werden im Glauben, wie du in deinem Fleische noch schwach bist?! Sieh, Ich sage es dir, daß Ich dem Cyrenius und dem Kornelius sogar deinen und mehrerer anderer Namen angegeben habe und sie nun auch die erfreulichsten Zeugen alles dessen sind, was Ich dir nun in die Feder sage. Aber Ich werde am Schlusse auch dir Namen ansagen, die von nun an in zweitausend Jahren noch Größeres niederschreiben und leisten werden als du nun! – Solches merke dir vorderhand, und schreibe alles vollgläubig!

6. Hierüber verwunderte sich Cyrenius sehr, und Kornelius fragte Mich um die Männer näher, denen solches verliehen wird.

7. Und Ich gab ihnen den Stand und den Charakter und sogar die Namen an und setzte dazu: „Einer von denen, dem wohl das meiste geoffenbart wird, mehr denn euch allen nun, wird in männlicher rechter Linie abstammen von Josephs ältestem Sohne und wird sonach auch ein rechter Nachkomme Davids sein dem Leibe nach. Er wird zwar sein gleich David schwachen Fleisches, aber dafür desto stärkeren Geistes! Wohl denen, die ihn hören und ihr Leben danach einrichten werden!

8. Es werden aber auch die anderen Großgeweckten zumeist von David abstammen. Denn solche Dinge können nur solchen gegeben werden, die sogar fleischlich von dorther stammen, von wannen auch Ich fleischlich abstamme; denn auch Ich stamme ob der Maria, der Mutter dieses Meines Leibes, von David ab, da die Maria auch eine ganz reine Tochter Davids ist. Es werden in jener Zeit zwar diese Davidsnachkömmlinge sich zumeist in Europa aufhalten, aber darum werden sie dennoch ganz reine und echte Nachkommen des Mannes nach dem Herzen Gottes und fähig zur Tragung der größten Lichtstärke aus den Himmeln sein. Auf einen irdischen Thron werden sie wohl nimmer gelangen, aber desto mehr werden in Meinem Reiche ihrer harren, und Ich werde Meiner Brüder wohl allzeit gedenken! Auch die meisten Meiner Jünger, die hier sind, stammen männlicherseits von David ab und sind darum leiblich Meine Brüder in allem Ernste bis auf einen, der nicht von oben, sondern pur von dieser Welt her ist. Er sollte zwar nicht dabei sein, und doch muß er wieder dabei sein, auf daß das, was geschrieben stehet, erfüllet werde!“

9. Sagt Cyrenius ganz verwundert: „Also nur den Nachkommen Davids wirst Du allzeit Deinen Willen offenbaren? Sind denn Mathael, Zinka und Zorel auch Nachkommen des großen Königs? Denn denen offenbarst Du nun ja auch dasselbe wie den Nachkommen Davids!“

10. Sage Ich: „Freund, das hier geschieht nicht auf dem Wege der geheimen Offenbarung, sondern durch offenes Wort für jedes Fleischohr wohl vernehmbar! Aber ganz was anderes ist's, zu vernehmen das geheime, innere Wort, das da kommt von Meinem Herzen in das Herz dessen, der es in sich vernimmt; und dafür muß es schon eine gewisse vorbereitete Linie von Menschen geben, deren Inneres fähig ist, die Allgewalt und Allkraft Meines Wortes zu ertragen! Denn jeden Unvorbereiteten würde ein Jota nur, unmittelbar aus Mir kommend, schon zerstören und töten. Wenn es aber einmal geschrieben ist, da mögen es Menschen, die eines guten Willens und Sinnes sind, wohl lesen; es wird sie nicht nur nicht töten, sondern stärken und kräftigen zum ewigen Leben.

11. Aber so es arge Weltmenschen lesen würden, um es zu verhöhnen, so würde es sie auch, wenngleich es nur geschrieben ist, zerstören und töten! – Nun weißt du auch, wie da diese Dinge stehen; und Ich sage nun, daß ihr euch bereit haltet, zu schauen die Wunder des Werdens, Seins und Bleibens für ewig!“

12. Sagt Cyrenius: „Herr, bereit sind wir wohl, zu schauen, was uns Deine große und ganz besondere Gnade bieten wird; aber nur eine ganz kleine Frage möchte ich von Dir noch zuvor beantwortet haben, so es tunlich wäre!“

13. Sage Ich: „Frage du immerhin, und Ich werde dir antworten!“

113. Kapitel. Die Berufung zum inneren Wort.

1. Sagt Cyrenius, fragend: „Herr, so zur Vernehmung Deines heiligen Wortes für späterhin im Geiste nur die in gewisser Hinsicht sogar leiblich und besonders seelisch Vorbereiteten fähig sind, so nützt das ja den Unfähigen wenig, wenn sie es durch ein noch so strenges Leben auch zur wirklichen Wiedergeburt des Geistes gebracht hätten: sie werden doch der Gnade nicht gewürdiget, Deines Herzens Wort in ihrem Herzen zu vernehmen! Denn sie könnten es nicht ertragen, weil sie nicht schon von David aus dazu vorbereitet und hergerichtet sind. Ich meine aber, daß alle Menschen, ob von oben oder von unten her, wenn sie Deinem Willen gemäß leben, auch zu den gleichen Fähigkeiten gelangen müßten! Der Geist, der ihre Seele und endlich sogar ihren Leib durchdringt, wird ja doch auch fähig sein, ein Wort von Dir zu ertragen?!“

2. Sage Ich: „Freund! Du bist Mir ganz lieb und wert und teuer; aber hier hast du durch deine Frage wieder einmal über diese Sache geurteilt wie ein Blinder von den schönen Farben des Regenbogens. Es könnte Mich bei solchen deinen Urteilen sogar wundernehmen, daß die Glieder deines Leibes nicht schon lange in eine Revolution gegen dein Haupt gelangt sind, weil sie nicht auch mit jenen Fähigkeiten behaftet sind, deren sich das Haupt rühmen kann.

3. Deine Füße sind für sich blind und taub und müssen trotz der sehr stiefmütterlichen Ausstattung die schwerste Arbeit verrichten. Deine Hände müssen äußerlich vollstrecken deinen Willen und müssen tun bald dies und bald jenes und haben doch keine Augen, zu schauen das schöne Licht, und kein Ohr, zu vernehmen die herrliche Harmonie des Gesanges; auch haben sie keinen Geruchssinn und keinen Geschmack, um zu verkosten die würzhafte Anmut des Lebens! Findest du wohl, daß darob derlei Glieder gegen das Haupt sehr schlecht daran sind?

4. Oder könnte sich nicht einmal eine Dornhecke gegen eine Weinrebe beschweren und sagen: ,Was habe ich denn verbrochen, daß mir die Gnade nicht zuteil werden darf, derzufolge auch ich einmal mit den herrlichen Trauben prunken könnte?!‘

5. Weißt du denn das auch noch nicht, daß von Mir aus alles genaust bemessen ist und alles seine Bestimmung hat?! Wie es unter den verschiedenen Gliedern deines Leibes sich verhält, daß eines mit seiner ihm allein eigenen Fähigkeit allen anderen Gliedern dient, also sind auch die Menschen von allerlei Fähigkeiten und können dienend sich gegenseitig nützlich erweisen, und das ist es dann ja eben, was die höchste Seligkeit des Lebens bedingt und ausmacht.

6. Wenn dein Kopf und dein Herz heiter sind, so werden auch alle anderen Glieder heiter und fröhlich sein; ist aber nur irgendein kleinstes Gliedlein irgend leidend, so ist es auch mit der Heiterkeit des Hauptes, des Herzens und aller andern, für sich ganz gesunden Glieder aus! Alle sind traurig um des einen willen und bieten alles auf, um dem einen Gliede zu helfen und es gesund zu machen.

7. Es ist gewiß ein schöner Beruf, die Fähigkeit zu besitzen, Meiner Liebe Stimme zu vernehmen, sie aufzuschreiben und den anderen Menschen, denen diese Fähigkeit mangelt, mitzuteilen, so sie danach dürsten; aber eine ebenso schöne Fähigkeit des Herzens ist es, das Vernommene im Herzen zu behalten und danach zu leben. Hat es dadurch ein Mensch, wenn er auch von unten herstammt, zur Wiedergeburt seines Geistes gebracht, so wird er schon den sicher bestbemessenen Lohn dafür finden und wird sich gegen den Wortvernehmbefähigten ebensowenig beschweren, wie sich je irgend einmal dein kleiner Finger darum beschwert hat, daß er nicht ein Auge deines Hauptes geworden ist! – Sage Mir nun, ob du mit dieser Antwort zufrieden bist!“

8. Sagt Cyrenius: „Herr, – mehr als vollkommen! Werde Dir mit solch einer höchst dummen Frage auch nimmer kommen! Du aber habe nun ganz ungestört die Gnade, uns etwas sehen zu lassen!“

114. Kapitel. Ein Blick in die Welt der Naturgeister.

1. Sage Ich: „Sehet, Ich habe zu dem Behufe diese unsere Leuchtkugel aus der tiefsten Mitte Afrikas herbeischaffen lassen, um euch gewisserart ohne Wunder, mehr auf einem für euch bisher noch ganz unbekannten natürlichen Wege, die Naturgeisterwelt zu erschließen!

2. Das Licht dieses Steines hat die Eigenschaft, auf die Lebensnerven über der Magengrube derart einzuwirken, daß die Seele ihr Sehvermögen nach längerem Einwirken dieses Lichtes dahin zieht und dadurch selbst die verborgensten Dinge zu sehen beginnt. Euer Schauen wird sich nun ganz dahin versetzen, und ihr werdet dadurch mit geschlossenen Augen besser sehen als so nun mit den offensten Fleischesaugen.

3. Für einige Menschen hat auch der Mond eine ähnliche Wirkung, jedoch nie in dem hohen und mächtigen Grade wie das Licht eben dieses Steines. Schließet nun eure Augen und überzeuget euch, ob ihr mit der Magengrube nicht besser sehet denn mit den Naturaugen!“

4. Auf diese Meine Worte schlossen alle die Augen und konnten sich nicht genug wundern über dies allerschärfste Sehvermögen der Seele durch die Magengrube.

5. Nur Mathael und seine vier Gefährten sagten: „Dies wunderliche Schauen ist uns durchaus nicht fremd; denn auf diese Art sahen wir oft die seltensten Dinge und wandelten oft über Stellen, über die im natürlich- wachen Zustande kein Sterblicher ohne den gräßlichsten Fall hinwegkommen könnte, und sahen dabei alle Luft, wie auch das Gewässer der Meere und Seen, Flüsse und Bäche stets dicht angefüllt mit allerlei der wundersamen Fratzen und Larven, die sich in der Luft schneller oder langsamer fortschoben nach allen bekannten Windrichtungen; auch schwebten sie auf und nieder, drehten sich bald langsam, bald ganz geschwind in Kreisen. Einige saßen gewisserart wie Schneeflocken auf die Erde nieder und verkrochen sich gewissermaßen schnell in ihre Furchen; einige wurden wie ein Tau von den Pflanzen aufgesogen, andere vom Erdreiche, und noch einige von allerlei Gestein.

6. Die ins Erdreich sich verkriechenden und die von der Pflanzen- und Steinwelt aufgesogenen kamen nicht wieder zum Vorscheine; aber wo irgendein Baum oder ein Kraut oder etwas Tierisches verweste, da erhoben sich, anfangs wie ein leichter, schimmernder Dunst aussehend, allerlei neue Gebilde, die sich bald zu Hunderttausenden ergriffen und in eine schon ganz gut ausgebildete Form zusammenschmolzen.

7. War die Form einmal fertig, so dauerte es gar nicht lange, daß sich diese Form, wie mit einer Art von eigenem Bewußtsein versehen, zu bewegen anfing und also tat wie ein Hund, so er etwas sucht, was seine Spürnase irgendwo aufgewittert hat.

8. Wir sahen diese Wesen gewöhnlich den Herden von Schafen, Ziegen, Rindern zuschweben. Hatten sie eine solche erreicht, so blieben sie unter derselben; und wurde von den Tieren eine Begattung verübt, wozu sie die Tiere sehr anzureizen schienen, da wurden sie von den Tieren, die sich begatteten, abermals, wie ein Tau vom schon etwas dürr gewordenen Grase, eingesogen und kamen nicht mehr zum Vorscheine.

9. Viele solcher Formen eilten auch den Gewässern zu und schwammen leicht gleitend eine Zeitlang auf der Oberfläche herum. Einige tauchten darauf entschieden unters Wasser; einige drängten sich zu einer nebligen Masse mehr zusammen und tauchten dann erst unter, so sie wieder in eine neue Form zusammenschmolzen, die nicht selten einem Wassertiere ähnlich sah.

10. Aber was das Sonderbarste war, so sahen wir, wie jetzt aus dem Wasser sich stets tausenderlei Fratzen, Larven und Formen erhoben, und sie hatten die beiläufige Gestalt von allerlei fliegenden Insekten, wie auch von kleinen und großen Vögeln jeder möglichen Art und Gattung. Sie hatten förmlich ganz gut ausgebildete Flügel, Beine und andere Extremitäten; aber sie bedienten sich derselben nicht wie die Vögel, sondern es hing alles an ihnen, und sie schwebten dann mehr wie Flaumen oder Flocken in der Luft umher. Nur wenn ein Schwarm wirklicher Vögel in ihre Nähe geflogen kam, sah man wirkliche Lebensregungen an diesen dunstigen Larven und Formen; sie zogen dann auch mit dem Schwarm und wurden von selbem in Kürze wie aufgezehrt.

11. Aus der Höhe aber entdeckten wir stets wie einen lichten Staub herabregnen, manchmal mehr, manchmal weniger dicht, und besonders häufig war er über den Wasserflächen zu ersehen. Wenn man diesen Staub näher betrachtete, so fand man an ihm auch irgendeine Form, die entweder kleinsten Eierchen oder überaus kleinen Wassertierchen gleichsah, und dieser Staub wurde vom Wasser aber auch sogleich verschlungen.

12. Oh, es ließe sich da sehr vieles erzählen, wenn man die Zeit dazu hätte! Aber was wir vorher in unserem unglücklichen Zustande sahen, das sehen wir nun mit wirklich verschlossenen Augen wieder, und dieses Schauen weckt in uns die Erinnerung wieder, die uns nun laut zuruft: ,Dieses alles habt ihr etliche Jahre hindurch allabendlich und allnächtlich geschaut!‘ Manchmal hatten wir sogar am Tage, wenn es so recht herbstlich trübe war, dieselben Gesichte, wußten natürlich nicht, was wir daraus hätten machen sollen; nun aber verstehen wir glücklicherweise die Sache und wissen, was daraus wird, und woher es kommt, und was es ist! Dir, o Herr, alle Ehre, alle Liebe, allen Dank und alle Anbetung darum!“

115. Kapitel. Jarah und die Naturgeister.

1. Sagt nun die nebenan ruhende Jarah: „Aber Herr! Was sind denn das für kleine Männlein? Sie kamen vom Walde her und umlagern uns nun scharenweise in allen Farben! Einige scheinen ein dunstiges Kleid zu haben; die meisten aber sind ganz nackt und haben aber alle die Größe von kaum zwei Jahre alten Kindern.“

2. Sage Ich: „Das sind diesirdische, schon konkrete Menschenseelen, die den Weg des Fleisches noch nicht durchgemacht haben. Sie haben auch bis jetzt noch keine besondere Lust dazu, weil sie eine neue Einkerkerung in die Materie zu sehr fürchten. Die Bekleideten haben sogar eine Art Sprache, die freilich nicht gar weit her ist; aber eine gewisse Affenintelligenz besitzen alle!“

3. Sagt die Jarah: „Würden die Bekleideten mich verstehen, so ich sie anredete?“

4. Sage Ich: „Versuche es einmal auf gut Glück!“

5. Hierauf nimmt sich die Jarah einen Mutanlauf und fragt einen dunstbekleideten Lichtblauen: „Wer seid ihr denn, und was wollt ihr hier?“

6. Das lichtblaue Männlein tritt nun ganz knapp zur Jarah hin, glotzt sie recht starr an und sagt darauf: „Wer gebot dir, du stinkendes Fleisch, uns Reine zu fragen?! Bis auf den einen und bis auf noch einen stinket ihr alle gar ekelhaft nach der Materie; und das ist der größte Feind unserer Nüstern! Frage du in der Folge uns erst dann, du stinkendes Aas, wenn du vom allmächtigen Geiste aller Geister dazu ein Gebot erhalten haben wirst, – sonst sorge du dich, wie du deines fleischlichen Mottensackes auf eine gute Art ledig wirst!“

7. Frage Ich die Jarah: „Nun, Mein Töchterchen, wie schmeckt dir diese Antwort?“

8. Sagt die Jarah: „Herr, Herr, ach, diese Wesen sind ja ganz ungeheuer roh und grob! Bin ich denn wohl gar so ein stinkendes Aas? Ich kann mir nun vor lauter Wehmut nicht helfen; ja ich könnte nun ganz leicht verzweifeln!“

9. Sage Ich: „Schau, schau, Mein Töchterchen, das Geistlein hat dir ja etwas Gutes getan! Warum grämst du dich nun darob?! Das Geistlein hätte dir das freilich wohl mit zierlicheren Worten sagen können, daß in dir noch so ein ganz kleines Schönheitshochmütchen ganz verborgen wohnet; aber das Geistlein ist kein Sprachkünstler, hat nur einen notdürftigen Wortreichtum und spricht so ganz eigentlich mehr aus seiner Empfindung denn aus irgendeinem Verständnisse heraus.

10. Ist dein Gemütsglück zerstört, daß du den Lichtblauen angeredet hast? Hättest du erst so einen Glühroten um etwas Ähnliches wie den Lichtblauen gefragt, der hätte dir erst eine Antwort erteilt, daß du darob vor lauter Grimm in eine Ohnmacht verfallen wärest. Aber nun bedanke dich für die Wohltat, die dir der Lichtblaue erteilt hat, dann wird es mit ihm wohl bessern Wortes zu reden sein!“

11. Jarah nimmt sich das zu Herzen und sagt sogleich zum sie noch immer starr anglotzenden Geistlein: „Ich danke dir, liebes Männlein, für die Wohltat, die du durch deine aller Schonung baren Wörtlein mir zugefügt hast; sei mir aber darum nur nicht gram! Gelt, liebes Männchen, du wirst mir darum doch nicht gram sein oder bleiben?“

12. Hier macht das Männchen eine helle Lache und sagt, noch lachend: „Der dir das gesagt hat, der wäre schon recht, – aber du Schneegänschen noch lange nicht; denn auf deinem stinkenden Boden ist weder der Gedanke noch der Wille dazu gewachsen! Aber erträglicher bist du mir nun schon denn zuvor; nur draußen ist dein Schönheitshochmütlein noch lange nicht ganz. Bilde nur du dir gar nichts ein; denn alles, was dein ist, ist schlecht, – das Gute gehört wem andern!“

13. Sagt Jarah: „Aber sage mir, du liebes Männchen, woher weißt du denn das alles?“

14. Lacht's Männchen wieder und sagt: „Was man sieht, das braucht man nicht zu wissen! Du siehst nun ja auch mehr, als was du sonst sehen konntest! Ich sehe aber noch mehr als du, weil ich kein stinkendes Fleisch um mich gehängt habe; und so sehe ich genau, wie du und ein jeder andere aus euch beschaffen ist. Ich sage dir's, bilde du dir auf alle deine Vorzüge nichts ein; denn die sind bei dir noch langehin ein fremdes Gut!“

15. Sagt die Jarah: „Ja, wieso denn? Erkläre mir das doch näher!“

16. Sagt das Männchen: „Wenn dir einer, der viele Reisen gemacht hat und sich dadurch mit viel Mühe und Beschwerden allerlei Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt hat, das mitteilt, was er gesehen und erfahren hat, so wirst du dann auch das wissen, was er selbst weiß und kennt; kannst du dir darauf etwas einbilden? Denn das, was du nun mehr weißt denn früher, ist ja nur ein doppeltes Verdienst dessen, der sich erstens mit viel Mühe und mit vielen Opfern solche Kenntnisse und Erfahrungen mühsam gesammelt hat, und der zweitens noch so gut war, dir das alles getreust mitzuteilen. Sage mir, ob du dir die Erwerbung solcher Erfahrungen und Kenntnisse zu einem Verdienste anrechnen kannst?

17. Sieh, da stehst du nur als ein mit viel nützlichen und guten Wissenschaften und Erfahrungen beschriebenes Buch und noch lange nicht als ein weiser Schreiber des Buches da! Wem gehört denn da das Verdienst des Guten, was im Buche geschrieben steht, dem Buche oder dem, der das alles in dasselbe geschrieben hat? Siehe, du bist ein recht beschriebenes Buch, aber ein Schreiber noch lange nicht! Darum bilde nur du dir nichts ein!“

18. Hierauf lacht das Männchen wieder und stellt sich auf wie ein Feldherr und sagt zu seinem Heere: „Wenn ihr euch an der Gesellschaft sattgeglotzt habt, so ziehen wir wieder weiter; denn hier stinkt es mir einmal zu viel!“

19. Auf einmal ziehen sie ab und verschwinden im Walde.

116. Kapitel. Das Wesen und Treiben der Naturgeister.

1. Jarah aber sagt: „Wer hätte denn je in diesen luftigen Männlein so viel Weisheit gesucht?! Aber im Grunde bin ich doch froh, daß sie wieder abgezogen sind; denn sie hätten uns mit der Zeit noch ganz kurios warm gemacht, obwohl sie für sich ganz kalter Natur zu sein scheinen. Von einer Liebe scheint in ihnen nicht viel zu wohnen; aber sie wissen sehr wohl das Wahre vom Falschen zu unterscheiden. Was wird denn hernach aus diesen Wesen, wenn sie den Weg des Fleisches gar nicht durchmachen wollen?“

2. Sage Ich: „Sie werden ihn schon einmal durchmachen; aber es wird noch lange hergehen, bis sie sich dazu entschließen werden. Die Lichtblauen am ehesten, die andern aber noch lange nicht!

3. Denn die Seelen, die so aus der Natur dieser Erde hervorgegangen sind und täglich hervorgehen, entschließen sich äußerst schwer dazu; nur viele Erfahrungen und viele Erkenntnisse und daraus hervorgehende beste Hoffnungen sind es, die sie dazu bewegen, wenn sie zu der sichern Erkenntnis kommen, daß sie durch den Fleischweg nie etwas verlieren, sondern nur gewinnen können, indem sie im schlimmsten Falle das wieder werden können, was sie nun sind.

4. Diese Naturseelen halten sich zumeist gern in Bergen auf, gehen aber auch in die Wohnungen ganz einfacher, armer, schlichter Menschen und tun ihnen Gutes; nur dürfen sie nicht beleidigt werden. In diesem Falle ist mit ihnen nicht gut Mahlzeit halten.

5. Sie besuchen heimlich auch Schulen und lernen vieles von den Menschen. Den Bergleuten zeigen sie nicht selten die besten und reichsten Metallager. Auf den Alpen dienen sie den Hirten und den Weidetieren; nur dürfen sie nicht beleidigt werden.

6. Es gibt noch etliche solcher Naturseelen auf dieser Erde, die nahe ein fünffaches Alter Methusalems erreicht und den Weg des Fleisches noch nicht betreten haben. Alles wäre ihnen sonst recht, – nur der Verlust der Rückerinnerung hält sie am meisten zurück, weil sie dies als eine Art Tod ihres gegenwärtigen Seins ansehen.

7. Nun aber wisset ihr auch, was es da mit diesen Wesen für eine Bewandtnis hat. Gebet nun aufs Weitere acht, was da kommen wird!“

8. Sagt hier einmal auch unser alter Kisjonah aus Kis: „O Herr, als Du vor etlichen Wochen in meinem Hause Dich gnädigst aufgehalten hast, was Großes und Erhabenes habe ich da alles gesehen und gehört! Aber was nun während ein paar Tagen meines Hierseins alles geschehen ist, und gehört und gesehen ward, davon hat in ganz Galiläa wohl niemand irgendeinen noch so leisen Traum gehabt! Herr, vergib, daß ich es gewagt habe, mit meinem plumpen Munde Dich nur in irgend etwas zu unterbrechen! Denn man sollte hier eigentlich selbst nie ein Wort reden, sondern allein hören und schauen; und versteht man irgend etwas nicht ganz auf der Stelle, so gedulde man sich nur ein wenig, und es kommt bald die Erklärung von selbst! – Ich habe schon ausgeredet!“

9. Sage Ich: „Oh, rede und frage du, Mein liebster Freund Kisjonah, nur immerhin und -zu, denn Deines Mundes Rede klingt überaus wohl in Meines Herzens Ohren; denn der Demut Stimme Klang ist Mir bei weitem die allerschönste Harmonie.

10. Du hast auch gestern am Tage vernommen den herrlichen Ton, den Mein Engel Raphael hervorbrachte; wie himmlisch herrlich sich aber auch jener Ton hat vernehmen lassen, so klingt Meinem Ohre der reinste Klang der wahren Demut noch ums unvergleichbare herrlicher!

11. Du bist auch ein rechter Mann nach Meinem Herzen, und Ich werde die Wintertage in deinem Hause zubringen, und da wird sich noch so manche Gelegenheit finden, dich und dein ganzes Haus über so manches aufzuhellen. Sei du darum immerhin guten Mutes, und schaue dir nun alles gut an, – die Erklärungen werden nicht hinterm Wege verbleiben!“

12. Sagt Kisjonah: „O Herr, dieser zu großen Gnade bin ich zwar wohl nicht im geringsten wert, aber solch ein Winter wird für mich wohl eine allerseligste Zeit sein! Oh, welche Freuden werden daselbst in meinem Hause vor sich gehen! Aber nun wohl kein Wort mehr über meine Lippen!“

13. Sagt Cyrenius: „Da werde auch ich von Zeit zu Zeit ein Bewohner deines Hauses werden und alles beitragen, um die ganze Gegend, das heißt die Armen, so gut als tunlich zu versorgen!“

14. Sagt Kisjonah: „Hoher Gebieter, das wird von dir sehr schön sein, und mir wird es zu einer großen Freude sein! Aber ich bitte, nur jetzt nicht viel reden dazwischen; denn an uns schweben in einem fort Wunder über Wunder vorüber, und wir betrachten sie mit einer viel zu geringen Aufmerksamkeit!“

117. Kapitel. Ein Seelensubstanzknäuel.

1. Darauf sagte Mathael: „Oho, was schwebt denn dort von der Gegend der Stadt her für ein ungeheuer großer Knäuel?! Er kommt näher und näher. Seht seht, wie es im selben durcheinanderwoget und schlangenartig sich windet! Was sind denn das alles für sonderbare Gestalten?! Ich bemerke, wohl unterscheidbar, Ochsen, Kühe, Kälber, Schafe, Hühner, Tauben, allerlei andere Vögel, Fliegen, Käfer aller Art und Gattung; Esel, auch etliche Kamele, Katzen, Hunde, ein paar Löwen, Fische, Nattern, Schlangen, Eidechsen, Grillen, Stroh, allerlei Holz, eine Masse Getreidekörner, Kleider, Früchte, sogar allerlei Gerätschaften und noch eine Menge von allerlei, das ich gar nicht kenne! Was soll denn das vorstellen?! Sollen das etwa auch Seelen sein, die alle wie in einen überaus großen und völlig durchsichtigen Sack eingenäht erscheinen und im selben durcheinanderfahren wie lockere Spreu im Wirbelwinde?!“

2. Sage Ich: „Das sind Seelen oder respektive Geister unterer Art, als eine sich noch eine Zeitlang zusammenhaltende Unglückskompanie, die sich erst dann trennen wird, wenn sie in dem ersichtlichen Nährsacke reifer geworden ist.

3. Alles, was auf der Welt nur irgendwo als was immer besteht, ist Seelenstoff. Wird er durch was immer in seiner materiellen Kohäsion (Zusammenhalt) zerstört und dadurch seelisch frei, so ergreift er sich nach der Zerstörung in der früheren materiellen Form wieder und besteht so noch eine Zeitlang fort. Hat sich mit der Weile diese Form mehr ausgereift mit der Intelligenz, so fängt er dann nach und nach an, die alte Form zu verlassen und in eine lebensfähigere überzugehen.

4. Dieser Knäuel ist ein Aufnahmegefäß für alles; was nur immer bei dem Feuer und durch das Feuer zerstört wurde, das findest du nun in diesem Knäuel als Seelensubstanz, mit einiger Intelligenz behaftet. Daß sie alle in diesem Sacke wie in einem Käfige beisammen und untereinandergemengt erscheinen, daran ist die Angst schuld.

5. Wenn zum Beispiel auf irgendeinem Punkte der Erde große Elementarrevolutionen in sehr naher Aussicht stehen, was natürlich von einer großen Bewegung der Naturerdgeister oder -seelen herrührt, so werden auch alle Tierseelen von einer großen Bangigkeit befallen. Da fangen alle Gattungen Tiere an, sich gegenseitig ganz freundlich entgegenzukommen und bilden eine ganz friedliche Gesellschaft. Die Natter kümmert sich nicht um ihr Gift, die Schlange auch nicht; die reißenden Tiere vergreifen sich nicht mehr an den friedlichen Lämmern; die Biene und die Wespe haben ihren Stachel wie ein Krieger sein Schwert in die Scheide gesteckt. Kurz, da ändert alles seine Natur; sogar die Pflanzenwelt läßt ihre Häupter traurig hängen, und es erhebt keine Pflanze eher ihr keusches Haupt, als bis die Kalamität vorüber ist.

6. Alles aber – mit Ausnahme der Menschen –, was bei einer solchen Gelegenheit irdisch zerstört wurde, vereinigt sich nach der Zerstörung in der noch fortbestehenden Angst auch als Seelensubstanz und umhäutet sich zur Not. Wenn so ein lockerer Seelenknäuel dann etwa ein Jahrhundert lang also herumgeschwärmt hat, so haben sich die ursprünglich verschiedenartigen Seelenelemente gegenseitig mehr angezogen, fangen nach und nach an, sich zu vereinen, und machen sonach dann eine oder auch mehrere recht kräftige Naturmenschenseelen aus.

7. Dieser vor uns schwebende Knäuel faßt alles in sich, was durch das Feuer von Cäsarea Philippi zerstört worden ist. Dieser Knäuel wird zu der Vollentwicklung wohl über hundert Jahre benötigen; aber es werden dann auch über hundert reife Naturmenschenseelen die leichte Umhäutung durchbrechen und etwa wieder nach hundert Jahren unsern Fleischesweg durchmachen.

8. Bei Feuersbrünsten, bei feuerspeienden Bergen, auch bei großen Überschwemmungen bilden sich gleichfort solche Knäuel. Wo wenig tierische Elemente dabei sind, dauert die Umwandlung länger; wo aber tierische Elemente daruntergemengt sind, wie hier, dauert sie gewöhnlich kürzer.

9. Auch ist eben nicht die Folge, daß aus den Knäueln, in denen kein Tier sich befindet, dennoch Naturmenschenseelen sich entwickeln sollen; es können daraus auch Naturtierseelen oder gar nur wieder edlere Pflanzenseelen hervorgehen, welch letztere gewöhnlich aus den Verwesungsdünsten oder aus allerleiartigen, sogenannten vulkanischen Dämpfen und Rauchmassen sich entwickeln.

10. Kurz, wo bei den Dünsten nachgewiesen werden kann, daß sie entweder aus der Verwesung grob-tierischer und ebenso grober Pflanzenmaterie hervorgehen oder bloß mineralischen Gärungsprozessen entstammen, da entwickeln sich nur allerlei Pflanzenseelen und vereinen sich den gröbsten Teilen nach durch die Wurzeln, den etwas edleren Teilen nach mit den Blättern und den edelsten Teilen nach bei Gelegenheit der Blütenbegattung mit einer aus einem Keime hervorbrechenden und tätig werdenden Pflanzenseele und bilden somit die segenreiche Vervielfachung der Samenkörner und ihrer Keime.

11. Die gröberen derartigen Pflanzenseelenspezifika bleiben in der Materie sitzen, als im Stamme und im Holzfaserstoffe, die edleren kommen in das zartere Blätterwerk, die noch edleren bestimmen die Frucht selbst und was derselben vor- und nachgehet, und die alleredelsten vereinen sich dann schon zu einem in sich intelligenten Keimleben, das dann schon fähig ist, entweder sich selbst zu einem gleichen Leben von neuem zu erwecken, um die alte Tätigkeit von vorne herein zu beginnen oder durch den Genuß von seiten eines Tieres oder eines Menschen sogleich in die Tier- oder gar Menschenseele überzugehen.

12. Darum genießt der Mensch auch zumeist nur die Frucht der Pflanzen, damit die Pflanzenkeimseelen sich sogleich mit seiner Seele einen können, die schon gröberen Teile des Kerns und der Frucht aber nur mit dem Blute und Fleische und mit den Knorpeln und Knochen, was alles nach dem Abfalle als ein noch zu Unlauteres wieder durchs Reich der Pflanzenwelt sich dann und wann noch mehrere Male mit hindurchzureinigen hat, bis es zu einem Keimgeiste und zur Aufnahme in eine neue Tier- oder gar Menschenseele vollends reif wird. – Nun wisset ihr so beiläufig auch, wie diese Knäuel entstehen und welchen Fortgang sie nehmen, und was da ihr Endziel ist, und so könnet ihr nun eure Betrachtungen schon weiter beginnen und sehen, ob nicht wieder eine Erscheinung euch aufstoßen wird!

13. Das aber, was ihr hier nun schauet, ist die erklärte Jakobsleiter, durch die er Himmel und Erde in einer Verbindung erschaute und sah die Kräfte des Lebens und Gottes Gedanken auf- und niedersteigen. Jakob sah das Bild wohl, aber weder er noch jemand nach ihm bis auf diese Zeitstunde hat es verstanden. Vor euch aber habe Ich es nun enthüllt; aber dazu mußtet auch ihr alle durch das Licht jener Leuchtkugel zuvor in eine Art hellen Schlafes versetzt werden, um die enthüllte Jakobsleiter zu schauen und sie endlich durch Mein Wort auch zu verstehen, auf daß ihr wisset, wie da Himmlisches und Irdisches zusammenhängt und auf derselben Stufenleiter eines stets in das andere übergeht. – Sehet über das Meer hin, das heißt nun mit eurer Geist- oder vielmehr Seelensehe, und saget Mir, was ihr da sehet!“

118. Kapitel. Das Wesen des Sauerstoffes.

1. Sagt einmal Zinka: „Herr, ich sehe auf des Wassers Oberfläche, wie eine Unzahl feuriger Schlangen hin und her fahren; einige tauchen auch unter, doch die Schnelle ihrer Bewegung wird durch des Wassers Masse nicht gehemmt. Ich sehe bis auf den Grund des Meeres; am Grunde gibt es eine Menge Ungeheuer aller Art, auch zahllos viele Fische, und alles schnappt nach diesen feurigen Schlangen. Hat ein Fisch oder ein anderes Ungeheuer eine oder mehrere solcher Feuerschlangen in sich verschlungen, dann werden sie regsamer und lebendiger, und eine förmliche Art Wollust blitzt aus diesen Wasserwesen.

2. Ich sehe nun diese Feuerschlangen, nur viel kleiner und minder leuchtend, auch in der Luft herumschwärmen; über der Region des Wassers sind sie am dichtesten. Vögel, die zur Nacht sich über dem Wasserspiegel zu belustigen pflegen, scheinen sie nicht sehr zu lieben; aber die Fische springen ihnen aus dem Wasser entgegen. Die auf dem Wasser herumschwimmenden aber glänzen am stärksten und haben auch eine pfeilschnelle Bewegung! – Was, o Herr, ist das nun? Wie sollen wir dieses verstehen?“

3. Sage Ich: „Das, was ihr da sehet, ist der eigentliche Lebensnährstoff, es ist das Salz der Luft und das Salz des Meeres; einstens werden die Naturweisen dieses Element den Sauerstoff nennen. Sehen werden sie ihn wohl nicht, aber wahrnehmen, und sie werden bestimmen seinen Gehalt und sein Vorhandensein nach mehr oder weniger oder auch seine gänzliche Abwesenheit.

4. Das Wasser als das Hauptlebenselement für Pflanzen, Tiere und Menschen muß dieses Sauerstoffes am meisten in sich fassen, und namentlich das große Weltmeer. Die Tiere im Wasser könnten gar nicht leben, so das Wasser nicht stets im reichlichsten Maße mit diesem Stoffe erfüllt würde.

5. Dieser Stoff ist ursprünglich die eigentliche Seelensubstanz und entspricht den Gedanken, bevor sie noch zu einer Idee zusammengefaßt werden. Aber so ihr einmal dieses seelischen Lebensstoffes in einer hinreichenden Menge irgend zusammengedrängt finden werdet, da wird sich auch bald irgendeine Form entweder belebt, das heißt als zart und regsam, oder aber auch ganz starr wie ein Stein oder wie ein Stück toten Holzes zeigen. Sehet nur besonders gegen die Ufer hin, und ihr werdet stellenweise ein besonderes, punktiertes Stechleuchten entdecken; das entsteht durchs Zusammendrängen des Lebensstoffes.

6. Ihr könnet es nun sehen, wie sich unsere Feuerschlangen hie und da wie auf einen Klumpen zusammenziehen zu Hunderten und Tausenden an der Zahl. Solch ein also wie zufällig gebildeter Klumpen leuchtet dann eine kurze Zeit äußerst heftig. Dies größere Leuchten ist der Moment des Sich- Ergreifens von einer Menge dieser Lebensfeuerschlangen; mit diesem Ergreifen ist dann aber auch schon eine Idee unter irgendeiner Form fertig.

7. Ist die Form einmal in der Ordnung, so tritt dann eine Ruhe ein, und das besondere Leuchten hat aufgehört; aber dafür wird schon ein Geschöpf daraus. Entweder zeigt es sich in der Form eines Kristalles oder in der eines Samenkornes oder Eies oder gar schon in der Form eines fertigen Wassertierchens oder mindestens eines Wassermoospflänzchens, – aus welchem Grunde ihr auch sehr häufig die flacheren und seichteren Ufergegenden stets am reichsten mit allerlei Wasserpflanzen werdet bewachsen ersehen mit dem fleischlichen Auge. Und wo solche Pflanzenstellen sich sehr häufig vorfinden, dort wird es an allerlei größeren und kleineren Wassertieren auch keinen Mangel haben.

8. Ihr fraget nun wohl, wer da diese Lebensgeister, von denen eins dem andern gleichsieht, modelliert zu irgendeiner entweder starren oder lebensregsamen Form?! Diese Frage wird euch am besten Mein Raphael beantworten. Komm, Raphael, rede und zeige dich praktisch!“

119. Kapitel. Raphael zeigt das Erschaffen der organischen Wesen.

1. Hier tritt Raphael hervor und sagt: „Gott ist in Sich ewig und unendlich. Der unendliche Raum ist von Ihm allein erfüllt. Er als der höchste, reinste und größte Gedanke und die ewig vollendetste Idee in und aus Sich Selbst kann, als alles das von Ewigkeit, auch nur in einem fort Gedanken fassen in Seiner ganzen Unendlichkeit, und diese ist voll derselben aus Ihm; wir (die ,Urengel‘) aber, als Seine schon seit den für euch Menschen undenklichsten Zeiten ausgereiften und nun selbständigen Lebensideen voll Licht, Weisheit, Erkenntnis und Willenskraft, haben noch eine unendliche Menge Dienstgeister unter uns, die gewisserart unsere Arme ausmachen und unsern Willen erkennen und denselben auch sogleich in Vollzug setzen.

2. Die puren Gedanken Gottes sind der Stoff, aus dem alles, was die Unendlichkeit faßt, entstanden ist: wir ursprünglich ganz allein durch den Willen des allerhöchsten und allmächtigsten Geistes Gottes, – alle diese Dinge und Wesen aber dann durch uns, die wir die ersten und vorzüglichsten Aufnahmegefäße für die aus Gott kommenden Gedanken und Ideen waren und sind und von nun an in erhöhter und stets vervollkommneterer Weise auch für ewig verbleiben werden.

3. Wir fassen die aus Gott kommenden Lebensgedanken, die sich euch in der Gestalt feuriger Langzungen zur Beschauung stellen, zusammen und bilden in einem fort, nach der Gottesordnung in uns, Formen und Wesen; und so da euch jemand fragete, woher Gott oder wir, als Seine sozusagen schon ewigen Diener, Boten und Knechte, den materiellen Stoff zur Bildung der Wesen hergenommen haben, – da vor euch habt ihr ihn nun! Diese schlangenartigen und feurigen Langzungen sind die geistigen Bausteine, aus denen alles, was die ganze Unendlichkeit nur immer Materiell-Wesenhaftes in sich faßt und birgt, gemacht worden ist.

4. Wie dieses Machen aber vor sich geht, hat euch zuvor der Herr Selbst überaus klar gezeigt. Aber ihr werdet das alles erst dann in aller Fülle der wahren Lebensklarheit einsehen und vollkommen begreifen, wenn ihr selbst ganz lebensvollendet vor Gott dem Herrn stehen werdet im Geiste und nicht mehr im schweren Fleische.

5. Auf daß ihr aber nach dem Willen des Herrn auch, was euch nun möglich ist, sehen könnet, wie wir mächtigen und alten Diener Gottes aus diesen in dem Raume umherschwebenden Gottesgedanken Formen und Wesen bilden, so sehet mit eurer Seele Augen her, und ihr werdet etwas erfahren, was bis jetzt noch kein Sterblicher auf der Erde erfahren hat!

6. Sehet, ich gebot nun im Namen des Allerhöchsten meinen dienstbaren Geistern, recht viel des notwendigen Stoffes hierherzuschaffen! Und sehet, schon haben wir nun einen hellstrahlenden Klumpen von unseren feurigen Langzungen vor uns, der noch keine andere Form denn die eines runden Feuerballes hat! Sehet nur, wie die feurigen Langzungen sich aneinanderdrängen und -schmiegen, als wollte eine jede in die Mitte hineinkriechen! Nach und nach tritt nun in dem Bestreben scheinbar stets mehr und mehr Ruhe ein; aber es ist dies dennoch keine Ruhe, sondern nur ein durch stets vermehrtes Drängen gegen den Mittelpunkt eingetretenes Hindernis, sich dem Mittelpunkte noch mehr zu nähern.

7. Ja, aber warum strebt denn alles dem Mittelpunkte zu? Sehet, wenn ich hier verschiedene gleich große Materiekugeln zum Werfen habe, so wird jene, die am meisten schwer ist, auch am schnellsten und am weitesten geworfen werden können, oder sie wird bei einer gleich weiten Entfernung bei einer ganz gleichzeitigen Abschleuderung sicher zuerst das gestellte Ziel erreichen! Also verhält es sich auch mit den endlos vielen aus Gott gehenden wesenhaften Gedanken. Es gibt darunter gewisserart ganz schwere, die schon einer förmlichen Idee gleichkommen, weniger schwere, aber doch immer als Gedanken ganz gediegene; dann gibt es leichtere Gedanken, die noch weniger reif und lichtgenährt sind, ganz leichte Gedanken, erst als ein Etwas gedacht, und endlich gibt es auch sehr leichte Gedanken. Das sind solche, die den Frühkeimen oder besser den Frühknospen eines Baumes gleichen. Sie sind zwar in sich schon etwas, haben aber noch nicht jene göttliche Entfaltung erreicht, daß man in ihrem Absonderungsstande bestimmen und sagen könnte: ,Diese oder jene Form werden sie annehmen!‘

8. Wenn unsereiner aus diesem euch nun bekannten Lebensstoffe ein Wesen in der Ordnung des göttlichen Wollens formen will und eigentlich muß nach dem innersten Triebe des allerhöchsten Geistes, so beruft er die ihm dienenden Geister, und diese haben ihm den euch nun hinreichend bekannten Stoff zusammenzuführen; und es ist hier geistig so leicht begreiflich wie materiell natürlich, daß die schwereren Gedanken hier eher an Ort und Stelle sein werden denn die leichten und die gar sehr leichten. Die schwersten bilden offenbar das Zentrum, während die leichten, als später ankommend, mehr und mehr sich mit den Außenseiten begnügen müssen, und die gar sehr leichten das Alleräußerste ausmachen.

9. Da aber die Zentralgedanken die schon reichsten an Nährstoff sind, so drängen sich die noch mehr leeren, armen und noch hungrigen an die reichen, um von ihrem Überflusse etwas zu gewinnen zu ihrer Sättigung. Und ihr habt darum das Phänomen vor euch, wie sich die auswendigsten Feuerlangzungen stets mehr an das Zentrum anschmiegen und nun endlich stets mehr sich zu beruhigen scheinen, obschon ihr Bestreben noch immer das gleiche ist, dem Zentrum so nahe als möglich zu kommen, um vom selben desto mehr von der Nährfülle in sich aufzunehmen.

10. Ihr seht hier also einen Klumpen, der zum größten Teile noch sehr hungrig ist und nun nichts als eine ihm hinreichende Sättigung verlangt. Er ist gleich einem Kugelpolypen des Meeres, der mit seinen tausendmal tausend Saugrüsselchen in einem fort die ihm zusagende Nahrung aus dem Meeresschlamme saugt, bis der Kugelpolyp aus Übersättigung endlich anfängt, Auswüchse zu bekommen, mit denen er dann schon weiter um sich herumgreifen und sich zuzeiten auch schon von Ort und Stelle bewegen kann. Mit den Freßarmen bekommt er auch mehr eine ganz eigentümliche und ausgezeichnetere Form und unterscheidet sich schon sehr von seiner ursprünglichen Kugelform.

11. Ihr alle wundert euch zwar geheim über diese meine aus dem ersten Uranfange eines Wesens und dessen Form abgeleitete Erklärung eines werdenden Seins Darstellung, wie sie nur also und nie und nimmer anders sein kann; wendet eure Blicke aber nur zur Außennatur der Dinge, und ihr werdet dasselbe nur zu leicht und zu bald finden!

12. Nehmet zum Beispiel aus einer Henne den Eierstock und betrachtet die angesetzten Eiklümpchen genau! Einige werdet ihr noch ganz klein, wie kleine Erbsen, andere schon wie die Weinbeeren, und noch andere wie kleine Äpfel finden. Innerhalb einer leichten Umhäutung wird sich nichts vorfinden als der gelbliche Dotterstoff! Wie unförmlich ist noch dieses Sein!

13. Nun wird dieser Zentralstoff aber stets mehr ausgenährt und setzt um sich das Klar an. Nach einiger Nährzeit wird aus dem Klar das Gröbste ausgeschieden, entfernt sich aber dennoch nicht vom Ei, sondern es setzt sich als eine ganz feste Hülse um das Ei und dient demselben zum Schutze gegen das Erdrücktwerden bei der Ausgeburt. Betrachtet nun ein gelegtes Ei; wie sehr verschieden ist es schon vom ersten Ei-Embryo im Mutterleibe!

14. Nun setzt sich die Henne aufs Ei und durchwärmt dasselbe eine Zeitlang. Welche Veränderungen gehen da im Ei vor! Im Dotter fängt es an, sich zu regen und zu ordnen, die rechten Gedanken (feurige Langzungen) finden und verbinden sich und ziehen die ihnen nächstverwandten an sich. Diese verbinden sich wieder teils mit den ersten und noch mehr unter sich, und ziehen aber gleich wieder die ihnen nächstverwandten äußeren, das heißt leichteren, an sich. In kurzer Zeit werdet ihr schon des werdenden Küchleins Herz, Kopf, Augen, Eingeweide, Füße, Flügel und Flaumfederchen entdecken. Ist das Wesen einmal so weit gediehen, so ziehen die geordneten Teile ihr Gleichartiges aus dem vorhandenen Stoffe stets mehr und mehr an sich und bilden sich dann von Augenblick zu Augenblick stets mehr und mehr aus.

15. Ist einmal die Form und der Organismus schon nahe völlig ausgebildet, so wurde während solcher fortgesetzter Tätigkeit auch der ursprüngliche Haupt- und Mittelgedanke stets mehr und mehr gestärkt, unterstützt und gesättigt und fängt nun an, mit der Überfülle seines Lebens in den Organismus überzugehen und greift in desselben Zügel, und das Wesen wird sichtlich lebendig und bildet sich alsdann erst ganz aus.

16. Ist er einmal ganz ausgebildet, da nimmt der in den ganzen Organismus übergegangene Lebensgedanke, was eigentlich die Seele ist, alsbald wahr, daß er sich noch in einem Kerker befindet. Er fängt darob stärker sich zu regen an, durchbricht den Kerker und tritt ganz matt und voll Furcht in die große Welt hinaus, da er sich noch nicht hinreichend gekräftigt fühlt. Er fängt nun gleich an, äußere Weltnahrung zu sich zu nehmen, und fängt dadurch auch gleich wieder weiterzuwachsen an, und das so lange, bis er sich leicht fühlbar mit der Außenweltnatur in ein Gleichgewicht gesetzt hat.

17. Und wir sehen da nun eine ausgebildete, fruchtbare Henne vor uns, die nun wiederum das Vermögen hat, teils aus der Luft, teils aus dem Wasser und zum größten Teile aus der ihr zusagenden schon beseelten organischen Nahrung die sie ernährenden Seelenspezifikalteile in sich aufzunehmen, die geistigen zur weiteren Ausbildung ihrer Lebensseele und die gröberen nicht nur zur Erhaltung ihres Organismus, sondern auch zur Neuschaffung von Eiklümpchenansätzen zu verwenden, aus denen nach dem ordnungsgemäß euch nun gezeigten Verlaufe wieder eine Henne, Männlein oder Weiblein, zum Vorscheine kommt.

18. Das Geschlecht aber rührt von dem jedesmaligen Mehr oder Weniger der ursprünglichen Schwere, Gediegenheit und Kraft des lebendigen Seelengrundgedankens her. Ist dieser schon vom Ursprunge an vollends gediegen, so daß er schon in sich selbst eine Idee ist, so wird dessen Ausbildung in eine männliche Gestalt führen; ist aber das Primitive des Grundlebensgedankens auf der zweiten und leichteren Stufe stehend, so wird sich die Ausbildung in ein Weiblein hinüberziehen.“

120. Kapitel. Die Zeugung beim Tiere und beim Menschen.

1. (Raphael:) „Durch die Begattung der Tiere aber geschieht bloß eine Erregung zur geordneten Tätigkeit des im Ei schon vorhandenen Seelengrundlebensgedankens, ohne welche Erregung dieser in seiner stummen Freßruhe verbliebe, von seiner nachbarlichen Umgebung zehrete und diese vice versa (umgekehrt) wieder von ihm, und das so lange fort, bis sie sich gegenseitig bis aufs letzte Pünktchen aufgezehrt haben würden. Es kann aber solches auch mit den anderen Eiern, die durch die Begattung erregt worden sind, geschehen, wenn die notwendigen späteren Ausbildungsbedingungen ausgeblieben oder nicht im rechten Maße hinzugekommen sind.

2. Bei allen Tieren ist der Akt der Begattung nur eine Erregung des schon Vorhandenen in des Weibleins Leibe; denn Pflanzen- und Tierseelenklümpchen sammeln sich gleichfort in bestimmten Zahlen und Ordnungen am bestimmten Ort im Mutterleib. Sind sie einmal da, so erregen sie zuerst die Mutter, diese erregt durch ihr Erregtsein das Männlein, und dieses geht und befruchtet das Weiblein, – nicht aber, als legte es einen neuen Samen in die Mutter, sondern nur zur tätigen Erweckung des in der Mutter schon vorhandenen Lebensklümpchens.

3. Dieses geschieht dadurch, daß des Männleins Same, als aus mehr freien und ungebundenen Lebensgeistern bestehend, eben als solcher die gebundenen Lebensgeister im Lebensklümpchen der Mutter in eine ordentliche Revolution versetzt und sie also zur Tätigkeit zwingt, ohne welchen Zwang sie in ihrer süßen Trägheit liegenblieben und nimmer zur Formung und inneren Organisierung zu einem Wesen sich ergreifen würden. Des Männleins Samengeister necken und jucken die Lebensgeister im Weiblein in einem fort und geben ihnen keine Ruhe, welchem Necken sich die Mutterlebensgeister in einem fort widersetzen, ja manchmal, wenn sie sehr kräftig sind, des Männleins Samengeister sogar zum Schweigen bringen, – welchen Akt dann die Landwirtschaftssprache ,das Verschütten‘ nennt, was besonders beim Rindvieh häufig geschieht, aber auch bei anderen Tieren und sogar beim Menschen sehr häufig vorkommt. Denn die Lebensgeister im Mutterlebensklümpchen sind zu sehr für die Ruhe gestimmt, als daß sie sich zu gerne zu irgendeiner anhaltenden und geordneten Tätigkeit bequemten. Aber sind sie einmal gehörig und genügend erregt, dann geht die Sache schon vorwärts.

4. Und sehet, gerade so einen Mutterlebensklumpen haben wir hier zur offenen Betrachtung vor uns! Sehet, wie er in der Zeit meiner an euch gerichteten Erklärung sich schon sehr beruhigt hat! Ließe ich ihn nun also, da würde er stets mehr in seinem Bestreben nach Ruhe einschrumpfen, da sich seine Teile stets mehr dem Zentrum näher zögen, dasselbe ganz aussaugten und am Ende mit demselben verkümmern müßten. Denn solche Lebensgeister sind gewisserart wie die kleinen Kinder scheu und furchtsam und nehmen, so sie sich einmal, wie ihr hier sehet, eingepuppt haben, von außen her ja keine Nahrung mehr zu sich, sondern saugen in einem fort an ihrem Mutterzentrum und müssen darum einschrumpfen bis zu einem punktgroßen Klümpchen. Aber nun werden wir kräftige und sonach männliche, nur für die Bewegung gleichfort erregte Urlebensgeister hierherziehen und diesen weiblich trägen Klumpen von ihnen in einem fort bestreichen lassen, und ihr werdet da sehen, welche Wirkung das in diesem weiblichen Klumpen hervorbringen wird.

5. Sehet, ich habe nun nach dem Willen des Herrn durch die vielen untergeordneten Dienstgeister die großen und, wie ihr sehet, sehr hell leuchtenden, langfeuerzungenartigen Urgedankenlebensgeister, die dort am Wasser spielten, hierhergezogen! Sehet nur recht genau, wie sie sich um den vor uns frei schwebenden weiblichen Lebensklumpen alleremsigst zu tummeln anfangen! Und sehet, schon fangen die kleineren, sämtlich weiblichen Lebensgeister wieder an, sich zu rühren, und bemühen sich, dieser unruhigen, männlichen Lebensgeister los zu werden; aber diese weichen nimmer, und die Erregung der weiblichen Lebensgeister greift immer tiefer und tiefer bis zum Hauptlebenszentrum!

6. Nun beginnt sogar dieses sich auch zu rühren, und da die dasselbe umlagernden Lebensgeister, durch starke Regsamkeit wieder sehr hungrig gemacht, vom Lichte der männlichen Lebensgeister Nahrung zu nehmen genötigt sind und dadurch wieder selbst heller und voller werden, so bekommt auch der Zentralhauptlebensgedankengeist durch sie eine Mannsnahrung. Durch diese Tätigkeit genötigt, bekommen die Umlagerer von innen heraus die Anregung, sich mehr und mehr zu ordnen, zu einer Art gut geordnetem Bollwerke. Die kräftigeren Lebensgeister gegen das Zentrum hin aber, nun gut erhellt, erkennen sich und ihren Sinn und dessen Ordnung und scharen sich nach der Art ihres Sinnes und ihrer Verwandschaft; und schon sehet ihr daraus organische Verbindungen entstehen, und das Äußere geht in eine Form über, die stets mehr und mehr einem Tierwesen ähnlich zu werden anfängt.

7. Durch diese Tätigkeit und durch diesen Kampf werden alle Lebensteile stets der Nahrung bedürftiger, und durch die männlichen wird ihnen diese auch stets mehr zugeführt. Die sich stets mehr und mehr ordnenden äußeren Lebensgeister aber fangen an, wegen der Nahrung sich mit den sie beunruhigenden Mannsgeistern vertraut zu machen, die alte Furcht und Scheu schwindet, und es geht das auch auf die inneren Geister über. Es fängt alles an, sich freier zu regen und zu bewegen, und die Folge ist das Vollenden des Wesens, das nun in aller Kürze schon so weit gediehen ist, daß ihr Kinder des Herrn nun schon bestimmen könnet, welche Tiergattung da heraus zum Vorscheine kommen wird. Sehet, es wächst heraus eine ganz kräftige Eselin, und der Herr will, daß sie bleibe und nicht wieder aufgelöst werde!“

8. Da bemerken Hebram und Risa: „Der gute Raphael muß eine besondere Lust haben, Esel zu erschaffen! Vor zwei Tagen war er zu unserem nicht geringen Erstaunen auch schnell mit einem fertig!“

9. Sagt Raphael: „Lasset das, was damals zu eurer Belehrung geschehen mußte! Diese Eselin hat hier etwas ganz anderes zu bedeuten; sie ist das euch allen notwendige Symbol der rechten Demut. Es geht auch euch Menschen auf der Welt bei euren Unternehmungen nicht anders, so ihr euch in euren Urteilen und Beschlüssen übereilet, als daß am Ende als Folge auch gewöhnlich ein Esel oder zum wenigsten ein gutes Stück desselben zum Vorscheine kommt. Hier handelte es sich auch darum, euch schnell die Entwicklung eines Geschöpfes wie vom Urbeginne an zu zeigen, und es kam durch die Übereilung denn auch eine Eselin zum Vorscheine –, so ihr an der Sache schon durchaus etwas Witziges haben wollt.

10. Diese Eselin wird vom vortägigen Esel belegt werden, und es wird im nächsten Jahr ein Mensch aus Jerusalem beides an sich kaufen, und ihres Füllens wird gedacht werden die ewigen Zeiten hindurch!

11. Doch nun nichts weiter mehr von dem; es genügt, daß ihr nun gesehen habt, wie aus Urlebensgeistern (Gottes Einzelgedanken) ein natürliches Wesen entsteht ohne Mutter, wie vom Urbeginne an. So ihr aber noch wollet, kann ich euch auch andere Wesen in aller Schnelligkeit herstellen!“

12. Sagen alle: „Mächtiger Diener des Herrn, es ist das durchaus nicht nötig; denn zu unserer Belehrung haben wir an dem einen gar zu wunderbaren Beispiele mehr denn hinreichend genug! Ein mehreres könnte uns nur mehr verwirren denn aufhellen!“

13. Sagt Raphael: „Nun gut denn, so höret mich noch ein wenig weiter an! Ich habe euch die Zeugung und die Werdung eines Wesens, welcher Art es auch sei, nun gezeigt, einmal die in einem schon bestehenden Mutterleibe, und hier nun eine freie, wie sie zu sein und zu bestehen pflegt auf einem jeden neuen Planeten, oder auch auf irgendeiner neu entstandenen Insel auf einem schon alten Planeten, was von Zeit zu Zeit immer zu geschehen pflegt.

14. Aber nur dürfet ihr dieses Beispiel nicht auf die Werdung und Zeugung des Menschen, namentlich auf dieser Erde, übertragen; obschon dabei viel Ähnliches stattfindet, so ist aber der Grund davon dennoch höchst verschieden!

15. Es hat zwar das Menschenweib auch schon einen Naturstoff in sich; wenn aber die Zeugung geschieht auf die jedermann bekannte Weise, so wird zwar auch ein Klümpchen befruchtet und erregt, aber es wird, wie eine Beere von einer Traube abgerissen, an die rechte Stelle gebracht, und eine schon fertige Seele tritt da hinzu, pflegt eine Zeitlang diese Lebensbeere, bis der Stoff in derselben so weit gediehen ist, daß die sich stets mehr zusammenziehende Seele in den noch sehr flüssig lockeren Embryo eindringen kann, zu welcher Verrichtung die Seele auch bei zwei Monden lang zu tun hat. Hat sie sich des Embryos im Mutterleibe ganz bemächtigt, dann wird das Kind gleich fühlbar lebendig und wächst dann auch schnell zur ordnungsmäßigen Größe.

16. Solange die Nerven des Fleischkindes nicht völlig ausgebildet und tätig sind, arbeitet die Seele mit Selbstbewußtsein mit allem Eifer fort und richtet sich den Leib nach ihren Bedürfnissen ein; sind aber einmal die Nerven alle ausgebildet, und wird deren sich stets mehr entwickelnder Geist ganz ordnungsmäßig tätig, dann begibt sich die Seele mehr und mehr zur Ruhe und schläft am Ende in der Gegend der Nieren ganz ein. Sie weiß nun nichts von sich selbst und vegetiert bloß, ohne alle Erinnerung an einen früheren nackten Naturzustand. Erst etliche Monde nach der Geburt fängt sie stets mehr und mehr an zu erwachen, was aus der Abnahme der Schlafsucht recht gut wahrgenommen werden kann; aber bis sie zu einigem Bewußtsein gelangt, braucht es schon eine längere Zeit. Wenn ein Kind der Sprache mächtig wird, dann erst tritt auch ein rechtes Bewußtsein in die Seele, jedoch ohne Rückerinnerung; denn diese könnte man bei der höheren Weiterbildung der Seele auch durchaus nicht brauchen.

17. Die Seele aber sieht und erkennt nun, ganz im Fleische steckend, sonst vorderhand nichts, als was ihr durch des Leibes Sinne vorgestellt wird, und kann etwas anderes in sich selbst gar nicht erkennen, weil sie durch die Fleischmasse in sich derart verfinstert ist und sein muß, daß sie zumeist gar nicht weiß, daß sie für sich auch ohne das Fleisch da sei. Sie fühlt sich lange Zeit hindurch als mit dem Fleische ganz identisch, und es gehört viel dazu, eine Seele im Fleische so weit zu bringen, daß sie sich als etwas Selbstisches zu fühlen und zu betrachten anfängt, – was auch wieder höchst notwendig ist; denn ohne dieses könnte sie keinen Geist in sich bergen und denselben natürlich auch nie erwecken.

18. Erst wenn der Geist in der Seele zu erwachen beginnt, wird es nach und nach lichter in der Seele; sie fängt an, sich genauer zu erkennen und in sich selbst ganz verborgene Dinge zu entdecken, mit denen sie freilich noch nicht viel zu machen weiß.

19. Erst wenn der Geist und sein mächtiges Licht in der Seele ganz zur vollen Tat werden, dann auch kehrt alle Erinnerung in die Seele zurück, aber natürlich alles in einem verklärten Lichte. Da gibt es dann keinen Trug und keine Täuschung mehr, sondern nur eine allerhellste, himmlische Wahrheit, und die Seele ist dann selbst eins mit ihrem göttlichen Geiste, und alles in ihr und außer ihr wird zur höchsten Wonne und Seligkeit!

20. Verstehet ihr alle nun so ein wenig das Bild der geheimnisvollen Jakobsleiter? – Bis so weit ich, das Weitere der Herr Selbst mit euch!“

121. Kapitel. Grund der Enthüllungen Jesu.

1. „Was wohl ist uns jetzt noch nicht einleuchtend?!“ sagten nach der Lehre des Engels alle Anwesenden.

2. Und der Hauptmann Julius fügte hinzu: „Wenn das so fortgeht, so werden wir bald selbst zu Göttern umgestaltet werden! Wäre es möglich, dieses Hellsehen nach Belieben beizubehalten, so würden wir bei mehr Kräftigung des Willens selbst Götter werden und Wunder wirken; aber dies unser Hellsehen ist nur eine Folge jenes magischen Lichtes aus der Kugel dort, und unser Wille ist wie unsere Erkenntnis schwach, und wir sind und bleiben darum schwache Menschen!

3. Wenn ich nun so betrachte und bedenke, was nur diesem Engel alles möglich ist, dem allerwillenskräftigsten Menschen aber auch nicht ein Jota davon, so sieht man erst den unendlichen Unterschied zwischen Gott und zwischen dem Menschen. Man begreift es mit den Händen: Gottes Alles und des Menschen Nichts. Mag jemanden diese große Weisheits- und Gottesmachttiefe noch so sehr erheitern, so erheitert sie mich jedoch gar nicht; denn ich fühle es zu klar in mir, daß ich ein vollkommenstes Nichts gegen nur so einen Engel Raphael bin. Was bin ich dann erst gegen Gott?! Nein, nein, das ist und heißt: nichts!

4. Man weiß und erkennt nun schon Ungeheures und schauet Wunder über Wunder, daß einem darob gerade das Hören und Sehen vergehen könnte, und versucht man hernach den eigenen Willen, ob sich nach ihm etwa auch so eine Langfeuerzunge richten und zusammenbalgen möchte zu einem puren Klumpen nur, oh, nicht ein Atom rührt sich mit der Kraft meines Willens von der Stelle, geschweige erst solch eine Feuerzunge! Darum halte ich's für besser, so man viel weniger weiß und erkennt, weil einen da nicht die Versuchung anwandeln kann, auch Wunder zu wirken. Mir wird darum nun schon vor lauter ungeheuer viel Wissen und Erkennen angst und bange! Wozu muß ich denn nun gar so ungeheuer viel sehen, hören, erkennen und wissen?“

5. Sage Ich: „Auf daß du danebst auch erkennest, wie wenig der Mensch aus sich selbst ist, und wie sein Sein, Wissen, Erkennen und Vermögen allein nur von Gott abhängt!

6. Mit deinem Willen wirst du freilich wohl ewig nichts vermögen, so wie auch dieser Engel mit seinem Willen nichts ausrichten würde; hast du aber Meinen Willen zu dem deinigen gemacht, dann wirst auch du vermögen, was dieser Engel vermag!

7. Es ist aber nun gut, daß du so viel erkennst und einsiehst, dabei aber zugleich praktisch einzusehen beginnst, daß dein eigener Wille über deinen Leib hinaus wenig oder nichts vermag. Du kannst alles erkennen und einsehen, was der Engel einsieht und erkennt; hast du aber Meinen Willen nicht ebenso wie Meine Weisheit dir zu eigen gemacht, so nützt dir freilich alles Wissen und Erkennen nichts. Es dient dir, so du tatsüchtig bist, nur zu einer Qual. Und das ist auch gut; denn nur durch die Demut wird der Mensch erst Mensch und ein wahres Kind Gottes!

8. Übrigens wird euch allen das nicht der Nachahmung wegen gezeigt, sondern nur, damit ihr Gott in Mir völlig erkennen sollet, um dann desto festwilliger das zu tun, was Ich, als der Schöpfer alles Lebens, euch wegen der Vollendung des Lebens gelehrt und anbefohlen habe.

9. Ihr müsset dadurch erst zur Wiedergeburt eures Geistes gelangen, ohne die Mein Wille als tatkräftig in euch keine Wurzeln fassen kann. So ihr mit eurem Willen Meinen Willen einmal nur insoweit ergreifet, daß ihr freiwillig euren Willen dem Meinen durch die Tat untertan machet und euch sorgfältig darin übet, daß Mein von euch erkannter Wille vollkommen die Oberherrschaft in euch bekommt, so wird dadurch Mein Geist in euch lebendig in der Fülle und wird bald euer ganzes Wesen durchdringen.

10. Mein von euch zuvor emsigst geübter Wille wird dadurch zur Vollkraft gelangen, und was er, ganz Mir gleich, dann wollen wird, das wird geschehen; aber, wie gesagt, erst dann – und eher nicht!

11. Das Erkennen aber soll eigentlich nun der Zügel sein, durch den ihr euren Willen in den Meinen hineinziehen möget; denn ihr müsset nun durch Meine Taten ja erkennen, daß Ich wohl Der bin, als der Ich Mich euch nun fortwährend zu erkennen gebe.

12. Erkennet ihr aber das vollkommen, so wird es euch ja ein desto leichteres sein, Meinen Willen, der seinen Grund in der ewigen, unverkennbarsten Wahrheit hat, desto leichter zu befolgen und ihn dadurch zu eurem Eigentume zu machen.

13. Wenn euch jemand einen Weg anratet, und ihr merket in seiner Rede, daß ihm der Weg etwa selbst nicht völlig bekannt ist, so werdet ihr euch wohl bedenken, den Weg zu wandeln, den er euch gezeigt und vorgezeichnet hat, und werdet sagen: ,Oh, da bleiben wir lieber, wo wir sind!‘ Aber so ihr aus jemandes Rede doch leicht entnehmet, daß er jenes Weges vollkommen kundig sein muß, weil er eben von dort her ist, wohin er euch den Weg bis ins kleinste richtig und wahr beschrieben hat, so werdet ihr sagen: ,Der hat Kenntnis und den besten Willen, der kann und will uns nicht täuschen, und wir wollen den Weg ohne alles Bedenken antreten!‘ Sehet, dadurch werdet ihr infolge des guten und festen Vertrauens den eigenen Willen dem Willen desjenigen unterordnen, der euch als ein vollkommen Sachkundiger den guten und rechten Weg gezeigt hat!

14. Und sehet, also ist es hier der Fall! Würde Ich vor euch nur in einer umdunsteten und mystischen Halbheit auftreten, da müßten in euch noch immer irgendwelche Zweifel zurückbleiben, und es wäre euch sehr zu verzeihen, so sich in euch auch irgendwelche Zweifel erheben würden. Aber so Ich Mich euch nun schon nahe bis auf ein Atom in Wort und Tat enthülle und euch mit aller Weisheit, Liebe und Macht zeige, daß Ich wirklich Der bin, als der Ich Mich euch Selbst vorgestellt habe, so ist ja doch die Folge sicher! Erstens könnet ihr unmöglich mehr einen Zweifel haben über Mich, und zweitens muß euch ja darum die Befolgung Meines Willens, durch den euer Geist allein zur vollsten Wiedergeburt gelangen kann, etwas ganz Leichtes werden, weil ihr nur zu klar einsehen müsset, daß ihr durch die Befolgung Meines Willens nicht ins Blaue hauet, sondern zur ewig wahren Realität gelangen müsset. Ich meine, daß ihr nun wohl einsehen werdet, warum Ich jetzt all das Unerhörteste vor euch tue und Mich euch ganz zeige und enthülle!

15. Ein recht vollkommen weiser Meister aber tut nichts ohne Grund, und so tue auch Ich nichts ohne Grund. Ich aber lehre euch nicht bloß um euretwillen selbst, sondern damit ihr danach auch Lehrer, Führer und Wegweiser eurer anderen blinden Brüder und Schwestern würdet in Meinem Namen, und darum müsset ihr um so tiefer eingeführt werden in die Geheimnisse Meines Reiches, Meines Wesens, und müsset erkennen auch den Menschen in seinem ganzen Wesen, von seinem tiefsten Ursprunge angefangen bis zu seiner höchsten und wie möglichen Vollendung und vollsten Gottähnlichwerdung!

16. Denn durch euer vollstes und lebendigstes Vertrauen kann am ehesten ein gleiches Vertrauen in euren Jüngern erweckt werden, durch das auch sie bald jene verborgenen Dinge erschauen und begreifen werden, die ihr nun erschauet und begreifet.

17. Habt ihr Mich nun wohl verstanden, und versteht ihr es wohl, warum Ich dies alles nun vor euch enthülle?“

18. Sagen alle, tiefbewegt: „Ja Herr, unser Meister, unser Gott!“

19. Sage Ich: „Nun wohl denn, so erwachet wieder in die Naturwelt herüber, auf daß Ich euch noch andere Dinge zeige; denn ihr müsset noch gar manches weiter und tiefer erkennen und begreifen!“

122. Kapitel. Jesus enthüllt das Innere des Judas.

1. Auf dies Mein Wort schauen alle wieder mit den Augen des Fleisches und sind voll des höchsten Staunens über alles, was sie gesehen und gehört haben, und alle fangen an, Mich laut zu preisen, bei einer halben Stunde dauernd.

2. Als alle durch ihr lautes Loben und Preisen wohl zu erkennen gaben, daß sie Mich nun in der wahren Lebenstiefe erkannt hatten, kam auch Judas Ischariot zu Mir hin und sagte: „Herr, ich war lange hartgläubig; aber jetzt glaube auch ich in der Fülle, daß Du im Ernste Jehova Selbst bist, oder doch mindestens ein rechter Sohn desselben! Aber etwas kann ich an Dir doch noch immer nicht begreifen, und das besteht darin:

3. Wie konntest Du als Jehova, der unendlich ist, diese Deine Unendlichkeit verlassen und Dich hineinzwängen in diese höchst endliche Form? Bei all dem aber blieb der alte, unendliche Raum noch derselbe, der er von Ewigkeit her war! Du als Jehova bist ja eben der unendliche Raum selbst! Wie kann dieser bestehen in seiner unverrückten, endlosesten Wesenheit und Du als der Unendliche Selbst in dieser engen Menschenform?!

4. Siehe, Herr, das ist eine gar gewichtige Frage! So Du mir darin ein gehöriges Licht gibst, dann bin ich der Eifervollste aller Deiner Jünger, – ansonst aber wird immer ein kleiner Zweifel meine Seele trüben!“

5. Sage Ich: „Wie ist das möglich, daß nun alle sehen und du allein blind geworden bist?! Meinst denn du, daß Mich diese Hülse einschließt?! Oder ist die Sonne mit ihrem wirkenden Lichte nur allein dort eingeschlossen, wo sie wirkt?! Wie könntest du sie wohl schauen, so sie mit ihrem Lichte nicht weiter reichte als bis zu ihrer äußersten Hautoberfläche?!

6. Ich bin nur der ewige Mittelpunkt Meiner Selbst; von diesem aus aber erfülle Ich dennoch ewig fort unverändert den unendlichen Raum.

7. Ich bin überall der ewige Ich; aber hier bei euch bin Ich nun in Meiner ewigen Seinsmitte, von der aus die ganze Unendlichkeit ewig fort und fort und unverändert gleich und gleich erhalten wird in ihrer endlosesten, ewigen Ausdehnung.

8. Von Ewigkeit wohnte Ich in Meiner unzugänglichen Mitte und in Meinem unzugänglichen Lichte aus Mir Selbst. Aber Mir hat es der Menschen dieser Erde wegen wohlgefallen, aus Meiner unzugänglichen Mitte und aus Meinem unzugänglichen Lichte derart herauszutreten, daß Ich nun in ebenderselben Mitte und in ebendemselben Lichte, das auch den höchsten Engeln von Ewigkeit völlig unzugänglich war, Mich auf diese Erde begab und nun euch Menschen sogar von allen Seiten her wohl zugänglich bin und ihr Mein Licht wohl ertragen könnet.

9. Als wir aber von Sichar auszogen nach Galiläa herüber und wir nach der Mittagszeit Ruhe nahmen auf einem Berge, da habe Ich mehreren von euch tatsächlich gezeigt, wie Mein Wille auch bis zur Sonne hinlanget. Rufe dir das ins Gedächtnis zurück, und du wirst es dann schon sehen, wie Ich überall daheim bin und sein kann durch den Ausfluß Meines überall gleich mächtig wirkenden Willens!“

10. Sagt Judas Ischariot: „Kann mich wohl erinnern, daß Du dort die Sonne, so ich mich ordentlich besinne, auf einige Augenblicke lichtlos gemacht hast! Nun, das ist allerdings keine Kleinigkeit, – aber doch erzählt man sich, daß solches auch die alten ägyptischen Magier vermochten; wie, das ist freilich eine andere Frage! In der großen Natur gibt es gar sonderbare, geheime Kräfte; Du kennst sie, und die alten Magier haben sie auch gekannt und sie sich dienstbar gemacht. Natürlich hat bisher unseres Wissens wohl niemand solche Taten verrichtet wie Du!

11. Aber ohne alle weltliche Schule bist auch Du nicht! Denn man erzählt sich dennoch verschiedenes von der Geschicklichkeit Deines Vaters Joseph und selbst von Deiner Mutter Maria, die eine Jüngerin des Simeon und der Anna war; und hat ein geistvoller junger Mensch solche Eltern, dann kann er es schon zu etwas bringen. Aber es ist das nur so meine rein weltliche Ansicht; denn ich für mich glaube, daß in Dir Jehovas Geist wohnet und wirket in der Fülle.

12. Was soll mir auch der ewig unsichtbare Jehova nützen, der irgendwo hoch über allen Sternen in Seinem unzugänglichen Lichte sitzt und Sich Seinen Geschöpfen nie zeigt, keine Wunder wirkt außer den stereotypen täglichen, die aber von der Natur selbst ebensogut bewirkt werden könnten?! Du bist darum, für mich wenigstens, ein rechter Jehova, weil Du Dich vor unseren Augen als ein vollkommener Meister aller Natur und Kreatur durch Worte und Taten nur zu offen und zu handgreiflich gezeigt hast. Wer wie Du den Toten das Leben wiedergeben kann, und gebieten den Elementen, und sogar aus der Luft einige ganz nagelneue Esel und Fische ins Dasein rufen und des alten Markus Speisekammern mit Brot und Wein ebenfalls aus der Luft her füllen kann, der ist für mich ein allein wahrer Gott, über den mir alle anderen gestohlen werden können! Hast Du demnach Deine rein göttlichen Fähigkeiten, woher Du willst, so bist Du für mich nun einmal ein rechter Gott! Habe ich recht oder nicht?

13. Gar so auf den Kopf gefallen bin ich ja doch nicht, wie es mein Bruder Thomas gemeint hat. Ich weiß, was ich weiß, und was ich rede; aber wenn der Bruder Thomas in einem fort meint, daß ich ein Esel oder ein Ochse sei, da irrt er sich gewaltig an mir. Wenn ich mit ihm reden wollte, wie ich reden könnte, auf tausend würde er mir nicht eins zu antworten imstande sein! Hätte ich in Dir nicht schon lange den wahren Jehova gewittert, so wäre ich auch schon lange nach Hause zu meiner Töpferei zurückgekehrt; aber weil ich vielleicht am besten weiß, mit wem ich es in Dir zu tun habe, so bleibe ich und lasse meine sehr einträgliche Kunst, trotzdem daß ich eben auch kein Feind des Goldes und des blanken Silber bin, – denn Dein geistiges Gold und Silber ist mir lieber!

14. Aber daß mir zuvor Thomas heimlich ins Ohr raunte, als der Engel nach Deinem Willen eine ganz kerngesunde Eselin ins Dasein rief, dies Wunder sei allein meinetwegen geschehen, um mir zu zeigen in einem lebendigen Bilde, wer und was ich sei, das kann ich denn doch nicht so ganz hingehen lassen! Wenn Thomas sich weiser dünkt, denn ich ihm zu sein scheine, so sei er es; aber mich lasse er ungeschoren! Denn ich lege ihm nichts in den Weg, und heißt er mich auch einen Dieb, so habe ich ihm sicher noch nie etwas entwendet!

15. Du hast doch zuvor uns allen eine gar herrliche und überaus göttlich weise Lehre über die Krankheit einer Menschenseele gegeben und gezeigt vom Grunde aus, wie man mit einer kranken Seele noch mehr Geduld haben solle als mit eines Menschen krankem Leibe! Warum schreibt sich denn solche Lehren ein weiser Thomas mir gegenüber, der ich auch noch seelenkrank sein kann, nicht hinter seine Ohren, wennschon für derlei rein göttliche Lehren in seinem Herzen sich kein Platz vorfinden sollte?! Ich verlange es durchaus nicht, daß er mir darum eine Abbitte leisten soll, weil es seiner Weisheit wohlgefallen hat, mich einen Esel zu nennen – denn so demütig, wie er sich zu sein dünkt, bin ich auch! Aber es drängte mich, hier offen zu bekennen, daß ich zwar ein seelenkranker Mensch bin, aber darum keinen Thomas um seine große Seelengesundheit beneide! Ich will auch darum stets gleich sein Freund und guter Bruder sein, wie ich es immer war, – aber nur das einzige wünsche ich von ihm, daß er in aller Zukunft seinen Korrektionseifer an jemand anderem versuchen solle, und nicht an mir; denn bisher bin ich doch ebendas noch, was er ist, nämlich ein ihm gleich berufener Jünger vor Dir, meinem Herrn und meinem Gott!“

16. Sage Ich: „Es ist zwar eben nicht ganz löblich von seiten Meines Thomas, daß er dich stets auf der Zielmücke seines Zielbogens hat; aber es ist Mir übrigens auch bekannt, daß du bei gänzlicher Vollendung dieser hier noch vor uns weilenden Eselin zuerst einen sehr unzeitigen Witz gerissen hast, und der war der eigentliche Grund, aus dem dich Thomas mit deinen eigenen Worten so ein wenig schlug!

17. Sage Mir, aus welchem Grunde denn du die Bemerkung zu machen hattest, laut der du sagtest und eigentlich meintest: am Ende würden sich alle Meine Wundertaten in der Herstellung von ganz kerngesunden Eseln erweisen! Siehe, diese deine Bemerkung war sehr boshaft und hatte des Thomas Gegenbemerkung sehr verdient! Ich tadle deinen Glauben nicht, nach dem du Mich als deinen alleinigen Gott und Herrn ansiehst, nur tadle Ich an dir das, daß solcher dein Glaube und solche deine Meinung nur mehr in deinen Worten besteht als im Leben deines Gemütes.

18. Denn der Wahrheit nach hältst du Mich denn doch mehr für einen echt altägyptischen Weisen und mit allen geheimen Naturkräften bestens vertrauten Magier, der es wohl versteht, wo er diese Kräfte anzufassen hat, daß sie ihm ihren Dienst nicht versagen. Siehst du, das ist an dir sehr tadelnswert!

19. Was Hunderte als eine reinste Wahrheit mit den Händen greifen, darüber kannst du noch immer einen Zweifel um den andern erheben und Behauptungen ganz offen aussprechen, die Mich stets bei einigen Schwächeren in ein Zwielicht stellen müssen. Hast du doch, als Ich mehreren total Ertrunkenen das Leben wiedergab, gleich herausgebracht, daß hier der Ort selbst und die Stellung der Sterne ihr Gehöriges beitrügen, und daß es Mir darum ein leichtes wäre, allerlei Wunder zu wirken; auf einem andern Orte würde Mir das bei weitem nicht mehr also gelingen! In Nazareth, Kapernaum und in Kis, in Jesaira und selbst in Genezareth hätte Ich wohl auch große Wunder geleistet, – aber bei weitem nicht so viele denn hier auf diesem Flecke. – Wenn du Mich aber im vollen Ernste für deinen alleinigen Gott und Herrn halten solltest, warum verdächtigest du Mich denn vor den Fremden?!“

20. Sagt ganz keck und resolut Judas Ischariot: „Es scheint aber doch bei einer etwas genaueren Beobachtung der Welt und der Natur, daß Gott denn doch stets sehr Rücksicht nimmt auf die Günstigkeit des Ortes, auf dem Er etwas Besonderes hervorbringen will! Gehen wir auf einen sehr hohen Berg, wie zum Beispiel der Ararat einer ist, und wir werden eben nichts als kahles Gestein und Schnee und Eis antreffen. Warum wachsen denn dort keine Trauben und Feigen, Äpfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen? Da meine ich, daß Jehova dazu den Ort nicht günstig zur Genüge findet, diese Süßwunder auch dort hervorzurufen! Da scheint es denn doch, daß Jehova Selbst auf die Günstigkeit eines Ortes sehr Rücksicht nimmt, ansonst Er sicher auch auf den Ararat die nährenden Süßwunder hingestellt haben würde!

21. Und ich glaube, Dir dadurch von Deiner Gottheit nichts zu nehmen, so ich behaupte, daß Du zum Wirken der Wundertaten immer einen Ort denn doch für günstiger findest als irgendeinen gewissen andern, wie zum Beispiel Nazareth, wo Du Dich mit Wundertaten eben nicht überboten hast. Du könntest als Jehova die große Wüste Afrikas auch leicht in die gesegnetsten und blühendsten Fluren umgestalten, wenn Du dies Territorium geeignet und günstig fändest! Weil aber das erwähnte Territorium noch immer eine Wüste ist und auch höchstwahrscheinlich noch sehr lange bleiben wird, so glaube ich, daß Du dadurch an Deiner Göttlichkeit keine Einbuße erleidest, wenn die afrikanische große Wüste Sahara noch sehr lange das bleiben wird, was sie ist. – Das ist so meine Meinung, obwohl der Bruder Thomas damit vielleicht eben nicht völlig einverstanden sein wird!“

22. Tritt Thomas auf Meinen Wink hinzu und sagt: „Gesprochen hättest du so ganz in der Ordnung, wenn du das auch also in deinem Gemüte fühlen und ebenalso auch als völlig wahr erkennen würdest; aber davon ist in dir keine Spur zu entdecken! Deinem innern Bekenntnisse nach ist der Herr gleichfort fürs erste ein weiser Eklektiker, der es versteht, aus den vielen ihm bekannten Lehren eine allerweiseste herauszuziehen, und fürs zweite sich alle Magie also vollkommen zu eigen gemacht hat, daß ihm bei sicheren Gelegenheiten und günstigen Umständen nichts mißlingen kann. Nur das ist so deine mit dem Satan ziemlich nahe verwandte Idee, daß so ein recht großer Magier, der seinem Willen alle noch so geheimen Kräfte zu unterjochen verstünde, am Ende ein rechter Gott sein müßte!

23. Nun zeigt sich hier, daß der Herr Jesus aus Nazareth solcher deiner Anforderung vollkommen entspricht, und so trägst du auch kein Bedenken, den alten Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs gänzlich zu entthronen und dafür diesen deinen Magier vollends darauf zu setzen! Denn daß du den Geist dieses Heiligen aus Nazareth für Ebendenselben hieltest, der dereinst auf Sinai unseren Vätern Seine Gesetze donnerte, von dem hast du in deinem Herzen nicht den allerleisesten Dunst von irgendeinem nur halben Begriffe.

24. Und weil es nun bei dir noch immer also aussieht, so kann ich nicht umhin, dich bei jeder Gelegenheit zu ermahnen, so du irgend bei eben einer solchen Gelegenheit dich hervortun willst und zeigen deine stets verräterische, böse Doppelzunge; denn jeder, der anders denkt und fühlt und anders die Zunge rührt, ist ein Verräter am Heiligtume der Wahrheit. Daher solltest du dich hiermit wohl ermahnen lassen und in aller Zukunft nicht anders denken und fühlen, und dabei aber dennoch ganz anders reden! Denn solches ist die Art und Weise der reißenden Wölfe, die in Schafspelzen einhergehen, um desto leichter ein unschuldiges und sanftes Lamm in ihre tötenden Klauen zu bekommen. Verstehe mich wohl; denn ich durchschaue dich ganz und ermahne dich nur dann, wenn du laut auftrittst, weil ich da gleich sehe, wie du allzeit ein Lügner bist, da du anders redest, als du denkst und fühlst. Ich bin dir als einer kranken Seele sicher nicht feind, – aber der Krankheit selbst bin ich es!“

123. Kapitel. Die Zurechtweisung des Judas.

1. Sagt Judas Ischariot: „Wenn es aber mit dem schon also steht, da muß ich mich ja doch entäußern; denn es hat der Herr ja doch den andern stets die Gelegenheit gegeben, sich ihrer Bosheit und Falschheit gänzlich zu entäußern. Haben die Fremden diese Begünstigung erhalten, warum soll sie denn gerade mir vorenthalten werden, der ich doch zu eurem Bunde gehöre und mit euch stets Freude und Leid geteilt habe?!“

2. Sagt endlich einmal Bartholomäus: „Bei den Fremden war es ja ein ganz anderer Fall! In ihnen war zumeist nur wirklich schon von alters her begründetes Falsches. Sie konnten im Grunde nicht dafür, daß sie schlecht und böse waren; als sie aber das lichte Wort der ewigen Wahrheit vernahmen, da fing es an, in ihnen zu sieden und zu kochen, und sie fingen an, sich des alten Unflates zu entledigen, und wurden rein. Du aber stehst schon lange in aller Fülle des geistigen Wahrheitslichtes und hast für die vollste Echtheit desselben tausend der allerlebendigsten Beweise in Worten und allerlei Wundertaten! Aber das alles ficht dich nicht an; du möchtest am liebsten selbst Wunder wirken, um dir dadurch, gleich den Pharisäern im Tempel, möglichst viel Goldes und Silbers zu verdienen. Du brauchst für dich keinen Gott, außer einen solchen, der dir recht viel Geldes verschaffete, damit du dann auf der Erde ganz entsetzlich wohl leben und dich am Ende ohne alle Rücksicht auf die hier vernommenen Lebenswahrheiten aus Gott ordentlich zu Tode sündigen könntest!

3. Und bei solcher deiner inneren Denkungsweise ist's dann mit dem Sich- Entäußern deines Innern nichts, weil es dich nicht bessern und uns keine Mittel bieten kann, durch Worte oder Taten in dir ein neues Herz zu schaffen, ohne das du bleiben wirst, wie du bist.

4. Vermag aber des Herrn allmächtiges Wort dich nicht umzuwandeln, was soll unser menschliches Nachwort mit dir ausrichten?! Gehe du lieber auf deinen alten Platz zurück und störe uns fürder nicht mit deinem allernichtigsten Geplauder! – Ich habe ausgeredet!“

5. Auf diese sehr kräftige Zurechtweisung wollte Judas Ischariot zwar noch etwas sagen; aber Kornelius sagte zu ihm: „Öffne du deinen Mund nur dann noch einmal, so du dazu von jemand aufgefordert wirst; sonst aber schweige und störe den Herrn nicht in Seinem Wirken! Willst du aber schon durchaus reden, da begib dich so hübsch tief in den nahen Wald und rede dort mit Bäumen und Gesträuchen; sie werden dir keine Widerrede bringen, die dich ärgern und am Ende gar ganz tief beleidigen könnte! Oder ziehe dich hinab ans Meer und rede dort mit den Fischen; diese werden dir auch alles gelten lassen! Denn von dem, was hier gesprochen wird, und was hier geschieht, verstehst du ohnehin soviel wie nichts; und deine mürrische Dummheit und deine aus ihr stets neu erwachte Selbst- und Habsucht stört uns in den für uns so notwendigen tieferen Betrachtungen der großen Lebenswahrheiten aus Gott dem Herrn über alles!“

6. Nach diesen Worten tritt Judas Ischariot ganz in den Hintergrund und redet kein Wort mehr; denn vor dem Kornelius hatte er einen großen Respekt, da er dessen Eifer und Sinn für Mich und Meine Lehre nur zu gut kannte.

7. Als aber mit dem das wieder beschwichtigt ward, sagte Ich zu allen: „Wer da hat, dem wird immer noch mehreres gegeben werden; wer aber nicht hat, dem wird auch noch genommen, was er allenfalls hatte!

8. Ihr habt euch nun selbst überzeugt, was die Welt- und Habsucht für arge Dinge sind; darum bewahret eure Herzen allersorgfältigst davor! Denn ein habgieriges Herz fasset unmöglich etwas von den geistigen Dingen und kann auch nicht und nimmer völlig dahin und also mehr erhellet werden, daß es fassete, was zu seinem Heil gereicht.

9. Ihr alle habt nun schwere Dinge schon begriffen, obwohl ihr erst wenige Tage um Mich seid; jener Jünger aber ist nun schon nahe ein halbes Jahr um Mich und war Augen- und Ohrenzeuge von allen möglichen Wundern und Lehren, und dennoch fasset er die Wahrheit nicht! Der Grund davon liegt in seiner übergroßen Geldgier, und das deshalb, weil er sehr faul und träge ist.

10. Ein wahrhaft fleißiger Mensch erwirbt sich leicht täglich so viel, als er bedarf, und noch manches darüber, das ihm in seinen alten Tagen gut zustatten kommen wird; und hätte er sich auch nichts ersparen können, indem er gerne seinen Überschuß den Armen und Dürftigen gab, so wird für seine alten Tage dennoch gesorgt sein.

11. Aber ein fauler Mensch liebt das Nichtstun und will sich gut geschehen lassen auf Kosten seiner fleißigen Nebenmenschen; er wird darum ein Lügner, ein Betrüger, ein Dieb, um nur so viele Schätze zusammenzuraffen, daß er dann gleich einem Könige leben könnte.

12. Mit solcher Gier aber verfinstert er seine Seele derart, daß sie gar nichts von etwas rein Geistigem mehr begreifen kann; und wird sie auch vom höchsten und reinsten Geisteslichte beleuchtet, so verkehrt sie es alsbald in ihr selbstisches, gröbstmaterielles Wesen und ersieht und erkennt darum abermals nichts als nur Materielles.

13. Wie aber das Geistige sich in die Materie umwandelt, das habt ihr bei der Werdung dieser vor euch nun grasenden Eselin gesehen, und Ich brauche euch darum nicht weiter mehr etwas davon zu erklären. Denn wer aus euch das begriffen hat, der hat es gleich und leicht begriffen; wer es aber nicht gleich und leicht begriffen hat, der wird das auch noch lange nicht, und auf dieser Welt schon gar nie, völlig begreifen!

14. Darum fraget euch alle selbst, wie es da stehet mit eurem Verständnisse! Wer es hat, der hat es; wer es aber nicht hat, der wird es auch noch lange nicht haben. In wem die Seele eine geistige ist, der kann das Geistige auch leicht fassen; in wem aber die Seele nach der Materie gieret, der kann dies höchst und reinst Geistige auch unmöglich begreifen!“

124. Kapitel. Von der Erziehung der Kinder.

1. (Der Herr:) „Es muß zwar unter den Menschen wohl Unterschiede geben; doch niemand ward in diese Welt der Seele nach also verwahrlost gestellt, daß sie ganz Materie werden müßte. Denn auch nicht eine Menschenseele ist ohne den freien Willen und selbstische Intelligenz ins Fleisch gesteckt worden.

2. Der Hauptgrund der Verderbung der Menschenseelen aber liegt hauptsächlich in der uranfänglichen, gewöhnlich affenliebigen Erziehung. Man läßt das Bäumchen wachsen, wie es wächst, und trägt durch die sehr unzeitigen Verzärtelungen noch alles mögliche dazu bei, um den Stamm ja recht krumm wachsen zu lassen. Ist aber der Stamm einmal erhärtet, so nützen dann gewöhnlich alle Geradbeugungsversuche wenig oder nichts mehr; eine einmal krumm gewachsene Seele wird wohl selten mehr zu einem völlig geraden Stamme!

3. Darum beuget ihr alle eure Kinder in ihrer leicht lenksamen Jugend gerade, und es wird dann bald wenig mehr irgendwo eine solche sehr materielle Seele geben, die da nicht verstehen könnte das Geistige und sich nicht leicht fügete zur rechten Tat auf den Wegen der wahren Lebensordnung aus Gott! Merket es wohl; denn darum habe Ich euch gezeigt die Fleischwerdung einer Seele im Mutterleibe!

4. Ein Kind bis ins siebente Jahr ist stets noch bei weitem mehr Tier als Mensch. Denn was bei dem Kinde Mensch ist, das liegt zumeist noch in einem tiefen Schlafe begraben. Da also ein Kind bei weitem mehr Tier denn Mensch ist, so hat es auch nur sehr viele tierische und dabei sehr wenige der wahrhaft menschlichen Bedürfnisse.

5. Nur das Nötigste werde ihnen gereicht! Man gewöhne sie frühzeitig an allerlei Entbehrungen, lobe die Braven nie zu übertrieben, sei aber auch gegen die Minderbefähigten und -braven nie zu hart, sondern behandle sie mit rechter Liebe und Geduld.

6. Man lasse sie sich üben in allerlei Gutem und Nützlichem und mache ein noch so braves Kind ja nie eitel, selbstliebig und sich überschätzig. Auch mache man Kinder, besonders wenn sie irgend schöngestaltig sind, nie durch schöne und reiche Kleider noch eitler und stolzer, als solche Kinder schon von Natur aus gerne sind. Man halte sie rein, mache jedoch nie die gewissen Hausgötzen daraus, so wird man sie schon von der Geburt an auf jenen Weg setzen, auf dem sie in ihrer reiferen Jugend dahin gelangen werden, wohin ihr alle nun durch Mich erst gelanget.

7. Die Jungfrau wird voll Keuschheit und Züchtigkeit den Stand einer ehrbaren Mutter erreichen, und der Jüngling wird mit mannsreifer Seele und gewecktem Geiste in ihr in das Mannesalter treten und wird ein Segen sein für die Seinen und für die Erde und alle ihre Kreatur.

8. Gebet ihr aber den tierischen Begierden und Leidenschaften eurer Kinder zu sehr nach, so werdet ihr mit ihnen auch allen Lastern ein neues und weites Tor eröffnen, durch das sie heerscharenweise in diese Welt verderbensvoll dringen werden; und werden sie einmal dasein, so werdet ihr vergeblich gegen sie mit allerlei Waffen zu Felde ziehen und nichts ausrichten gegen ihre Macht und große Gewalt!

9. Pfleget daher die Bäumchen, daß ihr Wuchs ein himmelanstrebend gerader wird, und reiniget sie sorgfältigst von allen Afterauswüchsen; denn sind einmal die Bäume groß und stark geworden, und sind sie voll arger Krümmungen gestaltlich, die die bösen Winde an ihnen zustande gebracht haben, dann werdet ihr sie auch mit allen Gewaltmitteln nicht mehr geradezubiegen imstande sein!

10. Ihr habt früher den Feuerzungenklumpen vor euch gesehen. In seinem seelenspezifisch lockern und freien Zustande war es noch lange nicht bestimmt, daß aus ihm gerade eine Eselin hätte werden sollen; erst nach der nachfolgenden Beorderung von seiten des Engels fingen die Teile an, sich also zu einem Organismus zu ergreifen, daß am Ende die Gestalt eines Esels zum Vorscheine kommen mußte.

11. Da nun aber der Esel als schon vollkommen fertig dasteht, so ist eine Umwandlung in ein anderes Tier wohl kaum mehr möglich! Es gibt zwar nichts, das bei Gott unmöglich wäre; aber da müßte denn dieser Esel zuvor doch ganz aufgelöst werden, und alle Grundspezifika müßten sich zu einem ganz andern Organismus verbinden mit der Annahme neuer Spezifika und mit Ausschaffung vieler nun das Wesen eines Esels bedingenden. Dies aber wäre doch sicher eine hundertfach größere Mühe und Arbeit, als aus den Urgedanken im rechten Verhältnisse ein ganz neues Wesen zu schaffen, das zuvor noch nie dieser Erde Boden betreten hat.

12. So ist auch aus einem Kinde alles leicht zu machen, während ein Mann oder gar ein Greis wenig oder nichts mehr annehmen wird.

13. Seid darum vor allem auf eine wahre und gute Erziehung eurer Kinder bedacht, dann werdet ihr den neuen Völkern leicht dies Mein volles Evangelium zu predigen haben, und es wird der gute Same auch auf einen guten und reinen Boden fallen und wird bringen eine hundertfältige Ernte! Lasset ihr aber eure Kinder wie die Affen ihre Jungen emporwachsen, so werden sie als Unkraut euch den Nutzen gewähren, wie die Affenkinder ihren Alten: was die Alten zusammensammeln, das verzehren und zerstören mutwillig ihre Kinder; und wollen die Alten sie abwehren von solcher Frevelei, so fletschen ihnen ihre zarten Jungen gleich die scharfen Zähne entgegen und treiben die Alten hinweg.“

125. Kapitel. Das Leben des Judas Ischariot.

1. (Der Herr:) „An dem Jünger (Judas Ischariot) aber habt ihr ein sprechendes Beispiel. Er war der einzige Sohn seines sehr vermögenden Vaters und ebenso seiner in ihn bis zum Sterben verliebten Närrin von einer Mutter. Die Folge war, daß die beiden Eltern ihren Sohn ganz affenartig verzärtelten und ihm alles angehen ließen und auch alles gaben, wonach es den Jungen nur immer gelüstete; und die noch weitere Folge davon war, daß der Junge, als er kräftig geworden war, die Alten zum Hause hinaustrieb und sich selbst mit feilen Dirnen belustigte, was nur immer seine Natur vertragen konnte.

2. Es brauchte keine lange Zeit, so hatte der Junge das Vermögen der Alten auch derart geschmälert, daß dann beide den Bettelstab ergreifen mußten und bald darauf auch aus Gram und Kummer starben.

3. Aber der Junge, als nun ebenfalls ganz verarmt, ging nun etwas in sich und fing am Ende an, sich selbst zu fragen, und sagte: ,Ja, warum bin ich denn so und nicht anders geworden? Geboren habe ich mich nicht, gezeugt noch viel weniger; erziehen habe ich mich doch auch nicht selbst können, – und doch ruft ein jeder Mensch mir ins Gesicht, daß ich ein elender Schurke und Bösewicht sei, der durch seine liederlichen und bösen Streiche seine Eltern um all ihr schwererworbenes Vermögen, an den Bettelstab und am Ende sogar so frühzeitig ins Grab gebracht habe!

4. Was kann denn ich darum? Es mag von mir alles das recht schlecht gewesen sein; kann ich aber darum, wenn mich die Alten zu nichts Besserem erzogen haben?! Aber was tue ich nun? Arm, ohne Geld, ohne Haus, ohne Dienst, ohne Brot! Stehlen und Rauben wäre das Leichteste, und man käme zuerst zu einem guten Ziele; aber als ein ungeschickter Dieb erwischt und dann blutig gezüchtiget zu werden, schmeckt etwa durchaus nicht süß! Mit dem Rauben sieht es noch schlimmer aus! – Ich weiß aber nun, was ich tun werde! Ich erlerne irgendeine Kunst, und wäre es die alte, dumme Töpferei, die meinen Vater reich gemacht hat!‘

5. Gesagt, getan! Er ging in Kapernaum zu einem ganz gemütlichen Töpfer in die Lehre und erlernte mit vielem Fleiße dessen Kunst in kurzer Zeit. Der alte Töpfer hatte aber eine Tochter, die bald darauf des Kunstjüngers Weib ward.

6. Aber so flott unser Judas früher war, so hart und geizig ward er nun als ein Töpfermeister. Sein Weib verkostete oftmals seine Härte. Er machte gute Ware und fing an, alle Märkte zu besuchen, und ließ daheim seine Leute darben und bis zum blutigen Schweiße arbeiten. Kam er von einem Markte nach Hause mit vielem Gelde, so bedachte er die fleißigsten Arbeiter wohl mit etwas wenigem; kam er aber mit weniger Beute nach Hause, so gab es dann harte Dinge in seinem kargen Hause.

7. Um sich neben seiner Töpferei noch einen Nebenverdienst zu verschaffen, pachtete er auch eine Fischerei und fing vor ein paar Jahren an, sich auf die natürliche Magie zu verlegen, weil er in Jerusalem zu öfteren Malen gesehen hatte, wie sehr viel Geldes sich da so manche ägyptische oder persische Magier erwarben. Er brachte aber nichts Ordentliches zustande, obwohl er viel Geld dafür ausgab. Er nahm darin auch Unterricht bei einigen externen Essäern, die ihm vorgemacht hatten, als könnten sie, wenn es sein müßte, schon gleich auch eine Welt erschaffen mit allem, was sie faßt und trägt.

8. Aber er überzeugte sich bald, daß er der Betrogene war, und zeigte seinen feinen Meistern den Rücken. In diesem Jahre vernahm er, was Ich alles täte, und wie das alles in einem höchsten Grade überträfe, was man auf dieser Erde bisher ,Wunderwirken‘ nannte.

9. Das war denn auch der eigentliche Grund, warum er sich an Mich anschloß, daheim alles verließ, um nur von Mir das Wunderwirken zu erlernen und danach viel Goldes und Silbers zu verdienen.

10. An Meiner Lehre liegt ihm wenig. Wenn er aufmerket auf Meinen Mund, so möchte er eigentlich nur eine Erklärung vernehmen, auf welche Weise und mit welchen Mitteln Ich das eine oder das andere Wunderwerk zustande gebracht habe. Nun, davon kann er als für ihn brauchbar nie etwas vernehmen und ist daher stets mürrisch.

11. Übrigens wird er für diese Welt bei Mir eine ganz entsetzlich schlechte Rechnung finden. Eine verräterische Handlung und darauf die finsterste Verzweiflung wird aus ihm einen Selbstmörder machen, und ein Strick und ein Weidenbaum werden sein trauriges Weltende sein! Denn er ist einer, der Gott versuchen will, was ein großer Frevel ist und sein muß. Wer es aber wagt, gegen Gott einen Frevel zu begehen, der wird ihn auch an sich selbst nicht unterlassen. Zuerst an Gott, und dann an sich selbst!

12. Ich aber sage es euch, daß jenseits die Selbstmörder schwerlich je Gottes Angesicht schauen werden! Ich könnte euch davon auch sogar den mathematisch festgestellten Grund zeigen; aber es lohnt sich wahrlich der Mühe nicht. Es genügt, daß ihr Mir das glaubet, was Ich euch als Folge des Selbstmordes angab. Sein Grund ist stets eine Art Blödheit, aus der Verzweiflung hervorgehend, und diese ist eine Folge irgendeines Frevels gegen Gott oder gegen Seine Gebote.“

126. Kapitel. Die Folgen der falschen Erziehung.

1. (Der Herr:) „Man findet zwar die Gesetze Gottes höchst gut und gerecht; aber man findet auch Menschen, die von solchen Gesetzen der Tat nach nichts wissen wollen, sondern rein und pur der Welt leben. Mit solchen Menschen ist natürlich kein Geschäft oder höchstens nur ein schlechtestes von der Welt zu machen. Wer mit ihnen in eine geschäftliche Verbindung tritt, der ist schon gleich von vornherein der weidlichst Betrogene und Überlistete. Jener aber, der sich mit solchen Weltmenschen einließe, um von ihnen etwas zu gewinnen, müßte schon sehr blöde sein; denn sonst hätte er seine Verbündeten sicher schärfer durchschaut, bevor er sich mit ihnen noch in ein Geschäft einließ.

2. Solch ein wenigstens halbblöder Mensch ist aber immer noch besseren Herzens, obschon stets etwas gewinnsüchtig, aber dabei eben wegen der Blödheit schwachgläubig und auf Gott wenig vertrauend. Er denkt sich zwar immer und sagt: ,Laßt mich nur einmal recht reich werden! Dann erst werde ich der beste Mensch von der Welt werden und mir auch alle Mittel anschaffen, durch die es mir möglich wird, das mystische Gottwesen besser und heller kennen zu lernen! Ich werde dann alle erdenklichen Wohltaten der armen Welt gegenüber verrichten, und Jahrtausende noch sollen meinen Namen im Munde führen! Aber lasset mir die reichen Weltmenschen einmal dienstbar werden, dann wird sich alles andere plötzlich geben!‘

3. Mit solch blinden Hoffnungen treibt sich solch ein Blödling herum, macht sich Pläne und Versuche und nähert sich mit seinen Plänen den Großen und Reichen, die aus seinen Erfindungen mit ihrem scharfen Weltverstand bald irgendwo einen Nutzen für sich herausschauen. Der blöde Spekulationsmensch sitzt ihnen auf und wird dabei auf eine himmelschreiende Weise betrogen und hinter alles Licht geführt.

4. Nun steht er mit all seinen Plänen und Hoffnungen total ausgeplündert und völlig mittellos da und weiß sich keinen Ausweg zu verschaffen. Der Glaube an Gott und ein festeres Vertrauen auf Gottes Macht, Güte und Hilfe waren bei ihm von jeher nahe gleich einer Null. Mit der Welt hat er durch den Betrug, der ihn um alles brachte, allen Zusammenhang verloren. Sein Verstand ist zu blöde und kann trotz alles Suchens und trotz alles Anstrengens keinen Ausweg finden.

5. Was ist nun die Folge davon? Die Verzweiflung und mit ihr der brennendste Überdruß des Seins, weil sich für dasselbe keine auch nur halberträgliche Aussichten irgend zeigen wollen! In solch einer Fieberhitze nimmt sich dann gewöhnlich so ein Blödling das Leben und wird zum Selbstmörder. Daß er dadurch seiner Seele nicht selten einen unbegrenzten Schaden zufügt, könnet ihr aus dem klar und deutlich entnehmen, daß solch ein Mensch noch gar lange hin sich immer mehr und mehr zerstören will, weil er schon einmal gegen das Sein doch sicher den allertödlichsten Haß geschöpft hat, ohne den er nicht ein Selbstmörder geworden wäre. Die bewußte Blödigkeit aber ist ja niemand angeboren, sondern allein die Folge einer schlechten und verkehrten Erziehung.

6. Wer seine Kinder wahrhaft liebt, dem muß ja doch vor allem daran gelegen sein, ihre Seelen so zu ziehen, daß sie nicht von der Materie verschlungen werden. Werden die Seelen in der rechten Ordnung erzogen, so werden sie ehest fähig, den Geist in sich aufzunehmen, und nie blöde werden, und von einem Selbstmord wird da schon nie die Rede sein.

7. Aber bei eurer affenartigen Erziehung der Kinder, besonders in den Städten, kann es nicht anders kommen. Gewöhnet darum eure Kinder schon frühzeitig daran, das wahre Reich Gottes im Herzen zu suchen, und ihr habt sie dadurch mehr denn königlich geschmückt und habt für sie das größte und beste Erbteil erworben für zeitlich und ewig!

8. Aus den verzärtelten Kindern aber wird nie und nimmer etwas Lebensgroßes! Wenn mit ihnen schon sonst auch nichts Arges geschieht oder sie in sonst nichts Arges übergehen, so bildet sich mit der Zeit bei ihnen doch so eine gewisse schwache Seite heraus, die kein Mensch beleidigen, ja nicht einmal antasten darf. Wird so eine schwache Seite angerührt und angetastet oder gar beleidigt, dann ist es schon aus mit solch einem Menschen. Er wird ganz rasend und grimmig werden und sich sicher an dem Beleidiger auf jede erdenkliche Art zu rächen suchen oder ihm wenigstens dahin eine ganz entsetzlich ernste Drohung machen, solchen Scherz in aller Zukunft zu meiden, da im Gegenteil ihm das ganz entsetzlich üble Folgen zuziehen würde.

9. Solch eine schwache Seite ist im Grunde eigentlich nichts aus dem freien Willen und Erkennen hervorgehend Schlechtes; aber sie ist dennoch ein Leck in der Seele, an dem sie stets verwundbar bleibt, und das nicht nur hier, sondern auch noch lange während jenseits.

10. Darum sollet ihr bei euren Kindern auch darauf sehr sehen, daß sich in ihnen keine sogenannten schwachen Seiten herausbilden, denn sie werden der Seele das, was die sogenannten chronischen, halbvernarbten Krankheiten sind. Ist es gleichfort schönes Wetter und geht dabei ein guter Wind, so schweigen sie, und der Mensch, der sie besitzt, fühlt sich ganz gesund; fängt es aber in der Luft nur an, sich zu einem bösen Wetter vorzubereiten, so fangen solche Lecks im Fleische auch gleich an, sich zu rühren und bringen den Menschen vor Schmerzen oft zur Verzweiflung.

11. Wie es aber für jeden Arzt etwas besonders Schweres ist, solche alte Leibesschäden zu heilen, ebenso schwer und oft nahe noch schwerer ist es, solch alte Seelenlecks zu heilen. Wenn der Schiffer sein Schiff vor den Lecks bewahren will, muß er nicht dahin fahren, wo es im Meere allerlei Klippen und Korallenbänke gibt, sondern nur dahin, wo das Wasser die ganz gehörige Tiefe hat. Und so muß der Erzieher der Kinder als ein wahrhaft lebenskundiger Steuermann seine kleinen Lebensschifflein auch nicht in aller weltlichen klippenhaften Seichtheit herumführen, sondern sich gleich mehr auf die inneren Lebenstiefen wagen, und er wird die kleinen Schifflein vor den gefährlichen Lecks bewahren und sich dadurch die Krone eines wahren Lebenssteuermannes erringen!

12. Wohl jedem, der auch diese Worte beherziget; sie werden nicht ohne Segen für ihn und seine Angehörigen verbleiben!

13. Und nun, da wir diese Nebensache, die sich durch den Auftritt des Jüngers Judas Ischariot ergeben hat, auch nutzbringend besprochen haben, kehren wir wieder zu unseren Betrachtungen des Werdens und nun des scheinbaren Vergehens zurück und wollen nun ganz besonders das letztere in Augenschein nehmen!“

127. Kapitel. Die Furcht vor dem Tode.

1. (Der Herr:) „Das Werden einer Sache, eines Dinges, eines Wesens oder gar eines Menschen hat gewiß stets etwas Erheiterndes in sich, aber das sichtliche Vergehen und das Sichauflösen, besonders eines Menschen, hat in sich wieder nur etwas Trauriges, das jedes Menschen Gefühl stets mit einer Wehmut erfüllt.

2. Ich aber frage und sage: Ja, warum denn das, so die Menschen doch an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele noch irgendeinen Glauben haben?! Die Ursache liegt tiefer, als ihr sie euch denken möget. Vorerst entstammt diese Trauer der Furcht vor dem Tode und nachher noch vielem anderen, das Ich euch aber nun nicht auf einmal auftischen kann und darf, um euch nicht bald im einen und bald im andern verwirrt zu machen.

3. Ist eine Seele einmal völlig wiedergeboren und in alle wahre Lebenstätigkeit übergegangen, so ist wohl natürlich alle Trauer und alle die leere Furcht vor dem Sterben oder Vergehen vergangen; aber bei Seelen, die noch nicht den rechten Grad der innern Lebensvollendung erreicht haben, bleibt noch immer etwas von der Trauer um ihre verstorbenen Nächsten und in ihnen selbst etwas von der Furcht vor dem Tode zurück, von der sie auf dieser Welt nur dann erst völlig los werden, wenn ihre Seele in ihrem Geiste und ihr Geist in ihr groß geworden ist.

4. Betrachtet nur so ein recht verzärteltes Kind, wenn es nicht schon von frühester Zeit an stets mehr und mehr an Tätigkeit gewöhnt worden ist, was für ein ganz entsetzlich trauriges Gesicht es machen wird, so es etwa nach dem zurückgelegten zwölften Jahre in eine ganz ernste und anhaltende, wenn auch seinen Kräften angemessene Tätigkeit treten muß! Es fängt an zu weinen, wird voll Traurigkeit, voll Mißmut, voll Ärger auch und voll Zorn gegen jene, die es zu einer anhaltenden Arbeit anzutreiben anfangen.

5. Sehet dagegen ein Kind von gleichem Alter an, das schon von seiner frühesten Jugend mit Arbeiten stets ernster Art, die den Kräften angemessen waren, beschäftigt wurde! Mit welcher Freude und mit welch einem Behagen tummelt sich so ein Kind den ganzen Tag herum, ohne müde zu werden!

6. Wie aber in einer trägen Seele eine große Furcht vor aller ernsten und anhaltenden Tätigkeit stets daheim ist, so ist in der Seele auch aus derselben Quelle herrührend die Furcht vor dem Tode, ja sogar vor einer etwas gefährlicheren Krankheit vorhanden.

7. Ihr werdet auch schon öfter zu erleben die Gelegenheit gehabt haben, daß so recht fleißige und sehr arbeitsame Menschen bei weitem keine so große Furcht vor dem Sterben haben, wie jene arbeitsscheuen, aber dabei doch wohllebensheiteren und -lüsternen sie haben; und diese Furcht verliert sich nicht eher, als bis solche Seelen eine rechte Tätigkeit ergriffen haben.

8. Ihr meinet freilich, diese Furcht sei nur eine Folge der Unbestimmtheit im Wissen und Erkennen des Jenseits. Ich aber sage es euch allen: Mitnichten, dieses ist selbst nur eine Folge der tief wurzelnden Tätigkeitsscheu der Seele, und weil die Seele es geheim ahnt, daß mit der Wegnahme des Leibes ihre Weiterexistenz eine höchst tätige werden wird, so ist sie ganz untröstlich darüber und gerät in eine Art Fieber, in welchem dann auch eine Art Ungewißheit über das einstige Fortbestehen sich herausstellt. – Denket ein wenig darüber nach, und wir werden dann in dieser sehr wichtigen Sache weiter fortfahren!“

9. Auf diese Meine Worte erhebt sich Mathael und sagt: „So es gestattet wäre, möchte ich wohl bei dieser Sache ein Wörtlein zu dessen näherem Verständnis mitreden!“

10. Sage Ich: „Rede du nur immerhin, was du weißt und verstehst; denn dein Wissen und Verstehen steht auf dem besten Grunde!“

128. Kapitel. Die Trennung der Seele vom Körper beim Tode.

1. Fängt darauf Mathael an zu reden, und seine Worte lauteten also: „Liebe Freunde und Brüder, ich weiß es zwar nicht, wie ich dazu kam, daß ich zuweilen schon von meiner frühesten Jugend an Geister habe sehen und mich mit ihnen sogar besprechen können, was denn auch ein Hauptgrund war, demzufolge ich so ganz eigentlich in die Mauern des Tempels trat; denn man sagte mir, daß darin die mir oft schon sehr lästig gewordenen Geister keine Gewalt mehr über mich haben würden, und ich würde von da an auch keine mehr zu Gesichte bekommen. Nun, das war richtig und ganz in der Ordnung; denn als ich des Tempels gebenedeite Kleider anzog, war es mit meinem Geistersehen völlig zu Ende! Wie und warum das, könnte ich nicht angeben; aber es ist vollkommen wahr und richtig.

2. Obwohl ich aber von dieser Plage durch die Mauern und durch die Kleider des Tempels befreit worden bin, so wußten sich aber die Geister dennoch auf eine andere Art zu rächen. Mein nachheriges furchtbares Besessensein war sicher eine sehr leidige Folge davon! Das Weitere jenes meines höchst bedauerlichen Zustandes ist bekannt, und ich brauche darüber kein weiteres Wort mehr zu verlieren. Aber aus meinem früheren geisterseherischen Zustande ist mir noch so manches bekannt, und wenn ich hier einige Züge daraus nun zum Besten aller meiner nunmaligen Freunde und Brüder gebe, so glaube ich, wenigstens bei dieser Gelegenheit ihnen auch einen kleinen Dienst zu erweisen.

3. Als ich erst so ungefähr sieben oder wohl etwa schon acht Jahre alt war, da starben an einer pestartigen Epidemie plötzlich fünf Menschen; es waren das des Nachbarn Weib, zwei der älteren Töchter und zwei sonst ganz gesunde Mägde.

4. Merkwürdig war es, daß an dieser sonderbaren Epidemie nur lauter erwachsene und sonst sicher ganz kerngesunde Mägde und Weiber verstarben. Als in des Nachbars Hause aber das Weib erkrankte, während schon den Tag vorher die zwei Töchter und die zwei Mägde den Tod erlitten, kam der Nachbar voll Verzweiflung vor lauter Trauer zu uns und bat uns inständigst, ihm beizustehen und wo möglich sein Weib dem Tode zu entreißen; denn mein Vater, in der Nähe Jerusalems eine recht schöne Besitzung habend und zumeist daselbst wohnend, war zur Not auch ein Arzt, und es war darum desto mehr eine Art Pflicht, dem Rufe des unglücklichen Nachbarn zu folgen. Daß ich da nicht daheimbleiben durfte, werdet ihr aus dem Umstande leicht entnehmen, daß ich dem Vater nicht selten ganz gute Heilmittel angeben konnte, weil mir solche meine Geister nicht selten offen und treuherzig anzeigten.

5. Mein Vater meinte ganz zuverlässig, daß ich im Hause des Nachbarn mit Geistern zusammenkommen werde, die mir zur Heilung der todkranken Nachbarin etwas ansagen würden, und so ward ich denn NOLENS VOLENS mitgenommen. Mein Vater hatte sich auch nicht geirrt; ich bekam wirklich eine Menge Geister – sicher gute und schlechte durcheinander – zu Gesichte. Aber mit dem Anraten irgendeines heilenden Mittels hatte es diesmal seine geweisten Wege; denn ein großer Geist, mit einem lichtgrauen Faltenkleid angetan, sagte zu mir, als ich ihn nach dem Wunsche meines Vaters um ein Heilmittel anging: ,Sieh hin auf die Verscheidende! Ihre Seele entsteigt ja bereits ihrer Brustgrube, die der gewöhnliche Ausweg der Seele aus dem Leibe ist!‘

6. Ich besah mir nun die Sterbende näher. Aus der Brustgrube erhob sich wie ein weißer Dunst, breitete sich über der Brustgrube immer mehr aus und wurde auch stets dichter; aber von irgendeiner menschlichen Gestalt merkte ich lange nichts. Als ich das so etwas bedenklich betrachtete, da sagte der lichtgraue große Geist zu mir: ,Sieh nur zu, wie eine Seele ihr irdisches Wohnhaus für immer und ewig verläßt!‘ Ich aber sagte: ,Warum hat denn diese scheidende Seele keine Gestalt, während doch ihr, die ihr auch pure Seelen seid, ganz ordentliche Menschengestalten habt?‘ Sagte der Geist: ,Warte nur ein wenig noch; wenn die Seele erst ganz aus dem Leibe sein wird, wird sie sich schon ganz fein zusammenklauben und wird dann auch recht schön und freundlich anzusehen sein!‘

7. Während ich solchen Dunst über der Brustgrube der Kranken sich immer mehr ausbreiten und verdichten sah, lebte der Leib noch immer und stöhnte zuweilen wie jemand, der von einem schweren Traume geplagt wird. Nach etwa dem vierten Teile der Zeit einer römischen Stunde schwebte der Dunst in der Größe eines zwölfjährigen Mädchens etwa zwei Spannen hoch über des sterbenden Weibes Leib und war mit dessen Brustgrube nur noch durch eine fingerdicke Dampfsäule verbunden. Die Säule hatte eine rötliche Färbung, verlängerte sich bald und verkürzte sich auch wieder dann und wann; aber nach jedesmaligem Verlängern und abermaligem Verkürzen ward diese Dampfsäule dünner, und der Leib trat während der Verlängerungen stets in sichtlich schmerzhafte Zuckungen.

8. Nach etwa zwei römischen Stunden der Zeit nach ward diese Dampfsäule von der Brustgrube ganz frei, und das unterste Ende sah aus wie ein Gewächs mit sehr vielen Wurzelfasern. In dem Augenblick aber, als die Dampfsäule von der Brustgrube abgelöst ward, bemerkte ich zwei Erscheinungen. Die erste bestand in dem völligen Totwerden des Leibes, und die andere darin, daß die ganze weißneblige Dampfmasse sich in einem Augenblick in das mir nur zu wohlbekannte Weib des Nachbarn umwandelte. Alsogleich umkleidete sie sich mit einem weißen, faltenreichen Hemde, grüßte die umstehenden freundlichen Geister, fragte aber auch zugleich deutlich, wo sie nun sei, und was mit ihr vorgegangen sei; auch verwunderte sie sich gleich höchlichst über die schöne Gegend, in der sie sich nun befinde.

9. Von der Gegend aber nahm ich selbst nirgends etwas wahr. Ich fragte darum meinen großen Lichtgrauen, wo denn die so schöne Gegend zu sehen wäre. Da sagte der Geist: ,Diese kannst du aus deinem Leibe heraus nicht sehen; denn sie ist nur ein Produkt der Lebensphantasie der Verstorbenen und wird erst nach und nach in eine größere und gediegenere Realität übergehen!‘ Mit diesen Worten ward ich abgefertigt, und der Geist redete darauf in einer mir ganz unverständlichen Zunge; er muß aber der nun freien Seele etwas sehr Angenehmes gesagt haben, weil sich darauf ihr Angesicht gar so aufgeheitert hatte.

10. Merkwürdig aber kam es mir vor, daß die nun freie Seele sich gar nicht mehr darum zu kümmern schien, was da mit ihrem früheren Leibe geschehen ist; sie unterhielt sich sichtlich gleich sehr gut mit den Geistern, – aber alles in einer mir ganz fremden Zunge. Mit der Weile wurden auch die beiden verstorbenen Töchter und die beiden Mägde herbeigeführt und grüßten ihre frühere Mutter und Herrin mit aller Freundlichkeit, – aber nicht, als wären die ersten beiden ihre Töchter und die andern beiden ihre früheren Dienstmägde gewesen, sondern als echte, wahre, gute Freundinnen und Schwestern, und zwar in einer mir fremden und ganz unverständlichen Zunge. Keine aber schien sich im geringsten um ihren früher doch sicher sehr in Ehren gehaltenen Leib zu kümmern; auch schienen sie niemanden von uns noch Sterblichen wahrzunehmen.

11. Merkwürdig war es, daß die Seele des eben verstorbenen Weibes gleich nach dem Austritte aus dem Leibe wohl noch ganz gut hebräisch ihre Freude über den Anblick der schönen Gegend zu erkennen gab; als sie sich aber gewisserart mehr gesammelt und kondensiert hatte, bediente sie sich einer Sprache, die meines schwachen Wissens nun wohl auf der ganzen Erde und unter allen ihren sterblichen Menschen nirgends bestehen dürfte.

12. Ich wandte mich darum wieder an meinen Lichtgrauen und fragte ihn: ,Was ist das, was nun die fünf neu in eurem Reiche Angekommenen miteinander besprechen, und in welcher Zunge?‘

13. Sagte der Lichtgraue: ,Was du doch für ein neugieriger Knabe bist! Sie reden ja eben deinetwegen diese eigene Geisterzunge, weil sie von dir nicht verstanden werden wollen; denn sie wissen und fühlen es genau, daß du hier weilest als einer, der aus seinem Leibe die Geister sehen und sprechen kann gleich einem Birmanen in Hochindien. Sie wissen und fühlen es auch, daß ihre Leiber noch hier sind; aber diese kümmern sie nicht mehr als wie dich ein alter Rock, den du als gänzlich zerrissen weggeworfen hast. Du dürftest ihnen nun alle Reiche der Welt mit der Aussicht auf ein tausend Jahre langes Leben voll Gesundheit bieten, so würden sie doch nimmer in ihre Leiber zurückkehren! Das aber, was sie miteinander reden, würdest du nicht verstehen, und wäre es auch in deiner Zunge; denn sie sehen nun eben in dieser Zeit, daß der große Verheißene bereits als Mensch, wennschon noch erst als ein zartes Kind, in der materiellen Welt sich befindet. Wenn du ein Mann bist, wirst du Ihn erkennen in Galiläa.‘

14. Das war der ganze Bescheid, den mir der Lichtgraue ganz artig und freundlich hatte zukommen lassen. Es war das gewiß eine sehr denkwürdige Erscheinung, die ich damals als ein Knabe ebenso wahr und lebendig geschaut habe wie jetzt euch alle; und daß der Lichtgraue keine Unwahrheit mir aufgetischt hatte, davon liegt der Beweis darin, daß ich nun Dich, o Herr, wirklich in Galiläa gefunden habe also, wie der Lichtgraue es mir angesagt hatte.

15. Ich möchte nun nur das ein wenig mehr erläutert haben, warum die Seele im Moment des Scheidens als ein Dunst der Brustgrube entsteigt, und warum nicht gleich als eine ausgebildete Menschenform. – Herr, Du liebevollster, Du allweisester Meister alles Lebens, möchtest Du uns darüber wohl eine Erklärung geben?“

129. Kapitel. Die Vorgänge beim Scheiden der Seele vom Körper.

1. Sage Ich: „Die sollet ihr sogleich haben; und so höret denn! Der ersichtliche Dunst – in dem Maße (Form) eines Menschen doch immerhin – ist eine Folge der großen Beklommenheit der Seele im Moment des Scheidens, in welchem sie vor lauter Furcht und Entsetzen auf einige Augenblicke ganz bewußtlos wird.

2. Es ist eine außerordentliche Tätigkeitsanstrengung der scheidenden Seele, sich zu erhalten in ihrer sich selbst bewußten Existenz. Alle ihre Teile werden in eine außerordentlich heftige Vibration gesetzt, daß darob auch das schärfste geistersehende Auge irgendeine bestimmte Form nicht entdecken kann.

3. Ein Beispiel in der Natur böte die tiefklingende Saite einer Harfe. Wenn du sie stark angeschlagen hast, so wird sie sich eine Zeitlang also schnell hin und her schwingen, daß du ihren Körper auch nur als einen durchsichtigen Dunstfaden sehen wirst; hat die Saite aufgehört mit dem Schwingen, dann wird infolge ihrer Ruhe auch ihre eigentliche Form wieder ersichtlich.

4. Eine gleiche Erscheinung hast du beim Anblick einer summenden Fliege, deren Flügel du erst dann als Flügel wahrnehmen kannst, wenn die Fliege zu fliegen und dadurch zu summen aufgehört hat; im fliegenden Zustand hast du sie nur wie mit einem kleinen Dunstwölkchen umgeben geschaut.

5. Wenn die Seele im Scheidemomente austritt aus dem zerstörten, zerrissenen und fürderhin nicht mehr brauchbaren Leibe, so vibriert sie in oft eine Spanne langen Schwingungen, und zwar so schnell, daß du tausend Schwingungen als hin und her und auf und ab in einem Augenblicke annehmen kannst; da ist es dann während der Dauer solcher Seelenvibration dem disponierten Beschauer rein unmöglich, nur irgend etwas von der seelischen Menschenform auszunehmen. Nach und nach beruhigt sich die Seele mehr und mehr und wird dadurch auch als menschliche Form ersichtlich; tritt sie aber endlich ganz in den Zustand der Ruhe zurück, die gleich nach der völligen Ablösung eintritt, so ist sie dann auch sogleich in der vollkommenen Menschenform zu erschauen, vorausgesetzt, daß sie sich zuvor durch allerlei Sünden nicht zu sehr entstellt hat. – Verstehst du nun solches?“

6. Sagt Mathael: „O Herr, Du Allerweisester, wie sollte ich nun das nicht bestens verstehen? Du hast mir diese Erscheinung ja als mit den Händen zu greifen klargemacht! Aber nun möchte ich – Herr, vergib mir meine Wißbegier – denn auch noch dazu wissen, was für eine Zunge die fünf Seelen miteinander geredet haben! Ich selbst bin doch auch mehrerer Zungen fähig; aber dem ungeachtet verstand ich keine Silbe, was diese miteinander geredet haben. Besteht in dieser Welt noch irgendeine ähnliche Zunge?“

7. Sage Ich: „O ja, die birmanischen Priester sind im Besitze dieser Zunge, und es ist das die Ursprache der ersten Menschen dieser Erde gewesen; eure, die altägyptische, und mitunter auch die der Griechen, stammen alle von dieser einen und ersten Menschensprache nahe vollkommen ab. Meinet ihr wohl, daß ihr verständet den Vater Abraham, Isaak und Jakob, so sie hier wären und redeten also, wie sie dereinst geredet haben? O mitnichten, nicht ein Wort würdet ihr von ihnen verstehen! Verstehet ihr doch schon die Bücher Mosis schwer, die doch nahe um tausend Jahre jünger sind denn Abraham, um wieviel weniger die Erzväter selbst! Ja, es hat sich bei den Juden gar vieles sehr verändert, also auch die Sprache, ohne eine zweite babylonische Sprachenverwirrung. – Verstehest du nun auch das?“

8. Sagt Mathael: „O Herr, auch darin bin ich nun im reinen; ich glaube, daß es auch die andern alle sind, und so möchte ich Dich im Namen aller wieder um weitere Belehrungen anflehen!“

9. Sage Ich: „Diese werden nicht ausbleiben; aber du hast noch eine Menge Erfahrungen im Bereiche des Sterbens gemacht und mußt uns daher noch einige der denkwürdigsten deiner Brüder wegen erzählen. Was dir oder jemand anderem dabei unklar ist, das werde Ich euch dann schon wieder aufhellen.

10. Ich habe euch vorher das Werden gezeigt bis auf den Punkt des Überganges durch den Abfall der Materie. Der leibliche Tod ist noch immer der Schrecken aller Kreatur. Den Grund davon habe Ich euch auch in aller Kürze kundgegeben; derselbe wird aber bei Gelegenheit noch ausführlicher dargetan werden. – Aber nun mache du dich nur wieder an deine Erzählungen!“

11. Sagt Mathael: „O Herr, nur auf Dein so überliebevolles Verlangen will ich noch mehrere Fälle also erzählen, wie ich sie mit meiner Seele Augen geschaut habe!“

130. Kapitel. Beobachtungen des hellsehenden Mathael bei der Hinrichtung von Raubmördern.

1. (Mathael:) „Als ich ein Knabe von zwölf Jahren war und schon ganz männlich ernst zu denken und zu reden imstande war, da wurden zu Jerusalem mehrere Raubmörder schwerster Art zur Kreuzigung bestimmt. Es waren deren sieben an der Zahl. Das machte damals ein großes Aufsehen nicht bloß in ganz Jerusalem, sondern auch weit und breit in der Umgegend. Es war damals auch ein gewisser Kornelius römischer Oberhauptmann und dazu AD INTERIM Landpfleger. Dieser war über diese Erzbösewichter überaus aufgebracht, da sie mit einer wahrhaften Tigernatur die gefangenen Menschen bloß so zum Vergnügen mit allerlei unbeschreibbar gräßlichen Marterungen töteten und eine desto größere Lust hatten, je länger sie einen quälen konnten. Kurz, der Begriff ,Teufel‘ wäre für sie noch viel zu gut und zu ehrlich!“

2. Hier unterbricht ihn Kornelius und sagt: „Freund, vergiß deine mir überaus werten Worte nicht! Aber ich muß dir hier noch bemerken zugunsten deiner treu angefangenen Erzählung, daß eben ich derselbe Kornelius war! Und nun erzähle du nur wieder weiter; denn bis jetzt war noch keine unwahre Silbe darunter!“

3. Sagt weiter Mathael: „So ganz leise und ahnungsweise habe ich es mir wohl gedacht, weil mir deine Züge von jener Zeit her noch so ziemlich bekannt waren, und es ist für diese meine Erzählung um so besser, daß sich in deiner hohen Person sicher ein sprechender und wahrhaftigster Zeuge befindet! Und also wollet mich denn weiter vernehmen!

4. Weil denn die beschriebenen sieben gar so böse Teufel waren, so beschloß denn auch Kornelius, mit ihnen zu einem abschreckenden Beispiele allergrausamst zu verfahren. Dazu gehörte denn auch, daß sie einmal fürs erste auf vierzehn volle Tage zum Tode ausgesetzt waren, und es wurden ihnen diese Zeit hindurch täglich Martern mit den glühendsten Farben vorgelesen, die sie zu erwarten hatten; übrigens wurden sie in dieser ihrer Schreckenszeit ganz leidlich gut gefüttert, damit ihnen das Leben recht angenehm und der sicherst zu erwartende martervollste Tod desto bitterer vorkäme.

5. Ich habe diese Kerle mit meinem Vater bei fünf Male besucht, erblickte sie aber am Ende stets gleich einem halbverkohlten und noch glühenden Holzscheite dampfen und rauchen; und dieser Rauch und Dampf verbreitete wenigstens für meine Nase einen unerträglichen Gestank, der sonst seinesgleichen auf dieser Welt kaum haben dürfte! Je länger sie schon ausgesetzt waren, und je näher ihr Schreckenstag heranrückte, desto penetranter wurde der Dampf, Rauch und Gestank. Es versteht sich von selbst, daß die sieben Teufel ihre Farbe mehr denn ein Chamäleon zu verändern begannen.

6. Endlich erschien der fürchterliche Schreckenstag. Die Schergen und die Büttel kamen, und den sieben wurden auf offenem Platze bei Anwesenheit von Tausenden die Kleider ausgezogen bis auf ihre Scham, worauf sie blutig gegeißelt wurden. Ich konnte dieser Exekution nur von weitem zusehen, bemerkte aber dennoch, wie während dieser Behandlung eine Menge schwarzer Fledermäuse von den Gegeißelten wie ein Bienenschwarm hinaus- und hinwegflogen; auch wie kleine fliegende Drachen erhoben sich über den Gegeißelten, und diese dampften und rauchten nun schon um ein bedeutendes weniger.

7. Aber bei einem etwas genaueren Betrachten entdeckte ich bald und leicht, daß dieser Dampf und Rauch sich schnell in allerlei gräßlichen Formen ergriff, die dann als die vorbezeichneten schwarzen Fledermäuse auf und davon flogen; auch die kleinen Drachen bildeten sich daraus. Wie viele solche Höllenkreaturen mögen sich schon während der vierzehn Tage von den sieben empfohlen haben!

8. Nachdem aber die sieben so recht skytisch (barbarisch) durchgegeißelt worden waren, bemerkte ich, daß sich ihre früher ganz teuflisch aussehenden Gesichter ins etwas menschlicher Aussehende umwandelten und die Delinquenten auch schwächer und furchtsamer zu werden begannen; sie kamen mir vor wie Betrunkene, die kaum wissen, was da mit ihnen vorgeht. Die ganze Sache kam mir sehr sonderbar vor, wie diese früheren Wüteriche nun in eine Art Lämmernatur überzugehen begannen.

9. Nach der Geißelung wurden sieben Kreuze herbeigeschafft und jedem Delinquenten eines auf die Schulter gelegt zur Tragung hinaus auf Golgatha, das der allgemeine Scharfrichtplatz der Römer schon seit lange her ist; aber keiner vermochte die ihm auferlegte Todesbürde trotz alles Stoßens, Schlagens und Mißhandelns auch nur einen Schritt weiterzubringen. Man brachte deshalb einen großen Karren herzu, bespannt mit zwei starken Ochsen, legte zuerst die Kreuze und dann über dieselben die Verbrecher auf denselben, band alles mit Stricken und Ketten fest nieder und fuhr dann hinaus auf Golgatha.

10. Dort angelangt, dahin nebst mir und meinem Vater eben nicht zuviel Volkes wegen der zu furchtbaren Grausamkeit gefolgt war, band man alles wieder los, riß die bluttriefenden Delinquenten vom Karren, band gleich einen um den andern mit gröbsten und mit Dornen eingeflochtenen Stricken riesenhaft fest an die Kreuzpfähle und stellte diese dann aufrecht in die schon eigens dazu in den Stein ausgemeißelten Löcher. Nun erst begannen die Delinquenten zu heulen und allergräßlichst zu wehklagen!

11. Es muß ihnen das unerträgliche Schmerzen verursacht haben; denn fürs erste waren sie durch das Geißeln schon ganz zerfleischt, – fürs zweite die mit Dornen eingeflochtenen Stricke, und drittens das grobe und rohe Holzwerk! Denn so ein Kreuz ist zwar fest, aber sonst stets so roh als möglich quer zusammengefügt und muß dem fest an Händen, Füßen und am Mittelleibe daran Geknebelten schon bei einem vorher ganz gesunden Leibe, geschweige bei einem schon über alle Maßen zerfleischten, ohne weiteres die allerunerträglichsten Schmerzen verursachen. Ich habe diese von mir genau beobachtete Sache nur darum beigefügt, damit ihr Brüder im Angesichte des Herrn das Darauffolgende desto leichter fassen möget, zugleich aber auch, um zu zeigen, wie unabänderlich getreu der hohe Kornelius sein Richterwort erfüllt hat.

12. Je länger die sieben an den Kreuzen hingen, desto gräßlicher ward ihr Geschrei und desto schrecklichere Läster- und Fluchworte stießen sie aus, bis sie nach etwa drei Stunden als ganz heiser und völlig stimmlos bloß nur noch einen blutigen Geifer von sich trieben und sich die Zunge und die Lippen klein zerbissen. Nach sieben vollen Stunden wurden sie ruhiger, und es schien sie alle nahe zugleich ein Nervenschlag gerührt zu haben.

13. Ich muß aber offen gestehen, so sehr sie als wahre Teufel in ihrem freien Zustande gewirtschaftet hatten und es sicher nicht einen Menschen in ganz Jerusalem und Judäa gab, der da nur einen aus den sieben irgend bemitleidet hätte, so kam mir die Sache am Ende denn doch eben nicht sehr löblich vor! Aber sei ihm nun, wie ihm wolle, das Gesetz schreibt das vor, und vor den Augen der Welt hatten sie das verdient!

14. Was wir jetzt, o Herr, aus Deinem Munde gehört und gesehen haben, von dem hatte natürlich damals kein Mensch auch nur eine leiseste Ahnung, und so war es recht und billig, diese sieben mit des Gesetzes äußerster Strenge zu bestrafen zum abschreckenden Beispiele für die vielen, die irgend auf ähnlichen Wegen wandelten. Aber so empörend gräßlich die ganze Geschichte bisher auch war, so ist das doch alles rein nichts gegen das, was, als gleich darauf folgend, ich euch erst erzählen werde.

15. Bei diesen sieben fing nun auch eine sonderbare Art ganz kohlschwarzen Dunstes und Rauches über der Brustgrubengegend sich zu entwickeln an und wuchs und wuchs bis zur doppelten Größe der an den Kreuzen Hängenden; ich bemerkte auch die gewisse Dunstschnur, durch die der ausgestiegene Dunst mit dem noch fiebrig und krampfhaft zuckenden Leibe in einer Verbindung stand. Die schwarze Dunstmasse aber entfaltete sich ja nicht etwa in eine Menschenform, sondern in die erschrecklichste eines größten und ganz schwarzen Tigers, der aber wie mit Blut gestreift war. Als diese schwarzen Bestien bald genug ausgebildet dastanden, fingen sie alsbald überaus furchtbar an zu toben und versuchten, sich mit aller Gewalt völlig vom Leibe zu trennen. Aber es ging das nicht; denn die Lebensschnüre waren so hartnäckig, daß sie sich durch gar keine Gewalttat zerreißen ließen.

16. Die Sache sah mir zu toll und gräßlich aus, und da es ohnehin schon gut eine Stunde über die Tagesmitte war, so gingen ich und mein Vater nach Hause, und ich erzählte auf dem Wege erst dem Vater, was bei dem Verlaufe der Kreuzigung alles zu sehen war. Er gestand mir zwar, nichts dergleichen gesehen zu haben, hatte aber fleißig meine Augen beobachtet und nahm aus ihrem fixierten Hin- und Herschweifen genau wahr, daß ich da etwas Besonderes sehen müsse; also nahm er auch aus der Treuheit meiner Worte genau ab, daß ich ihm keine Unwahrheit erzählt hatte. Er, als ein Arzt zur Not und als ein Philosoph und Theosoph zugleich, fand darin sehr viel Denkwürdiges, obgleich er trotz aller seiner Philosophie und Theosophie von meinen Erzählungen ebensoviel verstand als ich selbst; aber er beschloß, gegen Abend dennoch wieder dahin zu ziehen, um durch mich noch weitere Beobachtungen machen zu können, und um bei Gelegenheit den Sadduzäern so recht derb sagen zu können, daß sie die größten Ochsen und Esel seien, wenn sie die Unsterblichkeit der menschlichen Seele ableugnen.“

131. Kapitel. Eine Sadduzäerkritik über römische Strafen.

1. (Mathael:) „Wir selbst hatten einen ausgespickten Sadduzäer mitsamt seiner Familie zum Nachbarn, der zwar als Mensch ganz ordentlich, gut und sehr verträglich war, mit dem aber über Gott und über die Unsterblichkeit der Seele nie ein Wort zu reden war. Er hielt alle für höchst beschränkte Köpfe, die an derlei glaubten, und über mich sagte er, daß ich zu einem Dichter die besten Anlagen besäße, indem mir eine so lebhafte Phantasie und Einbildung eigen wäre. Kurz und gut, mein Vater gab sich zu zeiten viel ab mit ihm; aber es war alles rein vergeblich.

2. Diesmal fragte ihn mein Vater, ob er nicht mit auf Golgatha möchte. Da sagte er: ,Nicht um die ganze Welt! Ich kann kein Tier sterben oder gar schlachten sehen, geschweige erst Menschen, und möchten sie noch mehr Greueltaten ausgeübt haben denn diese sieben! Kommen reißende Bestien uns in die Nähe, gut, so mache man Jagd auf sie, um sie unschädlich zu machen, und man hat der Menschheit dadurch schon einen guten Dienst erwiesen! Also mache man es auch mit dergleichen Menschen, die für eine friedliebende Menschengesellschaft durchaus nicht mehr taugen! Man töte sie ganz einfach, – aber man martere sie nicht; denn sie können sicher am wenigsten darum, daß sie zu reißenden Bestien geworden sind! Natur, Temperament, Komplexion und Erziehung sind allzeit die Ursachen von solchen Entartungen.

3. Wenn man aber sagt, daß man solches nur des abschreckenden Beispieles wegen anordne, so muß ich darüber nur ganz hellauf zu lachen anfangen; denn wir friedsamen und ordentlich erzogenen Menschen bedürfen des abschreckenden Beispieles nicht, und für die es allenfalls gut wäre, die werden keine Narren sein, herzukommen, um sich die sieben abschreckenden Beispiele so ganz gemütlich anzusehen!

4. Das aber werden diese Beispiele sicher als löbliche Folge haben, daß die noch lange nicht eingefangenen anderen Verbrecher – vielleicht tausend an der Zahl – in der Folge mit denen, die in ihre Hände geraten werden, noch um vieles grausamer verfahren werden denn bisher! Besonders zu gratulieren wird es einem Römer sein, der leicht möglich das Glück haben wird, den noch freien Verbrechern zur Beute zu werden! Wahrlich, in dessen Haut möchte ich mich um alle Schätze der Erde nicht befinden! Diesen einzigen Vorteil kann solch eine grausame Handhabung zu martialischer Gesetze haben!

5. Wer erinnert sich nicht der Zeiten vor den Römern?! Die Gesetze waren zwar immer ernster Natur, – aber wenigstens vernünftig, und man hörte nie etwas von großen Greueln. Nun aber haben die weisen Heiden uns mit den allerschärfsten politischen und martialischen Gesetzen gesegnet, diese hochtrabenden Weltverbesserer und Städte- und Ländereroberer, und an den Straßen unseres gelobten Landes werden trotz der zehnfach verstärkten römischen Wachen Greuel begangen, die sich ein ordentlicher Mensch nicht mehr erzählen lassen kann, ohne dabei auf einmal in zehn Ohnmachten zu versinken! Gehet ihr darum nur allein hin und besehet euch das Siebenmuster der echt römischen Grausamkeit, die bald eine siebzigfache von der andern Seite zur Folge haben wird!

6. Der Mensch soll Mensch sein, weil ihn die ewige Natur zum Menschen über sich erhoben hat! Wenn aber der Mensch mit aller seiner so hoch gepriesenen Vernunft am Ende noch ein bei weitem ärgeres und grausameres Tier wird als der Wälder allerreißendste Bestien, dann ist es rein aus mit dem Menschen, und es ist hoch an der Zeit, daß wir zu den wilden und reißenden Bestien in die Wälder ziehen, um von ihnen die natürliche Humanität zu erlernen! Gehet also nur hin nach Golgatha, auf diesen allerverfluchtesten Fleck der ganzen Erde, der mit Menschenblut getränkt ist wie eine Schlächterbude mit dem Blute der Rinder, der Lämmer und der Ziegen! Was ihr dort erlernen werdet, das wird wahrlich von keinem guten Ansehen sein!

7. Ihr bekennet seinen Gott und glaubet an der Seele Unsterblichkeit und könnet dennoch mit leichtem Gemüte mit ansehen, wie verzogene und tief verirrte Menschen von den noch größeren Wüterichen auf das namenlosest schmerzlichste den ganzen Tag über bis zum Tode gepeinigt werden! Glaubet mir, diese sieben wären ohne die römische Strenge nie so arg geworden, als sie freilich, in die Haut schaudernd, waren! Aber wer hat sie dazu gemacht? Die, die sie nun den ganzen Tag über mit allem Behagen martern!

8. Und ihr als heilige und gottgläubige Juden könnet auch zusehen, wie die Verruchtesten die Verruchten peinigen und martern?! Seid mir wohl auch recht schöne Leute und Nachbarn! Wahrlich, in meinem Eselsstalle sieht es bei weitem humaner und menschlicher aus als in eurem an einen Gott gläubigen Hause! Verstanden?‘ – Mit dem entfernte er sich, und wir gingen auch unsere Wege.“

132. Kapitel. Das Ende der gekreuzigten Raubmörder.

1. (Mathael:) „In einer halben Stunde waren wir schon wieder auf Golgatha und trafen daselbst außer den Wächtern nahe niemanden dort. Aber die sieben boten einen Anblick des tiefsten Entsetzens dar. Ich will hier nicht so sehr von dem schrecklichen Aussehen der sieben Halbleichname reden, als vielmehr von ihren Seelen, die von ihren Leibern noch nicht abgelöst waren, sich aber alle Mühe gaben, selbst die Leiber zu zerstören und zu zerreißen. Diese schwarzen und dunkelblutrot gestreiften Tiger krallten sich in ihre Leiber und verbissen sich in dieselben; aber sie mußten dafür aus dem noch nervenlebenden Leibe eine sie schmerzende Rückwirkung verspüren. Denn nach jedem dem Leibe beigebrachten Bisse machten sie schmerzhafte Grimmgesichter und legten ihre Tatzen gleich auf die entsprechend gleiche Stelle, allwo sie in ihren halbtoten Leib hineingebissen hatten.

2. Diesem bösen Manöver sahen wir nahe eine Stunde lang zu, und ich mußte meinem Vater stets erzählen, was ich an den sieben wahrnahm. Das aber bemerkte der römische Wachtmeister, der meinen unsteten Blick schon länger mit aller Aufmerksamkeit beobachtet haben mußte. Er trat zu uns und fragte in der römischen Zunge uns beide, was wir denn an den sieben sähen, weil wir, besonders ich, mit solch unsteter Aufmerksamkeit beobachteten und ich stets meinem Vater etwas zu rapportieren hätte. Wir sollten das in seiner Zunge tun, ansonst er uns wegschaffen müßte.

3. Der Vater sprach mit ihm griechisch, worin er sich leichter bewegte als im Lateinischen, obschon wir beide auch das Lateinische recht gut verstanden; denn in Jerusalem mußte man ja schon als ein Knabe drei Sprachen kennen, so man mit den vielen Fremden konversieren wollte. Mein Vater erklärte ihm, dem Wachtmeister, daß er ein Arzt sei und hier mit mir als seinem Sohne und zugleich seinem Schüler morbognostische und psychologische Beobachtungen anstelle, und mich dabei antreibe, auf alle Symptome wohl achtzuhaben; er erkläre mir nebstbei auch dieses und jenes nach der Weise des Hippokrates.

4. Der Wachtmeister aber fand daran als ein wißbegieriger Mensch sein Wohlgefallen, nur wünschte er, daß mein Vater die Erklärungen mir in der griechischen Zunge machen möchte, damit auch er dabei etwas profitieren könne. Jetzt saßen wir in der Patsche! Denn daß mein Vater mir etwas dabei erklärt hatte, war nur eine Finte, um den Wachtmeister zu beruhigen, indem nur ich dem Vater über das psychisch Gesehene Mitteilungen gemacht hatte, die doch sicher von der Art waren, über die uns der Wachtmeister ins Gesicht lachen müßte, so er sie vernähme. Was war nun hier zu tun? Wir beide waren ratlos!

5. Aber nun bemerkte ich einen Geist, der sich gerade aus der Lufthöhe, auf einer Wolke stehend, herabließ und in seiner Rechten ein großes, blankes Schwert trug. ,Was wird er hier tun?‘ dachte ich mir. Der Wachtmeister aber bemerkte meinen fixiert forschenden Blick und fragte mich gleich, ob ich etwa irgend etwas Besonderes sähe. Und ich erwiderte ihm nach meiner damaligen Art ganz kurz und etwas barsch: ,Allerdings, – aber so ich es dir auch mitteilete, so würdest du es mir dennoch nicht glauben!‘

6. Der Wachtmeister wollte hier in mich dringen; aber da es bei dieser Gelegenheit schon gen Abend zu gehen anfing und vom Kornelius eine Order kam, den sieben nach der Römer Sitte mit Beilen die Beine an den Füßen zu brechen, und wenn einer noch lebete, ihm mit einem Schlage aufs Haupt und einem auf die Brust den Garaus zu machen, so bekam unser Wachtmeister wieder strengen Dienst, und wir waren in unserer Beobachtung unbehindert.

7. Ich sah nun nur auf den großen Geist, der ein dunkelhimmelblaues Faltengewand anhatte, was denn er bei dieser Geschichte tun werde. Hört! Wie die Beinbrecher auf das Kommando harrten, um den sieben die Beine zu zerschlagen und einem noch beim Leben Seienden mit den bewußten Schlägen den Garaus zu geben, da streckte der mächtige Geist sein Schwert aus und hieb die Fäden entzwei, mit denen die schwarzen Tigerseelen noch mit den Leibern zusammenhingen.

8. Als diese schrecklichen Seelen ihrer Leiber ganz ledig waren, bekamen sie auf einmal ein etwas menschlicheres Aussehen, gingen auf den Hinterbeinen einher, aber ganz stumm und höchst traurigen und leidenden Aussehens, und der Geist herrschte sie folgenderweise an: ,Entfernet euch an den Ort eurer bösen Liebe; er wird euch anziehen! Wie eure Taten, also auch euer Lohn!‘ Die sieben Seelen aber schrien: ,Sollen wir verdammt sein, so wäre dazu noch Zeit gewesen! Warum mußten wir uns denn martern lassen, so uns nun hier die ewige Verdammnis erwartet?!‘

9. Sagte der große, mächtige Geist: ,Alles lag und liegt noch an eurer Liebe! Ändert diese nach der euch bekannten Ordnung Jehovas, und ihr werdet eure eigenen Erlöser sein; aber außer euch kann euch niemand in der ganzen Unendlichkeit Gottes erlösen! Das Leben ist euer, und die Liebe ist euer; könnet ihr eure Liebe ändern, so wird diese dann auch euer ganzes Leben und Sein umgestalten! Und nun entfernet euch!‘

10. Bei diesen scharfen Worten des großen und mächtigen Geistes fuhren die sieben unter einem gräßlichen Geheule schnellstens von dannen; ich aber war so keck, den großen Geist zu fragen, was es denn mit den sieben späterhin für ein Ende nehmen werde.

11. Und der Geist erhob sich wieder und sagte nichts als: ,Ihr höchst eigener Wille! Bei diesen war es nicht Mangel an der Erziehung, nicht an der Erkenntnis, und sie waren auch nicht besessen – denn nur durch ihren bösen Willen. Das Geschmeiß, das du während ihres Ausgesetztseins und während ihrer Stäupung ihnen entfliehen sahst, waren keine fremden Dämonen, sondern lauter Produkte und Ausgeburten ihres eigenen bösen Willens. Also ist dies Gericht ein gerechtes; denn es hatte mit sieben vollendeten Teufeln zu tun, für die es auf dieser Welt keine Lehre, kein Wort und keine Besserung gab! Hier bei uns aber, da alles offenbar wird, wird ihr Los so sein, wie sie selbst es aus ihrer Liebe heraus wollen werden. An Gelegenheiten, wenn auch nur zum Scheine, wird es hier nicht fehlen, sich zu versuchen in noch mehr Bösem oder aber auch in Besserem. Verstehe das, Junger, und erkläre solches auch deinem Vater, dem für das keine Sehe gegeben ist!‘

12. Mit diesen bedeutungsvollen Worten verschwand der große und mächtige Geist, und die Beinbrecher begannen ihr Werk. Bei fünfen rann kein Blut mehr aus den weitklaffenden Wunden; aber bei den zwei letzten zeigte sich noch Blut. Bei diesen wurden denn auch sogleich die gewissen Garausmachungsschläge angebracht, was aber auch eine ganz vergebliche Mühe und Arbeit war; denn wo die gute oder schlechte Seele einmal aus dem Leibe ist, da ist der Leib schon sicher ganz vollkommen tot.

13. Nach dieser eben nicht zu einladend schönen Handlung begaben sich die Scharfbüttel nach Hause, die Leichname aber wurden dem Wasenmeister und seinen Knechten zur weiteren Vertilgung übergeben. Die Art der Vertilgung aber war verschieden und ist es noch, nur beerdigt durften sie nicht werden. Gewöhnlich wurden sie verbrannt mit dem verfluchten Holz oder ausgesotten im verfluchten Wasser und sodann erst den wilden Tieren zum Fraße vorgeworfen. Die wilden und reißenden Bestien aber, die davon fraßen, gingen gewöhnlich zugrunde, daher der Wasenmeister dergleichen Leichname ganz gewöhnlich im verfluchten Wasser auskochte und sie dann zur Vertilgung der Wölfe, Hyänen, Bären und Füchse weithin ganz gut verkaufen konnte und recht viel Geld dafür bekam.

14. Das, o Herr, ist nun abermals ein Histörchen, das ich erlebt habe in meiner Jugend, bei der mir sonst alles klar wäre, – nur die Gestalt der Seelen nicht, die aller menschlichen Form bar waren, und das vorher zahllos viele aus den Verruchten entflogene, mir sichtbar gewordene Geschmeiß von Fledermäusen und kleinen Drachen. Der große Geist gab mir freilich dahin wohl ein etwas erläuterndes Wort, daß dies nur Ausgeburten des bösen Willens seien; aber wie, – das ist eine ganz andere Frage, die außer Dir, o Herr, wohl niemand beantworten und lösen wird! Diese beiden könntest Du, o Herr, uns wohl lösen, so es genehm wäre Deinem heiligsten Willen!“

133. Kapitel. Die Gestaltung der Seelen der Raubmörder.

1. Sage Ich: „Ganz gut und wahr hast du deine Erzählung von dem, was du selbst erlebt hast, vorgetragen. Die bestiale Gestaltung der Seelen der bewußten sieben großen Verbrecher hat ihren Grund eben in einer gewissen freien Ordnung, aber freilich dahin nur, wie sich in einem Leibe die darin wirkenden Seelenspezifikalteile von neuem ergreifen oder umtauschen, was dem gleich ist, als wie ihr einen Knaul Würmer sehet, die da durcheinanderkriechen und -steigen und gewisserart eine ihnen stets bequemere Ruhelage suchen. Haben sie entweder in ihrer guten oder bösen Art eine gefunden, so wird die äußere Form gewiß stets eine der guten oder bösen Art entsprechende.

2. Seht hier mehrere Pflanzen; da steht eine heilsame, da eine giftvolle! Betrachtet bei dem sonnenhellen Lichte unserer Leuchtkugel die Formen! Sehet, wie geschmeidig, lieblich, sanft und bescheiden die heilsame Pflanze in ihrer Form anzusehen ist, und wie eckig, zerrissen und hie und da auch ganz verdächtig glatt die Giftpflanze dagegen in ihrer Form anzusehen ist, und dennoch bestehen beide Gattungen aus einer- und derselben Ursubstanz, stehen in gleicher Erde, schlürfen denselben Tau ein, die ganz gleiche Luft und das gleiche Licht! Und dennoch ist in der heilsamen Pflanze alles heilsam, in der Giftpflanze aber ganz und gänzlich Gift! Der Grund liegt allein im Verkehren der Ordnung.

3. Ihr habt ja gesehen, wie zuvor aus den sich ganz ähnlichen Glühzungen oder umherschwebenden Feuerschlangen, die für das Fleischauge vor lauter Kleinheit nicht zu erschauen wären, sich ein vollkommener, ganz gemütlicher Esel herausgeformt hat; glaubt ihr, daß daraus bei einer andern Ordnung der sich zu einer ganzen organischen Form ergreifenden Ursubstanzen nicht ebensogut ein Tiger, ein Kamel, ein Ochse oder Elefant oder sonst etwas hätte entstehen können?! O ganz sicher! Und ein anders geordnetes Sich-Ergreifen hätte aber dann auch eine ganz andere Natur und Eigenschaft in sich, die einer andern ganz feindlich gegenüberstünde, und das darum, weil in jeder anders organisierten eigentümlichen Form fortwährend das Bestreben vorwaltend ist und zum größten Teile auch bleibt, alles andere und etwa Schwächere in seine Ordnung umzugestalten.

4. Aus dieser Eigenschaft gehet hervor die Liebe, die innere Wärme, das Bestreben, die Gier, der Hunger und der Durst. Ist diese Gier, die gleich der Herrschsucht ist, hie und da zu groß und haschet nach zu vielem, um es unter seine ursprüngliche Ordnung zu schieben, so wird das in sich Hineingeschobene nicht selten zu mächtig, ergreift die erste im Wesen schon seiende seelenorganische Ordnung, zieht sie in die eigene gute, bessere, aber gar leicht auch schlechte, schlechtere und am Ende gar allerschlechteste Ordnung!

5. Was geschieht aber dadurch? Mathael, nun komme mit deinen gesehenen tigergestaltigen Verbrecherseelen! Sie sind von jenen zu gierig zu sich genommenen Seelenursubstanzen, die zu ihrer Ordnung nicht taugten, zu übermäßig in sich aufgenommen worden; und diese haben dann erst ihre Seelen in das ihrige Überschlechte verkehrt und somit aus Menschenseelen wahre Tigerseelen gezeugt, und vom selben Ursprunge war auch all das Geschmeiß, das du den geängstigten Verbrechern massenhaft hast entsteigen sehen. Nun aber saget mir alle, ob ihr diese gar reichliche Lehre wohl allseits verstanden habt!“

6. Sagen die meisten: „Jawohl, Herr, wir verstanden diese Lehre jedenfalls so ziemlich; aber daß wir uns rühmen könnten, darin so recht zu Hause zu sein, da würden wir Lügner sein. Aus der früheren Gestaltung der Eselin haben wir wohl wahrgenommen und gesehen, wie aus den geistigen Ursubstanzen ein Ding oder Wesen wird. Wir sahen ja ordentlich das Gras wachsen, und wie sich gewisserart von selbst eine Eselin aus den Feuerzungen erschaffen hatte. Ja, wir wissen durch Deine Güte und Gnade sogar, was, wer und woher kommend diese Feuerzungen sind, und wie sie sich als verwandt zu irgendeiner ausgeprägten Idee und Form ergreifen können. Wir wissen es recht wohl, wie sich diese Deine zahllosesten Urgedanken, von denen die ganze Unendlichkeit strotzt, obschon sich der äußeren Erscheinlichkeit nach gleichsehend, in sich selbst dennoch sehr unterscheiden, leichter und schwerer sind, je nachdem sie in sich irgendeinen Sinn enthalten, der etwas Tieferes, Ernsteres und Gediegeneres in sich faßt, und wie die verwandteren sich auch zunächst ergreifen und irgendein Organ zu bilden anfangen.

7. Wie gesagt, das alles begreifen wir nun ganz gut; aber etwas ist uns dabei dennoch ein starkes Rätsel, welches Du, o Herr, uns wohl lösen könntest, so es Dir genehm und wohlgefällig wäre. Wir alle aber brauchen es Dir sicher nicht anzugeben, wo es uns noch fehlt; denn Du kennst alle Lücken, die in uns sind, und wirst sie sicher noch ausfüllen mit Deiner Gnade, so Du es für notwendig erachtest! Sollte es für uns nicht von irgendeiner großen Wichtigkeit sein, so sind wir denn auch mit dem, was wir haben und verstehen, mehr als vollkommen zufrieden.“

8. Sage Ich: „Um das Geheimnis des Reiches Gottes zu fassen in aller Tiefe der Tiefen, müßt ihr alle zuvor im Geiste wiedergeboren sein, was für euch jetzt noch unmöglich ist. Erst wenn des Menschen Sohn wird dahin zurückgekehrt sein, von wannen Er gekommen ist, so wird Er dann den Geist aller Wahrheit, der heilig ist, zu euch senden; der wird euch erst völlig erwecken und wird vollenden eure Herzen und erwecken den Geist aller Wahrheit in euch, das heißt, im Herzen eurer Seele, und ihr werdet durch diesen Akt dann wiedergeboren sein im Geiste und im hellsten Lichte alles sehen und verstehen, was die Himmel fassen in ihren Tiefen.

9. Das aber, was Ich euch nun zeige und erkläre, ist nur ein Vorbau zu dem, was euch in aller Fülle geben wird der Geist. Gar vieles hätte Ich euch noch zu sagen, aber ihr könntet es nun nicht ertragen; wenn aber der Geist der Wahrheit kommen wird, der wird euch führen und leiten in alle Weisheit! Da ihr nun das wisset, so wollen wir gleich wieder einen bedeutenden und weiteren Vorbau an dieser Stätte beginnen, und unser vielerfahrener Mathael wird uns aus seinen Erlebnissen ein anderes Histörchen erzählen.

10. Und so mache du, Mathael, dich wieder ans Werk und erzähle uns die von dir erlebte und wohlgesehene Geschichte aus Bethanien! Wir haben noch vier Stunden bis zum Aufgange und können darum noch so manches erfahren und gleichsam miterleben, und du, Mathael, kannst nun gleich mit deiner Erzählung beginnen!“

134. Kapitel. Mathael kommt zum sterbenden Vater des Lazarus. Die sonderbare Naturerscheinung auf seinem Wege nach Bethanien.

1. Sagt Mathael: „Herr, darf ich nebenher auch jener sonderbaren Naturerscheinung erwähnen, die ich und mein mit mir um die Mitternachtszeit dahin (nach Bethanien) ziehender Vater im Aufgange beobachtet haben?“

2. Sage Ich: „Allerdings; denn sie hat sehr viel Beziehung auf die Begebenheit, die du vor siebzehn Jahren in Bethanien erlebt hast! Fange du darum nun nur an!“

3. Sagt Mathael: „Herr, ich sehe, daß Dir nichts unbekannt ist in der ganzen unendlichen Schöpfungssphäre! Für Dich brauchte ich demnach die Geschichte durchaus nicht zu erzählen; aber der anderen Freunde und Brüder wegen erzähle ich derlei höhere Dinge sehr gerne, besonders wo ich es sehe, daß ich gläubigst angehört werde. Es hat zwar alles, was ich euch nun kundgeben werde, einen sehr mystisch und fabelhaft aussehenden Charakter; aber darum ist doch alles wahr, was ihr vernehmen werdet, und so wollet mir denn abermals eure Aufmerksamkeit schenken!

4. Höret! Es war schon sehr spätherbstlich an der Zeit. Der hohen Berge Spitzen lagen im Nebel, und ein durchaus nicht freundlicher Nordwind wirbelte die dürren Blätter der Bäume durch die Luft; nur im Osten gab es noch etliche Stellen, durch die die lieblichen Sterne wie verweint zur Erde herabblickten, welche Naturszene ich und mein Vater, der ein großer Freund der Natur auch in deren unfreundlichem Wirken war, nahe bis gen Mitternacht hin betrachtet haben. Als wir aber anfingen uns anzuschicken, ins Haus zu gehen und darin unser Ruhelager zu nehmen, da entdeckten wir einen Menschen eiligen Schrittes, mit einer Schafurinblasenlaterne in seiner Hand, gerade auf unser Haus losziehen, und es währte kaum etwelche Augenblicke, und ein ziemlich betrübter, noch recht junger Mann stand vor uns.

5. Meinen Vater als einen Arzt gleich erkennend, sagte er in einem wehmütigen Tone: ,Freund und Arzt! Ich komme von Bethania her; mein Name ist Lazarus, bin der Sohn des alten Lazarus, den ich über alles liebe! Der ward heute plötzlich sehr krank, und es sieht übel aus mit ihm! Unser Rabbi, der zur Not auch so ein bißchen ein Arzt ist, kennt sich bei meinem Vater nun durchaus nicht mehr aus! Er selbst beschied mich zu dir, da du ein außergewöhnlicher Arzt wärest und den Kranken schon in Fällen Hilfe gebracht habest, in denen kein anderer Arzt mehr ein Heilmittel fand. Komme und heile, wenn noch möglich, meinen leidenden Vater!‘

6. Sagte mein Vater: ,Wenn ein anderer Arzt einen Kranken schon bis an den Tod gebracht hat, da soll dann unsereins wieder Wunder wirken! Das wäre übrigens schon alles recht, wenn man nur auch gleich überall das vermöchte! Ich will mit diesem meinem einzigen Sohne, der mir zur Hand sein muß, weil er die Gabe hat, Geister zu sehen und im Notfalle sogar zu sprechen, denn nun mit dir wohl hinziehen und sehen, was daselbst zu machen sein wird; hättest du aber etliche Saumgäule mitgenommen, die dich schneller herüber- und uns nun schneller hinübergebracht hätten, so wäre eine leichtere Heilung erfolgt. Haben sich bei ihm nun aber etwa schon die hippokratischen Todesspuren eingestellt, dann ist es mit dem Heilen vorbei; denn gegen die Macht des Todes ist kein Kräutlein gewachsen, weder auf den Alpen und noch weniger in irgendeinem Garten!‘

7. Der Bote Lazarus war mit diesem Bescheide zwar zufrieden, nur bedauerte er sehr, keine Saumrosse mitgenommen zu haben. Wir begaben uns aber nun doch ganz eilig auf den Weg; denn man hatte bei guten Füßen eine gemessene Stunde Zeit bis dahin.

8. Als wir, ganz stumm nachdenkend, unsern Weg dahinwandeln, verschwinden im Osten die Nebel ganz, und es wird heller und heller, – ja, nach etwa einer Viertelstunde wird es so helle wie etwa eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang. Das hat unsere Aufmerksamkeit in einem so hohen Grade in Anspruch genommen, daß wir trotz aller Eile denn doch stehenbleiben mußten, um zu sehen, woher denn dieses sonderbare Heller- und Hellerwerden komme.

9. Endlich aber wurde es ganz Tag, und über den östlichen Horizont erhob sich förmlich eine Sonne, aber mit einer viel größeren Raschheit als die gewöhnliche oder – wie man zu sagen pflegt – die alltägliche. Aber es wollte bei dieser schnell emporsteigenden Lichterscheinung das untere, östliche Ende oder der östliche Rand nicht zum Vorscheine kommen.

10. Die Lichterscheinung wuchs zu einer Lichtsäule, die in wenigen Augenblicken ihr Haupt bis an den Mittagsstrich heraufschob und bald eine solche Helle und Wärme verbreitete, daß wir genötigt waren, uns unter einen noch ziemlich dicht belaubten Feigenbaum zu begeben, um nicht zu erblinden vor Licht und nicht zu vergehen vor Hitze. Aber bald wurde diese Lichtsäule wieder dünner und dünner, und es schwand das Licht und die starke, durch diese Lichtsäule erzeugte Wärme.

11. Nach einer beiläufig genommenen ganz kleinen Viertelstunde war es mit der Lichterscheinung gar, aber auch mit unserem Schauen; denn es ward darauf, als dieses Licht gänzlich verschwand, derart total finster, und unsere Augenkraft war derart geschwächt, daß wir nicht einmal die Laterne unseres Boten vollends aus- und wahrnehmen konnten.

12. Erst nach etwa etlichen dreißig Augenblicken fingen unsere Augen an, die nötigste Sehkraft wieder zurückzugewinnen, und wir sahen wieder bei dem schwachen Lichte unserer Laterne mit genauer Not den Weg, den wir zu gehen hatten. Die ganze Geschichte hielt uns aber dennoch ganz gut bei einer halben Stunde der Zeit nach auf, und mein Vater fragte mich gleich, ob ich bei dieser Lichterscheinung nicht etwa irgendwelche Geister gesehen hätte.

13. Und ich sagte zu ihm, der vollsten Wahrheit gemäß: ,Im Lichte, das ohnehin noch um vieles weniger als die Mittagssonne anzusehen war wegen der ungeheuersten Lichtstärke, war nichts zu entdecken, wohl aber unten bei uns auf der Erde. Da wurden mir eine Menge Gestalten nur so halbwegs ersichtlich, – aber alle wie in einem geschäftigsten Zuge gegen Westen; ihre Bewegung war sonach eine homogene (gleichartige) mit der der Lichterscheinung. Nur eine einzige Geistgestalt, die uns sehr nahe kam, war ganz ersichtlich, hatte ein ernstes, altmännliches Aussehen und schien an der Lichterscheinung ein großes Behagen gehabt zu haben. Als aber das Lichtphänomen am Himmel zu schwinden begann, da entschwand auch die Geistgestalt schnell, und zwar, wie es mir vorkam, auch nach Westen, doch etwa so mehr in der Richtung gegen Bethania hin!‘ Mehr sah ich nicht und konnte darum meinem Vater auch keinen weiteren Bericht erteilen.

14. Unser Führer wunderte sich über mich und meine Sehergabe und glaubte an meine Aussagen; denn er meinte, meine Phantasie und Einbildungskraft könnte noch unmöglich jene dichterische Intensität erreicht haben, daß ich ihr zufolge mir solches aus den Ärmeln gleich so herausbeuteln könnte. Damit hatte er aber auch ganz recht; denn erfinderisch bin ich wohl nie gewesen und besaß als Knabe und Jüngling nahe gar keine Phantasie oder irgendeine Einbildungskraft, wohl aber besaß ich sehr viel Talent für die Erlernung fremder Zungen.

15. Wir kamen aber bei diesen wenig sagenden Betrachtungen endlich nach Bethania und daselbst in das sehr angesehene Haus des Lazarus und fanden den Kranken gerade in den letzten krampfhaften Zügen, von welchen man sagt, daß für sie kein Kräutlein mehr gewachsen ist.

16. Das Bett umstanden zwei weinende, sonst überaus liebliche Töchter des Sterbenden und noch eine Menge Muhmen und Basen und schluchzten und weinten, wie es bei solchen Gelegenheiten schon immer herzugehen pflegt. Unser Führer, als Sohn des Hauses, weinte auch mit und vergaß vor lauter Traurigkeit, meinen Vater zu fragen, ob da noch etwas zu helfen wäre oder nicht.

17. Nur der kleine Rabbi näherte sich meinem Vater, ob etwa da denn doch noch irgend etwas anzuwenden wäre, das den Alten doch zum wenigsten auf eine nur ganz kurze Zeit zur Besinnung brächte. Mein Vater sagte anfangs auf diese Frage nichts, fragte mich aber ganz im stillen, wie es mit dem Alten stünde, und ob etwa die Seele schon anfange, sich aus dem Leibe zu ziehen und zu erheben.

18. Ich aber sagte dem Vater, wie ich es sah, ganz harmlos: ,Die Seele schwebt bereits ganz vollendet bei einem halben Mann hoch in waagrechter Richtung über dem Leibe und ist mit dem Leibe nur noch durch einen haardünnen Lichtfaden verbunden, der nach unseren gemachten Erfahrungen wohl keine sechzig Augenblicke mehr dauern dürfte; der wird ehest zerreißen. Merkwürdig aber ist zu sehen, wie jene ungeheure Lichtsäule, die wir in der großen Natur mit den Naturaugen schauten, sich hier über dem Haupte der Seele wieder zeigt, die gleiche Lichtkraft hat und auch eine sehr wohltuende Wärme von sich ausströmen läßt. Die Seele wendet ihr Auge nicht ab von der Lichtsäule und scheint daran ein großes Wohlbehagen zu haben.“

135. Kapitel. Der Wiederbelebungsversuch des Rabbi an der Leiche des alten Lazarus.

1. (Mathael:) „Als mein Vater solches vernommen hatte von mir, wandte er sich gleich an den schon etwas ungeduldig werdenden kleinen Rabbi und sagte: ,Freund, wie ich die Sache nun beobachtet habe, so wäre es da für jeden Tropfen selbst des stärksten Lebensbalsams schade; denn seine Seele schwebt bereits manneshoch über dem schon so gut wie vollkommen toten Leibe. Darum stimme nun nur deinen Klagepsalter an, und zeige es als ein Priester den Menschen an, daß hier keine irdische Hilfe etwas vermag!‘

2. Bei dieser Erklärung machte der kleine Rabbi ein etwas saures Gesicht und fragte den Vater, wie er das zu merken imstande wäre. Der Vater aber war niemals von einer zu großen Höflichkeit und sagte dem kleinen Rabbi so ganz trocken ins Gesicht: ,Wie und woher ich das sehe und weiß, gehet dich nichts an; tue du nur das Deinige, und ich kenne recht genau und gut, was ich zu tun habe!‘

3. In diesem Moment ward die Seele ganz vom Leibe gelöst, und mehrere sehr erhaben und weise aussehende Geister nahmen sie gleich in ihre Mitte, gaben ihr wie aus weißestem Bissus ein wunderherrliches Faltengewand, und einer nahm die Lichtsäule, bog sie um die Lenden der nun freien Seele, und es ward daraus ein gleich der Sonne mächtig strahlender Gürtel. Zugleich setzte ein mächtiger Geist der freien Seele einen ebenso mächtig strahlenden Hut aufs Haupt und sagte: ,Sei, Bruder, für ewig geschmückt mit dem Lichte deiner aus Gott in dir leuchtenden Weisheit!‘

4. Mit dem verließen aber auch augenblicklich alle hohen anwesenden Geister samt der nun frei gewordenen Seele das Haus, was ich dem Vater sogleich mitteilte, und der Vater sagte zum Rabbi: ,Nun, weil die Seele des Alten von dem Leibe vollends abgelöst ist, wirst du etwa doch hingehen und den sich nahe blind Weinenden den vollkommenen Tod des Alten ankündigen?!‘

5. Sagte der kleine Rabbi: ,Ei warum nicht gar! Jetzt werde erst ich ihm ein belebendes Tröpflein auf die Zunge lassen, und wir werden dann gleich sehen, ob seine Seele – vorausgesetzt und angenommen, daß es eine besondere Seele im Menschenleibe gibt – wohl wirklich schon aus dem Leibe gefahren ist! Nach meiner wohlgeprüften Ansicht hat kein Mensch eine Seele, die über das Leben des Blutes und der Nerven hinausreichte mit einem besonderen spirituellen Leben. Der Mensch, wenn er einmal tot ist, da ist er ganz tot wie ein Stein oder ein dürres Stück Holz, und bei allem, was ich heilig nennen kann, schwöre ich dir, daß dann im Menschen nichts mehr am Leben bleibt. Es gibt aber noch Arkana (Geheimmittel) in der Natur, das Leben im nahe schon toten Leibe von neuem zu wecken; und das will ich nun tun und werde dir als einem steifen Juden beweisen, daß die Seele noch lange nicht aus dessen Leibe gefahren ist und auch nicht fahren kann, weil niemals eine eigentliche Seele darin gewohnt hat!‘

6. Hier zog der Rabbi ein goldenes Fläschchen aus seiner Rocktasche, zeigte es meinem Vater und sagte: ,Da, Freund, sieh her! Darin sitzt die Seele eines schon tot gewordenen Menschen!‘

7. Sagte mein Vater lächelnd: ,Nur zu! Meine ganze, große Besitzung, die du kennen dürftest, ist dein, wenn der Tote auf deine ihm gegebenen Tropfen sich rührt nur auf ein paar Augenblicke lang; denn dein Arkanum ist mir bekannt. Ich besitze es auch, und es hat mir bei Scheintoten schon ganz gute Dienste geleistet; aber bei Scheintoten ist die Seele noch lange gut im Leibe. Es ist darum dieses Arkanum bei allen Verstorbenen, bei denen sich noch keine hippokratischen Symptome zeigen, mit vielem Nutzen anzuwenden; aber wenn einmal aus dem Gesichte eines Verstorbenen der allerausgebildetste Hippokrates herausschaut, da ist die Seele entflohen, und du kannst dem Toten zehntausend solche Fläschchen eingießen, so wird sich der Leib dennoch nicht rühren, sondern völlig tot und unempfindlich daliegen wie dein Stein oder dein dürres Stück Holz. Nun gehe aber deine Probe an mit deinem echt persischen Farrenkrautöle, und wie ich hier vor vielen Zeugen gesagt habe: meine Besitzung ist von dem Augenblick an vollkommen dein, wenn dieser Tote, um den sich nun schon ganz leise der Verwesungsgeruch zu entwickeln beginnt, auch nur einen Rührer auf deine Tropfen machen wird!‘

8. Der kleine Rabbi ist auf diese ganz energische Einsprache von seiten meines Vaters zwar etwas betroffen, tritt aber dennoch zum Toten hin, öffnet ihm den Mund und läßt ihm zehn Tropfen statt der gewöhnlichen ein, zwei bis höchstens drei auf die schon ganz verdorrte Zunge fallen. Er schließt ihm darauf den Mund wieder und harrt nun mit großer Aufmerksamkeit, bis sich der Tote etwa doch nur ein bißchen irgend zu rühren beginne. Allein es vergeht eine Vollstunde und noch eine Vollstunde, es fängt schon an sehr zu tagen, und der Tote macht noch keine Miene von einer Bewegung.

9. Nun fragt mein Vater den kleinen Rabbi, ob er noch der Meinung sei, daß sich der Tote auf seine echt persischen Farrenkrauttropfen zu rühren anfangen werde und vielleicht auch gar zu reden.

10. Sagt der Kleine: ,Warten wir nur noch eine Stunde, warten wir ab den Aufgang der Sonne, und der Tote wird sich schon zu rühren anfangen; auch reden wird er!‘

11. Sagt mein Vater, abermals lächelnd: ,Nur zu, ich werde nichts dagegen haben; im Gegenteil opfere ich gerne mein Hab und Gut für die Wiedergewinnung des Lebens dieses alten, mir überaus wohlbekannten, gottergebenen Biedermannes! Und verlierst du gegen mich, so verlange ich von dir nichts, als daß du glaubst an den wahren, ewig lebendigen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und an die vollste Unsterblichkeit der menschlichen Seele!‘

12. Sagt der Rabbi: ,Ja, Freund, das will und werde ich; aber ich sehe es im voraus, daß du bei diesem Handel eingehen wirst! Denn ich gehöre geheim zur vernünftigen Sekte der Sadduzäer und möchte meine Templerschaft in die große Sandwüste Afrikas verwünschen! Aber solltest du nun im Ernste über mich siegen, dann werde ich wieder recht froh sein, dem Tempel mit Haut und Haaren anzugehören!‘

13. Nun ward alles still und harrte mit großer Begierde auf den Augenblick der Wiederlebendigwerdung des alten Lazarus.“

136. Kapitel. Der Geist des Lazarus gibt ein Zeugnis vom Messias.

1. (Mathael:) „Unterdessen aber trat der junge Lazarus zu meinem Vater und fragte ihn, ob denn die geheimen Tropfen des Rabbi den Vater im Ernste nimmer erwecken würden.

2. Sagte mein Vater: ,Tut mir sehr leid, mein bester Freund, daß ich dir die vollste Wahrheit eingestehen muß als Arzt und Mensch! Was heißt es auch, einen Menschen mit blinden Hoffnungen dahinhalten, aus denen nie und nimmer irgendeine Realität zum Vorscheine kommen wird! Ich kann dir zu deinem Troste aber etwas viel Besseres sagen, und das besteht darin, daß ich dir die lebendigste und vollwahrste Versicherung gebe und geben kann, daß dein Vater lebt und der Wahrheit nach nie gestorben ist!‘

3. Sagte traurig der junge Lazarus: ,Siehe hin aufs Lager! Der lebt nicht und ist über und über tot!‘

4. Sagte der Vater: ,Ja, der ganz sicher; aber der war nicht dein Vater, sondern nur deines Vaters Fleischrock! Mein Sohn aber, der ein vollkommenster Geisterseher ist, kann dir etwas anderes erzählen; gehe hin und frage ihn darum, und du wirst eine große Freude an dem haben, was er dir von seinem hier gehabten Gesichte kundtun wird!‘

5. Des Lazarus Sohn wandte sich nun an mich, als Sohn meines Vaters, und fragte mich, was ich als des Arztes Sohn ihm wohl zu seinem Troste sagen könnte. Und ich erzählte ihm haarklein und sehr umständlich, was ich alles gesehen hatte. Lauschende Ohren gab es viele um mich, aber wenige so gläubigen Herzens, als da war unser junger Lazarus. Je länger ich ihm von meinem Gesichte vorerzählte, desto mehr heiterte sich sein Angesicht auf, was auch seine beiden Schwestern, die noch der zartesten weiblichen Jugend angehörten, bald bemerkten und ihn fragten, was es denn wäre, das ihn auf einmal gar so heiter machete. Lazarus deutete auf mich und sagte darüber nichts weiteres.

6. Da gingen die beiden Mägdlein auf mich zu und fragten mich kurz und bescheiden, was ich denn dem Bruder gesagt hätte, demzufolge er auf einmal alle die große Traurigkeit verlor und nun also heiter dastehe, als wäre da im ganzen Hause nie etwas Trauriges geschehen. Ich möchte es ihnen doch auch erzählen!

7. Ich aber ward damals etwas schlimm und sagte: ,Oh, euch Mägdlein schadet es nicht im geringsten, so ihr auch ein wenig trauert! Ich sage euch nichts; zur rechten Zeit wird es euch schon euer Bruder Lazarus sagen!‘

8. Die beiden Mägdlein drangen darauf zwar nicht mehr in mich, ihnen das zu sagen, was ich ihrem Bruder erzählt hatte. Sie wurden aber dennoch weniger traurig, und mein Vater wandte sich, weil gerade die Sonne schon ganz purpurrot über den Horizont zu blicken begann, an den Rabbi und sagte: ,Nun Freund, wie steht es denn mit deinen persischen Farnkrautöltropfen? Der Verstorbene liegt noch immer so regungslos wie ein altes Stück Holz da! Wie ist es denn? Die Sonne ging bereits auf, und es ist alles stille und voll der totesten Ruhe! Wer gewann die Wette, ich oder du?‘

9. Sagte der Rabbi: ,Freund, ich gebe mich dir gefangen, und ich will nun glauben, was du glaubst! Du bist ein weiser und vielerfahrener Arzt, der ohne Grund sicher nicht leichtlich an etwas glaubt. Sehe ich auch den Grund nicht ein, so will ich dennoch glauben, weil du es glaubst, der du den Grund sicher kennst! Ich nehme hier den Ansehensglauben und bleibe bei dem, was du mir gesagt hast. Du hast die bedeutungsvolle Wette gewonnen, und ich bin dein Gefangener!‘

10. Sagte mein Vater: ,Nicht mein Gefangener, sondern ein freiester Mensch im Namen Jehovas!‘

11. Hierauf fragte der Rabbi meinen Vater: ,Freund, was muß ich denn tun, um deine Freundschaft vollends zu gewinnen?‘

12. Sagte mein Vater: ,Du hast sie schon! Glaube fortan, und du wirst durch den Glauben in das rechte Licht kommen!‘

13. Nun trat ich zum Vater hin und sagte, was ich im Augenblicke gesehen hatte: Es war nämlich ein großer Geist, der in das Zimmer trat und mir winkte und sagte, die Kinder des Lazarus sollen sich bereit halten, es werde des Vaters Geist noch einmal kommen und werde sie segnen und eine große Verheißung machen. Ich sagte auch zum Vater, daß er solches den dreien verkündigen solle; und der Vater tat das. Des Lazarus Sohn und seine beiden noch ganz jungen Schwestern, Mägdlein von vierzehn und sechzehn Jahren, hatten eine große Freude daran.

14. Es dauerte gar nicht lange, da trat des verstorbenen Lazarus Geist voll himmlischen Glanzes wieder in das Zimmer, und alle drei wurden seiner ansichtig und konnten auch vernehmen seine Stimme.

15. Der Lichtgeist aber sagte zu seinem Sohne: ,Du bist volljährig; sei ein rechter Ziehvater deiner jungen Schwestern! Lasse keinen bösen Gedanken in dein Herz dringen; denn sieh, ich lebe und bin nicht gestorben! Was da geschah, das hat der Herr also gewollt. Unser Haus hat Er ausersehen, und das Wunder aller Wunder wird in diesem Hause verübt werden.

16. Schon wandelt der Herr als wie ein Sohn armer Eltern im Fleische auf dieser Erde. Er, der Ewige, der Heiligste, hat bereits das große Erlösungswerk begonnen. Er will allen Menschen dieser Erde, die eines guten Willens sind, ein Vater werden für ewig. Fürder sollen die Menschen dieser Erde keinen unsichtbaren, ewig unzugänglichen, sondern einen zugänglichen und allzeit sichtbaren Vater haben. Und dieser Gott, der alles, was da fasset die ewige Unendlichkeit, erschaffen hat, wird in diesem Hause aus und ein gehen. Bewahret darum eure Herzen vor Unlauterkeit, auf daß dieses Haus würdig werde, Den zu ertragen, den Himmel und Erde nicht einzuschließen vermögen!

17. Daß ich lebe, das sehet ihr; aber sehet auch zu, daß ihr lebet, wie ich nun lebe für ewig in Gott, meinem und eurem Vater! Mit dem aber nehmet nun auch hin meinen wahren Vatersegen, den ich euch nun erteile, nicht mehr als Fleisch, das dort im Bette als ein abgetragener alter Rock harret der Erlösung durch der Würmer Nagekiefer, sondern als ein vollkommener Geist aus dem Paradiese Gottes, im Reiche der reinen Geister! Haltet die Gebote Gottes und lobet und liebet Ihn allein über alles, und ihr werdet auf dieser Erde schon eine größere Ernte machen als die, die ich nun genieße im hellsten Paradiese Gottes! Gott der Herr wird sein mit euch, Amen!‘

18. Hierauf verschwand der Geist, und die drei Kinder wurden so voll Freuden, die ich gar nicht beschreiben könnte.“

137. Kapitel. Der wortbrüchige, feige Rabbiner.

1. (Mathael:) „Alle Anwesenden aber staunten vor Freuden über die unbegreifliche erbauliche Heiterkeit der Jungen des alten Lazarus. Gesehen hatte außer mir und den drei Kindern des Lazarus niemand etwas; aber aufgefallen war es dennoch gar sehr allen Anwesenden. Einige meinten, die drei müßten ein tröstendes Gesicht gehabt haben. Ein paar Pharisäer, die da auch zugegen waren, meinten, daß die Kinder ob der zu großen Trauer verrückt geworden seien; der kleine Rabbiner aber meinte, daß mein Vater sie auf irgendeine ganz geheime Art verzaubert habe.

2. Aber da fiel ich dem kleinen Mann übers Gesicht und sagte laut: ,Mensch, gedenkest du denn nimmer, welche Verheißung und welches Versprechen du meinem ehrlichen Vater ins Gesicht gemacht hast?! Wie magst du nun gegen die außerordentliche Gnade Gottes also urteilen?! Gib acht, daß dich Jehova nicht augenscheinlich züchtigt! Denn du bist kein Mensch, sondern ein elendes Tier!‘

3. Na, diese meine Worte aber haben einen solchen Eindruck auf den kleinen Rabbiner gemacht, daß er ebenso hippokratisch bleich wurde wie die Leiche im Bette und am ganzen Leibe zu beben begann.

4. Mein Vater bemerkte dieses, ging hin und fragte ihn, was ihm denn nun begegnet sei, daß er nun gar so leichenblaß werde. Der kleine Mann aber erzählte ihm mit bebender Zunge, was Arges ich ihm alles nun geoffenbart habe.

5. Mein Vater aber sagte zu ihm: ,Es geschieht dir ganz recht! Warum bliebst du denn nicht im Glauben, den du mir so teuer angelobt hast?! Mit Gott und Seinen Geistern ist durchaus kein Scherz zu treiben! Verstehst du das? Entweder glaubst du, wenn auch nur aufs Ansehen derer, denen die vollste Erfahrung doch ewig nie abzustreiten ist, – oder du bleibst wie du warst!

6. Was du bist, das sei ganz, entweder ein Engel oder ein Teufel! Das Schlechteste des Schlechten aber ist: ein Doppelwesen sein wollen, ein Engel und ein Teufel in einer und derselben Person! Gelt, die beiden nun angekommenen Pharisäer haben dir durch ihr Eintreten den Kopf warm und das Herz glühend gemacht?! Du bekamst Furcht und fingst an, als ein früherer Anhänger der Sekte der Sadduzäer nach ihrer Pfeife zu tanzen, wie die Griechen nun ihre Bären vor uns nach ihrer Pfeife tanzen lassen; dabei aber konntest du vergessen, wem du gleichsam einen Eid gebrochen hast! Was willst du nun tun, du Elender?‘

7. Der Rabbi aber bedeckte sich sein Angesicht und ging von dannen, und zog sich wahrscheinlich nach Jerusalem in seine Wohnstube zurück, um über alle seine Todsünden nachzudenken. Was da weiter mit ihm geschehen ist, weiß ich bis zur Stunde nicht; nur das einzige weiß ich, daß sowohl der Vater als auch ich ihm darauf in Jerusalem noch etliche Male begegnet sind, er uns aber stets schon von weitem jählings ausgewichen ist. Warum, ob aus Zorn oder ob aus einer Art Scheu, weiß ich ebenfalls nicht. Er kam auch nie wieder ins Haus des Lazarus, obschon er seine Zauberfläschchen dort vergessen hatte, – was für uns ein leichtes zu erfahren war, da der junge Lazarus mit seinen Schwestern uns nachher noch sehr oft besucht hat.

8. Nun, Herr, das ist die Geschichte, die ich mit meinem Vater in Bethania so treu und wahr erlebte, wie ich sie nun erzählt habe. Damals war mir natürlich alles ein unauflösbares Rätsel. Nun ist mir davon vieles verständlich, nur die zwei Erscheinungen sind mir noch jetzt ein Rätsel, und ich verstehe sie trotz Deinen nun schon sehr vielen Erklärungen nicht. Und diese zwei Erscheinungen sind: erstens der am natürlichen Himmel um Mitternacht auftauchende Lichtmeteor und die dasselbe nach Westen hin begleitenden Geister, und zweitens das ähnliche, rein geistige über dem Haupte der schon ganz frei über ihrem Leichname schwebenden Seele.

9. Auch sah ich bei dieser Seele zuvor keine so ganz eigentliche Dunstwolke, sondern nur mehr gleich eine ganz gut ausgebildete Menschengestalt, die nur mit einem sehr lichtvioletten Faden mit dem Leibe zusammenhing, der auch bald ganz abriß, worauf die Seele gleich als völlig frei mit einem blendendweißen Faltenkleide vom feinsten Bissus in der Mitte einiger weiser und mächtiger Geister dastand, wie ich's ehedem erzählt habe.

10. Wie diese Dinge und Erscheinungen wohl zusammenhängen, möchte ich, und sicher auch alle anderen, aus Deinem Munde vernehmen! O Herr, erläutere uns das!“

138. Kapitel. Die Lebensgeschichte des alten Lazarus.

1. Sage Ich: „Ich will es euch erläutern; nur müsset ihr alle dabei wohl höchst aufmerksam sein, ansonst ihr die ganze Sache eben nicht einsehen würdet! Denn dieser Sterbefall ist ein ganz eigentümlicher, ist lange nicht dagewesen und wird auch noch länger nicht wieder zum Vorscheine kommen.

2. Der alte Lazarus ward infolge seines höchst eigenen Willens als ein großer, urgeschaffener Engelsgeist ins Fleisch eines Menschen gelassen, und zwar unter den schwierigsten Lebensbedingungen, die es auf dieser Erde nur irgend geben kann. Von der Wiege an bis in sein siebenundvierzigstes Erdlebensjahr hat er Dinge und Proben ausgestanden, die hier nicht leicht wieder zu erzählen wären. Wie oft hatte er mit vielen Lebensgefahren zu kämpfen! Wem aus euch die Lebenshistorie Hiobs bekannt ist, der kann sich daraus aber nur so ein Bild machen von dem, wie es unserem Lazarus ergangen ist.

3. Er ward ein paar Male zu den höchsten Weltehren befördert und kam zu großen Reichtümern, hatte ein Weib und die schönsten und bravsten Kinder, fünf an der Zahl, die ihn als einen guten und weisen Vater sehr liebten. In seinem neunzehnten Jahre verheiratete er sich mit einer einzigen Tochter eines reichsten Mannes aus Bethlehem; sein Gold und Silber und die schönsten Perlen und Edelsteine hätten hundert Kamele nicht leichtlich von der Stelle geschafft. Allein dies sein großes Erdenglück dauerte nur eine kurze Zeit. Seine Schätze verflüchtigten sich von Jahr zu Jahr, er ward als ein guter und zu nachsichtiger Mensch häufig und oft ganz bedeutend bestohlen; am Ende brach in seinem zumeist aus Zedern gezimmerten Hause Feuer aus, und er konnte von allen seinen Schätzen nichts retten als sein, seines Weibes und seiner Kinder Leben und mußte darauf nahe von Almosen leben bei drei Jahre lang.

4. In den drei Jahren aber starben ihm auch sein Weib und alle seine lieben fünf Kinder. Er selbst ward voll Aussatzes und litt daran ein volles Jahr. Ein Arzt aus Ägypten kam endlich mit einem Arkanum und befreite ihn völlig von diesem Übel. Er ward darauf als immer noch ein schöner Mann von vierunddreißig Jahren Alters auf einem Wege von geheimen Häschern aus Hinterpersien überfallen und dahin ohne alle Rücksicht als Sklave an einen äußerst harten Herrn verkauft.

5. Da er aber unter allen den vielen Sklaven seines Herrn der treueste war und alle Härte seines Herrn stets mit der größten Geduld und Ergebung ertrug, so berief ihn sein Herr nach zehn Jahren und sagte zu ihm: ,Ich habe dich erforscht in aller meiner Härte gegen dich, daß du mir allergetreuest warst und hattest dir zu meinen oft großen Vorteilen keine Mühe und Arbeit sauer werden lassen. Wenn ich von dir viel verlangte, so tatest du allzeit ein mehreres und oft zu meinem Vorteile. Ich bin wohl ein harter Herr – dies Zeugnis gibt mir alle Welt –, aber ohne Augen und ohne Einsicht und Erkenntnis bin ich darum nicht; und weil ich das nicht bin, so gebe ich dir die volle Freiheit! Du kannst nun ganz getrost nach Hause in dein Land ziehen. Zudem schenke ich dir als Zeichen meiner Einsicht für deine treuen Dienste noch hundert Kamele, zehn meiner schönsten Sklavinnen und neunzig Knechte; und damit du dir überall etwas ankaufen, weiter leben und handeln und wandeln kannst, soll dir mein Schatzmeister tausend Säckel Goldes und zweitausend Säckel Silbers ausbezahlen! Siehe, so belohnt der harte Herr einen getreuesten Sklaven und doppelt so groß einen getreuesten Knecht, den ich aber leider noch nie gehabt habe! Ziehe nun getrost ab mit allem, womit du von mir, deinem harten Herrn, beschenkt worden bist!‘

6. Da verneigte sich Lazarus tiefst vor seinem Herrn und wollte danken. Der aber sagte mit ernsten Worten: ,Freund, wer einen Lohn verdient wie du, der braucht nach dem Empfange dem Geber nicht zu danken! Darum ziehe ab in Frieden; es sei und es geschehe!‘

7. Da verließ Lazarus, bis zu Tränen gerührt, den Saal, und als er in den großen Hofraum trat, war alles schon bereitet: Kamele, die zehn Sklavinnen und die neunzig Diener, und jedes der kräftigsten Kamele war beladen mit Gold und Silber.

8. Lazarus bestieg sein Kamel, und es ward der Marsch angetreten. Nach zehn ganz heiteren Reisetagen erreichte er wieder Bethlehem, nahm Herberge und erkundigte sich nach seinem früheren Besitze. Dieser ward aber nach den römischen Gesetzen, weil der ordentliche Besitzer trotz allen durch eigene Herolde ergangenen Ausrufungen nichts von sich hören ließ, als ein römisches Staatsgut veräußert und schon vor drei Jahren als ein vollkommenes Besitztum dem Ersteher eingeantwortet. Denn sieben Jahre lang war er gewisserart nur Pächter; kam im siebenten Jahre der früher abhandengekommene Besitzer zurück, so stand ihm noch das Reklamationsrecht offen, – nur mußte er dem Ersteher das Meistgebot samt Interessen zurückerstatten, weil da dieser als ein Geschäftsleiter ohne Auftrag anzusehen war und für seine Mühewaltung gesetzlich honoriert werden mußte. Nach abgelaufenen vollen sieben Jahren aber trat der Ersteher in den für weiterhin unantastbaren vollen Besitz eines solchen erstandenen Gutes. Und also war es auch da in Bethlehem mit dem Besitzgute des Lazarus der Fall. Der Ersteher war nun voller Besitzer, geschützt durch Roms Gesetze, und unser Lazarus mußte unverrichteterdinge weiterziehen.

9. Ein ganzes Jahr mußte er in den Herbergen zubringen, bis endlich in Bethania ein bedeutendes Gut, das einem Griechen angehörte, zum Verkaufe kam. Um fünfzehnhundert Säckel Silbers brachte es Lazarus in seinen vollen Besitz und heiratete dann in seinem siebenundvierzigsten Jahre eine seiner treuesten Sklavinnen, die auch eine Jüdin war, und er zeugte mit ihr eben den jungen Lazarus und dessen beide Schwestern. Nach zehn Jahren schenkte auch er allen seinen aus Persien mitgenommenen Dienern die vollste Freiheit; aber es verließ keiner den Lazarus und heutigentags leben noch dreiundfünfzig der mitgenommenen. Alle aber traten schon in zwei Jahren zum Judentume über und waren dem Lazarus desto werter und angenehmer. Das Weib starb erst vor zwei Jahren, auch als ein Muster weiblicher Duldung und Frömmigkeit, und seit der Zeit wirtschaften die drei hinterlassenen, sehr braven Kinder ganz allein; außer Gott haben sie nahe keine Bedürfnisse und tun den Armen wohl sehr viel Gutes.“

139. Kapitel. Erläuterung der geistigen Erscheinungen beim Tode des alten Lazarus.

1. (Der Herr:) „Da aber der alte Lazarus seine irdische Lebenslaufbahn gar so gut vollendet hatte und an seiner früheren himmlischen Vollkommenheit nicht nur nichts verloren, sondern nur äußerst vieles gewonnen hatte, so vereinigten sich um die Zeit des Abschiedes unseres tiefstgeprüften und seine Probe bestens bestanden habenden Engels Myriaden der vollkommensten Engel und wirkten auf die Naturgeister dieser Erde also ein, daß diese sich in eine gleiche Tätigkeit versetzen mußten, wie da tätig sein müssen die Naturgeister der Sonne. Durch diese außerordentliche Tätigkeit der Myriaden auf einem engen Raume zusammengedrängten Geister entstand jenes von dir, von deinem Vater und von dem jungen Lazarus gesehene Licht, gerade im Momente, als des alten Lazarus Engelsseele und Geist sich von den Banden des Fleisches loszuwinden begonnen hatte.

2. Die dieses Licht gegen Westen hin begleitenden, dir sichtbar gewordenen Geister haben sonst mit der Erscheinung weiter keinen andern und besondern Zusammenhang, als daß sie durch eine so außerordentliche Tätigkeit der Naturgeister, die sonst unter ihrem Kommando stehen, selbst ganz ungewöhnlich erregt worden sind und dann auch selbst, nicht ahnend, was da vor sich geht, sich zu einer teils flüchtigen und teils scharf beobachtenden Bewegung und ängstlichen Tätigkeit als genötigt haben bequemen müssen.

3. Daß der Zug von Osten gegen Westen, nach deiner Kunstsprache, zu sehen war, bedeutet einen bedeutungsvollen irdischen Sterbefall, entsprechend dem, wie da alles auf der Erde vom Osten her, wo die Sonne aufgeht, mit deren Aufgange erwacht und alles mit ihrem Untergange wieder in den Schlaf erstirbt. Zugleich aber entspricht der irdische Abend ganz umgekehrt dem rein geistigen Morgen und umgekehrt der irdische Morgen dem geistigen Abende; denn am irdischen Morgen fangen die meisten Menschen an, sich möglichst mit den Weltsorgen abzugeben, und diese sind ein wahrer und tiefster geistiger Abend ohne Dämmerung oft genug, also schon eine förmliche geistige Nacht. Nur am Abende, der Weltsorgen müde, bequemen sich dann viele, über die Flucht des Zeitlichen nachzudenken und sich zu Gott zu kehren, und das entspricht dann zum wenigsten doch einem geistigen Morgendämmern.

4. Das wäre sonach für euer Verständnis zur Genüge erklärt, und ihr wisset nun um das Wie und Warum des geistigen und naturmäßigen Zusammenhanges der großen nächtlichen Lichterscheinung und um ihre geisterhafte Begleitung.

5. Nun gehen wir in das Sterbegemach des alten Lazarus! Dort sahst du keine zertragene Dunstgestalt über dem Leichnam schweben, sondern schon mehr eine volle Menschenform. Der Grund davon liegt in der großen Liebe zur Tätigkeit, was schon ein vollendetes inneres, geistiges Leben andeutet, das aller Furcht vor der kommenden großen Tätigkeit im endlosen Reiche der Himmel vollkommen bar ist. Die Angstvibrationen der Seele können da nicht stattfinden, und somit ist die seelische Menschenform schon gleich beim ersten Austritt aus dem Leibe als unzertragen und in voller Ruhe ersichtlich, natürlich für den, der solches zu schauen das seltene Vermögen hat.

6. Der kleine und äußerst dünne Bindefaden zwischen der Seele und ihrem Leibe bekundet den stets allergeringsten Sinn fürs Irdische und somit auch das vollkommenst leichte und schmerzlose Lostrennen vom Leibe. Die gleiche Lichterscheinung über dem Haupte der Seele aber bekundet vor allem den mächtigsten Willen der Seele selbst, durch dessen außerordentliche Tätigkeit nach der Ordnung der Himmel er sich als eine Lichtsäule über dem Haupte darstellt, – als Säule, entsprechend der Unbeugsamkeit, und als Licht, das stets ein Produkt der gerechten Tätigkeit ist, entsprechend der göttlichen Ordnung der Himmel Gottes, welches Licht stets das Erkenntnisvermögen der Seele durchstrahlt und vollauf erleuchtet, damit der Wille nicht blind, sondern allzeit hellst sehend handle.

7. Weil aber des Gerechten Denken hauptsächlich nur vom Herzen ausgeht, so wie auch der Liebe und des Willens Sitz nur darin zu suchen ist, so wird der freien Seele Willenslicht, das im irdischen Leben nur im Verein mit dem Verstande des Hauptes zu wirken hatte, nun zum Gürtel des Kleides der Liebe und Gerechtigkeit, Geduld und Duldung, zu schauen um die Lenden der freien Seele; der Hut aber bezeugt eine neue Gabe des reinsten Lichtes aus den Himmeln, das aber dennoch nur jenen extra hinzugegeben wird, die sich schon auf der Erde der wahren himmlischen Weisheit beflissen haben und daraus zu Menschen voll Liebe, Weisheit und der wahren himmlischen Gerechtigkeit geworden sind. Solch ein Lichthut ist dann ein Produkt des Weisheitswillens der sämtlichen urgeschaffenen Engel der Himmel und bekundet bei dem, der ihn trägt auf seinem Haupte, daß er nun als ein ganz vollendetes und Gott ähnlichstes Wesen in alle Weisheit und in alle Erkenntnisse aller Himmel eingeweiht ist.

8. Solch ein auch das Fleisch des Erdenlebens durchwandert habender Geist der Himmel erkennt dann so viel für sich allein, als alle die anderen, den Weg des Fleisches noch nicht betreten habenden urgeschaffenen Engelsgeister zusammengenommen, weil solch ein Hut, ebenso wie des Menschen Seele ein Kompositum aller irdischen Intelligenzpartikel ist, auch ein Kompositum sämtlicher Himmelsintelligenzen ist, was da sicher unendlich viel sagen will.

9. Ich meine nun, daß ihr alle diese etwas außergewöhnlichen Erscheinungen wohl verstehen werdet. Hat aber jemand noch irgendeinen Anstand, nun, so frage er, und es soll ihm Licht werden! Denn die Himmel tauen denen ein rechtes Licht, die gerecht und eines guten Willens sind. Fraget darum ohne Scheu, so euch noch irgend etwas abgeht!“

140. Kapitel. Vom törichten Fragen.

1. Sagt Cyrenius: „Herr, wir alle können Dir nicht zur Genüge danken für diese unendlich großen Belehrungen, die Du uns allen nun erteilt hast, und ich verstehe nun schon ungeheuer vieles mehr! Auch bei der letzten Erscheinung, die uns nun der Vizekönig Mathael abermals aus seinem reichlichen Vorrate zum besten gab, blieb mir nichts Unklares zurück; nur die zwei oder drei großen und mächtigen Engelsgeister, die den Lazarus abgeholt haben, sind mir ihrem Stande nach noch völlig unbekannt! Vielleicht könnten wir wenigstens ihre sehr geheiligten Namen erfahren, und was es da mit der seine Kinder belehrenden Rückkunft für eine vielleicht noch nähere Bewandtnis habe?! Die Historie war sonst höchst merkwürdig, obschon ich, offen gesagt, noch recht gerne hätte erfahren mögen, wie und wohin der Leib des alten Lazarus beerdigt worden und was etwa doch später aus dem kleinen Rabbi geworden ist. Auch eine nähere Beleuchtung des berühmten Farrenkrautöles wäre eben nicht unwünschenswert. Möchtest Du, o Herr, uns etwas Näheres darüber kundtun?“

2. Sage Ich: „Aber Freund, das sind ja nur ganz höchst unbedeutende Nebendinge, deren Dasein wir für die Hauptsache eigentlich gar nicht als völlig notwendig annehmen können, da sie mit ihr nichts zu tun haben und nahe in gar keinem Verbande stehen! Was liegt denn an den leeren Namen der Engelsgeister, die dem Lazarus entgegenkamen?! Einen Reiseschein nach den Gesetzen brauchen sie nicht und ein weltliches Schutzgericht auch nicht. Wozu dieneten dir dann ihre Namen?! Weil es dir aber schon darum zu tun ist, so waren es die Erzengel Zuriel, Uriel und im tiefen Hintergrunde auch Michael in der Gestalt Johannes des Täufers, von dem uns Zinka vieles mitgeteilt hat.

3. Es waren aber noch eine Menge Geister daselbst anwesend, die Mathael nicht sehen konnte, weil diese, als noch ganz reine und purste Geister, nicht mehr mit dem Auge der Seele, sondern nur mit den Augen des in sich selbst reinsten Geistes gesehen werden können – ein Vermögen, das Mathael noch niemals besessen hat. Dann, was liegt am Begräbnisse des Leibes des Lazarus, was am kleinen Rabbi und am Farrenkrautöle, das da wohl den Starrkrampf hebt und die Würmer im Magen tötet, wenn es echt ist; ist es aber nicht echt, so macht es auch gar keine Wirkung! Lassen wir darum das, was uns wenig oder auch gar nichts nützen kann, und sehen wir zu, unser Erkennen und Wissen nur in geistigen Dingen zu vermehren!

4. Fraget darum lieber nach etwas Geistigem, noch aus der Sphäre vom Mathael geistig Geschauten, als nach Dingen, die für den Geist ebenso gleichgültig sein können wie der Schnee, der tausend Jahre vor Adam die wüsten Gefilde der Erde bedeckt hat! Was die Materie ist, und wie sie entstand, besteht und noch entsteht, ist euch bereits handgreiflich klargemacht worden, und somit haben wir uns nunmehr vor allem nur um die geistigen Dinge zu bekümmern. Was nützen auch dem Menschen alle Kenntnisse und Wissenschaften der ganzen Welt, wenn er sich nicht bis zur tiefsten Lebenswurzel selbst erkennt, und das namentlich in seiner seelischen und geistigen Lebens- und Bestandessphäre?!

5. Wird er wohl je wahrhaft glücklich sein können, auch im Besitze aller irdischen Güter, so er sich dann und wann wird fragen und sagen müssen: ,Was wird nach dem Tode mit dir werden? Wirst du irgend deiner selbst bewußt fortleben, oder wird es ganz gar sein mit dir auf ewig?‘ Wenn dem ängstlichen Fragesteller aber keine genügende Antwort wird, weder von jemand, der mehr erfahren ist, oder noch weniger aus der eigenen finstern Weltlebenskammer, in die noch nie ein geistig Licht der Wahrheit nach gedrungen ist, – was dann? Werden dem ernstlich also fragenden, sonst überreichen Manne wohl munden seine großen Schätze und Reichtümer? Bei nur einigem Bewußtsein der Liebe zum Leben wohl kaum! Denn was kann es dem Menschen nützen, so er auch gewönne alle Schätze der Erde, an seiner Seele aber Schaden litte?

6. Weg somit mit allem, was der Rost und die Motten zerstören können! Nur was des Geistes ist, bleibet für ewig unwandelbar; alles Angehörige der Materie aber ist noch oft zahllosen Verwandlungen unterworfen, bis es den Standpunkt des Geistigen erreicht haben wird. Darum fraget um Geistiges und Seelisches, aber nimmer um Irdisches!“

141. Kapitel. Der 'Zorn' Gottes.

1. Sagt Cyrenius, etwas verlegen: „Herr, es hat Dich außer mir doch niemand um irgend etwas gefragt, und es hat den Anschein, als ob Du mir darum als Gott, als mein Herr und mein Erhalter gram geworden wärest!“

2. Sage Ich: „Wie magst du Mich also verkehrt verstehen?! Wie kann Ich dir gram sein, so Ich dir vollernstlich und für ewig wahr zeige, was euch allen und jedem Menschen zum Leben das Notwendigste ist? Siehe, siehe, wie sehr kurz noch deine Urteilskraft ist! Wann wohl wird sie das rechte Maß erhalten? Wem kann die reinste Urliebe aller Liebe in Gott je gram werden?

3. So ihr leset von einem Zorne Gottes, da sollet ihr darunter verstehen den ewig stets gleichen und festesten Ernst Seines Willens; und dieser Ernst des Willens in Gott ist aber ja eben der innerste Kern der allerreinsten und allermächtigsten Liebe, aus der die Unendlichkeit und alle Werke in ihr wie die Küchlein aus dem Ei hervorgegangen sind, – und diese kann doch ewig niemandem gram werden! Oder meint aus euch wohl jemand, daß Gott gleich wie ein dummer Mensch zürnen könne?“

4. Tritt hier der alte Oberste Stahar einmal wieder zu Mir und sagt: „Herr, vergib es mir, so ich mir hier auch eine Bemerkung im Punkte des Zornes Gottes erlaube!

5. Wenn man, verbunden mit einem festen Glauben an Gott, die alte Welthistorie betrachtet, so kann man sich's denn doch nicht ganz verhehlen, daß Gott zu Zeiten den Menschen, die zu unbändig geworden sind, Seinen Zorn und Seine Rache auf ganz besonders unerbittlich strenge Weise hat fühlen lassen.

6. ,Der Zorn ist Mein, und die Rache ist Mein!‘ spricht der Herr durch den Mund des Propheten. Daß es aber wohl also ist, beweisen die Vertreibung Adams aus dem Paradiese, die Sündflut zu den Zeiten Noahs, die Billigung des Fluches des Noah über einen seiner Söhne; später der Untergang von Sodom, Gomorra und der umliegenden zehn Städte, auf dem Punkte, da wir heute das Tote Meer bewundern; noch später die Plagen Ägyptens und die der Israeliten in der Wüste; dann die von Gott befohlenen allermörderischesten Kriege gegen die Philister, die babylonische Gefangenschaft und nun endlich die volle Unterjochung des Volkes Gottes durch die Macht der Heiden!

7. Herr, wer nun dieses Benehmen Jehovas gegen die Sünder, die niemand anders als eben wir Menschen sind, nur ein wenig ins Auge und ins Gemüt faßt, der kann ja doch unmöglich etwas anderes herausfinden als einen förmlichen Zorn und eine vollkommenste Rache Jehovas!

8. Freilich könnte man sagen: Also erzieht Gott mit dem vollsten Ernste Seine Menschen und ganze, große Völker mit der gehörigen Zuchtrute in der Hand! Aber die Hiebe und Schläge haben durchaus nicht das Ansehen, als kämen sie aus der Hand eines liebevollsten Vaters, sondern da schaut überall ein ganz entsetzlich zorniger, wenn auch in einer gewissen Hinsicht höchst gerechter Richter auf Leben und Tod und auf Pestilenz und Brand heraus!

9. Dies ist so meine Ansicht, das heißt, wenn die Welthistorie uns eine volle Wahrheit verkündet; sind aber alle die traurigen Aufzählungen dessen, was Gott gewirkt hat, nur eine Fiktion, dann mag das, was man Zorn und Rache Gottes nennt, immerhin der Kern Seiner ewigen und reinsten Liebe sein. Ich habe nun das nur so vorgebracht, da Du, o Herr, ehedem Selbst den Zorn und die Rache angezogen hast!

10. Es wird wohl immerhin schon also sein, wie Du, o Herr, es zuvor gesagt hast; aber merkwürdig bleibt es immer, daß mit dem angekündigten Zorne Gottes in den alten Zeiten, wenn die Menschheit sich nicht gebessert und wahre Buße gewirkt hat, auch die allermartialste Strafe erfolgt ist, und das im Großen wie im Kleinen, und im Allgemeinen wie im Besonderen, ohne alle Schonung! Nun, wie sich dieses mit der allerreinsten, zorn- und rachelosesten Liebe vereinbart, das wäre wahrlich auch der Mühe wert, so es bei dieser Gelegenheit ein wenig näher beleuchtet werden wollte!“

142. Kapitel. Vom ersten Menschenpaare Adam und Eva.

1. Sage Ich: „So wie du, Freund, nun geredet hast von Gottes Zorn und Rache, Gerechtigkeit und Liebe, ebenalso urteilt auch ein Stockblinder von der harmonischen Pracht der Farben im Regenbogen!

2. Hast du denn noch nicht aufgefaßt, wie da alle fünf Bücher Mosis und alle Propheten, Davids und Salomos Schriften nur auf dem Wege der inneren geistigen Entsprechung verstanden und begriffen werden können?!

3. Meinst du denn im Ernste, daß Gott den Adam aus dem Paradiese durch einen Engel, der ein flammendes Schwert als Vertreibungswaffe in seiner Rechten führte, vertreiben ließ? Ich sage es dir: mag das auch dem Adam als Erscheinung vorgestellt worden sein, so war es aber nur eine Entsprechung von dem, was eigentlich in Adam selbst vorgegangen ist, und gehörte eben also zum Akte seiner Erziehung und zur Gründung der ersten Religion und Urkirche unter den Menschen auf Erden.

4. Auf der Erde aber gab es nirgends ein materielles Paradies, in dem dem Menschen die gebratenen Fische in den Mund geschwommen wären, sondern er mußte sie so wie jetzt erst fangen und braten und dann erst mit Maß verzehren; war der Mensch aber tätig und sammelte sich die Früchte, die die Erde ihm trug, und hatte sich dadurch einen Vorrat erzeugt, so war jede Gegend der Erde, die der Mensch kultiviert hatte, ein rechtes irdisches Paradies!

5. Was wäre auch aus dem Menschen und seiner Geistesbildung geworden, wenn er in einem wahren Müßiggangs- und Freßparadiese sich um gar nichts zu kümmern und zu sorgen gehabt hätte, wenn ihm, wie gesagt, die besten Früchte in den Mund hineingewachsen wären, wenn er sich, auf weichstem Rasen liegend, nur hätte wünschen dürfen, und alles wäre schon da, so daß er nur den Mund aufzusperren brauchte, und die besten Bissen schöben sich ihm schon in den Mund?! Wann würde der Mensch bei solch einer Erziehungsweise denn zur bedingten Lebensselbständigkeit gelangen?! Ich sage dir, daß der Mensch nach deinem Begriffe vom Paradiese bis zur Stunde nichts anderes wäre und wüßte als ein ganz wohlbestellter Freßochse oder als ein Freßpolyp auf dem Meeresgrunde.

6. Was stellt demnach die Erscheinlichkeit des Engels mit dem Flammenschwerte vor? Was besagt dies Wortbild? Der Mensch war nackt; denn bis jetzt ist noch kein Mensch mit einem Kleide in die Welt getreten. Hatte er auch, ebensowenig wie diese Eselin hier, keine Kindheit dem Leibe nach durchzumachen gehabt, da er dem Leibe nach ebenso entstanden ist wie diese Eselin, und hatte er auch eine Größe von mehr denn zwölf Schuhen, wie nicht viel minder auch die Eva, so war er aber in der ursprünglichen Erfahrung über die Beschaffenheit der Erde ja dennoch ein Kind und mußte erst klug werden zumeist durch die Erfahrung.

7. Im warmen Frühjahre, Sommer und Herbste konnte er es schon mit der nackten Haut aushalten; aber im Winter fing er an, die Kälte sehr zu fühlen, und er selbst fragte sich in seinem Gefühle, das Gott in ihm stets mehr und mehr erweckte durch geistiges und naturmäßiges Einfließen: ,Wo bin ich denn? Was ist mit mir vorgegangen? Es war mir zuvor so angenehm, und nun friert es mich, und die kalten Winde tun wehe meiner Haut!‘ Offenbar mußte er sich um eine vor dem Winde geschützte Wohnung umsehen und seinen Leib mit allerlei Laub der Bäume zu überdecken anfangen. Durch diese gezwungene Arbeit ward das Denken reger und ordnete sich auch bald.

8. Aber es fing ihn auch zu hungern an; denn gar viele Bäume und Gesträuche hatten leere Zweige. Er ging weit aus und suchte Nahrung und fand noch volle Bäume; er sammelte die Früchte und trug sie in die Grotte, die er als eine gute Wohnung auffand. Da sagte ihm sein schon mehr erfahrenes Gemüt abermals: ,In dieser Zeit liegt die Erde in einem Fluche, und du Mensch kannst dir nur im Schweiße deines Angesichts deine Kost sammeln!‘

9. Nachdem aber der erste Mensch dieser Erde einmal in der Grotte überwintert hatte auf den Höhen, die da begrenzen den nordöstlichen Teil des Gelobten Landes, zu dem auch unser Galiläa gehört, da hatte er Muße, mit seinem Weibe tiefer in sich hinein zu forschen und zu schauen. Da fand er auch ein Bedürfnis nach einer größeren Gesellschaft. Im Traume ward er belehrt, was er zu tun hätte, um zu einer solchen, das heißt größeren Gesellschaft zu gelangen, und nach solcher Belehrung fing er an, zu zeugen den Kain und dann bald darauf den Abel und den Seth.

10. Das Weib aber war es, das ihm den ersten Einschlag zur Zeugung gab; denn dem Weibe kam zuerst im Traume ein Gesicht, wie die Zeugung zu geschehen habe. Weiter wollen wir diese Sache nicht verfolgen, und Ich sage nun dir, Mein Freund Stahar: alles ging ganz natürlich zu, und es gab da nirgends etwas Widernatürliches. Aber Moses sah es dennoch, daß dies alles nur nach dem Wollen Jehovas geschehen konnte; er erkannte durch Gottes Geist, daß alle diese ganz natürliche Führung auf dem Wege gemachter Erfahrungen durch Mich, das heißt durch Meinen Geist, geleitet ward und stellte darum Gott durch entsprechende Bilder stets an die Seite dieses ersten Menschenpaares und personifizierte aber auch Meine Einwirkung in den kürzesten, aber doch entsprechendsten Bildern, wie sie damals allgemein üblich waren und auch sein mußten, weil überall zur Leitung des Volkes und der Völker solche Bilder notwendig waren.

11. Übrigens aber versteht es sich von selbst, daß Gott und die Engel es wohl wußten und auch verstanden, das erste Menschenpaar in einer der fruchtbarsten Gegenden der Welt werden und entstehen zu lassen.

12. Wenn spätere und eigens zugelassene Naturereignisse die ersten Menschen nötigten, ihren ersten Nährgarten zu verlassen und sich auf der Erde weiter umzusehen, so geschah das auch nicht etwa aus einer Art göttlichen Zornes, sondern nur aus Liebe zum Menschen, auf daß er von seiner träge gewordenen Sinnlichkeit wieder aufgeweckt würde und überginge zur Tätigkeit, und daß er mache ausgedehntere Erfahrungen.

13. Als Adam und sein Weib und seine Söhne es wahrnahmen, daß es auf der weiten Erde nahe überall etwas zu essen gab, fingen sie an, größere Reisen zu unternehmen, wodurch sie mit Asien und Afrika so ziemlich vertraut wurden. Das bereicherte sie wieder mit allerlei Erfahrungen. Geheim vom Gottesgeiste geleitet, kamen sie in ihr erstes Eden zurück und blieben daselbst, von wo aus denn auch die Bevölkerung der ganzen Erde erging.

14. Sage Mir in deinem Gemüte: Schaut da irgendein Zorn oder eine Rache Gottes heraus?!

143. Kapitel. Die Sündflut.

1. (Der Herr:) „Ja, Gottes Weisheit kann wohl widerwillig werden, so schon gebildete und wenigstens zur Hälfte reif gewordene Menschen mutwillig und auch böswillig gegen die Ordnung Gottes sich auflehnen; aber dafür ist wieder die Liebe Gottes da, die in ihrer großen Geduld stets jene tauglichen Mittel den verkehrten Bestrebungen der Menschen entgegenzustellen weiß und sie wieder auf den rechten Weg bringt, wodurch dann am Ende Mein Endzweck mit der Menschheit doch immer erreicht werden muß, ohne daß der Mensch durch irgendeine allmächtige Rache Gottes dazu gleich einer Maschine genötigt wird.

2. Aber selbst diese Mittel sind nicht als eine Folge der göttlichen Zornmacht anzusehen, sondern rein nur als eine Folge der verkehrten Handlungsweise der Menschen. Ja, die Welt und die Natur hat von Gott aus ihre notwendigen und unwandelbaren Mußgesetze, und zwar in der rechten Ordnung; dergleichen Gesetze aber hat auch der Mensch seiner Form und seinem leiblichen Wesen nach. Will der Mensch nun irgend wider diese Ordnung sich auflehnen und die Welt umgestalten, so wird er darum nicht von einem freiwilligen Zorne Gottes gestraft, sondern von der beleidigten, strengen und fixierten Gottesordnung in den Dingen selbst, die so sein müssen, wie sie sind.

3. Du sagst nun bei dir und fragst dich, ob die Sündflut auch als eine natürliche und notwendige Folge der verkehrten Handlungsweise anzusehen wäre. Und Ich sage es dir: Ja, das war sie! Mehr denn hundert Seher und Boten habe Ich erweckt und habe die Völker vor ihren natur- und gottesordnungswidrigen Handlungen gewarnt, und habe sie mehr denn hundert Jahre hindurch auf die für sie daraus notwendig entstehenden und leiblich und seelisch schrecklichen Folgen sehr ernstlich aufmerksam gemacht; aber ihr boshafter Mutwille ging so weit, daß sie in ihrer Blindheit die Boten nicht nur verhöhnten, sondern viele sogar töteten und mit Mir also einen förmlichen Kampf unternahmen. Aber darum ergrimmte Ich dennoch nicht vor Zorn und Rache, sondern ließ sie handeln und die traurige Erfahrung machen, daß die Unvernunft und die Unkunde – als selbst schuld an dem, was sie sind – mit der großen Natur und Ordnung Gottes durchaus nicht alles machen dürfen, was ihnen in ihrer Blindheit beliebt.

4. Siehe, es steht dir ja frei, auf jenen von hier gegen Süden gelegenen und bei fünfhundert Mannslängen hohen Felsen zu steigen und dich dann mutwillig häuptlings über die hohe Wand hinabzustürzen! Nach den notwendigen Gesetzen der Schwere aller Körper wird dir solch ein Mutwille doch offenbar sicher das Leben des Leibes kosten. Frage dich, ob dir das aus Meinem Zorne und aus Meiner Rache zugekommen ist!

5. Dort gegen Osten ersiehst du hohe Gebirgszüge, die ganz fest und dicht bewaldet sind. Gehe hin mit zehnmal hunderttausend Menschen, lege Feuer an und verbrenne alle die Wälder, dann werden die Berge ganz kahl dastehen! Was wird aber davon die Folge sein? Die vielen dadurch tatlos und nackt gewordenen Naturgeister werden dann in der freien Luft zu wüten und zu toben beginnen. Blitze in Unzahl, Wolkenbrüche von der fürchterlichsten Art und ein unausgesetzter Hagelschlag werden darauf die ganzen und weiten Umgegenden verheeren. Das alles ist eine ganz natürliche Folge jener waldverheerenden Handlung. Sage, ob auch da wieder der Zorn Gottes herausschaut und Seine Rache!

6. Wenn aber zehnmal Hunderttausende von Menschen sich ernstlich bestreben, Berge abzugraben und große Seen auszufüllen oder die allerbreitesten Heerstraßen anzulegen, um leichter Kriege zu führen; wenn Menschen ganze Bergketten tagereisenweit skarpieren auf vierhundert bis fünfhundert Mannslängen hoch oder stechen zweihundert bis dreihundert Mannslängen tiefe Gräben um die Berge und eröffnen dadurch der Erde inwendige Wasserschleusen, daß die Berge zu sinken beginnen in die leer gewordenen großen Wasserbecken und das Wasser also zu steigen beginnt, daß es in Asien nahe über der höchsten Berge Spitzen wie ein Meer dahinzuwogen beginnt – dazu kommt noch, daß bei diesen großen Bergezerstörungen viele hunderttausendmal Hunderttausende Morgen der kräftigsten Waldungen mit zerstört wurden, bei welcher Gelegenheit zahllose Myriaden von Erd- und Naturgeistern, die früher mit der schönsten und üppigsten Vegetation vollauf zu tun hatten, nun auf einmal frei und tatlos geworden sind –, frage dich selbst, welch einen Aufruhr die Geister in den Luftregionen mögen angefangen haben! Welche Stürme und welche massenhaften Wolkenbrüche, welche Hagelmassen und welch eine Unzahl von Blitzen hat es dadurch mehr denn vierzig Tage lang aus den Wolken auf die Erde herabgeschleudert, und welche Wassermassen werden sich da nahe über ganz Asien erhoben haben, und das alles aus lauter natürlichen Gründen! Sage, war das wieder Gottes Zorn und Seine nie versöhnbare Rache?!

7. Moses beschrieb diese Historie so wie alles andere in der damals üblichen Schreibweise, das heißt in Bildern, in denen er nach der Eingabe des göttlichen Geistes stets Meine Vorsehung vorwalten ließ, was nur auf dem Wege echter und wahrer Entsprechungen herauszubringen ist.

8. Ist aber darum Gott ein Zorn- und Rachegott, so du und gar viele Seine großen Offenbarungen noch nie verstanden haben?“

144. Kapitel. Die Ursachen der Katastrophen.

1. (Der Herr:) „Ich sage es dir: Nur fünfzig Jahre lang leben in der rechten Ordnung Gottes, – und ihr werdet von keiner Kalamität je etwas zu sehen, zu hören, zu schmecken und zu genießen bekommen!

2. Ich sage euch: Alle Kalamität, Seuchen, allerlei Krankheiten unter Menschen und Tieren, schlechte Witterung, magere und unfruchtbare Jahre, verheerender Hagelschlag, große, alles zerstörende Überschwemmungen, Orkane, große Stürme, große Heuschreckenzüge und dergleichen mehr sind lauter Folgen der unordentlichen Handlungsweisen der Menschen!

3. Würden die Menschen möglichst in der gegebenen Ordnung leben, so hätten sie alles das nicht zu gewärtigen. Die Jahre würden wie die Perlen auf einer Schnur verlaufen, eines so gesegnet wie das andere. Es würde den bewohnbaren Teil der Erde nie eine zu große Kälte oder eine zu große Hitze plagen. Aber da die gescheiten und überaus klugen Menschen aus sich allerlei bei weitem über ihren Bedarf hinaus unternehmen, wenn sie auf der Erde zu große Bauten und zu übertriebene Verbesserungen vornehmen, ganze Berge abgraben, um Heerstraßen anzulegen, wenn sie viele Hunderttausende von Morgen der schönsten Waldungen zerstören, wenn sie des Goldes und des Silbers wegen zu tiefe Löcher in die Berge schlagen, wenn sie endlich untereinander selbst im beständigen Zank und Hader leben, während sie doch zu jeder Zeit von einer großen Menge der intelligenten Naturgeister umgeben sind, von denen alle Witterung der Erde herrührt, sowie die Reinheit und Gesundheit der Luft, des Wassers und des Erdreiches, – ist es da denn hernach zu verwundern, wenn diese Erde von einer Unzahl von Übeln aller Art und Gattung stets mehr und mehr heimgesucht wird?!

4. Geizige und habsüchtige Menschen legen vor ihren Scheunen Schloß und Riegel an und obendrauf noch scharfe Wächter zu ihren über allen Überfluß steigenden Schätzen und Reichtümern, und wehe dem, der sich ihnen unbefugt nähern möchte; wahrlich, der bekäme augenblicklich einen scharfen Prozeß!

5. Ich will damit nicht sagen, als sollte jemand sein mühsam erworbenes Eigentum nicht beschützen; Ich rede hier vom höchst unnötigen, ins Ungeheure gehenden Überfluß. Wäre es denn da nicht tunlich, auch solche Scheuern zu errichten, die da offen stünden für jeden Armen und Schwachen, wennschon unter der Aufsicht eines weisen Spenders, auf daß kein Armer sich mehr nähme, als was er für seine Nahrung bedarf? Würden sogestaltig die Habsucht und der Geiz von der Erde verschwinden, so würden auch – höret Mich wohl! – alle mageren Jahre von der Erde den Abschied nehmen.

6. Du fragst, wie solches denn möglich sei. Und Ich antworte darauf: Auf die natürlichste Art von der Welt, das heißt: wenn man auch nur ein wenig im innern Wirken der gesamten Natur bewandert ist, so muß man das nicht nur bald einsehen, sondern sogar mit Händen und Füßen begreifen!

7. Da stehen vor uns noch die Heilpflanze und dort, etwas weiter voran, die äußerst schädliche Giftpflanze! Nähren sich nicht beide vom ganz gleichen Wasser, von der ganz gleichen Luft, vom ganz gleichen Lichte und von dessen ganz gleicher Wärme? Und dennoch ist diese Pflanze voll Heilstoffes und die andere voll tödlichen Giftes!

8. Ja, warum denn also? Weil die Heilpflanze vermöge ihres innern wohlgeordneten Charakters alle die sie umgebenden Naturlebensgeister nach ihrer guten Art stimmt und diese sich darauf ihr in aller Freundlichkeit und Friedsamkeit, sie ernährend, anschmiegen von außen her, wie von innen heraus, und es wird dadurch dann alles Heilsamkeit in der ganzen Pflanze, und am Tage im Sonnenlichte wird ihre Ausdünstung und die sie recht weithin umgebenden Naturlebensgeister auf den Menschen wie auch auf viele Tiere einen ungemein heilsamen Einfluß ausüben.

9. Bei der Giftpflanze dort, deren Inneres einen höchst selbstsüchtigen und grimmig zornigen Charakter in sich faßt und einschließt, aber werden die gleichen Naturlebensgeister vom selben Charakter ergriffen und somit total verkehrt; sie schmiegen sich dann ebenfalls, die Pflanze ernährend, ihr an, und ihr ganzer Charakter wird darauf ganz homogen mit dem ursprünglichen der Pflanze. Aber auch ihre Umgebung und gleichsam Ausdünstung ist giftig und der menschlichen Gesundheit schädlich, und die Tiere gehen ihr mit ihren reizbaren Nüstern nicht in die Nähe.

145. Kapitel. Der Einfluß des Schlechten auf das Gute.

1. (Der Herr:) „Eine ganz außerordentlich große und weitaus wirkende Giftpflanze ist aber um so mehr ein geiziger und habgieriger Mensch. Seine ganze weithin reichende naturlebensgeistige Umgebung, seine Aushauchung, sein ganzer Außenlebenskreis wird mit seinem Innern gleichen Charakters; seine schlecht gewordenen ihn umgebenden Naturlebensgeister aber verkehren stets von neuem die ihnen zuströmenden noch guten Naturlebensgeister in ihr Schlechtes, Geiziges und Habsüchtiges.

2. Da aber diese Naturlebensgeister nicht nur allein mit dem Menschen, sondern auch mit den Tieren, mit den Pflanzen, mit dem Wasser und mit der Luft in fortwährendem Konflikte stehen, so geben sie auch stets viel Anlaß zu allerlei Kämpfen, Reibungen und unnötigen Bewegungen in der Luft, im Wasser, in der Erde, im Feuer und in den Tieren.

3. Wer dies so recht praktisch erfahren will, der gehe zu einem sehr guten Menschen, und es werden bei ihm auch alle Tiere einen viel sanfteren Charakter haben. Am ehesten merkt man das an den Hunden, die in kurzer Zeit ganz den Charakter ihres Herrn annehmen. Der Hund eines Geizigen wird sicher auch eine geizige Bestie sein, und wenn er frißt, wird es nicht ratsam sein, ihm in die Nähe zu treten. Gehe aber hin zu einem freigebigen, sanften Menschen, und du wirst merken, wenn er einen Hund hält, daß dieses Tier ganz gutmütigen Charakters sein wird; es wird eher von der Fraßschüssel abstehen, als sich etwa mit einem ungeladenen Gaste in einen bissigen Kampf einzulassen. Auch alle anderen Haustiere einer sanften und gutherzigen Herrschaft werden um ein bedeutendes sanfter sein, ja sogar an den Pflanzen und Bäumen wird ein Scharffühler einen gar nicht unbedeutenden Unterschied wahrnehmen.

4. Betrachten wir aber auch die Dienerschaft eines Geizhalses, ob sie nicht zumeist auch knickerisch, neidisch und geizig und zu dem Behufe hinterlistig, falsch und betrügerisch wird! Selbst ein sonst ganz guter und freigebiger Mensch, wenn er längere Zeit in der Nähe eines Geizhalses ist, der im Golde und Silber bis über den Hals steckt, wird am Ende in ein recht sparsames System übergehen und im Ausüben der Wohltaten viel bedenklicher werden.

5. Nun kommt es auf der Erde aber auch noch darauf an, daß alles Schlechte das Gute mit viel geringerer Mühe in das seinige umwandelt, als das Gute etwas Schlechtes in sein Gutes!

6. Sehet einen so recht zornigen Menschen an, der alles um sich nur gleich aus lauter Grimm und Wut umbringen möchte! Tausend ganz gute Menschen, die ihn beobachten, werden am Ende selbst ganz grimmzornig und möchten sich gleich alle an dem einen Zornigen vergreifen und ihm seinen Zorn austreiben, wenn sie nur alle mit ihren scharf tatsüchtigen Händen Platz fänden an seiner Haut. Warum erregt hier ein Glühzorniger Tausende zum Gegenzorn, und warum nicht die tausend Gutmütigen an der Stelle den einen Glühzornigen zu der eminentesten Gutmütigkeit?

7. Alles auf Grund dessen, weil besonders auf dieser Erde, der Erziehung der Kinder Gottes wegen, der Reiz zum Schlechten und Bösen ein bei weitem größerer ist, und auch sein muß, als wie zum Guten. Den Grund davon im allgemeinen habe Ich euch schon ehedem einmal gezeigt und brauche ihn hier nicht noch einmal zu wiederholen.

8. Da sehet euch noch einmal diese beiden Pflanzen an, und stellet euch einen sehr großen ehernen Kessel vor! In diesem Kessel wollen wir tausend solcher Heilpflanzen zu einem heilsamen Tee sieden, und wer aus der Sphäre der Brustkranken davon trinken würde, der würde auch bald eine heilsame Wirkung davon wahrzunehmen anfangen; denn die guten Naturlebensgeister möchten die wenigen schlechteren in seiner Brust schon bald zurechtbringen.

9. Aber nehmen wir darauf diese besondere Giftpflanze und werfen sie auch in den Kessel, in welchem tausend Stück von der Heilpflanze zu einem Heiltranke kochen! Sehet, diese einzige Giftpflanze wird den ganzen Heilstoff in ihren tödlichen Giftstoff verkehren, und wehe dem Kranken, der es wagen würde, von dem Tee einen Trunk zu nehmen! Wahrlich, es würde ihn das unfehlbar das Leben kosten, und es könnte ihm auf natürlichem Wege nicht geholfen werden!

10. Nehmen wir aber nun den umgekehrten Fall! Kochen wir tausend Stück dieser Giftpflanzen im selben Kessel zu einem Tee zum Tode und legen am Ende nur eine von diesen Heilpflanzen in den Kessel zu den tausend Giftpflanzen! Oh, wie schnell werden alle ihre guten und heilsamen Naturgeister in das tödlichste Gift der tausend Giftpflanzen verwandelt sein!

11. Aus dem aber geht ja wieder sonnenhell hervor, daß eben auf dieser Erde aus dem bekanntgegebenen Grunde das Schlechte das Gute um vieles eher in sein Schlechtes zu verkehren imstande ist, denn umgekehrt.

12. Stelle dir nun eine Menge allerlei schlechter Menschen in einer Gegend vor, oder in einem ganzen Lande, und frage dich nach dem bereits Vernommenen, ob es da im Ernste von einem Gotteszorne abhängt, wenn so allerlei Übel über dasselbe kommen! Ich sage es euch, und besonders dir, Freund Stahar, daß alles das allein und lediglich von den Menschen, ihren Handlungen und Lebensweisen abhängt, und Gottes Zorn und Seine Rache hat damit ewig nichts zu tun, außer das, daß Ich eine solche Ordnung in die Natur der Dinge gelegt habe, die natürlich, solange die Erde besteht, umwandelbar bleiben muß, ansonst sich die Erde auflösen würde und dem Menschen keine Wohnstätte für sein Probeleben bieten könnte.

13. Darum heißt es nun, all das Gute mit allem Ernste, mit aller Gewalt und aller Kraft an sich zu reißen, so man von dem vielen Schlechten nicht verschlungen werden will.

14. Suchet daher euer inneres Leben durch die tatsächliche Befolgung Meiner Lehre zu vollenden, so werden euch die Gifte der Welt keinen Schaden mehr zuzufügen imstande sein!“

146. Kapitel. Das wunderbare Heilpflänzchen. Das Wesen des Lichtes und der Finsternis, des Guten und des Bösen.

1. (Der Herr:) „Kehren wir aber noch einmal zu unserm Giftkessel mit den darin kochenden tausend Stück Giftpflanzen zurück! Sehet, zehn-, auch hunderttausend dieser Art Heilpflanzen werden nicht imstande sein, diesen Gifttee des vollen Kessels zu entgiften! Aber es wächst auf dieser Erde ein ganz kleines Pflänzchen auf den indischen Hochalpen – auch am Sinai kommt es vor –: nur ein kleines Stückchen, etwa so groß wie ein mittelmäßiger Grashalm, dürfen wir in den großen Giftkessel werfen, und im Augenblick ist all sein Gift in den allerheilsamsten Tee verwandelt!

2. ,Wie möglich das?‘ fragst ganz erstaunt du, weiser Stahar, nun. Und Ich sage dir, daß auch das mit ganz natürlichen Dingen zugeht. Wie, das soll dir und auch allen anderen sogleich und ganz klar gezeigt werden.

3. Siehe, wenn es in einer mondlosen Gewitternacht so recht stock-, kohl- und rabenfinster ist, da wird es dir doch vorkommen, daß es nun schon in der ganzen Unendlichkeit gleichwegs also finster ist. Diese Finsternis, die dem Augenlichte wenigstens auf eine Zeit ein tödliches Gift ist, weil sie dasselbe alles seines Vermögens beraubt, wird ihres Giftes durch einen kleinsten Funken Lichtes aus der Sonne ledig und im Augenblick in ein helles Licht verwandelt.

4. Spannest du schon, wohinaus es gehen wird? Spannen und ahnen kannst du wohl, aber wissen noch lange nicht! Da du es aber nicht wissen kannst, so höre!

5. Wie kann denn ein Funke des Sonnenlichtes schon die ganze Finsternis verscheuchen, und warum ist es ohne denselben überhaupt finster? Die Luft besteht ja aus denselben Geistern zur allerfinstersten Nachtzeit wie am hellsten Tage!

6. Wenn die Sonne einmal vollends untergegangen ist, so begeben sich nach und nach die Naturlebensgeister zur Ruhe, jedes für sich speziell, und weil sie in sich selbst ruhen und in ihren leichten Hülschen nicht vibrieren, so merkt des Fleisches Auge ihre Gegenwart und ihr Sein nicht, und die fühlbare Folge davon für des Fleisches Auge ist die finstere, lichtlose Nacht.

7. Du meinst freilich, daß auch in der Nacht der Wind weht und die Naturlebensgeister sonach doch nicht ruheten! Oh, da irrst du dich und hast keinen Begriff von der innern speziellen Bewegung eines Naturgeistes! Der Wind zieht wohl auch in der Nacht, und somit machen auch offenbar die Naturlebensgeister eine Bewegung, – aber keine spezielle in sich, sondern eine allgemeine nach irgendeiner bestimmten Richtung, genötigt durch irgendeinen höheren Geist. Wenn aber auf irgendeinem Punkte ein Naturgeist oder eine ganze, große Gesellschaft von Naturgeistern, welche da sind jene Feuerzungen, die du gesehen hast gleich allen anderen hier Anwesenden, in eine außerordentliche innere vibrierende Bewegung gerät, so wird es auf jenem Punkte für das Auge empfindlich hell und licht und zeigt den Moment eines Sich-Ergreifens und Etwas-Werdens an.

8. In solch einem Momente aber werden eine unzählbare Menge von Naturlebensgeistern in der weitesten Umgebung mit erregt, und es wird somit licht und helle im weitesten Umkreise. Von einer je heftiger vibrativ tätigen Naturgeistersphäre aber die nachbarlichen Geister erregt werden, desto heller wird es im weitesten Umkreise, und so verkehrt sich eine sich zu irgendeinem Etwas-Werden ergriffen habende Geistermenge in ein ähnliches Streben; und das Licht der Sonne liefert durch seine produktive Kraft und Einwirkung auf den Weltkörpern, die ihr nahe genug stehen, dafür den sprechendsten Beweis.

9. Aber nicht nur auf den Planeten werden die freien Naturlebensgeister zu einem Etwas-Werden durch das Sonnenlicht erregt, sondern auch im freien Ätherraume; denn da entstehen durch ein solches Sich-Ergreifen der freien Naturlebensgeister oft Dinge, von denen sich eure Weisheit noch nie etwas hat träumen lassen.

10. Wie du aber nun gesehen hast, daß ein einziger Lichtfunke nach der Kraft des Sonnenlichtes einen ungeheuer großen finstern Raum augenblicklich in ein helles Licht umgestalten kann, so gestaltet das angeführte Heilkräutlein den ganzen großen Kessel voll Gifttees in einen heilsamsten Trank um, weil die Naturlebensgeister im kleinen Heilkräutlein zu intensiv tätig sind in der rechten guten Ordnung und darum die trägeren und widerordentlichen Geister der Giftpflanze augenblicklich in eine ordentliche Tätigkeit hinüberzwingen.

11. Also steht es auch mit der Einwirkung eines wahrhaft lebensvollendeten Menschen – einmal auf seine Nebenmenschen und dann aber auch auf die noch freien Naturlebensgeister in einem weiten Umkreise.

12. An und für sich gute und ordentliche Menschen werden unter mehr und minder Guten auch gut wirken, und die Minderguten werden an ihnen recht heilsame Kräuter haben. Wenn aber diese nur an sich recht natürlich guten Menschen unter recht grundschlechte, böse und ausgelassene Menschen geraten, die ihr böses Haar auf den Zähnen tragen, so werden sie gar bald und leicht mitverdorben, weil ihre innere Lebensordnungskraft ihnen kein Gegengewicht bieten kann; ist aber ein Mensch in sich vollendet, so gleicht er dem kleinen Heilkräutel im großen Giftteekessel und dem Sonnenlichtfünklein im weitesten Nachtraume.

13. Wenn du auch das nun ganz gehörig aufgefaßt hast, so wirst du doch endlich ganz einsehen, wie alles Übel unter den Menschen auf dieser Erde wahrlich nicht vom Zorne und von der Gottesrache, sondern allein von der Lebensordnung der Menschen herrührt, so wie auch das Gute oft von einem einzigen in sich vollendeten Menschen.

14. Und da Ich dich auf diese instruktive Weise nun zurechtgebracht habe, so steht es nun wieder bei euch allen, Mich noch um irgend etwas zu fragen, das euch aus der Sphäre der Sterbegeschichte des alten Lazarus fremd sein könnte. – Einer aus euch hat noch eine kleine Frage im Hintergrunde; er lasse sie vernehmen!“

147. Kapitel. Die Ursachen der Wärme und der Kälte.

1. Sagt Mathael: „Herr, dieser eine werde offenbar ich selbst sein! Denn ich habe im Ernste noch so eine Kleinigkeit im Hintergrunde, die ich mir trotz meines scharfen Nachdenkens nicht so recht zusammenreimen kann!“

2. Sage Ich: „Ja, ja, eben du bist es; gib es von dir, was dich drückt!“

3. Sagt weiter Mathael: „Als ich und mein Vater von unserm Hause mit dem jungen Lazarus nach Bethania zogen und auf dem Wege die große Lichterscheinung sahen, so empfanden wir dabei eine ganz bedeutende Wärme. Als aber die Lichterscheinung endlich ganz erlosch, da ward es nebst der plötzlich eingetretenen totalen Finsternis auch so empfindsam kalt, daß es mich durch und durch zu fiebern begann. Worin nun diese Kälte ihren Grund haben mag, bringe ich mit meinem Denken durchaus nicht heraus; wenn es Dir, o Herr, genehm wäre, möchte ich den Grund davon wohl auch noch erfahren!“

4. Sage Ich: „Nun, da liegt der Grund zum Mit-den-Füßen-Darauftreten nahe! Wenn du zwei Stücke Holzes recht fest aneinander reibst, so werden sie dadurch erwärmt, heiß, entzünden sich am Ende wohl gar und fangen lichterloh zu brennen an. Warum geschieht denn das? Weil die im Holze und in dessen Zellen und Organen vorhandenen Naturlebensgeister aus ihrer stummen und stumpfen Ruhe zu gewaltsam geweckt und erregt werden, alsbald in eine große selbstische, vibrierende Bewegung geraten und sich schon als ein Licht und Feuer zu zeigen anfangen, dadurch die noch trägeren angrenzenden Geister mit erregen und so am Ende alle Naturlebensgeister in die erregteste Bewegung oder, geradeheraus gesagt, in Brand stecken. Ist es mit der Erregung oder mit dem Brennen zu Ende, so kühlt sich dann bald die ganze Naturlebensgeisteranzahl schnell ab; je heftiger eine Erregung bewirkt wird, desto schneller tritt dann eine Ermattung der Naturgeister ein, mit ihr die Ruhe, und mit dieser die Kälte.

5. Ein ganz glühendes Stück Holz oder eine Glühkohle ist selbst beim stärksten Angefachtsein nie so heiß wie ein ebenso stark glühendes Stück Erz. Der Grund davon ist, daß die Naturgeister im Erze einer größeren Erregung fähig sind als jene im Holze; wenn aber die Kohle und das Erz sich abkühlen in einer gleich kalten Temperatur, so wird das Erz sich schneller abkühlen denn die Kohle und wird in ganz abgekühltem Zustande um ein bedeutendes kälter anzufühlen sein denn die auch ganz abgekühlte Kohle.

6. Wenn es im Sommer an einem Tage sehr heiß und schwül wird, so fangen die Naturlebensgeister an, sich zu regen, und dies mächtigere Regen erzeugt auch die stets größere Wärme und Schwüle. Wird diese größer oder intensiver, so geschieht das dadurch, daß sich die bewußten Geister enger aneinander zu drücken anfangen und bald in der Gestalt von Nebeln und Wolken auch dem Fleischauge ersichtlich werden.

7. Wie bei einer solchen Gelegenheit aber die Wolken sich mehren und mehren, ist euch bekannt, wie auch, daß es am Ende in den Wolken zu blitzen und aus denselben ganz gewaltig zu regnen und mitunter auch zu hageln anfängt, was eine Wirkung der euch auch schon bekannten Friedensgeister ist.

8. Je heftiger aber bei einem Gewitter die Blitze folgen und leuchten, desto kälter wird bald darauf die Luft, – was alles eine Folge der Sich-zur-Ruhe-Legung der aufgeregten Naturgeister ist, wozu sie freilich von den mächtigen Friedensgeistern genötigt werden. Also ward es auch bei deiner großen, mächtigen Lichterscheinung, als sie verschwand, aus dem ganz gleichen Grunde kühl und ordentlich kalt. – Bist du nun auch darin im klaren?“

9. Sagt Mathael: „Herr, ich danke Dir für diese Aufhellung; ich bin nun auch darin im klaren!“

148. Kapitel. Der tödliche Fall des neugierigen Knaben.

1. Sage Ich: „Wenn also, da mußt du uns schon noch den Sterbefall erzählen von einem Knaben, der von einem Baume herabfiel und bald darauf verschied, und zugleich aber auch jenen eines Menschen, der sich selbst in einen Teich stürzte und ertrank und somit einen Selbstmord beging. Fasse dich aber kurz und gib uns nur die Hauptmomente kund!“

2. Mathael begann sogleich zu reden und sagte: „Nur um eine kleine Geduld bitte ich; denn ich möchte die beiden Fälle auf einmal zusammen erzählen und muß mich darum zuvor ein wenig fassen!“

3. Sagte Ich: „Tue das; Ich aber werde dir schon die rechte Art und Weise in den Mund legen, und es wird auch ohne eine Vorfassung gehen!“

4. Sagte darauf Mathael: „Ja, wenn also, dann werde ich mich freilich nicht lange zu fassen nötig haben und werde darum als sogleich die mir noch sehr wohl im Gedächtnisse haftenden beiden Begebenheiten so treu und wahr als mir nur immer möglich erzählen!“

5. Sagen alle laut: „Nun, hoher Vizekönig der Völker um den weiten Pontus bis an das Kaspische Meer, freuen wir uns alle ganz besonders auf deine Erzählungen; denn im Erzählen bist du wahrlich ein unübertrefflicher Meister!“

6. Sagt Mathael: „Zum Erzählen gehört vor allem eine kleine Sprachkundigkeit und eine große Wahrheitsliebe. Wer wahr erzählt, hat immer einen Vorzug vor einem Fabeldichter! Doch sei dem nun, wie ihm wolle; was ich euch nach dem Wunsche des Herrn zu erzählen habe, ist eine von mir erlebte Geschichte, wie ich deren von der Wiege an bis in mein zwanzigstes Jahr viele erlebt habe. Ich werde sie euch mit der Zunge geben, wie ich sie in meinem siebzehnten Lebensjahre erlebt habe an der Seite meines stets um mich seienden, durch meine Gesichte schon ganz weise gewordenen Vaters. Die beiden Geschichten aber lauten also:

7. Es war um die Zeit der allgemeinen Judenreinigung, wo – wie bekannt – am Jordanflusse der Sündenbock für alle Judensünden geschlachtet und geopfert und am Ende unter allerlei Geplärr und Gebetsformeln und Verfluchungen in den lieben Jordanfluß geworfen wird. Nun, darüber noch ein Wort mehr zu verlieren, wäre ein eitles und wertloses Geplauder, da derlei Zeremonie jedem noch so geringen Juden nur zu bekannt ist.

8. Weniger bekannt aber dürfte euch sein, daß damals bei dem erwähnten Sündenbocksopferfeste eine übergroße Volksmenge sich eingefunden hatte. Griechen, Römer, Ägypter und Perser waren zahlreich vertreten. Kurz, an Neugierigen gab es keinen Mangel!

9. Daß die Knaben von dem Schauspiele doch auch etwas sehen wollten, wird euch begreiflich sein. Daß sie aber wenig sehen konnten über die großen Leute hinweg, das wird euch auch begreiflich sein, und auch begreiflich, daß die Neugierde die nichtssehenden Knaben auf die nahestehenden Bäume trieb. Es dauerte gar nicht lange, als den vielen Knaben am Ende der gastlichen Bäume zu wenig wurden und sie sich auf den Ästen zu zanken begannen. Sie wurden wohl zu öfteren Malen zur Ruhe gewiesen, aber es halfen diese gutgemeinten Zurechtweisungen wenig oder auch gar nichts.

10. Ich und mein Vater saßen auf unseren Kamelen, die wir von einem Perser, den mein Vater von einer bösen Krankheit geheilt hatte, zum Geschenk erhielten; es waren beide Doppelhöcker und sonach zum Reiten um vieles bequemer denn die Einhöcker. Wir übersahen darum auch ganz bequem die ganze Geschichte. Unfern von unserm Standpunkte stand eine recht schöne und hohe Zypresse, auf deren schon von Natur aus eben nicht zu kräftigen Ästen sich drei Knaben zankten. Jeder war bemüht, sein Gewicht möglichst dem stärksten Aste anzuvertrauen.

11. Da aber dieser schon sehr bejahrte Baum eigentlich nur zwei Äste von einer noch derart soliden Stärke besaß, daß man ihnen sein Leben anvertrauen konnte, so stritten sich die drei Knaben um den Besitz der zwei stärkeren Äste, und ein dritter war genötigt, sich mit einem eigentlich mehr Zweige als Aste zu begnügen. In einer Höhe von immerhin gut fünf Mannslängen kauerte der dritte auf seinem Aste, der mehr ein Zweig denn ein Ast war.

12. Es ging aber die Sache eine Stunde nun leidentlich, bis sich gen Mittag hin ein ziemlich starker Wind erhob, der den Gipfel unserer Zypresse in ein recht bedenkliches Schwanken brachte und den Rauch vom stark dampfenden Opferaltare gerade diesen drei Knaben so recht armdick ins Gesicht trieb, daß sie die Augen zuhalten mußten, um nicht einen förmlichen Strom von Tränen umsonst zu vergießen.

13. In dieser höchst bedenklichen Stellung betrachtete ich mir den auf dem schwachen Zweigaste kauernden Knaben. Als der Rauch so recht, man könnte sagen, pfundschwer, ihm ins Gesicht getrieben ward, da bemerkte ich auf einmal zwei große Fledermäuse um seinen Kopf herumschwirren. Sie hatten die Größe von zwei ganz ausgewachsenen Tauben und trieben dem armen Kerl noch mehr Rauch ins Gesicht.

14. Ich machte hier meinen Vater aufmerksam und sagte zu ihm, daß hier sicher ehestens etwas Unangenehmes vor sich gehen werde. Ich sagte ihm auch, was ich sah, und daß mir die beiden Fledermäuse gar nicht natürlich vorkämen, und zwar aus dem Grunde, weil sie sich bald vergrößerten und bald wieder verkleinerten.

15. Der Vater lenkte sein Kamel, auf dem er saß, an den Baum und rief dem Knaben auf dem Baume zu, daß er vom Baume eiligst herabsteigen solle, ansonst er ein Unglück haben werde. Ob der Knabe meines Vaters ziemlich laut gesprochene Worte vernommen hatte oder nicht, weiß ich kaum als eine Wahrheit zu bezeichnen; denn ich bemerkte nur stets das frühere Schauspiel, und wie der sehr bedenklich auf dem Zweige kauernde Knabe sich stets mehr und mehr mit der Hand die vom dicken Rauche beleidigten Augen auszuwischen begann und nahe halbblind sein mußte.

16. Da der Vater aber sah, daß sein warnendes Rufen an den Knaben total ohne Wirkung blieb, so entfernte er sich wieder vom bedenklichen Baume, kam wieder zu mir und fragte mich, ob ich noch das Gesicht habe. Ich bejahte die Frage der vollen Wahrheit gemäß und beteuerte, daß der Knabe, wenn er nicht sogleich vom Baume entfernt würde, ein unvermeidbares Unglück werde erleiden müssen. Sagte der Vater: ,Ja, mein Sohn, was läßt sich da machen?! Eine Leiter haben wir nicht, und aufs Zurufen verläßt der Knabe den Baum nicht; man ist darum genötigt abzuwarten, was Gott der Herr über diesen ungehorsamen Knaben wird kommen lassen.‘

17. Mein Vater hatte gerade das letzte Wort ausgesprochen, als der schwache Ast, durch die stetige Bewegung des Knaben zu oft und zu sehr hin und her und auf und ab gebogen, brach, der Knabe, natürlich nun ganz stützlos, die Höhe von stark fünf Mannslängen häuptlings auf einen unter dem Baume befindlichen Stein mit aller Gewalt auffiel, sich die Hirnschale einschlug, das Genick brach und somit auch gleich tot liegenblieb.

18. Darüber entstand im Volke ein Spektakel; alles drängte sich hin zu dem verunglückten Knaben. Was half aber das nun, da der Knabe einmal tot war?! Die römischen Wachen trieben endlich das Volk auseinander, und es ward sogleich mein wohlbekannter Vater berufen, den Knaben zu untersuchen, ob er wirklich tot sei, oder ob an ihm etwa noch Wiederbelebungsversuche mit Erfolg angewendet werden könnten. Mein Vater befühlte des Knaben zerschmettertes Haupt und dessen Genick und sagte: ,Da hilft kein Kraut und keine Salbe mehr! Denn dieser ist nicht nur einfach, sondern zweifach tot und wird in dieser Welt nimmer lebend werden!‘“

149. Kapitel. Die geistigen Erscheinungen bei dem Unglück. Der Selbstmord des vom Tempel verfluchten Essäers.

1. (Mathael:) „Zugleich aber fragte mich der Vater, was ich etwa noch als etwas Besonderes an dem Knaben entdecke.

2. Ich sprach auf griechisch zu ihm und sagte: ,Jene beiden großen Fledermäuse haben über seiner Brusthöhle sich vereinigt, und zwar in der Gestalt eines ganz betrübt aussehenden Affen, und bemühen sich nun, von dem Leibe sich zu trennen, scheinen aber von demselben noch derart angezogen zu sein, daß es ihnen vorderhand noch nicht möglich ist, sich von dem Leibe ganz wegzumachen; aber je länger da ihre Mühe dauert, desto mehr werden sie eins, und – da, nun sind sie als ein flüchtig Wesen vom Leibe los! Das hockt und springet nun noch um den Leib, als suchte es irgend etwas!‘

3. ,Das wird doch nicht die Seele des Knaben sein?‘ sagte der Vater.

4. Sagte ich: ,Ja, das weiß ich wahrlich selbst durchaus nicht! Sollte so ein verwahrloster Knabe denn im Ernste noch keine bessere Seele haben?! Nun hockt dies sonderbare Wesen beim noch blutenden zerschmetterten Kopfe und tut, als leckte es das Blut aus der großen Wunde. Es bringt aber dennoch nichts von der Stelle! Nur den leichten und ganz schwach sichtbaren Blutdampf schlürft es ein und bekommt dadurch ein etwas mehr menschliches Aussehen. – Aber nun kommen Träger, die höchst wahrscheinlich den Leichnam von der Stelle schaffen werden! Bin neugierig, ob dies Affenwesen sich auch mit bewegen wird!‘

5. Es kamen in diesem Momente vier Träger mit einer ziemlich langen Stange, banden den Leichnam mit Leintüchern an die Stange, hoben ihn auf und trugen ihn von dannen.

6. Sagte ich: ,Aber das Wesen bleibt und sieht um sich wie jemand in einer großen Leere, in der nirgends etwas zu erschauen ist. Uns Leibesmenschen scheint es nicht zu sehen. Nun kauert es sich an der Stelle nieder, wo der Knabe vom Baume herabgestürzt ist, und macht Miene, als wollte es einschlafen. Das muß denn doch im Ernste die Seele des Knaben sein!‘

7. Sagte der Vater: ,Nun, glücklicherweise geht die Bockvernichtungsgeschichte ihrem Ende zu! Nur noch die Sentenz (Urteilsspruch) über jene, die von dieser allgemeinen Reinigung als zu große und böse Sünder ausgeschlossen sind, dann wird es gar sein! Wie alle Jahre: immer eine und dieselbe Geschichte, – für mich ohne Segen, Kraft und Nutzen, und ich glaube, auch für jedermann!‘

8. Darauf schwieg der Vater, hörte die Sentenzen an und ärgerte sich nicht wenig darüber, als der erste Fluch über die armen Samaritaner, dann erst über alle Heiden, über die Essäer, Sadduzäer und, so mehr leichtweg, auch über unbußfertige Blutschänder, Bruder-, Vater- und Muttermörder, Tierschänder und Ehebrecher und – mit der fürchterlichsten Sentenz – am Schlusse über die Verächter des Tempels und seiner Heiligtümer ausgesprochen ward.

9. Nach dieser durchaus nicht erbaulichen Zeremonie, bei der jeder Fluch dem Gewande des Hohenpriesters einen gewaltigen Riß zubrachte, zog sich bald alles in die Stadt zurück; nur ein Mensch, den wahrscheinlich die wohlmeinenden Fluchtsentenzen etwas mehr als recht aus der Lebensfassung brachten, blieb an einem Teiche stehen, der unfern von uns lag und eigentlich ein alter, noch immer sehr tiefer, vom Jordan erzeugter Tumpf war, von dem einige Narren fabelten, als hätte sich durch dieses bei hundert Mannslängen im Umkreise habende Loch das Wasser der Sündflut von der ganzen Erde verloren in einem Jahre und etlichen Tagen. Daß dieser Tumpf zwar sehr tief ist, das ist wahr, – aber ohne Grund und Boden wird er wohl auch nicht sein.

10. Es kam meinem Vater etwas verdächtig vor, wie der Mensch gar so stier und wirr von einem ins Wasser des Teiches stark vorspringenden Felsen in den schwarzen Tumpf hineinsah. Er fragte mich, ob ich etwa um jenen Mann herum oder etwa über ihm etwas Ungewöhnliches entdecke.

11. Ich sagte, wie es vollkommen wahr war: ,Ich entdecke nichts, kann aber dennoch nicht leugnen, daß mir der ganze Mensch durchaus nicht gefällt! Ich glaube, daß man da gar kein irriges Prognostikon stellete, so man behauptete: Der wird ehestens mit dem ganzen, höchst eigenen Leibe untersuchen gehen, wie tief etwa der Tumpf ist!‘

12. Ich gebe das so getreu wieder, wie ich damals geredet habe, obwohl mein Vater es nie gerne hörte, wenn ich so bei ganz ernsten Dingen ein wenig zu witzeln anfing, – wozu ich ein ganz besonderes Talent besaß. Daher wolle Du, Herr, es hier mir auch gnädigst nachsehen, wenn ich mich hier eben jener Worte bediene, deren ich mich damals bedient habe!“

13. Sage Ich: „Wie du redest, also ist es recht; denn also will Ich es, und also lege ja Ich Selbst dir sozusagen die Worte in den Mund! Erzähle nun weiter; alle hören dich mit aller Aufmerksamkeit an!“

14. Und Mathael begann gleich weiterzuerzählen und sagte: „Ich aber hatte kaum das letzte Wort ausgesprochen, so hob der Mensch seine Hände in die Höhe und sagte sehr laut: ,Der Hohepriester hat mich verflucht, weil ich ein Essäer ward und den Tempel verlassen habe, um zu erlernen eine andere und bessere Weisheit, die ich aber dort ebensowenig fand wie in dem Tempel zu Jerusalem. Ich aber bin reuig in den Tempel zurückgekehrt und habe gebetet und geopfert; aber der Hohepriester verwarf mein Opfer, schalt mich einen allerärgsten Tempelschänder und verfluchte mich für ewig, indem er sieben Risse in sein Kleid tat. Nun, bei der allgemeinen Reinigung, hoffte ich eine Milderung seines ausgesprochenen Fluches zu erlangen; allein vergeblich harrte ich darauf! Er bekräftigte nur noch mehr den alten Fluch und machte mich zu einem Verfluchten vor Gott und den Menschen! Ich bin also verflucht! – So sei ich denn verflucht!‘ – Mit diesen überlaut geschrieenen Worten stürzte er sich vom Felsen hinab in den Teich und ertrank.“

150. Kapitel. Die Seelen der beiden Verunglückten im Jenseits.

1. (Mathael:) „Es dauerte aber gar nicht lange, so entdeckte ich etwas wie ein graues Menschengerippe auf der Oberfläche des Wassers langsam herumschwimmen, begleitet von ganz sonderbar aussehenden schwarzen Enten. Es mögen derer bei zehn an der Zahl gewesen sein. Nur die Füße, aber erst unter den Knöcheln, waren ganz mager befleischt; alles andere waren haut- und fleischlose Knochen, was mir im hohen Grade sonderbar vorkam. Anfangs lag das schwimmende Gerippe mit dem Gesichte nach oben gekehrt; aber nach etwa einer halben Stunde hatte es sich umgedreht, fing wie ein gewandter Schwimmer mit Händen und Füßen an zu arbeiten und schien sich zu bemühen, die schwarzen Enten von sich abzuwehren. Diese aber waren hartnäckig und wollten den sehr unheimlich aussehenden Schwimmer durchaus nicht verlassen.

2. So trieb sich dies rätselhafte Gebilde eine gute Stunde, bald schneller und bald wieder langsamer, auf des Teiches Oberfläche nach allen Richtungen herum, tauchte auch ein paar Male unter und kam wieder in die Höhe. Ich hätte dies Ungetüm für ein Wassertier gehalten, wenn mein Vater dasselbe auch gesehen hätte; aber er konnte seine sonst scharf sehenden Augen noch so sehr anstrengen, so konnte er aber dennoch nichts erschauen, wodurch ich dann ganz natürlich die Überzeugung gewinnen mußte, daß das im Teiche herumschwimmende Totengerippe etwas Unnatürliches, also Seelisches und Geistiges, war. Nach einer Stunde ward es ganz ruhig, und die schwarzen Enten taten, als nippten sie dem Gerippe noch irgendein vorhandenes Stück Fleisches herab.

3. Weil da nichts von irgendeiner Bedeutung mehr geschah, so kehrten wir wieder zu unserem Affen zurück, der sich eben emporzurichten anfing und zu versuchen begann, auf den zwei Hinterbeinen zu stehen und schlechtweg zu gehen. Aber mit dem Gehen ging es schlecht. Das Wesen sank bei jedem fünften Schritte mit den Vorderbeinen zur Erde, erhob sich jedoch schnell wieder und sah sich dabei stets nach allen Richtungen um, und man konnte aus dem Charakter des emsigen Umherschauens den Schluß ziehen, als fürchte sich das Wesen vor irgend etwas oder als habe es einen bedeutenden Hunger und sehe sich nach einer ihm zusagenden Kost um. Mit diesen Geh- und Stehversuchen kam es bis zu unserm berüchtigten Teiche. Dort ersah es aber bald unser Gerippe, das sich nun wieder im Teiche in der Gesellschaft der unheimlichen Enten herumtrieb.

4. Als unser Affe, oder sicher unseres verunglückten Knaben Seele, des Gerippes ansichtig ward, da stieß er einen heftigpfeifenden Schrei aus und betrachtete das Gerippe mit einer besonderen Aufmerksamkeit. Nach einer Zeit von etwa einer halben Stunde richtete er sich ganz gerade wie ein Mensch auf, und ich vernahm ganz deutlich die Worte in einer Art Lispelstimme: Das war meines schlechten Leibes unglücklicher Vater! Wehe ihm und mir; denn uns beide hat Jehovas Zorn und Gericht ereilet! Bei mir kann immerhin noch geholfen werden; aber wie wird ihm zu helfen sein?

5. Hier hielt der Affe inne und zeigte ein höchst betrübtes Gesicht, während im Teiche die schwarzen Enten ganz munter das nicht viel Leben äußernde Gerippe im Wasser herumneckten und herumtrieben. Dieser Stand dauerte nun abermals eine gute halbe Stunde, und es verliefen sich bei der Gelegenheit nahe auch alle Menschen bis auf etliche wenige Römer und Griechen, die aber in einem sehr geschäftlichen Diskurse standen und auf unsere stillen Beobachtungen gar nicht achteten.

6. Mein Vater fragte mich, ob ich irgend weiteres noch bemerke. Ich verneinte und sagte ganz kurz: ,Nicht das Geringste bis jetzt!‘

7. Da meinte der Vater, daß wir gehen könnten; denn da werde schon alles Sehens- und Denkwürdige beisammensein, und es dürfte uns etwas Weiteres, was da Jehova mit den beiden Seelen unternehmen werde, kaum kümmern.

8. Ich aber sagte: ,Vater, bei drei Stunden Zeit haben wir den beiden Seelen gewidmet und haben auch nichts davon außer ein stilles, trauriges Spektakel vor meinen Augen; widmen wir ihnen darum noch eine Stunde, – vielleicht kommt da doch noch irgend etwas Interessantes heraus!‘ Der Vater war mit meinem Antrage ganz zufrieden, und wir blieben. Nach wenigen Augenblicken dieser unserer Unterredung aber bekam die Sache plötzlich ein anderes Gesicht.

9. Der Affe richtete sich plötzlich ganz voll Grimmes auf, sprang auf des Wassers Oberfläche und fing daselbst an, die unheimlichen Enten zu fangen, und wehe jeder, die er gefangen hatte! In einem Nu ward sie in tausend Stücke zerrissen! Bis auf fünf hatte er alle vernichtet; die übriggebliebenen fünf aber machten sich auf und davon.

10. Als diese bösen Enten auf diese Weise verschwunden waren, hob der Affe das Gerippe aus dem Wasser und setzte es, mir sichtbar, ungefähr fünf Schritte weg vom Teiche auf einen recht schönen Rasenfleck und sagte dann: ,Vater in deiner großen Armut, vernimmst du meine Stimme, vernimmst du mein Wort?‘ Da nickte das sitzende Gerippe mit dem offenbarsten Totenschädel und gab dadurch offenbar zu verstehen, daß es des Sohnes Worte vernehme und sicher auch verstehe.

11. Und der Affe, der nun aber zusehends mehr Menschliches in seiner Form annahm, erhob sich, als hätte er eine bedeutende Gewalt, und sagte nun mit einer mir sehr wohl vernehmbaren Stimme: ,Vater! So es einen Gott gibt, da kann es nur einen guten und gerechten geben! Dieser Gott verflucht niemanden; denn so der Mensch ein Werk dieses Gottes ist, kann er keine Pfuscherei, sondern nur ein Meisterwerk sein! Fände sich aber ein Meister, der im Ernste sein Werk verfluchte, so stünde er ja tief unter einem ärgsten Pfuscher; denn sogar ein Pfuscher verdammt sein Werk nicht, sondern hält sich darauf noch was zugute. Und Gott als ein Großmeister aller Meister sollte Seine Werke verfluchen?

12. Das Verfluchen und Verdammen ist eine Erfindung der Menschen als Folge der Blindheit und Unausgebildetheit der menschlichen Natur. Die Fehltritte, die ein erst werdender Mensch begeht, sind Proben, wie der selbständig werden sollende Mensch seine Willensfreiheit gebrauchen soll, und das Handeln des Menschen ist eine Übung der Sichselbstbestimmung in der Sphäre des Erkennens sowohl, als auch in der Sphäre des freien Wollens in einer gewissen Ordnung, die also gestellt sein wird durch alle endlosen Reihen der großen Schöpfungen des einen weisen Schöpfers, daß nur in solch einer Ordnung eine Existenz der Wesen für zeitlich und ewig denkbar ist und sein kann.

13. Der Fluch der Menschen ist ein böses Stück aus ihrer Nachtseite; sie verderben sich und ihre Nebenmenschen und stürzen am Ende Völker in die größte Not, in den größten Jammer und in alle Verzweiflung. Dich, meinen armen Erdenvater, tötete des Hohenpriesters zehnfacher Fluch, obwohl du vor Gott dich nicht eines Fluches würdig gemacht hast. In deiner großen Verzweiflung nahmst du dir selbst das zeitliche Leibesleben und bist nun elend hier als eine traurigste Ausgeburt des pur menschlichen Divinationshochmutes; ich aber habe sicher Gnade von Gott bekommen und so viel Einsicht und Kraft, den zehnfachen Hohenpriesterfluch, der dich in der Gestalt schwarzer Wasservögel plagte, von dir zu entfernen, und du bist nun im Freien und Trockenen. Ich aber werde nun alles aufbieten, dir hier in dieser deiner großen Not und Armut zu helfen, soviel mir meine Lebenskraft gestatten wird!‘

14. Während dieser Rede gewann der frühere Affenmensch stets mehr und mehr an wahrhaft menschlicher Form, und nach dem Schlusse der angeführten Anrede ward der Mensch vollkommen ausgebildet zu einer ganz anmutigen Menschenform und wurde angetan wie aus der Luft mit einem lichtgrauen Faltenkleide. Neben ihm aber lag noch etwas in einem Tuche Eingewickeltes. Der nun ganz schöne Knabe löste es und zog ein langes, aber dunkelgraues Hemd hervor und sagte: ,Aha, das ist ein Kleid für dich; laß es zu, daß ich es dir anziehe!‘

15. Der Gerippemensch nickte bejahend, und der Knabe legte ihm das Hemd in einem Nu an und band ihm das Tuch, das von einer etwas helleren Farbe war, um die Stirne in der Art eines Turbans, und es bekam dadurch das Gerippe ein besseres Ansehen. Der nun ganz mutige Knabe griff darauf dem Alten unter die Arme und wollte ihn aufrichten zum Stehen; aber das gelang ihm nicht.

16. Nach mehreren Versuchen rief der Knabe, der nun schon eine Jünglingsgröße hatte, mit durchdringend lauter Stimme, die sogar mein Vater gehört zu haben vorgab, aber ohne Artikulation: ,Jehova! Wenn du irgendwo bist, so sende mir und meinem Vater irgendeine Hilfe! Er hat nicht gesündigt, sondern derer gröbste Sünde, die als Menschen ein göttliches Ansehen sich anmaßen, um von der Welt desto mehr Ehre und Nutzen zu ziehen, hatte ihn wie ein aus den Wolken gefallener Stein ordentlich zermalmt, und er liegt nun hier als eine arme, von der Welt verdammte Seele! Wird sie darum auch von Dir aus für ewig verdammt sein und bleiben? Gib ihr wenigstens eine Haut über die scheinbaren Knochen! Denn zu sehr dauert mich des Vaters zu grauenerregende Kahlheit! Hilf Jehova, hilf!‘

17. Auf diesen Ruf erschienen bald zwei mächtige Geister und rührten das Gerippe in der Gegend der Schläfe an. Augenblicklich bekam es Sehnen, Haut, etwas wenig Haare und – wie es mir vorkam – auch die Augen, aber sehr hohl und tiefliegend. Aber keiner von den beiden Geistern verlor ein Wort, und sie verschwanden nach dieser Handlung alsogleich wieder.

18. Darauf versuchte der nun schon ganz vergnügt aussehende Knabe den nunmaligen Skelettmenschen aufzurichten, daß er stehe; und es gelang ihm diesmal. Als der Alte nun stehen konnte, fragte der Junge ihn, ob er auch gehen könnte. Der Alte bejahte solches mit einer äußerst kreischend hohlen Stimme; der Junge aber griff ihm gleich unter die Arme, und beide bewegten sich nun gegen Süden weiter, und bald wurden sie mir unsichtbar.“

151. Kapitel. Jesu Erklärung der jenseitigen Seelenzustände der beiden Verunglückten.

1. (Mathael:) „Das waren die beiden Historien, die ich erlebt habe. Was mit den beiden weiterhin im Reiche der Geister geschehen ist, weiß ich ganz sicher nicht; also verstehe ich auch trotz Deiner früheren Erklärungen durchaus noch lange nicht, was bei dem vom Baume gefallenen Knaben die beiden Fledermäuse, die später in eine Affengestalt zusammenschmolzen, zu bedeuten und zu besagen haben, und wie und warum mir endlich die Seele des Selbstmörders auf der Oberfläche des Wassers als ein vollkommenes Totengerippe nahe ohne Leben erschaubar vorkam. Woher kamen die zehn schwarzen Enten, und warum plagten sie das Gerippe? Wie konnte endlich des Knaben noch immer affengestaltige Seele der zehn bösen Vögel Herr werden? Was hat die Bekleidung zu bedeuten, woher kam sie, und welche Wirkung übte sie nach ihrer Art auf die beiden verschiedenen Seelen aus?

2. Ja, es gäbe hierbei noch so manches, darüber sich vieles fragen ließe; aber für mich sind vor allem die Punkte wichtig, über die ich meine Unwissenheit kundgetan habe durch die Fragen, und über die mir eine gnädigste Erklärung wohl zustatten käme. So jemand anders aus uns noch über irgendeine Nebenerscheinlichkeit eine Erklärung wünscht, der wird sich wohl auch fraglich äußern dürfen?!“

3. Sagt Cyrenius: „Freund, bei diesen deinen Erzählungen ward es mir ganz sonderbar zumute! Das menschliche Leben kommt mir vor wie ein auf einer Bergebene ganz ruhig und harmlos dahinfließender Strom. Aber am Ende der Bergebene stürzt der früher so ruhige Strom mit dem schrecklichsten Ernste in eine unabsehbare Tiefe, und mit donnerndem Getöse bohrt er sich ein schaurig tiefes Ruhebett, – findet aber keine Ruhe! Denn seines eigenen Falles Gewalt treibt ihn fort und fort aus dem Lager seiner Ruhe mit großem Ungestüm hinaus, und er muß fliehen und fliehen, bis er irgend verschlungen wird von des Meeres Allgewalt und unmeßbarer Tiefe.

4. O Herr, erläutere uns doch zu unserm Troste solch schreckbar ernste Momente des sonst so schönen Lebens! Nehmen wir an unsern Menschen, der nach der Erzählung des Bruders Mathael in den Teich, der mir ganz wohl bekannt ist, gesprungen ist, um seinem verzweiflungsvollen Leben ein Ende zu machen. Welch eine erschreckliche Veränderung gleich nach dem Sprunge! Es scheint wohl bald nachher eine Art Milderung einzutreten; aber wie sieht diese aus! Welch eine Unbestimmtheit, welch ein Elend! Daher gib Du, o Herr und Meister, eine tröstliche Erklärung über alles das vom Bruder Mathael Geschaute und schauderhaft treu Erzählte!“

5. Sage Ich: „Allerdings ersehen wir hier ein paar entsetzlich traurig aussehende Lebensmomente, die wahrlich voll Ernstes sind. Aber was willst du tun, um ein durch die Einwirkung der Welt und ihrer höllischen Gelüste total zertragenes Leben, damit es nicht ganz zerrinne und sich verliere, zu retten und es nach und nach in das rechte Geleise zu lenken? Muß solch ein Leben nicht mit allem Ernste ergriffen werden?

6. Ja, es ist wahr, dieser Ergreifungsmoment hat allerdings für den Zuschauer etwas höchst Abstoßendes! Der Übergang durch ein allerengstes Pförtchen ist wohl freilich nicht so angenehm anzusehen wie das Gesicht einer ganz kerngesunden jungfräulichen Braut; aber er führt den eigentlichen Menschen ins Leben ein, und das in ein wahres und ewig unvergängliches Leben! Und aus diesem Grunde hat am Ende solch ein ernstester Lebensmoment für den, der ihn versteht, noch immer mehr Tröstliches als das lachende Frühlingsgesicht einer jungfräulichen Braut. – Nun aber wollen wir denn zu einiger Beleuchtung dessen übergehen, was wir vom Mathael vernommen haben!

7. Mathael ersah beim Knaben schon zuvor zwei große Flattermäuse, die um ihn herumschwirrten, als derselbe vom Baume fiel und sogleich völlig tot liegenblieb. Der Knabe war fürs erste ein Abkömmling pur dieser Erde. Die puren Erdkinder aber, wie ihr es aus Meinen Erklärungen schon oft vernehmen und wohl einsichtlich verstehen konntet, sind seelisch und auch leiblich aus der gesamten organischen Schöpfung dieser Erde zusammengesetzt. Dafür liefert schon die höchst verschiedene Nahrung für den Leib, die ein Mensch zu sich nimmt, den Beweis, während ein Tier in der Wahl der Nährkost sehr beschränkt ist. Damit aber der Mensch allen Intelligenzpartikeln, aus denen seine Seele besteht, aus den zu sich genommenen natürlichen Nährstoffen eine entsprechende Seelennahrung zuführen kann, kann er eben auch so verschiedenartige Nahrungsteile aus dem Tier-, Pflanzen- und auch Mineralreiche zu sich nehmen; denn der substantielle Formleib der Seele wird gleich wie der Fleischleib aus der zu sich genommenen Naturkost genährt und ausgereift.

8. Nun kommt es aber noch darauf an, aus welcher vorhergehenden Kreatursphäre ein pur diesirdischer Mensch seine Seele nach den aufsteigenden Graden erhalten hat. Und es ist dann, besonders bei Kindern, fürs zweite der Umstand zu erwägen, daß ihre Seele für sich noch immer Spuren jener Vorkreaturgattung in sich birgt, aus der sie zunächst in eine Menschenform überging. Wird ein Kind gleich in eine gute Erziehung gebracht, so geht die Vorkreaturform bald völlig in die Menschenform über und festigt sich stets mehr und mehr in derselben. Wird aber bei einem Kinde die Erziehung sehr vernachlässigt, so tritt in dessen Seele bald mehr und mehr die Vorkreaturform in den Vordergrund und zieht nach und nach sogar den festgeformten Leib in die besagte Vorkreaturform, und man kann bei so manchem rohen Menschen mit leichter Mühe erkennen, welche Form seine Seele sicher ungezweifelt vorherrschend besitzt.

9. Wenn Ich also früher sagte, daß der Knabe pur aus dieser Erde seelisch und leiblich abstamme, so werdet ihr bei seiner verwahrlosten Erziehung wohl nun einsehen, warum seine Seele anfangs auf dem Baume, noch bevor er herabfiel, schon in der Gestalt von zwei Flattermäusen im Augenblicke ersichtlich war, als er, teils durch zu angestrengtes Sich-Festhalten an den Baum und teils durch den dicken Qualm erstickt, in eine krampfhafte Ohnmacht verfiel, die ihn eine Zeitlang wohl noch auf dem Baume erhielt, obschon er von sich aus nichts mehr wußte.

10. Denn solange eine Seele im Momente des Sterbens nicht völlig vom Leibe getrennt sein wird, so lange ist sie infolge ängstlicher Perturbation (Verwirrung) ganz ohne Bewußtsein. Es ergeht ihr wie einem, der mit dem Gesichte nach auswärts auf einer Spindel fest angebunden wäre, die sich in einer ungemein schnellen Umdrehung befindet. Der kann da schauen, wie er schauen will, so wird ihm dennoch kein Gegenstand ersichtlich werden; höchstens wird er einen mattfarbigen Dunstkreis um sich erschauen, der bei erhöhter Schnelligkeit des Sich-Umdrehens und bei dadurch zunehmender Unstetigkeit des Sehorgans in eine völlige Nacht übergehen kann.

11. Wie aber das Sehorgan eine Ruhe haben muß, um ein Objekt als das auszunehmen, was es ist, also benötigt die Seele eine gewisse innere Ruhe, um zu einem sichern und hellen Bewußtsein ihrer selbst zu gelangen. Je mehr die Seele in sich selbst beunruhigt wird, desto mehr verschwindet denn auch ihr klares Selbstbewußtsein; und ist die Seele einmal in eine möglich höchste Unruhe versetzt, dann weiß sie von sich selbst so gut wie nichts mehr auf so lange, bis sie in die Ruhe zurückgekehrt ist. Und dieser Moment tritt bei Sterbenden um so mehr ein, auf einer desto niederen Lebensbildungsstufe eine Seele stand. Ah, bei einer lebensvollendeten Seele tritt dieser etwas traurig aussehende Moment freilich wohl nicht ein, wie Mathael solches beim Sterben des alten Lazarus ganz gut gesehen hat, da dessen Seele keine wie immer geartete Unruhe merken ließ.

12. Der Knabe auf dem Baume war etwa eine Viertelstunde lang leiblich nahe schon völlig tot und wußte von sich nichts mehr; seine Seele wie sein Leib waren sonach schon von der allerdicksten Finsternis umflossen. Und eine Seele, die in eine zu große Unruhe gerät, fängt an, sich ordentlich zu teilen in die früheren, kleineren und unvollkommeneren Vorlebenskreaturen; daher wurden hier auch zuerst zwei Flattermäuse ersichtlich. Erst nachdem der Knabe durch die Zerschmetterung seines Gehirns außer allem Verbande mit seiner Seele trat, kam bald mehr Ruhe in die zerstörte Seele, die beiden seelischen Vorkreaturen ergriffen sich, und bald ward ein Affe als letzte Vorkreatur ersichtlich; er bedurfte aber einer längeren Ruhe bis zum vollkommenen Sich-Ergreifen, und dann noch mehr Ruhe bis zum Sich- wieder-Erkennen und Seiner-selbst-bewußt-Werden. Darum kauerte er auch eine längere Weile an der Stelle, wo sein Leib vom Baume fiel, mehr instinktmäßig als wissend, was da vorgefallen ist.

13. Aber nach und nach kehrte das Bewußtsein und das Sich-wieder- Erkennen stets mehr zurück, und der Affe bekam danebst auch ein stets menschlicheres Aussehen und fing an, sich emporzurichten. Sein seelisches, ständig weiter reichendes Wahrnehmungsgefühl fing an, die Nähe der verunglückten Seele seines irdischen Vaters wahrzunehmen. Er verließ seinen Kauerplatz, bewegte sich nach dem Zuge seiner Wahrnehmung zum Teiche hin und erkannte nun vollkommen seines Vaters mit zehnfachem Menschenfluche belastete und geplagte Seele.

14. Da erwachte in ihm die Kindesliebe, mit ihr aber auch zugleich die Frage nach Gott und Seiner wahren Gerechtigkeit; mit alldem aber erwachte in ihm auch ein ganz gerechter Zorn gegen den Fluch, den die Menschen in ihrem endlosen Hochmut gegen die armen, aber im Grunde viel besseren Mitmenschen zu schleudern sich erkühnen. Mit dem erkannte der nun schon viel vollkommenere Affenmensch in sich aber auch die Kraft, es mit den zehn Fluchteufeln aufzunehmen, die in der Gestalt schwarzer Enten seines Vaters Seele über die Gebühr hinaus plagten.

15. In diesem erhöhten Selbstbewußtsein stürzt sich der Affenmensch in den Teich und fängt, von seiner Kindesliebe zu seinem armen Vater getrieben, unter den zehn Fluchteufeln eine gar üble Wirtschaft an; in wenigen Augenblicken sind sie vernichtet, und der Affenmensch bekommt dadurch schon nahe ein ganz menschliches Aussehen.

16. Seine Liebe aber fängt an, auch in der toten Vaterseele neue Lebenswurzeln zu schlagen. Dies gibt dem Sohne noch mehr Liebe und mehr Kraft, und mit dieser reißt er den Vater aus dem Orte seines Unterganges und seines Verderbens und bringt ihn sonach aufs Trockene, allda durch des Sohnes Liebe auch für des Vaters künftiges Sein ein fester Ruhegrund sich gestaltet und liebtreulich vorfindet. Da aber des Sohnes Liebe wächst, so wird auch stärker sein Licht; aus diesem Licht erkennt er die Unzulänglichkeit seiner Kraft und wendet sich ganz ordentlich an Gott, daß Er helfe seinem Vater. Und die Hilfe bleibt nicht unterm Wege; es kommt Bekleidung und die Kraft zum Fortkommen in eine bessere und vollkommenere Lebenssphäre, allwo des Vaters Seele von des Sohnes stets wachsender Liebe genährt, wieder zu einem geistigen Fleische und Blute gelangt und endlich sogestaltig fähig wird, Gott zu erkennen und einzugehen in Seine Ordnung, – was bei Selbstmördern stets eine ungemein schwere Sache ist.“

152. Kapitel. Die verschiedenen Arten der Selbstmörder und deren Zustände im Jenseits.

1. (Der Herr:) „Es gibt aber auch Unterschiede bei den Selbstmördern. So jemand aus dem Grunde, weil durch jemand anders sein großer Hochmut zu sehr gedemütigt ward und ihm dafür gar keine Möglichkeit zu einer Rachenehmung offensteht, sich das Leibesleben nimmt, so ist das eine böseste Art des vorsätzlichen Selbstmordes. Eine solche Art des Selbstmordes kann an einer Seele nimmer völlig gutgemacht werden. Tausendmal Tausende von Jahren werden erfordert, um eine solche Seele nur zum wenigsten zu einer Umhäutung ihrer dürren, aller Liebe baren Scheinknochen zu bringen, geschweige zu einer Inkarnierung ihres ganzen Wesens; denn die Inkarnierung ist ja eben ein Produkt der Liebe und erweckt auch wieder Liebe.

2. Wenn jemand eine Jungfrau ansieht, die in ihrer fleischlichen Formsphäre sehr vollendet dasteht und vor Üppigkeit strotzt, so wird er von solch einer Gestalt alsogleich durch und durch ergriffen, und sein Herz wird sogleich eine liebeglühige Sehnsucht dahin an den Tag legen, diese Jungfrau sein nennen zu können. Ja warum denn das also? Weil der Jungfrau fleischliche Üppigkeit pur ein Produkt vieler Liebe ist! Was als Stoff aber die Liebe zum Grunde hat, kann und muß im Nebenmenschen auch das erwecken, was es selbst ist.

3. Treten wir aber zu einer andern Jungfrau hin, die ganz entsetzlich mager ist, und Ich sage es euch, daß diese niemandes Herz besonders mächtig rühren wird; man wird sie heimlich bemitleiden, aber verlieben wird sich schwerlich jemand in sie. Warum denn da wiederum also? Weil über ihren Knochen viel zu wenig desjenigen Materials hängt, das nur ein Produkt der Liebe ist!

4. Eine Seele, die schon hier pur Liebe war, sieht jenseits gleich allerreizendst, der Form nach überaus vollendet aus. Eine geizige und sehr eigenliebige Seele sieht dagegen üppigst und somit sehr mager aus; aber etwas Fleisch und Blut ist noch immer da, weil eine solche Seele doch noch wenigstens die Liebe zu sich selbst hat. Ein Selbstmörder aber ist auch dieser Liebe vollkommen ledig, und seine Seele muß daher notwendig als ein ganz dürres Gerippe im Jenseits erscheinen. Es kommt nun nur noch darauf an, ob als menschliches oder als irgendein tierisches Gerippe!

5. Wir haben schon ehedem berührt, wie es mehrere Arten des Selbstmordes geben kann, und Ich habe bereits die schlimmsten ausführlich erwähnt. Nun, ein schlimmstartiger Selbstmörder kommt jenseits nicht in der Form eines menschlichen Gerippes zum Vorschein, sondern in dem eines Drachen, einer Schlange oder eines höchst wilden, reißenden Tieres. Warum? Das könnet ihr euch nun wohl gar leicht denken! Eine solche Seele wird nie mehr in eine völlige Lebensvollendung eingehen können.

6. Daneben gibt es Selbstmörder aus Eifersucht um einer Jungfrau willen, der ein anderer ohne ihr Verschulden besser gefiel als der eifersüchtige Patron, der sie bei jedem Zusammenkommen mit allen möglichen Vorwürfen quälte und ihr Verbrechen der Untreue andichtete, an die sie nie gedacht hatte. Ein solcher kommt jenseits im Gerippe eines Wolfes, Hundes oder Hahnes zum Vorscheine, weil dieser Tiere Lebensnaturen den Verstand und den Willen solch eines eifersüchtigsten Toren leiteten, da sie als Vorkreaturen das eigentliche Hauptwesen solcher Seele bedingten. Auch solche Selbstmörder werden einst höchst schwer nur zu einiger Vollendung des Lebens gelangen.

7. Dann gibt es Selbstmörder, die geheim ein großes Verbrechen begangen haben, auf das, ihnen bewußt, eine schimpflichste und schmerzlichste Todesstrafe gesetzt ist. Sie wissen, daß ihr Verbrechen offenbar werden muß. Was geschieht da gewöhnlich? Ein solch geheimer Verbrecher geht aus größter Furcht und aus seiner gerechten Gewissensqual in die vollste und finsterste Verzweiflung über und erwürgt sich selbst. Eine solche Seele erscheint jenseits im Skelett ihrer Vorkreaturen, als etwa der Molche, Eidechsen und Skorpione, die alle auf einem Haufen zusammenkauern, um den ein Glutwall gezogen ist, gewöhnlich in der Form einer glühenden Riesenschlange. Auch der Glutwall gehört zur Vorkreatur einer und derselben Seele und ist ein Intelligenzteil derselben.

8. Kurz, wenn eine Seele einmal, auf Grund einer schlechten Erziehung, aller Liebe, auch der zu sich selbst, bar geworden ist, dann ist von der ganzen Hölle, als des Lebens ärgstem Feinde, auch die ganze Seele durchdrungen und wird dadurch in sich selbst ein Feind des eigenen Lebens und Seins und trachtet stets, auf irgendeine schmerzlose Art dasselbe zu vernichten! Bei solch einer totalen Lebensfeindschaft muß am Ende ja alles aus den Lebensfugen gehen, und eine solche Seele kann dann jenseits doch unmöglich anders als ganz in ihre Urlebenssonderformen aufgelöst erscheinen, und da nur in deren fleischlosen Skeletten, die bloß das notwendige Gericht in sich tragen.

9. Der Knochen, beim Menschen wie beim Tier, ist der am meisten gerichtete und somit aller Liebe barste Teil, und weil in den Knochen, sowenig wie in einem Steine, sich eine Liebe zum Leben aufhalten kann, so bleiben diese, wenn auch substantiell seelisch nur, am Ende als solche Entsprechungsteile übrig, in denen sich nie irgendeine Liebe aufhalten kann. Menschenknochen aber sind noch immer fähiger, sich mit Leben zu umkleiden, als die Tierknochen, und gar die Skeletthülsen der Insekten und die Knorren, Knorpeln und Gräten der Amphibien.

10. Wenn jenseits dann ein Selbstmörder in der vorbeschriebenen Art erscheint, so könnet ihr es euch nun schon vorstellen, wie schwer und wie lange es hergehen wird, bis eine solche Seele nur einmal dahin kommt, in ein menschliches Gerippe überzugehen und dann eine Haut und gar irgendein Fleisch aus sich selbst bekommt.

11. Aber es entsteht in euch nun die Frage, ob eine solche Seele auch irgendwelche Schmerzen leide. Und Ich sage es euch: zuzeiten die größten und brennendsten, zuzeiten auch wieder gar keine! Wird sie ihrer noch immer möglichen Wiederbelebung halber von den sich zu dem Behufe nahenden Geistern gewisserart aufgerührt, so empfindet sie in ihren Teilen einen brennendsten Schmerz; kommt sie aber wieder zur Ruhe, dann ist in ihr weder ein Gefühl, ein Bewußtsein, noch somit irgendein Schmerz vorhanden.

12. Es gibt aber noch weiter eine Menge Arten des Selbstmordes, die aber in ihren Folgen nicht so bösartig auf die Seele einwirken wie die beiden soeben beschriebenen; jedoch irgend gute Folgen für die Seele hat kein Selbstmord!

13. Der von Mathael erzählte war noch einer von der besten Art, daher es mit der Wiederbelebung und Errettung jener Seele auch leicht und recht schnell herging. Aber ein Leck bleibt einer solchen Seele doch für immer, und das besteht darin, daß sie nahe nie wieder zur vollen Kindschaft Gottes gelangen kann; über die Seligen des ersten, äußersten und somit auch untersten Himmels, oder gar nur bis an die Grenzmarken desselben, kommt eine selbstmörderische Seele kaum je!

14. In den ersten, den Weisheitshimmel kommen zumeist nur Seelen von allen anderen Weltkörpern, und von dieser Erde die Seelen jener weisen Heiden, die nach ihrer Erkenntnis wohl sehr gewissenhaft und gerecht gelebt haben, aber von Meiner Person auch jenseits nichts vernehmen wollen. Nehmen sie jedoch mit der Weile etwas an, so können sie wohl in den zweiten, also höheren oder auch Mittelhimmel aufgenommen werden; aber in den dritten, innersten und höchsten, den eigentlichen Liebe- und Lebenshimmel kommen sie nie und nimmer. Denn dahin werden nur jene kommen, die schon die volle Kindschaft Gottes erlangt haben.

15. Ich meine, daß euch nun auch diese vom Bruder Mathael erzählten Todesarten als hinreichend erklärt vorkommen sollten; ist aber doch noch jemandem irgend etwas nicht klar genug, so steht jedem eine Frage frei. Es fehlen nur noch zwei Stunden, und die Sonne wird über dem Horizonte stehen, und da werden wir alle dann wieder etwas ganz anderes unternehmen. Wer sonach noch etwas will und mag, der rede nun!“

16. Sagen alle: „Herr, es ist uns alles klar; denn bei einer solch lebendigen Erklärungsweise kann ja niemandem etwas unklar bleiben!“

153. Kapitel. Vom Steine der Weisen.

1. Sage Ich wieder: „Nun gut, da wir noch ein paar Stunden Zeit übrig haben, so soll uns noch unser Mathael eine letzte in ihrer Art eigentlich denkwürdigste Sterbegeschichte erzählen! Zuvor aber, da es schon morgendämmert, soll Raphael die Leuchtkugel an ihren Ort bringen und bei dieser Gelegenheit dem Cyrenius die verheißenen gleichen Körner herschaffen!“

2. Raphael ward damit bald fertig und brachte dem Cyrenius sieben solche Leuchtkörner, die von der Größe einer vollen Erbse waren. Diese von Raphael dem Cyrenius überbrachten nur erbsengroßen Leuchtkügelchen leuchteten so stark, daß sie niemand anschauen konnte; denn schon eines leuchtete so stark, daß es einen großen Saal, so es in dessen Mitte auf einem erhöhten Punkte angebracht wäre, mehr erhellen würde als zehntausend hellst brennende Lampen.

3. Cyrenius wußte nun nicht, wie er diese sieben Leuchtkügelchen aufbewahren sollte, und fragte Mich um einen Rat; und Ich berief abermals den Raphael, daß er dem Cyrenius ein taugliches Gefäß verschaffe, damit dieser die sieben Leuchtkügelchen wohl aufbewahren könnte.

4. Und Raphael war damit auch schon bei der Hand und überreichte dem Cyrenius eine Büchse aus reinstem Golde, leicht angefüllt mit Steinflachs (Asbest), legte die sieben Kügelchen hinein und schob den Deckel darüber, der mit sinnreicher, erhabener Arbeit geziert war. Als auf diese Weise die sieben Kügelchen wohl verwahrt waren, übergab er sie dem Cyrenius mit den Worten: „Verwahre sie für dich! Nie schmücke einer dieser alleredelsten Steine irgendeine Fürstenkrone, auf daß nicht eines andern Fürsten Lüsternheit nach einer solchen Krone erweckt und darum ein Krieg entfacht werde, in dem Tausende von Menschen sich wie wütende Wölfe, Hyänen und Bären zerfleischen müßten, bloß eines solchen Leuchtkügelchens halber!“

5. Cyrenius dankte Mir und auch dem Raphael, der den Dank aber augenblicklich ablehnte und ihn Mir zuschob.

6. Ich aber sagte: „Gut ist es, daß auch diese Sache ihr Ende gefunden hat! Die dir, Cyrenius, verheißenen Kügelchen sind untergebracht; mache nie einen weltlichen Gebrauch davon und brüste dich nie damit, auch gegen deine nächsten Anverwandten nicht! Wenn du weissagen willst, dann lege dir die Büchse auf die Magengrube, und du wirst helle Gesichte haben; aber das bleibe allein dir bekannt, daß du durch den Besitz solcher Steine zur Weissagung gestärkt werdest! Das Volk soll die Weissagung vernehmen und sich danach richten, aber wissen soll es nimmer, woher sie rühre! So du aber je etwas von einem Steine der Weisen gehört hast, so hast du ihn nun in diesen sieben Kügelchen; aber nur für dich und für niemand anders mehr!“

7. Sagt Cyrenius: „Herr, so ich aber dereinst auch sterben werde, was soll dann aus den sieben Kügelchen werden?“

8. Sage Ich: „Dann übergib sie dem Josoe, und der wird schon innewerden, was damit zu geschehen hat des Heiles der Welt willen! Aber nun nichts mehr davon, und du, Bruder Mathael, beginne deine Erzählung; denn sie hat für euch einen tausendmal tausend Male größeren Wert denn hunderttausend solcher Leuchtsteine! Fange nun an; fasse dich kurz, auf daß uns der heute sehr denkwürdige Sonnenaufgang nicht störe!“

154. Kapitel. Die giftige Außenlebensphäre der Witwe.

1. Mathael verneigt sich und beginnt sogleich folgenden denkwürdigen Sterbefall zu erzählen; und die Erzählung lautete wie folgt. „In einem Flecken zwischen Bethlehem und Jerusalem lebte eine sonderbare Witwe. Sie war verehelicht gewesen an zwei Männer. Der erste Mann starb ihr schon nach einem Jahre. Sie hatte mit ihm eine Tochter, die aber von der Geburt an taub und stumm war, sonst frisch, gesund und voll Munterkeit, was bei den Taubstummen seltener der Fall ist.

2. Nach einem einjährigen Witwenstande freite ein zweiter, gar rüstiger Mann um ihre Hand und heiratete die Witwe, die damals gar sehr schön gewesen sein soll. Aber der Mann bestand mit diesem Weibe kaum etwas besser als sein Vorgänger; denn er lebte nur zwei Jahre und etwa ein paar Monde und starb gleich dem ersten an der allgemeinen Auszehrung.

3. Das schreckte nunmehr alle anderen Männer ab, so daß fürder niemand sich mehr um ihre Hand zu bewerben getraute. Mit dem zweiten rüstigen Manne aber hatte sie gar kein Kind, während die taubstumme Tochter recht üppig emporwuchs und in ihrem fünften Jahre eine Größe und Stärke hatte wie sonst kaum ein Mädchen in seinem zwölften Jahre, war dabei von einer äußerst angenehmen Gesichtsbildung, und jeder Mann blickte diese Taubstumme mit einem großen und oft schon sehr begierlichen Vergnügen an.

4. Es lebte aber diese Witwe nachher noch zwanzig Jahre, blieb stets schön und sogar sehr reizend, und ihre Tochter bezauberte jeden Mann; denn etwas Schöneres und Reizenderes gab's damals wohl im ganzen Judenlande nicht! Dies Mädchen war zugleich sehr gescheit und recht fein gebildet und wußte sich durch die Zeichensprache recht gut jedermann verständlich zu machen, und das immer auf eine so echt künstlerisch zierliche Weise, daß ein jeder Mann ganz glücklich war, mit dieser Taubstummen konversiert zu haben. Viele machten dem Mädchen Heiratsanträge, aber da nach einer Gesetzeskunde Taubstumme von der Ehe auszuschließen sind, wovon mir irgendein vernünftiger Grund durchaus nicht klar werden will, so war auch da durchaus nichts auszurichten.

5. Die Witwe gehörte auch zu den sehr Bemittelten und hatte weitläufige Besitzungen, und somit viele Knechte und Mägde, und war gegen Arme äußerst wohltätig. Das Weib hätte gerne noch einmal geehelicht; aber da sich niemand mehr um seine Hand bewarb und das Weib auch niemand mehr zu begehren sich getraute, aus Furcht und zugleich aus dem guten Willen, um nicht auch noch eines dritten Mannes unwillkürliche Mörderin zu werden, so blieb es ledig, führte ein recht sittliches und eingezogenes Leben und war die Trösterin vieler Notleidenden.

6. Es kam einmal auch ein griechischer Arzt und wollte sie heilen von ihrer sonderbaren Eigentümlichkeit; sie aber wies ihn von sich und sagte – wie sie es später meinem Vater treu erzählte, und zwar, wenn mich mein sonst gutes Gedächtnis nicht täuscht, mit folgenden Worten –: ,Meine Eltern waren gute und gottesfürchtige Leute, und ich war als Mädchen als ein Muster der Eingezogenheit bekannt. Vor meiner ersten Verehelichung habe ich nie einen Mann erkannt. Wie dann meinem sonst ganz wohlgestaltigen Leibe eine so böse Eigenschaft innewohnen konnte, ist mir ein Rätsel; ich aber bin – dem Jehova allein alles Lob! – sonst kerngesund und will darum keine Arznei. Es ist also Gottes Wille, den ich mir gerne gefallen lasse! Du, Pseudoäskulap, aber magst gehen, sonst hauche ich dich an, und du bist dann etwa auch rettungslos verloren, trotzdem du ein Arzt sein willst und mir helfen möchtest, aber, wie ich sehe, nicht einmal dir deinen abscheulichen Halskropf vertreiben kannst, wie auch das Hinken deines linken Fußes! Ein Arzt muß doch zuvor selbst ein makelloser und kerngesunder Mensch sein, so er einem Kranken helfen will! Die frische und volle Gesundheit des Arztes muß ja dem Kranken ein gewisses Vertrauen einflößen, damit er glauben kann, daß der Arzt etwas verstehe; wenn aber der Arzt als ein Krüppel dasteht und will einem Gesunden helfen, da ist er ja doch hundertfältig auszulachen und aus einem Hause, in dem er zudringlich wird, auf der Stelle hinauszutreiben!‘

7. Als der Arzt diese Anpreisung vernommen hatte, verließ er knurrend und murrend das Haus, kam aber nach einem Jahre wieder, erkundigte sich um das Befinden unserer schönen Witwe und fing an, sich um ihre schöne Hand zu bewerben.

8. Da ward die Witwe ungeduldig und hauchte von einer Ferne dreier Schritte gegen den Arzt und sagte: ,Entferne dich und tritt mir nicht näher! Denn wie du in diesen Hauch trittst, bist du ein Kind des Todes; kein Jahr wird vergehen, und du wirst faulen unter der Erde!‘

9. Da lachte der Arzt und schlürfte den ausgestoßenen Hauch voll Freude und Begierde ein, um der schönen Witwe zu zeigen, wie wenig er sich vor dem nichtigen Gifthauche scheue, indem er zu überzeugt sei, daß daran gar nichts sei. Das Beste an der Sache aber war, daß die Witwe selbst nicht im geringsten daran glaubte, sondern sich dieser Drohung nur darum bediente, dieweil die Menschen solches ruchbar machten und sich darum niemand zu sehr in ihre Nähe wagte.

10. Aber das Volk hatte dennoch nicht ganz unrecht. War diese unsere Witwe nicht durch etwas leidenschaftlich aufgeregt, so war ihr Odem ganz gut und gesund; sobald sie aber durch irgend so ein bißchen in einen Harnisch gekommen war, da war es mit ihr nimmer auszuhalten. Wer da zu sehr von ihr angehaucht ward, der machte kein Jahr mehr und war ein Kind des Todes. Er bekam eine eigene Art Auszehrung und konnte dagegen brauchen, was nur irgendein noch so bewährter und förmlicher Wunderarzt ihm bringen konnte, so half das alles nichts; mit einer eisernen Beharrlichkeit schritt das Übel vorwärts, und der Kranke unterlag ihm unfehlbar! Und also erging es im Ernste auch unserem griechischen Arzte; er fing bald darauf an zu siechen und wurde in acht Monden eine elendeste und total ausgezehrte Leiche, gegen die eine bei dreitausend Jahre alte ägyptische Mumie noch ganz wohlgenährt aussehen würde!

11. Unsere Witwe erfuhr das bald, und man raunte ihr von mehreren Seiten ins Ohr, daß sie vors Gericht gefordert werde. Das ergriff die Witwe gar sehr in ihrem Gemüte; sie fing am Ende selbst an zu kränkeln und sandte bald zu meinem Vater, der natürlich mich als seinen unentbehrlichen Seher mitnahm, um durch meine Sehergabe bei diesem sonderbaren Weibe irgend etwas zu erfahren. Wir kamen mit einiger Vorsicht in das Haus dieses sonderbaren Weibes und fanden sie im Bette ganz matt und erschöpft liegen. Ihre taubstumme, aber sonst im Ernste himmlisch schöne Tochter und ein paar andere Mägde waren bei ihr und warteten sie.

12. Es ist hier wohl zu bemerken, daß ihr sonderbarer Odem nur den Männern, nie aber den Weibern und Mägden schädlich war.

13. Mein Vater sagte, als er mit etwas verhaltenem Atem ins Zimmer trat: ,Hier steht der berufene Arzt aus Jerusalem; was wünscht die holde Witwe von mir?‘

14. Sagte die Witwe: ,Was wünscht wohl eine Kranke von einem Arzte, als daß sie gesund würde?! Hilf mir, wenn du kannst!‘

15. Sagte der Vater: ,Laß zu, daß ich dich einige Zeit beobachte, dann werde ich es wohl sehen, ob dir noch zu helfen ist oder nicht!‘

16. Sagte die Witwe: ,Tue, was dir gut dünkt!‘

17. Da sagte der Vater auf römisch zu mir: ,Habe acht, ob du hier nichts zu entdecken imstande bist; denn der ihre Krankheit muß einen ganz besonderen Grund haben!‘

18. Ich strengte nun gleich meine Sehe möglichst an, konnte anfangs aber nichts bemerken, das heißt nichts bemerken von irgend etwas Geistigem und Unheimlichem. Aber nach etwa einer Stunde bemerkte ich einen bläulichen Rauch über das Lager der Witwe sich verbreiten und fragte den Vater, ob er davon etwa auch etwas bemerkete. Er verneinte das und schloß daraus, daß dies schon etwas Außergewöhnliches sei. Ich setzte nun meine Beobachtung mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit fort und entdeckte in diesem Blaudunste bald eine Menge etwa fingerlanger Klapper- und Ringelschlangen, die da in dem Blaudunste wie Fische im Wasser herumschwammen. Diese Bestien wanden sich ganz entsetzlich und schlugen Ringe über Ringe und blitzten mit ihren stählernen Zungen ganz außerordentlich; aber über den gewisserart fixierten Dunstkreis bewegte sich keines von den vielen Bestien. Ich machte meinen Vater sogleich darauf aufmerksam und gab ihm dahin meine Meinung kund, daß es allenfalls nicht ganz geheuer sein dürfte, sich dem Bette so sehr zu nahen. Diese Meinung teilte der Vater sogleich mit mir, fragte mich aber auch zugleich, ob ich nicht irgendein Mittel eruieren könnte, mit dem der Witwe zu helfen wäre.“

155. Kapitel. Das Schlangengift als Heilmittel.

1. (Mathael:) „Als ich, ganz in mich vertieft, dastand, vernahm ich, als hätte mir jemand ins Ohr geraunt: ,Fanget eine Klapper- und eine Ringelschlange, schlaget ihnen die Köpfe ab, kochet sie gut ab und gebet der Witwe solch eine Suppe oder Brühe zu trinken, und zeiget ihr, daß das Gericht, das sie unendlich fürchtet, durchaus nichts wider sie haben kann, so wird sie gleich wieder die Gesundheit erlangen! So aber jemand in der Folge von ihr durch ihren giftigen Hauch zu siechen anfinge, der sehe, daß er eine Brühe von den benannten Schlangen bekomme, mit der auch der alte Äskulap seine Abzehrenden heilte, und er wird alsbald vollends genesen! Die bezeichneten Schlangen aber bekommt man sehr häufig am südlichen Abhange des Horeb.‘

2. Diesen Rat, den ich ganz deutlich vernahm, teilte ich kurz und gleich meinem Vater mit. Er, darüber ganz außer sich vor Freuden, sagte sogleich zur Witwe, daß sie sehr getrost sein solle; denn er werde ihr ganz sicher helfen. Vor allem aber habe sie das Gericht wegen des griechischen Arztes nicht im geringsten zu scheuen, da sie an seinem Tode nicht die entfernteste Schuld trage. Er selbst kenne überaus wohl Roms Gesetze und wisse nichts, daß solch ein Fall je irgend für eine Krimination taugete.

3. Die ganz ernste Darstellung der Unschuld der Witwe beruhigte die Arme so sehr, daß der Blaudunst über ihr ganz verschwand, was ich dem Vater sogleich anzeigte, worüber er viel Freude empfand, und er sandte sogleich nach Horeb um die bewußten Schlangen. Dort befanden sich etliche der bekannten Schlangenfänger und -banner, und es wurden in ein paar Tagen mehrere Stücke beiderlei Gattungen herbeigeschafft, aber natürlich schon enthauptet und in Lehm gut eingemacht, auf daß sie, von der Luft gut abgesperrt, nicht sogleich in die Verwesung übergehen konnten; denn es gab dort eine Art fetten, gelben Lehms, in welchem ein Leichnam hundert Jahre lang nicht verwest.

4. Als die Schlangen auf einem Kamele überbracht waren, wurden sie, soviel man von ihnen auf einmal brauchte, vom Lehm gereinigt und darauf in einem guten Topfe aufs Feuer gestellt und bei drei Stunden lang gesotten, ohne daß die das Bett hütende Witwe davon irgendeine Kunde erhielt. Die Zeit von der Sendung um die Medizin nach Horeb dauerte bis zur Kocherei vier Tage, während welcher Zeit mein Vater die Witwe des Tages zu öfteren Malen tröstete und ihr die vollste Genesung schon in fünf Tagen verhieß. Darüber erholte sich die Witwe von Tag zu Tag sichtlich mehr und hatte am vierten Tage das Bett schon verlassen wollen. Der Vater aber wollte sie wegen der Bereitung der Schlangenbrühe nicht aus dem Bette lassen; denn hätte sie etwas gesehen, da hätte es wahrscheinlich mit der vollen Heilung wohl seine sehr geweisten Wege gehabt. So aber sah sie von allem nichts, und als ihr der Vater die Brühe zum Hinabtrinken überreichte, trank sie dieselbe mit einer sichtlichen Wohlbehaglichkeit bis auf den letzten Tropfen aus und gestand am Ende, daß diese brühartige Medizin äußerst gut geschmeckt habe.

5. Der Vater ließ ihr die Brühe in ein paar Stunden nur noch einmal verabreichen, und die Witwe fing darauf an, sich so wohl zu befinden, daß sie kaum den vierten Tag noch im Bette zu halten war. Aber auf des Vaters strenges Geheiß mußte sie wenigstens noch den halben fünften Tag seit unserem Hiersein das Bett hüten, nach welcher Zeit sie dann das Bett ganz frisch und vollkommen gesund verließ. Sie beschenkte meinen Vater äußerst reichlich und vergaß auch mich nicht.

6. Bei unserer Abreise fragte sie meinen Vater so im Vertrauen, ob er den griechischen Arzt gekannt habe, und ob dieser ihr von ihrem Übel auch wohl irgend hätte helfen können.

7. Mein Vater aber sagte: ,Gar sehr wohl habe ich diesen gar elenden Quacksalber gekannt; der hat wohl nie jemandem geholfen – außer ins Grab!‘

8. Mit dieser Äußerung war die liebliche Witwe ganz zufrieden und entließ uns beide mit großem Wohlwollen. Der Vater packte nun gar sorgfältig verhüllt die in Lehm befindlichen übrigen Schlangen, band sie auf des Kamels Rücken, nebst anderen Dingen und Sachen von großem Werte; wir aber bestiegen auch unsere Dromedare und zogen uns also ganz wohlgemut in unsere Heimat zurück.

9. Mit der mitgenommenen Medizin der sicher sonderbarsten Art hat mein Vater hernach noch eine Menge abzehrende Kranke geheilt und sich dadurch recht viel Geldes und einen berühmten Namen erworben. Freilich stand er darum nicht sehr in Gunsten der Templer und ebensowenig der Essäer; aber es achteten ihn die Römer desto mehr, ließen ihm allen Schutz angedeihen, erhoben seine Kunst und Wissenschaft bis zu den Sternen und gaben ihm den Ehrennamen Aesculapius iunior. Wenn dem Vater aber die Schlangen ausgegangen waren, so bestellte er sich gleich wieder eine bedeutende Sendung vom Horeb und heilte damit die Abzehrenden, von denen ihm aber im Ernste keiner gestorben ist.“

156. Kapitel. Die geistigen Vorgänge beim Tode der Witwe und ihrer Tochter.

1. (Mathael:) „Es waren aber seit der Heilung dieser Witwe ganz gut ein paar Jahre verlaufen, ohne daß wir von unserer Witwe etwas vernommen hatten. Auf einmal frühmorgens, gerade an einem Sabbate, erschien ein Bote von seiten unserer Witwe und ersuchte den Vater, sich so schnell als möglich auf den Weg zu machen; denn die bekannte Witwe sei samt der Tochter urplötzlich derart unwohl geworden, daß wohl niemand mehr aus dem Kreise ihrer sie tief betrauernden Nachbarn an ihr Aufkommen zu denken sich getraue.

2. Daß wir auf diese Kunde hin trotz des Sabbats uns bald auf unseren Dromedaren befanden, braucht kaum erwähnt zu werden, und daß der Vater die sonderbare Medizin nicht vergaß, von ihr ein rechtes Quantum mitzunehmen, versteht sich auch von selbst; denn er war ganz naturgerecht der Meinung, daß diese Witwe einen Rückfall ihres Übels bekommen habe, wie das bei derlei Übeln eben in nicht gar zu seltenen Fällen sich ereignet, und ein jeder Arzt weiß, daß ein Rückfall in ein altes Übel viel hartnäckiger ist als das erstmalige Auftreten desselben.

3. Nach etlichen Stunden erreichten wir das bekannte Haus. Aber schon in der Ferne von einer halben Stunde Fußweges entdeckte ich das ganze, große Wohnhaus in einen recht dichten, blauen Dunst eingehüllt; und je näher wir dem wohlbekannten Hause kamen, desto deutlicher entdeckte ich in dem Blaudunste die schon bekannten Bestien herumschwimmen. ,Halt‘, sagte ich zum Vater, als wir noch so etwa sechzig Schritte von dem Hause entfernt standen, ,da gehen wir wegen unseres leiblichen Heiles um keinen Schritt mehr weiter, wollen wir nicht beide alsbald eine Beute des Todes werden; denn derselbe böse Blaudunst mit seinen höchst unheimlichen Einwohnern umhüllt nun das ganze Haus!‘

4. Mein Vater fing nun an, ganz gewaltig zu stutzen, und hielt plötzlich inne. Er sandte den Boten ins Haus der beiden Kranken, auf daß er ihm Kunde brächte, wie sich dieselben etwa doch befänden. Der Bote eilte sogleich ins Haus und fand die beiden aber schon ganz bewußtlos und im vollsten Ringen mit dem unerbittlichen Tode.

5. Als der Vater solches vom Boten vernommen hatte, da sagte er zu ihm: ,Freund, Wunder wirken kann ich nicht, und so bleibt mir nichts anderes übrig, als umzukehren, und je schneller desto lieber! Denn es ist nicht geheuer, in der Nähe dieser beiden Kranken zu sein!‘

6. Der Bote aber meinte, daß wir uns doch noch eine Stunde aufhalten sollten; denn man könne ja noch nicht ganz bestimmt wissen, ob die beiden nicht doch noch einmal zu sich kämen.

7. Sagte der Vater: ,Du freilich nicht, aber desto bestimmter weiß ich darum! Alles in der Welt hat in und um sich oft weit herum gewisse Kennzeichen, aus denen ein Kundiger mit großer Sicherheit schließen kann, wie da irgendeine Sache oder ein Ding beschaffen ist; und so ist es auch hier! Ich erkenne es sogar am Hause, daß die beiden keine Stunde mehr leben werden und leben können! Hier wäre ein jeder Rettungsversuch ein rein vergeblicher zu nennen!

8. Ihr männlichen Diener dieses Hauses alle aber suchet Klapper- und Ringelschlangen zu bekommen, schlaget ihnen die Köpfe ab, reiniget und kochet sie und genießet ihre Brühe zu öfteren Malen, sonst sterbet ihr alle in einem Jahre an der gänzlichen Auszehrung; denn die euch unbekannte Ausdünstung dieser beiden weiblichen Wesen ist von der Art, daß ein jeder Mann, der ihnen besonders jetzt zu sehr in die Nähe kommt, davon ergriffen und längstens in anderthalb Jahren eine förmliche Mumie wird!‘

9. Der Bote dankte sehr für diesen Rat und wollte den Vater sehr reich beschenken; aber der Vater nahm nichts an und fing an, die Dromedare und das Lastkamel umzukehren, eine bei diesen Tieren immer nicht zu leichte Arbeit, besonders wenn sie müde und hungrig geworden sind. Dem Vater war dieses Umkehren unserer Träger zwar stets etwas Ärgerliches, aber diesmal kam es uns beiden sehr gut zustatten. Denn hätten sich unsere Tiere schnell unserem Willen gefügt, so wären wir beide, und ganz besonders ich, um eine wohl der allerdenkwürdigsten Anschauungen gekommen.

10. Der Blaudunst vergrößerte sich nach und nach gut um die Hälfte, erhob sich aber gleich einer Riesenkugel bald übers ganze, große Haus und ward angefüllt nicht nur von den beiden Schlangengattungen, sondern von noch einer übergroßen Menge von allerlei Getier böser und mitunter auch sehr sanfter Art. Diese trieben sich in dem Großballe herum wie die Kraniche, wenn sie auf und in die Höhe fliegen. Der ganze Ballen aber hing an zwei schwach aussehenden Schnüren oder besser Bändern. Die eine und etwas kleinere Hälfte des Ballens war etwas lichter als die größere andere.

11. Sehr sonderbar kam es mir vor, wie da ein recht starker Frühabendwind dem sehr locker hängenden Ballon nicht die allerleiseste Störung zu bewirken imstande war. Während aber ich mir diese Erscheinung also ganz erstaunt ansah und in römischer Zunge den Vater davon benachrichtigte, bemerkte ich am Ende stets mehr Exemplare von größeren Tieren, als Ratten, Mäuse, Kaninchen, Hühner, Tauben, Enten, Gänse, Lämmer, Ziegen, Hasen, Rehe, Hirsche, Gazellen und noch eine Menge anderer Tiere, ganz vollkommen ausgebildet, in dem großen Balle herumschwärmen.

12. Der Vater bemerkte mir: ,Sohn, redest du wohl die vollste Wahrheit? Denn diese Geschichte fängt denn doch an, mir ein wenig zu bunt zu werden!‘

13. Ich aber beteuerte dem Vater, daß ich nun wie allzeit ihm nur das erzähle, was ich klarst vor meinen Augen sehe, nicht ein Wort mehr und auch nicht ein Wort weniger mache. Da sagte der Vater dann nichts mehr und gab auf jedes meiner Worte außerordentlich acht.

14. Als ich dies sonderbarste Bild von einer je erlebten Erscheinung so immer intensiver und erregter in den Augenschein nahm, da rissen auf einmal die beiden Bänder, an denen der große Ball befestigt zu sein schien, und nun schwebten aber statt des einen großen Balles plötzlich zwei getrennte, ungefähr bei zwei Mannshöhen hoch, über dem Hause. Der stets heftiger werdende Wind vermochte ihnen nichts anzuhaben; wie gemauert fest schwebten nun die beiden Ballons über dem großen Wohnhause.

15. Ich bemerkte nach der Trennung nichts mehr von den Geschmeißtieren in den getrennten Ballons, von denen einer etwas kleiner zu sein schien und auch mehr Helle hatte denn der größere; auch hatte der kleinere nur ein MIXTUM COMPOSITUM von lauter sanften Tieren in sich, der größere aber faßte in sich auch Wölfe, Bären und eine Menge Füchse, die aber nebst den vielen auch sanften Tieren ganz gemütlich hin und her und auf und ab schwärmten. Merkwürdig war auch das, daß ich im schon ziemlich bedeutenden Abenddunkel alles in diesen beiden Ballons so hell und klar ausnahm, als würden sie von der Mittagssonne beleuchtet.“

157. Kapitel. Die Entwicklung der Seelengestalten der zwei verstorbenen Weiber.

1. (Mathael:) „Gut eine halbe Viertelstunde blieb die Stellung eine ganz gleiche; aber nachher fing die Sache an, sich ganz bedeutend zu verändern. Die Veranlassung dazu war ein herbeigeflogener, ganz natürlich aussehender Elsternschwarm; denn es mochten deren wohl einige hundert gewesen sein. Diese fingen an, die beiden Ballons sehr zu beunruhigen. Das viele Getier in selben schob sich wie ineinander, und bald wurden in den beiden Ballons nur zwei recht riesengroße, grauweiße Adler ersichtlich, die ganz gewaltig nach den in sie stoßenden Elstern schnappten. Wehe der, die sie erwischten; die verschwand bald aus ihrem ballonneckenden Dasein! Es dauerte aber diese Geschichte gar nicht zu lange, – und alle die Elstern waren aufgezehrt!

2. Als ich solches meinem Vater alsogleich treust erzählte, sagte er: ,Ja, das sieht denn doch also aus, als wären das die Seelen der beiden Verstorbenen!? Sieh doch die Sache genau an, und sage es mir, was immer dir zu Gesichte kommt; denn wahrlich, so eine seltsame Sterbegeschichte hast du mir noch nie erzählt!‘

3. Sagte ich: ,Vater, was ich sehe, erzähle ich dir augenblicklich! – Soeben werden die Ballons kleiner, und die Riesenadler verwandeln sich in – geradeheraus gesagt – zwei Kühe, aber ohne Hörner, und ich sehe einen vollkommenen Menschen am Gerüste des Daches auf und ab steigen und in jeder Hand ein Bündel Heues tragen; er wird doch nicht die beiden Kühe damit füttern wollen? Richtig! Die beiden langen mit den Zungen danach und haben sich ganz niedergesenkt, so daß sie die vorgehaltenen Heubündel leicht erreichen können; und nun verzehren sie das Heu auch ganz gemütlich!‘

4. So erzählte ich dem Vater alsogleich, wie und was ich sah. Nach dem Verzehren des Heues verschwand der Mensch vom Giebel des Daches; aber bald kam ein anderer, der dem ersten nicht im geringsten gleichsah, mit zwei Eimern Wasser und hielt den beiden Kühen das darin enthaltene Wasser zum Trinken vor, und die Kühe tranken dasselbe sichtlich bis auf den letzten Tropfen aus.

5. Auf diese Erscheinung verschwand auch der zweite Mensch samt den Eimern; aber gleich darauf fingen die Kühe an, sich in einem Kreise schnell zu drehen. Die früheren Dunstballone wurden ganz unsichtbar, und vor lauter Schnellumdrehen konnte ich die Gestalt der beiden Wesen durchaus nicht mehr ausnehmen. Während dieses Schnelldrehens aber wurden die Wesen auch immer heller und erreichten endlich den Schein eines untergehenden Mondes.

6. Bald darauf hörte das Drehen ganz auf, und an der Stelle der früheren Kühe schwebten nun zwei etwas magere Menschengestalten, aber ganz nackt. Da sie mit dem Rücken gegen uns gekehrt waren, so konnte ich das Geschlecht nicht wohl ausnehmen; aber so der Größe nach zu urteilen, waren das doch zwei weibliche Gestalten.

7. Nach einer Weile von einer Viertelstunde sah ich abermals ein menschliches Wesen mit zwei Bündeln auf des Daches Giebel kommen und einer jeden der zwei Gestalten ein Bündel austeilen. Gleich verschwand wieder der Bündelüberbringer, und die beiden Gestalten lösten behende die Bündel auf, nahmen daraus eine jede ein lichtgraues Faltenkleid und warfen dasselbe in einem Momente über den Leib; nun erkannte ich erst mit aller Bestimmtheit, daß die beiden Gestalten die der sonderbaren Witwe und ihrer taubstummen Tochter waren. Sie kamen mir wohl magerer vor, aber dessenungeachtet waren sie es doch ungezweifelt.!

8. Als sie nun so als vollkommene Weibsgestalten vollends am Dachgiebel vor meiner Sehe standen, da kamen wieder die zwei Mannsgestalten in lichtgrünen Mänteln aufs Dach zu ihnen und winkten denselben, ihnen zu folgen, was denn die beiden auch taten ohne die allergeringste Weigerung.

9. Der Zug ging gen Mittag hin. Bald entschwanden sie meiner Sehe völlig; ich aber vernahm darauf sogleich die deutlichen Worte: ,Gott dem Herrn allein allen Dank und allen Preis und alle Ehre für die Rettung dieser zwei Armen!‘

10. Wer etwa diese Worte ausgesprochen hatte, weiß ich nicht; aber gehört habe ich sie höchst deutlich und klar! Von den zwei Mannsgestalten konnten sie unmöglich hergekommen sein, da sie da schon lange irgendwo über Berg und Tal waren. Es muß da jemand anders irgendwo hinter mir die Worte ausgesprochen haben. Wer aber, das ist eine ganz andere Sache!

11. Wer sie aber auch immer mag gesprochen haben, so geht das die ganze Geschichte äußerst wenig an; daß aber die Worte gut waren und vieles in sich fassen mögen, das ist auch gewiß! Denn beide Wesen haben im ganzen äußerst gut und züchtig gelebt, waren sehr wohltätig gegen Arme und dazu auch äußerst gottesfürchtig, woher denn etwas schwer zu begreifen ist, warum die Stimme gerade so ganz besonders für die Rettung dieser Witwe und ihrer taubstummen Tochter Gott Dank, Preis und Ehre gegeben hat. Diese Stimme muß daher etwas mehr wissen oder gewußt haben als das, was nun mein Verstand sogar zu begreifen imstande ist.

12. Du, o Herr, aber weißt ohnehin, was alles uns in dieser Sterbegeschichte ein Rätsel verbleiben wird! Ich will daher übers Ganze durchaus keine besondere Frage mehr setzen, da ohnehin die ganze Erzählung von ALPHA bis OMEGA eine Frage ist; daher erkläre Du, o Herr, gleich lieber alles, denn da sehe ich nirgends aus und ein! Schon die Krankheit war an und für sich höchst rätselhaft, geschweige die Erscheinungen während und nach dem Sterben! Das Steigen des offenbar seelischen Blaudampfes übers ganze Haus, die Tiere darin, endlich die Trennung des einen großen Ballons in zwei kleinere, die neckenden Elstern, die Riesenadler, die Umwandlung derselben in ungehörnte Kühe und so weiter, – kurz, da ist alles eine Fabel, die gar nicht und von niemandem zu glauben ist, so man sie so gleich hinweg erzählen würde! So Du, o Herr, es sonach allergnädigst wollen möchtest, da mache uns diese Geschichte ein wenig durchsichtig; denn bis jetzt hängt zwischen ihr und mir mehr denn die dreifache Mosisdecke!“

158. Kapitel. Das Gift in Minerialien, Pflanzen, Tieren und Menschen.

1. Sagte Ich: „Ist diese Historie euch allen gleich unklar?“

2. Alle bejahten diese Frage und baten um die Enthüllung.

3. Und Ich sagte zu allen: „Habt ihr doch gelesen von den Kindern der Schlange und tut bei dieser Geschichte gar so lichtlos seiend! Seht, auf dieser Erde gibt es giftige Mineralien, giftige Pflanzen und ebenso auch bekannte giftige Tiere! Die giftigen Minerale sind ganz giftig, die giftigen Pflanzen zum größten Teile und die giftigen Tiere in bezug auf ihr ganzes Wesen zum mindesten Teile. Ihr habt aber auch gehört, wie die Seelen der Menschen rein von dieser Erde ein Konglomerat aus den Mineral-, Pflanzen- und Tierseelen sind. Das ist eine Sache, die Ich vor euch schon zu öfteren Malen erklärt habe, nur habe Ich da mehr allgemein als speziell geredet und hatte auch bis nun keine besonderen Ausnahmen gezeigt; das aber ist ein solch besonderer Ausnahmefall, und Ich will euch alle mit ihm näher vertraut machen.

4. Ihr kennet die gerechte und wahre Ordnung Gottes, kennet aber auch die Exzentrizitäten derselben; ihr könnet sie denken, fühlen und empfinden! Was aber ihr könnet, das gleiche kann auch Gott; Er kennt Seine ewige Ordnung sicher am besten und hellsten, kennt aber dahinzu auch alle die möglichen und verschiedenartigsten Aus- und Übertretungen dieser Ordnung, muß sie also auch denken und tiefst zu fühlen imstande sein.

5. Ja, Gott muß in die frei und selbständig werden sollenden und frei wollenden Geschöpfe, besonders in die Engel und dieser Erde Menschen, wie ihr wisset, sogar den Reiz zur Widerordnung legen, auf daß sich daraus für die Benannten eine wahre, freitätige Sichselbstbestimmung vollkommen bewahrheite. Aus dem aber geht doch etwa klar hervor, daß Gott die möglichste Widerordnung ebenso bekannt sein muß wie die gute, wahre und lebendige Ordnung.

6. Die Gedanken und die Gefühle der Widerordnung in Gott sowohl als im Menschen unter den ordnungsmäßigen Gedanken und Gefühlen sind entsprechend den Giftmineralien, Giftpflanzen und Gifttieren. Weil sie aber auch Gottesgedanken und Gottesgefühle sind, so können sie nicht vergehen, sondern bleiben auch in der feuerzüngigen Intelligenzurgestaltung, können als verwandt sich in der negativen Sphäre ergreifen und eine eigene Wesenreihe bilden.

7. Aus diesem Urborne entstand eigentlich zumeist die ganze materielle und gerichtete Schöpfung. Da aber diese berufen ist, den Geistgeschöpfen nicht nur als ein prüfend Lebensgift zu dienen, sondern bei gerechtem Gebrauch auch als ein heilsamer Lebensbalsam, so ist auch eine Ordnung dahin getroffen, daß die gar zu ordnungswidrigen Ursubstantialgedanken sich von den viel weniger ordnungswidrigen scheiden und eine schon bemerkte giftige Wesenreihe in allen drei Reichen der sichtbaren, äußeren, materiellsten Natur der Dinge ausmachen.

8. Zuerst stehen die Gifte in der gröbsten Materie der Minerale, dann kommen sie, schon etwas gemildert, im dafür geeigneten Pflanzenreiche vor, und schon bis auf eine Kleinigkeit gemildert machen sie sich in gewissen Tieren unterster Gattung dem bessern, also positiven äußern Leben gefährlich und können sogar unter gewissen Umständen auch das innere, ganz positive, wahre Leben, wenn auch nicht verderben, so doch sehr verletzen.

9. Nun, dieser Giftwesen Seelenspezifikalpotenzen samt ihrer Intelligenzfähigkeit ergreifen sich am Ende, und es wird aus ihnen am Ende auch eine Gestalt, aber stets nur eine weibliche, gebildet, die aber dann ganz natürlich auch nicht ohne eine noch ganz besonders giftige Beigabe dasteht. Diese Seelen kommen endlich auch auf den Weg des Fleisches durch den irgendwo verübten Akt der bekannten Zeugung durch den Beischlaf.“

159. Kapitel. Die giftige Natur der beiden verstorbenen Weiber.

1. (Der Herr:) „Ist solch eine Seele einmal in einem Fleische wohnend, so legt sie ihr Giftiges ins Fleisch und Blut des eigenen Leibes, den das aber naturgesundheitlich eben nicht besonders in seiner Lebenssphäre beirrt, weil er schon urentstehlich also eingerichtet ist.

2. Aber es ist für einen aus der positiven Ordnung hervorgegangenen Menschen dennoch nie geheuer, sich einem solchen Menschen zu sehr zu nähern; denn schadet sie seiner Seele schon auch geradewegs nicht, so schadet sie aber doch seinem zur Aufnahme eines solchen Giftes nicht geeigneten Leibe. Und nun stehen wir schon bei unserer Witwe!

3. Ihre sonst ganz gute und in eine gute Ordnung übergegangene Seele hat ihr giftiges Urelement in ihres Leibes Milz und Leber niedergelegt, das sich dort so lange ganz ruhig und weiter unschädlich verhält, solange sie nicht durch irgend etwas leidenschaftlich erregt wird; ist aber eine solche wahre Giftperson erregt worden, dann ist es für jeden Mann hoch an der Zeit, sich schnell aus ihrer Giftsphäre zu ziehen.

4. Denn dieses ihrem Leibe innewohnende Gift ist nervenätherischer Art und dringt in der Person Außenlebenssphäre. Wer es durchs Einatmen oder durch längeres Verweilen in solcher vom Gifte durchschwängerten Sphäre mit dem eigenen Nervenäther in eine gar leicht erfolgte Verbindung bringt, der ist leiblich verloren, besonders so er das Gegengift nicht kennt.

5. Nun, das Gegengift wäre wohl, wenn alle Nerven nicht schon zu sehr irritiert sind, die gewisse Brühe; zugleich aber müßten in einem großen Gefäße solche Tiere im Olivenöle erstickt werden und dann nebst der getrunkenen Brühe der ganze Leib mit dem Schlangenöle ganz gut eingerieben werden. Dadurch erst könnte eine volle Heilung zustande gebracht werden, und das darum, weil das schon in den Nerven hausende Gift sich gleich aus den Nerven zieht und sich zum Teil mit seinem Urelemente in der Brühe im Magen oder mit jenem im Öle ruhenden verbindet und vereinigt und dadurch auf die Nerven nicht mehr rückwirken und ihnen daher auch nicht mehr schaden kann.

6. Als du, Mathael, zum ersten Male zu ihr geladen warst mit deinem Vater, da war die Witwe durch ihr eigenes Gift, das ihr der griechische Arzt zu heftig erregt hatte, leidend und hätte daran damals ebensogut wie späterhin sterben können; denn äußerst selten sterben solche Giftpersonen an irgendeiner andern Krankheit als am eigenen Gifte.

7. Der dir sichtbar gewordene Blaudunst, in dem mehrere dir eben nicht zu sehr liebsame Tiere herumschwammen, war so ein Auserguß des Giftäthers und zeigte durch seine ersichtliche Inwohnerschaft ganz klar und deutlich, wessen Geistes Produkt er war.

8. Als dein Vater die der Witwe Inneres sehr aufregende Furcht durch seine kluge Beredsamkeit bedeutend milderte, zog sich der böse Äther in die beruhigte Milz und Leber zurück; der Überfluß aber verharrte in der Galle des Magens, ward in vier Tagen endlich von der gewissen Brühe total aufgenommen und durch den natürlichen Gang hinausgeschafft, und die Witwe ward darauf wieder vollkommen gesund. Die Stimme aber, die dir das Mittel angab, kam von einem Geiste her, der der Witwe Geisteshüter war.

9. Als du mit deinem Vater aber zum zweiten Male hingerufen wurdest, hatte die Witwe einen starken Ärger wegen ihrer taubstummen Tochter, die sich in einen etwas ausgelassenen Menschen trotz ihrer Taubstummschaft denn doch recht fest zu verlieben begann. Dadurch ward der Witwe, wie auch der gleichartigen Tochter Eigengift zu heftig erregt; beide wurden wie von tausend der giftigsten Schlangen in allen ihren Lebensnerven gebissen, und es war von diesem Moment an keine leibliche Heilung mehr zu denken, – außer nur durch Meine Kraft wäre es natürlich wohl möglich gewesen. Die Seelen beider aber lösten sich infolge der großen Erregung nahezu gänzlich auf, das heißt, sie lösten sich in ihre Urelemente auf und drangen, notwendig einen größeren Raum einnehmend, sogar übers Haus, darin die beiden sterbend lagen, hoch und weit hinaus.

10. Als die völlige Ablösung vom Leibe erfolgt war und sich nach erfolgter weiterer Beruhigung die Urelemente im Lebensdunstknäuel wieder als zusammengehörig zu erkennen begannen, trennten sich bald die früher ineinander verschwommenen Knäuel, von denen der große die Lebensurelemente der Witwe und der kleinere jene der Tochter faßte. Die Lebensurelemente aber, nun stets mehr beruhigt, erkannten sich auch stets mehr, ergriffen sich, und dir ward in den Ballons sogleich eine höherstehende Tiergattung ersichtlich.

11. Als im Lebensknäuel, wie in seiner innern Gestalt sich wieder mehr Ruhe einfand, da erkannten sich die Seelenvorgebilde wieder inniger und gingen in zwei Adlerweiblein über. Bald ersahst du einen Schwarm Elstern die Ballons beunruhigen; dies waren die Außenlebensgeister, die sich nun auch mit den beiden Seelen zu vereinigen hatten. Als dies auf die dir erscheinliche und der Sache entsprechende Weise geschah, da wurden dir sogleich zwei Kühe sichtbar. Das wäre dem Menschen schon nahe; aber es geht nun noch etwas Urelementarisches ab.

12. Die beiden Mannsseelen, die zuvor Männer der Witwe waren, erkennen diesen Abgang und schaffen ihn nach der guten Ordnung her. Da tritt ein neues Leben in die Kuhgestalten, alles wird durcheinandergetrieben, dadurch entsteht eine neue organische Ordnung, und bald gehen aus ihr zwei vollkommene Menschengestalten hervor. Diese werden nun von den anwesenden Mannsseelen mit Liebe erfaßt, und diese Liebe bildet gleich den gerechten Urstoff zu einer entsprechenden Bekleidung, und also werden die früher so sehr zertragenen Seelen wieder für immer vollständige Menschenformen, begabt mit der nötigen Erkenntnis, was der Abzug gegen Abend klar anzeigt.

13. Die letzte Dankstimme aber, die du, Mathael, zuletzt vernommen hast, war abermals die eines und desselben Schutzgeistes, der dir um nahe zwei Jahre früher das rechte Mittel zur Heilung solch einer Krankheit angab. Der Geist aber sah die große Schwierigkeit ein, die dazu erforderlich war, aus einer direkten Widerordnung eine wahre und himmlische zu gestalten; denn auch da kann man mit wenig Gift sehr viel Balsam auch zu Gift, aber mit wenig Balsam viel Gift nahezu unmöglich zu einem heilsamen Balsam machen. Nur bei Gott allein ist alles möglich, und darum der letzte Dankruf des Schutzgeistes an Gott den Herrn!

14. Verstehet ihr dies alles nun wohl? Wem irgend etwas noch dunkel ist, der frage, und es soll ihm Licht werden!“

160. Kapitel. Des Cyrenius Bedenken über die irdische Seelenentwicklungsordnung.

1. Sagt Cyrenius: „Herr, Du allein Weiser und Gerechter, was da betrifft diese Geschichte, so ist sie mir nun völlig klar; denn ich sehe dies von Dir ausgehende wahrhaft göttliche Kunstgefüge im natürlichen Werdungsfortgange, ich sehe Deine ewige Ordnung und sehe auch, daß Dir nur in solcher Ordnung alle Dinge möglich sind. Aber eines darunter bleibt mir im Ernste etwas dunkel, und ich kann da schon denken, wie ich will, so will's mir darin dennoch nicht lichter und heller werden.

2. Ich begreife nämlich das noch immer nicht, warum unsere menschliche Seele denn zuvor, ehe sie in die vollintelligente menschliche Form übergeht, ganz zerteilt in tausendmal tausend Pflanzen, ja sogar Mineralien und in mehr als noch einmal soviel Tieren bestehen muß. Bevor sie also eine vollkommene Menschenseele wird, muß sie durch Blitz und Regen aus den Steinen – und wer weiß, aus was noch – vorher gewisserart herausgefeuert und endlich herausgeschwemmt werden?! Nachher geht diese Seelenwanderungs- und Seelenzusammenklaubungsgeschichte langweilig genug durch die ganze Pflanzen- und Tierwelt hindurch, und am Ende muß sie noch die Ehre haben, als eine werdende kräftige Menschenseele in wenigstens zwanzig Ochsen totgeschlachtet zu werden und daneben noch so in etwa hundert Schafen, Kälbern und Eseln?! Das nennen wir Römer eine DOCTRINA DURA!

3. Wäre es denn Gott nicht möglich, gleich eine vollkommene Menschenseele zu erschaffen und sie dann zu umkleiden mit Fleisch und Blut? Wozu denn ein so langweiliges Fortschreiten? Da sehen wir unsern Raphael an! Was geht dem irgend wohl noch ab zu einem vollendeten Leben?! Was sind wir zusammengeklaubte Seelen gegen ihn?! Hat er nicht im kleinsten Finger mehr Macht und Weisheit als wir im ganzen Leibe legionenweise zusammengestellt?! Ich möchte den Untergang von tausend Legionen der bewährtesten Krieger nicht sehen; in einem Nu würde er sie alle zu Staub zermalmen! Das nenne ich eine Lebensvollendung! Kann sie dem von Dir aus verliehen werden, warum denn einer Menschenseele nicht?! Oder hat auch sein Geist als eine Seele zuvor eine so ungeheure Durchwanderung durch wer weiß wie zahllos viele Stufen machen müssen? Das, o Herr, ist so meine Nachtseite! Gib auch da ein rechtes Licht hinein, und ich will Dich weiterhin sicher mit keiner so dummen Frage mehr belästigen!

4. In eurem Moses heißt es wohl: ,Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und Er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.‘ Nach diesen freilich höchst dunklen Worten – wenn man sie so nehmen könnte, wie sie wortlautig stehen – hättest Du als Gott dem Menschen dann also wohl eine schon vollkommene Seele durch seine Nüstern eingeblasen, und der ganze Mensch wäre dann nach Deinem Bilde zur vollkommenen Seele geworden. Aber es ist da schon das eine ebenso lichtlos als das andere. Darum bitte ich Dich, uns allen nur so zur Not ein Lichtlein da hineinzustellen!“

5. Sage Ich: „Ja, Mein lieber Freund Cyrenius, wenn dein Gedächtnis dich hie und da schon zuweilen zu verlassen anfängt, so kann Ich da nicht dafür; denn das, was du nun wissen möchtest, habe Ich euch ja schon lange ganz umständlich erklärt! Du hast es ja nur vergessen; Ich werde dir dein Gedächtnis ein wenig wecken, und es wird dir dann schon alles recht helle werden!“

6. Sagt Cyrenius: „Ja, ja, Herr, Du hast schon allzeit recht! Ich bin nun schon ganz im klaren; auf diesem Berge und in dieser Nacht ist uns alles auf ein Haar klein erklärt worden, als wir alle durch das magische Licht der gewissen Leuchtkugel alles Werden und sogar den Ausfluß Deiner Gedanken und Ideen, ihre endloseste Vielheit und sogar unsere höchst eigenen Gedanken vor uns in Gestalt von feurigen Zungen und Zünglein haben schweben sehen! Ja, ja, das alles haben wir nicht nur schon gehört, sondern auch ordentlich gesehen!

161. Kapitel. Cyrenius kritisiert die Mosaische Schöpfungsgeschichte.

1. (Cyrenius:) „Mit Moses aber kann ich mich alles dessenungeachtet noch nicht so recht befreunden. Es muß viel außerordentlich Großes und Wahres darin liegen; aber wer außer Dir versteht das, was er geschrieben hat?

2. Besonders dunkel ist seine Schöpfungsgeschichte gehalten! Einmal heißt es: ,Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meere, über die Vögel unter dem Himmel, über das Vieh und über die ganze Erde und über das Gewürm, das auf der Erde kriecht!‘ Und Gott schuf den Menschen Ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf Er ihn; und schuf sie ein Männlein und ein Fräulein. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: ,Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meere, über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht!‘ Und Gott sprach: ,Sehet da, Ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamet auf der ganzen Erde, und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen zu eurer Speise, und allem Getier auf Erden und allen Vögeln unter den Himmeln und allem Gewürme, das da lebet auf Erden, daß sie allerlei Grünkraut essen!‘ Und es geschah also. Und Gott sah alles an, was Er gemacht hatte, und siehe da, es war alles sehr gut! Und es ward aus dem Abend und Morgen der sechste Tag.‘

3. Mit dieser Textierung sollte man nun die Erschaffungsgeschichte als abgemacht betrachten; allein, dem ist es bei weitem nicht also! Hinterdrein, nachdem Gott der Herr Seine Schöpfung allenthalben ansah und alles sehr gut fand, läßt Moses wieder von Gott den ersten Menschen aus Lehm oder einem Erdenkloße formen und ihm durch die Nase einhauchen eine Seele, und der Mensch wäre nun da als vollends fertig; nur scheint Gott vergessen zu haben, daß auch der Mensch eines Weibleins benötigen wird!

4. In der früheren Textierung heißt es zwar: ,Und Gott schuf ein Männlein und ein Fräulein‘; hier aber, nachher, läßt Moses den Adam lange allein sein und läßt ihm erst dann in einem tiefen Schlafe von Gott das erste Weib aus seiner Rippe erschaffen oder machen! Nun, wer das vernünftig und sinnreich verbinden kann, der versteht offenbar mehr als ich!

5. Nach der ersten Textierung zeigt Gott dem Adam und der Eva sogleich an, daß sie beherrschen sollen die ganze Erde und alle Kreatur auf ihr. Er segnet sie alsogleich; denn es heißt: ,Und Gott segnete sie.‘ Und also muß Er zuvor auch schon die Erde und alle ihre Kreatur gesegnet haben; denn es steht auch geschrieben, daß Gott Selbst alles sehr gut fand, was Er erschaffen hatte. Was aber Gott Selbst als sehr gut findet, das kann doch unmöglich anders als schon durch das allerhöchste Wohlgefallen Gottes auch höchst gesegnet sein!

6. Also erscheint in der Vortextierung die ganze Erde und das erste Menschenpaar als im höchsten Grade gesegnet! Aber in der Nachtextierung bekommt alles gleich ein anderes Gesicht: Die Erde hat nur einen bewohnbaren Garten, der freilich hübsch groß sein mußte, weil in seiner Mitte gleich vier der größten Ströme Asias (Asiens) entspringen. Da ward von Gott der erste Mann allein aus Lehm gemacht und ihm darauf eine lebendige Seele durch die Nasenlöcher eingehaucht; er sah und benannte die Bäume und das Kraut, die Fische im Meere, die Vögel unter dem Himmel und alles Getier, das auf Erden umherkriecht und umherwandelt.

7. Die Insekten, Fliegen, Bienen, Wespen, Hornissen, Schmetterlinge und noch eine große Menge der kleinen Luftbewohner, die man doch kein Gewürm nennen kann, hatte Moses ebensogut, wie außer den Fischen die zahllose Meeresbewohnerschaft, rein vergessen; denn er spricht in der Luft, als unter dem Himmel, nur von den Vögeln, und im Meere nur von den Fischen. Das ist auch ein wenig sonderbar!

8. Aber lassen wir das noch so dahingehen; denn man kann unter dem Begriffe ,Vogel‘ am Ende ja alles im allgemeinsten Sinne verstehen, was da bewohnt die Luft, und unter dem allgemeinen Begriffe ,Fisch‘ alles Getier, das da hauset im Wasser. Ob aber Moses seine aufgestellten Begriffe auch so weit ausgedehnt hatte, wie es zu seinem Rechtverstehen nötig sein möchte, das könnte ich wohl in keinem Falle behaupten!

9. Sei dem aber nun, wie ihm wolle, damit könnte man sich immerhin noch verständigen lassen; aber wie er in der Vortextierung am sechsten Schöpfungstage von Gott aus gleich nach dem Ausrufe Gottes ,Lasset uns Menschen erschaffen nach dem Bilde Gottes!‘ ein Männlein und ein Fräulein werden läßt, in der Nachtextierung aber das Männlein lange zuvor aus Lehm geformt hat, das Fräulein aber viel später aus des Männleins Rippe werden läßt, die ganze Erde bei weitem ungesegneter erscheint, von der Segnung dieses ersten Menschenpaares gar keine Rede ist, im Gegenteil ihnen von einem gewissen Baume bei Androhung der Strafe des Todes und der Verfluchung der Erde die Frucht zu essen verboten wird, und wie es später nach der Übertretung dieses Gebotes auch heißt, daß die Erde im Ernste verflucht ward und nun nur Dornen und Disteln tragen werde, und nebstdem, daß er sterben müsse, und daß er sich im Schweiße seines Angesichtes werde das Brot erwerben müssen, – ja, da ist von der Segnung, deren Moses in der Vortextierung erwähnt, sowie von der ebendaselbst erwähnten höchsten Zufriedenheit der beendeten Werke Gottes keine allerleiseste Spur irgend mehr zu entdecken! Ja, Du unser allergöttlichster Freund, das ist denn doch etwa auch eine DOCTRINA DURA, und man kann sich in ihr selbst beim besten Willen nicht zurechtfinden!

10. Aufrichtig gesagt: Wer Du, o Herr, bist, und was Du lehrest, das glaube ich mehr als felsenfest; aber mit dem etwas stark verwirrten Moses bleibet mir so hübsch weit vom Leibe! Ist es Dir möglich, mir darüber irgendein Licht zu geben, so ist es mir recht; ist aber das vorderhand nicht Deiner Ordnung gemäß leicht tunlich, nun, so liegt da für mich wenigstens sehr wenig oder auch gar nichts daran! Ich und wir alle haben von Dir ein vollkommenes Licht und können daher des Moses Afterlicht leicht missen. Was nützt uns eine Lehre, die wir in ihrer Urwahrheit nicht verstehen können?! Besser ein belehrend verständiges Wort als zehntausend Worte, die niemand versteht!“

162. Kapitel. Die Erschaffung Adams und Evas.

1. Sage Ich: „Deine Bemerkung über Moses ist gerade so übel nicht, mit dem Maßstabe des eigentlichen Weltverstandes bemessen; aber mit dem Verstande des Geistes beurteilt, ist Moses ganz etwas anderes, als was er dir dem Wortlaute nach vorkommt. Übrigens aber ist dem Wortlaute nach die Vortextierung von der Nachtextierung nicht gar so verschieden, als du es meinst; denn die Nachtextierung kommentiert vielmehr die Vortextierung und beschreibt die Art und Weise – wennschon eigentlich in geistig entsprechender Weise – näher, wie des Menschen Werdung vor sich gegangen ist.

2. Wie aber das Werden naturgemäß zu verstehen ist, habe Ich euch insoweit, als es für euch vorderhand notwendig ist, schon ohnehin sogar in dieser Nacht gezeigt. Und Mathael, der mit der Wissenschaft der Entsprechungen sehr vertraut ist, hat vor einem Tage euch auch kundgetan, wie des Moses Schriften zu verstehen sind; und Ich muß dir, du Mein Freund Cyrenius, abermals die Bemerkung machen, daß du im Ernste ein ganz kurzes Gedächtnis hast! Zwar habe Ich ehedem dein Gedächtnis von neuem belebt, und du kannst dich nun schon, wenn du recht fest willst, darin ein bißchen freier bewegen; bei deinem Mosaischen Menschenschöpfungszweifel aber will Ich dir doch noch so viel Zurechtweisliches hinzuerzählen, daß du und auch noch so mancher andere daraus entnehmen könnet, wie es sich so ganz eigentlich mit der Sache verhält.

3. Sehet, alles was Moses mit seiner Schöpfungsgeschichte sagt und so ganz eigentlich sagen will, bezieht sich zuallernächst nur auf die Erziehung und geistige Bildung der ersten Menschen überhaupt, und nur durch Entsprechung auch auf die des allerersten Menschenpaares.

4. Übrigens ist Adam wohl dem Leibe nach aus den Ätherteilen des feinsten Erdlehms durch Meinen Willen nach der gesetzten Ordnung, wie Ich sie euch nun gezeigt habe, geschaffen und geformt worden; und als er voll gemachter Erfahrung durch Meinen Willen einmal zu jener Kraft gediehen war, durch die sich bei ihm eine äußerst intensive Außenlebenssphäre hatte bilden müssen, und als er einmal arbeits- und reisemüde in einen tiefen Schlaf verfiel, so war es denn auch an der Zeit, eine sich aus allen euch bekannten Naturstufen zusammengeklaubte Naturseele in die Außenlebenssphäre Adams zu versetzen.

5. Diese Seele, in der Außenlebenssphäre sich befindend, fing sogleich an, sich aus diesen ihr sehr lieblichen Adamischen Außenlebensteilen oder aus dem reichlichsten Lebensdunste, wie es noch heutzutage Seelen Verstorbener zu tun pflegen, wenn sie den Menschen auf einige Momente erscheinen wollen, einen ihr entsprechenden Leib nach Meinem Willen und nach Meiner Ordnung zu bilden, und war mit demselben auch in drei Tagen vollkommen fertig.

6. Als darauf Adam erwachte, sah er voll Staunens und voll Freude sein Ebenbild neben sich, das ihm natürlich äußerst zugetan war und sein mußte, weil es dem Leibe nach auch aus seinem Wesen herstammte.

7. Er aber nahm in der Gegend des Herzens wahr, als drücke ihn etwas, aber ganz angenehm, auch fühlte er wieder zuweilen wie eine Leere – das war der Anfang der geschlechtlichen Liebe – und konnte sich nimmer trennen von dem Bilde, das ihm gleich soviel Anmut verschaffte. Wohin er ging, da folgte das Weib ihm, und ging das Weib wohin, so konnte er es sicher nicht allein gehen lassen. Er fühlte des Weibes Wert und dessen Liebe und sagte darum in einem hellsehenden Momente: Wir, ich ein Mann und du ein Weib, mir aus meinen Rippen (in der Herzensgegend) entwachsen nach dem Plane Gottes, sind sonach ein Fleisch und ein Leib; du bist meines Lebens lieblichster Teil, und es wird fürder also bleiben, und es wird der Mann Vater und Mutter (der Mannesernst und seine Sorge) verlassen und wird hangen an seinem Weibe!

8. Wo es aber heißt, daß Gott beim Adam den Teil mit Fleisch bedeckte, da Er ihm die Rippe nahm, so wird von euch hoffentlich doch niemand so dumm sein anzunehmen, daß Gott den Adam im Ernste verwundet hat, um ihn um eine Rippe zu verkürzen, damit aus der kleinen Rippe ein großes Weib werde. Die Rippen sind ein äußerer, fester Schutzschild der zarten, inneren Lebensorgane.

9. Wenn ein David sagt: ,Gott, unsere feste Burg und ein starker Schild!‘, – ist darum Gott dann im Ernste eine aus lauter Würfelsteinen erbaute feste Burg, oder ein großer, eherner Schild?!

10. Also steht es auch mit der Rippe, aus der die Eva stammen soll! Sie, die Rippe, ist nur ein Zeichen für die Sache; die Sache aber ist Adams inneres, mächtiges Liebeleben. Und die Rippe, als der Schutz dieses Lebens, ward von Moses darum in die Schrift genommen: erstens, weil sie das Leben schützt und somit, ein äußerer Schild des Lebens seiend, auch dasselbe bildlich darstellt; zweitens ist aber später ein gutes, treues und liebbraves Weib auch als ein Schutz, Schild und Schirm des Lebens des Mannes anzusehen und kann daher entsprechend auch ganz gut als eine Rippe des Mannes angesehen werden; und drittens ist der Außenlebensäther auch ein allergewaltigster Schutz des inneren Seelennaturlebens, ohne welchen der Mensch nicht zehn Augenblicke lang leben könnte.

11. Nun ist aber die Eva aus der Überfülle dieses Adamischen Außenlebensäthers, dem zarten leiblichen Wesen nach, entstanden; und da dieser Lebensäther aus der Gegend der Rippen und der Brustgrube ausdunstet und hernach den Menschen weithin allseitig umgibt, so konnte ein Moses, dem die entsprechende Bildsprache höchst geläufig zu Gebote stand, die Eva ganz richtig aus einer Rippe Adams entstehen lassen und von Gott dem Adam die Wunde mit dem Fleische der Eva zudecken oder vertreten lassen. Denn eben die Eva war ja das aus dem Außenlebensäther Adams gewordene Fleisch, mit dem Gott dem Adam den Abgang seines Außenlebensäthers ersetzte und ihm sonach die wunde Stelle mit dem dem Adam höchst angenehmen Fleische der Eva zudeckte, was denn eigentlich auch ein Fleisch Adams war.“

163. Kapitel. Der vierfache Sinn der Schöpfungsgeschichte Mosis.

1. (Der Herr:) „Sehet, auf diese Weise ist Moses zu lesen und dem natürlichen Verstandesteile nach auch zu verstehen! Freilich gibt es da noch ein tieferes, inneres, rein geistiges Verständnis, demzufolge unter der ganzen Schöpfungsgeschichte hauptsächlich das Menschenbildungsgeschäft Gottes, daß sie sich und Ihn als ihr Alles erkennen und lieben sollen, zu verstehen ist. In dieser Sphäre wandelt Gott mit Adam geistig und lehrt ihn, gibt ihm Gesetze, züchtigt ihn, so er fehlt, und segnet ihn abermals, so Adam oder überhaupt die erste Urmenschheit dieser Erde Gott erkennt, Ihn liebt und in Seiner Ordnung wandelt.

2. Geschah das natürlich der Materie nach auch nicht so sehr, so geschah es aber dennoch geistig, und dieses auch bei noch ganz reinen, unverdorbenen und höchst einfachen Menschen wie als Natürliches sehr ersichtlich. Man kann darum Moses sogar vierfach lesen und allzeit sehr wohl und rein verstehen.

3. Erstens: bloß rein naturmäßig, woraus man ein notwendiges Werden in gewissen Perioden nach der ewig unwandelbaren Ordnung Gottes ersieht. Daraus können alle Naturweisen ihren Verstand anfüllen und ihre unmöglich anders als nur immer höchst seichten Betrachtungen ziehen; sie können auf diesem Wege recht vieles eruieren, aber dabei doch niemals auf irgendeinen festen und haltbaren Grund kommen.

4. Zweitens: naturmäßig und geistig gemengt. Diese ebenfalls höchst wahre Sphäre ist für die Menschen, die nach dem Wohlgefallen Gottes trachten, die beste, weil da beides, wie Hand in Hand gehend, klar in der Tat und in der Erscheinlichkeit ersichtlich und begreiflich wird. (Nota bene: In dieser Weise ist auch ,Die Haushaltung Gottes‘ gegeben.)

5. Drittens: rein geistig, wobei auf die Naturerscheinungen und ihre zeitweiligen Bestände und Veränderungen nicht die allergeringste Rücksicht genommen wird. Da handelt es sich bloß nur um die geistige Bildung der Menschen, die Moses gar trefflich in den entsprechenden Naturbildern dargestellt hat. Dieses haben zu verstehen alle Gottesweisen, denen die innere Bildung der Menschen anvertraut ist.

6. Und endlich viertens: rein himmlisch, wo der Herr alles in allem ist und alles auf Ihn Bezug hat. Wie aber dieses zu nehmen und zu verstehen ist, könnet ihr nicht eher fassen, als bis ihr durch die volle Wiedergeburt eures Geistes mit Mir eins geworden seid, so wie Ich auch eins bin mit dem Vater im Himmel, doch mit dem Unterschiede, daß ihr alle mit Mir eins sein werdet in gesonderter Persönlichkeit, während Ich und der Vater, der Meine Liebe ist, miteinander in ewig ungesonderter Persönlichkeit vollkommen eins sind.

7. Nun aber hoffe Ich von dir, lieber Freund Cyrenius, daß du von Moses eine bessere Meinung fassen wirst; oder meinst du etwa noch, daß Moses – nach deinem Dafürhalten etwa wie ein Blinder – nicht gewußt hat, was er schrieb?!“

8. Sagt Cyrenius ganz zerknirscht: „Herr, laß mich ganz beschämt nun und ganz still und stumm sein; denn ich sehe nun schon meinen großen und groben Unsinn ein. Ich will von nun an bloß hören und selbst aber kein Wort mehr reden!“

9. Tritt hier Kornelius zu Mir und sagt: „Herr, nun, bevor die Sonne vollends aufgegangen sein wird, erlaube auch mir ein Wörtlein zu reden und eine vielleicht nicht zu unwichtige Frage zu stellen oder eigentlich eine Bemerkung zu machen!“

10. Sage Ich: „Nur zu; was dich drückt, das muß heraus!“

11. Spricht Kornelius weiter: „Mit der Schrift Mosis wird sich's schon sicher genau also verhalten, wie Du uns darüber nun die hellsten Erklärungen gegeben hast, und wir Menschen könnten da wohl den ersten, zweiten und dritten Sinn durch entsprechende Betrachtungen herausbringen; denn es muß Entsprechung zwischen allem Geistigen und Materiellen ja wohl bestehen. Aber wer außer Dir hat wohl den rechten Schlüssel dazu?

12. Das, was Du uns nun erklärt hast, das verstehen wir jetzt freilich wohl; aber es hat mir bekanntermaßen Moses fünf Bücher geschrieben. Diese haben mehr oder weniger denselben Stil und denselben Geist. Wer kann sie lesen und wer verstehen?! Nun, wäre es denn nicht möglich, uns dafür nur so eine ganz allgemeine Anleitung zu geben? Denn ich für meinen Teil werde mich von jetzt an nur zumeist mit der Heiligen Schrift der Juden abgeben, da ich sie mir in guter Abschrift aus dem Tempel zu verschaffen gewußt habe, möchte aber auch verstehen, was ich darin lese.

13. Ich bin der hebräischen Sprache auch vollkommen mächtig und verstehe dem Wortlaute nach die Schrift vollkommen; aber was nützet mir der Worte Laut und ihr materieller Sinn, wenn ich deren Geist nicht ergründen kann?! Gib, o Herr, uns darum eine Anleitung dahin, daß wir verstehen können, was wir lesen!“

164. Kapitel. Der Schlüssel zum Verständnis geistiger Schriften.

1. Sage Ich: „Ja, Mein Freund Kornelius, eine Regel und eine Anleitung dafür gibt es nicht in der Außenweltsphäre; das einzige, was dir den Schlüssel gibt und zum Verständnisse des Geistes der Schrift verhilft, ist dein eigener, aus Mir und Meiner Lehre wiedergeborener Geist. Solange du im Geiste nicht wiedergeboren bist, nützt dir keine Regel irgend etwas; bist du aber einmal das, dann bedarfst du keiner Regel mehr, denn dein geweckter Geist wird seinesgleichen auch ohne eine allgemeine Regel gar leicht und gar geschwinde finden.

2. Willst du aber wenigstens den naturmäßigen Sinn der Schrift besser fassen, als es bis jetzt der Fall war, so mußt du dich mit der Sprache der Illyrier sehr vertraut machen, die da die größte wurzelrechte Ähnlichkeit mit der altägyptischen Zunge hat, und diese ist nahe eins mit der urhebräischen. Ohne die Sprachkenntnis wirst du die Schrift Mosis nie ganz richtig lesen und daher auch selbst den Wortlaut nicht richtig verstehen. Verstehst du aber schon die darin vorkommenden irdischen Bilder nicht, wie möchte es dir wohl mit dem darin verborgenen geistigen Verständnisse gehen, selbst mit vielen tausend Regeln und Anleitungen?!

3. Die gegenwärtige Judenzunge ist nahezu eine ganz fremde gegen die einstige geworden, die Abraham, Noah und selbst Adam geredet haben. Bleibe du aber in Mir im Glauben und in der Liebe, so wird dir das rechte Verständnis schon von selbst hinzugegeben werden, und das in einer nicht gar zu langen Zeit! Im übrigen aber wird es dir nicht schaden, so du zu öfteren Malen liesest in der Schrift; denn dadurch wird deine Seele in der suchenden und denkenden Tätigkeit erhalten werden. – Bist du mit diesem Bescheide zufrieden?“

4. Sagt Kornelius: „Allerdings, Herr und Meister! Eine gerechte und auf einem sichern Grunde ruhende Hoffnung ist mehr wert als der volle Besitz dessen, was man erhoffet. Und so will ich mich nun dessen freuen, was ich von Dir besitze. Nimm meines Herzens wärmsten Dank dafür!“

5. Als damit unser Kornelius befriedigt ward, trat sogleich der alte, gewesene Oberste Stahar zu Mir und sagte: „Herr und Meister, das, was wir alle nun aus Deinem Munde vernommen haben, ist eine Lehre, die wir wohl jetzt verstehen; aber wird sie auch ein anderer verstehen, so wir sie ihm mitteilen? Was haben wir alles erfahren, gehört und gesehen, damit wir nun auch das zu fassen imstande waren; denen wir aber dieses auch mitteilen sollen, die haben zuvor noch nichts erfahren, gehört und gesehen! Wie werden diese das mit Nutzen fassen?“

6. Sage Ich: „Freund, wo hattest du denn deine Ohren, als Ich gleich im Anfange sagte und sogar euch allen dahin ein Gebot gab, das, was ihr diese Nacht hindurch hier alles sehen und erfahren würdet, keinem andern Menschen zu verraten?! Dies bleibe vor aller Welt verborgen! Wer im Geiste wahrhaft wiedergeboren wird, dem wird ohnehin alles offenbar werden; wer aber in seiner Weltäußerlichkeit verharrt, dem müßte das als eine Torheit zu seinem großen Ärger werden, so er davon etwas erführe. Darum ist es denn besser, daß die Welt davon nichts erfährt; euch aber ist es eurer Stärkung wegen notwendig, des Reiches Gottes Geheimnisse zu verstehen, und das genügt für alle Welt!

7. Was ihr zu lehren habt in Meinem Namen, das wisset ihr bereits zum größten Teile; alles andere ist ein Segen für euch, die ihr mehr oder minder zu Volkslehrern erwählt seid, auf daß ihr selbst ungezweifelt glaubet, daß Ich allein der Herr und Meister von Ewigkeit bin. Denn habt ihr den rechten und unwandelbar festen Glauben, so werdet ihr auch leicht in euren Jüngern den festen und lebendigen Glauben erwecken dadurch, daß ihr zuvor ihnen zeiget eure eigene Glaubensstärke. Damit ihr aber diese in aller ihrer Kraft zeigen könnet, war es notwendig, daß ihr Mich zuvor erkanntet, daß Ich vom Vater ausgegangen bin, um in eurem Fleische euch allen zu zeigen den Weg des Lebens.

8. Wenn du das nun hoffentlich doch begriffen hast, da wirst du nun wohl auch wissen, was ihr alle zur Zeit, wenn ihr von Mir ausgesendet sein werdet, den Völkern zu predigen habt. Liebet Gott, euren ewigen Vater, über alles und euren Nächsten wie euch selbst und haltet die Gebote, die Gott durch Moses allen Menschen gegeben hat, dann habt ihr Meine Lehre, die ihr den Völkern zu predigen habt, schon beisammen; eines mehreren bedarf es nicht.

9. Alles andere aber, das ihr hier erfahret, gehört für euch, wie Ich es dir soeben wiederholtermaßen erklärt habe. Nun weißt du hoffentlich, was du für alle Zukunft zu tun und zu beachten hast, und kannst dich darum abermals auf deinen Platz begeben!“ – Mit dem geht Stahar auf seinen Platz.

10. Der König Ouran aber erhebt sich und fragt Mich, sagend: „Herr, Meister und Gott! Du weißt es, weshalb ich eine Reise unternahm! Was ich suchte, das habe ich auch gefunden. Mir tut dieser Fund überaus wohl; er wird aber sicher gar jedermann wohltun, der ihn gleich mir wird gefunden haben! Ohne Lehre kann ihn aber niemand finden! Es fragt sich darum, wer da lehren soll, und was dazu gehört, um als ein Volkslehrer fähig dazustehen! Sollen die Lehrer als Boten von Ort zu Ort reisen und ziehen von Land zu Lande, oder wäre es etwa besser, zu errichten öffentliche Schulen, sie zu versehen mit den tauglichsten Lehrern und der Menschheit Gesetze vorzuschreiben, diese Schulen zu besuchen? Herr und Meister und Gott, ich bitte Dich, mir darüber allergnädigst eine Anleitung zu erteilen; denn ich will und werde alles tun, was Du willst und wünschest, das ich tun soll!“

165. Kapitel. Die wahren Lehrer des Evangeliums.

1. Sage Ich: „Mir gefällt dein wahrhaft ernstguter Wille; aber auch dein Gedächtnis ist etwas kurz geworden, – denn darüber habe Ich dir, und besonders dem Mathael als deinem Eidam, ja schon die hinreichendsten Anweisungen gegeben. Denke nur ein wenig nach, und du wirst es schon finden! Übrigens versteht sich's ja von selbst, daß derjenige, der den Blinden führen will, selbst sehen muß, wenn er nicht samt demselben in eine Grube fallen will. Du kannst nicht sagen zum Bruder: ,Komme, daß ich dir den Splitter aus deinem Auge ziehe!‘, wenn in deinem Auge etwa gar ein ganzer Balken steckt.

2. Also muß ein wahrer Lehrer frei sein von Mängeln, die ihm hinderlich sein können bei der Verwaltung seines Amtes; denn da ist kein Lehrer besser denn ein unvollkommener! Weil Ich euch zu Lehrern bilde, darum zeige und erkläre Ich euch auch so vieles und Unerhörtes; also muß aber auch ein jeder vollkommene Lehrer zuvor von Gott gelehrt sein, gleichwie nun auch ihr von Gott gelehrt werdet. Der Vater im Himmel muß ihn ziehen, ansonst er nicht zur Wahrheit in aller ihrer Lichttiefe kommt; wer aber nicht in diese kommt und dadurch nicht selbst Licht wird, wie soll es ihm dann möglich sein, die Nacht seines Nächsten zu erleuchten?!

3. Was die Nacht erleuchten und sie umwandeln soll in den Tag, das muß ein Selbstlicht sein gleich der Sonne, die sich nun dem Aufgange naht. Wäre die Sonne aber finster und schwarz wie eine Kohle, würde sie da wohl der Erde Nacht in den schönsten Tag umwandeln? Ich meine, daß sie dann die Nacht noch schwärzer und lichtloser machen würde, als zuvor die Nacht selbst in sich schon war.

4. Darum ist ein Lehrer, der nicht von Gott zu einem Lehrer erzogen ist, schlechter als gar kein Lehrer! Denn solch ein finsterer Lehrer ist nichts als ein Sack voll schlechter Samenkörner, aus dem alles Unkraut des finstersten Aberglaubens gestreut wird in die Furchen des von der Natur aus geistig stets und notwendig armseligen Menschenlebens.

5. Wenn du deine Völker lesen und schreiben und rechnen lernen lassen willst, so kannst du geeignete weltliche Lehrer aufnehmen und solches schon den Kindern in den Schulhäusern beibringen lassen; aber Mein Evangelium können und dürfen nur jene mit Nutzen und Segen den anderen Menschen verkündigen, die eben jene Eigenschaften im Vollmaße besitzen, die Ich früher als zu diesem Amte erforderlich klar ausgesprochen habe.

6. Dazu aber bedarf es keiner besonderen Schulhäuser, sondern ein rechter Himmelsbote gehet von Gemeinde zu Gemeinde und sagt: ,Der Friede sei mit euch; das Reich Gottes ist nun nahe zu euch gekommen!‘ Wird der Bote angenommen, so bleibe und predige er; wird er aber nicht angenommen von einer Gemeinde, die zu sehr der Welt und des Teufels ist, so ziehe er weiter und schüttle sogar zuvor den Staub von seinen Füßen! Denn solch eine Gemeinde ist auch das nicht wert, daß ein rechter Himmelsbote ihren Staub an seinen Füßen weitertrüge.

7. Es soll aber diese Meine Lehre niemandem aufgedrungen werden, sondern ein oder mehrere Glieder sollen zuerst vernehmen die überschwenglich großen Vorteile Meiner Lehre aus den Himmeln. Wollen die Glieder die Lehre hören, so werde sie ihnen gepredigt in kurzer und bündiger Rede; wollen sie aber das nicht oder zeigen sie wenig Lust dazu, dann ziehe der Himmelsbote nur gleich wieder ab, – denn Schweinen sollen die kostbaren Perlen nimmer zum Fraße vorgeworfen werden!

8. Nun weißt du, wie es sich mit der Ausbreitung Meiner Lehre zu verhalten hat; aber von nun an darfst du diese Meine Anweisung nicht mehr vergessen! Übrigens überlasse du besonders dies heilige und allerheiligste Geschäft nur dem Mathael und seinen vier Gefährten; denn diese wissen es nun genau, was sie in bezug auf die Ausbreitung Meiner Lehre zu tun und anzuordnen haben werden und werden in ihrem Herzen auch stets in der Zwiesprache mit Mir bleiben, was auch ein notwendigstes Erfordernis zur wahren Ausbreitung dieser Meiner Lehre ist.

9. Denn wer da seine Brüder, hoch oder nieder, lehret in Meinem Namen, muß nicht aus seinem, sondern stets nur aus Meinem Brunnen schöpfen! Er soll nicht nötig haben zu denken: ,Was werde ich reden, so ich komme, vor diesem oder jenem zu reden das Wort des Herrn?‘; denn zur Zeit der Notwendigkeit wird es ihm ins Herz und auf die Zunge gelegt werden, was er zu reden hat.

10. Wem aber diese Gnade zuteil wird, der bedenke sich nicht, dasselbe laut auszusprechen etwa aus Angst, Furcht oder Scheu vor einem Machthaber, als könnte er ihn damit beleidigen oder gar erzürnen! Denn wer die Welt mehr fürchtet denn Mich, der ist Meiner schier nicht wert, und ebensowenig Meiner geringsten Gnade, und tauget nimmer für einen Himmelsboten.

11. Leichter jedoch wirst du in deinem Reiche es haben, allwo du ein Gesetzgeber und oberster Richter bist und deine Völker dich fürchten, weil sie die Unabänderlichkeit deiner Urteile und Aussprüche kennen; aber wo ein Lehrer als Himmelsbote an einen Ort gelangen wird, der von einem harten Fürsten beherrscht wird, so wird er schon offenbar mehr Mutes benötigen denn du als gefürchteter Fürst in deinem weiten Lande.

12. Wer da aber ein rechter Himmelsbote ist oder sein will, der trage keinen Stock, noch irgendeine andere Waffe, auch habe er keinen Sack bei sich, um etwas einzustecken; denn Ich Selbst werde ihm schon Freunde erwecken, und diese werden ihm geben, dessen er als Fleisch- und Blutmensch benötigt. Also soll ein rechter Himmelsbote außer im Winter oder in des Nordens kalten Landen nicht mehr denn einen Rock tragen, auf daß niemand ihm darum einen Vorwurf machen könne, als habe er zuviel und dafür ein anderer zu wenig. So ihm aber jemand noch einen zweiten oder auch dritten schenkt, so soll er ihn nur annehmen; denn er wird Gelegenheiten zur Genüge finden, wo derlei fromme Gaben gar gut zu verwenden sein werden.

13. Mit dem hast du, Ouran, nun alle Regeln, unter denen sich die wahren Lehrer zu bewegen haben; nur eines füge Ich hinzu und sage: Ein jeder rechte Himmelsbote wird von Mir aus die Fähigkeit erhalten, jeden Kranken zu heilen durch die Auflegung seiner Hände. Und es sollen die rechten Boten auch in einer Gemeinde zuvor irgend da seiende Kranke heilen; solches wird in den Gemeinden einen guten Sinn erwecken, und diese werden dann eher für die neue Lehre aus den Himmeln gestimmt werden, als durch eine noch so wohlgeordnete Rede.

14. Ein jeder Mensch aber horcht ohnehin lieber auf die Worte eines Arztes denn auf jene eines noch so leuchtenden Propheten. Was Ich tue, dasselbe tue auch ein rechter Himmelsbote, als von Mir gesandt in alle Lande der Erde. Nur soll ein rechter Himmelsbote auch vor der Händeauflegung stets wohl erkennen, ob eine Krankheit nicht von einer solchen Art ist, durch die ein Mensch schon mehr jenseits als diesseits sich befindet. Wenn der wahre Himmelsbote schon einmal des Kranken Seele außer dem Leibe erschaut, da soll er ihm nimmer die Hände auflegen, sondern nur beten über ihn und in Meinem Namen segnen die von dieser Welt scheidende Seele. Kurz gesagt aber: Ein jeder rechte Himmelsbote wird es zur Stunde wohl erkennen, was er zu tun hat. – Bist du, Ouran, nun in der Ordnung mit allem, was du noch zu wissen wünschest?“

15. Sagt Ouran: „Ja, Herr und Meister und Gott, der allein wahrhaftige! Meinen liebeheißesten Dank dafür! Und meine Völker sollen und werden Dich weit und breit loben und preisen, daß Du ihrem alten Könige soviel unverdiente Gnade erteilt hast, durch die auch sie eben derselben teilhaftig werden. Darum Dir noch einmal meinen liebeheißesten Dank dafür!“

166. Kapitel. Der herrliche Morgen.

1. Auf diesen wirklich heißgefühlten, wie mit aller Wärme ausgesprochenen Dank begab sich Ouran wieder auf seinen Platz zurück, und es fing im selben Augenblick die Sonne an, auf eine früher noch nie gesehene Weise sich dem Aufgange derart zu nahen, daß sich vor lauter Glanz des Horizontes kaum jemand hinzuschauen getraute. Tausend leichte Wölkchen im hellroten Lichte harrten, wie vor tiefster Ehrfurcht bebend, der herrlichen Tagesmutter.

2. Nach einigen Augenblicken fing die große Sonne im hellsten Regenbogenlichte an, über die fernen Berge sich zu erheben. Ihr Durchmesser aber schien diesmal ein zehnfach größerer zu sein denn irgend sonst wann; zugleich bemerkten viele der Anwesenden große Scharen von Vögeln, die sich in Kreisen drehten, mehr oder minder hoch, in der Luft reinsten, lichtfarbenen Wogen, welche auch der aufgegangenen Sonne eine ganz sehenswerteste Randbewegung verliehen.

3. Über der weiten Spiegelfläche des Meeres lag ein leichter Dunst, der der Sonne Regenbogenfarben auf das herrlichste reflektierte. Zugleich flog eine große Menge großer, weißer Seemöwen munter über der weiten, im Brillantlichte stehenden Meeresfläche umher, und ihre Flügel strahlten, als wären sie Diamanten und Rubine.

4. Zugleich wehte ein so angenehm kühlender Morgenduft, daß Cyrenius und viele andere mit ihm laut ausriefen: „Nein, einen so herrlichen Morgen hat noch nie ein sterbliches Auge geschaut und keines Menschen Sinn je eine so erheiternde Morgenfrische empfunden!“

5. Auch die Jarah, die die ganze Nacht hindurch geschwiegen hatte und mit Schauen und Anhören beschäftigt war, schrie auf einmal vor Entzücken auf: „Oh, das ist ein Morgen, wie ihn die Engel im Himmel genießen! Ach, ach, welch eine Schönheit, welch eine unbeschreibliche Anmut! Das ist auch ein entsprechender Morgen gleich dem, der uns in dieser Nacht in der allerüberschwenglichsten Fülle aufgegangen ist in unseren Herzen! Nicht wahr, o Herr, Du meine ganz alleinige Liebe, das ist wohl so ein recht bedeutungsvoller Himmelsmorgen?“

6. Sage Ich lächelnd: „Allerdings, Mein allerliebstes Rosentöchterchen, so im Menschen alles himmlisch geworden ist, da wird auch schon alles himmlisch, was ihn umgibt! Die Morgen werden Himmelsmorgen, die Tage Himmelstage, die Abende wahre Himmelsabende, und die Nacht wird zu einer Ruhe der Himmel, aber nicht mehr finster, sondern voll des herrlichsten Lichtes für des Menschen reine, mit ihrem Geiste vereinte Seele. Genieße nur recht in vollen Zügen die stärkende Herrlichkeit dieses duftigsten Morgens!“

7. Das Mädchen weint Freudentränen und erhebt sich von ihrem Sitze, um den ganzen Leib in diesem Morgendufte so recht schwelgen zu lassen.

8. Soeben kommt auch der Wirt Markus. Da er das Morgenmahl bestellt hatte, so hatte er den Aufgang der Sonne versäumt. Aber da die Sonne im vollen und hellsten Regenbogenfarbenlichte am Himmel prangt, so fragt er Mich ganz erstaunt, was denn das für ein sonderbarer Morgen sei; denn er sei schon so ein alter Mann geworden, habe Europa, Afrika und Asien weit und breit durchwandert, aber die Sonne und die Morgenwölkchen nie in solch einem Lichte gesehen! Ich möchte ihm denn doch sagen, was das zu bedeuten habe.

9. Sage Ich: „Siehe, so der Kaiser aus Rom hierher käme, so würden die ihm untertänigen Völker alle nur erdenklichen Feste bereiten, teils aus Freude, ihren Kaiser einmal zu sehen, und teils aber auch, um von ihm, so er in einer freudigen Stimmung sich befindet, so manche Gnade und Nachsicht zu erhalten. Siehe, hier in Meiner Person sitzt auch ein Kaiser und ein Alleinherrscher über alle Himmel und Welten!

10. Die Bewohner der Himmel, wie unser Raphael einer ist, wissen, welche großen Eröffnungen des Lebens Ich euch Menschen in dieser Nacht gemacht habe, und daß es gestattet ist, Mich unter euch Menschen, als Vater weilend und euch lehrend, von Angesicht zu Angesicht in dieser Meiner Person zu schauen. Die höchste und seligste Freude, die sie nun empfinden, lassen sie auch durch die Tätigkeit der Naturgeister dieser Erde sehen und fühlen.

11. Aber nicht nur auf dieser Erde, sondern in allen Welten der ganzen, unendlichen Schöpfung wird in dieser Zeit ein entsprechendes Fest gehalten, und zwar die Zeit von sieben Stunden hindurch. In dieser Zeit stirbt in der ganzen Schöpfung keine geschaffene Kreatur und wird auch keine gezeugt. Wenn aber die sieben Stunden werden abgelaufen sein, hat das Fest ein Ende, und alles geht den natürlichen Gang weiter.

12. Nun weißt du den Grund von der Herrlichkeit dieses Morgens! Gehe aber nun und sorge für ein besonders gutes Morgenmahl; denn auch wir wollen heute ein besonderes Fest feiern!“

13. Markus geht eiligst weiter; alle Anwesenden aber stimmen in die Freude der Himmel ein und loben und preisen Mich, am stärksten die Jarah.

14. Nachdem Mich alle bei einer guten Stunde lang über die Maßen gelobt und gepriesen haben, kommt Markus, uns zum bereiteten Morgenmahle zu bitten. Aber viele möchten nun noch länger auf dem Berge verweilen.

15. Da aber sage Ich zu allen: „Unten bei den im Freien stehenden Tischen weilet derselbe Morgen wie hier oben auf dem Berge; auf dem kurzen Wege hinab genießt ihr ihn, und unten werdet ihr ihn doppelt genießen! Unsere Leiber bedürfen einer Stärkung, und daher gehen wir behende hinab zu den Tischen!“

167. Kapitel. Vom Fasten und von der Freude.

1. Auf diese Meine ganz natürlichen Worte bemerkt einer der dreißig jungen Pharisäer: „Nun, endlich einmal auch ein natürliches Wort aus dem Munde Dessen, in dem der allerhöchste Geist Jehovas wohnt in aller Fülle Seiner göttlichen Weisheit, Liebe, Kraft und Macht. Aber zu trauen ist dem dennoch nicht, ob dahinter nicht auch noch ein tiefer, geistiger Sinn liegt. Wer außer Ihm ihn herausfindet, sollte mit einem Königreiche belohnt werden! Ich werde kein König.“

2. Sagt zu ihm ein Gefährte: „Diese Bemerkung war schon ganz leise zu denken, geschweige sie laut der Luft zu übergeben, zu dumm! Wie kann Der etwas ohne einen inneren, tiefsten geistigen Sinn aussprechen?! Erscheint es uns auch noch so gewöhnlich, so ist und bleibt es dennoch ein Ausspruch des allerhöchsten Geistes und kann darum nicht anders als voll des allertiefsten geistigen Sinnes sein! Wir beide werden etwa wohl in alle Ewigkeit die volle Tiefe dieses so ganz leicht hingehauchten Satzes nicht ergründen; aber das fühle ich klar, daß darin etwas Unendliches verborgen sein kann. Daher hüte dich in der Folge vor solch überdummen Bemerkungen!“

3. Sagt der erste: „Nun, nun, dumm war es schon von mir auf jeden Fall, das gestehe ich ja sehr gerne ein; aber es war dennoch nicht irgend etwas Böses darunter gemeint!“

4. Sagt der zweite: „Na, ist dir etwa gar leid darum, daß du nichts Schalkhaftes darunter gemeint hast?! So viel der höchsten Weisheit hast du diese Nacht hindurch samt mir gehört, gesehen, gefühlt und empfunden, – und jetzt fällt dir auf einmal ein, dir eine Art lauer Glossen zu erlauben?! Siehe, weil wir eben so dumm sind und verschlagen und vernagelt wie eine allertrübste Herbstnacht, so hat uns der Herr auch nie berufen, auch so wie ein erhabenster Mathael eine wunderbare Begebenheit zu erzählen! Ein schöner Unterschied zwischen uns beiden und dem Mathael! Ich komme mir schon ohnehin als gar nichts vor; und du willst noch glosseln – in dieser unendlich erhabensten Gesellschaft!“

5. Sagt der erste: „Hast ganz recht, Bruder, wasche mich nur so recht derb durch! Hab wahrlich nichts Besseres verdient! Ich werde mich aber dafür nun auch selbst strafen! Weißt, das Morgenmahl würde mir gar sehr munden; aber nein, gerade nicht! Kein Bissen soll bis an den Abend über meine Lippen kommen! Oh, ich werde meinen Bummelwitz zu züchtigen verstehen!“ – Mit dem begibt sich dieser junge Pharisäer wieder auf den Berg zurück und geht nicht zum Morgenmahle.

6. Aber auch sein Gefährte sagt: „Ja, wenn du fastest, da bin ich durch meine an dich gerichtete Rüge schuld daran, und so will ich dir fasten helfen, damit du dasselbe leichter erträgst! Du hast zwar gefehlt, aber du hast deinen Fehler auch sogleich eingesehen und verdienst Vergebung und eine rechte Unterstützung in deinem dich selbst korrektiven guten Werke. Ich faste also mit dir!“

7. Sagt abermals der erste: „Das sollst du aber nicht; denn es ist nicht fein, so der Unschuldige mit dem Schuldigen leidet, wie es in der Welt leider nur zu oft der wahrhaft äußerst traurige Fall ist!“

8. Sagt der zweite: „Daß ich das nicht wüßte! Aber sage mir, wo diese Fälle denn gar so häufig vorkommen, daß Unschuldige meiner Art mit einem Schuldigen freiwillig leiden!“

9. Sagt der erste: „Nun, derlei Fälle dürften eben gar zu häufig wohl nicht vorkommen, – aber desto mehr solche, wo die Unschuldigen unfreiwillig mit den Schuldigen leiden müssen, zum Beispiel: Irgendein Kaiser, der ein übergroßes Reich hat und mächtig ist durch seine großen Heere, wird von einem kleinerreichigen und mindermächtigen Könige beleidigt. Der Kaiser könnte sich ja für solch eine Beleidigung nur an dem Könige rächen; aber nein, er überzieht das Königsland mit seinen Kriegsheeren und verwüstet es greuelhaft! Er schont weder Vieh noch Menschen; alles muß über die Klinge springen, und Dörfer, Märkte und Städte werden durchs Feuer vernichtet. Wie viele Unschuldige müssen hier mit einem Schuldigen leiden! Ich glaube, dies Beispiel wird dir etwa doch genügen, und du wirst es einsehen, daß ich dann und wann doch auch recht habe!“

10. Während diese beiden Zurückgebliebenen aber also miteinander ihre Worte tauschten, erreichten wir die Tische und setzten uns zum sehr reichhaltigen und bestbereiteten Morgenmahle. Außer Mir vermißte wohl niemand die beiden jungen Pharisäer, die nun freilich wohl keine Pharisäer mehr waren. Darum sagte Ich denn alsogleich zum Markus, daß er auf den Berg gehen und sie im Namen des Herrn zum Morgenmahle holen solle.

11. Markus begab sich schnell auf den Berg und richtete beiden Meinen Willen aus. Da erhoben sich die beiden und folgten dem Markus auf dem Fuße.

12. Als sie unten ankamen, sagte Ich zu beiden: „Simon und Gabi! Kommet hierher und setzet euch zu diesem Tische; denn wir wollen nach dem eingenommenen Mahle doch sehen, ob in Meiner natürlichen Beheißung auf dem Berge wegen des Heruntergehens zum Morgenmahle im Ernste kein geistiger, innerer Sinn zu finden ist! Zuerst aber heißt es nun essen und trinken; denn der Leib braucht seines zeitweiligen Fortbestandes wegen ebenso eine Nahrung und Stärkung wie die Seele, wenn sie in der Erkenntnis und in der Kraft des Willens wachsen soll.

13. Darum esset und trinket nun und lasset das Fasten auf eine andere Zeit! Solange Ich bei euch bin als ein wahrer Vater eures Geistes und Bräutigam eurer Seelen, sollet ihr nicht fasten weder leiblich noch seelisch; wenn Ich aber mit der Zeit persönlich, wie nun, nicht mehr unter euch sein werde, dann werdet ihr schon wieder in allerlei zu fasten bekommen!“

14. Ein übertriebenes und grundloses Fasten ist ebenso eine Torheit und kann sogar zur Sünde werden wie ein übertriebenes Schwelgen. Wer denn in einer wahren Ordnung leben will, der sei mäßig in allem; denn jedes Unmaß muß mit der Zeit für Leib, Seele und Geist nachteilige Folgen haben! Esset und trinket nun ganz wohlgemut, und seid heitern und muntern Gemütes!

15. Ein heiteres und munteres Herz ist Mir um vieles angenehmer denn ein betrübtes, trauriges, klagendes, murrendes, mit allem unzufriedenes, dadurch undankbares und sicher wenig Liebe in sich fassendes; denn in einem heiteren Herzen wohnt Liebe, gute Hoffnung und ungezweifelte Zuversicht. Kommt ein aus einem gewichtigen Grunde Trauernder zu einem Heitern und Fröhlichen, so wird er bald mit heiter gestimmt, seine Seele fängt an, sich freier zu bewegen, und des Geistes Licht kann die ruhige Seele leichter durchleuchten, – während eine traurige Seele ordentlich zusammenschrumpft und am Ende ganz finster und mürrisch wird.

16. Ich meine, unter der Heiterkeit und Munterkeit des Herzens werdet ihr wohl keine ausgelassene, unlautere und unsittliche Spaßmacherei verstehen – denn dergleichen bleibe ferne von euch! –, sondern jene Heiterkeit und Munterkeit, die eines ehrbaren und kerngesunden Ehepaares Herz erfüllen, oder die gottergebene Menschen nach guten und Gott wohlgefälligen Handlungen empfinden. – Habt ihr das alles wohl verstanden?“

17. Alles bejaht und freuet sich in Meiner Freude. Darauf aber ward von allen Seiten ganz ordentlich in die Schüsseln gegriffen, und die großen, edlen Fische ließen wahrlich nichts zu wünschen übrig! Auch dem Weine wurde ganz ordentlich zugesprochen.

168. Kapitel. Simons Rede über Ermahnungen aus Eigenliebe.

1. Nach einer halben Stunde wurde es sehr lebendig in unserer großen Gesellschaft, und der Simon fing an, seinem allerdings recht geistreichen Witze Luft zu machen. Gabi, als ein mehr ernster junger Mensch von etlichen zwanzig Jahren, zupfte den Simon wohl zu öfteren Malen, sich nicht zu weit irgend zu vergessen.

2. Aber Simon sagte: „Wer zupfte denn damals den David, als er, ordentlich ausgelassen, vor der Lade einhertanzte? Sein Weib wohl riet ihm aus Schamhaftigkeit mehr Mäßigung in seiner Freudenraserei; aber David kehrte sich nicht daran! Und sieh, ich werde mich nun auch nicht kehren an deine Korrektionszupfer, sondern werde nur noch heiterer werden! Zupfe mich darum nicht mehr, sonst müßte ich dich auch zupfen!

3. Dort siehe hin, dort sitzt der Herr; Der allein ist nun unser Korrektor! Was wollen wir Sünder einander viel korrigieren? Denn ein jeder von uns Menschen korrigiert seinen Nächsten zumeist aus seiner Eigenliebe! Der Knicker ermahnt seine Nächsten zur Mäßigkeit, Nüchternheit und Sparsamkeit und hat seine Sittensprüche dafür. Warum tut er aber das? Er fürchtet sich, daß da jemand verarmen könnte, den er dann als ein wohlhabender Mensch, wennschon nicht aus Nächstenliebe, so aber doch schandenhalber, unterstützen müßte.

4. Ein anderer, der nicht schnell gehen kann, wird seinen Begleitern ganz ärztlich die Schädlichkeit des Schnellgehens auseinandersetzen. Ein anderer, der kein besonderer Freund einer bedeutenderen Hitze ist, wird die Nützlichkeit des Schattens, sich soviel als möglich bevorzugend, hervorheben. Der Weintrinker wird seinen Freunden sicher das Wasser nicht besonders anpreisen. Ein junger, oder auch schon ein bejahrterer Mann, der selbst irgendeine Maid sehr gerne sieht, wird ihr stets von der Gefahr, mit anderen Männern Umgang zu pflegen, vorpredigen und andere Männer recht schön und moralisch gründlich vor dem unbesonnenen Umgange mit dem weiblichen Geschlechte warnen. Da wird doch in solcher Warnung ein recht nettes Stück Eigenliebe ersichtlich sein?!

5. Und so habe ich bis jetzt noch stets, ich sage es ganz offen, die Bemerkung gemacht, daß bei den so oft vorkommenden Ermahnungen stets ein wenig Eigenliebe auf der Seite des Ermahners herausschaut, was sich kein Ermahner, so er nur ein wenig über sich nachdenkt, verhehlen kann. Was ihn irgend unangenehm berührt, das zu tun, wird er seinen Nächsten stets am meisten unter allerlei moralisch aussehenden Gründen warnen.

6. Wenn einer in eine Maid verliebt ist, so wird er sie sicher stets bald ernst und bald liebreich warnen vor anderen Männern, die etwa, wie es zuweilen zu geschehen pflegt, auch ein Auge auf sie haben dürften. Warum warnt er denn viele andere Maiden nicht vor der Schlechtigkeit der anderen Männer? Weil bei den anderen Maiden seine Eigenliebe nicht mit im Spiele steht!

7. Ich möchte sogar aus den Charakteren der verschiedenen Warnungen und Belehrungen, welche sich die Menschen gegenseitig erteilen, die sogenannten schwachen Seiten der Menschen auf ein Haar herausfinden!

8. Nicht umsonst hat unser Gottmeister auf dem Berge die herrliche und gar überaus treffliche Bemerkung für die gewissen ungebetenen Korrektoren gemacht, die nicht gar sogleich zu ihrem Nächsten sagen sollen: ,Komme Freund, daß ich dir den Splitter aus deinem Auge ziehe!‘ Sie sollen zuvor so hübsch darauf achten, ob etwa nicht gar ein ganzer Balken in den eigenen Augen stecke! Hätten sie erst diesen mit vielleicht so mancher Mühe hinausgearbeitet, dann hätten auch sie ein bedächtiges Recht, zu ihrem Bruder zu sagen, ob es ihm genehm sei, sich sein Splitterchen aus dem Auge nehmen zu lassen!

9. Siehst du, Freund Gabi, das ist auch Moral, die ich dir freilich nicht so, wie du mir deine Stupfer, aufdrängen will, obschon ich da nahe ganz fest behaupten möchte, daß da sehr wenig Unwahres darin stecken dürfte!

10. Ich habe jetzt geredet und werde mich nun wieder über einen Fisch hermachen! Unterdessen kannst du, Freund Gabi, deiner Predigerzunge ein wenig die Zügel schießen lassen! Aber nur mit der Salomonischen Weisheit verschone mich; denn für die haben wir beide noch keine Haare auf unsern Milchzähnen! Wir beide müssen überhaupt nur darum froh sein, daß wir bewußtermaßen noch leben; aber den Salomo lassen wir beide einen ganz guten Mann sein! Und sein Hoheslied singe, wer da will; unsere Stimmen werden hoffentlich diese Höhe auf der lieben Mutter Erde nie erreichen!“

11. Gabi sieht über diese Simonischen Stiche zwar ein wenig verdrießlich aus, bleibt aber dennoch stille aus purer Ehrfurcht vor Mir.

169. Kapitel. Simon kritisiert das Hohelied Salomos.

1. Sage Ich zu Simon: „Ist also dein Gefährte ein großer Freund des Salomo? Und was versteht er denn aus dessen Hohemliede? Sage Mir, wieweit ihr darin schon vorgedrungen seid!“

2. Sagt Simon: „Herr und Meister Himmels und dieser Erde! Darf ich so, wie mir die Zunge gewachsen ist, ganz von der Leber weg reden, so rede ich gerne; wenn ich aber klauben muß, da ist's zu bei mir, – denn da bringe ich nichts heraus!“

3. Sage Ich: „Rede, wie dir die Zunge gewachsen ist; denn dein Witz und Humor entstammt einem guten Samenkorne!“

4. Sagt darauf Simon: „Ach, wenn so, da werden wir schon etwas herausbringen! Aber freilich über meinen höchst einfachen Verstand hinaus wird's nicht reichen; doch soll meine Meinung keine ungesunde sein!

5. Du, o Herr und Meister, fragtest, wieweit wir schon im Hohenliede vorgedrungen wären! Hilf, Elias, ich bin noch gar nicht vorgedrungen; denn da wäre mir um die Zeit leid gewesen! Aber Gabi hat bereits das ganze erste Kapitel auswendig im Kopfe. Noch immer schleckt und kauet er daran und nimmt allzeit die beiden Backen voll; aber von dem Sinne dieses Kapitels hat er ebensowenig Kenntnis wie ich vom tiefsten Meeresgrunde. Das Schönste dabei ist aber, daß man dieses Liedes erstes Kapitel stets weniger versteht, je öfter man es liest! Und wenn man es gar am Ende noch dazu auswendig kann, da versteht man es dann schon am allerwenigsten!“

6. Sage Ich: „Ja, kannst du etwa das erste Kapitel auch auswendig?“

7. Sagt Simon: „Der – hat es mir ja schon so oft vorgeleiert, daß ich es nun leider auch schon von Wort zu Wort auswendig kann zu meinem größten Überdrusse! Mit den Skythen reden, ist viel unterhaltender, als sich das Hohelied Salomos vorsagen. Wer daran etwas findet, der muß ein Kind ganz kurioser Eltern sein. Ich halte es für einen Unsinn! So schön, wahr und gut die Sprüche Salomos sind und auch seine Predigten, ebenso dumm und gar nichts sagend ist dann sein Hoheslied. Wer daran etwas mehr als ein Werk eines Narren findet, der hat offenbar ein vollkommen krankes Gehirn!

8. Was soll zum Beispiel das heißen: ,Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; denn deine Liebe ist lieblicher denn Wein.‘ Wer ist der ,er‘, und wer ist der ,mich‘? Dann soll der unbekannte ,er‘ den ebenso unbekannten mich mit des ,er's‘ eignem Munde küssen!? Hat denn dieser ,er‘ auch andere fremde Munde in seinem Gesichte? Das muß dann ein sehr wunderlich sonderbares Wesen sein!

9. Der Nachsatz dieses ersten Verses scheint offenbar den Grund des Verlangens im Vordersatze zu enthalten; aber da steht der ,er‘ in der zweiten Person, und man kann's nicht als bestimmt annehmen, daß unter dem Ausdrucke ,deine Liebe‘, die lieblicher denn der Wein sei, eben des ,er's‘ Liebe gemeint sei. Weiß man aber schon nicht, wer der ,er‘ und wer der ,mich‘ ist, woher soll man dann erst wissen, wer der ist, dessen Liebe in der zweiten Person lieblicher als der Wein sein soll?

10. Übrigens ist da auch damit der Liebe kein besonderes Kompliment gemacht, wenn man sagt, daß sie lieblicher als der Wein sei, so der Wein zuvor nicht als ein besonders köstlicher bezeichnet wird. Denn es gibt ja auch ganz elende und schlechte Weine! Ist aber die Liebe nur köstlicher oder lieblicher als der Wein, ohne Unterschied seiner Qualität, dann ist solch eine Liebe wahrlich durchaus nicht gar weit her! Es mag über all diesem Geplauder wohl immerhin etwas Besonderes darin stecken, aber ich finde es doch auf dieser Welt nimmer heraus.

11. Zum größten Überflusse zur Zeigung meines Blödsinnes will ich noch den zweiten Vers zum ersten ankleben; der lautet, so mich mein Gedächtnis nicht trügt: ,Daß man deine gute Salbe rieche; dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe, darum lieben dich die Mägde.‘ Da paßt der zweite Vers, meinem Verstande nach, doch geradeso auf den ersten, wie ein ganzes Haus auf ein Auge hinauf! Was ist denn das für eine Salbe, und wessen? Wer soll denn diese Salbe riechen? Wie kann jemandes Name eine ausgeschüttete Salbe sein, und warum soll er gerade darum von den Mägden geliebt werden? Was sind das für Mägde?

12. Darum fahre ab, großer Salomo, mit all deiner hohen Weisheit! Ein Wort von Dir, o Herr, hat für mich ja einen tausendmal tausend Male größeren Wert als alle die hohe Salomonische Weisheit! Nun habe ich von Salomo schon wieder genug! O Herr, ich bitte Dich, schenke mir die weiteren Verse; denn die gehen schon bei weitem übers Skythische hinaus!“

13. Sage Ich: „Ganz gut, Mein lieber Simon, könntest du Mir nicht auch jene Mahnworte wiedergeben, die Ich auf dem Berge zu jenen gesprochen habe, die des schönsten Morgens wegen nicht vom Berge hinabgehen wollten, von welchen Worten du behauptetest, daß sie sicher keinen innern, geistigen Sinn haben würden? Wenn du dich deren noch erinnerst, so sage sie Mir noch einmal vor!“

14. Sagt Simon, mit einem etwas verlegenen Gesichte: „O Herr und Meister, so mich mein Gedächtnis nicht trügt, da hießen die wenigen Worte etwa wohl also: ,Unten bei den frei stehenden Tischen weilet derselbe Morgen wie hier oben auf dem Berge; auf dem kurzen Wege hinab genießet ihr ihn, und unten werdet ihr ihn doppelt genießen. Unsere Leiber bedürfen einer Stärkung, und so gehen wir behende hinab zu den Tischen!‘ Ich glaube, daß Du, o Herr und Meister, gerade also gesprochen hast?!“

15. Sage Ich: „Ganz gut, Mein lieber Simon! Du hast den Satz von Wort zu Wort vollkommen richtig wiedergegeben. Aber was sagst du dazu, so Ich es dir nun sage, daß solcher von Mir ausgesprochene Mahnsatz geistig ganz dasselbe nun als erfüllt besagt, wie deine zwei Mir aus Salomos Hohemliede vorgetragenen Verse?! Kannst du dir hierin irgendeine Möglichkeit denken?“

16. Sagt Simon: „Ehe ich das begreife, eher begriffe ich, daß das bedeutende Meer sich morgen schon in die üppigsten Fluren umgestalten wird. Denn was Du, o Herr, auf dem Berge gesprochen hast, das war klar und allerdeutlichst, und wir verstanden alle nur zu gut, was wir angenehmstermaßen zu tun hatten, nämlich hinabzugehen, uns ganz wohlgemut an diesem herrlichsten Morgen zu den Tischen zu setzen und unsere Leiber mit einem bestbereiteten Morgenmahle zu stärken! Wer das etwa nicht verstanden hat, der muß nur ganz stocktaub gewesen sein.

17. Wer aber versteht also auch die beiden Verse des Hohenliedes? Die sind naturgemäß, wie ich gezeigt habe, ein barster Unsinn! Sind sie aber das, wer kann dann darin im Ernste noch einen höchst weisen, geistigen Sinn suchen wollen? Das kommt mit Fug und Recht mir nun gerade so vor, als sollte ich mir von einem mehr Tier als Mensch seienden Stummtrottel die Vorstellung machen, daß er ein weiser Plato sei! Übrigens, – möglich ist alles, warum dieses nicht?! Ich gebe hier nur an, wie ich es nun fühle und empfinde.“

18. Sage Ich: „Desto besser; denn je mehr Unmögliches du nun daran findest, desto wunderbarer wird dich hernach die Aufhellung berühren: Aber es ist auch das nun wunderbar, daß du und deinesgleichen mit offenen Augen noch immer nichts sehet und mit offenen Ohren nichts vernehmet! Aber lassen wir das! Weil dir das Hohelied so geläufig ist, so sage Mir zu den zwei Versen auch noch den dritten hinzu, und Ich werde dann gleich imstande sein, vor dir das dir so unentwirrbare Rätsel sicher vollkommen zu deiner Zufriedenheit zu lösen!“

19. Sagt Simon: „O weh, auch den dritten Vers noch?! Dir zuliebe, o Herr, tue ich schon gerne alles, was Du von mir verlangst; aber sonst kann ich Dir versichern, daß mir das nahe den Magen umkehrt!

20. Der dritte Vers ist erst recht verwirrt. So mich mein Gedächtnis nicht trügt, da lautet der berühmte dritte Vers ungefähr also: ,Ziehe mich dir nach, so laufen wir! Der König führet mich in seine Kammer. Wir freuen uns und sind fröhlich über dir; wir gedenken an deine Liebe mehr denn an deinen Wein. Die Frommen lieben dich.‘

21. Da ist er nun! Wer ihn verdauen kann, der verdaue ihn! Wenn es im Anfange nur hieße: ,Ziehe mich dir nach, so laufe ich!‘; aber so heißt es im Nachsatze: ,so laufen wir!‘ Wer ist der, so da nachgezogen sein will, und wer hernach die ,wir‘, die da laufen?

22. ,Der König führet mich in seine Kammer.‘ Welcher König denn, der ewige oder irgendein zeitlicher und weltlicher? Der Satz ist aber übrigens noch immer einer der besten.

23. ,Wir freuen uns und sind fröhlich über dir.‘ Hier möchte ich nur wissen, wer da die ,wir‘ sind, und wer der ist, über den sie fröhlich sind!

24. Ferner gedenken die gewissen Unbekannten des auch gewissen Unbekannten Liebe mehr denn des Weines, von dem auch nicht gesagt wird, von welcher Güte er sei!

25. Wer ist am Ende der höchst unbekannte ,dich‘, den die Frommen lieben? Oh, der unbestimmtesten aller Redeweisen!

26. Was ist der Mensch dieser Erde doch für ein armseligster Tropf! Mit nichts fängt er an, lebt mit nichts und hört endlich wieder mit nichts auf. Wenn er auch glaubt, etwas zu verstehen seines Lebens bessere und hellere Periode hindurch, kommt aber dann unglücklicherweise hinter Salomos Hoheslied, so ist der Narr vollkommen fertig; denn sobald der Mensch einmal durch Wort oder Schrift von seiten eines anderen Menschen aufmerksam gemacht worden ist, daß es mit seiner Weisheit vollkommen aus ist, dann ist es schon auch rein aus mit dem Menschen selbst, das heißt, er lebt wohl noch fort, aber als ein Narr, der nichts weiteres mehr zu fassen und zu begreifen imstande ist! Ist der Mensch mir gleich bis dahin gekommen, wo es gar nicht mehr weitergehen will, so kehrt er wieder um und fängt wie ein Tier an, bloß zu vegetieren. Wozu auch einer weiteren Mühe um nichts und noch tausendmal nichts?!

27. Wahrlich, Herr und Meister, Du hast uns auf dem Berge diese Nacht hindurch Dinge gezeigt, wie sie auf dieser Erde noch nie den sterblichen Menschen irgendwann gezeigt worden sind! Ich begreife und verstehe nun ungeheuer vieles. Aber warum begreife ich denn Salomos Weisheit nicht? Darf sie überhaupt kein Mensch begreifen, oder ist sie wirklich – was sie dem Außen nach sehr scheint – ein frommer Wahnsinn, also durchaus nie zu begreifen? Oder sind da doch irgend Geheimnisse darin verborgen, die von größter Lebenswichtigkeit wären?

28. Wenn eines oder das andere, da sage es mir! – denn Dir allein glaube ich, was Du im Ernste darüber sagest; denn Du kannst das Hohelied wohl verstehen, wenn es überhaupt zu verstehen ist! Ist aber das ganze Hohelied nur so eine letzte Salomonische Weisheitsschwindelei, so sage es mir auch, und ich werfe gleich das ganze Hohelied in eine Kloake, damit deren Einwohner aus ihm die Weisheit Salomos studieren sollen!“

170. Kapitel. Der Schlüssel zum Verständnis des Hohenliedes.

1. Sage Ich: „Freund, du wirst mit deinem Witze zwar ein wenig schlimm, und Ich möchte zu dir nun auch sagen, was dereinst ein berühmter Maler zu einem Schuster gesagt hat! Aber es kann bei dir jetzt noch nicht anders sein; denn nach Salomo hat ja alles seine Zeit auf dieser Erde. Fasse dich aber nun ordentlich und mit viel gutem Willen, so soll dir Salomos Hoheslied ein wenig näher beleuchtet werden, und wie es mit Meiner kurzen Mahnrede auf dem Berge völlig einstimmig ist und dasselbe besagt.

2. Salomo hat in seinem Hohenliede nichts als nur Mein nunmaliges Sein prophetisch unter allerlei Bildern, die voll geistiger Entsprechung sind, den Menschen von Tat zu Tat, von Stellung zu Stellung und von Wirkung zu Wirkung dargestellt. Ich allein bin sein Gegenstand; der ,er‘ und der ,du‘, der ,ihm‘ und der ,dich‘ bin alles Ich. Wer aber aus Salomo spricht mit Mir, ist dessen Geist in der Einzahl, und in der Vielzahl sind es des Volkes Geister, die sich gewisserart in Salomos Königs- und Herrschgeiste für einen und denselben Zweck einen und alsonach eine moralische Person darstellen.

3. Wo es heißt: ,Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes‘, so heißt das soviel als: Der Herr rede aus Seinem wahrhaft eigenen Munde zu mir, Salomo, und durch mich zum Volke Israel und durch dieses zu allen Menschen der Erde; der Herr rede nicht mehr pur Worte der Weisheit, sondern Worte der Liebe, des Lebens zu mir! Denn ein Wort der Liebe ist ein wahrer Kuß des Gottesmundes an das Herz des Menschen; und darum sagt Salomo: ,Er (der Herr) küsse mich mit dem Kusse seines Mundes!‘

4. Nun paßt dann der Nachsatz schon ganz gut darauf, wo es heißt: ,Denn deine Liebe ist lieblicher denn Wein‘, oder: Deine Liebe ist mir und allen Menschen dienlicher als die Weisheit. Denn unter ,Wein‘ versteht man allzeit Weisheit und Wahrheit.

5. Daß Salomo im ersten Bittsatze, als um das Wort der Liebe bittend, noch in der dritten Person zu Mir seufzet, bezeichnet, daß er durch die alleinige Weisheit Mir noch ferne ist; durch die zweite Person im Nachsatze, wo der Grund der Bitte des ersten Satzes ausgesprochen wird, aber bezeiget Salomo die schon größere Annäherung Gottes auf dem Wege der Liebe denn auf dem Wege der puren Weisheit. Den Kuß, die Liebe aber, um die Salomo in seinem Hohenliede gebeten hat, bekommt ihr alle soeben von Mir, und so dürfte dir, Mein lieber Simon, nun der erste Vers des Hohenliedes wohl schon ein wenig klarer sein, als er dir zuvor gewesen ist!“

6. Sagt Simon: „O Herr, nun ist mir dadurch freilich auch schon der zweite Vers klar, und ich getrauete mir ihn nun zu erläutern!“

7. Sage Ich: „Tue das, und wir werden es sehen, wie du den zweiten Vers aufgefaßt hast aus dem Lichte des ersten Verses!“

8. Sagt Simon: „Das wird nun schon offenbar soviel heißen: Herr, so Du mich aber küssest mit dem Kusse Deines Mundes, so Dein Wort Liebe wird, also eine wahre Salbe des Lebens, so möge diese Salbe, dies Dein göttliches Liebewort, für die Menschen alle verständlich sein. Denn man sagt ja schon oft im gewöhnlichen zierlich ,riechen‘ statt ,verstehen‘. Man sagt oft: ,Riechest du, wo das hinaus will?‘ oder: ,Er hat den Braten oder die Salbe gerochen!‘

9. Nun bist Du, o Herr, da bei uns, wie auf die Bitte Salomos im ersten Verse! Wir haben Deinen Namen, Dein heilig Liebewort, das wohl köstlicher ist denn Salomos pure Weisheit! Wir haben nun die vor uns ausgeschüttete Salbe, Deinen Namen, Deine Liebe, Dein heilig Lebenswort, allen verständlich, vor uns.

10. Nun, die Mägde, die Dich darum lieben, sind offenbar auch wir, vom Standpunkte unserer beschränkten Einsicht und Verständnisses aus betrachtet! Denn eine Magd ist zwar ein lieblich Wesen, ist nicht ganz ohne Einsicht und Verstand, aber von einer großen männlichen Weisheit kann, wenigstens im allgemeinen angesehen, keine Rede sein. Daher sind wir offenbar die Mägde, die Dich, o Herr, über alles lieben, weil uns Dein Liebewort verständlich ist, für uns also eine ausgeschüttete Salbe ist, an deren köstlichem Geruche wir uns gar wunderbar ergötzen. – Sage mir, o Herr, ob ich denn wohl nach dem ersten Verse den zweiten richtig aufgefaßt habe!“

11. Sage Ich: „Ganz vollkommen richtig und grundwahrheitlich! Es ist mit dem sehr unverständlich scheinenden Hohenliede der Fall, daß es ganz leicht begriffen werden kann, wenn jemand nur den ersten Vers richtig auf dem Wege der Entsprechung aufgefaßt hat. Da du nun aber den zweiten Vers so ganz vollkommen richtig aufgefaßt hast, so versuche dich nun noch am dritten Verse; vielleicht wirst du auch da den Nagel auf den Kopf treffen!“

12. Sagt Simon: „O Herr, nun wagete ich mich schon gleich ans ganze Hohelied! Aber der dritte Vers liegt nun nach den zwei ersten doch so klar wie dieser herrlichste Morgen vor mir enthüllt!

13. ,Ziehe, o Herr, mich Dir nach, so laufen wir!‘ Wer kann sonst wohl geistig ziehen, als allein nur die Liebe?! Und die Folge ist, daß diejenigen, die mit und durch die Liebe unterwiesen und gezogen werden, in einem Augenblicke mehr fassen und begreifen, daher im Erkenntniswachstume wahrhaft laufen, denn durch die trockene und kalte Weisheit in vielen Jahren. Die einfache Person im ersten Satze ist also nur eine moralische und erscheint im zweiten Nachsatze geteilt in der Vielheit, was vorderhand doch offenbar wir sind, und danach ganz Israel, und am Ende gar alles, was auf der ganzen Erde Mensch heißt.

14. Der König, der Ewige, der Heilige führet mich und uns alle nun wohl freilich in die allerheiligste und lichtvollste Liebe- und Lebenskammer Seines allerheiligsten Vaterherzens! Und wir freuen uns nun wohl und sind über die Maßen fröhlich über Dir und gedenken sicher Deiner Vaterliebe tausend Male mehr denn aller der trockenen und kalten Weisheit! Nur in Deiner Liebe sind wir voll Demut und einfältigen und dadurch frommen Herzens; wir sind dadurch fromm und lieben Dich, o Herr, erst vollkommen in dieser unserer Frömmigkeit.

15. Der Weisheit Morgen, entsprechend dem auf dem Berge oben, ist zwar herrlich und schön; aber hier unten bei den gastfreiesten Liebesmahltischen in der großen, heiligen Kammer Deines allerheiligsten Vaterherzens weilet freilich auch derselbe Morgen des wahren Lebens. Oben auf dem Berge genossen wir, also noch in der wahren Erkenntnis Unterwiesene, den herrlichen Lebenslichtmorgen; aber es waren dort keine Tische mit den nährenden und das Leben stärkenden köstlichen Speisen bestellt.

16. Wohl gefiel uns das Licht der tiefsten Weisheit; aber Du sahst auch schon in vielleicht so manchen den Keim des Dünkels, im Herzen der Furche des Lebensgärtchens entsprossen, und sagtest mit den hinreißendsten Liebeworten: ,Kinderchen, unten in der Demutstiefe weilet derselbe Morgen! Wenn ihr den kurzen Weg von der Eigendünkelshöhe, die gewöhnlich eine Folge hoher, purer Weisheit ist, hinab in der Liebe Demutstiefe steiget, so genießet ihr ja denselben Lichtmorgen! Und unten in der Tiefe der Liebe weilet er auch so wie hier, und ihr genießet ihn doppelt; denn dort ist nicht nur ganz dasselbe Licht, sondern auch in der Liebe und Demut die Quelle des Lichtes und des Liebelebens daheim! Unten stehen die vollen Tische zur Stärkung, Ernährung und Erhaltung des Lebens in seiner Ganzheit!‘

17. Dahin, o Herr, hast Du uns gezogen durch den wahren Kuß Deines heiligen Mundes, und wir haben dann nicht mehr gesäumet, sondern sind Dir nachgelaufen und lieben Dich als nun Deine in aller Liebe und Demut wahrhaft Frommen! – Herr, habe ich die Sache wohl recht aufgefaßt und dargestellt und erraten den innern Sinn Deiner auf dem Berge ausgesprochenen Mahnworte?“

171. Kapitel. Simon erläutert einige Verse des Hohenliedes.

1. Sage Ich: „Ganz vortrefflich! Wenn Ich Selbst dir und euch allen die Verse des Hohenliedes, und damit vergleichend Meine Mahnworte, auf dem Berge erklärt hätte, so hätte Ich Mich sogar ganz derselben Worte bedient. Du hast demnach die gute Sache zu Meiner vollsten Zufriedenheit erörtert. Da du aber nun schon der Hoheliedserklärer geworden bist, so könntest du dich nun etwa wohl mit ein paar Versen des ersten Kapitels weiter versuchen! Oder ist jemand anders unter euch, der das vermöchte?“

2. Sagen alle: „Herr, wir vermögen es dennoch nicht, obwohl es uns vorkommt, als vermöchten wir es!“

3. Sagt Simon: „O Herr, da hat's bei mir nun gar keinen Anstand mehr; das verstehe ich nun auf einmal ganz gut, und sicher auch ganz richtig!

4. Ein weiterer Vers heißt: ,Ich bin schwarz, aber gar lieblich, ihr Töchter Jerusalems, wie die Hütten Kedars, wie die Teppiche Salomos.‘ Dies nun in unsere natürliche Zunge übertragen, kann doch nichts anderes besagen als: ,Ich, der Herr, nun in der Welt bei euch blinden und vielfältigst hochmütigen Menschen, bin von euch meistens ungekannt und von eurer hohen Welt tiefst verachtet, und in Mir aber dennoch voll der tiefsten Demut und Sanftmut, Geduld und Liebe zu euch Töchtern Jerusalems!‘

5. Wer sind die Töchter Jerusalems? Diese sind der Hochmut, der Stolz, die Herrsch- und Habsucht der Nachkommen Abrahams; das sind die gezierten Töchter Jerusalems, denen aber der verachtete, also vor ihnen schwarze Herr, der erste Mensch aller Menschen, doch gnädig und barmherzig ist und lieblicher und liebevoller als die von außen gar elend aussehenden Hütten Kedars (Kai-darz), die aber inwendig dennoch reichlichst ausgestattet waren mit allerlei Schätzen zum Verteilen unter die gerechten Armen und Notleidenden und auch lieblicher denn Salomos wertvollste Teppiche, deren äußere Gesichtsseite ein dunkelgrauer, härener Stoff war, das Untere und Inwendige aber die kostbarste indische Seide, mit feinstem Golde durchwebt.

6. Weiter heißt es: ,Sehet mich nicht an, daß ich so schwarz bin (vor euch Töchtern Jerusalems); denn die Sonne (euer Weltstolz) hat mich verbrannt (vor eurem hochmütigen Weltangesichte)! Meiner Mutter Kinder zürnen mit mir.‘ Wer anders kann Deine Mutter in Dir, o Herr, sein als Deine ewige Weisheit, so wie der Vater in Dir Deine ewige Liebe ist?! Deine Mutter ist auch gleich Deine ewige Ordnung, deren mit Dir, o Herr, zürnende Kinder den ewig unendlichen Raum erfüllen und durch ihre Ordnung der großen Unordnung der Kinder Israels zürnen.

7. Denn diese heilige Ordnung ,hat man zur Hüterin der Weinberge gesetzt‘, das heißt: Dein Wille im Vereine aller Deiner Himmelsmächte hat den Menschen diese Ordnung gegeben durch Gesetze, daß durch sie die Weinberge, das sind die Menschengemeinden, in der Ordnung der Himmel verblieben.

8. ,Aber meinen Weinberg, den ich hatte, habe ich nicht gehütet!‘ Das heißt soviel als: ,Meine ewige, göttliche, unzugängliche Höhe und Tiefe habe Ich außer der Hut gesetzt!‘, – wovon hoffentlich für jedermann Deine hier höchst zugänglichste Gegenwart doch das sprechendste Zeugnis gibt. Deine höchsten und unzugänglichen und lichtvollsten Himmel hast Du verlassen, um hier in der tiefsten Demut, also schwarz vor den Kindern dieser Erde, zu erscheinen und die gerechten Armen aber zu führen in Deine Kammer, in die rechte Hütte Kedars. – O Herr, sage mir nun, ob ich wohl auch die von Dir noch nachverlangten zwei Verse richtig beurteilt habe!“

9. Sage Ich: „Ganz richtig; darum gib uns noch die Erklärung des sechsten Verses zu den fünfen!“

10. Sagt Simon: „Dir ewig meine vollste Liebe und meinen innersten Dank, daß Du, o Herr, mich jungen Burschen würdigest durch Deine Gnade und Liebe, hier jene tiefen Geheimnisse vor denen, die Dich lieben, aufzudecken, die, seit sie geschrieben worden sind, bis jetzt noch niemand aufgedeckt hat! Meine Seele freuet sich dieser Gnade über alle die Maßen. Es ist aber dennoch kein Hochmut darob in ihr; im Gegenteile werde ich nur stets demütiger, je mehr ich Dein Alles und mein vollkommenes Nichts einsehe und begreife. Aber Du, o Herr, weißt es ja, daß ich stets mit dem guten Humor etwas zu tun habe, und der köstliche Wein stimmt mich noch mehr dazu, und so kann ich hier beim verlangten sechsten Verse schon nicht umhin, so ernst er auch immerhin ist, einen kleinen Humor anzubringen!“

11. Sage Ich: „Rede du, wie dir Herz und Zunge gewachsen sind!“

12. Spricht Simon weiter: „Hätte Salomo oder seine mit aller Weisheit erfüllte Seele die Gelegenheit gehabt, hier in unserer Mitte zu sein, so hätte sie den sechsten Vers sicher nicht niedergeschrieben; denn im sechsten Verse sagt Salomo: ,Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo du weidest, wo du ruhest im Mittage, daß ich nicht hin und her gehen müsse bei den Herden deiner Gesellen!‘ Denn da hätte Dich Salomos und durch ihn seines Volkes Seele, Deine Schafe weidend am Morgen, Mittage, Abende und auch in der Mitternacht, sicher gefunden; also stets tätig und nicht allein im Mittage ruhend!

13. Ich meine, der ewige Mittag Deiner Ruhe – das ist jene unendlich lange Zeitendauer, in der Du nicht, wie jetzt, Selbst mit den Menschen umgingst, sondern sie überlassen hast Deinen Gesellen, die immer dümmer und hochmütiger geworden sind – sei nun vorbei, und ein neuer und ewiger Lebensmorgen ist uns aufgegangen, und wer Dich erkannt hat, wird Dich wohl nimmer hin und her suchen bei Deinen nun höchst dumm und träge gewordenen Gesellen.

14. Wie gedenkest Du, o Herr: habe ich auch wenigstens nur so im Vorbeigehen den rechten Sinn berührt?“

15. Sage Ich: „Ganz vollkommen auch hier trotz des Humors, den du hier ganz passend hineingemengt hast! Da wir aber nun gesehen haben, daß auch Salomos Hoheslied enthüllt werden kann und du, Simon, selbst davon eine ganz andere Meinung überkommen hast, so soll uns nun auch dein Korrektor Gabi etwas zum besten geben; und zwar möchte Ich Selbst aus seinem Munde den Grund vernehmen, warum er denn für das Hohelied Salomos gar so eingenommen war, ohne es jedoch nur im geringsten verstanden zu haben! – Gabi, öffne demnach deinen Mund und sage uns etwas!“

172. Kapitel. Gabi bekennt seine Dummheit und Eitelkeit.

1. Gabi erhebt sich, macht eine tiefste Verbeugung und sagt dann mit einer sehr wackeligen Stimme, die sogar den sonst höchst ernsten Römern ein gewisses Schmunzeln abnötigte: „O Herr und Meister! Ich habe nie Ruhm gesucht; denn das ist meine Sache nie gewesen, und darum suche ich auch hier um so weniger einen Ruhm und will eigentlich schon in meinem ganzen Leben keinen Ruhm, und weil ich keinen Ruhm suche und will, so rede ich lieber nichts und bleibe still! Bin nun mit meiner Rede auch schon zu Ende!“

2. Sagt unwillkürlich darauf Simon: „Oho, ja was ist denn das? Du hast sonst ja gerne viel geplaudert, hast dich überall als ein Hauptredner hervortun wollen und gerade eine Berühmung nicht verschmäht?! Merkwürdig!“

3. Sagt Gabi: „Was ich tue, das tue ich, und du brauchst dich darum eben gar nicht zu bekümmern! Unter Menschen allein ist leicht reden; hier aber ist Gott und sind Engel gegenwärtig, und da soll keines Menschen Stimme irgend zu vorlaut werden, sondern ganz demütig und bescheiden schweigen! Ich heiße Gabi, der Stille, und nicht Simon, der Vorlaute!“

4. Sagt lächelnd Cyrenius: „Aha, HINC ILLAE LACRIMAE! Schau, schau, der junge Mann sucht keinen Ruhm und scheint darob aber doch sehr ungehalten, weil sein Gefährte Simon mit der Erklärung des Hohenliedes, o Herr, Dein Wohlgefallen erworben hat! Wahrlich, das gefällt mir vom Gabi durchaus nicht!“

5. Sagt sogar die Jarah: „Mir gefällt das auch nicht! Denn ich habe nur darum nun eine große Freude, so ich bei jemandem merke, wie des Herrn Liebe und Gnade in seiner Seele sich wundersam zu offenbaren beginnt; aber die Duckmauserei einer Seele ist etwas Widriges. Wer vom Herrn aufgefordert wird zu reden, will aber etwa aus falscher Scham nicht und sagt, daß er keinen Ruhm suche, der lügt sich und alle andern an, und das Lügen ist etwas sehr Häßliches!“

6. Sagt nun abermals Simon: „So erhebe dich und rechtfertige dich vernünftig, und gib dem Herrn Antwort auf Seine heilige Frage!“

7. Hier erhebt sich Gabi wieder und bittet um Entschuldigung, daß er ehedem so dumm seinen Mund vor dem Herrn geöffnet habe. Er wolle nun antworten, wenn es dem Herrn noch genehm wäre.

8. Sage Ich: „Nun, so rede! Denn Ich habe Meine an dich gerichtete Frage noch lange nicht als ungültig zurückgenommen; im Gegenteile harren wir noch alle auf irgendeine bescheidene Antwort von dir! Rede du demnach, und gib kund, was du weißt!“

9. Sagt Gabi: „Da mir die Frage in bezug auf meine Liebhaberei des Hohenliedes Salomos, trotzdem ich es auch nicht verstehe, gegeben ward, so will ich den Grund von solch meiner Liebhaberei hier wohl offen kundtun, obwohl ich am Ende selbst der Wahrheit gemäß bekennen muß, daß ich dafür eigentlich gar keinen Grund hatte, das heißt, ich meine, einen guten Grund, sobald ich von einem Grunde rede; denn etwas Dummes und eigentlich Schlechtes kann nie als ein eigentlicher Grund zu einem Sichverhalten als geltend angesehen werden, weil etwas Schlechtes ein purer Sand ist, der nie als ein haltbarer Grund zu einem Hause, geistig oder naturmäßig genommen, dienen kann. Nun, was war denn hernach der eigentliche Urgrund zu meiner Salomonischen Hohenliedsliebhaberei? Nichts als eine heimliche, nun mir ersichtlich große Dummheit und Eitelkeit!

10. Ich wollte als ein weiser und der Schrift bestkundiger Mann nicht nur bei meinen Gefährten, sondern auch bei all den übrigen Menschen gelten und hatte mir darum aus der ganzen Schrift gerade das als eine Lieblingsbetrachtung auserwählt, von dem ich überzeugt war, daß es von der ganzen Schar der Schriftgelehrten ebensowenig wie von mir selbst verstanden wurde. Ich war aber sehr pfiffig und tat zum Scheine so ganz klug, ernst und weise.

11. Man fragte mich oft, wenn man mich im Hohenliede mit falschfröhlicher Miene herumlesend fand, ob ich denn wirklich des Liedes unentwirrbare Mystik verstehe. Meine Antwort lautete ganz kurz: ,Welch ein Narr liest wohl anhaltend, was er unmöglich verstehen kann?! Verstünde ich die höchste Mystik des Liedes nicht, würde ich wohl auch der Narr sein, sie zu lesen, und rührete das Gelesene mein Gemüt, so ich's gleich euch nicht verstünde?!‘ Man drang in mich, man beschwor mich, ja man kam mir mit Drohungen, daß ich mein Verständnis wenigstens dem Hohenpriester kundgäbe. Aber es half all das nichts; denn ich verstand mich auf Ausreden und Entschuldigungen aller Art und war daher durch nichts zu bewegen, von meinen Geheimnissen irgend etwas zu verraten, was um so leichter war, weil ich wirklich keine besaß.

12. Nur Simon, als mein intimster Freund, wußte, aber nur zum Teil, wie es mit meiner Salomonischen Weisheit aussah. Er hielt es mir oft vor und bewies es mir, daß ich mit Salomos Hohemliede entweder mich selbst oder die Welt für einen Narren halte. ,Denn‘, sagte er mir oft, ,mit deinen sonst in allen Dingen beschränkten Kenntnissen und Erfahrungen, wirst du darum etwa das Hohelied verstehen, weil du es höchst mühsam auswendig gelernt hast?!‘ Allein, ich suchte ihn aber dennoch dadurch auf einen halben Glauben zu bringen, daß ich sagte, daß ich eben für jene tiefsten, unklarsten und verworrensten Geheimnisse darum die höchste Vorliebe habe, weil ich mir dahinter etwas ungeheuer Großes vorstelle. Das glaubte mir Simon doch am Ende; aber er irrte sich dennoch ganz gewaltig. Denn bei mir selbst war ich ein Feind der Salomonischen Weisheit, durch die er am Ende ein Götzendiener ward.

13. Nun wollte ich zwar wohl niemanden mehr täuschen, aber ich wollte mich gerade auch nicht unnötigerweise dahin enthüllen, als habe ich ehedem die Menschen nur stets zu täuschen gesucht, um, offen gestanden, dereinst ein tüchtiger Pharisäer zu werden, was denn für meinen erst jetzt seit drei Tagen ganz aufgegebenen Sinn sicher nichts Kleines war; denn je pfiffiger und verschlagener ein Pharisäer ist, in einem desto größeren Ansehen steht er nun beim Tempel.

14. Ich wollte der ganzen Dummheit eigentlich schon ohnehin nimmer gedenken und wollte sie so ganz im stillen total fallen lassen; aber da ich von Dir, o Herr, nun aufgefordert worden bin, mich zu entäußern, nun, so habe ich mich denn jetzt auch der Wahrheit gemäß entäußert und es weiß nun ein jeder, wie es mit mir gestanden ist, und wie es nun mit mir steht. Ich war in diesem Falle wohl höchst eigensinnig, und es war mit mir da eben nicht viel anzufangen; aber jetzt bin ich ganz vollkommen in der besten Ordnung, erkenne das allein wahre Licht alles Lebens und werde auch nie je wieder jemanden zu täuschen versuchen.

15. Habe ich mich aber nun in des Herrn Gegenwart etwas ungeziemend benommen, so bitte ich zuerst Dich, o Herr und Meister, wie auch alle Deine Freunde groß und klein, aus dem tiefsten Lebensgrunde um Vergebung! Denn ich wollte durch mein erstes Schweigen ja doch niemand schaden, sondern bloß nur so ein wenig meine alte Schande zudecken. Es ging dieses aber hier vor Deinem heiligen, allsehenden Auge nicht an, und also habe ich mich denn gezeigt, wie ich war, und wie ich nun bin. Und damit wäre ich aber auch mit meiner Rede wider mich vollkommen zu Ende und weiß nun von nichts weiterem mehr.“

173. Kapitel. Gabis einstige pharisäerische Grundsätze.

1. Sage Ich: „Das war für dich allein nun höchst gut, daß du dich nun also vollkommen entäußert hast; aber alles dessen ungeachtet mußt du noch eines sagen und treu kundgeben, – aber wieder nicht Meinet-, sondern allein deinetwegen! Siehe nun, als du dich in und für den Tempel einweihen ließest, glaubtest du denn damals an gar keinen Gott, da du dich sogleich auf den Betrug zu verlegen begannst und alle deine Sinne nur darauf richtetest, ein so recht mit allen Tücken durch- und abgedrehter Pharisäer zu werden? Hatte es dir denn niemand gesagt, daß ein Pharisäer denn doch nur ein dem Aaron folgender Priester und Gottesdiener ist und nie ein selbst- und herrschsüchtiger Menschenbetrüger? Wie hast du einen so grundbösen Sinn in deinem Herzen je aufkeimen lassen können?

2. Ist denn den Menschen nützen, wo nur immer möglich, nicht schon an und für sich ein allerherrlichster Grundsatz des Lebens, den sogar die alten heidnischen Weisen stets in den größten Ehren gehalten und beachtet haben?! Sagte nicht ein Sokrates: ,Willst du, Mensch, in deiner Sterblichkeit die Götter würdigst ehren, so nütze deinen Brüdern; denn sie sind wie du der Götter köstlichstes Werk! Liebst du die Menschen, dann opferst du den Göttern allen, die gut sind, und die bösen werden dich darum nicht züchtigen können!‘ Die Römer sagten: ,Lebe ehrbar, schade niemand und gib jedem das Seine!‘ Siehe, so urteilten die Römer, die Heiden waren; wie hast denn du hernach als ein Jude einen gar so höllischen Sinn fassen können?

3. Konntest du dir's denn nicht wenigstens so ein bißchen nur denken, daß es doch irgendeinen Gott geben muß, der nichts anderes denn nur das Gute wollen kann und der den Menschen nicht nur für die kurze Spanne dieses Erdenlebens, sondern für die Ewigkeit erschaffen hat?! Siehe, darüber mußt du Mir nun noch eine streng wahre Rechenschaft führen und dich dessen völlig entäußern! Und so rede nun!“

4. Sagt Gabi: „Gott, Herr und Meister von Ewigkeit, hätte ich je irgendeine Gelegenheit gehabt, nur den hundertsten Teil von dem zu vernehmen, was ich hier in diesen allermerkwürdigsten drei Tagen vernommen habe, so hätte ich sicher keinen gar so elenden Sinn gefaßt; aber – EXEMPLA TRAHUNT –, was auch die Römer erfunden haben – ich hatte ja derlei Beispiele und Muster vor mir, die schlechter als schlecht waren! Und diese schlechten Beispiele und Muster befanden sich ganz gut dabei, und zwar stets um so besser, je mehr sie die Kunst besaßen, das Volk allerdickst zu prellen und hinters Licht zu führen.

5. Denn sie sagten: Die Natur – nicht etwa Gott, der nichts denn eine alte Menschendichtung sei – habe dem helleren Menschen schon von der Wiege an einen Fingerzeig gegeben, daß er sich, wenn er wahrhaft gut leben wolle, vor allem die Dummheit der Menschen zugute machen solle; wer das nicht verstünde, der bleibe ein Narr sein Leben lang und solle auch als nichts anderes als ein mit einiger Vernunft begabtes Menschenlasttier verbleiben und sich nähren von Dornen und Disteln und liegen auf Stoppeln!

6. Als Volkslehrer solle man nur dahin besorgt sein, daß die gemeinen Menschenlasttiere stets im allerdicksten Aberglauben erhalten würden! Solange dies bezweckt würde, würden die eigentlichen Geistmenschen gut zu leben haben; sowie man aber jenen die Wahrheit zeigen und sie ans Licht führen würde, da würden die eigentlichen Geistmenschen selbst Haue, Pflug, Spaten und Sichel in die Hand nehmen und im Schweiße ihres Angesichtes das mühevolle, harte Brot verzehren müssen.

7. Der rechte Mensch müsse es so weit zu bringen trachten, daß er von den Menschenlasttieren wenigstens als ein Halbgott angesehen werde. Habe er es dahin gebracht, so verschließe er sein Licht wie ein ägyptisches Grab und umgebe sich mit allerlei falschem Schimmer und betäubendem Dunste; da würden ihn die Menschenlasttiere bald förmlich anzubeten anfangen, und das um so mehr, wenn er ihnen von Zeit zu Zeit irgendeinen scheinbaren Nutzen erweise. Kurz, er müsse den Menschenlasttieren ganz grundvoll, aber immerhin falsch, zu beweisen imstande sein, daß es ihnen zum unschätzbaren Heile gereiche, wenn sie vom vermeinten Halbgotte blau- und mitunter sogar totgeschlagen würden!

8. Man gebe ihnen harte Gesetze und setze als Sanktion darauf die schärfsten zeitlichen und allermartialischst angedrohten ewigen Strafen und verheiße dem treuen Befolger der Gesetze nur kleine irdische Vorteile, aber desto größere ewige nach dem Tode, – und man stehe dann als ein wahrer Mensch vor all den zahllosen Menschenlasttieren da! Verstünden es seine Nachfolger, den Pöbel in der Nacht des dicksten Aberglaubens zu erhalten, so würden ihn Jahrtausende nicht aufhellen; verstünden sie aber das nicht, so würden sie als Betrüger der Menschen ehest gar jämmerlich das Weite zu suchen bekommen!

9. Moses und Aaron seien solche wahren Menschen gewesen, die durch ihren geweckten Verstand und durch ihre vielen Kenntnisse des israelitischen Volkes Schwächen bald abgelauscht hätten, sich als Führer und Beglücker desselben Volkes aufgeworfen und es durch eine fein ausgedachte, aber großartigste Prellerei derart vernagelt hätten, daß das Volk noch heutzutage ebenso dumm sei, wie es am Fuße des Sinai vor nahe tausend Jahren gewesen sei und vielfach noch mehrere Jahrtausende also verbleiben werde. Im Grunde aber sei das dennoch auch eine Wohltat fürs Volk; denn der Mensch sei vom Anfange an eine faule Bestie und müsse deshalb mit einem eisernen Zepter beherrscht und mit Ruten zum Guten gepeitscht werden!

10. Herr, was ich hier kundgegeben habe, ist keine irgend eitle Dichtung meiner Einbildungskraft, sondern volle Wahrheit! Das ist eines jeden vollkommenen Pharisäers innere Anschauung der göttlichen Offenbarung, die stets desto wertvoller sei, je unverständlicher sie sei. Salomos Hoheslied hätte gerade so den rechten Zuschnitt; auch die Propheten samt dem Moses hätten viel des sehr Brauchbaren! Und das war denn auch ein Mitgrund, warum ich mich denn so ganz besonders auf das Hohelied geworfen habe.

11. Ich bin nun wieder zu Ende und glaube, hinlänglich bewiesen zu haben, daß meine früheren Gesinnungen unmöglich anders sein konnten; denn wie der Unterricht, so der Mensch, und also auch sein Wille und seine Tätigkeit! Daß ich nun mit der tiefsten Verachtung auf solch einen echt höllischen Unterricht zurückblicken kann, versteht sich wohl von selbst! Ich erwarte aber auch nun von Dir, o Herr, daß Du mir, infolge Deiner Liebe und Weisheit, dies mein hier treu und wahr kundgegebenes Denken und Handeln gnädigst nachsehen und vergeben wirst!“

12. Sage Ich: „Wie könnte Ich dir's vorenthalten, da du doch selbst all dies Höllenwerk aus dir für immer verbannt hast? Und Ich ließ ja eben aus dem Grunde dich alles dessen laut vor uns allen entäußern, auf daß dein Herz vollkommen frei würde und du nun ganz vom innersten Lebensgrunde der vollsten Wahrheit angehören kannst! Zugleich aber habe Ich damit auch den Zweck verbunden, daß alle hier Anwesenden aus dem Munde treuer Zeugen vernehmen sollen, wie das Pharisäertum in dieser Zeit durchgängig bestellt ist, und wie es sonach notwendig war, daß Ich Selbst persönlich in diese Welt kommen mußte, auf daß nicht alle Menschheit verderbe und zugrunde gehe. – Nun aber vergleichet euch, ihr beiden, auch vollkommen wieder, und Simon soll nun seine innerste Ansicht über Mich uns allen kundtun!“

174. Kapitel. Simons Ansichten über Jesus.

1. Sagt Simon: „O Herr, da werde ich bald und leicht fertig! Du bist der Sohn aus Gotte im Geiste und bist hier vor uns Gott und Mensch zugleich. Du bist aus Dir Selbst der einzige im Himmel, wie auf dieser Erde. Dir ist in der ganzen Unendlichkeit niemand gleich! Ein Engel ordnet sich nie dem Willen eines Menschen unter; so Du ihm aber nur den allerleisesten Wink gibst, so vollzieht er in einem kaum denkbar schnellsten Augenblicke Deinen Willen. Was Du willst, das geschieht unvermeidbar; ein von Dir ausgesprochenes Wort ist eine vollendete Tat!

2. Dein Auge durchschauet in einem Augenblick alle geistige und materielle Schöpfung. Der Engel geheimste Gedanken sind Dir so klar, als hättest Du sie Selbst gedacht, und was wir armseligen, sterblichen Menschen noch so tief in uns denken, das erschauest Du heller, als wir diese noch so herrlich strahlende Sonne. Du kennst alles, was das Meer in seinen tiefsten Gründen verborgen hält, Du kennst die Zahl des Sandes im Meere, jene der Sterne, und was sie fassen und tragen, und die Zahl des Grases auf der Erde, der Kräuter, der Gesträuche, der Bäume und der Geister im ganzen, endlosesten Raume ist Dir bekannter als mir die Zahl Eins! Wenn ich nun das nicht nur lebendigst glaube, sondern es auch allerhellst weiß, da wird es etwa doch nicht schwer sein, nun zu sagen: Herr, dies ist mein innerstes Urteil über Dich, insoweit ich Dich nun durch die drei Tage erkannt habe! Etwas anderes zu sagen wüßte ich kaum mehr!“

3. Sage Ich: „Aber ihr seid ja schon mit heute mehr denn nur drei Tage bei Mir! Wie sprichst du nur von drei Tagen?“

4. Sagt Simon: „Herr, was gehen mich die materiellen drei Tage an?! Ich zähle nur die drei geistigen Erkenntnistage; diese aber sind erstens die wahre Erkenntnis der Materie, zweitens die Erkenntnis des Wesens der Seelen und drittens die Erkenntnis des Reingeistigen. Das sind die wahren drei Tage des Lebens, die wir bei Dir sind!“

5. Sage Ich: „Ah, das ist freilich etwas ganz anderes! Damit bin Ich mit dir auch ganz zufrieden; denn in den Entsprechungen bist du nun ganz wohl zu Hause, – aber noch nicht vollends also mit deiner inneren Selbsterkenntnis! Und so ist denn auch das Urteil, das du über Mich geschöpft hast, nicht ganz aus deinem Innersten; da hockt noch etwas darin, und dessen sollst du dich denn doch auch entäußern! Es ist zwar nur ein kleinstes Körnchen eines nur zeitweilig auftretenden Zweifels über Mich, – und siehe, dieses Körnchen muß auch aus dir, sonst fängt es mit der Weile an zu keimen und kann zu einem Walde voll des finstern Zweifels in deinem Herzen erwachsen, der dann schwer zu vertilgen und auszurotten wäre! Sieh nur so recht tief in dein Herz hinein, und du wirst das böse Zweifelskörnchen schon finden!“

6. Simon sieht Mich und auch alle die andern Tischgenossen ein wenig verdutzt an, denkt über sich nach und sagt nach einer Weile: „Herr, fürwahr, ich kann suchen, wie ich nur immer will, so finde ich dennoch sozusagen nichts! Denn alle noch so leise auftauchenden Zweifel über Dich zerstäube ich in einem Augenblick, und es kann nun völlig keiner mehr stattfinden!“

7. Sage Ich: „Und doch, und doch, – denke nur nach, du wirst ihn schon finden!“

8. Sagt Simon: „Herr, Du machest mich bangen vor mir selbst! Sollte ich denn wohl ganz im geheimen ein Ungeheuer sein? Ich kann tun und denken, wie ich nur immer will, so finde ich dennoch von ferne nichts, das dem nur ähnlich sähe, was Du, o Herr, in mir haben willst. Worin und in welcher Art könnte ich nun wohl noch einen Zweifel haben oder wenigstens einen Grund davon?“

9. Sage Ich: „Aber Freund Simon, sieh Mich an! Sehe Ich denn im Ernste so strafgierig und rachsüchtig aus, daß du dich scheuest, das nun laut und offen zu bekennen, was dir schon sozusagen auf der Zunge liegt?“

10. Auf diese Meine Worte erschrickt Simon förmlich und sagt: „Aber Herr! Muß denn auch diese Kleinigkeit, deren laute Aussprechung ich rein nur für unschicksam hielt, auch laut ausgesprochen werden?

11. Denken kann sich der Mensch ja doch so manches; ja, er denkt es eigentlich nicht einmal von sich selbst willkürlich! Der Gedanke kommt mir von irgendwo ins Herz hineingehaucht und bleibt dann oft einige Zeit hängen; endlich verwehet er, und man erinnert sich dann seiner wohl kaum je mehr. Und so dürfte auch dieser mein kleiner Zweifelsgedanke von irgendwoher in mein Herz hineingeflogen sein, und ich habe ihn gedacht, aber auch gleich wieder verworfen, weil ich dagegen doch Tausende der schwersten Beweise im Kopfe und Herzen trage. Dazu fand ich im Ernste die laute Aussprechung dieses Gedankens für etwas unschicksam. Wenn Du, o Herr, aber schon durchaus darauf bestehst, nun, so will ich ihn ja auch gerne aussprechen. – Liebe, große Freunde des Herrn, nehmet ihn aber also auf, wie ich ihn nun schon total verworfen habe!

12. Also aber lautet dieser Gedanke: Da ich nun schon seit meinem Hiersein gleichfort das ungemein liebliche und überüppige Mägdlein an der Seite des Herrn erblickte, so drängte sich, aber wahrlich wie von selbst, in mir der freilich stark lächerliche Gedanke auf, ob der Herr etwa auch geschlechtlich verliebt sein könnte, wenigstens auf so lange, als Er auf dieser Erde auch im Fleische umherwandelt! Wenn aber das, wie sähe es dann mit Seiner ganz reinen Geistigkeit aus? Gott kann zwar wohl alle Seine Geschöpfe reinst lieben; ob aber ganz besonders irgendein überreizend schönes Mädchen nun auf der Erde auch geschlechtlich, – das zu bejahen oder zu verneinen war für meine Intelligenz etwas schwer, obwohl ich es mir zurief in meiner Seele: ,Bei Dir kann jede Liebe nur im höchsten Grade rein sein, auch eine, die wir unter uns Menschen völlig unrein nennen würden!‘

13. Herr, das ist es nun, was Du von mir heraushaben wolltest! Nun aber bin ich wohl fertig mit allen Körnchen und Keimchen, und Du, o Herr, mache nun daraus, was Du willst! Oder ersieht Dein göttlich allsehend Auge noch etwas in mir? Wenn noch irgend etwas darin stecken sollte, dahin ich nicht sehe, so mache, o Herr, mich gnädigst darauf aufmerksam, und ich werde nun gleich ganz ohne alle Scheu damit herausfahren!“

175. Kapitel. Simons Gedanken über die geschlechtliche Beschaffenheit Jesu als Mensch.

1. Sage Ich: „Nun bist du rein, und es ist nichts mehr in dir, das dich je in deinem Glauben an mich beirren könnte; aber nun will Ich dir und auch euch andern zeigen, welch ein dichtester Zweifelswald aus dir erwachsen wäre, wenn du dich nun dieses Zweifelskörnchens nicht entledigt hättest. Du hättest ganz einfach nach und nach also zu philosophieren angefangen:

2. Was würde daraus, so Ich Mich mit einer Maid verginge und es entstünde daraus eine Frucht im Schoße der Maid? Wenn sie männlich wäre, wäre sie auch ein Gott? Und wäre sie weiblich, was dann? Würde das das Mosaische Gesetz schwächen, so Ich Mich vergangen hätte? Würde das Meinen Gottmenschen nicht zur Behaltung des göttlichen Geistes unfähig machen? Oder wäre Ich eines solchen Aktes für Meine Person wohl fähig oder nicht? Aber wie konnte Ich die Menschen für diesen Akt beleben, so Ich Selbst desselben unfähig wäre?

3. Ist der Akt eine Sünde im Fleische und schwächt Seele und Geist, warum habe Ich dem Menschen zu seiner Fortpflanzung diesen sündigen Akt ins Fleisch und in die Seele gelegt? Hätte Ich nicht auf einem reineren Wege die Fortpflanzung bewerkstelligen können?! Ist aber dieser Akt der Fortpflanzung aus der Ordnung Gottes der allein gerechte und mögliche, so muß ihn Gott so gut begehen können wie der Mensch! Warum ist der Akt für den Menschen eine Sünde und für Gott keine; oder kann Gott unter gewissen Umständen auch gegen Seine Ordnung sündigen? Wie aber kann Gott die reinste Liebe sein, so Er auch einer sündigen Menschenschwäche schuldig wäre?!

4. Gott als Gott kann wider Seine Ordnung unmöglich sündigen! So Er aber des Menschen Natur angenommen hat, ist Sein Fleisch einer Sünde fähig oder nicht fähig? Muß auch Er gegen alle Anfechtungen des Fleisches kämpfen? Hat Er solche, wer läßt sie über Ihn kommen? Gibt es noch irgendeinen höheren und älteren Gott, der diesen jungen, nun erst werdenden mit allerlei schweren Proben festigt und im Geiste wiedergebäret? Wenn dieser junge Gott nun sündigte wie ein Mensch, könnte er auch diesem gleich verworfen werden?

5. Könnten nicht etwa die alten Ägypter recht haben mit ihrer Genealogie der Hauptgötter? Uranus erzeugte mit der Gea den Kronos (Saturn, Zeit), der seine Werke immer wieder zerstört. Der Zeus, als des Kronos Wille, wird gerettet durch die Liebe, wächst im Verborgenen groß und wird übermächtig. Des Zeus Macht versetzt den Uranus und den Kronos in den ewigen Ruhestand, herrscht ganz allein und erschafft die Menschen auf der Erde, wofür er aber nach der Bestimmung des entsetzlichen, unerforschlichen Fatums, als der urältesten Gottheit, auch mit vielem Menschlichen sehr geplagt wird. Das Fatum scheint der unbekannte große Gott zu sein; nun aber, gewisserart der Regierung müde, hat er unsichtbar und ungekannt in eine reine Dirne einen Gottfunken gelegt und hat sich nun verjüngt in diesem einen Sohn einen Regierungsnachfolger bestellt, und der stehet vor uns und macht seine ersten Gottregierungsversuche! –

6. Ich könnte dir wohl noch eine große Menge solcher Auswüchse mitteilen, aus denen ein solcher Zweifelswald besteht, und in welch anderes Gestrüppe und Unkraut er hinüber degenerieren kann. Aber da nun bei dir der Same vernichtet ist, so bist du rein, und es kann von einem weiteren Aufblühen des Unkrautes keine Rede mehr sein; und da du nun als ganz gereinigt dastehest, so bist du auch ganz geeignet, einer Meiner ersten Jünger zu sein.

7. Übrigens wirst du das nun einsehen, wie und warum dies Mägdlein Mir gar so in aller ihrer Liebe anhängt. Denn so sehr, wie dies Mägdlein Mich liebt, liebt Mich niemand von euch; denn eure Liebe ist mehr eine Verwunderung über Meine Weisheit und über Meine für euch unbegreiflichen Wundertaten. Dies Mägdlein aber liebt Mich ganz rein um Meiner Selbst willen, weil sie einmal weiß, wer hinter Mir daheim ist. Und das ist mehr wert, denn Mich als Gott bewundern, da es doch jedermann klar sein muß, daß bei Gott alle Dinge möglich sind. Es ist wohl das auch gut; aber das andere ist besser.

8. Was wird denn dir lieber sein: ob man dich schon darum liebt, weil du ein Mensch bist, oder nur darum, weil du als Mensch ein Weiser seist und wohl kundig bist in allerlei Künsten? Die erste Liebe geht vom Leben aus und ergreift wieder das Leben; die zweite aber geht nur vom Kunstsinne aus und ergreift nur die Kunst und Wissenschaft desjenigen, der sie besitzt. Sage nun, welche Liebe du höher achten würdest?“

9. Sagt Simon: „Offenbar die erste! Denn wer mich schon als einen Menschen liebt, der wird mich auch als Weisen und als Künstler dann um so mehr lieben; wer mich aber in der Meinung, daß ich ein Weiser und ein Künstler sei, lieben wird, der wird mit der Liebe bald fertig werden, so er erfährt, daß ich etwa weder ein Weiser noch ein Künstler sei! Darum ist die reinste Liebe dieses Mägdleins zu Dir, o Herr, wirklich eine Musterliebe und übertrifft uns alle in einem hohen Grade!

10. Freilich, wohl liebt ein Mädchen einen Mann seiner selbst willen leichter und natürlicher, denn ein Mann wieder einen Mann; wenn aber ein Mann mit seinem Verstande und Gemüte den Wert eines Menschen, eines Bruders, tiefer betrachtet, dann wird er, seinen eigenen Wert fühlend und einsehend, auch den Nebenmenschen ohne Rücksicht auf dessen Eigenschaften achten und lieben. Und hat er in der Folge gar verborgene, sehr achtbare Eigenschaften an ihm entdeckt, so wird die Liebe zu ihm sicher desto intensiver werden! – O Herr! Jedes Deiner Worte und Lehren ist groß und erhaben und in alle Ewigkeiten der Ewigkeiten Wahrheit!“

176. Kapitel. Des Menschen Einswerden mit Gott. Simons Bekenntnis seiner fleischlichen Schwächen.

1. (Simon:) „Ich sehe nun, daß Du, o Herr, Dich den Menschen ganz als Gott offenbarst und nirgends einen Rückhalt oder irgendein Geheimnis machst gleich den alten Propheten, die Dich dem Menschen stets nur unter einer dicksten Verschleierung offenbarten und kaum den Saum Deines Kleides den Sterblichen zeigten. Sie gründeten wohl eine Religion und eine Kirche; aber was war das für eine Religion, was für eine Kirche? Die Religion war ein kaum sichtbarer Stern, aus irgendeiner endlosen Raumestiefe einen allerspärlichsten Hoffnungsstrahl zur mit dickster Nacht umhüllten Erde herabspendend, und die Kirche ein Gebäude aus harten Steinen, ein Tempel, um den lauter Irrgänge und finstere Vorhöfe standen, in welche die Menschen gelangen konnten, aber nie in des Tempels Innerstes, wo alle die großen Lebensgeheimnisse enthüllt auf goldenen Tischen lagen.

2. Hier aber wird nicht nur des Tempels Innerstes allen Menschen als vollkommen zugänglich eröffnet, sondern Gott, als der ewig Unzugängliche, offenbart Sich Selbst persönlich ganz, wie Er war, ist und sein wird ewig, den Menschen. Daher ist es aber andernteils auch notwendig, Gott nicht etwa nur teilweise, sondern ganz in sich leiblich, seelisch und geistig aufzunehmen durch die ausschließlich alleinige Liebe zu Ihm. Ein solches Entgegenkommen, wie das des Schöpfers zum Geschöpfe, also auch das des Geschöpfes zum Schöpfer, muß ja am Ende notwendig eine volle Identifizierung zwischen dem schöpferischen Ursein und dem geschöpflichen Nachsein zur Folge haben.

3. Gott wird eins mit uns, und wir werden eins mit Ihm ohne die geringste Beschränkung unserer persönlichen Individualität und der vollkommensten Willensfreiheit! Denn ohne die vollendetste Identifizierung des Geschöpfes mit dem Schöpfer ist ewig nie an eine vollendetste Willensfreiheit zu denken, weil nur des Schöpfers Wille in der vollendetsten Unbeschränktheit sich befinden kann und des Geschöpfes Wille nur dann, wenn er vollkommen eins mit dem Willen des Schöpfers geworden ist.

4. Wollen wir das, was der Herr will, so ist unser Wollen ein vollkommen freies, weil des Herrn Wille auch ein vollkommenst freier ist; wollen wir aber das nicht oder nur zum Teil, so sind wir die elendsten Sklaven unserer eigenen unendlichen Blindheit. Nur in Gott können wir vollkommen frei werden; außer Gott gibt es nichts als Gericht und Tod!

5. Herr, Du siehst, daß ich mich nicht scheue zu reden; und ich glaube, diesmal auch wieder den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben! Du aber gib nun Deinen allmächtigen Segen dazu, auf daß dies herrlichste Weizenkorn, das Du, o heiligster Vater, Selbst aus Deinem ewigen Himmel hierher auf diese leider sehr magere Erde verpflanzet hast, im Erdreiche unserer noch blöden Herzen tausendfältige Früchte tragen möge! O heiligster Vater, werde eins mit uns, Deinen Geschöpfen, mit Deinen noch armseligen Kinderchen, auf daß wir dereinst, Dir ähnlich, auch eins mit Dir werden können!“ – Hier bricht Simon ganz ergriffen in Weinen aus.

6. Ich aber erhebe Mich nun und sage zu Simon: „Komme zu Mir her, du Mein geliebter Bruder, und umarme in Mir nicht mehr deinen Schöpfer, sondern deinen Bruder, auf daß du der erste seist, der mit Mir eins geworden ist!“

7. Sagt Simon ganz zerknirscht: „O Du zu Heiliger! Dieser Gnade ist der sündige Simon ewig nicht wert!“ Darauf weint er abermals. Dafür aber gehe Ich zu ihm und drücke ihn mit abermaligem Brudergruße an Mein Herz.

8. Nach einer Weile, als sich Simon aus seinem Ergriffensein erholt und Ich auf sein Gemüt auch beruhigend eingewirkt hatte, sagte Simon: „Mein Herr und mein Gott! Was tat ich denn, daß Du mir nun auf einmal gar so gnädig und barmherzig bist? Sieh, ich bin ein sündhafter Mensch; denn mein Fleisch ist sehr locker. Die schönen und üppigen Jungfrauen machen auf mich einen mächtigen Eindruck, und es drängen sich von Zeit zu Zeit stets unzüchtige Gedanken in mir auf. Und gar oft willige ich mit einer Art Lust und Freude in diese Gedanken, wennschon nicht in der Tat wegen Mangel an Gelegenheit, so aber doch im Gemüte, das in solchen Brunststadien bei mir sehr bejahend sich verhält.

9. Es gibt dann darauf bei mir wieder auch ganz helle Momente und vernünftige Anschauungen und Betrachtungen über diesen Punkt; aber was nützt das alles? Sehe ich dann gleich darauf wieder eine schöne Maid, so sind alle die hellen Momente, alle die vernünftigen Anschauungen und Betrachtungen in einem Augenblicke wieder verflogen, und der alte Sündenbock steht, mit allem Unzuchtssinne gewappnet, wieder auf seinem Flecke. Ich tue dabei und darauf freilich wohl nichts; aber dieses Nichtstun ist dennoch kein wahres Nichtstun, sondern bloß ein durch die schlechte Gelegenheit verhindertes Tun. Die Furcht vor zeitlicher Strafe und Schande hält einen davon ab, aber lange nicht der eigene freie Wille, der bei solchen Gelegenheiten nur sehr viel Begehrendes in sich hat und bei guter Gelegenheit sicher keine Verneinung an den Tag legen würde! Ich kenne mein lumpiges Fleisch leider nur zu gut und bin somit ein sündiger Mensch und so einer großen Gnade von Dir aus nie wert.“

177. Kapitel. Vom Zweck und Wesen der Sinnlichkeit.

1. Sage Ich: „Freund und Bruder, was geht dich denn das Fleisch an und was im selben vorgeht?! Würde Ich dem Fleische nicht diese Eigenschaft einpflanzen, würde da wohl je ein Mann sich ein Weib nehmen und erwecken in ihr die lebendige Menschenfrucht?!

2. Hätte Ich in den Magen nicht die materielle Eßgier gelegt, würde jemand wohl jemals eine Speise zu sich nehmen? Auf welch andere Weise könnten Naturspezifikalgeister in das Blut und in andere Säfte des Leibes, von da in den Nervenäther und, in solcher Weise geläutert, in die Seelensubstanz übergehen? Durch Meine Willensmacht allerdings wohl in der primitiven Ordnung; aber wie stünde es dann mit der ewigen Bestandfähigkeit? Anders nicht, als durch ein hartes, bleibendes Gericht; wie sähe es dann aber mit der Selbständigkeit und einstigen geistigen Lebensfreiheit aus?!

3. Sieh, ein Punkt in Meiner einmal gestellten Ordnung verrückt, – und mit dem Leben in aller Selbständigkeit und Freiheit ist es für ewig aus und gar. Habe nicht Ich den Augen die Sehfähigkeit, den Ohren das Vernehmungsvermögen eingehaucht, der Zunge Rede- und Geschmacksfähigkeit und der Nase den Geruch gegeben?!

4. Bist du darum ein Sünder, weil es dich zuzeiten hungert und dürstet? Sündigst du, wenn du schaust, hörst, schmeckst und riechst? Alle diese Sinne sind dir ja dazu gegeben, wahrzunehmen der Dinge Formen, zu vernehmen der Rede weisen Sinn und wahrzunehmen gute und schlechte und schädliche Geister der noch ungegorenen und rohen Materie!

5. Freilich, wohl kannst du sündigen mit den Augen, Ohren, der Nase, dem Gaumen und der Zunge, wenn du eben diese Sinne nicht in der Ordnung gebrauchst, wenn du deine Augen frech nur dorthin wendest, wo dem Fleische Rechnung getragen wird, wenn du nur Lästerungen, Schmähungen und unflätige Reden gerne und begierlich anhörst, wenn du bloß des Spaßes halber stinkende Dinge riechst, die das Fleisch verunreinigen und krank und zur Arbeit unfähig machen. Du sündigst auch mit dem Gaumen und mit der Zunge, wenn du die zu große Lüsternheit nach den teuersten Leckerbissen nicht bezähmst; denn warum soll dein Gaumen mit den kostbarsten Dingen prasserisch gekitzelt werden, wo neben dir viele Arme vor Hunger und Durst verschmachten?! So es dich hungert und dürstet, so sättige dich mit einer einfachen und frischbereiteten Kost; aber wenn du Fraß und Völlerei treibst, da sündigst du offenbar wider alle Ordnung Gottes.

6. Nun siehe, das alles aber ist bei dir nicht der Fall; im Gegenteile hast du eben schon manchen recht glorreichen Sieg über dein Fleisch von dir aus selbst errungen! So auch bist du mäßig in allen Dingen gewesen und nüchtern in deinem Begehren. Was an dir mehr oder weniger vom Übel war, bestand in deinem Unglauben an die Schrift, die du vorher nicht verstehen konntest; aber dein Unglaube war ein redlicher, während der Unglaube des Gabi ein echt pharisäisch unredlicher war. Du verwarfst aber darum die Schrift nicht; nur Licht und Aufhellung wolltest du und studiertest darum auch alle ägyptischen und griechischen Weltweisen. Aber es wollte dir dennoch nicht helle werden; du bliebst zwar dem Äußeren nach ein Pharisäer, aber dem Innern nach warst du dennoch ein stets fleißiger Forscher nach der Wahrheit. Und weil Ich das wohl wußte, so habe Ich dich denn nun auch erweckt und dir, wie auch damit allen anderen, die Pforten zur lichtvollsten Wahrheit eröffnet.

7. Nun kannst du nimmer in eine Nacht geraten und sollst darum ein Eiferer um Mein Reich des Geistes auf dieser Erde werden! Durch dich sollen die Heiden in Persien viel Lichtes überkommen! Nun iß und trinke wieder; denn du hast noch Hunger und Durst und hast deinen Fisch noch nicht einmal zur Hälfte aufgezehrt und deinen Becher auch nicht geleert! Darum nur eifrig zugegriffen, Mein junger Bruder Simon!“

8. Simon ist stets bis zu Tränen gerührt, setzt sich und verzehrt nach und nach seinen Fisch mit Brot und Wein.

178. Kapitel. Über das Wesen der Engel. Herz und Gedächtnis.

1. Auch die anderen Gäste greifen noch zu, und ganz besonders wieder der Raphael, was den Kornelius am Ende doch zu einer etwas lakonischen Bemerkung bewegt, die er den neben ihm sitzenden Römern gewisserart zuflüstert. Diese Römer waren Faustus und Julius, und seine, das ist des Kornelius, Bemerkung lautete: „Dem Menschen von Fleisch und Blut schmecken diese höchst gut zubereiteten Fische sehr gut, und er kann eine große Menge zu sich nehmen; aber der Geist Raphael, der kein Fleisch und kein Blut hat, könnte sich mit dem Riesen Herkules und mit dem Philister Goliath messen! Merkwürdig, wie so ein Geist gar soviel verzehren kann! Nun verzehrt er bereits den zwölften Fisch, und das ist für einen Geist doch wahrlich wunderbar viel! Ich habe einen Fisch kaum weggebracht, und der Engel ist in derselben Zeit mit zwölfen fertig geworden! Nein, das ist denn doch ein wenig zu stark! Ich glaube, daß er noch einmal zwölf wegbrächte!“

2. Sagt der Engel: „Nicht noch einmal zwölf, sondern zehnmal hunderttausendmal zwölf in einem Augenblick, und wären es auch lauter größte Walfische, wie der, in dessen Bauche der Prophet Jonas drei volle Tage hindurch ein etwas unbequemes Quartier genommen hatte!

3. Ich bedarf der Fische zu meiner Nahrung nicht, wohl aber zur Bildung jenes naturgeistigen Äthers, aus dem ich mir nach dem Willen des Herrn diesen sichtbaren Leib bilden und zeitweilig erhalten muß, der, obschon geistig, des Fleisches und Blutes nicht ermangelt. Sieh her, sind das keine Blutadern, ist das nicht Fleisch?!

4. Daß es in meiner mir vom Herrn verliehenen Macht steht, diesen Leib in einem Augenblicke wieder aufzulösen und ihn wieder zusammenzuziehen, das liegt in meiner bisher möglichst höchsten geistigen Lebensvollendung; aber ich bin nicht nur imstande, diesen meinen Leib mit meiner Willensmacht in einem Augenblicke aufzulösen, sondern auch den deinen und in einem gleichen Zeitraume auch die ganze Erde.

5. Ist darum aber dein Leib nicht aus Fleisch und Blut bestehend, weil ich ihn in einem Augenblicke auflösen könnte?! Oder bestehet darum die Erde nicht aus allerlei festester Materie und aus Wasser, Luft und einer zahllosen Menge von Urstoffen, so ich sie auch mit des Herrn Zulassung in einem dir nicht denkbar schnellsten Augenblicke auflösen könnte in die urgeistigen Spezifikalteilchen, deren Volumen deinem Auge, so es auch ein materielles Etwas wäre, ein barstes Nichts wäre?!

6. Darum, Freunde, denket, denket zuvor, ehe ihr ein Wort über eure Lippen fließen lasset, damit ihr als Jünger Gottes nie einen Unsinn aussprechet, mit dem ihr eurem Meister wahrlich keine Ehre antut! Ihr habt nun wohl schon so manches gesehen, gehört und erfahren; aber von der innern Geistesgröße und Macht eines – sage – nur Engelsgeistes, geschweige vom ewigen Geiste Gottes, habt ihr ja noch keine blasse und dunstige Idee! Und ihr könnet hernach spitzige Bemerkungen über das machen, was ein Erzengel zu seiner zeitweiligen, scheinleiblichen Erhaltung benötigt?!

7. Meinst du wohl, daß du meine wahre Urlichtgestalt ertrügest, so ich mich dir in derselben zeigen wollte?! Siehe, das Feuer meines Urseinlichtes ist mächtig genug, um eine zahllose Menge von Urzentralsonnen zu vernichten, geschweige dich und diese ganze Erde! Damit aber das durch meine Gegenwart nicht geschieht, muß ich diesen Scheinleib nach dem allmächtigen Willen des Herrn mir bilden und mein eigentliches Wesen derart umhüllen, daß da jede Störung der Ordnung im Gerichte der Materie vermieden werde. Aber es muß dennoch zuvor die Materie durch mein inneres Lebensfeuer vorbereitet werden, um demselben als Schutzhülle dienen zu können! Und darum muß ich notwendig mehr der materiellen Kost zu mir nehmen als irgendeiner aus euch.

8. Das wußtet ihr zwar nicht und konntet es nicht wissen; aber das konntet ihr schon wohl wissen, daß unsereins nicht darum vom Herrn in diese Erscheinlichwerdung berufen wurde, um vor euch zu eurem Ärger einen Vielfraß oder einen Spaßvogel oder einen Schnellzauberer zu machen, sondern um euch vielseitig zu nützen, und um euch einen tastbaren Beweis von der Anwesenheit der Engel Gottes und ihrer Macht zu geben! So ihr aber das einsehet, wie möget ihr spitzige Bemerkungen über mein Essen machen?“

9. Sagt Kornelius: „Lieber, herrlichster Bote des Herrn aus den Himmeln, o zürne mir nicht darum; denn du siehst es ja, daß wir geistig nichts als kaum neugeborene Kinder in der Wiege sind und mehr ein Traumleben leben als irgendein sich schon vollends bewußtes! Iß du in der Folge, wieviel du nur immer willst; es wird sich von uns allen wohl nie jemand mehr von ferne beifallen lassen, darüber irgendeine noch so leise Bemerkung zu denken, geschweige sie auszusprechen. Zugleich aber statten wir dir hiermit auch unsern Dank für die großartige Belehrung ab, die du uns in deinem gerechtesten Ärger über unsere beharrliche Dummheit hast zukommen lassen. Wissen wir, wie jetzt, um das Warum, dann werden wir übers Darum sicher nie ein schiefes Urteil fällen! Ist uns aber das Warum fremd, wie soll uns hernach das Darum bekannt sein? Daher noch einmal meinen ganz besonderen Dank für deine nunmalige große und wichtige Belehrung!“

10. Sagt Raphael: „Der Dank gebührt allein dem Herrn, der euer wie auch unser Vater ist von Ewigkeit! Laßt aber diese Belehrung auch auf alle andern im Leben vorkommenden Erfahrungen und Erscheinungen übergehen, so werdet ihr uns Engeln jüngst als würdige Brüder an der Seite stehen! Nichts sollet ihr bekritteln und belachen, außer die Lüge und den Betrug! Denn der Lügner soll allzeit zu Schanden stehen und der Betrüger an den Pranger gestellt werden, auf daß er verkoste die Frucht der Lüge und des Betrugs!

11. Bei jeder andern Gelegenheit sollet ihr die irrende Menschheit sanft belehren. Richtet sie sich danach, dann ist's wohl und gut; richtet sie sich nicht danach, dann möget ihr die Saiten schon straffer spannen! Nützt das auch nichts, so sperret solche Eigensinnige in ein Korrektionshaus, und lasset sie fasten und nötigenfalls auch züchtigen mit Ruten; denn bei einer rechten und guten Zucht soll die Rute nicht fehlen! Auch wir als eure geheimen Erzieher, bedienen uns derselben bei Menschen, die eigensinnig und sehr halsstarrig sind. Also auch diese Lehre behaltet und handhabt sie, wo es notwendig ist, so werdet ihr unter Menschen wandeln; sonst aber nur unter allerlei wilden Tieren, die in menschlichen Larven stecken!“

12. Sagt Cyrenius: „Herr, hat der Engel das aus sich allein – oder alles nur aus Dir geschöpft?“

13. Sage Ich: „Mein Freund, dein Gedächtnis ist schon wieder irgend zu kurz geworden! Habe Ich euch ja doch vor etlichen Tagen sattsam erklärt, was die Engel sind, und wie sie denken, wollen und handeln, und nun fragst du schon wieder darum! So sie nur durch Meinen Willen belebte Formen sind, was haben sie Selbstisches dann? Welchen Gedanken können sie für sich denken, da sie doch nur ein Ausfluß Meines Willens und ein Sammelgefäß Meiner Gedanken und Meiner Ideen und Absichten sind?

14. Wenn sie selbständig denken, wollen und handeln sollten, müßten sie vorher gleich euch am Kindertische speisen und in eurem Fleische diese Erde segnen! Aus dem aber geht doch etwa sonnenklar hervor, daß das, was euch der Engel Raphael nun gesagt hat, Mein Wort, Meine Rede und Mein Wille ist, den ihr ebenso zu beachten habt, als hätte Ich ihn unmittelbar Selbst ausgesprochen.

15. Ihr müsset Meine Worte tiefer ins Herz fassen, so werden sie dann eurem Gedächtnisse nicht gar zu leicht untreu werden; denn alles, was einmal das Herz lebendig erfaßt hat, das bleibt dann sicher auch in der Erinnerung fest sitzen, und ihr habt es bei tauglicher Gelegenheit gut hernehmen. Wollt ihr euch aber das von Mir Gesagte nur allein im Gedächtnisse merken, so werdet ihr es zum größten Teile in einem Jahre wenigstens hundert Male vergessen; denn im Alter ist das Gedächtnis nicht mehr so saftig wie in der Jugendzeit. Es vergißt aber schon die Jugend leicht, was sie gelernt hat, geschweige das Alter. Was aber das Herz einmal ergriffen hat, das ist ins Leben übergegangen und bleibt für ewig!

16. Ich sage es euch, was ihr immer auf dieser Welt nur ins Gedächtnis aufgenommen habt, davon wird im Jenseits nicht ein Jota verbleiben; darum erscheinen jenseits alle trockenen Weltgelehrten wie Taube, Blinde und Stumme, wissen gar nichts und können sich an nichts erinnern. Sie kommen jenseits nicht selten so jedes Begriffes bar an, wie ein Kind aus dem Mutterleibe in diese Welt. Sie müssen dort alles von den ersten Elementen neu zu lernen und zu erfahren anfangen, sonst blieben sie taub, blind und stumm in Ewigkeit und hätten nichts denn ein dumpfes Gefühl vom Dasein, ohne jedoch zu fühlen, daß sie es sind, die schon auf der Erde da waren. Das muß ihnen allererst so nach und nach auf die sinnigste Weise beigebracht werden.

17. Wo es beim Menschen im Herzen finster ist, da ist schon gleich der ganze Mensch finster; wo es aber da licht und helle ist, da ist der ganze Mensch helle, und es kann bei ihm nimmer finster werden! Darum fasset das, was ihr vernehmet, gleich ins Herz auf, so wird es in euch bald helle werden!

18. So ihr das alles begriffen habt und aufgenommen in euer Herz, so lasset uns nun auf etwas anderes vorbereiten! Was da nun bald anlangen wird, wird euch viel Denkens machen; aber ihr werdet daraus sehr vieles ablernen und zu seiner Zeit auch bestens davon Gebrauch machen können.“

179. Kapitel. Das Volk von Abessinien und Nubien.

1. (Der Herr:) „Die meisten von euch kennen wenigstens den Sagen nach das altberühmte Ägypterland.

2. Hinter den großen Wasserfällen des Nils befindet sich ein sehr fruchtbares und großes Gebirgsland, und hat den Namen hAbi ie sin (das ist des hAbi Sohn). Dieser hAbi ist ein Nachkomme Kains und nicht Noahs; denn das Hochland, wie noch mehrere Länder der Erde, blieb zu Noahs Zeiten von der großen Flut verschont.

3. Der Sohn dieses hAbi ward wie Nimrod ein mächtiger Jäger. Er erfand die Keule und den Bogen, und alle Tiere von noch so reißend grimmiger Wildheit flohen schon von weitem vor ihm; denn er war ein Riese. Seine Stimme machte Felsen beben, mit seiner mächtigen Keule zerschlug er Felsen, und mit seinem Bogen schoß er zehn Pfund schwere Pfeile tausend Schritte weit; und auf was er gezielt hatte, das traf er sicher und machte es zu seiner Beute.

4. Nebstdem er aber ein Meister über alle Tiere ward, gehorchten ihm auch alle seine schwächeren Brüder und Schwestern. Er war sehr ernst, aber dabei dennoch gegen Menschen niemals grausam, ja nicht einmal hart; aber was er anordnete, das mußte geschehen.

5. Er glaubte an einen irgend fernen, allmächtigen Gott, von dem ursprünglich alle Dinge herrühren. Aber dieser Gott habe unzählig viele und überaus mächtige Diener und Knechte, sichtbare und unsichtbare. Einige hätten zu gebieten über Sonne, Mond und über alle Sterne, ein Teil über das Erdreich, ein Teil übers Wasser, ein Teil übers Feuer und so weiter, ein Teil übers Gras, über Bäume und Gesträuche, ein Teil über die Gewässer über und unter der Erde, ein Teil über die Metalle, ein Teil über die Vögel in der Luft, ein Teil über alle Tiere im Wasser und ein Teil über alle Tiere, die auf der Erde umhergehen und -kriechen.

6. Diese unsichtbaren Diener und oft sichtbaren Knechte müßten von den sterblichen Menschen stets in hohen Ehren gehalten werden durch Gehorsam und strenge Beachtung der Gesetze, die sie zu Zeiten den Menschen gäben. Den Ungehorsam straften sie stets auf eine allerempfindlichste Weise durch allerlei Übel, die sie über die ungehorsamen Menschen erlassen würden, die ihrer nicht achten, ihre Gesetze nicht befolgen und sich als Menschen auch gegenseitig unfreundlich betragen.

7. Kurz, dieser Sohn des hAbi war der erste Regent dieses damaligen Völkleins und zugleich der erste Priester, der ihm einen notdürftigen Begriff von Gott und anderen geistigen Wesen beibrachte, und war in der Linie ein sechster Nachkomme Kains und ein siebenter Adams.

8. Er lehrte es die zahmen Tiere kennen, behandeln und zum Haushalte verwenden und war somit ein rechter Gründer einer Hirtenkolonie und lehrte es auch so manche Früchte als Nährmittel erkennen, in den Gärten bauen, pflegen und veredeln; er lehrte es auch Hütten aus Steinen, Palmen und Lehm erbauen und darin eine sichere Wohnung nehmen.

9. Er selbst säuberte das ganze, große Land von den reißenden, wilden Bestien. Schon seine ebenso riesig mächtigen Söhne ernteten den Segen der rastlosen Mühen ihres mächtigen Vaters. In einem Verlaufe von ein paar Jahrhunderten war dies schwarzhäutige Völklein zu einem großen und mächtigen Volke herangewachsen und hatte gute Sitten und eine recht zweckmäßige Staatseinrichtung, klüger und besser denn Ägypten selbst unter den ersten Oberhirten (Varaonen).

10. Dies recht glückliche Volk aber verrammte alle irgend möglichen Zugänge derart, daß es sogar den fremden wilden Tieren nahe rein unmöglich war, die reichen Herden dieses weit und breit ausgedehnten großen Landes, das die fünffache Größe des ganzen Gelobten Landes hatte, zu besuchen und ihnen zu schaden. Aus diesem Grunde aber drang auch bis zur Stunde kein fremder Feind in dieses Landes grüne Gefilde, obwohl sich das Volk bis jetzt schon weit über die alten Grenzen ausbreitete. Jedes neuen Besitztumes Grenzen aber verrammte dieses Volk auch derart, daß es einem Feinde nicht leicht möglich würde, über diese Grenzen ins Innere des Landes zu dringen.

11. Gegen Ägypten heraus, wo die letzten Ausläufer des Komrahai-Gebirges den höchst schroffen Anfang nehmen, haben sie einen einzigen Ausweg. Es ist ein ganz entsetzlicher Engpaß, der aber bei vier Stunden Weges in vielen verirrbaren Windungen zumeist unterirdisch im obersten Teile Ägyptens ausmündet und durch eine sehr enge Grotte führt, – welcher Ausweg aber erst zu den Zeiten Mosis von den Eingeborenen gefunden ward, und zwar von Flüchtlingen, die als große Staatsverbrecher vor der gefürchteten Strafe flohen. Als man sie verfolgte, flohen sie in ein Felsenloch, um sich dort zu verbergen. Als sie etwa bei fünfhundert Schritte in dem Loche vorwärtsdrangen, bewaffnet mit Bogen und Pfeil, entdeckten sie in der entgegengesetzten Richtung Tageslicht und eilten auf dasselbe los; sie erreichten es bald und waren sehr froh, ihren Verfolgern so glücklich entronnen zu sein. Diesseits in eine früher nie gesehene Freie gelangt, verlegten sie sogleich den Ausgang mit Steinen, auf daß es ihren Verfolgern ja nicht möglich sein solle, je in diese weite, schöne, freie Landschaft zu gelangen.

12. Die Zahl der Flüchtigen war im ganzen siebzig Köpfe, darunter sechsunddreißig Männer und vierunddreißig Weiber; den, der kein Weib hatte, machten sie zu ihrem Anführer, weil er unter ihnen auch so der Erfahrenste war; einer aber war noch zu jung, ein Weib zu haben, und ward darum zum Diener des Anführers.

13. In dieser Gegend hielten sich diese Flüchtlinge bei anderthalb Jahre auf. Sie konnten aber mit der Säuberung dieser Gegend nicht fertig werden, obwohl sie die meiste Zeit auf der Jagd auf die reißenden Bestien standen. Sie brachen nach abgelaufener, vorbesagter Zeit auf und zogen nach dem Nil nordwärts, wie sein ganzer Zug gehet, weiter, kamen nach ein paar Wochen bis zu den Katarakten, die man nun von Ägypten aus die zweiten nennt. Da fanden sie viele Mühe und Arbeit, um da weiter vorwärtszukommen.

14. Am rechten Ufer des Nils wären sie wohl leichter vorwärtsgedrungen, aber sie befanden sich am linken Ufer, und da sieht es in dieser Gegend sehr zerklüftet aus und hat keinen Mangel an allerlei Getier, das den Menschen nicht gar freundlich gesinnt ist. Sie wollten, weil die Reisebeschwerden kein Ende nahmen, schon wieder umkehren und in die frühere Gegend zurückziehen, da kam ihnen im Rücken eine große Herde Rinder und Schafe nach und zog ebenfalls nach Norden. Diese Erscheinung machte sie glauben, daß ihre Verfolger ihnen auf die Spur gekommen seien. Sie machten sich denn auf und drangen, so gut es nur immer ging, weiter und gelangten nach einer mühevollen Tagesreise endlich in eine schöne, große und überaus fruchtbare Gegend.

15. Da strotzte es von Datteln und Feigen, und es gab große Herden von Schafen und Rindern, die ganz frei und ohne Besitzer umherzogen und weideten. Jene Herde aber, die unsere schwarze Menschengesellschaft zum Weiterziehen zwang, verlor sich in den Schluchten der Katarakte und kam nicht nach, was unserer Gesellschaft sehr recht war, weil sie dadurch versichert zu sein glaubte, daß ihr die vermeinten Verfolger nicht nachkommen würden.

16. In dieser neuen Gegend suchte sich die Gesellschaft vorderhand einmal den möglichst besten Platz aus, befestigte ihn und ließ sich daselbst nieder. Es war ein schöner, glatter Hügel am Nil und voll bewachsen mit Datteln, Feigen und schönen Palmen; außer einigen Affen war keine Spur von einem andern reißenden Getier anzutreffen.

17. Hier vermehrten sich diese Menschen und machten in ein paar hundert Jahren ein ganz bedeutendes Volk aus, das sich aller der freien Herden bemächtigte und Hütten und sogar Dörfer erbaute und ganz gut lebte. Es hatten aber alle den Glauben und alle die Sitten und Gebräuche, die der Sohn des hAbi eingeführt hatte.

18. Dieses große, damals sehr schöne und fruchtbare Land benannten die schwarzen Einwohner mit dem Namen ,Noua Bia‘, das heißt verdolmetscht Neue Wohnstätte.

19. Von da aus machte dieses Volk mit der Zeit auch Bekanntschaft mit den Ägyptern, die sich nachher alle Mühe gaben, diese ersten schwarzen Menschen zu unterjochen, was ihnen aber dennoch nicht völlig gelingen wollte. Es waren das auch die ersten ganz schwarzen Menschen, die die Ägypter zu sehen bekamen.

20. Anfangs hielten die Ägypter diese Menschen für große Affen; allein als sie merkten, daß diese Menschen auch sogar eine ihrer Sprache nahe völlig ähnliche Zunge redeten, fingen sie an, sie für wirkliche Menschen zu halten, kauften von ihnen Rinder und Schafe, und diese Schwarzen lernten von den Ägyptern dafür allerlei Künste und Wissenschaften, die sie sehr gut brauchen konnten, besonders die Bereitung der Metalle, von der sie bisher noch keine Kenntnis hatten.

21. Bei diesem Volke sind bis auf den heutigen Tag ihre alte Religion und alle die alten Sitten und Gebräuche geblieben, die sie vom Sohne des hAbi überkommen haben.

22. In diesem Jahre aber ist bei diesem Volke ein Seher auferstanden und hat seinen schwarzen Brüdern und Schwestern kundgetan ein außerordentliches Gesicht, das er sieben Male hintereinander hatte. Er beschrieb ihnen den Weg, den er zu gehen hätte, um auf der Erde an den Ort zu gelangen, wo sich Der aufhalte, der die Menschen die Wahrheit und den großen unbekannten Gott kennen lehre.

23. Und seht, dieser Seher aus Noua Bia wird mit einer ganz ansehnlichen Gesellschaft noch vor dem Mittage hier in der Gegend von Cäsarea Philippi anlangen; wir werden darum einen Boten hinsenden, daß er hingehe und sie bringe hierher! Sie sind auf vielen Kamelen dahin gekommen und haben viele Schätze mitgebracht und werden, was sie hier verzehren, alles mit Gold und Edelsteinen bezahlen.

24. Du, Markus, sieh dich darum vor, daß diese Nubier ganz gut versorgt werden! Denn als du Mich gestern abend batest, diesen Tag über noch bei dir zu verbleiben, da gab Ich deiner Bitte nach und blieb, ansonst Ich mit Meinen Jüngern schon heute vor dem Aufgange dieser Mich suchenden Karawane entgegengezogen wäre. Ich blieb aber, und dieses Bleiben wird heute deinem Hause noch viel Arbeit machen; aber du wirst schon deine Rechnung finden.“

180. Kapitel. Jesus sendet der nubischen Karawane einen Boten entgegen.

1. Fragt Mich Markus mit einem überfreudigen Gesichte: „Herr, Du Allwissender! Wie viele Personen zählt die Karawane?“

2. Sage Ich: „Sie besteht genau aus siebzig Köpfen, darunter auch, wie bei ihren flüchtigen Ureltern, vierunddreißig Weiber und sechsunddreißig Männer sich befinden. Der eine Weiberlose ist der Seher, und der zweite Weiberlose ist sein Diener!

3. Sehet, so wurden diese Schwarzen vor nahe tausend Jahren flüchtig, und zwar auf Grund einer Neuerung gegen die Gesetze, die freilich zu den Zeiten Mosis nicht mehr ganz das waren, was sie waren vor der Sündflut! Der alte Anführer, der flüchtig ward, wollte die alten Sitten und Gebräuche wieder beleben; allein er stieß auf lauter Feinde, die ihn samt seinem Anhange ganz jämmerlich zu verfolgen anfingen, so daß ihm am Ende nichts übrigblieb, als zu fliehen vor der blinden fanatischen Übermacht seiner gar vielen Feinde.

4. Jene Flucht war demnach ein prophetisches Vorzeichen zum Empfange eines höheren Lichtes und deutete zu den Zeiten Mosis auch den besseren Nachkommen Kains an, daß in dieser Zeit auch ein Erlösungslicht aufgehen werde. Die Schwarzen werden zwar zum alten Brunnen Jakobs nicht völlig gelangen gleich den Kindern Abrahams, aber dessen herrliches Wasser sollen sie dennoch zu trinken bekommen, so es sie danach dürstet.

5. Und nun werde ein Bote erwählt, welcher der oberägyptischen Zunge mächtig ist! Im Lager des Julius befindet sich ein Wachführer; den rufet Mir her, auf daß Ich ihn unterweise, wie er den Anführer sogleich erkennen werde, und was er ihm zu sagen haben wird!“

6. Julius erhob sich eiligst selbst vom Tische und eilte hin ins Lager, berief den Wachführer und brachte ihn alsogleich zu Mir.

7. Als dieser Stockrömer bei Mir ankam, sagte er: „Allerhöchster Sohn des allererhabensten Zeus! Was gebietest Du mir, das ich tun soll? Zwar bin ich im höchsten Grade unwürdig, von Dir einen Befehl zu erhalten – des höchsten Gottes Sohn gebietet nur den Untergöttern, diese den Fürsten der Erde, diese ihren obersten Feldherrn, diese dann erst ihren Obersten und Hauptleuten, und diese dann erst ihren Sklaven, die wir zu sein die hohe Ehre haben –; aber Du, Allerhöchster, willst hier eine Ausnahme machen, und so bitte ich Dich um Deine heiligen Befehle!“

8. Sage Ich: „Ganz gut, ganz gut, Mein lieber Freund! Du bist zwar noch ein Stockrömer, aber treu und ehrlich deines Glaubens und deines Standes. Du bist längere Zeit in Ägypten gestanden, hast das Altägyptische verstehen und sprechen gelernt und sollst Mir nun einen Boten in die Gegend von Cäsarea Philippi abgeben. Du bist ein guter Reiter und wirst zu Pferde bald am rechten Orte und an rechter Stelle sein.

9. In der Nähe der abgebrannten Stadt wird dir eine Karawane von siebzig schwarzen Menschen unterkommen; voran sind, auf zwei weiß umhüllten Kamelen reitend, rechts der Anführer und links sein Diener. Der Anführer wird dich grüßen schon von weitem. Er ist ganz weiß angezogen; aber sein Gesicht wirst du kohlschwarz finden. Ebenso seine Hände und Füße; aber im Herzen sieht es bei ihm um vieles heller aus denn auf seines Leibes Haut. Diesem sage: ,Du hast das Ziel deiner Mühe erreicht; folge mir! In wenigen Augenblicken wirst du vor dem Angesichte Dessen stehen, den du nach deinem sieben Male gehabten Gesichte suchtest!‘

10. Solches rede du in der altägyptischen Zunge mit ihm, deren du wohl fähig bist! Gehe nun, sattle dein Tier und gehe dann schnell ab; wo sich die Hauptstraßen kreuzen, wirst du mit ihnen zusammentreffen!“

11. Als der Wachführer solches von Mir vernommen hatte, machte er eine tiefste Verbeugung und sagte: „Außer nur vor den Göttern verbeugt sich ein römischer Veteran niemals; aber Dir allein gebühret alle Verehrung und alle Anbetung! Und nun an den anbefohlnen Dienst!“

12. Schnell eilte der schon grau gewordene Krieger von dannen, war auch eben ganz in voller Rüstung auf seinem arabischen Gaule und sprengte pfeilschnell dem angezeigten Orte zu. Eine ferne Staubwolke gab gewisserart ein sicheres Zeichen, daß sich die starke Karawane dem bezeichneten Orte nahe. Unser Bote war in wenigen Augenblicken an der bezeichneten Stelle und wartete noch eine Viertelstunde auf die volle Ankunft der großen Karawane. Wir konnten sie, wenn wir über des Hauses Ecke hinaustraten, sehen; denn es war bis dahin nur eine schwache halbe Stunde Weges.

13. Als der Anführer an den bis an die Zähne gerüsteten und bewaffneten Wachführer kam, hielt dieser ihn auf und fragte ihn zuerst nach der Römer Kriegssitte, wohin zu gehen er willens sei, und was ihn in seiner Heimat zu dieser Reise bestimmt habe.

14. Der Anführer blieb stehen, sah dem Römer fest ins Angesicht und sagte in einem sehr ernst klingenden Ton: „Römer! Wer hieß dich mich hier erwarten? Wir kommen heute schon vom großen Meere her und zogen durch Steppen und Wälder. Von Alexandria weit übers Meer trugen Schiffe uns; nur Vögel konnten uns sehen von Ägypten bis hierher! Du bist der erste Mensch, der uns unterkommt auf der ganzen Reise; wie konntest du wissen, daß wir hier ankommen? Wer hat dir unsere Ankunft geoffenbart? Bist du ein Seher? Aber du trägst Waffen, die oftmals ins Menschenblut getaucht worden sind, und kannst sonach kein Seher sein; denn wisse, es gibt ein allererstes und ein allerhöchstes Gottwesen über alle eure Götter und über alle Menschen, von welcher Hautfarbe sie auch sein mögen!

15. Ich hatte sieben Male dasselbe Gesicht; in diesem Gesichte sah ich stets nur diese Gegend in einem unbeschreiblichen Lichte. Ein kleines Häuflein Menschen von weißer und brauner Haut standen schon in diesem großen Lichte und leuchteten selbst wie Sonnen. Aber mitten unter diesen Lichtmenschen stand einer, der leuchtete mehr denn hunderttausend Sonnen! Von dem ging alles Licht aus; ja, es war in mir das Gefühl, als wäre die ganze Unendlichkeit voll seines allerunmeßbarsten Lichtes! Aber so unbeschreibbar helle auch sein Licht war, so tat es doch nicht wehe wie bei uns das viel schwächere Licht der Sonne.

16. Am Ende des allzeitig gleichen Gesichtes vernahm ich immer die klaren Worte: ,Da ziehe hin, du Schwarzer, dort wird auch deine Nacht erhellet werden!‘ Solches gab ich kund allen meinen schwarzen Brüdern und Schwestern, und wir entschlossen uns, diese Reise gar von Nouabia aus zu unternehmen, und sind nun schon bei drei Monden lang auf dem Wege.

17. Ich wußte es wohl, wohin wir zu ziehen hatten; denn mein Geist, der mich begleitete schon bei sieben Jahre lang, hatte es mir gesagt, daß der Ort, den ich in meinem Gesichte sah, sich in Asia und zwar an der Küste des großen Meeres befinde. Ich erkannte vom Meere aus die Küste sogleich als diejenige, die ich sieben Male in meinen Gesichten erschaut hatte. Als wir am rechten Punkte waren, da bestiegen wir alsbald das Land. Es zeigte sich auch gleich ein Weg, auf dem wir bis hierher gewandelt sind, – und da kommst du uns entgegen! O sage, wer verriet uns dir? O rede! Ich ahne Großes!“

18. Sagt der Römer: „Du hast das Ziel deiner mühevollen Reise erreicht! Folge mir! In wenigen Augenblicken wirst du vor dem Angesichte Dessen stehen, den du nach deinem sieben Male gehabten Gesichte suchtest!“

19. Der Anführer gebot sogleich allen, dem Römer zu folgen; denn dieser sei offenbar ein Bote Dessen, den sie sucheten.

20. Der Römer ritt sogleich voran, und die ganze Karawane folgte ihm.

181. Kapitel. Jesus spricht mit dem Anführer der Nubier.

1. Der Ritt ging hurtig vonstatten, und unser Wachführer brachte die ganze Karawane zu uns, die wir alle noch ganz wohlgemut an den Tischen saßen.

2. Als Meine Jarah die kohlschwarzen Gesichter mit den förmlich blutroten Lippen und sehr weißen Augen ersah, erschrak sie ordentlich und sagte: „O Herr, tun einem diese Wesen wohl nichts? Die sehen ja doch ganz entsetzlich schwarz aus! Ich habe wohl schon Mohren gesehen, aber so entsetzlich schwarz noch nie einen, wie diese da sind! Was sie nur für ein starkes Gebiß haben! Wahrlich, Herr, wenn ich nicht bei Dir wäre, finge ich an, mich ganz entsetzlich zu fürchten! So einen Schwarzen zu lieben, wäre eine Aufgabe für ein zartfühlendes Mädchenherz!“

3. Sage Ich: „Schon gut, Meine allerliebste Tochter, – aber schön gescheit, Mein Kindchen! Wer wird sich denn vor einer Farbe fürchten? Jetzt warst du wohl ein wenig kindisch, – aber es macht nichts! Gib nun nur auf alles fein acht; denn da werden jetzt gar wichtige Dinge verhandelt werden!“

4. Sagt die Jarah: „Aber davon werde ich sicher nicht viel verstehen; denn mit der altägyptischen Zunge ist's bei mir Nacht, und eine andere können diese Schwarzen nicht!“

5. Sage Ich: „Es wird alles verdolmetscht werden; sei daher nun ruhig, rede nichts, sondern höre!“

6. Auf das wird die Jarah still, und Ich lasse sogleich den Anführer und Seher zu Mir kommen und frage ihn, was ihn und seine Gefährten die weite Reise hierher zu machen bestimmt habe. Ich wußte es natürlich gar wohl von der Wurzel aus; aber Ich mußte ihn dennoch also fragen, damit ihm Gelegenheit werde, sich zu entäußern und sein Anliegen vorzubringen.

7. Auf Meine Frage, die Ich ihm in der jüdischen Zunge gestellt hatte, gab er (der Anführer) auch in unserer Sprache folgende Antwort: „Für mich namenlosester, allererhabenster Mensch dieser Erde, vergib es mir armem, schwachem Halbmenschen, so ich mir die schüchterne Bemerkung zu machen unterfange, daß ich in dir ebendieselbe Person entdecke, die ich vor vier Monden in meinen gehabten stets gleichen sieben Gesichten in einem unbeschreibbar hellsten Lichte geschaut habe, und die ich auch aufsuchen ging bis nahe ans Weltende, und in meinem Herzen tiefst ergriffen, auch nun in der Wirklichkeit gefunden zu haben glaube! Wolltest du, Erhabenster, mir denn nicht kundtun, ob ich recht habe in meinem Erkennen?“

8. Sage Ich: „Es würde dir wenig nützen, so Ich dir sagete ja oder nein; du mußt es selbst erkennen! Forsche, und es wird dir schon klar werden! Bist du so weit gekommen, so wirst du auch noch weiter kommen; aber du mußt es selbst ernstlich und fest wollen! Jede äußere Belehrung ist zu nichts nütze, wenn sie nicht zugleich von innen aus gewonnen wird. Sieh, du sprichst nun gut jüdisch! Kannst du dich erinnern, daß du je irgendwann diese Sprache erlernt hast? Frage auch deine Gefährten, die nun auch diese Sprache ganz gut verstehen, ob sie irgendwann diese Sprache erlernt haben! Gehe hin und überzeuge dich!“

9. Der Anführer lenkt sein Kamel sogleich zu seinen Gefährten und redet sie auf jüdisch an. Alle verstehen ihn und geben ihm auch Antworten in unserer Sprache. Darüber wird der Anführer ganz außer sich vor Verwunderung und weiß sich nicht Rat zu schaffen, wie er und alle seine Gefährten zu der Kenntnis der jüdischen Sprache gekommen sind; denn er weiß nicht, daß Ich solches vermitteln kann.

10. Er (der Anführer) kehrt nach der gemachten Erfahrung zu Mir zurück, noch immer auf seinem Kamele sitzend, und sagt: „Erhabenster Mensch der Erde! Da kenne ich mich in meiner schwarzen Haut nicht aus; denn es ist dies meine erste Reise, die ich je gemacht habe! Ich habe nie mit Sprachen und Eigenschaften fremder Länder je irgendeine Bekanntschaft gemacht und bin total arm an allerlei Erfahrungen, und bei mir daheim im Lande geht es sehr einfach zu. Das Land ist zwar gut und schön, aber für uns bietet es nichts Neues. Es ist also möglich, daß dies Land die Eigenschaft innehat, daß ein Fremder, sowie er das Land betritt, auch den Geist der Volkssprache in sich aufnimmt und sogleich mit den Eingeborenen also reden kann, als wäre er selbst ein Eingeborener. Ob solches möglich oder unmöglich ist, weiß ich nicht zu beurteilen; daher wolle du mir darin eine Erklärung geben! In meinem Lande habe ich so etwas ja nie erproben können, da in dasselbe wohl noch nie ein Fremder eingedrungen ist!“

11. Sage Ich: „Entlastet erst eure Kamele, führet sie auf die Trift am Meere, damit sie eine ihnen schon sehr nötige Rast nehmen, um euch dann leichter wieder in euer Land zurückbringen zu können; denn der Weg zurück ist um nichts kürzer denn hierher bis zu uns! Tut das und kommet dann wieder; es wird sich dann gleich zeigen, wieviel Lichtes ihr alle zusammen zu ertragen imstande seid!“

12. Der Anführer verneigt sich und sagt: „Erhabenster Mensch der Menschen! Du hast überaus recht, so wir es nur wagen dürfen, mit unseren unheiligsten Füßen diese heilige Erde zu betreten; denn nach meinen Gesichten muß dieser Boden von einer unermeßlichen Heiligkeit sein!“

13. Sage Ich: „So er für die Füße eurer Kamele nicht zu heilig ist, da wird er ja wohl auch für eure Menschenfüße nicht zu heilig sein!“

14. Sagt der Anführer: „Ja wahrlich, wahrlich, wahrlich! O erhabenster Mensch der Menschen der Erde, du bist höchst gut und überweise!“

15. Darauf lenkt er sein Kamel wieder zu seinen Gefährten und richtet ihnen Meinen Wunsch aus. Sogleich liegen die Kamele auf den Knien, und ihre Reiter steigen herab zur Erde. Darauf erheben sich diese wohlabgerichteten Tiere und werden auf die Trift am Meere geführt, allwo sie zu grasen beginnen und sich dabei ganz behaglich gut geschehen lassen. Zehn Neger werden bei den Kamelen zur Hut beordert, der übrige Teil aber kehrt sogleich mit dem Anführer zu Mir zurück.

16. Als sie bei Mir ankommen, da frage Ich ihn (den Anführer) zuerst um seinen Namen, und er sagt: „Mein Name ist dem gleich, was ich bin; in unserer Zunge lautet er Ou bratou vishar. Bei uns hat niemand einen Namen außer den seiner Tätigkeitsweise; sonst heißen wir alle gleich Slouvi.“

182. Kapitel. Der Anführer erzählt seine Reise nach Memphis.

1. Ich frage weiter: „Wo bist du zu dieser deiner ganz schätzenswerten Bildung gekommen?“

2. Sagt der Oubratouvishar: „Ich und mein Diener gingen vor zehn Jahren einmal den Nil entlang, begleitet von noch zwanzig der kräftigsten Unterdiener, die da eine schöne Herde Rinder nachzuleiten hatten; denn wer dort bei uns reisen will, muß eine reiche Herde mitnehmen, sonst kann er auf der Reise verschmachten. Feigen und Datteln wachsen nicht überall, sondern nur auf guten und fetten Böden; am Grase aber gibt es am Nil nirgends einen Mangel, und so hat er denn überall der Kühe nährhafte Milch, die eine Würze jeder Speise ist.

3. Also ausgerüstet versuchten wir denn, wie vorbemerkt, vor zehn Jahren oder zehn Regenzeiten abwärts eine Wanderung zu unternehmen. Ein paar Tage kamen wir ohne Beschwerden ganz leicht vorwärts; aber am dritten Tage vernahmen wir schon von ferne ein mächtiges Donnern. Wir beschleunigten unsere Schritte und waren in der Zeit, in der man tausend Steine abzählen würde, an der ersten Abfallstelle des Nils. Da bot sich wenig Aussicht zum Weiterkommen. Einer unserer kecksten Kletterer erstieg einen hohen Felsen, um zu erspähen, wie es da mit der Gegend aussähe. Als er zu uns wieder zurückkam, beschrieb er mir einen Weg, der sich zwar weit nach links vom Nil entferne, aber in weiter Ferne wieder zum Nil komme. Ich beschloß darauf, diesen Weg zu verfolgen. An Klippen und andern Unwirtbarkeiten hatte dieser Umweg wahrlich keinen Mangel. Erst am Abende dieses Tages gelangten wir unter großer Hitze endlich auf eine mit vielen Palmen und Papyrusbäumen bewachsene Trift, in deren Mitte sich eine recht reiche Quelle befand, die unseren Herden und uns sehr wohl zustatten kam. Hier nahmen wir einen vollen Tag Rast.

4. Am zweiten Tage brachen wir mit dem ersten Grauen des Tages auf und setzten unsere Reise fort. Mit dem Aufgange der Sonne erreichten wir wieder den Nil und eine von uns früher nie gesehene, breite Straße, auf der wir in einem halben Tage in die Nähe jener Stadt gelangten, von der uns unsere Voreltern viel zu erzählen wußten. Ungefähr bei gut zweitausend Schritte vor der Stadt lagerten wir uns; ich und mein Diener aber ritten in die Stadt, um uns eine Erlaubnis zu erbitten, in der Nähe der Stadt mit unseren nötigen Herden lagern zu dürfen.

5. Als ich mit meinem Diener in die Stadt kam, ward ich von einer Menge sehr brauner Menschen umringt und befragt, wer und woher ich wäre. Andere aber rieten gleich und sagten: ,Thot e Noubiez!‘ (,Dieser ist ein Nubier!‘), und ich sagte: Ja, ich bin ein Nubier und möchte hier so manches Gute und Schöne von euch vollkommenen Menschen erfahren und erlernen!‘

6. Da ließen diese Neugierigen einen alten Greis zu mir kommen, und der fragte mich um Verschiedenes klein aus, begab sich am Ende sogar in unser Lager und gab sich uns erst da so ganz zu erkennen, daß er ein oberster Priester dieser Stadt sei und zugleich ein von Rom aus bestellter Pfleger dieser Stadt und ihres weiten Bezirkes. Ich machte ihm sogleich ein Geschenk mit sieben der schönsten Kühe und zwei Stieren und mit zwanzig unserer feinstwolligen Schafe.

7. Das machte den guten Alten sehr freundlich, und er sagte darauf zu mir: Unsere alte und reine Weisheit wird euch wohl recht viel nützen! Aber eignet euch ja von unseren gänzlich verdorbenen Sitten nichts an; denn diese sind schlechter als sehr schlecht! Diese Stadt war einst ein Stolz des Landes, was auch noch ihr Name Memavise (griechisch Memphis) = ,hat den höchsten Namen‘, klar und deutlich besagt; nun ist die namenlose Höchste nur ein weitläufiger Schutthaufen, wie ihr euch bald und leicht selbst überzeugen werdet!

8. Das Volk, das noch hier ist, hat teils gar keinen Glauben an ein höchstes Gottwesen, und teils steckt es im finstersten Aberglauben, von dem es nimmer zu befreien ist. Nur wir wenigen leben noch in der alten, wahren Erkenntnis des einen, ewigen, wahren Gottes. Das Volk, das blinde und dumme, glaubt an etliche Tausende Götter; sogar den Tieren und ihren Überresten erweist es eine göttliche Verehrung, und wir müssen es dabei belassen.

9. Es haben wohl unsere Urvorfahren schon dazu den Samen gelegt, und zwar dadurch, daß sie einigen Tieren ihrer großen Nützlichkeit wegen eine Art halb göttlicher Verehrung erwiesen, um das Volk mehr zur sorglichen Pflege dieser nützlichsten Landes- und Haustiere zu bestimmen. Die Alten wollten dadurch freilich nur die mannigfache Ausstrahlung der göttlichen Liebe und Weisheit in der Natur der Dinge dem damals noch sehr niedrig stehenden Volke beschaulich darstellen; aber mit der Zeit wird die Völkergeschichte, je tiefer sie in die Vergangenheit zurücktritt, ehrwürdiger und ehrwürdiger, stets mehr und mehr erscheint sie von einem gewissen göttlichen Hauche umdunstet, und schlechte und gewissenlose sogenannte Volkslehrer haben dann ein um so leichteres Spiel, alles im urgrauen Altertume Geschehene zu vergöttlichen und das blinde Volk im finstersten Aberglauben so tief als möglich zu begraben.

10. Darum seid ja auf eurer Hut, ihr treuherzigen Nubier, und nehmet nur das, was ihr von mir hören werdet, als eine korrekte Wahrheit an; von allem aber, was ihr beim Volke sehen und hören werdet, wendet euch ab, – denn es ist schlechter als sehr schlecht! Ihr werdet es opfern und allerlei leere Zeremonie verrichten sehen; ja bei gar großen Feierlichkeiten werdet ihr sogar mich im glänzendsten Ornate an der Spitze erschauen. Stoßet euch aber dennoch nicht daran; denn mit alldem wirket nur meine Haut mit, mein Inneres aber ist und bleibt stets bei dem einen, ewigen, allein wahren Gotte, dessen Liebe mein Leben und dessen Licht mein wahres Wissen und Erkennen ist.

11. Du und dein Diener aber kommet mit mir nun zu Fuß in die Stadt in meine Wohnung, allda ich dir alle näheren Anweisungen geben werde, wie du und deine Gefährten euch hier zu benehmen habt; auch werde ich euch und für eure Herden den rechten Platz zeigen, auf dem ihr als Fremde ein volles Jahr zubringen könnet, ohne von jemandem belästigt zu werden. Du und dein Diener aber werdet bei mir wohnen, auf daß ich dich in vielen Dingen unterweisen kann.‘

12. Sagte ich: ,Guter Oberster! Das von dir aus meiner Hand gnädigst angenommene Geschenk aber wirst du wohl erlauben, daß wir es mit in die Stadt treiben dürfen?‘

13. Sagte darauf sehr liebfreundlich der wahrhaft gute Oberste: ,Nicht jetzt, sondern in drei Tagen erst, wenn ihr eine andere Trift werdet bezogen haben! Aber dort müsset ihr eure Füße nach unserer Art beschuhen; denn zur Nachtzeit kriecht hier eine Menge kleiner Insekten und Würmchen über den stets sandigen Grasboden empor, verkriechen sich unter die Zehennägel und verursachen mit der Zeit große Schmerzen. In meinem Hause werde ich euch damit schon nach Möglichkeit bestens versehen; denn ich habe viele Knechte, Diener und Sklaven.‘

14. Wir, ich und mein Diener, gingen nun mit dem Obersten in die große Stadt. Nach etwa viertausend Schritten gelangten wir in der Stadt auf einen großen Platz, der mit den großartigsten Gebäuden aus gewürfelten Steinen eingefaßt war. Mehrere dieser großen Gebäude waren schon bedeutend beschädigt, aber viele waren noch gut erhalten. Eines war aus lauter Säulen bestehend, und innerhalb der weitgedehnten Säulengänge waren riesenhaft große Statuen aller Art und Gattung ersichtlich; auch waren die Säulen mit einer Anzahl von allerlei Zeichen und Schriften versehen, die mir der Oberste hernach oft und häufig erklärte. Neben dieser Säulenhalle stand ein ungeheuer großer Palast, in welchem es sehr lebendig zuging.

15. Da sagte der Oberste: ,Sehet, dies ist mein Wohnhaus; kommet nun herein und besehet alles, was darin ist!‘“

183. Kapitel. Der Fluch der Urkultur der Ägypter.

1. (Oubratouvishar:) „Vor diesem Palaste standen zwei ungeheuer große Säulen (Obelisken) ganz frei und waren auf allen Seiten voll beschrieben mit allerlei Zeichen, Figuren und Schriften; auch vor der großen Säulenhalle waren zwei gleiche Säulen angebracht.

2. Wir gingen schüchternen Schrittes in das Haus des Obersten und hatten eine Weile zu gehen, bis wir in dessen Wohngemächer drangen. Ach, darin sah es schon so wundervoll schön aus, daß mir dabei ordentlich das Hören und Sehen verging.

3. Ich verglich im Geiste meine armseligste Hütte daheim mit dieser Wohnung und sagte zu mir selbst: ,Warum sind denn wir Schwarzen gar so wunder arm in unserem Wissen und Erkennen? Warum können wir keine solchen Gebäude zustande bringen? Warum können wir noch immer nicht umgehen mit der Erzeugung der Metalle? Noch haben wir keine anderen Schneidewerkzeuge als die, die wir von den Ägyptern gegen unsere rohen Naturprodukte eingetauscht haben! Wie elend sind unsere Webestühle, wie schlecht unsere Spinnerei! Unter uns ist kein Geist, kein Talent, kein Eifer; wir sind kaum auf einer etwas höheren Stufe als unsere Affen!‘

4. Als ich mich in solche Gedanken verlor, brach mir das Herz, und ich mußte zu weinen anfangen und sagte dabei laut: ,Oh, warum sind denn wir Schwarzen nicht ganz Tiere, die weder denken noch irgend etwas fühlen können?! Was Herrliches können die wirklichen Menschen, diese wahren Erdengötter, schaffen, und wir gar nichts dagegen, wir schwarzen Halbmenschen und Halbtiere! Und dennoch müssen wir gar mächtig fühlen über alles das Herrliche, was die wirklichen Menschen geschaffen haben!‘

5. Da sagte der Oberste zu mir: ,Mache du dir da nichts daraus! Wir sind bereits Menschengreise geworden, denen alle diese Herrlichkeiten keine Freude mehr machen können, da wir uns schon überlebt haben; ihr aber seid noch Kinder voll Kraft und voll von stets mehr und mehr wach werdendem Eifer. Wir haben für diese Welt schon ausgelebt, unsere Kronen liegen verwelkt im Grabe der Vergessenheit, unsere Paläste stürzen ein, und unser gegenwärtiges Wissen und Erkennen ist schlechter als sehr schlecht. Wir haben hier wenige Schmiede und wenige Weber mehr; alle unsere technischen Bedürfnisse müssen wir entweder von Rom oder von Griechenland aus befriedigen.

6. Ja, einstens vor ein paar tausend Jahren hausten hier in diesem Lande freilich wohl mehr Götter als Menschen und errichteten Werke, über deren Reste noch dieser Erde späteste Nachkommen staunen werden! Aber was wir nun hervorbringen, ist gleich einem Zerstören nur, sowohl in der Materie als auch in der Seele. Ihr aber seid noch ein unverdorbenes, urwüchsiges und jugendlich kräftiges Volk, könnet denken und wollen, und könnet darum bald größer werden in euren Werken, als da die Völker dieses Landes je waren.

7. Wollet ihr aber als Menschen wahrhaft glücklich leben auf dieser Erde, so bleibet bei eurer alten Einfachheit! Erstens kostet diese euch wenig Mühe und Arbeit, und zweitens habt ihr nur ganz geringe natürliche Bedürfnisse, die ihr leicht decket. Eure Viehzucht auf euren fetten Gebirgstriften macht euch wenig Arbeit und Sorge, und euer Ackerbau, den ihr nur sehr wenig betreibet, ist ohnehin als nichts zu rechnen; auch eure Kleidung ist einfach und leicht zustande zu bringen. Ihr brauchet daher sehr wenig Zeit auf eure natürlichen Bedürfnisse zu verwenden und könnet euch darum mehr und ausschließlich mit den geistigen Betrachtungen abgeben! Und siehe, das ist viel mehr wert, denn mit blutigem Schweiße auf Unkosten von hunderttausendmal hunderttausend Menschenleben solche Paläste erbauen, damit der nie verwüstbare Zahn der Zeit dann Tausende von Jahren an ihnen sattsam zu nagen hat!

8. Und was ist endlich so ein künstlich übereinandergelegter Steinhaufen gegen einen Grashalm nur, der vom großen Geiste Gottes erbauet ward? Ich sage es dir: gar nichts! Jeder Grashalm, jeder Baum ist ein Gebäude Gottes, wächst aus der lieben Erde ohne unsere Mühe und Arbeit, und in kurzer Zeit erquickt er unsern Gaumen mit seiner süßen Frucht. Welche Mühe und erschreckliche Arbeit aber kostet den Menschen solch ein Palast! Und was haben sie hernach, wenn ihr Werk nach vielen blutigen Jahren fertig dasteht? Nichts als eine elende Nahrung ihres Hochmutes, die Erweckung des Neides fremder Völker, mit der Zeit Krieg und allerlei Verfolgung!

9. Wahrlich, du mein lieber schwarzer Freund, das ist ein elendes Glück eines Volkes, das so dumm ward, mit solchen toten Palästen seine schönsten und fruchtbarsten Triften zu überziehen, auf denen sonst viele Hunderttausende von den fruchtbarsten Bäumen ihre edlen Früchte den zufriedenen und in ganz einfachen Hütten wohnenden Menschen in ihren Schoß schütten könnten! Siehe, auf dem Flecke, da diese Stadt erbaut steht, könnten ganz leicht zehntausend Menschen nebst ihren zahlreichen Herden einen genügendsten Unterhalt finden; so aber wohnen gegenwärtig freilich noch bei hunderttausend Menschen in diesen schadhaften Mauern! Aber welch ein Leben führen die meisten!

10. Vormals, wie die Geschichte lehrt, war dies Land eine Kornkammer, aus der in den Zeiten der Not fremde Völker mit Brot versorgt worden sind; nun müssen wir nicht selten das Korn von weit entlegenen Ländern und Völkern uns verschaffen! Unsere Herden befinden sich in dem elendesten Zustande. Tausende von Menschen in einer solchen Stadt arbeiten wegen ihres bißchen Goldes und Silbers gar nicht, gehen Tag für Tag müßig umher, halten sich feile Dirnen und unterhalten sich nicht selten auf eine niedrigst tierische Weise mit ihnen; das erzeugt stets eine Menge Krankheiten, – ein Etwas, das ihr gar nicht kennt. Am Tage, solange die Sonne wirkt, werdet ihr diese große Stadt wie ganz entvölkert sehen; erst wenn die kühlere Nacht gekommen ist, dann entsteigen sie gleich den Raubtieren ihren künstlichen Steinhöhlen und unterhalten sich mit allerlei, wonach sie ein Gelüste tragen. Und so siehe, du einfacher Sohn der reinen Natur, das sind die Segnungen, die die Menschen von ihrer großen Steinkultur haben!‘“

184. Kapitel. Der Segen der Urkultur des einfachen Menschen.

1. (Oubratouvishar:) „,Daher bleibet ihr in eurer großen und ursprünglichen Naturreinheit und habt nimmer nach solch einer elenden Landeskultur ein Gelüste! Erbauet ja keine Städte! Bleibet in euren einfachen Hütten, und ihr könnet alle Zeiten der Zeiten hindurch das glücklichste Volk der Erde sein, und das besonders, so ihr in der rechten Erkenntnis des einen und ewig wahren Gottes bleibet, Ihn allein ehret und liebet! Könnet ihr Ihn auch nicht sehen, so doch Er euch, und Er wird euch stets versehen mit jener Kraft, die euch nötig ist zur Hintanhaltung jeden dem Menschen feindlichen Elements. Nach den ursprünglichen Naturgesetzen ist der Mensch der Herr über alles, was auf, unter und über der Erde ist, lebt und atmet.

2. Ihr seid es noch, was der Mensch sein soll! Vor euch flieht der grimmige Löwe, und Tiger, Panther, Hyänen, Wölfe, Bären, Schlangen und Nattern fliehen eure Nähe; nur die zahmen Herden folgen euch auf jedem eurer Tritte und Schritte! Mit solchen Eigenschaften ausgestattet, steht der Mensch noch auf jenen erhabenen Urseinsstufen, auf die ihn zu Anfang aller Kreatur der Schöpfer gestellt hat. Leget euch hin auf den Rasen, unter dem die Klapperschlange und die giftige Viper ihr loses Spiel treiben, und sie weichen von der geheiligten Stelle, über der der Mensch als Herr der Natur sein Lager genommen hat! Die böse Ameise, der Fluch so mancher Wälder und Steppen, wandert aus, sobald der Mensch in seiner Urkraft das Gebiet betritt und seine Wohnung aufrichtet. Der Löwe, der Panther, der böseste Tiger hält sich ferne von den Herden, die der echte Mensch bewacht, und das Krokodil, des Nils Drache, ist nimmer zu sehen in jenen Landesteilen, die von Menschen bewohnt werden. Der Ibis, der Storch und der Icz ne ma on (Ichneumon = Gift hat er nicht) stehen willfährigst dem Menschen zu Diensten und reinigen das Land von allem kriechenden Tiergeschmeiß, und die scharf sehenden Aare suchen auf alles Aas und verzehren es, damit davon die Luft niemals verpestet werde.

3. Oh, welch ein herrliches Sein eines rechten Menschen in einer jeden Gegend, und welch ein elendes Leben der Menschen in den Städten, die voll Hochmutes und voll der stinkendsten Eigenliebe sind! In ihnen ist alle Urlebenskraft dahin; sie sind im großen Reiche der sie umgebenden Natur fremde Körper, fremde Wesen geworden, die außer allen Verband mit Gott und somit auch mit aller andern Kreatur getreten sind. Sie müssen sich erbauen feste Burgen und Schlösser, um sich darin vor der sie anfeindenden Natur zu verwahren und möglichst zu schützen!

4. Ich lasse heute hundert Menschen auf jener Trift, die ich euch anweisen werde, übernachten, und nicht einer wird am Morgen des kommenden Tages mit dem Leben davonkommen; denn das sind keine Menschen mehr, sondern schwache Schattenbilder derselben, und ihre verkrüppelten Leiber sind wahre Wohnstätten aller möglichen bösen und ungegorenen Geister der Natur und Unnatur. Ihr Außenlebenskreis ist nicht mehr ihr göttliches Ich, sondern ein gemein tierisches, und darum ist keine Kraft mehr in ihnen und noch weniger außer ihnen. Die Außennatur gewahrt in ihnen nicht mehr das oberste Kulminationsziel ihres kreatürlichen Seins, sondern nur eine totale Verworfenheit und völlige Zerstörtheit derjenigen Stufe, auf der alle Kreatur in ihr höchstes Ziel übergehen soll. Darum ist aber alle Kreatur solcher Menschheit feindlichst gewogen und sucht sie auf jede mögliche Weise ganz zu vernichten, weil sie in ihr nichts mehr zu erwarten hat.

5. Daher, mein edler, schwarzhäutiger Freund, sei du und dein ganzes Volk froh, daß ihr schwarz seid, und daß ihr noch in des wahren Lebens unschuldsvollen Frühlingshütten wohnet; denn eben dadurch seid ihr noch das, was der rechte Mensch nach der Ordnung des allerhöchsten Geistes Gottes sein soll! Bleibet darum aber auch fortwährend das, was ihr nun seid, auch in euren spätesten Nachkommen, so werdet ihr nie über Not und Elend des menschlichen Lebens zu klagen haben!‘“

185. Kapitel. Der Aufenthaltsort der Nubier in Ägyten.

1. (Oubratouvishar:) (Der Oberste) „,Und nun wollen wir hinausgehen auf den Platz, den ich euch zur Bewohnung anweisen werde! Zugleich aber werde ich euch eine Schirmwache für die ganze Zeit eures hiesigen Aufenthaltes beigeben, die dies schlechte Volk von euch abhalten wird; denn das würde sich wenig oder nichts daraus machen, euch im Grunde und Boden zu verderben, und das physisch und moralisch. Ich frage dich gar nicht, ob du mich ganz verstanden hast; denn ich weiß es, daß du mich wohl verstanden hast und mich in der Folge noch mehr verstehen wirst!“

2. Auf diese Worte gab der Oberste ein Zeichen mit dem Schlage auf eine stark schallende Metallplatte, und es kamen wie durch ein Wunder eine Masse bewaffneter Männer von stark dunkelbrauner Färbung zum Vorscheine, und der Oberste gebot ihnen in einer uns fremden Zunge etwas, das wir nicht verstanden. Aber als der wahrhafte, gute Oberste mein Befremden merkte, so tröstete er mich damit, daß er mir in meiner Zunge das erklärte, was er zu den Bewaffneten gesprochen hatte. Es handelte sich um unsere möglichste Bewachung vor der Zudringlichkeit der verdorbenen Bewohner der Stadt, die ihm gar nicht mehr als Menschen vorkamen.

3. Einer der Führer der Wache, der nahe also bekleidet war wie dieser Freund, der uns hierher den Weg gezeigt hatte, machte dem Obersten die Bemerkung, daß der sonst zwar äußerst üppige und grasreiche Platz eine wahre Schlangen- und Natterntrift sei, auf der kein Mensch und kein Vieh gut fortkomme.

4. Sagte der Oberste: ,Verdorbene Menschen samt ihrem Vieh freilich wohl nicht; aber das sind noch echte Urmenschen, die auch noch wahre Herren der sämtlichen Natur und ihrer wie immer gearteten Kreatur sind! Diesen werden die vielen Schlangen und Nattern sicher nicht nur nichts tun, sondern sie werden ihnen samt ihrer Brut sogleich den sonst schönsten Platz räumen. Und ihr als ihre Wächter werdet mit dem Geschmeiße auch nicht die mindesten Ungelegenheiten zu bestehen bekommen, dessen ihr vollends versichert sein könnet! – Nun aber holet mir zweiundzwanzig Paare lederner Bandschuhe, mit denen wollen wir diese unverdorbenen Menschen versehen, damit sie sich auf unserm Spitzsandboden nicht ihre Füße unnötigerweise verderben!‘

5. Alsbald wurden die Schuhe hervorgeholt. Mir und meinem Diener wurden gleich die bequemsten angebunden; die andern zwanzig wurden auf Befehl des Obersten durch vier Wächter zu unseren Gefährten hinausgetragen, und als diese sich auch also beschuht hatten, bekamen sie von den Wächtern die Weisung, ihnen auf die neue Weidetrift zu folgen. Der Oberste, ich und mein Diener und die anderen Wachleute aber zogen durch viele Gassen der Stadt hinaus ins Freie, wo die schöne und große Trift war, voll bewachsen mit dem schönsten Grase, einer Menge Datteln und Feigen und Pomeranzen und mit noch einer Menge anderer Früchte. Aber das sah ich auch, daß die Trift sehr wenig von Menschen besucht sein mußte; denn schon von weitem vernahmen wir das Rauschen von unzähligen Klapperschlangen.

6. Bald nach uns kamen auch meine Gefährten mit den zahlreichen Herden und Kamelen. Als sie an der Trift ankamen, harrten sie ja nicht, bis etwa das Geschmeiß vor uns und unseren Herden abzöge, sondern ergriffen sogleich ohne die allergeringste Scheu den vollen Besitz von der Trift und ihren Früchten, durchwanderten gleich kreuz und quer den großen Weideplatz, und alles Geschmeiß floh dem Nil derart zu, daß dessen Spiegel bei einer halben Stunde lang ganz mit dem Geschmeiße bedeckt wurde; auch vier Nildrachen flohen jählings vor meinen Gefährten und vor meinen Herden.

7. Der Oberste aber erklärte nun diese Erscheinung auch der uns mitgegebenen Wachmannschaft und sagte ihr, daß sie sich mit uns ganz ohne Furcht in alle Teile der Trift begeben dürfte; denn er sei vollkommen überzeugt, daß sich schon in der Nacht nicht mehr auch nur eine Natter oder Schlange auf der ganzen Trift befinden werde. Und also war es auch: Schon nach einer Stunde war abends die Trift rein von allem wie immer gearteten Geschmeiße.

8. Am jenseitigen Ufer des Nils aber sahen wir eine ganze ägyptische Herde von Schafen fliehen vor den sie verfolgenden giftigen Auswanderern, und ihre Hirten flohen mit der Herde. Die Hirten schrien jämmerlich, entflohen jedoch auf eine Nilbrücke; aber die Herde litt Schaden, – denn etliche Lämmer wurden von den großen Bestien ereilt und verzehrt. Auch gab es am jenseitigen Ufer Massen von Kaninchen, denen dieser unerwartete Besuch auch sehr ungelegen kam; denn eine Menge der Jungen wurde von den kriechenden Bestien verzehrt.

9. Der Wachmannschaft stachen die früher unerreichbaren schönsten Datteln, Feigen und Pomeranzen sehr in die Augen, und desgleichen auch die schönsten Roscize (Johannesbrot), die allda gewöhnlich als Kamelfutter gebraucht werden.

10. Der Wachmeister sagte zum Obersten: ,Ehre der Isis und dem Osiriz! Endlich können wir auch hier Ernte halten, was seit Menschengedenken nicht der Fall war!‘

11. Der Oberste aber sagte: ,Die Ernte werden nur diese halten ein volles Jahr hindurch, die diese Trift gereinigt haben; nur was sie euch zu nehmen gestatten, dürft ihr nehmen, sonst eigenmächtig aber auch nicht ein Blatt von einem Baume! Dazu hütet euch, vor diesen höchst unverdorbenen Menschen irgend eure nichtigen Landesgötter anzurufen; denn unter euch ist auch nicht einer, den ich nicht den allein wahren Gott hätte kennen gelehrt! Bleibet bei dem, aber ja keine Isis und auch keinen Osiriz, noch irgendeinen Apis mehr! Denn dies alles ist und bleibt ewig nichts!‘

12. Nach dem sagte der Oberste zu mir: ,Wie du nun selbst siehst, so seid ihr mit Hilfe des Allerhöchsten bestens versorgt. Ich werde euch nun verlassen, aber morgen mit dem ersten Tagesgrauen bin ich wieder bei dir; da werde ich dir dann schon den rechten Unterricht erteilen hier im großen, offenen Tempel des Allerhöchsten! Und du wirst dann das von mir Gehörte auch deinen Gefährten zukommen lassen! Und nun lebet alle wohl unter dem Schutze des Allerhöchsten!‘

13. Mit diesen Worten kehrte er in die Stadt zurück. Er mußte schon seit langem ein großes Ansehen bei dem ägyptischen Volke genießen; denn wer ihm nur immer begegnete, verneigte sich bis zur Erde vor ihm. Er aber tat, als merkte er von all den Ehrbezeigungen nichts, sondern ging, wie in ein tiefstes Nachdenken versunken, seinen geraden Weg ganz hurtig fort.

14. Als die Sonne untergegangen war, kamen bald eine Menge Schaulustiger aus der Stadt; aber niemand getraute sich, nur auf zwanzig Schritte der berüchtigten Schlangentrift zu nahen. Mehrere riefen uns zu, uns von der Trift zu entfernen, ansonst wir unvermeidlich den größten Schaden erleiden müßten. Die Wache aber schob die Neugierigen zurück und erklärte ihnen, daß da keine Gefahr irgend mehr vorhanden sei, indem durch unsere geheime Kraft all das giftige Geschmeiß schon längst über den Nil geschwommen sei.

15. Da gingen die Neugierigen bald zurück, und wir versorgten unsere Herden, die uns für diesen Abend so viel der besten und nahrhaftesten Milch gaben, daß wir sie gar nicht aufzuzehren imstande waren. Wir befragten die Wachmannschaft, ob sie auch Milch trinke. Sie bejahte das mit Freuden, und wir gaben ihr so viel der Milch zu trinken, daß sie nicht mehr imstande war, ein mehreres davon zu genießen. Den noch bedeutenden Überfluß gaben wir in die mitgenommenen Gefäße, um sie in Käse zu verwandeln.

16. Ein Jahr lang wirtschafteten wir hier und haben von dem guten Obersten sehr viel gelernt, namentlich in der wahren Erkenntnis des allerhöchsten Gottwesens. Mit der größten Freundlichkeit wurden wir nach einem Jahre wieder entlassen und zogen wohlgemut in unser Land zurück.

17. Bald darauf bekam ich meine Gesichte, stellte gleich eine Karawane zusammen und wollte eigentlich nur nach Memphis, um dem Obersten das gehabte Gesicht kundzutun. Dieser aber wußte bereits von dir, Erhabenster, und wies mich eigentlich hierher, zeigte mir den sehr weiten Weg bis Alexandria und vertraute mich einem kundigsten Schiffer an, daß er mich hierher brächte. Er gab mir auch einen Dolmetsch mit, den ich aber nicht hierher mitnahm.

18. Nun weißt du, erhabenster Mensch der Menschen, wie ich zu meiner kleinen Weisheit kam; und nun sage du mir auch einmal bestimmt, ob ich am rechten Orte stehe, oder ob ich noch weiterziehen solle! Denn lange kann ich mich nicht aufhalten, da mein Weg nach unserer Heimat ein gar weiter ist.“

186. Kapitel. Der Schwarze verlangt Gewißheit über den Aufenthalt Jesu.

1. Sage Ich: „Ich habe es dir schon gesagt, daß es dir wenig oder nichts nützen würde, so Ich es dir sagete: ,Ich bin es!‘ oder: ,Ich bin es nicht!‘ Das mußt du auf jeden Fall selbst finden; und das kannst du gar leicht, weil es dir dazu am Geiste nicht gebricht. Denke dir, was bei Menschen alles möglich und was da unmöglich sein kann! Ist dir denn noch nichts eingefallen, oder hast du noch nichts weder an dir, noch an jemand anderm wahrgenommen?“

2. Sagt der Schwarze: „Wie ich schon früher bemerkte, – außer dem, daß wir mit dem Betreten dieses Landes zugleich in eure Zunge eingegangen sind, ist mir durchaus noch nichts Besonderes aufgefallen; ich rede ganz offen und klar! Als ich hierher kam, da ist mir für den ersten Moment wohl mehreres so gewisserart wunderbar vorgekommen; je länger ich aber nun hier verweile, desto mehr Natürlichkeit finde ich in euch allen.

3. Die Sprache ist sonach noch immer das einzige an etwas Wunderbares Streifende, kann aber, wie ich schon vorher meine Bemerkung gemacht habe, ebensogut eine ganz natürliche, wennschon unerklärliche Folge der besonderen Eigenschaft dieses Landes sein. Denn ich habe ja Ähnliches bei meiner Reise durch das große Ägypterland erfahren: Wir kamen mit Römern und Griechen zusammen; diese redeten ihre Zunge, und wir verstanden sie ganz gut und konnten zur Not uns doch ganz gut mit ihnen verständigen. Mit dem Reden ging es freilich nicht so geläufig wie hier; aber das alles kann ja ganz gut in der Beschaffenheit des Landes, dessen Luft und Ausdünstung liegen!

4. Wir sind als ganz grundeinfache Menschen aber auch um vieles empfänglicher für allerlei besondere Erscheinungen und Eindrücke. So können wir die Seelen der Verstorbenen sehen, zuzeiten auch solche, die nach ihrem eigenen Geständnisse noch nie einen Leib getragen haben. Diese Naturseelen sind auch daran leicht zu erkennen, daß sie ihre Form plötzlich ändern und sich in allerlei andere kleine Wesen auflösen und wieder in die Menschenform zusammenziehen können, was eine Erscheinung ist, die wir bei Seelen verstorbener Brüder und Schwestern noch niemals entdeckt haben.

5. Wir fragten den weisen Obersten in Memphis, ob er solches mit seinen Augen auch wahrnähme. Aber er sagte: Dies sei alles nur eine Eigenschaft von ganz einfachen und schlichten Naturmenschen, die kein verkünsteltes Leben auch nur dem Namen nach kennen. Bei ihm und den Ägyptern wäre es noch nie vorgekommen. Es kämen wohl dann und wann vereinzelte Fälle vor, aber so unbestimmt und so unerklärbar als nur immer möglich, während bei uns alles bestimmt, natürlich und somit auch mehr erklärbar sei.

6. Aus dem geht aber auch so ziemlich erklärlich hervor, wie wir eines Volkes ganz fremde Sprache bald verstehen und reden können. Wenn du, erhabenster Mensch der Menschen, nun das erwägst, so wirst du es mit deiner hervorragendsten Weisheit wohl einsehen, wie uns in dieser kurzen Zeit unseres Hierseins noch nichts Besonderes hat auffallen können, aus dem wir unwiderlegbar hätten entnehmen können, daß wir uns hier schon ganz bestimmt an dem Orte befänden, den ich in meinen Gesichten wahrgenommen habe.

7. Es stimmt wohl vieles damit überein: am Ufer eines kleinen Landmeeres ein an einen Berg angebautes Fischerhaus; eine Menge Menschen hohen Standes und Ansehens; auch du hast im Ernste viel Ähnlichkeit mit jenem über alle Begriffe leuchtenden Menschen, den ich sieben Male in meinen Gesichten mit der höchsten Entzückung geschaut habe. Aber jener Lichtmensch brachte durch sein Wort alles zustande; er sprach's, – und es war da! Himmel und Erde waren ihm untertan, und unabsehbare Scharen harrten seiner Winke!

8. Nun, erhabenster Mensch der Menschen, das ist hier doch wohl nicht der Fall! Ich fand hier an euch, so wie vor zwei Jahren an dem Obersten in Memphis, äußerst gute und weise Menschen, – aber von dem, was ich erwartete, fand ich bisher noch nichts und frage dich eben darum, ob ich am rechten Flecke bin oder nicht. Sagst du ja, so werde ich's glauben und bleiben; denn dein Wort genügt mir vollkommen, da du in jedem Falle ein Tiefweiser bist. Sagst du aber nein, oder sagst du mir wieder nichts, so werden wir uns doch wieder auf die Heimreise machen und unsere Herden, die wir gegen Gold und Silber in Memphis nach dem Rate des weisen Obersten zurückließen, wieder auslösen mit dem unverbrauchbaren Reste der Summe, die uns für den Rücklaß der Herde der Oberste dargeliehen hatte, von der er aber unterdessen die Nutzung hat.

9. Du, erhabenster Mensch der Menschen, siehst, daß ich und wir alle, wenn unser Fleisch auch keine weiße Haut ziert, nichts Falsches und Hinterlistiges besitzen; wir alle suchen die volle Wahrheit, an der allein uns alles gelegen ist, und haben auch die lebendige Hoffnung, sie entweder hier oder irgendwo anders zu finden! Sind wir darum am rechten Platze, so bejahet uns solches, und wir wollen da ja gern alles tun, was ihr nur immer von uns verlanget!“

10. Sage Ich zum Raphael: „Gehe und gib ihnen ein Zeichen, auf daß sie erfahren, woran sie sind!“

11. Sogleich trat der Raphael zum Schwarzen (Oubratouvishar) hin und sagte: „Freund, was hast du in deiner Heimat zurückgelassen, dessentwegen du in Memphis umkehren wolltest, um es zu holen? Du wolltest damit dem Obersten ein besonderes Geschenk für seine mit dir gehabte Mühe machen und hattest es darum schon in frische Linnen eingewickelt, hast es aber nachher infolge der Schnelle eurer Abreise daheim vergessen, und zwar in einem Winkel deiner Hütte, allwo es noch liegt. So du es wünschest, schaffe ich es dir im Augenblicke her! Rede, – wie du es willst, so wird es geschehen!“

12. Sagt der Schwarze: „Nicht meiner Überzeugung halber, ob ich am rechten Orte sei – denn dadurch schon, daß du mir da sagtest, was ich daheim vergessen habe, weiß ich, daß ich am rechten Orte bin, da so etwas nur ein allsehend Gottesauge erschauen kann –, sondern du tätest mir einen recht guten Dienst; denn auf dem Heimwege möchte ich damit dem guten Obersten in Memphis eine sicher recht große Freude machen, denn er ist ein großer Freund von seltenen Naturgebilden! Das ganze Ding kann an und für sich gar keinen andern als höchstens nur einen eingebildeten Wert haben, einen reellen gar nicht! Aber es ist wunderschön!“

13. Hier reicht Raphael schon das in Linnen gewickelte, schöne Naturgebilde dem Schwarzen dar und fragt ihn, ob es wohl das rechte sei.

14. Der Schwarze fällt bei dieser Gelegenheit nahe in eine Ohnmacht und schreit auf, sagend: „Ja, es ist's, es ist's! Aber wie möglich schafftest du mir dies Kleinod hierher, da du dich von mir auch nicht einen Augenblick entfernt hast?! Hast du es mir etwa als ein junger, mutiger Ägypter, im Dienste des Obersten stehend, auf eine mir unbegreiflich pfiffige Weise daheim entwendet? Hast du uns etwa vor einem Jahre, als wir von Memphis wieder heimkehrten, heimlich mit einigen Gefährten deiner Art begleitet bis in die Nähe unserer Hütten und hast dir gemerkt meine Wohnhütte?

15. Ja, aber wozu dies mein ganz dummes Fragen?! Ich hatte es ja daheim noch wenige Augenblicke vor unserer Abreise in meinen Händen, legte es dann für die Zeit der Aufrüstung meines Kamels und der Zusammenstellung meiner Herde in den Winkel meiner Hütte und deckte es mit einer Kürbisschale zu! Mit dem Zusammenstellen der Herden und mit dem Aufrüsten meines Kamels vergaß ich des schönsten Naturgebildes; du kannst es mir nicht entwendet haben! Du hast es nun also offen wunderbar geholt; aber – wie, wie, wie ist dir, als einem Menschen sichtbar mit Fleisch und Blut, das möglich?! Denn hier, dort und wieder hier war ein schnellster Moment! Das ist eine rein nur einem Gotte mögliche Handlung! Du bist entweder selbst ein Gott oder ein rechter Diener desselben!“

16. Sagt Raphael: „Das erste nicht, wohl aber das zweite! Aber sieh, ich habe dennoch bei dem Abholen deines schönen Naturgebildes etwas vergessen, und das ist die Kürbisschale, mit der du in deiner Hütte dein Kleinod zugedeckt hattest! Diese sollst du denn auch noch sogleich dazu haben! – Sieh, hier ist sie schon! Tue nun dein Kleinod hinein, und enthülle es vor uns; denn es sind viele hier, die deinen gefundenen Schatz sehen möchten!“

187. Kapitel. Die Nubier erkennen Jesus.

1. Hier werden die Schwarzen ganz schwindlich vor Verwunderung über Verwunderung; denn das ist etwas für sie, was sie über alles halten. Sie sind reine, noch ganz unverdorbene Naturmenschen und vermögen als noch wahre Herren der Natur so manches zu bewirken durch die Festigkeit ihres vollen Glaubens und Willens, was einem schon tiefst herabgekommenen Menschen von der weltlichen Gewöhnlichkeit als ein großes Wunderwerk vorkommen muß, und es wäre darum ordentlich schwer gewesen, durch ein anderes Wunderwerk auf diese urnatürlichen Gemüter einzuwirken. Die Heilung einer Krankheit wäre da am schlechten Platze gewesen; denn diese echten Naturmenschen kennen keine Krankheit. Ihre Alten erreichten stets ein sehr hohes Alter, und ihr Sterben war stets nur ein ganz ruhiges und schmerzloses Einschlafen.

2. Kinder starben ihnen nie, weil sie, als ganz in der Ordnung gezeugt, auch ganz vollkommen ausgereift und kerngesund zur Welt geboren wurden; sie wurden auch nachher naturgerecht genährt, und es konnte sich deshalb kein Krankheitsstoff in ihnen ansetzen. Hätte man dann vor ihnen irgendwelche Kranken geheilt, so hätte man ihnen zuvor schon erklären müssen, was eigentlich eine Krankheit ist, und wodurch sie entsteht. Damit aber würde man ihnen doch offenbar mehr geschadet als genützt haben; denn Kenntnis nehmen von den Sünden und von ihren Folgen, heißt schon soviel, als sie nahe selbst begangen zu haben.

3. Da meinte jemand, daß eine Totenerweckung ihre Wirkung auch nicht verfehlt haben dürfte. Wäre auch nichts für diese Menschen! Denn sie sehen des Leibes Tod als eine große Wohltat Gottes an den Menschen an und würden solch einen Akt sogar für einen Frevel wider die Ordnung des allerhöchsten Geistes Gottes ansehen, solange sie über Mich nicht eines vollkommen Besseren belehrt werden können. Das Erwecken eines großen Sturmes würden sie mit ganz natürlichen Augen ihres höchst sensitiven Gemütes ansehen; denn sie selbst haben ja stets einen mächtigen Einfluß auf die Naturgeister der Luft, des Wassers, der Erde und des Feuers. Aber eine Bewegung, die die Geschwindigkeit ihrer abgeschossenen Pfeile ums unvergleichbare übertrifft, ist für diese Menschen ein wahres Wunder, das nur von Gott und Seinen dienstbaren höchsten Geistern verübt werden kann, nie aber von den vernünftigen schwachen und sterblichen Menschen dieser Erde.

4. Als sich unsere Schwarzen so recht kreuz und quer und durch und durch verwundert hatten, da sagte der Anführer zu seinen Gefährten: „Brüder! Ich und ihr alle habt nun gesehen eine Tat, die nur von Gott allein auszuführen ist; denn wir können sogar mit unseren Gedanken nicht so schnell in unsere Heimat und von da wieder zurückkehren bis hierher, als wie schnell dieser Gottesdiener mit meinem Kleinode hin- und hergekommen ist! Wir sind sonach am rechten Platze und dürfen uns hier nur mit der größten Ehrfurcht und steter innerster Anbetung Dessen bewegen, der dort in der Mitte des großen Tisches mit der undenkbar allergöttlichst erhabensten Miene sich befindet.

5. Was Er in Seiner unaussprechlichen Gnade und Huld uns sagen wird, das soll von nun an uns das heiligste Gebot sein, das wir wie die klaren Felsen unseres Heimatlandes halten werden auch in unseren Nachkommen bis ans Ende aller Zeiten, die diese Erde noch durchzumachen haben wird! Ihr wisset, was uns der weise Oberste von dieses erhabensten Gottmenschen ewiger Würde geweissagt hat! Also ist es, dessen wir nun vollkommen überzeugt sind! Weil es aber also und nicht anders ist, so wissen wir denn ja auch, was wir dagegen zu tun und zu beachten haben!

6. Weit und beschwerlich war die Reise hierher; allein wenn sie noch tausend Male so weit wäre und auch um tausend Male noch beschwerlicher, als sie war, so wöge sie doch die Größe dieser unbegreiflich höchsten, von uns allen in Ewigkeit unverdienten Gnade nicht dem geringsten Teile nach auf! Denn dort sitzet jener ewige, allmächtige Geist in Menschengestalt, der Himmel und Erde und alles, was da ist, bloß durch Seinen Willen und aus Seinem Willen gemacht hat, wie uns solches der weise Oberste in Memphis sattsam erläutert hat.

7. Wir stehen nun vor dem wahren, ewigen Gott, der uns gemacht und belebt hat. Jeder Augenblick unseres Lebens steht in Seiner Hand; so Er es wollte, wären wir nicht mehr da. Kurz, Er allein ist alles in allem, und alles, was da ist, ist nichts ohne Ihn! Das besagte mein Gesicht, und also hat uns auch der Oberste von Memphis belehrt, und also haben wir es anzunehmen und für ewig zu glauben. – Nun scheint der ewige Herr und Meister mit uns etwas reden zu wollen! Darum heißt es hier aufmerken, als ginge es auf eine gefahrvollste Löwenjagd hinaus, wie uns von dem Obersten in Memphis eine solche beschrieben ward!“

188. Kapitel. Von der übertriebenen Demut.

1. Als der Schwarze solch eine recht würdige Rede an seine Gefährten gehalten hatte, berief Ich den Anführer und fragte ihn, ob er und seine Gefährten etwa keinen Hunger und Durst hätten, und, so sie hungrig und durstig wären, was sie wohl zu essen und zu trinken wünschten. Denn die Reise am Meere zehre, und sie würden sicher des Essens und Trinkens bedürftig sein, und darum sollten sie ihre Stimme nur vernehmen lassen, und es solle ihnen sogleich geholfen werden!

2. Sagt der Oubratouvishar: „O welche Gnade! Du Alles in Allem berufst einen elenden Erdwurm, daß er seine Not äußern dürfe vor Dir, Du allererhabenster, ewiger Geist! Aber der sich vor Dir im Staube der vollsten Nichtigkeit wälzende Wurm getraut sich vor zu übermächtiger Ehrfurcht vor Deiner Göttlichkeit kein Wort zu äußern, um nicht gar leicht durch ein zu ungeschicktes Wort Dir, ewig Allerheiligster, zu mißfallen und hernach von Dir mit zornigen Augen angesehen zu werden. Wir haben wohl noch von Ägypten einige Säcke voll gedörrter Feigen und Datteln, auch etwas zweimal gebackenen Brotes, das für unsern kurzen Aufenthalt hier wohl bei unserer Mäßigkeit auslangen wird! Daher bringe ich Dir mit dem dankbarsten und zerknirschtesten Herzen meinen wenig oder auch wohl gar nichts sagenden Dank für Deine uns gewähren wollende übergroße Gnade dar!“

3. Sage Ich: „Ja Freund, wenn du stets in einer solch ungeheuren und mehr denn zu Dreiviertelteil unnötigen Ehrfurcht vor Mir dich bewegen wirst, da wird es Mir Selbst kaum möglich sein, dir irgendein Licht mit in dein Heimatland zu geben! Übrigens tust du Mir als dem Schöpfer durchaus keine zu große Ehre dadurch an, daß du dich als doch offenbar Mein Werk für gar nichts schätzest und tief unter die Würde eines sich im Staube aller Nichtigkeit wälzenden Wurmes setzest! Denn durch solch eine Geringstachtung deiner selbst vor Mir, deinem Schöpfer, setzest du ja auch Den, der dich aus Seiner höchsten Weisheit und Liebe geschaffen und gestaltet hat, ganz kurios herunter!

4. Siehe, wenn dir ein Mensch ein Kunstwerk zeigt, das er gemacht hat, und du es ihm dann für dich ab- und ankauftest, weil es dir sehr wohlgefallen hat, wirst du dann dadurch dem weisen Künstler wohl eine Ehre erweisen, wenn du alle seine anderen Werke und über alles den Künstler selbst lobst, aber für das von dir ihm abgekaufte gleich herrliche Kunstwerk darum nicht genug des Tadels schlechteste Worte finden kannst, weil es nun dein eigen ist?

5. Siehe, diese Art Demütigung vor Mir ist darum durchaus nicht weise, sondern läppisch und närrisch! Denn wenn du dich für zu schlecht und wertlos hältst, so sagst du dadurch ja doch leicht begreiflich Mir ins Gesicht, daß Ich ein elender Pfuscher mit Meiner ganzen Schöpfung bin.

6. Ah, wenn du aber gerechtermaßen Meinen Wert auch in dir anerkennst und dich selbst nicht für zu unendlich gering, elend und schlecht hältst, um mit Mir über dies oder jenes dich zu bereden, so ehrest du in dir selbst Mich und erkennst Meine göttliche Vortrefflichkeit auch auf deinem eigenen Grund und Boden; und also gestellt, kannst du aus Meiner Gegenwart jenen wahren und lebendigen Nutzen ziehen, dessentwegen du eigentlich hierher gezogen bist. Es ist übrigens deine übergroße Demütigung vor Mir keine Sünde von deiner Seite Mir gegenüber; denn sie ist begründet in deiner erzfrommen Erziehung von Kindheit an.

7. Aber nun hast du auch in dieser Sache eine rechte Ansicht bekommen; denn mit dieser deiner gegenwärtigen könnten wir beide wohl gar nicht auskommen; denn du hättest in einem fort eine unbegrenzte Frommscheu vor Mir, und diese würde dich nötigen, diesen für dein Frommgefühl zu unerträglich heiligen Ort nur sobald als möglich zu verlassen, um dann in Memphis und endlich daheim recht ungeheuer vieles und Außerordentlichstes von Meiner für dich unaushaltbaren Heiligkeit zu schwätzen! Und das wäre dann aber auch der ganze Nutzen, den du hier für dich, für dein Volk und deines Volkes Nachkommen abgeholt hättest! Wärest du damit wohl zufrieden?

8. Sicher nicht! Denn du müßtest so bei einem helleren Augenblicke deines Lebens dir denn doch selbst laut zuzurufen anfangen und sagen: ,Ja, was ist denn das nun?! Bin ich denn wohl nur darum auf eine so weite und beschwerliche Reise eingegangen in meinem Rate mit mir selbst, um am erreichten Orte der mühsamst aufgefundenen Bestimmung vor lauter allertiefster Ehrfurcht in einem fort nahe verzweifeln zu müssen? Nein, das war eine fürchterliche Wonne und Seligkeit, von der ich mir in meinem ganzen Leben sicher keine Wiederholung wünsche!‘ Siehe, das hättest du am Ende deiner Reise bis hierher!

9. Daher heißt es auch hier, die Vernunft ein wenig vorwalten lassen und denken, was in jedem Lebensverhältnisse recht und billig ist, und du wirst dann überall gut und ehrlich durchkommen und allzeit fürs Leben den lebendigen Nutzen schöpfen können. Hinweg daher mit deiner übertriebenen Ehrfurcht vor Mir! Liebe Mich als deinen Schöpfer, Vater, Meister und Herrn aus allen deinen Lebenskräften, und liebe auch deine Brüder wie dich selbst, so tust du mehr als genug! Und so du Mich anredest, da heiße Mich ganz einfach Herr und Meister, was Ich denn auch bin, – alles andere aber gehört wohl schon lange nicht hierher!“

189. Kapitel. Oubratouvishar schildert seine Heimat Nubien.

1. (Der Herr:) „Ich fragte dich ehedem, ob ihr Hunger und Durst habet, und ich fragte dich darum, weil Ich nur zu gut sehe, daß ihr alle voll Hungers und Durstes seid; denn der Tag währt schon vier volle Stunden, und ihr habt seit gestern mittag weder etwas gegessen noch getrunken; denn Milch konntet ihr auf dem Schiffe nicht haben, und das Wasser war schon faul und somit schlecht. Und so gehet nun Meine Sorge für euch zunächst dahin, daß ihr eine leibliche Stärkung erhaltet; denn ohne sie würdet ihr nicht jene Ruhe einnehmen können, die dazu notwendig ist, um dann die geistige Kost desto haltbarer in sich aufzunehmen. Denn jemandem, dem der Hunger und der Durst schon bei den Augen und Ohren herausschaut, ein Evangelium predigen zu wollen, bevor man ihn gesättigt hat, wäre eine Krone der menschlich eigenliebigen Torheit! Daher müsset auch ihr zuerst leiblich versorgt sein; dann erst wollen wir uns ums Evangelium umsehen!

2. Aber hier werdet ihr euch schon wider eure Gewohnheit mit Meinen Tischen begnügen müssen und eure mottigen Datteln und Feigen von euren Kamelen verzehren lassen. Lasset euch darum an jenen Tischen dort nieder, die da leer stehen, und ihr sollet sogleich mit Speise und Trank versehen werden zur Genüge! Du, Oubratouvishar, setze dich hierher; denn auch du bist deinem Volke ein rechter König, und dies da ist ein Tisch der Könige, die miteinander abzumachen haben, wie ihre Völker zu leiten und zu Menschen heranzubilden sind!“

3. Alle befolgen, was Ich sage, und unser Markus ist mit Hilfe unsichtbarer Helfer auch mit einem Mahle von den besten Fischen in genügender Menge in Bereitschaft; und als die Schwarzen an den Tischen sich befinden, so werden auch schon die Fische, Brot, Salz und Wein aufgetragen, und es wird den Gästen bedeutet, daß sie das Vorgesetzte verzehren sollen. Alsbald fingen diese an, die noch dampfenden Fische zu verzehren, nahmen Brot und Wein, und fanden alles sehr gut und wohlschmeckend.

4. Der Anführer, der nun schon mehr Mut hatte, sagte: „Herr meines Lebens, so etwas Wohlschmeckendes hat noch nie meinen Gaumen berührt! Fische haben und essen auch wir zuweilen daheim; aber das ist eine Bußspeise bei uns. Wer sich irgend unartig benommen hat gegen die einmal bestehende Ordnung, der bekommt Fische zu essen; könnten wir sie auch also bereiten, wahrlich, da hörten sie auf, eine Bußspeise zu sein!

5. Was ist denn aber das für Wasser, das wir hier zu trinken bekommen haben? Das schmeckt ja auch unbeschreiblich gut; das könnte man auch ohne Durst zu jeder Zeit trinken und also auch fortessen dieses honigsüße Brot! Ich habe in Memphis von dem Obersten auch zuweilen ein Stück Brotes zu essen bekommen, das mir aber bei weitem nicht so süß vorkam. Vor allem aber bewundere ich hier dies Wasser! Wo ist dieses Wassers Quelle? Kann man es bei euch hier zu kaufen bekommen? Ich möchte davon etwas in meine Heimat mitnehmen und dorten kosten lassen ein Wasser aus der Erde himmlischen Gebieten.

6. Die Erde ist hier auch viel schöner denn bei uns! Hier ist ja eine außerordentliche Mannigfaltigkeit! Überall strotzt üppiger Wuchs der Kräuter, Gesträuche und Bäume; bei uns gibt es nur gewisse Triften, die also bewachsen sind, – sonst aber ist alles öde, wüste und leer. Hier sind die Berge zumeist bis auf die Gipfel mit den schönsten Bäumen bewachsen und sehen ganz sanft aus; bei mir daheim sind sie ein ganz kahles Gestein, selten auf mancher Stelle mit etwas graurötlichem Moose bewachsen. Sie sehen höchst zerstört und verwittert aus. Ihre Farbe ist zumeist verbrannt rot und dunkelgrau, und sie sind zumeist so steil, daß man sie nur hie und da mit der größten Lebensgefahr erklettern kann. Ist man einmal irgend auf einer Höhe, so kann man es da vor Hitze nicht aushalten, an einem Nachmittage schon gar nicht; denn da werden der Berge Gipfel ordentlich ganz glühend, so, daß über sie gelegte Fische in wenigen Augenblicken ganz durch und durch gebraten werden, auch das Fleisch der Lämmer und Ziegen. An den Nachmittagen setzt sich sogar kein Aar auf eine Bergspitze, und die Steinböcke steigen herab in die Gefilde des rauschenden Nils.

7. Oh, wir bewohnen ein sehr hartes und überheißes Land, allwo es wahrlich zu Zeiten höchst schwer wird, ein Mensch zu sein und zu bleiben! Weit vom Nile entfernt wäre es besonders in der Nachsommerszeit unmöglich zu wohnen; denn da kann es solche Tage geben, die die Steine und den Sand schmelzen, – besonders, so an einem Nachmittage der Wind vom Mittage her zu wehen beginnt. Da sieht man förmlich Flammen über die weiten Sandwüsten sich hinwälzen, und den Menschen und den Tieren bleibt nichts übrig, als den guten Nil zu umarmen, der bei uns wunderbarerweise ganz kalt daherströmt.

8. Gegen die drei letzten Monde des Jahres, bevor der Regenmond kommt, ist es bei uns aber schon am allerschrecklichsten, denn da kommen die Feuergewitter. Es wird ganz entsetzlich schwül. Wolken gleich ungeheuren Flammensäulen kommen hinter den Bergen heraufgestiegen und bedecken am Ende den ganzen Himmel, und zahllose Blitze mit dem furchtbarsten Donnergebrülle entstürzen der grauschwarzen Himmelsdecke und versetzen Menschen und Tiere stets in ein großes Entsetzen. Sie richten zwar wenig Schaden an, weil sie zumeist in der hohen Luft verpuffen; aber es ist und bleibt immerhin kein Scherz, oft bei vierzig Tage lang dieses Gekrache, Gebrülle, Gezische und Gebrause Tag und Nacht in einem fort anhören zu müssen und dabei auch noch in der Furcht zu sein, von einem oft dem Erdboden zu nahe kommenden Blitze auf das schmählichste verbrannt zu werden, – was dann und wann schon geschehen ist, besonders jenen Menschen, die in dieser Zeit nicht sorglichst ihren Leib mit Fett überstreichen.

9. Ist dann die Feuerzeit vorüber, da fängt es an zu regnen und regnet dann gute vier bis sechs Wochen oder Mondwechselzeiten hindurch. Der Regen fällt fein und dicht, und auf den höchsten Bergspitzen schneit es wohl auch zuweilen. Gegen das Ende der Regenzeit wird es oft ganz empfindlich kalt, so daß wir dann oft beim Feuer uns erwärmen müssen. Es ist dies zwar auch nichts besonders Wohltuendes, aber doch immer besser als das Sein im Nachsommer.

10. So ist unser Leben und Wohnen, und Tun und Treiben bestellt! Wir haben sehr viel Ungemach und ganz wenig Angenehmes zu bestehen. Oh, welch ein Himmel sind doch diese Gegenden gegen die unsrigen! Wie anmutig muß sich's hier in diesem wahren Himmel der Erde leben lassen, und wie öde und traurig sieht es dagegen bei uns aus! Aber Du, o Herr, hast es also gewollt, daß wir es nicht anders, in unseren schwarzen Häuten steckend, haben sollen, und es wird denn also auch schon ganz vollkommen recht sein, und es hat noch nie jemand gemurrt gegen solch eine Deiner göttlichen Einrichtungen!

11. Unsere kohlschwarze Haut ist uns in mancher Hinsicht wohl eine recht schwere Bürde; denn fürs erste zieht sie nach unserer vielfach gemachten Erfahrung die Hitze bei weitem mehr an als irgendeine mehr helle Farbe, und fürs zweite sind wir stets abschreckend häßlich gegenüber eurer weißen Gestaltung. Wie schön ist zum Beispiel die himmlische Gestalt dieser hier anwesenden Jungfrau, und wie häßlich dagegen die einer Jungfrau bei uns! Wir sehen und wir fühlen das, und dennoch können wir uns nicht anders färben! Welch ein schönes Haar habt ihr, und welch eine häßliche, ganz verwickelte, schwarze Kurzwolle haben wir zum Schmucke unseres Hauptes! Aber wir murren nicht und sind zufrieden mit allem, was Du, o Herr und Meister, uns beschieden hast!

12. Aber nun muß ich euch denn doch mein schönes Naturgebilde zeigen, und Du, o Herr, wirst es gnädigst bestimmen, welchen Wert es etwa wohl haben könnte!“

190. Kapitel. Der Schatz des Oubratouvishar.

1. Hier wickelte unser Oubratouvishar sein Kleinod aus den Baumwoll- Linnen und stellte es vor Mich hin, sagend: „Da ist es, wie ich es zwischen dem Gerölle eines Bergabhanges gefunden habe und nicht umhin konnte, es aufzulesen und aufzubewahren! Menschenhände haben damit sicher nie etwas zu tun gehabt! Es scheint somit ein reines Produkt, ein sogenanntes Spiel der Natur zu sein. Was ist es, und welchen Wert könnte es haben? Denn mit etwas Wertlosen möchte ich wohl nie einem Menschen ein Geschenk machen.“

2. Sage Ich: „Es ist das ein allerwertvollster Edelstein, und zwar ein geschliffener größter Diamant. Er ist dennoch durch Menschenhände also geschliffen und geglättet worden und ist zu den Zeiten, als die Perser Ägypten bekriegt haben und bei der Gelegenheit auch bis in die Wüsten Nubiens vorgedrungen sind, von einem Feldherrn im Kampfe mit einem großen Heere hungriger Löwen und Panther verloren worden; du machst damit dem Obersten von Memphis ein irdisch ungeheuer wertvollstes Geschenk, und das seiner außerordentlichen Seltenheit wegen.

3. Sieh, dieser Stein ist hundertsiebzig Jahre lang geschliffen und geglättet worden, ward dann zum Kronschmucke einiger Könige Persiens, bis endlich ein König einen seiner größten Feldherrn damit beehrte; und eben dieser Feldherr verlor ihn dann an den wüsten Grenzen eures Landes, allda es in derselben Zeit von Löwen und Panthern nur gleich gewimmelt hat. Diese Tiere habe damals auch Ich zu eurem Schutze hingestellt, sonst hätten die damals sehr kriegerischen Perser euch wohl gefunden und eure Herden gar arg gelichtet.

4. Wie du aber schon bestimmt warst, sogar irdisch einen wertvollsten Schatz zu finden, der schon einige hundert Jahre unter dem Gerölle geruht hat, also bist du denn auch berufen, den größten und wertvollsten Schatz für den Geist und aus diesem für eure Seelen zu finden. Du suchtest und hast es auch ehrenvollst gefunden, was du gesucht hast! Deine schwarze Haut soll dich nicht drücken und soll Mir eine der angesehensten Farben bleiben.

5. Dies Evangelium, das Ich euch nun predigen werde, wird nur bei euch ganz rein erhalten werden. Du sollst Mein Vorapostel für deine schwarzen Brüder und Schwestern werden! In Kürze der Zeiten aber werde Ich euch schon einen Nachhelfer senden, der wird euch führen in ein ganz glückliches Land eures Erdteiles und wird euch lehren den Ackerbau und andere nützliche Künste, die für das diesirdische Leben von einer großen Notwendigkeit sind.

6. In jenem euch nun noch völlig fremden Lande werdet ihr ein ganz zufriedenes und glückliches Volk sein und werdet bewahren die Reinheit Meines Wortes und Meiner Lehre. Wehe aber denen, die euch in späteren Zeiten etwa aufsuchen werden, um euch zu bedrängen und zu unterjochen; gegen die werde Ich Selbst das glühende Zornschwert ergreifen und sie schlagen bis auf den letzten Mann! Und so sollet ihr Schwarzen in einem abgesperrten, ganz großen Winkel als ein stets freies Volk bis ans Ende der Zeiten verbleiben.

7. Wenn ihr aber dereinst untereinander solltet uneins werden – was auch möglich bleiben muß eurer Freiheit wegen –, so werden sich unter euch die Mächtigen als Könige aufwerfen, werden euch mit harten Gesetzen plagen, und mit eurer goldenen Freiheit wird es für lange oder auch wohl gar für immer ein Ende haben! Dann werden eure Kinder in großer Not dahinzuschmachten haben und sich nach der Erlösung sehnen; aber diese wird dann recht sehr lange auf sich warten lassen. Darum ordnet euch also, daß unter euch keine Könige entstehen – außer solche, wie du einer bist! Denn du bist kein Bedrücker, sondern ein wahrer Beglücker deines Volkes, und das ist also auch in Meiner Ordnung, und es soll bei euch auch also verbleiben!“

191. Kapitel. Die nachgereisten Schwarzen.

1. (Der Herr:) „Mein Name ist Jesus aus Nazareth, irdisch als Mensch, und Jehova von Ewigkeit; aber von nun an wird Jesus bleiben in Ewigkeit. In diesem Namen werdet ihr alles zu tun und zu bewirken imstande sein, nicht nur für zeitlich, sondern auch für ewig!

2. Liebet Mich als euren Gott und Herrn und Meister über alles und euch untereinander wie ein jeder sich selbst, so werdet ihr verbleiben in Meiner Liebe, in Meiner Kraft und Macht, und Mein Licht wird nimmerdar von euch weichen!

3. Werdet ihr aber schwächer werden in der Liebe zu Mir und zu euren ärmeren Brüdern und Schwestern, dann wird es auch finster werden in euren Herzen, und Meine Kraft und Macht in euch wird schwinden und sehr geringe werden! Werdet ihr dann auch Meinen Namen anrufen und werdet wirken wollen durch ihn, so wird er euch keine Kraft und Macht mehr verleihen; denn alle Kraft, alle Macht und alles gelungene Wirken in Meinem Namen wird nur ganz allein durch die Liebe zu Mir und daraus zum Nächsten erhalten!

4. Mein Name allein wirket nichts, sondern nur die Liebe in ihm, durch ihn und zu ihm, und daraus zum Nächsten! Zu wem aber da käme ein Armer und flehte ihn um irgendeine Hilfe an, dieser aber sagete zu ihm: ,Gehe und verdiene es dir!‘, wahrlich, der hat Meine Liebe nicht und wird in Meinem Namen keine Macht und keine Kraft überkommen!

5. Gehe nun hin und sage das deinen Gefährten, und komme dann, und Ich Selbst werde dir ein weiteres Evangelium verkünden! Es sei!“

6. Oubratouvishar verneigte sich tiefst vor Mir und ging an den Tisch zu seinen Gefährten, um ihnen das, was er von Mir vernommen hatte, mitzuteilen. Aber wie groß war sein Staunen, als er, statt den diesmal mitgenommenen etlichen zwanzig, darunter ebenfalls vierunddreißig Weiber am Tische sitzen fand. Er erkannte sie natürlich sogleich als seine Nachbarn und nächsten Anverwandten, und seine erste Frage war ganz leicht begreiflich keine andere als die: wie und wann sie ihnen nachgezogen seien.

7. Und sie (die Nachgezogenen) antworteten: „Selbst sehen und hören ist besser, als davon pur aus dem Munde selbst der bewährtesten Augen- und Ohrenzeugen sich das Wunderbare vorerzählen lassen! Wir waren stets um eine halbe Tagreise hinter euch!

8. Wir hätten das nicht unternommen, wenn nicht bald darauf ein gar unbeschreiblich schöner, blendend weißer Jüngling wie aus der Luft herab zu uns gekommen wäre und uns dazu förmlich angetrieben hätte. Wir stellten eine Herde Kühe, Stiere und eine kleine Herde Schafe zusammen und kamen damit bis Memphis; dort kam uns der gute Oberste schon von weitem mit seinen Leuten entgegen und sagte, daß er eben auch von einem gleichen Jünglinge Kunde von uns erhielt und uns eben darum entgegengezogen sei.

9. Er gab uns Kunde von euch, nahm uns unterdessen unsere Herden in gute Verwahrung und versah uns dafür mit Gold und Silber in verschiedenen Gewichts- und Wertabteilungen zum nun überall üblichen Eintausche für allerlei Lebensmittel und andere Dinge und Sachen. Wir dankten ihm, und er gab uns bis Alexandria Begleiter mit, die uns auf dem Wege mit allem Nötigen versahen und uns in Alexandria auch einen sichern Wasserkasten besorgten, in dem wir über ein nie enden wollendes großes Wasser hierhergeschafft worden sind.

10. Als wir an die Küste gesetzt wurden, haben wir eure Tritte ganz unversehrt in den Sand gedrückt gefunden und sind auf solcher Spur euch nachgezogen. Wir kamen euch endlich so nahe, daß wir den von euren Kamelen aufgewühlten Staub ganz gut ausnehmen konnten; nur als ihr hinter einen Wald und Berg euch verloren habt, konnten wir von euch nichts mehr wahrnehmen.

11. Aber da kam uns eben der Jüngling entgegen und hat uns auf eine Art hierhergebracht, daß wir davon dir nichts Weiteres sagen können, als daß wir nun selbst voll Staunens hier sind! Wie wir aber von dort hierhergekommen sind, davon wissen wir nicht einmal soviel wie von einem schlechtesten Traume!

12. Dir aber hat nun jener Erhabenste für uns etwas aufgegeben! Was ist es? Rede! Denn der sieht nach deinen uns vielfach erzählten Gesichten ja auf ein Haar der Gestalt nach dem gleich, dessentwegen eigentlich du und wir alle hergezogen sind! Rede, rede!“

192. Kapitel. Vom Wesen der Isis und des Osiris.

1. Sagt der Anführer: „Wir, meine Brüder und Schwestern, glauben es, weil wir nun Augen- und Ohrenzeugen sind von dem, was hier vor uns ist und besteht! Alle menschliche Weisheit, aller Verstand und selbst die reinste und nüchternste Vernunft kann es nicht fassen, daß das irgend möglich wäre, auch nur daran zu gedenken, was hier ist, und was hier weilet.

2. Oh, ihr ahnet es nicht und könnet euch auch keinen Begriff machen von dem, was hier ist! Ich hatte mir nach meinen gehabten Gesichten etwas annähernd unermeßlich Großes vorgestellt, das mich hier erwarten werde; aber an etwas Allerunermeßlichstes und Allerunendlichstes hat sich selbst mein größter und kühnster Gedanke nicht zu erheben getraut und zu erheben vermocht, und dennoch ist es so und ist da, unverkennbar vor unseren erstaunten Augen!

3. Ihr kennet, von was einzig und allein ich und der Oberste in Memphis ein Jahr lang vor euch ganz laut verhandelt haben, obwohl der Oberste oft meinte, daß es genüge, wenn ich allein in seine tiefe Weisheit eingeweiht würde. Ich aber sagte: ,Siehe, Herr, hier meine Brüder und Schwestern! Keines ist irgend minder denn ich selbst; darum sollst du, Herr, um meinetwillen vor ihnen kein Hehl machen!‘ Und er tat darauf stets laut seinen Mund auf.

4. Als er uns nach etwa einem halben Jahre nach Kar nag zu Korak führte, um uns dort den altberühmten Isis-Schleier zu lüften, da waret ihr auch über die Hälfte mit und habt so wie ich alles gehört und gesehen.

5. Wir sahen dort zwei sonderbare Bilder: erstens das der I-sis (des Urlebens Nährsein), hinter einem dichten Schleier verborgen, und daneben das Bild Osiris (Ou sir iez; des reinen, geistigen Menschen Weide).

6. Das erste Bild stellte ein kolossales Weib dar, das voll Brüste an der Brust anzusehen war; zu Zeiten soll auch eine Kuh an die Stelle des von uns gesehenen Vielbrüsteweibes gestellt gewesen sein.

7. Das zweite Bild des Ou sir iez stellte ein sonderbares Wesen vor. Es stand auf einer weiten, fetten Trift ein Mann, umgeben von vielen Herden, die emsig weideten, und der sonderbare Mann stand in der Mitte von allerlei Früchten, und seine Stellung war die eines Essenden.

8. Durch diese beiden Bilder stellten die Ägypter, wie ihr aus dem Munde des weisen Obersten es selbst vernommen habt, zuerst verhüllt das Ursein des schaffenden und all das Geschaffene ernährenden und erhaltenden Gottwesens – und durch das zweite, unverhüllte Bild alles das Erschaffene, Lebende und Zehrende der ganzen Schöpfung dar.

9. Hier fing der Oberste an, uns allen das Wesen eines einzigen, ewigen, urschaffenden Gottes mit tiefen Worten der Weisheit zu erläutern, und wir erkannten, daß es ein allmächtigstes, allerhöchstweisestes Urwesen geben müsse, aus dem alle Wesen in der ganzen, ewigsten Unendlichkeit hervorgegangen sind und nun auch gleichfort ernährt und erhalten werden.

10. Dies Urgottwesen ist für niemand irgend sichtbar oder begreiflich, da es die ganze Unendlichkeit erfüllt und allerverborgenst allenthalben zugegen und gegenwärtig ist sowohl im Raume wie auch in der Zeit, aus welchem Grunde das Bild der I-sis stets verhüllt war. Niemand konnte und durfte der I-sis gewaltigen Schleier lüften, außer nur zu gewissen, besonders heiligen Zeiten der oberste Priester, – aber selbst der nur den untersten Saum vor dem Volke.

11. Ihr habt damals den ungeheuersten Respekt vor der Urgottheit bekommen, wie nicht minder auch ich. Auf dem Wege von Kar nag (nicht nackt, also umkleidet und verhüllt) zu Ko rak (demütig wie ein Krebs) wurde von nichts als von der Urgottheit gesprochen, und der Oberste erklärte uns bei jedem Baume, des Inneres auch vor jedermanns Augen verhüllt ist, das verhüllte Bild der I-sis, und unser Staunen und unsere Ehrfurcht stieg mit jedem Schritte unserer uns tragenden Kamele.

12. In jedem Naturgegenstande fingen wir an, das rätselhafte Bild der verhüllten und verschleierten I-sis zu ersehen, und der Oberste hatte eine rechte Freude an uns, seinen schwarzen Jüngern, und wir sahen von Kar nag an die ganze Natur mit ganz anderen Augen an denn zuvor.

13. Welche herrlichen und großen Gespräche wurden hernach zwischen uns gewechselt, und von welcher Ehrfurcht ward unser ganzes Gemüt ergriffen, wenn wir in unseren arbeitsfreien Stunden unsere Gedanken und Worte zu dem einen, ewigen Urgottwesen hinlenkten! Wie oft haben wir uns so mit dem guten und weisen Obersten in Memphis darüber besprochen, welch ein namenlos beseligendes Gefühl das im Menschen hervorbringen müßte, wenn es irgend möglich wäre, nur einmal ein Wort von dem höchsten Gottwesen – wenn auch nur ganz leise, aber bestimmt – im Gemüte zu vernehmen!“

193. Kapitel. Der große Felsentempel Jabusimbil.

1. (Oubratouvishar:) „Wir fragten den Obersten, ob irgend so etwas Ähnliches auf der ganzen Erde noch nie irgendeinem höchst gerechten Menschen begegnet sei.

2. Der Oberste zuckte mit den Achseln und sagte: ,Unmittelbar wohl sicher noch nie; aber mittelbar hat man aus den Schriften und mündlichen Überlieferungen wahre Beispiele, daß gar sehr gerechte und fromme Menschen in eine gewisse Verzückung versetzt worden sind, in der sie den Geist Gottes als ein alle Räume der Unendlichkeit erfüllendes Licht ersahen und wahrnahmen, daß sie selbst ein Teil dieses Lichtes sind. Alle aber, denen solch eine Gnade zuteil ward, bekennen, daß sie in diesem Lichte von einem unaussprechlichen Wonnegefühl durch und durch ergriffen wurden und zu weissagen anfingen; und was sie da weissagten, das ist auch stets in Erfüllung gegangen. Noch nie aber hat ein Sterblicher den wahren Urgott unter einer andern Gestalt gesehen!

3. Der Mensch als eine begrenzte Form möchte zwar den Urgott sich näherbringen, sein Herz dürstet danach, den Schöpfer einmal in einer zugänglichen Menschenform zu erschauen und mit Ihm, dem ewigen Urgeiste, Worte wie mit einem Menschen zu wechseln; aber es ist dies nichts denn ein törichtes Verlangen des schwachsinnigen Menschen, das in einer gewissen Hinsicht sehr verzeihlich ist, aber ewig nie realisiert werden kann. Denn das Endliche kann ewig nie unendlich werden – und das Unendliche nie endlich!‘

4. Also sprach der weise Oberste zu uns, und wir begriffen das auch, so gut es für unsere schwache Begriffsfähigkeit möglich war.

5. Aber alles dessen ungeachtet drängte sich bei jedem aus uns von selbst eine wenn auch noch so große göttliche Persönlichkeit auf, da wir uns in der göttlichen Unendlichkeit als zu verlassen dennoch nie so ganz zurechtfinden konnten. Unser Herz verlangte stets einen persönlichen, schau- und liebbaren Gott, wenn unser Verstand auch allzeit einen Krieg dem armen Herzen ankündigte, das sich denn doch viel zu klein fühlte, die göttliche Unendlichkeit mit aller Liebe zu erfassen, obwohl uns der Oberste anriet, die Urgottheit zu lieben.

6. Der Oberste bekannte uns, daß es auf der Erde ein Volk gäbe, das da den Namen ,Juden‘ habe. Dies Volk sei in der richtigsten Erkenntnis des allerhöchsten Gottes. Ein Erster ihrer Weisen, ein geborener Ägypter namens Moi ie sez (das heißt: ,meine Aufnahme‘, ein Name, den ihm eine Prinzessin gab, als sie ihn aus dem Nilstrome rettete), habe bei fünfzig Jahre lang mit dem Geiste Gottes Unterredung gepflogen. Dem habe eben der Geist Gottes zu einer strengen Pflicht gemacht, Ihn sich ja nie unter irgendeinem Bilde vorzustellen! Auch dieser Weise verlangte einmal nach dem Bedürfnisse seines Herzens, Ihn persönlich zu erschauen, bekam aber zur Antwort: ,Gott kannst du nicht schauen und leben!‘

7. Als aber dessenungeachtet im Herzen des Weisen die Sehnsucht, Gott zu erschauen, heftiger ward, da hieß ihn der Geist Gottes sich verbergen in eine Felskluft und hervortreten, wenn er gerufen werde. Das tat der Weise; und als er gerufen ward, trat er hervor und hat in einer Ferne Gottes Rücken strahlend mehr denn tausend Sonnen gesehen! Sein Angesicht aber soll darauf derart strahlend geworden sein, daß dasselbe sieben Jahre lang kein Mensch ohne zu erblinden ansehen konnte, weshalb dieser Weise denn auch sein Gesicht diese Zeit hindurch ganz dick verhüllen mußte. Also, wie ihr wisset, hatte uns solches alles der sehr weise Oberste kundgetan.

8. Inwieweit sich das alles also oder anders verhielt, darüber wissen wir kein weiteres Urteil zu fällen; nur das wissen wir, daß über des Obersten Lippen nie ein unwahres Wort geflossen ist. Wie er es vernommen hat, genau also hat er es uns auch mitgeteilt.

9. Wisset ihr, als wir ihn fragten, wo im ganzen Lande Ägypten denn je die wahre, ewige Urgottheit angebetet und höchst verehrt werde der möglichsten Wahrheit nach, wie er dann sagte: ,Nicht sehr ferne von hier, und zwar im großen Felsentempel von Ja bu, sim, bil (das heißt: ,Ich war, bin und werde sein‘)! Durch ein großes und hohes Tor führt der Weg in das Innere der großen Berghalle. Diese ist geziert mit Säulen, die alle aus dem Felsen ausgehauen sind. Zwischen einer jeden Säule steht ein gewappneter Riese von mindestens zwölf Mannshöhen also, als trüge er des Tempels Decke.

10. Das Innere ist in drei Hallen durch einen Bogen getrennt; in jeder zu beiden Seiten aber stehen sieben solche Riesen, zusammen vierzehn Riesen in jeder der drei Hallen. Es sind dies Sinnbilder der von Gott ausgehenden sieben Geister. Die Halle zählt aber in ihren drei Abteilungen sechsmal sieben solcher Riesen; das bezeiget, daß Gott schon vom Anbeginne aller Schöpfung sechs Zeiträume gesetzt hatte, und daß in jedem dieser endlos langen und sich stets durchgreifenden Zeiträume dieselben sieben Geister alles getragen und überall gewirkt haben. Jede der sechs Seiten der langen, dreiteiligen Tempelhalle ist mit allerlei Zeichen und Figuren geziert, aus denen der in die alte Weisheit Eingeweihte alles entziffern kann, was der Geist Gottes den Urerzweisen dieses Landes geoffenbart hat.

11. Am Schlusse der drei Hallen befindet sich abermals das verhüllte Bild der I-sis, das offene des Ou-sir-iez, und an einem Altare vor der I-sis stehen die Worte in den harten Stein gegraben: Ja-bu-sim-bil! Am Eingange zu beiden Seiten des Tempeltores befinden sich je zwei Riesen in sitzender Stellung und stellen die vier Hauptelementarkräfte Gottes in der Natur dar; daß sie sitzen, bezeichnet die Ordnung und Ruhe, in die sie von Gott aus gestellt worden sind, um aller Kreatur nach dem Willen Gottes zu dienen.

12. Eine Inschrift über dem Tore mahnt den Besucher dieser geheiligten Stätte, daß er stets gesammelten Geistes die heiligen Hallen betreten solle. Wer in die erste Halle kommt, wird die zwei ersten Pfeiler mit ganz absonderlichen Zeichen und Figuren geziert finden; diese sollen auf eine Art Weltenkampf unter dem Ausdruck ,Gotteskriege‘ Beziehung haben.

13. Nun, da bin ich selbst zu wenig tief in der alten Weisheit bewandert, um euch das weiter und tiefer erläutern zu können! In sieben Tagen will ich euch dahin führen, wo ihr das alles selbst in Augenschein nehmen könnet. Freilich hat der scharfe Zahn der Zeit so manches an diesem uralten Heiligtume verwüstet; aber es ist noch sehr viel ganz gut erhalten, und ihr könnet noch sehr vieles daraus lernen!‘

14. Nun, welche Gefühle fingen dann in uns aufzukeimen an! Und wir konnten den Tag kaum erwarten, an welchem uns der Oberste zu dem beschriebenen Heiligtume führen würde. Als endlich der Tag kam, und wir auf unseren Kamelen dahin trabten, wie fing es an zu glühen in unseren Herzen, als wir uns nur dem kleinen Vortempel zu nahen anfingen, der nichts als eine Grabstätte einiger Urweisen sein soll! Wie aber pochte unser Herz, als wir vor das Tor des großen Felsentempels kamen! Welch einen unbeschreiblichen Eindruck machte die Ansicht der vier personifizierten Elemente, und wurden wir nicht nahe sprachunfähig, als wir mit brennenden Fackeln in des Tempels innere Hallen kamen? Warum aber ergriff uns das alles gar so mächtig? Weil wir uns dort dem allerhöchsten, wahren Gottwesen näher zu sein dünkten denn irgendwoanders bei Memphis.

15. Als wir dann wieder unter vielen Tränen und Seufzern den wunderbaren Tempel verließen und der gute Oberste uns so manches aus der Urzeit der Erde mitteilte, wie ergreifend erbaute uns das alles, daß wir am Ende gleich schon die ganze Erde für einen großen Gottestempel zu halten anfingen! Ob die paar Tage heiß oder mehr kühl waren, das verspürten wir gar nicht; denn unsere Gemüter hatten zu vollauf zu tun, und zwar mit dem allem, was uns den Urgeist Gottes hätte näherbringen mögen. Und dennoch hieben wir damit ganz offenbar ins Blaue. Wir wußten wohl viel dann; aber die I-sis blieb verhüllt und verschleiert, und kein Sterblicher vermochte irgend zu lüften dies mysteriöse Gewand der ewigen Gottheit.“

194. Kapitel. Oubratouvishar zeigt den Seinen den persönlichen Gott in Jesus.

1. (Oubratouvishar:) „Erst daheim in unserem heißen Lande bekam ich die Gesichte! Ich erzählte sie euch so treu, wie sie mir durch die offenbare Gnade des allerhöchsten Geistes zuteil wurden, und ihr alle hattet dabei eine allergrößte Freude, daß ihr darob herumspranget wie junge Lämmer auf der Weide. So heiter und fröhlich aber ihr dabei auch waret, so beneidetet ihr mich aber dennoch ganz edel in euren Herzen darum, indem auch in euch der Wunsch stets reger ward, auch solche Gesichte zu bekommen. Als ich mit den etlichen zwanzig Gefährten nach sieben Male an mich ergangenen geheimen inneren Weisungen mich auf die Reise hierher begab, so konntet ihr es kaum einen halben Tag ohne mich daheim aushalten. Ihr zoget mir nach und habt mich hier wunderbar eingeholt.

2. Nun sind wir an dem heiligsten Orte meiner gesichtlichen Weisung, und da ist unendlichmal mehr denn Memphis, Karnag zu Korak und der größte Tempel der Welt Ja bu sim bil, unendlichmal mehr als das geheimnisvollste I-sis-Bild! Denn dahin sehet – an den großen Tisch! In der Mitte desselben, mit rosenrotem Leibrocke und darüber mit einem blauen Faltenmantel bekleidet, sitzet, über dessen Schultern ein reiches, goldblondes Haar wallet, nicht bloß allerhöchst gottgeistig, sondern auch körperlich das allerhöchste Gottwesen, – das allerlebendigste Bild der enthüllten I-sis!

3. Als uns der Oberste die Liebe zu dem unendlichen Gottwesen ans Herz legte, da empfanden wir, daß das kleine Menschenherz solcher Liebe ganz unfähig sei, und dachten und sprachen es auch aus, daß wir wohl irgendeine Persönlichkeit, die da trüge die Fülle des Gottesgeistes, gar wohl über alles lieben könnten, daß aber eine zu unendliche Göttlichkeit, die vom Geiste Gottes erfüllte Unendlichkeit, als etwas Unerfaßbares auch nicht geliebt werden könne, außer die Liebe zu solch einem unendlichsten Gottwesen bestehe in der wunderlichen Erdrücktheit des zu kleinen, nichtigen Menschen durch die zu endloseste urgöttliche Allheit.

4. Wie sehr erquickte uns die Aussage des Obersten, dahin lautend, daß Moisez am Ende dennoch der urewigen Gottheit Rücken geschaut habe, wenn auch durch das unbeschreibbar höchste Licht sein Gesicht auf sieben Jahre lang also leuchtete, daß es kein Mensch ohne zu erblinden habe ansehen können, und der Weise darum die lange Zeit hindurch sein Gesicht mit einer dreifachen Decke verhüllt umhertragen mußte. Oh, diese Erzählung des Obersten hat uns sehr erquickt, weil wir dadurch die Möglichkeit eines persönlich wesenhaften Gottes uns haben vorzustellen angefangen! Von da an erst begannen wir den allerhöchsten Gott zu lieben, und infolge solcher unserer Liebe habe ich dann auch unfehlbar sicher meine sieben Gesichte als eine Einladung hierher bekommen, ohne welche wir wohl nie hierhergekommen wären.

5. Wir haben nun den allerhöchsten Gott persönlich vor uns, und Er gebietet uns nichts anderes zu unserer Vollendung, als Ihn zu lieben über alles, uns gegenseitig aber also, wie ein jeder aus uns sich selbst notwendig liebt!

6. Was saget ihr alle, meine lieben Brüder und Schwestern, nun zu alledem? Was fühlet ihr jetzt, und welche Gedanken beschäftigen denn nun eure Herzen? O redet nun und betet an den allerheiligsten, ewigen Urgeist, den Gott, den bis jetzt nahe kein Sterblicher zu denken vermochte! Redet, redet! Was denket und fühlet ihr nun? Wie ist euch zumute?“

195. Kapitel. Die gerechten Zweifel der Schwarzen an der Göttlichkeit Jesu.

1. Sagen voll des möglich höchsten Erstaunens die noch irgend wortfähigen schwarzen Gefährten: „Ist denn das wohl denkbar möglich? Dieser ganz einfache, schlichte Mensch soll der Träger des allerhöchsten Gottwesens sein? Welche haltbaren Beweise hast du dafür? Denn weißt du nicht, daß man sehr auf der Hut sein muß, um nicht unvorsichtigerweise in eine finstere, aberglaubensvolle Abgötterei zu verfallen, die am Ende schlimmer werden könnte denn tausend noch so verhüllte I-sis-Bilder?! Denke dir nur die Gefahren und Abwege, in die wir verfallen könnten, wenn es denn am Ende doch nicht also wäre! Denke dir die endlos kolossalen Begriffe, die wir über das Urgottwesen in Memphis und namentlich beim großen Felsentempel über das Urgottwesen durch des weisen Obersten Mund erhielten, – und das sollte alles vereint in diesem Menschen verborgen sein?! Möglich kann bei Gott schon wohl alles sein; aber hier schaut nun nicht eine allerleiseste Wahrscheinlichkeit für uns heraus! Welche haltbaren Beweise hast du wohl dafür und darüber?

2. Ja, wenn es also ist, wie du es uns mit deiner stets wahrheitsvollsten Miene nun kundgetan hast, dann hätten wir freilich das Höchste des Allerhöchsten gefunden, unser Leben hätte sein erhabenstes Ziel gefunden, sich selbst in seinem Urgrunde, und nichts Weiteres mehr bliebe uns zu forschen und zu suchen übrig! Denn wer sich selbst und Gott, den Urgrund alles Seins, gefunden hat, der hat alles gefunden und hat das vom Obersten uns gezeigte heiligste und seligste Ziel in aller Fülle erreicht!

3. Daß wir aber hier alles das sollen gefunden haben, muß strenge und mehr denn handgreiflich klarst gezeigt und bewiesen werden, ansonst du und wir mit dir aus zu großer Leichtgläubigkeit, vor der uns der Oberste über alles gewarnt hat, nur zu leicht, wie wir schon ehedem bemerkt haben, in die größten Irrtümer geraten könnten!

4. Siehe an das unendlich große Firmament mit den zahllos vielen Sternen, die nach einer ganz geheimen Kunde des Obersten lauter ungeheure Welten sein sollen und nur wegen ihrer unermeßlichen Entfernungen so klein aussähen! Betrachte diese unsere übergroße Erde und alles, was auf ihr lebt, ist, sich regt und bewegt! Betrachte das Meer, den mächtigen Nil, den Sand, das Gras, alle die zahllosen Gesträuche und Bäume und alle die Tiere in den Wassern, auf der Erde und in der Luft! Betrachte die Wolken des Himmels und ihre Kraft, den Mond, die Sonne! Kannst du es dir wohl nur von ferne hin denken und irgend vernünftig einbilden, daß dieser sonst sicher sehr weise Mensch von dieser eigentlich kaum handbreiten Erdfläche aus die ganze, ewige Unendlichkeit vom Kleinsten bis zum Größten übersehen, erhalten, leiten und führen soll? Ja, er kann für uns sogar Wunderdinge leisten als ein mit der Natur geheimen Kräften sehr vertrauter Mann, wie wir deren in Cahirou und Alexandria etliche gesehen haben; aber was ist alles das gegen die ewige Unendlichkeit und ihre zahllosen, uns ewig unbekannten Wesen und Dinge?!

5. Gedenke der großen Worte des Obersten, wie er uns treuest gewarnt hat vor derlei feilen Gauklern und Magiern, wie er sie nannte! Ein Mensch, der mit seiner Zauberkunst auch noch eine sonstige sittliche Weisheit verbände, wie es der Oberste sagte, würde sich mit der größten Leichtigkeit zum Herrscher der Menschen der Erde und am Ende gar zu einem Gotte machen, – und dieser Mensch scheint uns bis jetzt die beste Anlage dazu in reichlichster Fülle zu besitzen! Darum heißt es hier ganz besonders auf der Hut sein und Beweise verlangen, die in jeder Hinsicht geeignet sind, um der bevorstehenden größten Sache das erforderliche Licht zu bieten! Denn je größer, heiliger und wichtiger eine Sache ist oder zu werden scheint, desto mehr muß bei ihr aller Leichtsinn entfernt werden!

6. Wenn es sich um die Wegräumung eines kleinen Steines, der einen Fußsteig verunreinigt, handelt, so braucht's da eben keines besonderen Rathaltens, wie man solchen Stein aus dem Wege räumen wird. Der nächste und beste klaubt ihn auf und wirft ihn irgendwohin, allwo er niemanden behindert. Aber ganz anders verhält es sich, wenn ein gar mächtiger Fels, der von einem Berge herabgestürzt ist, einen Engweg verlegt und trennt dadurch Menschen von Menschen, Nachbarn von Nachbarn, Eltern von ihren Kindern, Brüder von Brüdern und Schwestern von Schwestern! Ah, da wird die ganze Gemeinde Rat halten, was da zu tun sein werde; denn der Weg muß wieder gangbar erhalten werden! Hier aber handelt es sich um den allerwichtigsten Moment unseres Lebens, um dessentwillen wir alle die sehr weite und höchst beschwerliche Reise unternommen haben!

7. Sind wir am rechten Flecke deinen Gesichten nach, so haben wir alles gewonnen, was uns die triftigsten Beweise sicher zeigen werden; sollten wir jedoch noch lange nicht am rechten Flecke sein, so müssen wir wieder unverrichteterdinge wegen entweder heimkehren oder unsere Wanderschaft weiter beginnen, so wir zuvor dem braven Wirt werden bezahlt haben, was wir hier verzehrten. Rede aber du nun unverhohlen, ob du irgendwelche Beweise für das, was du uns von jenem Menschen ausgesagt hast, in den Händen hast, und welche!“

196. Kapitel. Oubratouvishar versucht seine Landsleute von der Göttlichkeit Jesu zu überzeugen.

1. Sagt Oubratouvishar: „Meint ihr denn, daß ich leichtgläubiger bin als ihr es seid? Oh, da seid ihr im ersten und größten Irrtume über mich! Habt ihr denn nicht gesehen, welche Beweise mir, nur auf einen leistesten Wink jenes Herrn, jener überschöne Junge, der offenbar ein Geist aus den Himmeln ist, auf alle meine Zweifel gegenwirkend geliefert hat?“

2. Sagen die zwanzig: „Wir sahen wohl allerlei und vernahmen hie und da auch ein und das andere Wort, konnten uns aber jedoch keine Bedeutung entziffern und noch weniger irgendeinen Zusammenhang finden; denn dieser Tisch ist dafür zu entfernt vom Haupttische!“

3. Sagen darauf die Neuangekommenen: „Wir kamen wirklich etwas wunderbarerweise im selben Momente erst an diesen zweiten, früher leer gestandenen Tisch, als du eben vor jenem Herrn dich tiefst verneigtest und darauf zu uns herüberzogst, und können daher von all dem, was du mit jenem holdesten Jünglinge vorhattest, unmöglich etwas bemerkt haben! Rede darum, was du weißt und gesehen hast, und wir werden daraus gleich entnehmen und sehen, woran wir sind!“

4. Sagt der Anführer: „Wohl denn, und so höret mich denn noch einmal an: Euch allen ist bekannt mein jüngster Fund in einem Graben voll Gerölles. Diesen wollte ich bei unserer Abreise hierher mitnehmen und ihn in Memphis dem Obersten zu einem sicher recht angenehmen Geschenke machen; allein in der Hast unserer Abreise vergaß ich denselben rein ganz, erinnerte mich erst später dessen, und der Fund blieb darum, gut in Linnen eingewickelt, in meiner Hütte in einem Winkel, mit einer Kürbisschale zugedeckt. Als ich hier Beweise verlangte von und wegen dem, wie auch ihr sie nun von mir verlanget, da erinnerte mich jener holde Jüngling an jenen zu Hause vergessenen Fund und sagte es mir genau, wo und wann ich den schönen Stein gefunden, wo ich ihn in der Hütte versteckt hatte, und wem ich damit ein Geschenk machen wollte.

5. Freunde und liebe Brüder! Das mußte mir denn doch etwas sonderbar vorkommen und mich wahrlich im höchsten Grade überraschen! Wie konnte jener Jüngling um ein Geheimnis wissen, das so weit von hier im tiefsten Winkel meiner Hütte verborgen lag?

6. Freunde und Brüder, um das zu wissen, dazu gehört mehr denn alle Weisheit aller Menschen! Für mich wäre das schon ein hinreichender Beweis gewesen, weil ich das wohl zu begreifen imstande bin, was im allergrundweisesten Falle einem Menschen zu wissen möglich ist! Aber bei dem ließ es jener Jüngling nach einem erhaltenen Winke jenes Herrn dort am Tische nicht bewendet sein, sondern er fragte mich, ob es mir nicht wünschenswert wäre, so er mir den bewußten Fund aus meiner Hütte in Nouabia hierher schaffte! Dieser Antrag mußte mich denn doch wohl im höchsten Grade überraschen, und ich nahm den Antrag des holden Jungen an.

7. Nun werdet ihr euch denken, daß der Junge mich darauf eine Zeitlang im Warten ließ? O mitnichten! Im selben Augenblick überreichte er mir zuerst den Stein und gleich darauf sonderlich auch noch die Kürbisschale, mit der im tiefsten und äußersten Winkel meiner Hütte der schöne Fund zugedeckt war, und es ward mir darauf handgreiflich klar erklärt, wo dieser sehr schöne Stein herrühre!

8. Damit ihr aber nicht denket oder mich etwa gar der Leichtgläubigkeit beschuldiget, so betrachtet alle diesen Stein und diese Kürbisschale, ob das alles nicht dasselbe ist, was ich euch allen daheim gezeigt habe! Und hier mein Diener weiß es auch, wo ich ihn in meiner Hütte verwahrt habe und wie! Was saget ihr nun dazu? Vermag so etwas auch ein Magier der berühmtesten Art aus Cahiro? (Kahi roug = des Kahi, eines der größten Stiere dieser Gegend, Horn, das geheiligt war.) –. Ich habe nun geredet, nun ist die Reihe wieder an euch!“

9. Sagen nun alle: „Wenn also, woran keiner aus uns zweifelt, dann Heil uns allen, denn hier wird dann das Unglaublichste zur belebendsten und lichtvollsten Wahrheit! Heil uns und unserem Lande und allen, die mit großer Sehnsucht daheim unser harren; denn auch unter ihrer schwarzen Haut soll es bald sonnenhelle werden!

10. Aber nun sage du uns, wie du dir das zusammenreimen kannst, daß dieser Mensch zugleich das allerhöchste Gottwesen sei, von dem die ganze Unendlichkeit erfüllt ist, und das überall allmachtskräftig wirkt, leitet und alles erhält und ernährt. Wo hat in ihm solch eine ewig unbegrenzte Weisheit und solch eine allmächtigste Willenskraft Platz?! Hier, gleich uns, nur ein begrenzter Mensch, und dort durch die ganze Unendlichkeit mit der höchsten Einsicht, Weisheit und mit der allerunbeschränktesten, höchsten Kraft wirkend; hier auf und in allen den unzählbarsten Punkten der ganzen Erde, wie dort in den fernsten Tiefen der unendlichen Schöpfung gleich sehend, wissend, empfindend, berechnend und mit nie geschwächter, ewiger Kraft und Macht wirkend?! Fassest du diese unbegreiflichste Möglichkeit?“

11. Sagt der Anführer: „Das fasse ich wohl ganz sicher noch nicht; aber ich fasse auch samt euch nicht, wie jener Junge mir diesen daheim vergessenen Stein in einem schnellsten Augenblick hierhergebracht hat! Gedulden wir uns aber in aller Demut und wahrer Liebe zu diesem Einzigen, und es wird uns sicher noch mehr des Lichtes werden!“

12. Damit stellen sich vorderhand alle, sehr nachdenkend, zufrieden und warten, was da noch weiteres kommen werde.

197. Kapitel. Die geistigen Vorzüge und Nachteile der Mohren.

1. Sagt zu Mir Cyrenius: „Herr, aber bei diesen Mohren hätte ich so viel Weisheit und vollkommen klaren Verstandes nicht gesucht; nur die vielen Kenntnisse und wundersamen Erfahrungen, die sie haben, wahrlich, setzen mich in ein gerechtes Staunen! Der Oberste von Memphis, namens Justus Platonicus, ist mir als ein sehr weiser Mensch bekannt; aber daß er in alle die alten ägyptischen Mysterien eingeweiht wäre, habe ich wahrlich nicht gewußt!

2. Daß er schon von jeher ein starker Platoniker war, das weiß ich. Als der Sohn eines höchst angesehenen Hauses in Rom und reich wie ein Krösus, hat er sich schon in seiner Jugend mit den griechischen und ägyptischen Philosophen sehr befreundet und hat Ägypten zum Kulminationspunkte aller seiner Studien gemacht. Bei zehn Jahre hat er im Lande der alten Weisheit zugebracht und sich dort in alles einweihen lassen. Mit einem Geleitschreiben, von meinem Bruder, dem Caesar Augustus, versehen, in der Hand, mußten ihm alle Mysterien vom Anfange bis zum Ende gezeigt werden, und so kam er zu seiner nunmaligen Weisheit. Und weil er in allen den ägyptischen Angelegenheiten so durch und durch bewandert war, so setzte ihn schon Augustus als einen mehr Zivil- denn Militärobersten nach Memphis in Oberägypten. Es liegt wohl etwas Militär in Memphis, über das unser Justus Platonicus zu gebieten hat, aber Feldherr ist er darum nicht.

3. Daß er ein großer Gelehrter ist, weiß ich; aber daß er nun auch ein Weiser und ein förmlicher Priester geworden ist, das wußte ich ganz natürlich nicht! Ich muß aber nun seiner näher gedenken; denn durch seine Mühe mit den Mohren hat er sich bei mir ein großes Verdienst erworben. Der würde eine übergroße Freude haben, so er hier wäre! Was wäre so Dein Urteil über meinen Justus Platonicus? Wie verhält er sich als ein Heide samt mir zum Reiche Gottes auf Erden?“

4. Sage Ich: „Was fragst du darum? Justus ist ein Mann nach Meinem Herzen, er liebt Gott über alles und die Mitmenschen mehr denn sich selbst; und wer das tut, der ist schon in Meinem Reiche, ob er ein Jude oder ein Heide ist! Ich sage es dir, daß Ich mit ihm eher zurechtkäme denn mit euch allen, aber ihr seid Mir auch recht! Zur Bewahrung Meines Wortes aber tauget niemand besser denn diese Schwarzen; denn was sie einmal haben und gefaßt haben, das bleibt so rein und unverändert wie ein geschliffener Diamant. Für sie kann jeder stehen, daß sie diese Meine Lehre nach zweitausend Jahren ebenso rein haben werden, als wie rein sie solche von Mir empfangen!

5. Diese schwarze Menschenart hat das Eigentümliche, eine Lehre oder Sitte in tausend und auch noch mehr Jahren ganz kernrein zu erhalten, ganz also, wie sie solche im Anfange erhalten hat. Sie werden nichts hinwegnehmen und eben auch nichts hinzusetzen; aber es zeigt alles das nicht etwa an, als wären sie als Menschen vorzüglicher denn ihr Weißhäutler, sondern sie stehen als Nachkommen Kains auf einer niedereren Stufe und können nur sehr schwer zur Kindschaft Gottes gelangen, weil sie eigentlich rein dieser Erde angehörige Planetarmenschen sind. Sie sind pure diesirdische Geschöpfe, begabt mit Vernunft, Verstand, Gewissen, aber mit weniger freiem Willen denn ihr weißen Menschen.

6. Doch aber haben sie den weniger freien Willen um vieles fester denn ihr den völlig freien! Was die Schwarzen einmal wollen, das setzen sie auch durch – und müßten sie dabei Berge abtragen! Im Verlaufe des heutigen Tages werden sie schon noch einige Proben ihres festen Willens geben, worüber ihr euch wundern werdet! Daß sie aber in allem ihrem Tun und Lassen unwandelbarer sind denn ihr Nachkommen Seths, beweist und bezeugt schon ihre Gestalt.

7. Seht, der Anführer ist offenbar der Älteste unter ihnen, und sein Diener ist gut um achtundzwanzig Jahre jünger! Betrachtet sie beide, ob dem Ansehen nach einer nur ein Jahr vor dem andern vorauszuhaben scheint; sie sehen sich einander wie Zwillingsbrüder ähnlich! Das Alter werdet ihr diesen Menschen sehr schwer ankennen. Also sieht es auch mit ihrer natürlichen Kraft und Munterkeit aus. Ein Siebziger springt mit einem Jünglinge von siebzehn Jahren um die Wette!

8. Ihr Weißen werdet oft krank, und eure Haut unterliegt allerlei Übeln; diese aber, so sie bei ihrer Naturkost verbleiben, kennen kein Leibesübel. Die meisten sterben an der Altersschwäche. Wie aber schon ihre Außennatur unveränderlicher ist denn die eurige, so ist auch ihr innerer Seelencharakter ein ganz anderer und um vieles fester denn der eurige; aber sie werden eben darum in der Vollausbildung ihres Geistes euch gegenüber dennoch viel geringere Fortschritte machen, weil ihnen dazu die Beugsamkeit des Willens nahe völlig mangelt. Ihr Wille läßt sich zwar wohl auch in etwas beugen; aber dazu gehört allzeit recht viel Ernst und eine große Mühe und Arbeit.

9. Die Vorzüglichkeit der Seele und des Geistes in ihr aber liegt nicht in der gewissen, mehr tierischen Festigkeit des Willens, sondern in der leichten Erkenntniseigenschaft der Seele, durch die sie das Licht der Wahrheit schnell begreift und faßt, und in der leichten Beugsamkeit des Willens, so daß die Seele das Wahre und Gute einsieht und dieses auch schnell mit dem Willen ergreift und zur Tat werden läßt, ohne die keine Erkenntnis einer Seele etwas nützt.“

198. Kapitel. Die Verschiedenheit der Klimas und der Rassen auf Erden.

1. (Der Herr:) „Sehet, diese Menschen werden von nun an auch kommen in Länder ganz geweckter und gebildeter Völker und werden sehen den Ackerbau, die Weinkultur und große Städte mit den schönsten Palästen! Aber wenn ihr nach tausend, auch zweitausend Jahren sie sehen würdet, so werden sie noch in denselben Hütten wohnen und nicht imstande sein, sich ein regelrechtes Haus aus Holz zu zimmern, und noch weniger aus Steinen zu bauen.

2. Wir wollen ihnen nicht die Fähigkeit dazu gewisserart streitig machen, sie können ganz gut die Baukunst erlernen; aber es wird ihnen der leicht beugsame Unternehmungsgeist mangeln, der dem Menschen zur Ausführung eines jeden Werkes vonnöten ist!

3. Es war darum ihre Reise hierher seit ihrer Menschheit Gedenken schon eine der riesenhaftesten Unternehmungen; für euch wäre das nur ein Scherz! Es ist dahin wohl eine weite Strecke, und des Landes Hitze erschwert das Reisen sehr; aber für dieser Menschen Naturbeschaffenheit kann die Hitze schon einen sehr bedeutenden Grad erreichen, bis es ihnen einmal so recht warm wird. Sie haben ein viel trägeres Blut, in dem ganz wenig Eisenteile vorhanden sind, und so ist ihr Blut dicker und galliger denn das der Weißen und braucht einen viel größeren Wärmestand, bis es ganz gehörig flüssig wird.

4. Im strengen Winter, etwa in den Nordlanden unseres Ouran, würden diese Menschen ganz entsetzlich saure Gesichter schneiden. In einem ersten Winter würde ihnen die Haut bersten, weil ihr Blut, da zu dick, in ihren äußeren Leibesteilen nicht wohl fortkäme, daher da Schoppungen entstünden, die bei einer starken Spannung des Gefäßes dasselbe zerbersten machen würden, was dann Blutungen und bedeutende Schmerzen zur Folge haben würde. Aber eine Hitze, die ein schwarzes Gestein nahe zum Glühen bringt, macht ihnen eben noch nicht gar zu absonderlich viel. Dagegen aber würde ein echter Nordskythe in Nouabia, so er im hohen Sommer dahin käme, in wenigen Tagen verschmachten und somit auch ehest sterben.

5. Du denkst dir nun freilich und sagst in deinem Gemüte: ,Muß es denn auf der Erde so verschiedene Temperaturabstufungen geben? Könnte es denn nicht überall gleich kalt oder warm sein?‘ Würdest du mit der notwendigen Kugelgestalt der Erde vertrauter sein, als du es nun bist, obschon du von Mir, als Ich ein zartes Kind war, über die Gestalt der Erde belehrt worden bist, so würdest du an diese Frage sicher nun nicht gedacht haben!

6. Die verschiedenen Temperaturen sind eine unvermeidbare Folge der kugelrunden Form der Erde. Die runde Form aber ist wieder darum notwendig, weil bei jeder andern Form das Licht der Sonne sich unmöglich so zweckmäßig verteilen könnte wie eben bei der Kugelform, – man müßte denn eine Erde von drei Sonnen beleuchten lassen, und zwar über den beiden Polen je eine und über dem Mittagsgürtel eine! Wer aber würde dann erstens die Hitze auf dem Erdboden ertragen, wie würde es mit der alle Kreatur stärkenden Nacht aussehen, und wie sähe es fürs zweite mit der Bewegung der Erde aus, wenn sie von der gleich mächtigen Anziehungskraft dreier ganz gleicher Sonnen abhinge?

7. Ich habe dir und euch mehreren ja doch erklärt, wie groß die Sonne ist und sein muß, und wie klein dagegen die Erde! Diese muß um die Sonne in einer entsprechenden Entfernung und Geschwindigkeit kreisen, ansonst sie in dieselbe fallen oder bei übertriebener Geschwindigkeit sich von derselben ins Unendliche entfernen müßte. Im ersten Falle würde die Erde in der Lichtglut der äußersten Sonnenatmosphäre in den Urätherstand oder in die in ihrer Materie gefangengehaltenen Urnaturgeister nahezu in einem Augenblicke aufgelöst werden; im zweiten Falle aber würde sie aus Mangel an Wärme zu einem härtesten Eisklumpen gefrieren! In beiden Fällen wäre an kein Fleischleben auf der Erde Triften zu denken.

8. Du siehst aus dem, wie da nach Meiner Ordnung eine Notwendigkeit die andere nach sich zieht, und daß auf dieser Erde eine gleiche Temperatur von Pol zu Pol unmöglich statthaben kann, anderseits aber doch notwendig ist, daß die ganze Erde möglichst allenthalben bevölkert sein solle, damit die aus den Vorkreaturen hervorgegangenen und freier gewordenen Seelen in einen ihrer Natur entsprechenden Leib treten können. Was bleibt dann übrig, als für die heißen Erdgegenden solche Menschen leiblich hinzustellen, deren Natur ein so heißes Klima wohl ertragen kann, und in die kalten Klimatas solche, deren natürliche Beschaffenheit eben die noch so kalten Gegenden bewohnen und einigermaßen kultivieren kann.

9. Wenn du das nun nur einigermaßen einsiehst, so wirst du es wohl begreifen, warum im heißen Mittelafrika nur solche dir zuvor charakteristisch beschriebenen Menschen schwarz und von einer ganz eigenen Gemütsbeschaffenheit sein müssen. – Sage Mir, ob du das nun wohl begriffen und gefaßt hast!“

10. Sagt Cyrenius: „O Herr, ich bin nun auch darin völlig in der Ordnung und danke für diese mir höchst heilsame Belehrung; denn ich sehe nun daraus, daß alle Welteinrichtung allerweisest oder zweckmäßig ist, und alles so auf ein Haar sein muß, wie es ist und nie anders sein kann! Darum Dir, Gott und Herr, allein alle Ehre, alle Liebe und aller Preis; denn die ganze Erde und alle Himmel sind Deiner Liebe und Weisheit voll!

11. Was aber wirst Du, o Herr, mit den Schwarzen noch weiteres unternehmen? Denn so ganz in der Ordnung scheinen sie mir noch nicht zu sein; ich merke das aus ihren sehr nachdenkenden Stellungen.

12. Ihr Anführer hat ihnen Deine Gottheit wohl auf eine wahrhaft triftigste Art und Weise vorgetragen, und das vorerzählte Wunder mit dem großen Diamantentransporte hat sie, wie es scheint, anfangs sehr stutzig gemacht; aber nun scheinen sie da allerlei Fragen an sein Gewissen zu richten, und einer, der sich nun ein paarmal nach uns umgesehen hat, hat soeben den Anführer ganz ernst gefragt, ob er den Stein nicht etwa heimlich doch selbst mitgenommen habe samt der Kürbisschale, um sie damit wunderähnlich zu berücken. Auf was diese Schwarzen doch alles kommen! Die werden schon durch ein größeres Wunder zurechtgebracht werden müssen! Der ganz gute Anführer hat offenbar seine entschiedene Not mit ihnen, was ich recht gut merke!“

13. Sage Ich: „Nur noch eine ganz kleine Geduld, bis sie in eine rechte Gärung geraten werden, dann erst werden wir dem Anführer zu Hilfe kommen; denn bei dieser Menschenart geht alles langsamer als wie bei uns vonstatten! Dazu haben sie alle nun zum ersten Male ganz fremde Nahrung und einen Wein bekommen, und das macht sie nun für den Augenblick auch begriffsstutziger, als sie je irgend zuvor waren. Aber es ist gut, daß es also ist, ansonst es nicht leicht möglich gewesen wäre, sie von etwas zu überzeugen, was nun noch zu sehr wider die in Memphis eingesogenen Begriffe über Gott streitet.

14. Sie können Gottes Unendlichkeit mit Meiner Persönlichkeit unmöglich unter ein Dach bringen; aber wenn sie einmal so recht durchgegärt sein werden, dann werden wir mit ihnen ganz leicht und bald fertig werden! Unterdessen aber bearbeitet sie ihr Anführer wegen des gegen ihn gefaßten Wunderbetrugsverdachtes, was auch recht ist; denn wer da immer ob eines rechten Wunderwerkes einen losen Verdacht erhebt, der soll darum allerdings auch eine ganz gediegene Zucht samt der Rute bekommen! Je mehr diese Schwarzen nun mit den Worten gezüchtigt und gedemütigt werden, desto fester und leichter werden sie für uns dann für immer bleiben!“

199. Kapitel. Vom langsamen und vom schnellen Begreifen der Wahrheitslehre.

1. (Der Herr:) „Es ist aber das schon eine alte Erfahrung, daß Menschen, die etwas leicht fassen und zuvor nicht recht tüchtig durchgegerbt worden sind, die leicht aufgefaßte und begriffene Sache auch gar leicht und gar bald fahren lassen, während Menschen, die gewisserart durch lauter Rippenstöße und harte Vorproben eine Lehre in sich zum Fassen und zum Begreifen bringen, dieselbe dann nicht leichtlich irgend mehr auslassen.

2. Oh, es gibt welche, die da ganz gute Talente besitzen und dazu auch jedes andere Vermögen haben! Sie fassen alles bald und leicht und begreifen es wohl; aber zur Zeit dann eingetretener notwendiger Proben gedenken sie ihrer Weltvorteile, fürchten sich zuviel zu opfern und trachten dann nach Möglichkeit jener geistigen Sachen zu vergessen und loszuwerden, die, wenn für sie auch handgreiflich wahr, ihnen auf dieser Welt keine Interessen tragen. Solche Menschen gleichen jenen nahe ganz durchsichtigen Tagesfliegen, die den ganzen schönen Tag hindurch im Lichte, als selbst ganz durchleuchtet und durchglüht, spielen und voll Lebens sind; so aber dann kommt die das Leben prüfende Nacht, da hat ihr Licht und ihre Glut auch ein Ende, und damit auch ihr Leben!

3. Darum taugen jene Menschen, die anfänglich irgendeine höhere Wahrheit etwas schwerer fassen, fürs Gottesreich besser denn die Leichtfasser; denn sie behalten das Gefaßte dann treu und lebenswarm, während die Leichtfasser mit dem Lichte aus den Himmeln geradeso spielen wie die Tagesfliegen mit dem Sonnenlichte, haben aber dann in der Folge keinen größeren Nutzen vom Himmelslichte als die Tagesfliegen vom Sonnenlichte.

4. Es gibt aber mitunter schon auch Menschen, die eine Wahrheit leicht fassen, sie behalten und dann auch zur Nachtzeit gleich hellen Sternen fortleuchten und sich und anderen einen großen Nutzen schaffen; aber dieser Menschen gibt es wenige, und sie sind selten.

5. Diese Mohren aber gehören alle zu den Schwerfassenden; aber was sie einmal erfaßt haben, das gehört ihnen, und sie werden fürder und fürder leuchten in ihren spätesten Nachkommen gleich den Sternen im Orion und gleich Sirjezc (Sirius) in der großen Weite.

6. Es ist mit der gründlichen Fassung und dem richtigen Verständnisse Meiner Lehre nahe wie mit dem Erwerben eines Vermögens: Wer auf eine ganz leichte Art zu einem bedeutenden Vermögen gekommen ist, der wird auch bald und leicht damit fertig; denn an Entbehrungen ist er nie gewöhnt worden, und Sparen hat er nie versucht. Ist er einmal im Besitze eines Vermögens durch Erbschaft oder durch einen sonstig leicht zu erzielenden Gewinn, so wird er das Vermögen nicht achten; denn er denkt und fühlt es auch, daß man sich ein bedeutendes Vermögen ganz leicht erwirbt. Wer aber mit seiner Hände Fleiß sich ein bedeutendes Vermögen erworben hat, der kennt die schwere Mühe und Arbeit und weiß, wie viele Schweißtropfen ihn ein jeder Groschen gekostet hat; darum achtet er auch sein schwer erworbenes Vermögen und vergeudet und verpraßt es sicher nimmer auf eine leichtfertige Weise.

7. Also aber steht es auch mit den geistigen Schätzen. Wer sie leicht gewinnt, der achtet ihrer kaum, weil er sich denkt und in sich auch fühlt, daß er sie entweder gar nie und nimmer verlieren könne, oder, verlöre er auch etwas davon oder gar alles, er alles Verlorene ganz leicht wieder gewinnen werde. Aber dem ist nicht also; denn wer da geistig etwas verliert, der gewinnt das Verlorene ein zweites Mal nicht so leicht wieder wie das erste Mal.

8. Denn an die Stelle des verlorenen Geistigen tritt sogleich das Materielle, und das ist ein Gericht, und läßt sich nicht so leicht mehr verdrängen wie im Anfange. Denn wie da alles Geistige fortwährend geistiger und freier wird, so wird auch alles Materielle gleichfort materieller, weltlicher und voller des Gerichtes und des Todes; wer aber einmal im Gerichte steckt und gefesselt ist im Wollen und Erkennen, der gibt sich selbst die Freiheit schwer oder nimmer wieder.

9. Wer einmal Mein Wort hat, der muß es behalten und im selben unwandelbar verbleiben nicht nur durchs Wissen allein, sondern hauptsächlich durch die Taten und Werke nach dem Worte; denn alles Wissen und Glauben ohne Werke ist so gut wie gar nichts und kann fürs Leben keinen Wert haben!

10. Was nützete es jemand, der eine Reise zu machen hätte an irgendeinen ihm bloß dem Namen nach bekannten Ort, dahin er den Weg nicht kennt, so ihm ein des Weges Kundiger eine vollkommene Beschreibung machte, wie der Weg zu dem Orte sich hinzieht, wenn er, nun des Weges kundig, nicht auf demselben wandeln will, sondern sich umkehrt und in einer ganz entgegengesetzten Richtung fortzugehen anfängt?! Wird er wohl je an den Ort gelangen? Ich sage: Der kann kommen, wohin er will, – nur an den Ort seiner Bestimmung wird er nie gelangen; denn wohin man kommen will, dahin muß man auch wandeln!

11. Diese Mohren sind gewiß in der Erdbeschreibung die allerunkundigsten Menschen von der Welt! Ohne den Obersten Justus Platonicus würden sie den Weg hierher wohl ewig nie infolge ihrer Kunde gefunden haben; aber nachdem ihnen der Weg vom Obersten einmal ordentlich beschrieben worden war, da wandelten sie genau nach der Beschreibung, und ihr nunmaliges Dasein bekundet zur Genüge, daß sie des Obersten Weisung allergenaust in die Ausführung gebracht haben, und dazu gehörte ein unerschütterlich fester Wille, der eben diesen Mohren in einem hohen Grade eigen ist. Wer aber etwas ganz fest will, der vollführt auch das sicher, was er fest will.

12. Wer demnach Mein Wort und Meine Lehre hat und tut festwillig danach, der muß sein Ziel erreichen, und nichts kann ihn daran hindern; aber wer da wohl etwas nach Meinem Worte und daneben aber auch das tut, was die lose Welt begehrt, der gleicht einem Menschen, der einen halben Weg an einen Ort hin macht, so er aber kommt auf den halben Weg, gleichfort umkehrt und den schon begangenen Weg wieder zurückmacht.

13. Auch gleicht er einem Knechte, der zwei Herren, die wider einander sind, dienen will. Wird der mit seiner Arbeit bei den zwei sich gegenseitig anfeindenden Herren zurechtkommen? Wird er beide lieben können, wenn auch nur dem Scheine nach? Welches Gesicht aber werden die beiden Herren machen, so sie erfahren werden, daß der Doppelknecht jedem der zwei Herren gleich zugetan ist? Wird nicht der eine wie der andere zum Knechte sagen: ,Ei du schalkhafter Diener, wie magst du meinen ärgsten Feind auch lieben wie mich?! Diene mir allein, oder hebe dich aus meinem Dienste!‘ Denn niemand kann zweien Herren der Wahrheit nach dienen; er muß den einen dulden und den andern verachten. Und siehe, solch ein loser und schalkhafter Knecht wird dann von beiden Herren zugleich aus dem Dienste gejagt und dann schwer mehr bei einem dritten in den Dienst aufgenommen werden, und es wird mit ihm sein, daß er zwischen zwei Stühlen auf die Erde niedersitzen wird.

14. Daß aber diese Mohren nicht Diener zweier, sondern des einen Herrn sein wollen und auch werden, das entnimmst du ganz leicht aus dem, wie der Anführer zu kämpfen hat mit seinen Gefährten, denen des Obersten Worte noch zu mächtig im Herzen eingegraben und nicht so leicht herauszubringen sind!

15. Das einzige, was der Oberste ihnen von einer göttlichen Persönlichkeit aus Moses angeführt hat, ist ein Anhaltspunkt und eine Brücke, auf der sie zu Mir gebracht werden können. Und auf eben dieser Brücke treibt sich nun der Anführer hauptsächlich herum und sucht die Hartnäckigsten umzustimmen. Sende Ich ihm nicht den Engel zu Hilfe, so ist er auch in einem Jahre noch nicht fertig mit ihnen; aber Ich werde ihm nun den Engel hinsenden und da wird sich diese Sache auch geben!“

16. Sagt Cyrenius: „O Herr, da möchte ich wohl in der Nähe sein, um die Verhandlungen klarer und deutlicher ausnehmen zu können!“

17. Sage Ich: „Wird nicht nötig sein; denn der Wind wird alles zu unseren Ohren bringen!“

200. Kapitel. Raphael überzeugt die Mohren von der Göttlichkeit Jesu.

1. Gleich darauf berufe Ich den Engel und sage zu ihm, der Tischgenossen wegen laut: „Raphael, nun ist Oubratouvishar mit seinen Gefährten auf den rechten Punkt wieder zurückgekommen, und da kannst du dem Streite mit einem Hiebe helfen! Sie sind ganz geneigt, nun seine An- und Einsicht über Mich anzunehmen, wenn er's ihnen beweisen kann, daß der Stein wirklich durch dich in einem Momente aus Nouabia hierhergeschafft worden ist. Gehe denn hin und schaffe jedem, der es verlangt, das, was er verlangt, aus seiner Hütte hierher, und die ganze Streitsache wird damit vollkommen abgetan sein!

2. Denn diese festwilligen, aber schwer fassenden Menschen müssen durch ein Wunder bekehrt werden, weil das Wort allein für sie zu wenig überzeugende Kraft besitzt. Diesen Menschen schadet ein Wunder auch nicht soviel wie irgend euch und ganz besonders so manchen Juden; denn sie als Naturmenschen können selbst ganz ansehnliche Wunder bloß durch ihren festen Glauben und durch ihren unbeugsamen Willen zustande bringen, was sie aber freilich als eine nahe ganz natürliche Sache ansehen. Davon werden wir uns später überzeugen. Ein großes Wunder gilt dann bei ihnen nur als ein halbes, und so können sie ohne irgendeine Ärgernisnahme durch Wunder ganz unschädlichermaßen bearbeitet werden. Gehe nun sonach hin! Was du zu reden und zu tun hast, liegt schon in dir.“

3. Mit dem nun allen bekannten Bescheide begibt sich der Engel zu dem Tische, wo die Schwarzen, durch den Genuß des Weines noch lebhafter gemacht, ihre ziemlich lauten Disputationen halten. Als er dort anlangt, sagt er mit einer durchdringend lauten Stimme: „Was beschuldiget ihr diesen euren größten Freund und Wohltäter, dem ihr alles Gute zu verdanken habt, als wollte er euch betrügen und einen falschen Glauben aufdrängen?! Was verdächtiget ihr das Wunder, das ich zu seiner Überzeugung auf Geheiß des Herrn gewirkt habe, dahin, als wäre ich ein von ihm bestellter Gauner, der, um euch zu betrügen, ihm behilflich wäre! Welche Beweise wollt ihr denn, die da vermöchten, eure Zweifelsucht in euch bekämpfend, euch zurechtzubringen? Soll ich für euch aus euren Hütten etwas hierherschaffen? Verlangt, und ich werde es tun!“

4. Auf diese energische Anrede wurden alle still und wußten vor Angst nicht, was sie tun sollten.

5. Aber der Anführer sagte: „Das ist Gottes Hilfe! Die wird mich rechtfertigen von euren schon ganz arg gewordenen Anwürfen! Verlanget und überzeuget euch; denn nichts als das allein nur kann eure große Torheit brechen!“

6. Darauf erhob sich einer, der am meisten gezweifelt hatte, und sagte: „In meiner Hütte ist ein Schatz verborgen; außer mir und meinem Weibe, das hier ist, kennt ihn wohl niemand. Schaffe mir ihn hierher, und ich werde dann vollauf glauben!“

7. Sagt der Engel: „In welcher Zeit soll ich dir den Schatz, den du in Linnen und Röhricht eingewickelt und in den Winkel gen Sonnenaufgang in deiner Hütte an der Stelle, wo außerhalb der Hütte ein großer Palmbaum steht, zwei Schuh tief in den Sand verscharrt hast, und der in einem dreißig Pfunde schweren und ganz reinen Goldklumpen besteht, hierherschaffen? Sage mir an die Zeit!“

8. Hier macht der Zweifler große Augen und sagt: „Aber um aller Himmel willen, wie möglich kannst du, holdester Junge, das so genau wissen? Schon damit hast du meinen Zweifel vernichtet; denn nun ist mir alles einleuchtend, was immer unser Führer und Ältester von jenem jungen Manne ausgesagt hat! Aber bei alldem wird die Sache stets fürchterlicher merkwürdig! Wenn außer allem Zweifel in jenem Manne die ganze Fülle des urewigen Gottgeistes wohnt, wie werden wir bestehen vor Ihm! Muß Ihn unser Zweifeln nicht im höchsten Grade beleidigt haben? Oh, oh, wir sind alle verloren!“

9. Sagt der Engel: „O mitnichten, ihr seid nun nur alle gewonnen! Aber nun bestimme du die Zeit, in der ich dir deinen Schatz hierherholen soll!“

10. Sagt der Zweifler: „O Holdester, – ist nun gar nicht mehr nötig um meines Unglaubens halber; aber so du ihn mir schon wunderbarst herschaffen willst, da lasse es dir leicht geschehen! Wenn er etwa hier für jemanden einen besonderen Wert hat, so soll er ihn mir mit anderen nützlichen Werkzeugen ablösen; denn mir ist er ja ohnehin zu nichts nütze! Er ist schön und hat Stellen, die an der Sonne sehr stark glänzen; und wenn man ihn recht aufmerksam betrachtet, so besteht er aus allerlei Figuren, die auf seiner Oberfläche ersichtlich sind. Manche sind dunkel und glanzlos, aber manche leuchten mächtig an der Sonne. Darin lag für mich der eigentliche Wert des ziemlich großen und ganz kompakten Klumpens. Wenn du, holdester, schönster Junge, ihn mir sonach herschaffen willst, so brauchst du dich bei aller deiner wundersamen Kraft nicht zu übereilen!“

11. Sagt der Engel: „Sieh mich an! In diesem Augenblick hole ich deinen Schatz; zähle die Augenblicke, wie viele ich derer brauchen werde, um hin- und wieder zurückzukommen!“

12. Der Zweifler und seine Gefährten richten ganz scharfe Blicke auf den Engel, um zu sehen, wann er sich entferne, und wie bald er darauf wiederkehren werde.

13. Aber der Engel entfernt sich gar nicht, sondern fragt den früheren Zweifler: „Nun, hast du meine Abwesenheit bemerkt?“

14. Sagt der Zweifler: „Nein; denn bis jetzt standst du noch immer felsenfest auf demselben Flecke!!“

15. Sagt der Engel: „Oh, mitnichten; denn sieh nur hinab, zu deinen Füßen liegt schon ganz gesund und wohlbehalten dein Schatz!“

16. Der Zweifler schaut unter den Tisch, und sein wohlerkennbarer Schatz ruht in der unversehrten Einfassung zu seinen Füßen! Darüber erschrickt der Zweifler so sehr, daß darob seine sonst ganz karminroten Lippen blaß werden und er ordentlich zu beben anfängt.

17. Auch die anderen machen ein ganz absonderlich betroffenes Gesicht über diese Erscheinung und schreien: „Aber um Gottes Willens Macht! Was ist das, wie kann das sein?! Du Holdester hast dich von der Stelle ja doch nicht einen allerkürzesten Augenblick entfernt! Wie war hernach das möglich?“

18. Sagt der Engel: „Bei Gott ist alles möglich, und ihr könnet daraus entnehmen, wie Gott der Herr, wenn Er auch hier als Mensch gleich einem andern Menschen anwesend ist, mit Seiner allerunendlichsten Willensmacht dennoch die ganze Unendlichkeit leitet, regiert und erhält, und wie vor Seinen allsehenden Augen es ewig nirgends etwas Verborgenes geben kann, um das Er nicht auf das allergenaueste wüßte!

19. Daß der ewige Gottgeist nun auf dieser Erde das Fleisch angenommen und Selbst persönlich Mensch geworden ist, dazu bewog Ihn Seine übergroße Liebe zu euch Menschen dieser Erde vor allem, und dadurch auch zu den Menschen von all den zahllosen anderen Weltenerden, um euch für alle ewigen Zeiten ein fühlbarer, schaubarer und sprechbarer Gott und Vater in aller Liebe zu sein! Denn Er als Gott ist die mächtigste und reinste Liebe, darum sich Ihm aber auch kein Mensch und kein Engel anders als allein nur in und durch die Liebe nahen kann.

20. Wollt ihr zu Ihm kommen, so müsset ihr Ihn vor allem über alles lieben und euch untereinander als wahre Brüder und treuherzige Schwestern; ohne solche Liebe ist eine wahre Annäherung zu Ihm so gut wie rein unmöglich! Nun aber hebe du, erschreckter Hase, deinen Schatz herauf auf den Tisch und betrachte ihn, ob er wohl der rechte ist!“

201. Kapitel. Der Mohr und Oubratouvishar übergeben dem Cyrenius ihre Schätze.

1. Hier, vom ersten Schreck ein wenig erholt, beugte sich der Mohr hinab und hob den ziemlich großen Klumpen auf den Tisch, löste das Röhricht und die Linnen ab, und in kurzer Zeit lag der Goldklumpen ganz nackt auf dem Tische; und viele gingen hinzu und betrachteten diesen reichen Schatz. Auch unser Judas Ischariot konnte seine Neugierde nicht bezähmen, besah sich den Schatz und bedauerte heimlich sehr, daß nicht er der Besitzer desselben sei.

2. Als der Schatz hinreichend betrachtet und bewundert worden war, da fragte der Mohr den Engel, wem er nun wohl am füglichsten diesen Klumpen schenken dürfte, weil er ihn denn doch wohl nicht mehr den weiten Weg nach Hause tragen möchte.

3. Und der Engel zeigte ihm den Cyrenius an und sagte: „Dort sieh, zur Rechten des Herrn sitzt der Oberstatthalter Roms! Der hat zu gebieten über Asien und einen großen Teil Afrikas; ganz Ägypten steht unter ihm, und somit auch der Oberste von Memphis! Dem gib diesen Schatz! Auch du, Oubratouvishar, würdest besser tun, den Stein diesem Oberstatthalter einzuhändigen, als dem Obersten in Memphis, der auf derlei Schätze wenig oder gar nichts hält! – Übrigens ist das nur mein Rat, und du kannst tun nach deinem Wohlgefallen!“

4. Sagt der Anführer: „Dein weiser Rat ist mir schon ein Gebot, das ich auch um den Preis des Lebens erfüllen würde, weil du mir nur das Weiseste und Beste raten kannst!“

5. Mit dem erheben sich beide – der Zweifler mit seinem Goldklumpen und der Anführer mit seinem großen Diamanten – und begeben sich damit zum Cyrenius.

6. Als sie da anlangen, sagt der Anführer: „Nicht wußte ich früher, wer du bist. Ich erkundigte mich auch nicht um jemand andern, denn allein nur um den Herrn, da ich mir dachte: ,Da kann nur einer der Herr und Gebieter sein, und alle andern sind dessen Knechte und Diener!‘ Aber nun hat mir jener blendendweise Wunderjunge erst erzählt, daß du, irdisch genommen, auch ein großer Herr und Gebieter bist, und so habe ich nach dem weisen Rate jenes holdesten Wunderjungen mich samt diesem Gefährten frei entschlossen, unsere so wunderbar hierhergebrachten Schätze zu deinem Gebrauche dir zu geben, wofür du uns aber dennoch einige der nötigsten, brauchbarsten Hausgeräte möchtest zukommen lassen, auf daß auch wir mit ihnen unser Haus für die Erzeugung des Brotes, das gar so gut und wohlschmeckend ist, einrichten könnten.

7. Unsere Hau- und Schneidewerkzeuge sind schlecht und werden gleich stumpf; denn sie sind sehr mühsam aus Holz und Tierknochen verfertigt. In Memphis aber haben wir allerlei Schneidegeräte kennengelernt, die sogar der Stein nicht so leicht stumpf macht, – und derlei Werkzeuge könnten wir wohl besser brauchen als unser gelbglänzendes Metall, das weich und unbrauchbar ist! – Nimm somit diese zwei Stücke gütig an!“

8. Sagt Cyrenius: „Gut, Freunde, ich nehme von euch die zwei überaus wertvollen Stücke an; aber nicht für mich, sondern für dies verarmte Galiläervolk, das sich nach Rom schon in einem bedeutenden Steuernrückstand befindet! Mit diesen zwei Stücken ist Rom für dieses Land für zehn aufeinanderfolgende Jahre mit Steuern für alle Fälle zum voraus gedeckt, und das Land kann sich in der Zeit erholen.

9. Wenn ihr wieder heimkehren werdet, werde ich Sorge tragen, daß euch eine gerechte Menge von allerlei nötigsten und wohl brauchbaren Werkzeugen und Gerätschaften mitgegeben werde, und wollet ihr freiwillig unter den römischen Schutz euch begeben, so würdet ihr dann von Jahr zu Jahr mit neuen Werkzeugen und Gerätschaften versehen werden! Sonst müßtet ihr denn wenigstens alle Jahre, natürlich gegen Eintausch für derlei Metalle, euch in Memphis selbst damit versehen!“

10. Sagt der Anführer: „Um das zu verfügen, müßte zuvor ein allgemeiner Volksrat gehalten werden, was bei uns stets eine etwas schwere Sache ist, weil unser Land von einer großen Ausdehnung ist und die Bewohner in gar vielen, oft ganz unzugänglichen Winkeln birgt und es daher sehr schwer ist, einen Volksrat zusammenzurufen. Das Bessere wird daher schon sein, daß wir uns in Memphis von Zeit zu Zeit etwas abholen, was wir am nötigsten brauchen.

11. Eure römischen Gesetze mögen sehr gut sein; aber sie würden für unser Land und Volk dennoch nicht taugen. Es hat uns auch schon der Oberste von Memphis einen gleichen Antrag gemacht, den wir aber ebensowenig wie nun diesen deinen haben annehmen können. Könntet ihr auch in unser Land dringen, so würde euch das wenig nützen! Ihr würdet dort in der glühheißen Wüste umherirren und verschmachten zu Hunderten und würdet doch keine Menschen, wohl aber Löwen, Panther und Tiger finden in Herden zu Hunderten, die euch zerreißen würden; auch würdet ihr den Kampf mit Schlangen und Nattern nicht bestehen!“

12. Sagt Cyrenius: „Wie kommt denn dann ihr mit so vielen reißenden Bestien aus? Tun sie euch denn im Ernste nichts zuleide?“

13. Sagt der Anführer: „Hast doch ehedem aus dem Munde des Jungen und aus dem allerheiligsten Munde des Herrn Selbst vernommen, wie wir beschaffen sind! Wie kannst du darüber hinaus auch noch mich fragen? Also ist es, wie der Herr Selbst es von uns ausgesagt hat; wie, wodurch und warum aber, – das wissen wir selbst nicht! Ich bitte dich darum, mich mit derlei Fragen zu verschonen; denn die Antworten darauf können dir nichts nützen!“

14. Hierauf machten beide eine tiefste Verbeugung vor uns und gingen darauf sogleich wieder zu ihren Gefährten zurück und erzählten, was sie alles bei Mir ausgerichtet hatten.

202. Kapitel. Der Ursprung des Jabusimbiltempels, der Sphinx und der Memnosäulen, dargestellt duch die Hieroglyphen der beiden ersten Perlen.

1. Aber die Gefährten sagten: „Wie könnet ihr beim Herrn irgend etwas ausgerichtet haben, da ihr mit Ihm doch kein Wort geredet habt?!“

2. Da sagte der Anführer: „Hier, wo Er weilt, geht alles von Ihm aus, und wir haben darum stets nur mit Ihm zu tun, ob wir schon mit Seinen Jüngern verhandeln!“ – Mit diesem Bescheide waren alle zufrieden und sagten nichts mehr.

3. Aber einige sagten zum Engel: „Höre, du Wunderjunge, möchtest du nicht auch uns fünfen, die wir auch ganz sonderbare Schätze in unseren Hütten verborgen halten, dieselben hierherschaffen?“

4. Sagte der Engel: „Hebet sie nur von euren Füßen auf den Tisch, und wir werden sehen, was daran ist!“

5. Hier schauen fünf der am Tische sitzenden Mohren unter den Tisch und ersehen zu ihrem größten Erstaunen ihre ihnen wohlbekannten, ziemlich großen Bündel, heben dieselben auf den Tisch, und es kommen da noch vier ganz tüchtige Klumpen Goldes zum Vorschein, die zusammen über hundert Pfunde wiegen; aber in einem fünften Bündel kommen sieben ziemlich große Flußgeröllsteine vor, die der neben dem Engel stehende Markus für ganz wertlos halten möchte.

6. Aber der Engel sagt: „Warte nur, bald wirst du's gewahr, daß eben diese sieben Steine vom größten und unschätzbaren Werte, irdisch genommen, sind! Bringe aber einen festen, ehernen Hammer, und wir werden sie untersuchen!“

7. Markus eilt, als selbst voll Neugierde, in seine Zeugkammer und kommt bald mit einem festen, eisernen Hammer zum Vorschein und überreicht ihn dem Engel. Dieser nimmt einen solchen Stein zur Hand und versetzt ihm einige vorsichtige Schläge, auf welche sogleich die weißliche, kiesartige Kruste abfällt, und eine Perle in der Größe eines Menschenkopfes kam zum Vorscheine, was alle ins größte Erstaunen setzte.

8. Auf der Oberfläche dieser Wunderperle waren Hieroglyphen und andere Zeichen eingraviert. Unter andern war auch eine ganz gute Zeichnung des Tempels von Ja bu sim bil im Baumomente, und zwar in jenem ersichtlich, wo die vier riesenhaften Figuren nach einer hundertsiebzigjährigen Arbeit voll Schweiß und mancher Aufopferung beendet worden waren und man noch an den Simsungen lebhaft arbeitete und durch die Skulptierung riesige Schriften und sonstige Zeichen in die platten, großen Flächen eingravierte und zugleich aber auch das Tor in der Mitte der je zwei Riesenfiguren aufzureißen begann. Wer sich diese Zeichen und Schriften, die ganz deutlich zu sehen waren, entziffern konnte, der hatte den Ursprung dieses Tempels vor sich und den Grund, warum er von den damaligen Ägyptern errichtet worden ist, und zwar knapp am Nilstrome.

9. Diese Perle hatte demnach nicht nur als eine Riesin ihrer Gattung einen unschätzbaren Wert, sondern auch einen historischen. Zugleich aber stammte sie aus einer Periode der Erde, von der an es noch gar viele Jahrtausende währte, bis ein erster Mensch im Fleische ihren Boden betrat.

10. Zu der Erdzeit, als solche riesenhaften Schaltiere das Meer bewohnten, spülten über den größten Teil der niederen Lande Afrikas des großen Weltmeeres Wogen. Die Urägypter fanden die Mutterschale bei der Grundgrabung der ersten Pyramide, und als sie die Mutterschale öffneten, fanden sie darin diese sieben Perlen, von denen die eine nun der Engel von ihrer Kruste befreit hat.

11. Natürlich ward nun der Engel mit Fragen bestürmt, und er erklärte den Sachverhalt auch gerade also, wie er nun hier in Kürze angeführt ward.

12. Als Raphael mit der natürlich nur oberflächlichen Erklärung der zuerst enthüllten Perle zu Ende war, sagte er: „Was euch vorderhand not tut, habe ich euch nun in Kürze so verständlich als möglich gesagt; gehen wir nun zur Enthüllung der zweiten Perle über, die etwas kleiner sein wird denn die erste!“

13. Hier nahm der Engel die zweite Perle und befreite sie auf die frühere Art und Weise von ihrer Kruste. Auch sie war voller Zeichen und Schriften. Auf einer der glattesten Flächen war der kleine Tempel von Ja bu sim bil ganz gut eingraviert und daneben ein Kopf, ähnlich dem der großen Sphinx. Und der Engel ward abermals bestürmt, all diese Zeichen und Schriften zu erklären.

14. Und er (der Engel) sagte: „Freunde, ohne die volle Erwecktheit des Geistes in der Seele vermag das von den jetzt lebenden Menschen wohl niemand zu entwirren, was alles das besagt, was da auf dieser Perle geschrieben und gezeichnet ist!

15. Obwohl diese Perle so alt ist wie die erste und größte, so ist sie aber dennoch um hundert Jahre später also beschrieben und bezeichnet worden, und zwar um die Zeit der Beendigung des kleinen Felsentempels, in der aber das Innere des großen Tempels noch nicht völlig beendet war. Darum ist hier auch der kleine Tempel schon als völlig beendet dargestellt.

16. Der Kopf stellt den des damalig schon siebenten Hirtenkönigs dar, der sich den Namen Shivinz (irrig ,Sphinx‘) der Lebhafte, der Unternehmende, gab. Er hatte ein Alter von nahe dreihundert Jahren erreicht, und man hatte seinen Kopf höchst kolossal aus einem großen Granitfelsen gemeißelt, der noch heutzutage, ziemlich gut erhalten, zu sehen ist.

17. Dieser Shivinz hatte große Verbesserungen in den Schulen, wie auch in der Viehzucht und Landeskultur eingeführt und genoß von seinem Volke aber auch eine nahezu göttliche Verehrung. Die Zeichen und Schriften besagen aber eben das viele Gute, was er mit seinem höchst regen Geiste alles für Verbesserungen in diesem Lande eingeführt hatte.

18. Er hatte den großen Tempel nicht zu meißeln begonnen, denn das haben zwei seiner dem unsichtbaren Geiste Gottes sehr ergebene Vorfahren getan; aus großer Achtung aber ließ er sie unweit vom großen Tempel auf einer schönen Ebene in sitzender Stellung aus Stein in einer höchst kolossalen Größe meißeln und zum ewigen Gedenken nahe am Nile aufstellen. Und da die beiden keinen Namen hatten und auch aus purer Bescheidenheit irgendeinen Namen nicht führen wollten, so benannte er sie und gab ihnen den Namen ,Die Namenlosen‘ (ME MAINE ONI, schlecht in der späteren Zeit ,Memnon‘), welche beide Bildsäulen auch noch bis an den heutigen Tag recht gut erhalten zu sehen sind.“

19. Sagt der Anführer: „Ja, ja, das haben wir alles gesehen und hoch bewundert! Aber wie alt mögen nun diese außerordentlichen Sachen wohl sein?“

20. Sagte der Engel: „Nahe an dreitausend Jahre, und die nächstkommenden dreitausend Jahre werden ihre Spuren nicht ganz verwischen! – Wartet nun aber ein wenig, wir werden nun die dritte Perle enthüllen; an deren Oberfläche werdet ihr nebst den zwei Vorfahren des Shivinz schon als Statuen noch eine ganz andere große Denkwürdigkeit graviert ersehen, die euch sehr nachdenken machen wird!“

203. Kapitel. Das Geheimnis der dritten Perle: Die sieben Riesen und die Sarkophage.

1. Hier nahm Raphael die dritte Perle in die Hand und befreite sie von ihrer Kruste.

2. Als sie nun nackt da war, machte Raphael die vor Wißbegierde ordentlich Brennenden sogleich auf die ganz gut gravierten Memnonstatuen aufmerksam und sagte: „Sehet, da sind sie schon, die beiden Namenlosen! Aber da oberhalb erschauet ihr, als vor den Namenlosen, sieben riesige Figuren in bekleideter Menschengestalt, und um sie her erschauet ihr eine Menge ganz kleiner Menschenfigürlein! Was hat denn der weise Shivinz, der die Perlen alle eigenhändig gezeichnet hat, damit andeuten wollen?

3. Hört! Es ist in derselben Zeit, etwa hundertsieben Jahre vor dem ersten der zwei namenlosen Vorfahren, ein sehr großer Erdball im tiefen Schöpfungsraume durch die Zulassung des Herrn in viele Stücke zerstört worden. Gar viele und gar riesenhaft große Menschen bewohnten ihn.

4. Bei der plötzlichen, von niemand vorgesehenen Zerstörung, obwohl sie jenen Menschen zu öfteren Malen angekündigt ward, kam es, daß sieben von den erwähnten Erdballsmenschen in Oberägypten auf mehreren offenen Plätzen des großen Landes niederfielen und durch ihren schweren Fall eine sehr starke Erderschütterung verursachten.

5. Dieser Menschenregen dauerte über zehn Tage lang, das heißt vom Erstgefallenen bis zum Letzten. Die Bewohner des Landes haben dabei viel Angst und großen Schrecken zu bestehen gehabt; denn sie fürchteten sich besonders in der Nacht, daß ein solcher Riese über sie fallen und sie allesamt gar übel erdrücken werde. Darum starrten sie beklommensten Herzens stets den Himmel an, ob nicht wieder irgendein solcher ungeladener Gast ihnen aus den Wolken einen höchst unwillkommenen Besuch abstatten möchte.

6. Gut bei zehn Jahre lang wurden bleibende Wachen aufgestellt, um zu sehen, ob nicht wieder so ein ganz entsetzlicher Reisender aus der Luft ankäme; aber da davon nach den zehn Tagen keine Spur mehr zu entdecken war, so wurden die Gemüter der Menschen nach und nach wieder ruhiger, und sie wagten sich sogar zu den großen, ganz vertrockneten Riesenleichnamen, die bis zu ein viertel Tagereisen weit voneinander zerstreut herumlagen.

7. Die Weisen unter jenen Urmenschen Ägyptens meinten wohl, daß es die etwa vom Geiste Gottes bestraften Riesen eines großen, weit entlegenen Landes seien und gegen Gott gefrevelt haben dürften, und Gott habe sie dann in Seinem gerechten Zorne von der Erde durch Seine mächtigen Geister aufheben und hierher schmeißen lassen, um den Ägyptern zu zeigen, daß Er auch der mächtigsten Riesen nicht schone, so sie wider Seinen Willen handelten. Kurz und gut, man fing endlich gar an, diese toten Riesen stückweise zu verbrennen, und in fünfzig Jahren war von diesen toten Riesengästen keine Spur irgend mehr zu entdecken.

8. Was die Ägypter aber sich von diesen riesigsten Menschengestalten dennoch merkten, war das, daß sie aus den ihnen gar sehr im Gedächtnisse gebliebenen Riesen in einen kolossalen Sinn für alles übergingen, wovon ihre ersten Skulpturen mehr als einen handgreiflichen Beweis liefern.

9. Im Tempel zu Ja bu sim bil wurden in jeder der drei Abteilungen sieben Riesen als gewisserart Träger der Decke abgebildet, das heißt in Stein gehauen, und zwar in jener Tracht, in der die großen Reisenden aus der Luft angekommen sind; und die Ägypter, die vormals nahe ganz nackt herumwandelten, haben angefangen, sich auch in solcher Art zu kleiden, – aus welchem Grunde man denn auch bis auf den heutigen Tag alle die alten Überreste also bekleidet erschaut. Ihre Mumien und Sarkophage sind voll von derartigen Verzierungen.“

10. Fragt der Anführer, was denn die alten Ägypter so ganz eigentlich unter den Sarkophagen verstanden und warum sie die großen und auch kleineren sehr massiven Särge also benannt haben.

11. Sagt Raphael: „Das sollet ihr sogleich und ganz gründlich vernehmen! Ihr wißt, daß es mit dem Begraben der Leichname in diesem Lande zum größten Teile seine sehr geweisten Wege hat, da in dem trocknen Boden ein Leichnam schwerlich in eine Verwesung übergeht und die Fäulnis ihn nicht zerstören kann. In der feuchteren Nilnähe wollte man die Toten aus dem sehr weisen Grunde auch nicht begraben, um des Stromes Wasser nicht zu verunreinigen. Die Leichname also liegenlassen oder sie gar den Wildtieren zum Fraße vorwerfen, dazu waren besonders die alten Ägypter zu viel Mensch und achteten auch die Leichname der verstorbenen Brüder zu hoch, als daß sie ihnen eine solche Unehre hätten antun können. Was war denn aber sonst zu machen?

12. Seht, sie kamen auf einen sehr gescheiten Einfall! Sie meißelten aus Stein zum Teil sehr große und später aber auch ganz kleine Särge, in welchen höchstens ein, zwei bis drei Leichname ganz bequem Raum hatten. Ein jeder Sarg ward mit einem verhältnismäßig großen und schweren Deckel versehen. Wenn dann in einen solchen Sarg ein oder mehrere Leichen hineingelegt wurden, nachdem sie zuvor mit Mum (Muma, auch Mumie, = Erdharz, Erdbalsam) gut eingesalbt wurden, so ward dann der Deckel ganz glühheiß gemacht und der Sarg mit dem glühheißen Deckel sozusagen für ewige Zeiten zugedeckt. Dadurch wurden die Leichname im Sarge ganz vertrocknet und bei sehr erhitzten großen Deckeln manchmal auch ganz verkohlt oder gar bis zu Asche verbrannt.

13. Es gab in den größeren Orten und Gemeinden aber auch allgemeine Särge, die alle sieben Jahre wieder zum Teil aufgedeckt wurden. Diese wurden dann wieder mit Leichnamen nach und nach gefüllt und ganz zugedeckt, worauf dann über dem Deckel ein tüchtiges Feuer angemacht ward, wodurch die Leichname im großen Sarge natürlich zu Asche wurden. War ein solcher Sarg voll Asche, so ward er dann nicht mehr eröffnet, sondern blieb zum Gedächtnisse an die Vergänglichkeit alles Irdischen als ein verehrliches Monument stehen.

14. Mit der Zeit baute man Gewölbe und Pyramiden darüber, darum man noch heutzutage in der Gegend der Pyramiden eine Menge solcher Särge in manchmal sehr engen und manchmal in weiteren Gewölben (Kai-tu comba, das heißt verborgenes Gemach) findet. Diese nun euch klar beschriebenen Särge hat man denn darum Sarkophage genannt, weil nach der Urzunge der Ägypter Sarko ,glühend‘ und vaga (Vascha) ein ,Schwerdeckel‘ heißt.

15. Da hast du nun deine Sarkophage; aber nun schreiten wir zur Enthüllung der vierten Perle und wollen sehen, was uns diese alles enthüllen wird!“

204. Kapitel. Raphael erklärt die Sternbilder auf der vierten Perle.

1. Der Engel nimmt sie ganz behutsam in die Hand und entkrustet sie.

2. Hier fragt der Anführer den Engel und sagt: „O Wunderjunge, du dienstbarer Finger des Allerhöchsten, sei nicht ungehalten, so ich dich mit einer Zwischenfrage belästige! Siehe, mich drückt bei deiner sonstigen Wundermacht der Hammer! Ist er dir abolut notwendig, oder bedienest du dich dessen bloß nur, um dich uns in einer größeren Natürlichkeit zu zeigen, auf daß wir dir etwa furchtloser und ruhiger zusehen und zuhören mögen!“

3. Sagt der Engel: „Keines von beiden, – sondern das tue ich bloß darum nur, um euch zu zeigen, wie ihr bei ähnlichen Vorkommnissen mit solchen Steinen zu verfahren haben sollet, um sie zu enthüllen, so ihr irgend wieder welche vorfinden dürftet! Denn besonders in Ober- und Mittelägypten finden sich eine große Menge solcher inkrustierter Steine vor, und zwar in die Wüsten hin höchst verstreut; freilich werden solcher Perlen wenige mehr darunter sein. Aber auch die andern Steine sind mit allerlei Zeichen, Schriften und Abbildungen versehen; denn die alten Ägypter hatten noch lange kein Papier zum Schreiben. Darum wurden Steinflächen benutzt, um gar anfangs mit beinernen und später mit ehernen Griffeln allerlei zum Gedächtnisse hineinzugraben.

4. Die urersten Aufzeichnungen haben freilich wohl wenig anderes aufzuweisen als die ganz einfachen Begebenheiten ihrer Herden; aber die späteren enthalten dann schon, so wie diese Perlen, große und bedeutungsvolle Begebenheiten, nicht nur für dieses große Land und Volk, sondern gleich für die ganze Erde. Denn der Herr wollte es, daß dieses Land eine ganz tüchtige Vorschule für Seine Darniederkunft sei, darum Er denn auch Sein innigst erwähltes Volk, die Hebraemiten in eine lange anhaltende Schule nach Ägypten gesandt hat. Und Moses, der große Prophet des Herrn, hatte im Horn des Kahi (Kahiro), in Theben (Thebai, auch Thebsai, = Narren-Haus, später freilich eine große, volkreiche Stadt), in Kar nag zu Korak und in den ältesten Städten Memphis, Diathira (Dia daira = Ort des Frondienstes) und zu Elephantine (El ei fanti = die Nachkommen der Kinder Gottes) seine Schulen durchgemacht und ward vom Geiste Gottes zu einer höchsten Weihe erst in einem Alter von siebenundfünfzig Jahren zum Madan über den Sues, als flüchtig vor einem grausamen Varion (Pharao), geführt, von wo aus ihr seine spätere Geschichte in der Schrift lesen könnet.

5. Kurz, Ägypten war also von Gott aus zu einer Vorschule bestimmt, und die Bewohner dieses ältest bewohnten Landes der Erde waren schon vor ururalters mit vieler Weisheit begabt und trieben auch Handel und Wandel mit nahezu allen besseren Völkern der Erde. Ihr werdet es nun auch begreifen, wie und warum eben in diesem Lande alles, was da vorgefunden wird, eine oft sehr tiefgreifende Bedeutung hat.

6. Und nun zu unserer enthüllten vierten Perle!

7. Da erschauen wir mehrere Abgebilde von Jägern mit Köcher, Bogen und Pfeil und eine große Herde, die von Löwen umgeben ist. Dies bedeutet einen großen Kampf der Ägypter mit den Löwen, die zu Zeiten in großer Anzahl die fetten Herden Ägyptens heimsuchten.

8. Und seht, mehr rechts von dieser Szene ersehet ihr die Triften schon mit Mauern umfangen, und auf ihnen liegen Stierköpfe, mit den Hörnern bald auf-, bald ab- und bald seitwärts gewendet, was alles darauf hindeutet, daß die Herden vor den gewaltigen Einfriedungen der großen Weidetriften stets in großer Gefahr ganz wehrlos sich befunden haben. In den Ecken der Mauern ersehet ihr auch einen großen Hund, wie zum Kampfe bereit, bald stehen, bald liegen; sein Name, den diesem wachsamen Tiere die alten Ägypter gaben, heißt Pas, auch Pastshier (Hüter der Weide).

9. Hier, noch weiter rechts, ersehet ihr wieder den Hirtenkönig Shivinz (Sphinx), an seiner Seite einen riesenhaft großen Hund, und vor dem Hunde mehrere Stücke von dem Löwen. Noch mehr rechts aber, mehr in der Höhe, ersehen wir denselben Hund, unter ihm das Bild der Sonne und des Mondes. Was besagt das?

10. Hört! Unser Shivinz hatte als ein König der Hirten im Ernste einen der größten Hunde, vor dem kein Löwe und kein Panther seines Lebens sicher war. Dieser Hund hütete lange Zeit die Herden des Shivinz. Als aber mit der Weile der Hund durch sein Alter umstand (verendete), bestimmte Shivinz, aus Achtung und zum Andenken, sich dieses Tier mit einem Sternenbilde am südlichen Himmel allzeit zu versinnbildlichen. Er benannte das Sternbild mit dem bestimmenden Namen des großen Hundes, der jahrelang des Königs Herde treu gehütet hatte. Daß der König seinen Hund unter die Sterne versetzte, ist daraus ersichtlich, daß unter des Hundes Bauche Sonne und Mond ersichtlich werden. Alles, wo unterhalb Sonne und Mond ersichtlich stehen, befindet sich unter den Sternen sinnbildlich zum Andenken an etwas von großer und gewichtiger Bedeutung.

11. Ein sehr großer und wachsamer Hund ist heutzutage – besonders hierzulande, wo es nahezu gar keine reißenden Tiere gibt – wohl nicht von irgendeiner besonderen Bedeutung; aber im alten Ägypten, wo es ganze Herden von reißenden Bestien gab und teilweise noch gibt, war ein großer, starker und mutiger Hund ein überaus großes Bedürfnis. Denn fürs erste war ein solcher Hund der treueste Hüter der Herden. Seine Erhaltung war eine ganz leichte, weil diese große Hunderasse sich gewöhnlich von den unzählbar vielen Erdmäusen, an denen dies Land noch nie einen Mangel gehabt hatte, nährte; auch fraßen sie die großen Heuschrecken in einem Tage zu Tausenden. Nur einmal des Tages bekamen sie etwas Milch, und das machte, daß sie der Herde getreu blieben.

12. Nebst den großen Hunden aber waren bei den alten Ägyptern auch eine Art kleinerer Hunde gut gelitten; ihr Name war Mal pas (kleiner Hund). Das waren die Lärmmacher; Poroshit heißt nach der alten Zunge ,Zeichen-‘ oder ,Lärmmacher‘. Wenn etwas Fremdes sich einem Hause oder einer Herde nahte, so fingen die kleinen Hunde schon an zu bellen; das machte die großen aufmerksam, und diese fingen dann mit ihrem gewaltigen Gebelle an, die Gegend für die wilden Bestien mit Respekt zu erfüllen, worauf sich diese auch zurückzuziehen begannen.

13. Die kleinen Hunde waren vielfach auch Hüter der Hühner und der Brut, wozu sie eigens abgerichtet wurden. Das alles war eine Erfindung des Shivinz, der diese Vögel erst zu gar nützlichen Haustieren gemacht und den Ägyptern gezeigt hatte, wie gut ihr Fleisch und wie gar gut ihre gebratenen und gekochten Eier schmecken. So lehrte er die damals schon sehr großzählig gewordenen Einwohner dieses großen Landes neue Nährmittel und neue Herden kennen, deren Braten und Eier später gar nur zu gut schmeckten, – ansonst nicht späterhin einmal ein ordentlicher Hühnerkrieg ausgebrochen wäre, dessen sogar der griechische Geschichtsschreiber Herodot mythischer Weise erwähnt.

14. Unser Shivinz, der den großen Hund an den Himmel heftete, verschaffte auch dem kleinen eine Stelle unter den Sternen und gab ihm den Namen Porishion (Prozion). In seiner Nähe befindet sich die alte Kokla (Gluckhenne); später hat dies Sternbild auch den Namen Peleada, auch Peleadza, und unter einer falschen Sage der Griechen von den Griechen den Namen Plejaden erhalten.

15. Hier ganz zuoberst an der Perle sehet ihr auch das ganz gut aufgezeichnet und könnet daraus erkennen, was unser Shivinz für ein heller Kopf war. Ihm war es nicht so sehr darum zu tun, um durch die leicht erkennbaren Sternbilder seine Hunde und Gluckhühner seinen Jüngern stets ins Gedächtnis zu rufen, sondern sie nach den Sternen den Gang der Zeit kennen zu lehren.

16. Der Shivinz war es auch, der zu Diadaira (Diathira) den ersten Zodiacus (Sa diazc = für die Arbeiter) errichtet hatte, ihn am Firmamente zuerst erfand und den Sternbildern nach den gleichzeitigen Erscheinungen und Landesvorkommnissen den Namen gab, wie wir solches sogleich an der enthüllten fünften Perle sehen werden!

205. Kapitel. Die Einteilung der Zeit auf der fünften Perle.

1. (Raphael:) „Gebet nun recht acht; da ist schon die fünfte Perle! Wie man derlei aufgefundene Urzeitreliquien zu benützen hat und eigentlich wie zu enthüllen, habe ich euch nun schon gezeigt, und so will ich die noch übrigen drei bloß durch meine Willensmacht enthüllen, und sehet, – da haben wir schon die fünfte Perle enthüllt vor uns!

2. Sehet gleich hier einen Zodiacus von Diathira vor uns auf der Perle schönster und größter Fläche gezeichnet! Da ist ein kolossaler Tempel; 365 Säulen von der massivsten Art tragen einen ebenso massiven Bogen aus rötlichen Granitquadern, überaus baukunstgerecht und höchst fest konstruiert. Die höchste Bogenspannung ist vom Boden bei 66 Mannslängen hoch erhoben. Der ganze Bogen hat genau 365 Öffnungen, die genau so angebracht sind, daß während der Dauer eines Himmelszeichens, unter dem die Sonne sich befindet, ihr Licht auf den Mittelpunkt einer in der Mitte des Tempels aufrecht stehenden Säule genau um die Mitte des Tages fallen mußte. Das Licht durch die anderen fiel zwar auch auf den Altar zu den verschiedenen Tageszeiten, ging aber schon nimmer durch den Mittelpunkt, sondern einen oder mehrere Grade seitwärts.

3. Dieser äußerst sinnreich konstruierte Bogen besteht auch noch heutigentags, wenngleich durch den Zahn der Zeit etwas zernagt, und wird noch lange bestehen und den Sternkundigen zur Richtschnur dienen.

4. Ihr fraget, zu welchem Nutzen denn so ganz eigentlich der große Shivinz diesen Bogen sicher mit der größten Mühe von der Welt aufgestellt habe? – Vordem bestand keine bestimmte Zeiteinteilung. Das wenige Kürzer- oder Längerwerden des Tages merkte man kaum. Der Mond war noch der sicherste und verläßlichste Zeiteinteiler. Zu Diathira, als der Stadt der aus Zucht gemüßigten Arbeiter, mußte man eine bestimmte Zeiteinteilung haben bei Tag- wie zur Nachtzeit, und zu dem Behufe und der genaueren Ordnung halber hatte unser Shivinz denn auch diesen Bogen gemacht, hatte daran aber zehn volle Jahre hindurch mit hunderttausend Arbeitern zu tun gehabt.

5. Der Bogen war natürlich sehr breit, und zu je 30 und 31 Rundöffnungen mit dem Symbole eines der zwölf Himmelszeichen bemalt, über welchem gewöhnlich rotem Gemälde die Sterngruppe weiß und ganz getreu aufgetragen war. Ihr sehet hier auf der Perle das Innere des Bogens ganz gut mit feinen Linien, die dann mit einer dunkelroten Farbe eingerieben wurden, gezeichnet, und ihr könnet euch nun wohl vorstellen, welch ein geweckter Geist unser Shivinz war, und welch eine unbegrenzte Achtung die Völker Ägyptens vor ihm hatten! Die Folge davon aber war auch eine derartige, daß er nur zu winken brauchte, und Hunderttausende von Menschen fingen an, sich mit aller Energie zu regen, und ein großartigstes Werk wurde dem Boden der Erde entzaubert!

6. Die Weisesten aus dem Volke machte er zu Lehrern und Priestern und errichtete allenthalben Schulen für alle möglichen Fächer des menschlich nützlichen Tun und Treibens. Die höchste Gottesgelehrtheit aber war nur in Kar nag zu Korak und am Ende zu Ja bu sim bil im geheimen durch viele und harte Proben zu gewinnen.“

7. Hier fragte der alte Wirt Markus, den Engel in seiner Erklärung unterbrechend: „Höchst lieblichster Freund, weil du schon einmal in der Enthüllung deiner Perlen begriffen stehest, möchtest du uns denn nicht auch erklären, was es denn mit jener höchst sonderbaren Sphinx für eine Bewandtnis hat, die als Halbweib und als Halbtier den Menschen das berühmte Rätsel stets auf Leben und Tod aufgab: was nämlich das für ein Tier sei, das morgens auf allen vier, mittags auf zwei und abends auf drei Füßen einhergehe? Wer das Rätsel nicht zu lösen vermochte, wurde von der Rätselsphinx getötet; wer es aber lösen würde, von dem werde sich die Sphinx töten lassen! – Ist daran wohl etwas faktisch Wahres oder nicht?“

206. Kapitel. Das Rätsel der sechsten Perle: die Darstellung der Pyramiden, Obelisten und der Sphinx.

1. Sagt Raphael: „Siehe da, diese sechste Perle wird dir deine Frage beantworten! Dahier hast du sie enthüllt; was erschauest du auf den ersten Blick?“

2. Sagt Markus: „Da sehe ich abermals das kolossale Ebenbild des Shivinz und etliche Pyramiden; vor der größten stehen zwei Spitzsäulen, Oubeliske genannt, und seitwärts der großen Pyramide, in der Wirklichkeit vielleicht ein paar hundert Schritte entfernt, was man aus dem Bilde wohl kaum bestimmen kann, ist ebenfalls wieder eine ziemlich kolossale Statue ersichtlich. Diese hat einen Weibskopf, weibliche Hände und eine weibliche, starke Brust. Wo die Brust aufhört, an der Stelle des Bauches, fängt ein ganz unbestimmbarer Tierleib an. Hinter dieser sonderbaren Statue ist weit gedehnt eine Kreismauer, durch die eine große Weidetrift eingeschlossen ist. Das scheint ein Ganzes und Zusammengehörendes auszumachen. – Was besagt das alles?“

3. Sagt Raphael: „Das kolossale Brustbild ist eben der Shivinz, das das Volk, um den großen Wohltäter zu ehren, aus eigenem Antriebe von den besten Meißlern und auch Maurern auf höchst eigene Kosten hat ausführen lassen. Die große Pyramide mit den zwei Obelisken war ein ,Mensch, erkenne dich selbst!‘-Schulhaus. Sie hatte im Innern große Gemächer und weithin laufende Gänge nach allen Richtungen, in denen allerlei sonderbare Einrichtungen für die Selbsterkenntnis und daraus für die Erkenntnis des allerhöchsten Geistes Gottes sich vorfanden. Die Einrichtungen sahen mitunter gar grausam aus; aber sie verfehlten nur äußerst selten ihren Zweck. Die andern Pyramiden sind zumeist nur Zeichen jener unterirdischen Stellen, allwo sich eine Menge Sarkovage befanden, die übermauert worden sind, wie solches schon ehedem gezeigt wurde.

4. In dieser Zeit aber finden sich im weiten und überaus langen Niltale noch eine Menge von Pyramiden und allerlei Tempeln vor, die viel später unter den Pharaonen zu Abrahams, Isaaks und Jakobs Zeiten entstanden sind; von denen ist hier nicht die Rede, sondern allein von jenen nur, die unter Shivinz gebaut wurden.

5. Piramidai war der eigentliche Urname und besagte soviel als: ,Gib mir Weisheit!‘, und die beiden Spitzsäulen besagten mit dem Namen Oubeloiska: ,Der Reine sucht das Erhabene, Schöne, Reine‘. ,Belo‘ hieße eigentlich ,weiß‘; aber weil die ganz weiße Farbe bei den alten Ägyptern als ein Zeichen des Reinen, Erhabenen und Schönen galt, so bezeichnete man damit auch das Erhabene, Reine und Schöne.

6. Die gute Wirkung solcher Schulen wurde bald weit und breit ruchbar, und es kamen bald Fremde zum Besuche solcher Schulen, und derer waren so viele, daß sie nicht untergebracht und versorgt werden konnten. Da ersann unser Shivinz in seiner letzten Regierungszeit ein etwas ominöses Mittel, um die Fremden abzuhalten, damit sie nicht zu häufig kämen zum Besuche der von ihm errichteten Schulen. Worin bestand aber eben dieses Mittel?

7. Hier auf dieser Perle seht ihr die halb menschliche und halb tierische Statue. Sie war hohl, und inwendig konnte ein Mensch auf einer Wendeltreppe in ihren Kopf gelangen und aus dem Munde der Statue, der nach abwärts trichterförmig ausgehöhlt war, ganz stark und wohl vernehmlich reden, und es hatte der starken Stimme wegen auch den Anschein, als hätte im Ernste die kolossale Statue geredet.

8. Wenn nun die Fremden dahin kamen und in die Schule aufgenommen zu werden verlangten, so wurden sie von einem Diener dieser Statue darauf aufmerksam gemacht, daß sie sich vor die erhabene Statue, die außen tot, aber inwendig lebendig sei, auf einen bestimmten Platz hinzustellen hätten, und zwar einer nach dem andern. Da bekam ein jeder, der ein Jünger der Pyramiden werden wollte, von dem erhabenen Shivinz eine rätselhafte Frage auf Leben und Tod. Hatte der Befragte das Rätsel gelöst, so wurde er aufgenommen, und es war ihm mit der Aufnahme das Gegenrecht erteilt, auch der Statue eine Gegenfrage zu stellen und im Falle, so die Statue ihm keine befriedigende Antwort zu geben imstande wäre, dieselbe zu zerstören und gewisserart zu ermorden.

9. Die Frage aber ward drei Tage vorher den Klienten zum Nachdenken bekanntgegeben; am dritten Tage aber, wo sie dieselbe Frage aus dem Munde der Statue auf Leben und Tod zu bekommen hatten, ließ es sicher keiner darauf ankommen, sondern zog sich ganz bescheiden zurück, zahlte die verlangte Vorfragetaxe und reiste in seine oft sehr ferne Heimat.

10. In eine spätere Zeit fallend, sagt eine Mythe, daß es einem Griechen gelungen sei, das alte Rätsel zu lösen; allein dies ist mit hunderttausend anderen wohl eine Fabel und entbehrt jeder Wahrheit! Denn das berühmte Rätsel hat Moses gelöst, aber darum die Statue nicht zerstört, indem auch diese Statue, wenn auch etwas zernagt durch den Zahn der Zeit, noch heutigentags zu sehen ist.

11. Freilich kann nun die innere Einrichtung nicht mehr aufgefunden werden, weil sie ganz versandet und verschlammt ist; denn der Nil tritt gewöhnlich alle hundert, manchmal auch nach zweihundert Jahren ganz ungewöhnlich stark aus, so daß er in den engeren Talgegenden seine Wogen über dreißig Ellen hoch über den gewöhnlichen Wasserstand hinwegtreibt. Dadurch wird vieles verwüstet und unbrauchbar gemacht, weil da eine Menge Gerölles und Sandes und Schlammes über die früher schönsten Fluren abgelagert wird.

12. Es hat nach der Zeit des Shivinz zwei Nilfluten gegeben, deren Wogen hoch über die Spitzen der Pyramiden hinwegtrieben. Eine solche Flut fand auch, von jetzt an gerechnet, vor 870 Jahren statt, durch die der Tempel von Ja bu sim bil nahezu bis zur Hälfte versandet und verschlammt worden ist, und man hat ihn und viele andere Denkmäler seit der Zeit nicht mehr ganz vom Sande und Schlamme zu reinigen vermocht. Und so steht es nun auch mit unserer rätselhaften Statue; sie ist inwendig voll verhärteten Schlammes und Sandes, den wohl niemand mehr ausräumen dürfte! So, mein lieber Markus, verhält es sich in Wahrheit mit der rätselhaften Sphinx! – Bist du nun darüber im klaren?“

13. Sagt Markus: „Hat es denn wohl im Verlaufe von etwa tausend Jahren kein Beherzter gewagt, sich auf Kosten seines Lebens von der Sphinx das bekannte Rätsel vorsagen zu lassen? Und so er es getan hätte, was wäre ihm begegnet, wenn er ganz begreiflichermaßen das Rätsel nicht gelöst hätte?“

14. Sagt Raphael: „Da war auf dem Platze, auf den der Befragte zu stehen kam, eine Versenkung angebracht, mittels welcher er in einen Brunnen schnell hinabzuversenken gewesen wäre; und wäre er einmal unten, da hätten ihn dann etliche Diener ergriffen, ihn durch unterirdische Gänge wegen seines Mutes, wenn er auch das Rätsel unrichtig gelöst hatte, in die Schule gebracht, von der er nicht eher weggekommen wäre, als bis er ein vollendeter Mensch geworden wäre. Aber es ist nie dazu gekommen; und zu den Zeiten, als das Rätsel gelöst wurde, war diese uralte Einrichtung schon derart verschlammt und versandet, daß sie völlig unbrauchbar war, und die ersten Hirtenkönige und ihr Volk sind bis dahin schon lange von einem phönizischen Volke gewisserart besiegt worden, und die Varaonen selbst zu Abrahams Zeiten waren schon Phönizier.

15. Nun weißt du auch darüber einen kurzen Bescheid, und wir gehen nun darum zur Enthüllung der siebenten und letzten Perle über!

207. Kapitel. Die Sternbilder der siebenten Perle. Der Verfall der ägyptischen Kultur. Die Geschichte der sieben Perlen.

1. (Raphael:) „Sehet, da ist sie schon! Was erschauet ihr darauf? – Ihr erschauet wohl etwas, aber ihr kennet euch dabei nicht aus; es sind auf dieser sehr schönen Perle alle die Sternbilder gezeichnet, und mit einer braunroten Farbe eingerieben, und sie blieben unter der Kruste bis zur heutigen Stunde wohl erhalten.

2. Aus dieser Perle lernen wir sonst nicht vieles und gar zu Besonderes; aber das entnehmen wir immerhin daraus, daß unser Shivinz sich am gestirnten Himmel auskannte und er ganz sicher der erste war, der die Sternbilder in ein gewisses System gebracht hat. Und wie er die Sternbilder benamste, so werden sie noch bis auf die heutige Stunde benamst!

3. Vor seiner Leitung sah es bei den alten Ägyptern noch so ziemlich mager aus, sowohl mit dem Zeichnen und dem daraus hervorgegangenen Schreiben, als auch mit einer richtigen Erkenntnis seiner selbst, und noch magerer mit der Erkenntnis Gottes. Aber unser Shivinz hat mit vieler, unsäglicher Mühe das alles geordnet und aus dem früheren wilden Nomadenvolke eines der gebildetsten und weisesten Völker der ganzen Erde gemacht, was ihm freilich mit der Zeit viele Neider erzeugte. Denn die Fremden fanden nur zu bald ein zu großes Wohlgefallen an solch einer großartigsten Landes- und Volkskultur; alles, was sie ansahen, kam ihnen gar himmlisch wundersam vor, so daß sie sich, einmal dahin gelangt, nicht mehr davon trennen konnten.

4. Je mehr dahin zu wallfahrten anfingen, desto mehr siedelten sich auch mit der Zeit da an, und so geschah die erste Unterjochung der Urvölker und ihrer Regenten zumeist auf einem ganz friedlichen Wege.

5. Die Nachkommen des Shivinz wurden stets zartere und verweichlichtere Menschen, ließen sich's gut geschehen, pochten auf den Ruhm ihres Ahnvaters und ließen das Regierungsgeschäft einen guten Mann sein. Die Folge davon war, daß dann bald und leicht die eingewanderten Fremden, die da sehr viel Haare auf den Zähnen hatten, von den Eingeborenen sogar zu Leitern und Führern erwählt und eingesetzt wurden, und das alles ohne Schwert.

6. Das war zwar in einer Hinsicht ganz gut und recht, aber die Ureingeborenen haben bei diesem Wechsel dennoch nicht gar zuviel gewonnen. Denn die fremden Hüter (Varion; schlecht Pharaon) bildeten nur zu bald eine bewaffnete Macht und wurden zu wahren Tyrannen und Volksbedrückern. Die Schulen wurden nur wenigen mehr zugänglich, und was da noch gelehrt wurde, war himmelweit verschieden von dem früher Gelehrten, warum und aus welchem Grunde sich dann auch bald aus der vormals reinsten Wahrheit die absurdesten Götzereien, verbunden mit der dicksten Finsternis, herausgebildet haben, hinter denen die Urkultur dieses Landes wohl kaum – selbst für große Weise – herauszufinden war.

7. Es sind darum diese sieben Perlen von einem so unschätzbar großen Werte, weil sie noch aus einer Zeit stammen, in der Ägypten in seiner höchsten geistigen Blüte stand, und sie können darum nicht gut genug aufbewahrt werden!“

8. Fragt der Mohren einer, bei welcher Gelegenheit diese Perlen denn hernach in den Sand des Nils gekommen seien und sich in des Stromes Sand verloren hätten.

9. Sagt Raphael: „Habe ich euch ja doch gezeigt, wie der Nilstrom in gewissen Zeiten zu einer wahren Sündflut anwächst! Ungefähr 567 Jahre nach Shivinz bekam unser Nil eine rätselhafte Höhe; in den Engen ging er über hundertsechzig Ellen über seinen gewöhnlichen Wasserstand. Alle mehr in der Taltiefe liegenden Städte waren von der Flut auf fünf Wochen gänzlich überspült, und bei dieser Gelegenheit wurden die Perlen samt den Häusern, in denen sie aufbewahrt waren, von der Gewalt der Wogen fortgetragen und gleich den Quadern, aus denen die Gebäude erbaut waren, vom Schlamme und Sande bedeckt.

10. In den nahe dreitausend Jahren ihres Begrabenseins hat sich denn auch eine solche Kruste herumgebildet, wie ihr sie gefunden habt, und von welcher ich sie nun vor euch anfangs auf eine ganz natürliche und nun später auf die mir mögliche wunderbare Art enthüllt habe.

11. Nun wisset ihr auch dies und habt an diesen sieben Perlen sieben Bücher, die euch nun und für alle Zeiten eine ganz tüchtige Belehrung über das Land, welches zum Teil auch ihr bewohnet, geben können und auch immer geben werden. Bewahret sie darum wohl auf; denn da ist eine jede dieser Perlen viel mehr denn ein großes Königreich wert!

12. Vorderhand soll sie der Oubratouvishar, als der offenbar Weiseste aus euch, in die Verwahrung nehmen; und wird er einst diese Erde verlassen, so soll er bestimmen, wer fürderhin würdig sein soll, diesen unermeßlichen Schatz in die Verwahrung zu nehmen. Wehe einem Unwürdigen, der sich etwa aus Habsucht seiner bemächtigen wollte!

13. Ich, als ein Bote und Willensausrichter Dessen, der dort sitzet, glaube zur Belebung eures Glaubens nun des Wunderbaren zur Genüge getan zu haben; genügete euch das noch nicht, so würde euch ein mehreres und weiteres auch nicht genügen! Glaubet ihr nun, daß jener dort Sitzende Der ist, für den der große Shivinz und seine zwei Vorfahren den großen Felsentempel von Ja bu sim bil errichtet haben?“

14. Sagen alle: „Ja, ja, ja, dir, du wundermächtiger Bote des Herrn, sei es hiermit vollends bestätigt aus dem tiefsten Grunde unseres Lebens!“

15. Mit dem verließ sie der Engel, und Cyrenius fragte Mich, ob diese eigentlich ganz rein historische Darstellung Ägyptens denn im Bereiche des Evangeliums aus Meinem Munde auch eine Notwendigkeit sei.

16. Und Ich sagte zu ihm: „Eine der größten! Denn es werden nach mehreren Jahrhunderten Forscher aller Art aufstehen und dies Land klein durchsuchen, und sie werden vieles noch vorfinden, von dem nun durch des Raphael Mund die Rede war. Das wird sie sehr verwirren, wie es euch und schon eure nächsten Nachkommen auch sehr verwirren würde; aber diese vollwahre Offenbarung wird euch auch hierin in allem zurechtweisen. In der späteren Zeit aber werde Ich schon wieder Männer erwecken, die den Menschen, den Suchenden und Forschenden, diese alten Rätsel abermals enthüllen werden. – Nun aber wollen wir selbst zu ihnen hinübergehen und ihnen geben das wahre Evangelium aus den Himmeln.“

17. Wir erhoben uns nun und gingen zu den Mohren, die unser harreten.

208. Kapitel. Die Sitten der Nubier und die Sitten der Weißen.

1. Wir standen nun endlich, als eben die schöne Morgensonne ihren natürlichen Lichtglanz wieder annahm, von unserem Tische auf und begaben uns schnell zu den Mohren hin. Als Ich hinkam, erhoben sich alle von ihrem langen Tische und machten vor Mir ihre ehrfurchtsvollste Verbeugung mit quer über ihre Brust gelegten Händen.

2. Und der Anführer sagte mit gut galiläisch-hebräischer Zunge: „Herr, Herr, Herr! Nun ist kein Ungläubiger mehr unter uns! Jedes Wort aus Deinem heiligsten Munde wird für uns eine nie ermeßbar große Gnade Deiner wahrhaftigsten Freundlichkeit und Erbarmung sein für alle Zeiten der Zeiten, ja für die Ewigkeit!

3. So Du, ewig Heiligster, uns Schwarzhäute einer näheren Belehrung über uns und unsere Pflichten und dann auch über Dein Wesen für würdig hältst, so beglücke uns nur mit einigen Worten aus Deinem Munde, und wir werden uns dadurch für alle Zeiten der Zeiten auch noch in unseren spätesten Nachkommen für überglücklich fühlen, Dich als den Schöpfer und Herrn aller Sinnen- und Geisterwelt gesehen und gesprochen zu haben!

4. Jener Lichtglanz, den ich in meinen Gesichten schaute als eine ewige Lebensglorie um Dein heiliges Wesen, ist nun ersichtlich in Deiner großen Liebe, Freundlichkeit, und in Deiner Weisheit, die ihresgleichen nicht hat in der ganzen Unendlichkeit.

5. Wir sind nun als willige Lämmer, wenn auch mit schwarzer Wolle bewachsen; aber wie die schwarze Farbe sicher mehr Lichtes und der Wärme in sich aufnimmt als die weiße – darum wir auch weiße Kleider tragen, um die Überfülle des Lichtes und der Wärme von uns hintanzuhalten –, so glaube ich auch, daß wir Schwarzhäute auch das heilige Licht Deines Geistes tiefer und heftiger in unser Gemüt aufnehmen werden denn gar viele, deren Fleisch in eine weiße Haut gehüllt ist, aber ihr Gemüt des Geistes Licht ärger abstößt, denn unsere weißen Kleider das Naturlicht und dessen Wärme, wie wir solche Beispiele genug im großen Memphis angetroffen haben, die der Oberste ,bewegliche Lebensschatten‘ genannt hat. Diese leben gleich den Tagesfliegen, die der Morgen erschafft und der Abend wiederum tötet.

6. Wir haben zwar auch nichts, dessen wir uns vor Dir, o Herr, rühmen könnten; aber das wissen wir doch, daß wir nicht mehr als Menschen sind, und daß wir alle Werke eines und desselben Schöpfers sind und uns daher auch nie einbilden können, daß einer vor dem andern etwas voraus hat, als wäre er im Ernste irgendein herrschender Halbgott, wie wir solches bei den Weißen gesehen haben, wo sich einer als ein Herr dünkte und alle andern sich bis zur Erde vor ihm beugen mußten, und die es nicht taten, sogleich mit Ruten gezüchtigt wurden. Herr, diese Tugend der Weißen gefiel uns durchaus nicht, und es schaut in solcher Zucht sehr wenig von irgendeiner Weisheit heraus!

7. Wir schlagen unsere Kinder nie, auch kein Tier; aber wir haben Geduld und Ausharrung und üben unsere Kinder beständig in allem, was wir als gut, wahr und notwendig erkannt haben. Werden unsere Kinder dann groß, kräftig und verständig, so behandeln wir sie nicht mehr als unsere zeitlebigen Sklaven, sondern als unsere mit uns ganz ebenbürtigen Brüder und Menschen, die gleich uns Eltern mit allen Lebensrechten aus der Hand Gottes hervorgegangen sind. Und dennoch lieben uns unsere Kinder überaus, und nie versündigt sich irgend ein Sohn oder eine Tochter je gegen Vater und Mutter!

8. Bei den Weißen sahen wir die Kinder aus Furcht kriechen und gleich Hunden winseln vor dem strengen Angesichte ihrer Eltern! Man hätte da auf den Glauben kommen sollen, daß auf diese Weise Engel erzogen werden. Wie aber dann solche Kinder bei Gelegenheiten aus den Augen der Eltern gerieten, da waren sie ausgewechselt und hätten ganz bequem für Jünger der Teufel gehalten werden können, wie wir von derselben bösesten Anwesenheit in den argen Klüften der Erde vom Obersten in Memphis Kunde erhalten haben. – Für solch eine Zucht der Menschen möchten wir uns für ewige Zeiten bedanken!“

209. Kapitel. Verstandes- und Gemütsbildung.

1. (Oubratouvishar:) „Bei uns besteht eine wahre Zucht darin, daß wir zuerst das Gemüt unserer Kinder soviel als möglich nach unserer Art und Weise veredeln; und ist das Gemüt einmal in der Ordnung, so bekommt dann auch der Verstand diejenige Bildung, die wir selbst besitzen. Aber die Weißen fangen an, ihre Kinder, sobald sie nur zu lallen anfangen, beim Verstande zu bilden, und meinen, wenn das Kind nur einmal einen vollkommen ausgebildeten Verstand habe, so werde dann schon dieser für das Gemüt Sorge tragen!

2. O Herr, wie dumm die vielen Weißen in dieser Hinsicht doch sind, daß sie das nicht einsehen, daß ein vorausgebildeter Verstand stets ein Mörder des Gemütes ist! Denn der pure Verstand macht das Kind einbilderisch und hochmütig; wo aber Einbildung, Eigendünkel und Hochmut einmal das Gemüt in den Besitz genommen haben, da soll dann nur jemand versuchen, dasselbe umzugestalten, und er wird sich ehest überzeugen, daß sich ein alter, krummgewachsener Baum nimmer gerade machen läßt.

3. Wir haben bei uns keine Gerichte, keine Gerichtshäuser und keine Gefängnisse und keine Kerker, aber auch keine anderen Gesetze als die, die ein wohlgebildetes Gemüt dem Menschen vorschreibt. Darum aber gibt es bei uns keine uns irgend bekannte Sünde und kein irgendeinen Namen habendes Verbrechen und somit auch keine Strafe, denn wie ein jeder von uns für sich denkt, geradeso und eher noch besser denkt er für seine Nebenmenschen.

4. Bei den weißen Verstandesmenschen aber haben wir gerade das Gegenteil gefunden. Nahe die meisten halten nur auf sich alles und auf die Nebenmenschen nur so viel, als sie der Selbstsucht des einen irgend nützen können. Sieht der selbstsüchtige Eine, daß ein oder der andere Nebenmensch keinen Nutzen schaffen kann oder will, so ist dem einen jedes Tier lieber denn ein solcher Nebenmensch!

5. Bei uns aber schätzt man den Menschen zuerst als Menschen. Kann ein Nächster mir nichts nützen, so kann doch ich ihm nützen, und so hebt sich das auf. Ich habe auch einen Diener; aber ich habe ihn nicht durch was immer mir zu dienen gedungen, sondern es ist das sein vollkommen freier Wille. Wir dienen uns gegenseitig sicher mehr, als sich je die Weißen gedient haben um den elenden Verpflichtungssold; aber keines Menschen Wille ist durch irgendein äußeres Mittel zum Sklaven eines andern gemacht worden, sondern was er tut, das tut er frei und vollkommen ungebunden!

6. Wir haben darum keine Paläste und große, gemauerte Wohnhäuser, sondern ganz einfache Hütten von ganz gleichem Aussehen. Wer da noch keine hat und hat auch nicht Raum, in einer oder der andern Hütte untergebracht zu werden, der muß sich nicht etwa selbst aus seinen Kräften und Mitteln eine neue Hütte erbauen oder zu einer weit entlegenen Gemeinde darum betteln gehen, sondern wir erbauen ihm freiwillig aus Liebe und Achtung vor seiner uns ganz gleichen Menschheit sogleich eine gleiche, wie die unsrigen sind; und so besteht Friede und Einigkeit stets im gleichen Maße unter uns.

7. Diese unsere Hausordnung ist den Weißen, soviel wir sie leider kennen gelernt haben, ganz fremd, und einige haben sie uns ins Gesicht geradewegs als eine aller Kultur widerstrebende Narrheit erklärt. Aber wie ist es denn hernach, daß unserem Einwillen alle Tiere und sogar die Elemente gehorchen, während die Weißen bei aller ihrer Verstandeskultur sich keiner Löwenherde nahen dürfen?! Wehe dem verwegensten Kämpfer mit dem Schwerte! Er soll es nur versuchen; schon ein Löwe wird es ihm zeigen, daß er sein und nicht der Kämpfer des Löwen Herr ist!

8. Wir aber können unter Löwen und Panthern umhergehen wie unter unseren Kamelen, Rindern und Schafen und Ziegen und wissen um keinen Fall, daß sich eine solche Bestie je an einem Menschen vergriffen hätte, – aber auch an unseren Herden nie; denn sie bekommen deren Fleisch erst dann zum Fraße, wenn Tiere unserer höchst zahlreichen Herden vor Alter umgestanden (verendet) sind. Da hat eine jede Gemeinde in einer gewissen Ferne einen Ort, an den sie nahezu täglich ein oder auch mehrere umgestandene Tiere hinbringt, und da kommen dann auch gleich die scharfzähnigen Kostgänger und verzehren die toten Tiere samt Haut und Haaren und Knochen. Denn niemand bei uns ißt ein Fleisch, außer das der Fische und der Hühner, solange sie noch jung und mürbe sind; die alten werden auch den wilden Tieren überlassen.

9. Was vermag ein Weißer, so er ins Wasser gefallen ist, bei aller seiner Verstandesbildung? Er sinkt unter und ertrinkt! Wir aber können, wann und wo wir wollen, über einen Wasserspiegel ebenso hinwegwandeln wie über ein trockenes Land. Nur so es jemand will, kann er auch untertauchen; aber es kostet ihn so etwas stets eine rechte Mühe und Anstrengung.

10. Alle Schlangen, die da giftig sind, fliehen unsere Nähe; Mäuse und Heuschrecken haben wir erst in Ägypten kennengelernt; die bösen Ameisen scheuen unsere Nähe und unsere Hühner, und Geier und Adler sättigen sich mit dem Fleische krepierter Löwen, Panther und Füchse.

11. Und so scheint bei uns Schwarzen bis jetzt noch eine solche Ordnung zu bestehen, wie sie unter Menschen, welcher Hautfarbe sie auch seien, nach dem Willen des Schöpfers von Uranbeginn sicher bestand und hatte bestehen müssen; denn wäre das erste Menschenpaar in der schlechten Ordnung der gegenwärtigen Weißhautmenschen auf diese Erde gesetzt worden, so möchte ich denn doch wissen, wie es sich gegen den Anfall von allerlei wilden und reißenden Tieren verteidigt hätte!

12. Denn bevor das erste Menschenpaar diese Erde betrat, hat es von allerlei reißenden und grimmigen Tieren gewimmelt, wie uns solches der weise Oberste in Memphis ganz klar gezeigt hat. Wäre also das erste Menschenpaar nach der Lehre des Obersten so schwach in allen seinen Lebenselementen gewesen, wie da nun sind die jetzigen Weißhäute, wie oftmals wären denn sie von ganzen Herden der wildesten Bestien zerrissen und aufgefressen worden?! Sie hätten nur in den massivsten ehernen Kleidern und mit den schärfsten Waffen versehen, als überaus kräftige Riesen, etwa gleich jenen, die vor Shivinz Ägypten heimgesucht haben, aus der Luft auf diese Erde kommen müssen, so sie es in natürlicher Kraft mit diesen Bestien hätten aufnehmen wollen, – und selbst da hätten sie noch genug zu tun bekommen, um mit den riesenhaften Ungeheuern einen Kampf glücklich zu bestehen!

13. Aber wenn die Urmenschen dieser Erde mit all ihren inneren Lebenselementen uns glichen, dann natürlich bedurften sie keiner Waffen und waren mit ihrer Gemütskraft Herren und Regenten aller Tier-, Pflanzen- und Elementenwelt!

14. Ich meine denn, weil wir alle also sind, so dürften einige Deiner an uns gerichteten Worte des Lebens in unserem Leben ganz tiefe Wurzeln fassen! Und gibst Du, o Herr, uns irgend Gesetze oder Regeln des Lebens, so werden wir sicher ganz streng danach leben; denn darauf verstehen wir uns, eine einmal als gut und wahr erkannte Ordnung zu halten, wie vielleicht nur selten einer der Weißen.

15. Da wir denn nun schon das außerordentliche Glück haben – das selbst Deinen größten Engeln ein Wunder aller Wunder sein muß –, bei Dir, o Herr, Du Ewiger, Du Schöpfer aller Geister- und Sinnenwelt, zu sein, so bitten wir Dich durch meinen Mund, eines Herzens und in allem vollkommen eines Sinnes, zu all dem Wunderbaren, das wir hier in kürzester Frist zu Gesichte bekamen, noch das Wunder hinzuzufügen, daß Du mit uns einige Worte reden möchtest!“

210. Kapitel. Der Zweck der Menschwerdung Jesu. Die Mohren als Zeugen wahren Menschentums.

1. Sage Ich: „Nicht nur einige, sondern noch gar viele Worte werde Ich nun an euch richten! Ich werde euch keine neuen Gesetze geben, sondern nur bekräftigen die alten, die schon seit dem Beginne der Zeiten eures Seins Ich selbst in euer Herz mit unverwüstbarer Schrift eingegraben habe.

2. Ich bin eigentlich und hauptsächlich darum in diese Welt gekommen, um die gänzlich entartete und aus aller Meiner ursprünglichen Ordnung getretene Menschheit wieder durch Lehre, Beispiele und Taten auf denjenigen Urzustand zurückzuführen, in welchem die ersten Menschen als wahre Herren aller andern Kreatur sich befanden.

3. Diese Menschen mit heller Hautfarbe bedürfen sonach sehr Meiner Lehre und Meiner Taten, auf daß sie erkennen, wer Der ist, der sie lehret, und was Er will. Ihr aber befindet euch noch in dem herrlichen Urzustande. Eure Lebensschule fängt mit den rechten Mitteln auch am rechten Orte an. Ihr fanget den Menschen dort zuerst als Menschen zu bilden an, wo er zuerst und vor allem gebildet werden muß, und dies sollen in der Folge die Weißen auch; denn Ich zeige ihnen nun den Weg dazu.

4. Aber es wird noch vieler Mühen, Lehren und Taten und Zeiten bedürfen, bis diese Weißen dahin kommen werden, wo ihr nun stehet. Sie sind die Verirrten, Verkehrten und Verlorenen, die zurechtgebracht werden müssen; sie sind krank und bedürfen darum des Arztes, der sie heilen kann.

5. Ich hätte ja zu euch auch kommen können, da ihr nun doch ums unvergleichbare besser seid denn die Weißen; aber ihr habt Meiner Hinkunft zu euch noch nie bedurft. Aber Ich bedurfte nun euer als Zeugen Meiner Urordnung hier und ließ euch durch Meinen Willen also leiten und am Ende sogar drängen hierherzukommen, damit diese Weißen sehen sollen, was der Mensch in seinem unverdorbenen Urzustande ist und sein soll.

6. Darum aber werdet ihr nun vor diesen Menschen einige Proben eures noch ganz echten Urmenschentums zur Belehrung dieser eurer vielen blinden und noch sehr verkehrten Brüder ablegen! Es gibt schon einige darunter, die der Vollendung sehr nahe sind; aber keiner von ihnen ist als Mensch so weit wie irgend der Geringste von euch! – Wollet ihr Mir zuliebe das tun?“

7. Sagt Oubratouvishar: „O Herr, dessen Liebe, Güte und Erbarmung schon jetzt auch jene Räume der Unendlichkeit erfüllet, in denen erst nach verlaufenen Ewigkeiten neue Schöpfungen Deinen allerheiligsten Namen in tiefster Zerknirschung preisen werden, was sollten wir nicht sogleich mit der größten Ergebung in Deinen heiligsten Willen tun wollen? Alles, alles! O Herr, gebiete nur über uns!“

8. Sage Ich: „Nun denn, so zeiget zuerst eure urmenschliche Herrlichkeit über das Element des Wassers und wandelt auf dessen Oberfläche wie auf einem trockenen, festen Boden, und zeiget auch eure große Behendigkeit auf dem feuchten Felde!“

9. Sogleich berief der Anführer bei sechzig an der Zahl seiner kohlschwarzen Gefährten und fragte Mich, ob es deren genug seien. Ich bejahte, und die sechzig beiderlei Geschlechts begaben sich an das Meer und wandelten auf der Oberfläche desselben also fort wie zuvor auf trockenem Boden. Am Ende machten sie einige Ausgleitevolutionen und schossen mit einer solchen Schnelligkeit auf der ziemlich ruhigen Oberfläche umher, daß sie keine Schwalbe auch im schnellsten Stoßfluge eingeholt hätte. In einigen Augenblicken waren sie schon so weit von uns entfernt, daß wir sie nicht mehr erschauen konnten, und kamen in eben wieder einigen Augenblicken mit einem orkanähnlichen Gebrause ganz nahe ans Ufer.

10. Dem Cyrenius stiegen ordentlich die Haare zu Berge, als die sechzig wie geschleudert dem Ufer zuschossen; sie kamen aber dennoch dem Gestade nur auf fünfzig Schritte nahe und blieben da plötzlich stehen. Nur der Anführer ging zu Mir her aufs Land ganz leichten Atems und fragte Mich, ob sie noch mehrere Produktionen auf dem Wasser anstellen sollten.

211. Kapitel. Die Herrschaft der Mohren über das Wasser.

1. Sagte Ich: „Noch etwas weniges, das ihr kennet, zum Beispiel was ihr während eines flammenheißen Windzuges auf dem Wasser tut, und wie ihr Fische fanget!“

2. Der Anführer begibt sich schnellst wieder zu den sechzig und gibt ihnen Meinen Wunsch kund, und auf einmal fallen alle auf ihre Angesichter, respektive aufs Wasser, und liegen einige Augenblicke so ruhig wie trockene Stücke Holz auf demselben. Bald darauf aber werden sie sehr unruhig und fangen an, sich ganz ausgestreckt und überaus schnell um ihre Achse zu drehen.

3. (Der Herr:) „Dieses geschieht darum, daß sie stets gehörig naß an allen Körperteilen verbleiben, um vom glühenden Kamb'sim (Wohin fliehe ich?) nicht verbrannt und gebraten oder zu Asche verbrannt zu werden; denn der Kamb'sim (auch Kam beshim = ,Wohin fliehe ich nun?‘) ist wohl der bei weitem heißeste Wind der Wüsten Nubiens und Abessiniens. Der Samum (,fürs Pech‘ = der Wind zum Erdpech schmelzen machen) ist bei weitem nicht so heiß wie der Kamb'sim. Noch weniger heiß ist der Giroukou (der über die Weiden her wehende Südostwind), der in Memphis, weil über die gerade in solcher Richtung von der Stadt aus gelegenen großen Weiden Giri herkommend, schon im grauesten Altertume also benannt worden ist. Aber so warm waren beide Winde außer dem Kamb'sim, daß sich die Menschen in die feuchten Höhlen vor ihnen zurückzogen.

4. Was sie nun machen auf dem Wasser, das tun sie nur bei Gelegenheit des Kamb'sim; und geht er lange, und nimmt er an Heftigkeit zu, dann erst fangen sie an, unters Wasser zu tauchen, also wie sie es nun zeigen. Aber sie können nie zu lange unterm Wasser verbleiben, weil ihre starke Innen- und Außenlebenssphäre ihren Leib spezifisch leichter macht, als da ist das Wasser.

5. Nun aber sitzen sie auf dem Wasser und werden uns in dieser Stellung zeigen, wie sie Fische fangen! Seht, durch die starke Macht ihres Willens treiben sie die Fische von weit her zu sich! Diese nehmen sie mit der Hand aus dem Wasser und legen deren nach ihrem Bedarf in ihre aufgebogenen Vortücher, die sie stets um ihre Lenden gebunden tragen, und fahren damit in der sitzenden Stellung schnell ans Ufer. Ihre Segel und ihre Ruder bestehen allein in ihrem Wollen; sobald sie auf dem Wasser eine Bewegung schnellerer Art machen wollen, so wollen sie das in aller ihrer ungezweifelten Glaubensfestigkeit, – und es geht alles, wie sie es wollen!

6. Seht, nun haben sie schon gefischt und werden nun damit, in dieser ihrer sitzenden Stellung über des Wassers Oberfläche fahrend, pfeilschnell hier am Ufer sein! Seht, nun fahren sie schon ab und sind aber auch schon am Ufer! Sie stehen nun schnell auf und tragen ihre Beute zu uns her.

7. Markus, sage es deinen Söhnen, daß sie die vielen und sehr edlen Fische sogleich versorgen mit Wasser, sonst stehen sie ab!“

8. Als die Schwarzen die Vortücher voll lebender Fische zu uns bringen, führt sie Markus selbst an einen Fischbehälter, in den sie ihre Fische, bei etlichen hundert an der Zahl, hineinlassen. Sie begeben sich darauf schnell wieder zu Mir hin.

9. Und der Anführer richtet sogleich folgende Worte an die Weißen und sagt: „Das, ihr weißen Brüder, was wir nun ausführten, scheint euch ganz fremd und noch nie dagewesen zu sein? Allein es ist bei uns ganz einfachen Naturmenschen alles das, was wir nun vor euch auf dem Wasser machten, etwas so ganz Natürliches wie bei euch das Schauen, das Hören, das Riechen, Schmecken und Fühlen.

10. Der seelisch verhärtete und verkehrte Mensch wird auch dem Leibe nach um vieles schwerer und gleicht stets mehr und mehr einem Steine, der auf dem Wasser nicht schwimmend bleibt, weil er schwerer ist denn das Wasser. Wir aber gleichen dem Holze, dessen innere Lebensgeister schon um vieles freier sind denn jene stark gerichteten was immer für eines Steines.

11. Habet acht, lasset einen Gemütsmenschen, der aber keinen Hochmut und keine herrschgierige Eigenliebe in seiner Brust gefühlt hat, herkommen; er soll sich dem Wasser überlassen, und ich stehe dafür, daß er nicht untergehen wird! Stellet aber daneben auch einen herrschsüchtigen und sehr selbstliebischen Menschen auf das flüchtige Element, und er wird untergehen wie ein Stein! Er müßte nur sehr fett sein – was bei sehr Selbstsüchtigen wohl schwerlich je der Fall ist –, da würde ihn dann das Fett eine Zeitlang so ziemlich bis allenfalls zwei Drittel seines Leibes – das heißt, wenn er sehr gemästet fett wäre! – über dem Wasser erhalten; aber im gewöhnlichen Fleischstande sinkt er unter wie ein Stein.

12. Bei uns gilt das Wasser darum auch als eine gute Probe für die innere Echtheit eines Menschen. Den das Wasser nicht mehr so recht füglich trägt, dessen Gemüt hat sicher irgendeinen Schaden erlitten, und es wird ihm das Element nicht freundlich sein und ihm nicht jeden erwünschten Dienst erweisen. Wie wir nun aber sicher mit der ersichtlichsten Ungezwungenheit uns auf dem Wasser umherbewegten und auch gezeigt haben, daß die Tiere im Wasser unserem Willen untertan sind vom Anbeginne unseres Seins, so war es auch bei und mit den Urmenschen der Fall. Für sie waren Ströme, Seen und sogar das Meer kein Hindernis, über die ganze Erde hinzuwandeln; sie benötigten weder der Schiffe noch der Brücken. Ihr aber werdet oft samt euren Schiffen und Brücken vom Wasser verschlungen, und nicht eine Wassermücke gehorcht eurem Willen! Wie weit entfernt seid ihr demnach von der echten Menschheit!

13. Ihr müßt allerlei Waffen haben, um einen Feind in die Flucht zu schlagen; wir haben uns deren noch niemals bedient. Bis auf diese Zeit hatten wir auch nicht ein anderes als nur ein beinernes Schneidewerkzeug, durch dessen Hilfe wir uns unsere Hütten und unsere Kleider auf eine ziemlich mühsame Art bereiteten; aber darum gingen wir doch nie völlig nackt einher, und unsere Mühe ist uns noch nie sauer geworden. Wenn wir von euch die nötigsten Werkzeuge mitbekommen werden, so werden wir uns deren aus desto gesteigerter Nächstenliebe bedienen; aber als irgendeine Waffe werden sie uns nie Dienste leisten, dessen ihr ganz versichert sein könnet!

14. Nun aber machet ihr eine Probe auf dem Wasser, und zeiget, wie lebenstüchtig ihr schon seid!“

15. Es rauchte diese Sprache ganz heimlich den Römern wohl so ein wenig in die Nase, aber sie drückten es, wie man sagt, so ganz gutwillig hinab.

212. Kapitel. Die Herrschaft der Mohren über die Tiere.

1. Der Anführer aber fragte Mich, ob sie noch etwas den weißen Menschen Ungewöhnliches leisten sollten.

2. Sagte Ich: „Ja, Meine lieben, alten Freunde! Seht dort oben, etwa fünftausend Schritte gen Mittag hin am Meere ersehet ihr einen Hügel, der gegen das Meer sehr steil abfällt. Dieser ist ganz durchwühlt von sehr giftigen Schlangen und Nattern, und ihr sollet Mir diese Bestien vertreiben! Wir alle werden euch dahin geleiten!“

3. Sagt der Anführer: „Herr, Du Allmächtiger! Wenn es sich nur um die Vertreibung handelt, da kostet es Dich ja nur einen Gedanken, und der Hügel ist frei von all dem Geschmeiße für alle Zeiten der Zeiten; aber so es sich auch hier nur um ein Beispiel handelt, welche Kraft in der echten Urmenschheit verborgen ist, so tun wir das wie alles nach Deinem höchst heiligsten Willen!“

4. Sage Ich: „Es versteht sich ja von selbst, daß Ich das nur des Beispieles wegen von euch verlange; darum gehen wir!“

5. Wir brachen auf und bewegten uns ganz schnell zu dem beschriebenen Hügel und erreichten denselben nach einer halben Stunde Zeit. Dort angelangt, ward der ziemlich ausgedehnte Hügel ganz lebendig von lauter Schlangen und Nattern; es entstand da ein Gezische und ein nahe unerträgliches Gepfeife, daß man darob kaum sein Wort verstehen konnte. Alle diese vielen tausend Bestien eilten ins Meer und schwammen pfeilschnell über das weite Wassergewoge, und in wenigen Augenblicken war der Hügel rein.

6. Der Anführer aber trat zu Mir hin und sagte: „Herr, alle Schlangen und Nattern, von den ältesten bis auf die erst aus dem Ei gekrochenen, sind fort; aber noch einmal so viele stecken in den Eiern! Wer wird diese aus den vielen Löchern und inneren Nestern holen? Denn kommen diese nicht auch heraus, so ist in einem halben Jahre dieser Hügel von neuem ebenso belebt, wie er bis jetzt war! Wer wird den Hügel dann reinigen?“

7. Sage Ich: „Habt ihr denn gar kein Mittel, auch diese zu vertilgen?“

8. Sagt der Anführer: „Außer dem Ich nei maon (,Gift hat er keins‘) wissen wir alle um keines! Man müßte denn den ganzen Hügel lange überheizen. Dadurch wäre auf natürlichem Wege eine Zerstörung auch der Nester und Eier möglich. Aber der bessere Weg wäre natürlich Dein Wille oder auch der Deines Dieners! Wir aber besitzen vorderhand kein anderes Mittel; denn hier verbleiben, um durch unseren bleibenden Außenlebenskreis die Bestien zu ersticken, können wir nicht.“

9. Sage Ich: „Lasset das gut sein! Ihr habt euer Wunder schon geleistet, und mehr forderte Ich ja nicht von euch; das werde schon Ich in die Ordnung bringen! Da aber nun dieser Hügel frei ist von seiner bösen Einwohnerschaft, so wollen wir ihn besteigen, und ihr werdet uns noch einige Proben von eurer menschlichen Tüchtigkeit ablegen!“

10. Darauf bestiegen wir den Hügel, der auf seinem recht breiten Scheitel mindestens zweitausend Menschen aufnehmen konnte. Als wir auf der Höhe, etwa tausend Fuß über dem Wasserspiegel, uns befanden, da zog hoch in der Luft eine große und lange Reihe Kraniche.

11. Und Ich sagte zum Anführer: „Freund, sind euch auch diese Vögel noch untertan?“

12. Sagte der Anführer: „Dies ist uns ein fremdes, früher noch nie gesehenes Geschlecht; aber ich zweifle keinen Augenblick, daß auch diese unser Wollen verspüren und sich dann auch danach richten werden!“

13. Hier sah der Anführer seine Gefährten an und sagte: „Wollet mit mir, auf daß wir erfüllen des Herrn Willen!“

14. Sobald der Anführer solches ausgesprochen hatte, fingen die Kraniche an sich zu senken und waren in wenigen Augenblicken auf dem Hügel unter den Schwarzen; aber die Weißen mieden sie. Gleich darauf bedeutete der Anführer den Kranichen, weiterzufliegen, und sie flogen auf und davon.

15. Und es flogen abermals hoch in der Luft ein Paar Geier von riesiger Größe und fingen an, zu kreisen über unseren Häuptern.

16. Da sagte der Anführer zu den Weißen: „Rufet nun ihr es herab, das kreisende Paar!“

17. Sagt Cyrenius zum Anführer: „Aber wozu dieses denn doch ein wenig hochmütig aussehende Auffordern an uns? Denn du weißt es nun ja ohnehin, daß wir sehr verkehrt gewordenen Menschen solcher urmenschlichen Taten nicht mehr fähig sind! Erfülle du nur des Herrn Willen; für alles andere wird schon der Herr, und nach Seiner Lehre auch wir, nach Möglichkeit sorgen!“

18. Sagt der Anführer: „Du meinst, daß ich an euch Weiße die Aufforderung zur Herablockung der noch über uns schwebenden beiden Geier aus einer Art Selbsterhöhungsgefühl gemacht habe? Oh, mit solch einer Meinung von mir irrest du dich sehr! Ich machte an euch weiße Brüder die Aufforderung, um euch eurer großen Verkehrtheit, für die ihr am Ende freilich wenig oder nichts könnet, desto lebenstiefer zu erinnern, was da niemandem von euch etwas schaden kann!

19. Wie sollen wir uns denn unserer natürlichen Eigenschaften rühmen können?! Oder rühmet ihr euch eurer Sehe oder eures Gehöres irgendwann?! Denn könnten wir je stolz auf unsere euch wunderbar scheinenden Eigenschaften werden, so besäßen wir sie schon lange nicht mehr; weil aber das bei uns etwas Unmögliches ist, so besitzen wir unsere wunderbar scheinenden Eigenschaften gleich fort und fort, wovon ihr Weißen sogleich wieder einen neuen Beweis haben sollet! – Herab mit euch, ihr beiden Luftbewohner!“

20. Als der Anführer solches ganz laut ausgesprochen hatte, schossen die beiden mächtigen Lämmergeier wie Pfeile herab und setzten sich mit aller Zartheit und sichtlicher Freundlichkeit, als wären sie von einem Menageristen bestens gebändigt, auf die rechte Hand des Anführers.

21. Es flog in dem Augenblick eine Elster vorüber, und der Anführer gebot einem Geier, sie unbeschädigt zu fangen und ihm zu überbringen. Wie ein Pfeil schoß der riesige Geier der schnell flatternden Elster nach und brachte sie in wenigen Augenblicken wiederkehrend und nicht irgend davonfliegend. Die schreiende Elster hielt der Geier in einer seiner gewaltigen Krallen zwar sehr fest, ohne sie jedoch irgend verwundet zu haben, und ließ sie erst dann los, als der Anführer sie angefaßt hatte. Darauf streichelte dieser die beiden Geier und entließ sie dann wieder, worauf die beiden großen Raubvögel sich sehr schnell wieder sehr hoch in der Luft befanden und nach einem für sie fetten Raube spähten.

22. Die Elster aber gab der Schwarze dem Cyrenius zum Andenken an diese Tat, die dem Oberstatthalter und auch allen anderen Römern und Juden sehr wunderbar vorkam.

23. Cyrenius übergab zur sorgsamen Pflege die Elster seinen beiden Töchtern, die anwesend waren, und sagte zu Mir: „Aber Herr, das geht ja rein ins Fabelhafte, was diese Schwarzen alles zu leisten imstande sind, – wenn Du nun heimlich nicht etwa Deinen allmächtigen Willen so ein wenig hast mitspielen lassen?!“

24. Sagte Ich: „Ich sagte es dir ja doch zuvor, daß Ich sie da ganz allein werde handeln und wirken lassen! Warum zweifelst du nun denn daran?! O gedulde dich nur; Ich werde sie schon noch einiges machen lassen, daß dir selbst darob ordentlich schwindlig werden soll!“

213. Kapitel. Die Herrschaft der Mohren über Pflanzen und Elemente.

1. Darauf berief Ich abermals den Oubratouvishar und sagte zu ihm: „Zeiget nun, wie ihr mit der Luft und ihrer Kraft vertraut seid; denn es ist im Anfange dem Menschen in seiner Reinheit gegeben worden auch eine Herrlichkeit über die Geister der Luft, auf daß sie ihm dienstbar wären in allen Fällen, da er ihres Dienstes benötigen würde! Zeiget sonach, inwieweit ihr noch mit dieser Urlebensfähigkeit ausgerüstet seid!“

2. Sogleich berief der Anführer zehn der Tüchtigsten seiner Gefährten und verlangte, daß sie ihre Hände auf ihn strecken und um ihn in einem Kreise also stehen sollten, daß je einer mit seinem rechten Fuße den linken Fuß des Nachbarn ganz gut decke. Solches geschah sogleich, und unser Anführer fing an, sich umzudrehen, verließ den Boden der Erde, schwebte nun völlig in der Luft, und zwar bei einer guten Mannslänge hoch über dem Erdboden.

3. In dieser Stellung fragte er Mich, ob er sich noch höher schwingen solle, oder ob dies zu einem Zeugnisse genüge.

4. Und Ich sagte: „Es genügt, darum tritt zurück!“

5. Sogleich traten die zehn auseinander, und der Anführer war schnell wieder am Boden, machte eine tiefste Verbeugung vor Mir und fragte Mich, ob er noch mehreres produzieren solle.

6. Und Ich sagte: „Wie entwurzelt ihr denn die Bäume, und wie schafft ihr große Steinmassen von der Stelle?“

7. Sagte der Anführer: „Herr, an sehr starken und großen Bäumen hat unser Land wohl einen bedeutenden Mangel; nur die höheren Berge können sich daran erfreuen. Allwo auf den Hochtriften, dahin der Kamb'sim nicht dringt, die Herden weiden, dort stehet hie und da ein alter Bohahania-Baum als gewöhnliche Wohnstätte der Affen. Hie und da findet man auch eine Zypresse und Myrthe, wilde Datteln und Bock- und Hühnerbrot. Darin besteht dann aber schon auch die ganze Baumvegetation unseres Landes.

8. In der Ebene und in den windabseitigen Landeswinkeln gedeiht nur die edle Dattel, die Feige, die Ouraniza (Pomeranze) und die Semenza (Samen- oder Granatapfel) und mehrere bedeutende Staudengattungen, die uns zu unseren Hütten das Baumaterial liefern.

9. Diese zu entwurzeln, dazu gehört wahrlich nichts besonders Außerordentliches von einer Kraftanstrengung; an den stärkeren Bäumen aber haben wir unsere Kräfte noch nie versucht, obwohl wir keinen Zweifel haben, daß sich auch diese gleich den schwersten und größten Felsstücken unserem Willen fügen müßten. Hier auf diesem Berge steht wohl ein gar gewaltiger Baum, um dessen Namen wir natürlich nicht wissen können, wie auch um seine sonstige Beschaffenheit nicht; aber wir wollen einen Versuch machen, ob er sich durch unsern Willen wird entwurzeln lassen wird oder nicht!“

10. Sagt der alte Markus: „Na, ganz gehorsamster Diener aller Herren der Erde! Das ist eine wenigstens fünfhundert Jahre alte Zeder! Sieben Männer dürften sie kaum umfassen, und vier sehr kräftige und geübte Holzknechte fällten diese Zeder in zwei Tagen kaum, und da gehen nun sechs Männer und sieben Weiber hin und wollen ohne Haue und Axt diesen Baum entwurzeln?! Na, diese Geschichte, wenn der Herr sie nicht heimlich mit Seinem allmächtigen Willen unterstützt, dürfte doch einmal etwas rar werden!“

11. Sage Ich: „Nur Geduld, Mein alter Krieger! Ich werde mit Meinem Willen auch diesmal ganz daheim verbleiben, und doch wird der Baum in kurzer Frist mit allen seinen Wurzeln dem Erdboden entrissen werden!“

12. Während Ich dem alten Markus aber diesen Bescheid erteilte, legten die Schwarzen ganz leicht ihre Hände um den Stamm, und zwar also, daß die rechte Hand eines Mohren stets die Linke seines Nachbarn oder seiner Nachbarin deckte. In solcher Stellung blieben sie etwa eine halbe Viertelstunde lang ganz ruhig am Baume stehen. Nach dieser Zeit fing der Baum an, sich anfangs ganz langsam zu drehen und krachte danebst ganz gewaltig. Da fingen alle Anwesenden an, im höchsten Grade zu erstaunen, und niemand verstand es, sich diese Erscheinung nur einigermaßen zu entziffern.

13. Als der Baum sich aber nun samt den dreizehn ihn ganz leicht Umklammernden stets mehr zu drehen begann, bemerkte man bald, daß er samt dem Erdballen und samt den ihn umklammernden Mohren sich schon ganz in der Luft herumdrehte. Da fingen mehrere, besonders die Weiber, förmlich an zu schreien; denn sie meinten, daß der nun umfallende Baum mehrere der Mohren zerquetschen werde.

14. Allein Ich sagte zu den Furchtsamen: „Fürchtet euch nicht; der Baum wird ganz sachte umgelegt werden und durch seinen Fall niemandem einen Schaden zufügen!“

15. Damit war alles beruhigt, und im selben Augenblick ließen die den Baum umklammernden Mohren sich aus, sprangen jählings vom Berge herab und liefen zu uns herüber. Im selben Augenblick fing der Baum in der Luft an hin und her zu schwanken, neigte sich endlich nach seinem natürlichen Schwerpunkte und legte sich nach einigen Augenblicken ganz sacht auf den Boden nieder.

16. Als der Baum auf diese Weise entwurzelt war, da zeigte Ich den Mohren noch einen Felsen, dessen Gewicht sicher fünftausend Zentner war, und sagte zum Anführer: „Jenen Felsen hebet auch hinweg und setzet ihn in selbiges Loch, das nun durch die Aushebung des Baumes entstanden ist!“

17. Schnell bewegten sich dieselben Mohren hin zum Felsen und umklammerten ihn auf dieselbe Weise wie zuvor den Baum. Noch eher als der Baum schwebte der Fels in der Luft. Freilich ward er seines größeren Umfanges wegen von etlichen Mohren mehr denn ehedem der Baum umfaßt; aber jeder sah es ein, daß zur Bemeisterung des Gewichtes dieses Felsens tausend der kräftigsten Menschen auch noch viel zu wenig gewesen wären.

18. In etwa einer ganz kleinen halben Viertelstunde stand der Fels schon mauerfest im für ihn bestimmten Loche, und die Mohren eilten darauf wieder zu uns herüber, und der Anführer fragte Mich, ob sie noch etwas tun sollten.

19. Ich aber tat, als dächte Ich über etwas nach, was dem Anführer gleich auffiel, und er zu mir sich also äußerte: „Oh, da wird wieder etwas Ungeheures herauskommen, weil Du Selbst zuvor mit Dir Rat hältst! Denn sonst waren wir der Meinung, daß einem Gotte schon von Ewigkeit alles überklar ist, was Er tun will!“

20. Sagte Ich: „O jawohl, das ist es auch! Aber ich gönnte euch nur eine kleine Ruhe; denn das, was ihr Mir noch tun werdet, ist stets euer zuwiderstes Geschäft, und ihr bedurftet nach zwei, eure äußere Außenlebenssphäre sehr in den vollsten Anspruch nehmenden Taten nun einer kleinen Ruhe. Ihr habt nun ausgeruht, und ihr sollet nun noch zeigen, wie ihr euch das Feuer bereitet, und wie ihr auch Herren dieses Elementes seid! Gehet und machet Feuer und zeiget darauf, daß ihr dessen Herren seid!“

21. Sogleich bildeten alle anwesenden Mohren um ein großes, aber schon seit langem ganz dürres Gebüsch einen Halbkreis und streckten ihre Hände und Finger strahlenförmig nach dem dürren Gebüsche aus. In wenigen Augenblicken fing das Gebüsch an zu rauchen; der Rauch wurde stärker und stärker, und auf einmal schlugen prasselnd lichterlohe Flammen auf. Als aber das ganze Gebüsch so recht in hoch aufschlagenden Flammen stand, legten sich alle Mohren in einem geschlossenen Kreise um das Feuer auf ihre Angesichter, und in einem Augenblick erlosch das Feuer derart, daß man von dem im ganzen zur Hälfte abgebrannten Gebüsch auch nicht ein glimmendes Fünklein mehr antreffen konnte.

22. Darauf kamen die Mohren wieder und fragten Mich, ob sie ihre Sache gut gemacht hätten. Und Ich gab ihnen das beste Zeugnis. Sie wollten nun von Mir gleich Worte der Belehrung für sie; aber Ich bedeutete ihnen, noch ein wenig zu warten, da Ich nun diese ihre Taten den Weißen erklären müßte. Damit waren die Mohren zufrieden, und wir begaben uns wieder an unsere Tische.

214. Kapitel. Die Selbsterkenntnis des Menschen.

1. Als Ich mit Meinen Jüngern, Römern und Griechen wieder an Meinem nun schon gewohnten Tische Platz nahm, trat der Anführer zu Mir hin und bat Mich, ob er mit einigen seiner Gefährten auch teil an Meinen Erklärungen nehmen dürfte.

2. Sagte Ich: „Ohne allen Anstand; denn ihr müßt ja euer Leben von nun an ganz vollkommen erkennen! Wohl seid ihr noch im Vollbesitze der urzeitlichen Lebenskraft der Menschen, noch seid ihr als Menschen, Mich erfreuend, vollkommene Herren der gesamten Natur – alles das liegt in eurem vollkommensten Vertrauen und eurem ungezweifelten Glauben und festesten Willen. Aber ihr kennet solch eure Kraft ebensowenig, wie jemand die Kraft kennt, die da in Bewegung setzt des Menschen Glieder und herumtreibt das Blut in den Adern und pulsen macht das Herz und nötigt die Lunge, zu atmen die Luft aus und ein nach dem Bedarfe fürs Leben und nach ihrer inneren Tätigkeit in bezug auf mehr oder weniger Wärme, die in ihr meistens durch größere oder mindere Tätigkeit der Leibesglieder im Blute erzeugt wird.

3. Also das sind doch tägliche Erfahrungen eines jeden Menschen, und doch versteht sie niemand, weil niemand sich selbst recht kennt; um wieviel weniger erst werden dann eure außerordentlichen Lebenseigenschaften begriffen, die offenbar tiefer liegen als bloß diejenigen, die in eurem leiblichen Organismus sich tätig äußern!

4. Aber so Ich euch die tieferliegenden erkläre, werdet ihr sie dennoch eher fassen, als wenn Ich euch erklärte des Leibes Organismus und dessen Zusammenhang mit der Seele. Solches ist auch eigentlich gar nicht zu erklären, weil die für euch nahe zahllose Vielheit der verschiedensten Organe schon mehr als Methusalems Alter, nahezu tausend Jahre, in Anspruch nehmen würde, um sie nur vom ersten bis zum letzten zu zählen, geschweige dann erst eines jeden Organs Sonderbeschaffenheit und Bestimmung einzusehen und die allgemeine Verbindung, die Wechselwirkung und tausenderlei Verschiedenes von einem einzelnen Organe kennenzulernen.

5. Zum Beispiel: Zwei Haare stehen fest nebeneinander. Da meinet ihr, daß sie die gleiche Behandlung brauchen, und sie würden umgetauscht auch wachsen. Bei den Haaren auf dem Menschenleibe geht das nicht an, als wie es da geht auf der Erde mit dem Übersetzen der Bäume, Gesträuche und Pflanzen! Ein Haar wächst mit dem ganz eigenen Organismus nur an der Stelle, da es vorkommt; an einer jeden andern Stelle würde es mit der besonderen Einrichtung seines Wurzelorganismus nicht fortkommen.

6. Im menschlichen Leibesorganismus besteht eine höchst ordnungsmäßige Gewähltheit und für euch kaum glaubliche Verschiedenheit. Um den organischen Bau des Menschenleibes einzusehen und zu wissen um jedes kleinste Atom und wohl zu erkennen den Grund des ,Also und nicht anders!‘, muß man im Geiste zuvor vollendet sein.

7. Wenn der Geist und die Seele eins geworden sind, dann beschauet die vollendete und lichtvolle Seele von innen heraus und hindurch ihren Leib, erkennt dann mit einem Blick den ganzen künstlichst eingerichteten Bau des Leibes und erinnert sich des Grundes und der Ursache eines jeden einzelnen noch so kleinsten Teiles eines Organs in ihrem Leibe und erkennt seine allerzweckmäßigste Einrichtung. Solange aber eine Seele ihre Lebensvollendung nicht erreicht hat, kann sie in tausend und abermals tausend Jahren nicht zur gründlichen Erkenntnis des Organismus ihres Leibes gelangen.

8. Aber ganz anders verhält es sich mit dem rein geistigen Vermögen einer Seele! Das kann ihr in allgemeinen Umrissen erläutert werden, und es ist auch also notwendig, daß sie das eher und leichter erkennen muß. Denn ohne diese praktische Erkenntnis könnte die Seele ja nie zu einer wahren Verbindung mit ihrem Geiste gelangen, ohne welche aber eine innere und tiefste Erkenntnis seiner selbst unmöglich ist.

9. Merket darum auf, wie Ich nun das rechte, ordnungsmäßige Urleben der ersten Menschen so klar als möglich vor euch erläutern werde!

215. Kapitel. Die Außenlebensphäre der menschlichen Seele und die Außenlichtsphäre der Sonne.

1. (Der Herr:) „Das, sage, erste Menschenpaar konnte von Mir unmöglich anders als nach der rechten Lebensordnung vollendet auf diese Erde gesetzt werden. Das Gemütsleben mußte als vollkommen ausgebildet in dieser Welt auftreten, um nicht schnell eine Beute von tausendmal tausend anderen feindlichen Kreaturen und Elementen zu werden.

2. Das eigentliche Ebensein mit Meinem urgöttlichen Sein war in dem ersten Menschenpaare schon als vollendet da und konnte darum die Herrlichkeit über die gesamte Kreatur vollst wirksam ausüben. Wie aber geschieht solche Wirkung? Höret!

3. Die im Gemüte vollkommene Seele ist persönlich zwar auch in der vollkommenen Menschenform im Leibe vorhanden; aber ihr Empfinden, Fühlen und Wollen gehet, gleichwie die Lichtstrahlen aus und von der Sonne, nach allen denkbaren Seiten weit und wirkend hinaus. Je näher an der Seele, desto intensiver und wirksamer ist denn auch der beständige Ausfluß des Denkens, Fühlens und Wollens.

4. Die Außenlichtsphäre der Sonne, in der sich diese Erde, der Mond und noch eine große Menge allerleiartiger anderer Weltkörper befinden, ist gewisserart die Außenlebenssphäre der Sonne, durch die alles, was in ihrem Bereiche sich befindet, zu einem bestimmten Naturleben erweckt wird. Alles muß sich da mehr oder weniger in die Ordnung der Sonne fügen, und diese ist dann ein Gesetzgeber und ein Herr aller andern Weltkörper, die sich nur irgendwo im Bereiche ihrer Lichtausstrahlung befinden.

5. Freilich kann man von der Sonne nicht sagen, daß sie denke und wolle; aber ihr Licht ist dennoch ein gar großer Gedanke, und des Lichtes Wärme ein gar fester Wille, – aber nicht von der Sonne, sondern von Mir ausgehend und wirkend durch das organische Wesen des Sonnenkörpers.

6. Je näher denn ein Weltkörper der Sonne ist, desto mehr muß er auch die lebenswirkende Kraft der Außenlebenssphäre der Sonne in sich wirkend und bestimmend wahrnehmen und muß sich fügen in alles das, was das Licht und die Wärme der Sonne in und auf ihm zeihen will.

7. Wie aber da die Sonne wirket auf den Weltkörpern Wunderbares bloß durch ihre Außenlebenssphäre, also auch eine unverdorbene und in ihrer ursprünglichen Art vollkommene Seele, die da ist voll Lebens, also voll Liebe, voll Glaubens und voll des festen Willens!

8. Eine solche Seele ist ganz Licht und Wärme und strahlet weithin aus, und diese Ausstrahlung bildet dann gleichfort ihre mächtige Außenlebenssphäre. Wie sich aber in der Außenlebenssphäre der Sonne Mein Wille als überall wunderbar wirkend ausspricht und keine Macht demselben widerstreben kann, ebenso spricht sich der Wille einer vollkommenen, unverdorbenen Seele, der – weil Meine Ordnung – auch Mein Wille ist, als wunderbar wirkend aus.

9. Wenn aber die Sonne durch Meine Zulassung ganz zerrüttet werden würde, zerstört in ihrem höchst kunstartig und weise geschaffenen großartigen Organismus und Mechanismus und ihre große Naturseele aller Naturseelen am Ende, ganz geängstigt und verkümmert, nichts zu tun und zu sorgen hätte, als ihren kleinzerrütteten Körperorganismus zurechtzubringen oder im ungünstigsten Falle gar zu verlassen und die großen Trümmer der höchst eigenen Auflösung zu überantworten, wie würde es dann mit der allbelebenden Außenlebenssphäre aussehen? Da würde gleich in ihrem Planetengebiete die größte Unordnung eintreten; alle Vegetation und alles Fleisches Leben hätte da ehest ein Ende!

10. Würden sich die Menschen auch noch eine Zeitlang mit den allerleiartigen Vorräten forthelfen, die ewige Nacht eine Weile erhellen mit Fackeln und Lampen und die Gemächer erwärmen mit dem auf der Erde vorrätigen Holze der Wälder, so würde das im günstigsten Falle bei den allervorratsreichsten Menschen dieser Erde höchstens zehn Jahre allerkümmerlichst andauern. Nach dieser Zeit aber wäre es dann schon aus mit allem vegetativen und kreatürlichen Leben auf der Erde. Alle Pflanzen würden nicht mehr wachsen und zeihen den lebendigen Samen; die Tiere fänden kein Futter mehr und müßten Hungers verenden und vor zu großer Kälte erstarren; die Erde selbst würde aus ihrer Bahn treten und dann entweder irgend mit einem andern Planeten zusammenstoßen, oder sie würde nach vielen tausend Jahren in das Lichtgebiet einer andern der zahllos vielen Sonnen hingelangen, in deren Licht und Wärme von neuem aufzutauen und in einer veränderten Ordnung wieder irgend langsam und nach und nach aufzuleben anfangen, aber in ihr jetziges, ganz glückliches, bestgeordnetes Sein sicher nimmer gelangen!

11. Das alles wäre Wirkung und Folge, so die Sonne in eine große oder gar größte Unordnung in ihrem Wesen geriete. Sie wäre nicht mehr Herr und Gesetzgeber für die vielen anderen, kleineren, sie umbahnenden Weltkörper. Diese würden, wie gesagt, bald selbst in eine gräßliche Unordnung geraten und zunächst der Sonne durch ihr mächtiges Fallen auf sie feindlich werden, was die Sonne nimmer verhindern könnte, weil sie nach außen hin gar keine wirkende Außenlebenskraft besäße, um die entfesselte Schwerkraft der Planeten entweder aufzuhalten oder sie wenigstens zu mäßigen.

12. Daß sich aber irgendeine, nur auf der großen Oberfläche, also nur auf der äußersten Haut der Sonne vorkommende, nicht füglich ganz vermeidbare und nur kurz dauernde örtliche Zerrüttetheit auch sogleich auf den Planeten unvorteilhaft äußert, das beweisen die nicht selten vorkommenden schwarzen Flecke, mit denen ihr dann und wann die auf- oder die untergehende Sonne behaftet gesehen habt. Sobald ihr solch einen Fleck nur wie einen Punkt groß erschauet, so dürfet ihr darauf rechnen, daß sich auf der Erde solch eine Unordnung auch bald stürmisch und böswetterig wird zu äußern anfangen.

13. Aber warum denn das? Ist die Sonne doch so weit von der Erde entfernt, daß ein scharf abgeschossener Pfeil nahezu fünfzig volle Jahre benötigen würde, um in die Sonne zu gelangen; was kann dann das der lebenskräftigen Erde machen, was in solch einer Entfernung auf dem Sonnenkörper geschieht?

14. Ja, das unmittelbar, was auf dem Sonnenkörper geschieht, würde auf der Erde wohl von gar keiner Wirkung sein; aber der schwarze Fleck ist auf der Sonne nicht so klein, wie er sich von dieser Erde her ausnehmen läßt! Dort in der Wirklichkeit ist er von einer um etliche tausend Male größeren Ausdehnung, als wie groß da ist die ganze Erde auf ihrer Oberfläche. Das bewirkt dann für die höchst sensitiven Lebensgeister der Erde schon einen fühlbaren Licht- und Wärmemangel. Sie werden sofort ängstlich und setzen sich in eine übermäßige Tätigkeit, und heulende Stürme, Wolken, Regen, Hagel und Schnee, zuweilen sogar in den heißen Ländern der Erde, sind die Folgen solch einer nur ganz geringsten Unordnung auf gewisserart nur einem Punkte der Sonne, weil die heimische Unordnung auch in der Sonne Außenlebenssphäre, die noch sehr weit über diese unsere Erde in den weiten Schöpfungsraum hinausreicht, übergeht und sich auf den Weltkörpern, die im Außenlebensbereiche der Sonne sich befinden, ebenso nachteilig äußern muß, wie sich sonst die ungestörte Licht- und Wärmeordnung der Sonne auch durch ihre Außenlebenssphäre auf den zur Sonne gehörigen Erdkörpern nur sehr wohltätig äußert.“

216. Kapitel. Vom Einfluß des menschlichen Charakters auf die Haustiere.

1. (Der Herr:) „Denket euch nun eine Menschenseele in ihrer ursprünglichen Unverdorbenheit als eine wahre Sonne unter allen den auch verschiedenartig beseelten und belebten Kreaturen, die sich alle der Menschenseele unterzuordnen haben, weil sie aus ihrer Außenlebenssphäre, wenn diese, gleich der Seele, in aller Ordnung ist, geistiges Lebenslicht und geistige Lebenswärme zur Vegetation ihrer weiter aufsteigenden Seelenlebenssphäre aufnehmen und dadurch sanft, duldsam und gehorsam gezeihet werden. Denn die Seelen der Pflanzen wie der Tiere haben ja die euch freilich noch sehr unbekannte Bestimmung, einst selbst zu Menschenseelen zu werden.

2. Die Pflanzen und noch mehr die Tiere sind nichts als nach Meiner Weisheit und Einsicht taugliche Vorgefäße zur Ansammlung und sukzessiven Ausbildung und Sich-Ergreifung der im unermeßlichen Schöpfungsraume – ihr könnet sagen – allgemeinen Naturseelenlebenskraft, aus der auch eure Seelen – ob ursprünglich auf dieser oder auch auf einer andern Erdenwelt, was nahe eins ist, herangebildet – herstammen. Diese Tierseelen empfinden einer ordentlichen Menschenseele Ausströmung und die daraus gebildete Sphäre des Außenlebenslichtes und der Außenlebenswärme.

3. In dieser vollkommenen Außenlebenssphäre gedeihen die Tiere, wie die Planeten im Lichte und in der Wärme der Sonne, und nicht eines Tieres Seele vermag sich da gegen den Willen einer vollkommenen Menschenseele zu erheben, sondern kreist bescheiden um diese wie ein Planet um die Sonne und bildet sich in solch geistigem Lichte und in dessen Wärme ganz vortrefflich für einen weiteren Übergang in die höhere Stufe aus.

4. Um das noch praktischer einzusehen, wollen wir bloß einige Haustiere und ihre Besitzer einer näheren Betrachtung unterziehen! Höret! Begeben wir uns zu einem hartherzigen und stolzen Besitzer hin und besehen im Geiste alle seine Haustiere! Seine Haushunde sind böser und wilder als die Wölfe der Wälder, seine Rinder scheu und zum Schrecken oft ganz gefährlich wild. Seine Schafe und Ziegen fliehen vor jeder Menschengestalt und lassen sich schwer fangen. Durch den Garten seiner Schweine, die er des Fettes wegen hegt, ist nicht ratsam zu gehen, um von deren völliger Wildheit nicht mörderisch angefallen zu werden. Die Hühner und anderes Hausgeflügel sind ebenfalls scheu und lassen sich schwer fangen. Auch mit seinen Eseln, Pferden, Kamelen und Zugochsen ist nicht ein sehr vertraulicher Umgang zu pflegen; denn da bemerkt man höchst wenig von irgendeiner Tierkultur. Nur durch ein immerwährendes wildes Geschrei und Gefluche und durch ein fortwährendes Schlagen, Stoßen und Stechen können sie zu für sie bestimmte Zugarbeiten verwendet werden, und da geschieht zumeist schier irgendein Unglück dabei!

5. Ja, warum sind denn bei unserem harten und stolzen Besitzer die Haustiere gar so roh und wild und so sehr ungeschmeidig? – Die Seele des Besitzers ist für sie eine in höchster Unordnung sich befindende Lebenssonne! Seine Diener und Knechte sind endlich bald wie ihr Herr, also auch schon von weitem keine Lebenssonnen für die eiskalt gewordenen Seelen ihrer ihnen zur Hut und Leitung übergebenen Tiere! Da schreit, flucht und schlägt ein jeder zu, was er nur kann! Wie sollten solch eines Besitzers Tiere in jener wohltuenden Verfassung sein, von der man sagen könnte, daß sie in der Ordnung sei?!

6. Gehen wir nun aber zu einem so echt altpatriarchalisch guten und weisen Besitzer von vielen und großen Herden und beobachten wir seine Haustiere! Welch ein kaum glaublicher Unterschied! Weder Rinder noch Schafe verlassen ihren guten Hirten! Nur ein einziger Ruf von ihm, und sie laufen in aller Hast zu ihm, umringen ihn und horchen förmlich mit einer sichtlichen Aufmerksamkeit, ob er ihnen etwas sagen werde! Und tut er das, so gehorchen sie und fügen sich wundersam dem Willen des guten Hirten, an dessen Seelenlichte sie sich nun wieder erquickt haben.

7. Das Kamel versteht seines guten Leiters leisesten Wink, und das mutige Pferd wird nicht scheu unter dem Sattel seines Reiters. Kurz und gut, alle Haustiere eines sanften und guten Hausherrn sind sanft, fügsam und hören auf die Stimme ihrer Hüter und ihres Herrn, und man merkt bei allen Tieren ebensoleicht eine gewisse Sanftmut, wie man es den edlen Bäumen auf den ersten Blick ankennt, daß sie edle Früchte tragen; denn da sind der Stamm, die Äste und das Laub ganz sanft gerundet, glatt und ohne scharfe Spitzen und Stacheln, und die Frucht hat einen lieblichen Geschmack.

8. Der Grund von allem dem sind, wie gesagt, eine oder mehrere gesunde, unverdorbene Seelen, aus deren lichter Wesenheit sich nach außen hin eine seelische Lichtsphäre ausbreitet, die alles das in sich enthält, was die Seele als Lebenselement in sich faßt, als: Liebe, Glauben, Vertrauen, Erkennen, Wollen und Gelingen.“

217. Kapitel. Die Vorteile der rechten Seelenbildung.

1. (Der Herr:) „Ist aber die Seele des Menschen in allerlei weltlich materielle Sorgen begraben, oder fängt sie an, sich darein zu begraben, dann trübt sie ihr Lichtwesen, und es wird am Ende ganz dunkel und finster. Da ist dann kein Vorrat von einer mächtigen Liebe mehr vorhanden, und die höchst geringe reicht kaum für sich aus; daher kommt die Eigenliebe, die an niemand andern mehr übergehen kann. Wo aber die Liebe so gering wird, wo soll da ein mächtiger Glaube und Wille herrühren, da der Glaube doch ist das Licht aus der Flamme der Liebe und der Wille die allwirkende Kraft des Lichtes?!

2. Wenn solche liebkargen Menschen am Ende in sich, wennschon ganz stumpf, nur wahrzunehmen anfingen, daß wegen der Schwäche ihrer Liebe ihnen nichts gelingen will und sie zumeist durch eine jede gemachte Rechnung einen Strich erblicken – woran sie selbst schuld sind, weil da keine Wirkung sein und entstehen kann, wo die dazu erforderliche Kraft mangelt –, so könnte ihnen wohl noch geholfen werden; aber so werden sie nur zornig und voll Bitterkeit gegen jedes Gelingen bei andern Menschen.

3. Der Zorn aber ist zwar auch ein Leuchten, aber ein verderbliches. In solchem Höllenschimmer erschauen sie dann auch bald allerlei Trugmittel, mit denen sie sich in einen Wohlstand setzen könnten. Sie versuchen solche Mittel bald; sie mißlingen ihnen aber zumeist, weil sie Trugmittel sind. Aber das öftere Mißlingen belehrt sie nicht, sondern macht sie noch erboster und zorniger. Sie werden stolz und voll Hochmutes und fangen an, ihre Zuflucht zu Gewaltmitteln zu nehmen und sie auch anzuwenden. Ein manchmaliges Gelingen macht sie kecker, sie werden grausam und suchen sich alles aus dem Wege zu räumen, was sie als ein Hemmnis zu ihrem vermeinten Glücke erkennen. Sie haben sich also durch lauter schlechte Mittel in einen bedeutenden Wohlstand gesetzt und erkennen nun den Weg als den allein rechten und wahren, auf dem sie selbst zum Glücke emporgeklommen sind.

4. Wenn derart Menschen dann auch Kinder wie gewöhnlich bekommen, so werden diese doch unmöglich anders erzogen als nur in der Art, durch die ihre Eltern zum Weltglücke emporgekommen sind, nämlich durch allerlei Weltklugheit. Sie lassen dann solche Kinder allerlei lernen, – aber alles nur für die Welt! Da wird auf die zuerst berücksichtigt werden sollende Bildung des Gemüts nicht die allergeringste Rücksicht genommen, kann auch nicht genommen werden, weil die Eltern und die ihnen aus Gewinnsucht gefällig und angenehm werden wollenden Lehrer und Erzieher selbst keinen Begriff von dem Gemüte einer Seele mehr haben.

5. Alles wird auf früheste Bildung und Schärfung des Verstandes verwendet. Dazu wird das Kind durch allerlei Geschenke und Auszeichnungen soviel als möglich angeeifert, wird dabei schon in der frühesten Zeit in der Selbst- und Gewinnsucht mit der Bildung des Verstandes soviel als nur möglich geübt, trägt feine und geschmückte Kleider und kennt sich oft schon im zehnten Lebensjahre vor lauter Hochmut nicht. Wehe dem armen Kinde oder auch einem andern armen Menschen, der solch einem verbildeten Kinde die gewünschte Ehre nicht bezeigete oder es etwa gar verhöhnete! Denn der hat sich an solch einem verzogenen Kinde einen bleibenden Feind gezogen!

6. Wo ist aber dann bei solchen Menschen noch an jene Mir ähnliche innere Lebenskraft zu denken?! Wo ist da des Menschen Herrlichkeit über die gesamte Natur und über die Elemente, aus denen am Ende alles Geschaffene besteht und bestehen muß?!

7. Wird aber bei dem Menschen das Gemüt zuerst und vor allem gebildet, und kommt darauf dann erst eine ganz leicht zu bewerkstelligende und wirkungsreiche Ausbildung des Verstandes hinzu, so wird der also geweckte Verstand zum lebendigen Lichtlebensäther, der die Seele also umfließt wie der Lichtäther die Sonne umflutet, aus dem heraus dann alle jene herrlichen Wirkungen zum Vorscheine kommen, die ihr diese Erde allenthalben beleben sehet.

8. Bei der rechten Bildung der Seele des Menschen ist und bleibt die Seele ein Inwendiges und ein Tätiges, und das, was ihr ,Verstand‘ nennet, ist die ausströmende Wirkung der inneren Tätigkeit der Seele. Das Außenlicht des Verstandes erleuchtet der Seele alle noch so kritischen äußeren Verhältnisse, und der Wille der Seele geht dann in dieses Außenlicht über und wirket wunderbar alles Befruchten und Gedeihen; denn weil also gestellt ist des Menschen Ordnung nach Meiner Ordnung, so ist der Wille und das Vertrauen eben auch ein aus Mir oder aus Meinem allmächtigen Wollen Hervorgehendes, dem sich doch sicher alle Kreatur fügen muß. Was dann ein solch geordneter Mensch will, das muß geschehen im weiten Umkreise, weil die Außenlebenssphäre eines Menschen eigentlich von Meinem Geiste durchwehet wird, dem alle Dinge möglich sind.

9. Wird ein solcher Mensch dann erst ganz und gar von oder aus seinem Geiste wiedergeboren, so ist er Mir dann völlig ebenbürtig und kann aus sich in aller seiner Lebensfreiheit wollen, was ihm in Meiner Ordnung, die er dann selbst geworden ist, nur immer beliebt, und es muß dasein und geschehen nach seinem freien Willen. In solchem lebensvollendeten Zustande, weil Mir völlig ähnlich, ist der Mensch dann nicht nur ein Herr der Kreatur und der örtlichen Elemente dieser Erde, sondern seine Herrlichkeit erstreckt sich dann, gleich der Meinigen, über die ganze Schöpfung im endlosen Raume, und sein Wille kann den zahllosen Welten Gesetze vorschreiben, und sie werden befolgt werden. Denn seine verklärte Sehe durchdringt alles gleich der Meinigen und eigentlich mit der Meinigen, und sein klarstes Erkennen erschauet allenthalben die Bedürfnisse in aller Schöpfung und kann darauf verordnen und schaffen und helfen, wo es und was es auch sei; denn er ist ja in allem eins mit Mir.“

218. Kapitel. Die Macht einer vollkommenen Seele.

1. (Der Herr:) „Allein diesen Grad der allerhöchsten Lebensvollendung hatte vor Meiner Menschwerdung wohl niemand erreichen können; und Ich bin nun darum auf diese Erde gekommen, um durch die Wiedergeburt eures Geistes in eure Seele hinein euch zu Meinen wahren Kindern zu machen. Wenn Ich denn jetzt von einer vollkommenen Seele rede, so gilt das pur von der Seele, in der Mein Geist zwar auch schon tätig, aber mit derselben noch nicht völlig eins ist.

2. Eine also vollkommene Seele ist demnach aus den früher angeführten Gründen nicht nur imstande, als ein Herr über die gesamte Kreatur Wunderbares zu tun, sondern auch vermöge des in ihr auf Augenblicke mehr erweckten Geistes Gesichte zu haben in die rein geistigen Sphären, und kann das Wort des Geistes Gottes vernehmen, wie solches bei allen Sehern und Propheten der Fall war, die nebst ihrer Sehergabe und der Weissagung aus Meinem Geiste auch stets eine gewisse, für alle naturmäßige Menschheit sichtlich wunderbare Herrschaft über die Elemente und über die gesamte Kreatur innehatten.

3. Moses tat Wunder, sein Bruder Aaron desgleichen, ebenalso Josua und später Elias, und nach ihm noch eine Menge Propheten und Seher.

4. Ein Prophet namens Daniel (,des Tages oder des Lichtes Sohn‘) ward zu Babielon (Babylon) von einem grausamen Könige, dem er eine Strafrede hielt, in eine Löwengrube geworfen, in der bei zwölf hungrige Löwen als Scharfrichter sich befanden. Sie wurden schon jahrelang mit allerlei unglücklichen Verbrechern gefüttert. Der ob der scharfen Mahnrede Daniels ergrimmte König ließ auch den Daniel, so er ihn sonst seiner Weisheit wegen auch liebhatte, ohne alle Gnade und Nachsicht in die Grube des sichern Todes werfen.

5. Allein Daniels vollkommene Seele war ein Herr auch über die hungrigen Löwen! Als er von den Schergen hineingeworfen ward, taten ihm die Löwen nicht nur nichts, sondern kauerten in einer sichtbaren Ehrfurcht um ihn als um ihren natürlichen Herrn und Gebieter. Daniel, wohl wissend, wie er unter den Löwen sich befinde, verlangte seine Schreibtafel von seinen Jüngern und schrieb bei drei Tage lang die Weissagung, unversehrt in der Todesgrube mitten unter den zwölf Löwen. Als solches dem Könige berichtet ward, da gereute es ihn, solches an Daniel getan zu haben, und er ließ den Daniel in einem Korbe wieder aus der Grube ziehen und ihm die Freiheit geben.

6. Ebenso gab es zu derselben Zeit drei Jünglinge, die vor dem Baal ihre Knie nicht beugen wollten. Darob ergrimmte der dumme König so sehr, daß er einen Kalkofen drei Tage hindurch übermäßig heizen ließ, in welchen die drei Jungen geworfen würden, so sie dem Gebote des Königs einen längeren Widerstand leisteten. Die seelenvollkommenen Jünglinge beharrten aber auf ihrem wohlbegründeten Vorsatze und äußerten nicht die geringste Furcht vor dem glühendsten Ofen. Die drei Tage verrannen, und die drei Jünglinge wurden auf grimmigsten Befehl des Königs von den Schergen ergriffen und über den glühenden Rand in den weiten Feuerschlund geworfen. Es ward aber diesen auch nicht ein Haar auf ihrem Haupte versehrt, während ein jeder der Schergen von der zu großen Hitze ergriffen wurde und zu Kohle verbrannte.

7. Ja, was schützte denn die drei Jungen in dem Feuerofen? Die vollkommene, in Meiner Urordnung seiende Seele! Am Ende kam noch ein Engel und führte sie vollkommen unversehrt aus der entsetzlichen Glut, der sich kein anderer Mensch ohne die Gefahr, plötzlich verbrannt zu werden, auf dreißig Schritte nahen durfte!

8. Dies alles sind nichts als lauter Beispiele von der herrlichen Kraft und Macht einer vollkommenen Seele!“

219. Kapitel. Die Wirkung des Sonnenlichtes. Die Einrichtung des menschlichen Auges. Die Sehe der Seele.

1. (Der Herr:) „Diese Mohren gaben hier abermals die sprechendsten Beweise davon, daß es also und nicht anders ist und sein kann, und die Sonne liefert tagtäglich in jeder Pflanze und in einem jeden Tiere doch den noch bei weitem handgreiflicheren Beweis, welche Kraft und Wirkung in ihrer weitgedehnten Außenlebenssphäre liegt.

2. Alles das muß dem verkehrt erzogenen Welt- und Verstandesmenschen wie eine Märe vorkommen, und er ersieht darin nichts denn Dichtung einer erhitzten Phantasie, was alles ihm als eine bare Torheit vorkommt. Das sind für seine Erkenntnisse pure Torheiten, deren Effektuierung ihm unmöglich dünkt, weil ihm so etwas zu machen natürlich unmöglich ist und aus wohlweisen und notwendigen Gründen unmöglich sein muß. Denn wer sollte wohl ohne Hände eine Handarbeit verrichten können und wer ohne Füße gehen?!

3. Wäre die Sonne ein ganz finsterer Klumpen, was sie trotz ihrer Größe ebensogut sein könnte wie ein schwarzer Kalkstein, so würde sie kein Naturleben auf den Welten bewirken. Aber ihre innere großartige, für euer Verständnis freilich noch unbegreifliche organische Einrichtung ist also bestellt und beschaffen, daß sich aus ihren inneren Eingeweiden fortwährend eine ungeheure Menge von feinen Luftarten (Gasen) entwickeln muß. Dadurch wird der übergroße Sonnenkörper fürs erste genötigt, sich um seine Achse zu drehen, welche Drehung dann die große Atmosphäre der Sonne mit dem auf ihr lastenden Äther (Urluft) in eine beständige Reibung bringt, durch die fürs zweite die Tätigkeit der in der großen Sonnenatmosphäre rastenden zahllos vielen Naturgeister stets von neuem erregt wird, welche Tätigkeit sich dann den im Äther ruhenden Naturgeistern derart mitteilt, daß diese, als sehr leicht erregbar, dann in einem Augenblick über zweihunderttausend Feldweges weit von der Sonne in gerader Linie entfernt miterregt werden und in jedem darauffolgenden Augenblick um dieselbe Entfernung weiter und weiter, und so in jedem Augenblick (soviel als eine Sekunde) noch fort und fort weiter bis in eine für euch unermeßliche Ferne von der Sonne hinweg.

4. Durch diese Miterregung der Urnaturgeister im unermeßlichen Schöpfungsraum teilt sich das ursprüngliche Licht der Sonne auf die Weise, die Ich euch nun schon genügend erklärt habe, den in ihrem Bereiche um sie bahnenden Erdkörpern oder Planeten mit und bewirkt in den kleineren Atmosphären der Planeten eine gleiche Erregung der in den Atmosphären schon gediegeneren Naturgeister, die sich je tiefer herab um desto heftiger wahrnehmen und empfinden lassen muß, weil die Geister auch stets gediegener werden. Denn wenn ihr zwei Steine aneinander reibet, so wird die Reibung doch sicher eine heftigere sein, als so ihr zwei Federflaumen aneinander zu reiben beginnet, aus welchem Grunde es denn auch in den tiefen Tälern der Erde lichter und wärmer wird denn auf den höchsten Bergspitzen der Erde.

5. Aber es denkt nun ein starker Rechner unter euch: ,Ja, wenn das die Fortpflanzung des Sonnen- und jedes anderen Lichtes bewirkt, so muß das Licht allenthalben ein gleichartiges sein, und man kann dann unmöglich das Bild der Sonne separiert und bei weitem stärker leuchtend denn das ganze andere Lichtfirmament ausnehmen!‘

6. Ja, sage Ich euch, das würde auch unfehlbar der Fall sein, wenn Ich nicht das Auge also gemacht hätte, daß alles Licht und Rücklicht alles Erleuchteten die durch eine gewisse Rückwirkung erregtesten Konturstrahlen, als sich in einem gewissen Winkel durchschneidende Linien, durch eine ganz kleine Öffnung auf die höchst reizbare Netzhaut und von der auf den noch reizbareren Sehnerv gelangen läßt.

7. Durch diese Vorkehrung werden alle nur einfach erregten Lichtausflüsse ausgeschieden, und nur die Hauptkonturstrahlen gelangen gebrochen auf die höchst empfindsame Netzhaut und von da auf den Sehnerv, durch welchen dann das Bild erst durch die geeigneten Organe auf die Gehirntäfelchen in einer dem Bilde entsprechenden Weise oder in entsprechenden Zeichen eingeprägt und der Seele zur Beschauung dargestellt wird.

8. Wäre das Auge nicht also eingerichtet, so würdet ihr freilich wohl keine für sich als Lichtbild vereinzelte Sonne erschauen, sondern alles wäre ein gleichförmiges Lichtmeer gleich dem, das mehrere verzückte Menschen geistig geschaut haben, darin nicht einmal ihr Ich im allgemeinen Licht als ein Wesen zu unterscheiden vermochten.

9. Ein weiser Ägyptogrieche, Plato, gibt in seinen hinterlassenen Schriften davon Zeugnis, und nebst ihm mehrere Weise der Vorzeit. Sie schliefen ein und befanden sich in einem Lichtmeere, in welchem sie sich wohl denken, aber sich nicht sehen konnten und daher auch das immerhin wonnigliche Gefühl hatten, als wären sie vollends eins mit dem Urlichte, das sie die eigentliche Gottheit nannten.

10. Der Grund davon lag in der noch nicht vollkommen eingerichteten Sehe der Seele. Und diese war darum nicht vollkommen eingerichtet, weil ihre ursprüngliche Erziehung, wennschon eine strenge, dabei aber dennoch eine verkehrte war; denn wo immer man mit der Verstandesbildung der Gemütsbildung vorangeht, ist die Bildung verkehrt.“

220. Kapitel. Von der Wiedergeburt und der rechten Erziehung des Menschen.

1. (Der Herr:) „Was würde denn ein Baum für Früchte bringen, so an ihm nicht alle das Gemüt ergötzenden Erscheinungen der Ansetzung der ersten Frucht vorangingen? Wie nähme sich ein Herbst an der Stelle des Frühlings und ein Frühling an der Stelle des Herbstes aus, dem gewöhnlich der kalte und starre Winter zu folgen pflegt? Würde da des Winters Frost nicht das gemüterhebende Blütentum verderben und das hoffnungstrahlende Blatt töten samt der wahren Frucht, die erst von der Blüte zu einem gedeihlichen Sein und Werden gesegnet und belebt wird? Da würde wohl des Baumes Holz zunehmen, aber nimmer würde jemand von euch je eine Frucht am selben reifen sehen!

2. Und so ist es gerade auch mit einem Menschen und ganz besonders mit dessen Seele! Alles wird zur groben Materie, von der keine andere Frucht kommt als jene nur, die man endlich abhauet und als Holz im Feuer des Gerichtes verbrennt, um am Ende etwa doch noch aus der Asche einen Nutzen zum Düngen und Reinigen des schlechten und mageren Erdreichs (materielle Landeskulturkenntnisse) zu gewinnen.

3. Wer denn seine Kinder beim Verstande zu wecken und zu bilden anfängt, der beginnt ein Haus beim Dachgiebel zu bauen und schöpft Wasser in ein durchlöchertes Gefäß. Naß wird es wohl sein, solange sich der Schöpfer mit solch einer vergeblichen Arbeit abgeben wird; aber es wird für sich dennoch nie ein Tropfen lebendigen Wassers darin verweilen, und mit den wundervollen Äußerungen des Seelenlebens wird's wohl für alle Zeiten nichts sein. Man müßte denn das durchlöcherte Gefäß klein verstopfen mit einer unsäglichen Mühe, so möchte es dann auch wohl das Wasser halten. Aber wie leicht verfault ein zu wenig gutes und fest eingepfropftes Zäpfchen, und das Gefäß kann mit der Zeit wieder ganz lebenswasserleer werden!

4. Es ist das also zu nehmen: Ein verstandesgebildeter Mensch kann es durch viele Selbstverleugnungen auch zu einer wirksamen, nachträglichen Gemütsbildung bringen; ist er aber dabei nicht äußerst sorgsam und gibt nicht gehörig acht auf die vielen Pfropfen, mit denen er sein Lebensgefäß in allen seinen vielen Löchern (irdischen Schwächen) verstopft hat, und läßt er auch nur einer Schwäche oder einem Löchlein, das nicht sorgsam genug verstopft ist, Luft, so wird er sich ehest überzeugen, wie das angesammelte Lebenswasser ihm durchgegangen ist, und wie er ganz unvermerkt wieder ganz der alte Mensch ohne allen innern Lebensgehalt geworden ist!

5. Darum aber empfahl Ich euch vor allem die Nächstenliebe, die da kommt aus der Liebe zu Gott! Denn diese allein vermag aus eurer gänzlichen Verkehrtheit wieder Menschen in Meiner Ordnung zu machen. Lasset euch von der Welt nicht verblenden; denn alles, was sie euch gibt, ist Tod und Gericht, eine Frucht des puren Verstandes! Nur die Liebe allein kann euch ins Leben umgestalten!

6. Darum bin Ich gekommen in die Welt, um euch zu zeigen die rechte Umkehr zu Meiner Ordnung zurück und den rechten Weg, fortzuwandeln in derselben bis zur Erreichung der wahren Wiedergeburt des Geistes in die Seele, nach der kein böser Rückfall mehr denkbar und möglich ist.

7. Dieses muß bei euch nun angebahnt werden, da denen, die einmal verkehrt worden sind, mit der alleinigen geflickten Umkehr der Seele wenig geholfen wäre. Die Seele muß zwar vorher ganz umkehren, bevor die Wiedergeburt des Geistes in die Seele zu erlangen ist; aber der ausgestopfte und ausgeflickte, also auf den rechten Weg gebrachte bessere Seelenzustand ist nicht haltbar, weil durch die Macht der Welt und ihre zeitlichen Vorteile eine pur ausgeflickte Seele nur zu leicht bei der nächsten, etwas stärker lockenden Gelegenheit wieder in ihre alt angewohnte Verkehrtheit verfällt.

8. Um das aber möglichst zu verhüten, habe Ich nun den neuen Weg also angebahnt, daß Mein Geist, den Ich nun als einen Funken Meiner Vaterliebe in das Herz einer jeden Seele lege und gelegt habe, durch eure Liebe zu Mir, und daraus wahrhaft und tätig zum Nächsten, genährt werde, in eurer Seele wachse und nach Erreichung der rechten Größe und Kraft sich völlig mit der gebesserten Seele vereine und eins werde mit ihr, – welcher Akt dann die Wiedergeburt des Geistes heißen soll und auch heißen wird.

9. Wer diese erreicht hat, der steht dann freilich ums unvergleichbare höher als eine für sich allein noch so vollkommene Seele, die zwar auch vieles vermag, aber dessenungeachtet dennoch ewig nicht alles, was dem völlig Wiedergeborenen vorbehalten ist.

10. Dieser Funke Meiner Liebe aber wird in das Herz einer Menschenseele erst dann gelegt in der Fülle, wenn ein Mensch Mein Wort vernommen und es in seinem Gemüte gläubig und mit aller Liebe zur Wahrheit angenommen hat; solange dies nicht der Fall ist, kann kein noch so seelenvollkommener Mensch zur Wiedergeburt des Geistes gelangen. Denn ohne Mein Wort, das Ich nun zu euch rede, kommt der Funke Meiner Liebe nicht in das Herz eurer Seele, und wo er nicht ist, kann er auch nicht wachsen und gedeihen in einer Seele und somit in derselben auch nicht wiedergeboren werden.

11. In der Folge aber werden auch die Kindlein, so sie auf Mein Wort und auf Meinen Namen gezeichnet und getauft werden, den Geistesfunken Meiner Liebe ins Herz ihrer Seele gelegt bekommen; aber dieser wird dennoch nicht wachsen bei einer verkehrten Erziehung, wohl aber bei einer Erziehung nach Meiner euch allen nun überklar gezeigten Ordnung, nach der vor allem das Gemüt, und von dem aus erst entsprechend der Verstand, gebildet werden soll. Das Gemüt aber wird gebildet durch die wahre Liebe und durch Sanftmut und Geduld.

12. Lehret früh die Kindlein den Vater im Himmel lieben, zeiget ihnen, wie gut und liebevoll Er ist, wie Er alles, was da ist, zum Besten der Menschen höchst gut, schön und weise erschaffen hat, und wie gar so sehr Er besonders den kleinen, Ihn über alles liebenden Kindlein zugetan ist! Machet sie bei jeder besonderen Gelegenheit aufmerksam, daß so etwas alles der Vater im Himmel anordnet und geschehen macht und läßt, so werdet ihr die Herzen der Kleinen zu Mir kehren, und Meine Liebe wird in ihnen ehest zu wuchern anfangen! Wenn ihr also die Kleinen leiten werdet, dann wird eure leichte Mühe euch bald die güldensten Früchte tragen, – sonst aber Dornen und Disteln, auf denen weder Trauben noch Feigen wachsen!

13. Saget Mir nun aber auch offen, ob ihr jetzt wohl verstehet, wie und aus welchem Grunde diese unsere schwarzen Brüder solche Taten zustande bringen können, die euch vorderhand noch ein rätselhaftes Wunder waren und sein mußten!“

221. Kapitel. Vom rechten Verständnis und vom Gedankenlesen.

1. Sagt hierauf der Anführer der Mohren: „Herr, Du allmächtiger und allweisester Gott! Ich und meine Gefährten haben Dich gar wohl verstanden; aber ob Dich auch die Weißen, derentwegen Du eigentlich diese Erläuterung gegeben hast, verstanden haben im rechten Sinne und im rechten Geiste, das natürlich könnte ich durchaus nicht mit völliger Gewißheit behaupten! Wie es mir so vorkommt, dürfte manchem wohl auch noch so manches unklar geblieben sein!

2. Allein, wen irgend etwas noch drückt, der wird sich wohl melden, wenn ihm an der reinen Erkenntnis mehr liegt als an der dadurch vermeintlich verwirkt geglaubten Verstandesehre! Denn es dürfte auch unter diesen Weißen welche geben, die darum um nichts weiteres fragen, um durch die Frage selbst nicht zu verraten ihres Verstandes Schwäche! Nun, denen wohl möchte ich als ein Schwarzer den Rat erteilen, lieber die nichtige Ehre des Verstandes fahren zu lassen und sich dafür für die reine Wahrheit zu erklären, die nur aus einem reinen Verständnisse erfolgen kann, ansonst eine unverstandene Wahrheit für ihre Jünger um nicht vieles besser sein kann als eine platte Lüge; denn eine unverstandene Wahrheit kann jemandem ebensowenig nützen wie eine Lüge!

3. Eine erkannte Lüge wird wohl niemand in eine tatsächliche Anwendung bringen, daher sie ihm weder schaden und natürlich noch weniger irgend nützen kann; eine unverstandene Wahrheit aber kann auch niemandem nützen, weil sie als unverstanden entweder in gar keine oder höchstens in eine unrichtige und falsche Anwendung gebracht werden kann und in solcher Hinsicht für den Anwender um kein Haar besser sein kann als eine ganz ausgemachte, vollkommene Lüge.

4. Das wäre so meine Ansicht; vielleicht hat jemand eine bessere, und ich will mich dann gerne schweigend auf ein weiteres alleraufmerksamstes Anhören legen!“

5. Sage Ich: „Deine Bemerkung war ganz gut und sehr wahr. Ich kenne Selbst mehrere hier, die diese Meine Erklärung nicht tief genug erfaßt haben; aber sie schämen sich, die Schwäche ihres Verstandes durch eine Frage zu verraten und stellen sich darum lieber mit einem halben Verständnisse zufrieden.“

6. Als Ich diese Bemerkung gemacht hatte, fragten gleich mehrere, ob sie es wären, die diese herrliche Erklärung nicht tief genug begriffen haben. Ich aber schwieg. Es fragte Mich auch sehr ängstlich Cyrenius, ob etwa auch er diese Wahrheiten nicht tief und wahr genug begreife.

7. Da sagte Ich: „Nicht du allein, sondern die meisten von euch! Nur zwei Meiner Jünger haben diese Meine Erklärung über den vollkommenen Seelenzustand ganz begriffen, – alle andern, mit Ausnahme der Mohren, nicht! Ihr habet nun nur so einen Dunst von der Sache und lange keinen irgend vollkommenen Begriff, was mehreren von euch sogar der Anführer angesehen und wohl angemerkt hat, darum seine Bemerkung auch eine vollkommen richtige war.

8. Ja, eine urlebensvollkommene Seele hat nebst der wunderbar wirkenden Kraft als Herrin über alle Kreatur dieser Erde auch diese besondere Eigenschaft, in besonders erregten Momenten auch die Gedanken der Menschen zu erkennen und sogar zu sehen, was in jemandes Herzen vorgeht; denn die stark gesättigte Außenlebenssphäre solch eines Menschen nimmt das in der Außenlebenssphäre eines andern Menschen auf der Stelle wahr, und es sind darum solche seelenlebensvollkommene Menschen durchaus nicht zu betrügen. Sie erkennen mit ihrer höchst intensiven Außenlebenssphäre oft schon auf sehr weite Distanzen, was sich ein Mensch, der ihnen entgegenkommt, denkt, oder was er will.

9. Wenn sich ein Feind naht, so können solche seelenlebensvollkommenen Menschen durch die Vereinigung ihrer Außenlebenssphären ihn ebensogut allerweidlichst in die Flucht schlagen, als wie ihr sie durch die Vereinigung ihrer Lebenssphären habt einen mächtigen Baum aus der Erde ziehen, den gewaltigen Felsen übertragen und am Ende sogar Feuer machen sehen, das sogleich ein tüchtiges Gebüsch ergriff und zu Asche verwandelte.

10. Es ärgere darum niemanden von euch, wenn euch der Schwarzen Anführer so manches sagt und euch trifft, wie ein bestgeübter Schütze sein Ziel; denn eure Außenlebenssphären verraten ihm ja, ganz hell erleuchtet, selbst eure innersten Gedanken, wenn mit ihnen nur irgendein Wollen vereinigt ist. Die puren Gehirngedanken, die eigentlich gar keine Gedanken sind, erkennen sie wohl nicht, weil solche nur aus puren Gehirntäfelchenbildern bestehen und kein Leben haben; aber die Gedanken des Herzens erkennen sie allergenaust, besonders so sie selbst in einem etwas gemütserregteren Zustande, wie nun, sich befinden.“

222. Kapitel. Die Bedeutung der Außenlebensphäre der Seele.

1. (Der Herr:) „Ihr begreifet nun nur das noch lange nicht lebensklar zur Genüge, was im Grunde des Grundes so ganz eigentlich die Außenlebenssphäre der Seele ist, und wie diese Kraft wirkend, fühlend, hörend und sogar sehend sich äußern kann! Es ist dieses wohl für euer Verständnis ein bißchen schwer zu begreifen, weil sich in der äußern, für eure Fleischaugen beschaulichen Welt gar kein recht taugliches Beispiel aufstellen läßt, weil alles Geistige sich nur höchst schwer in irgendein materielles Bild einkleiden läßt. Aber da ihr diese äußerst wichtige Sache denn doch ein wenig zu schwach einsehet, so will Ich euch dies noch ein wenig mehr erhellen. Aber ihr müßt alle eure Sinne so recht kernfest zusammennehmen, sonst fasset ihr diese allerwichtigste Lebenssache abermals nicht tief genug!

2. Daß dies aber ein Allerwichtigstes ist, möget ihr daraus ersehen und gar wohl erkennen, daß Ich die Erklärung dieses Urlebensgeheimnisses zur Letzt unseres hiesigen Beisammenseins erläutere. Wie Großes Ich euch aber auch schon zum voraus die sieben Tage hier und früher auch anderorts gezeigt habe, so bleibt aber dieses dennoch das Größte, und alles andere ist euch dieses bis jetzt Größten wegen gezeigt worden, weil ihr es ohne solche wunderbare Vorgänge und Vorbereitungen unmöglich nur dem geringsten Teile nach begriffen hättet.

3. Warum bezeichne Ich aber eben dieses nun als ein Wichtigstes? – Das ist sehr leicht zu erraten und einzusehen! Wer sein Leben wahrhaft bessern und zum eigentlichen Leben erheben will, der muß es zuvor in allen seinen Teilen erkennen, wie es besteht, sich äußert, wie es unter gewissen Bedingungen und Vorgängen sich so oder so äußert; wie es, so es verdorben und verkehrt wurde, wieder zu bessern ist und ein vollends gebesserter Lebenszustand zu erhalten und auch auf die Nebenmenschen übergehend zu verpflanzen ist, damit am Ende ein Hirt und eine Herde werde.

4. Daß aber für den wahren Menschen die volle Erkenntnis des Lebens das Allerwichtigste ist, das haben zu allen Zeiten die weisesten Männer aller Völkerschaften eingesehen und behauptet; nur fanden sie den Weg nur sehr mühsam und schwer oder zumeist auch gar nicht dazu. Nun aber bin Ich, als ein Herr und Meister alles Lebens und Seins von Ewigkeit, Selbst zu euch gekommen und habe wunderbar alles hierher auf diesen von der Welt noch zuallermeist abgetrennten Ort beschieden, um euch das wahre Lebenssein so beschaulich und handgreiflich als möglich vor die Augen zu stellen, und so werdet ihr es mit der Weile und rechter Geduld wohl begreifen; aber dann wird es auch eure Pflicht sein, das von euch Begriffene auch euren Nebenmenschen soviel als möglich begreiflich zu machen!

5. Denn so in einem Lande das nur ein oder zwei Menschen für sich einsehen, begreifen und davon den Gebrauch für sich machen, so wird ihnen das ebensowenig von einem besonderen Nutzen sein wie einem Weisen in einem Narrenhause unter lauter Narren oder in einem Esel- und Ochsenstalle! Werden diese den Weisen wohl verstehen, so er ihnen aus seiner innersten Weisheitstiefe die erhabensten Lehren mit den freundlichsten Worten vortragen wird?!

6. Ein Weiser kann ja nur wieder von Weisen erkannt und verstanden werden! Aus dem Leben der Tiere und der rechten Narren läßt sich nichts machen, denn was daraus zu werden hat, dafür ist schon durch Meine ewige Ordnung gesorgt; aber aus dem Leben der Menschen könnet ihr alles zeihen auf dem rechten Wege der Wahrheit, Liebe, Geduld und Weisheit!

7. Und habt ihr aus den Menschen euch wahre Brüder und Freunde gezeihet, die mit der Zeit in der Erkenntnis des Lebens euch gleichen werden, so werdet ihr auch eine wahre Freude und Seligkeit untereinander genießen und stark werden in allem Guten, das ihr leicht ausführen werdet! Denn hundert Arme richten mehr aus als einer, hundert Augen, nach allen Seiten gerichtet, sehen mehr als zwei, und die Außenlebenssphäre von Tausenden vereint, ist ein ganz kurios mächtiger Hebel zur Abwendung von allerlei Gefahren und Übeln, von welcher Seite sie auch immer kommen möchten, und welches Namens sie auch seien.“

223. Kapitel. Die Kraft des liebevollendeten Menschen.

1. (Der Herr:) „Ihr habt doch gesehen die Macht des gemeinschaftlichen Wirkens durch den Verband der Außenlebenssphären von etlichen dieser nun unserer Mohren! Wie viele gewöhnliche Menschenkräfte wären dazu wohl erforderlich, um einen solchen Baum, wie jene alte Zeder, samt dem schweren Erdballen herauszuheben?! Wie viele natürliche Menschenkräfte hätten wohl jenen sehr großen und somit überaus schweren Fels von seiner früheren Stelle weitergeschoben oder hinweggewälzt?! Die wenigen Mohren haben ihn vor euren Augen durch die Luft geschoben oder eigentlich getragen! Aus dieser unleugbaren Tatsache mußtet ihr ja doch entnehmen, welch eine Macht und Kraft da liegt in der vereinigten Außenlebenssphäre einer naturvollkommenen Seelen!

2. Wenn aber schon diese Mohren, die von der Macht und Kraft Meines Namens nichts wußten, bloß durch die Macht der vereinten Außenlebenssphären ihrer naturvollkommenen Seelen so Außerordentliches zustande gebracht haben, um wieviel Größeres müßtet dann erst ihr zustande bringen, die ihr mit den vereinten Außenlebenssphären eurer durch Mein Wort und durch den allmächtigen Geist Meiner Liebe zu euch vollendeten Seelen wirken könntet!

3. Wahrlich, wahrlich, Ich sage es euch: Nicht nur solche Bäume und Felsen, sondern ganze Berge könntet ihr versetzen, so es irgend nach der klaren Einsicht eures weisen Herzens vonnöten wäre; was aber irgend not täte, das würdet ihr doch in einem jeden Augenblicke durch Meinen Geist in euch erfahren, der durch Mein stets lebendiges Wort in eurer Seelen Herzen gleichfort gegenwärtig wäre!

4. Wäre das nicht ein höchst wünschenswerter Zustand eines vollendeten Menschen in Meinem Namen, und noch wünschenswerter von einer ganzen Gemeinde oder gar einem Volke?

5. Seine mögliche Effektuierung (Verwirklichung) liegt vor euren Augen, und es ist daher höchst notwendig, daß ihr als nun Meine nächsten Jünger diesen allerwichtigsten Zustand in und bei euch vollkommen erkennet und ihn dann aber auch alle anderen Menschen in der rechten Art und Weise erkennen lehret! Denn wer ein Licht hat, der soll es nicht unter einen Scheffel stellen, allda es mit seinen die Finsternis erhellenden Strahlen niemand etwas nützen kann, sondern das Licht tue man auf einen freien Tisch, von dem aus es allen Anwesenden leuchten kann!

6. Ein natürliches Licht ist zwar leicht auf einen Tisch gestellt! Mit der Leuchte für Herz und Seele geht es sicher ums unvergleichliche schwerer; aber ein guter und fester Wille bringt auch das zustande, und mit Meiner sichern Hilfe in solch wichtigster Lebensangelegenheit sogar mit leichterer Mühe, als ihr es glaubet. Natürlich muß jeder das, was er seinem Nächsten geben will, zuvor selbst besitzen, ansonst gleicht er einem Blinden, der einen andern Blinden führen will; kommen sie endlich an einen Graben, so fallen sie beide hinein!

7. Ich habe euch nun diese größte Wichtigkeit solches Zustandes der wahren Lebenskraft einer vollkommenen Menschenseele doch hoffentlich hinreichend auseinandergesetzt und habe euch auch gezeigt die große Wichtigkeit der vollen Selbsterkenntnis, die bei den Kindern durch eine rechte Erziehung und bei den ohne ihre Schuld schon einmal verbildeten Menschen durch die rechte Demut, Geduld und hauptsächlich durch die wahre, tätige Liebe zu Gott und daraus zum Nächsten im möglich reichlichsten Maße erreicht werden kann. Die Taten der seelenlebenskräftigen Mohren, die euch zur richtigen Selbsterkenntnis führen sollen, habe Ich euch erklärt, die ihr aber dennoch nicht zur Genüge lebenstief begriffen habt. An euch liegt es denn nun, der Wichtigkeit des Gegenstandes wegen zu fragen und durch die Frage aus euch selbst kundzutun, wo und was euch noch mangelt!

8. Ihr müßt das Abgängige zuvor lebendig fühlen, ansonst ihr euch mit eurem freiesten Willen nimmer darum bekümmern könntet; denn so jemand etwas verloren hat, und er weiß aber nichts davon, – wird er dann das Verlorene wohl irgendwo zu suchen beginnen? Man muß alsonach zuvor recht lebendig fühlen, daß einem etwas abgeht, und worin das besteht, was einem abgeht, und muß auch erkennen den großen Wert des Abgängigen, ansonst man es nie mit dem erforderlichen lebendigen Eifer zu suchen anfangen wird!“

224. Kapitel. Vom Hungern nach geistiger Speise.

1. (Der Herr:) „Der gewöhnliche Weltmensch kann sich von dem wahren und höchsten Lebenswerte freilich nichts träumen; denn, wenn nur für seinen Bauch gehörig gesorgt ist, was kümmern ihn dann alle die andern Wichtigkeiten des Lebens?! Er hat ja in Hülle und Fülle zu essen und auch zu trinken, wenn es ihn dürstet, hat eine schöne und bequeme Wohnung, eine weiche Lagerstatt, feine Kleider und noch eine Menge anderer Lebensannehmlichkeiten, und hat auch keinen Mangel an schönen und üppigen Maiden und andern Ergötzlichkeiten! Was sollte solch einem Usurpator der Erdengüter noch abgehen?!

2. Die armen Schlucker müßten freilich zu allerlei Weisheit und Erkenntnissen, die ihnen ihre stets hungrige Einbildung verschaffte, ihre Zuflucht nehmen, um damit hie und da irgendeinen Reichen für sich zu gewinnen, von ihm zu leben und ihm dafür etwas vorzumachen; aber an allem dem sei nichts als Wahres anzunehmen als die Not des hungrigen Weisen und die Trägheit seiner Hände, und daß er sich darum lieber mit seiner mühelosen Einbildung und Phantasie über irgendeinen Gott und übers ewige Leben der Menschenseele seinen hungrigen Magen stopft als mit irgendeiner mühevolleren Arbeit seiner Hände!

3. Sehet und erkennet aus diesem lebenstreuen Bilde, ob einem mit den irdischen Lebensgütern wohlversehenen Menschen irgend etwas abgeht! Was liegt ihm an der allerwichtigsten Selbsterkenntnis, ohne die eine wahre Gotteserkenntnis nicht denkbar möglich ist? Wird er das, was ihm doch sicher im höchsten Grade mangelt, je einmal zu suchen anfangen? Ganz sicher nicht; denn er leidet ja keinen Hunger und keinen Durst, was doch die vermeintlichen Hebel sind, durch welche die arbeitsscheuen, armen Schlucker zur Weisheit und Wissenschaft angespornt werden!

4. Wie könnte er denn sonst wahrnehmen, was ihm zum wahren Leben abgeht? Nur Hunger und Durst sind – nach des wohlversorgten Prassers Meinung – die einzigen Beweggründe zu irgendeiner Tätigkeit; wer sonach weder Hunger noch Durst zu leiden hat, der brauche sich gar nicht nach irgendeiner Weisheit umzusehen! Kurz, wem nach seiner Meinung nichts abgeht, der hat auch nach nichts ein Verlangen, und wer nichts verloren hat, was sollte der suchen, als hätte er etwas verloren?!

5. Also ist es auch mit einer Lehre, die vorgetragen wurde. Wer sie völlig zu verstehen wähnt, der wird sich weiter nicht näher darum erkundigen. Der Gesättigte fragt um keine Speise mehr; wenn er wieder hungrig wird, dann wird er sich freilich wieder um eine Speise umsehen. Aber was wird er tun, wenn der Speisemeister nicht anwesend ist? Wird er sich wohl selbst eine Speise bereiten können?

6. Darum sehet euch alle jetzt um eine Speise um, solange der Speisemeister unter euch ist! Wenn er wieder heimkehren wird dahin, von wannen er gekommen ist, da werden viele anfangen, sich nach der rechten Speise umzusehen; aber dann wird es schwer werden, eine zu erhalten.

7. Viele von euch, die ihr nun um Mich euch befindet, sind irdisch wohlversorgt und übermäßig reich an allen irdischen Schätzen und trachten nun mit allem Eifer nach den geistigen, die nicht aus den Goldschächten der Erde ans Tageslicht gefördert werden! Sie werden euch zuteil im Übermaße nun, – nur müsset ihr nicht denken, daß eine Vielheit genügt, um alles klarst einzusehen.

8. Jedes von Mir zu euch gesprochene Wort verstehet ihr wohl, soweit ihr als Menschen es verstehen könnet; alles aber, was darin in einer endlosen Fülle verborgen ist, fasset ihr noch lange nicht! Ihr fraget auch nicht darum, weil ihr nicht wahrnehmet, was ihr nicht verstehet! Warum nehmet ihr aber das nicht wahr, und warum hat es der Oubratouvishar an euch wahrgenommen, daß ihr Meine Erklärung nicht völlig verstanden habt? Weil sein möglichst urvollkommener Außenseelenlebensäther euren noch ziemlich unvollkommenen sehr leicht durchfühlt, wie ihr sogar bei der stockfinstersten Nacht an jemandes Haupte wahrnehmen werdet, ob er viele Haare hat, oder ob er ein Kahlkopf ist, so ihr dessen Haupt mit euren Händen betastet!

9. Bei eurer noch höchst schwachen Außenlebenssphäre fängt euer Fühlen erst dort an, wo der Leib anfängt; über diesen hinaus hat eure Seele noch kein Fünklein Gefühles!“

225. Kapitel. Die Wunderkraft der Wiedergeborenen.

1. (Der Herr:) „Dieser Mohren Fühlen und Wahrnehmen aber kann sich besonders in einer größeren Erregtheit viele Stunden Weges weit erstrecken, und sie können es darum leicht wahrnehmen, wessen Geistes Kinder jene sind, die sich ihnen nahen. Sie werden zwar bei jemandem ein tieferes geistiges Sein nicht wohl erkennen, – aber den eigentlichen Seelenzustand ganz gewiß!

2. Als sie heute morgen hierherkamen, erkannten sie Meine Seele und ihre Weisheit und Kraft gewisserart schon von weitem; nur den Geist in der Seele konnten sie nicht erkennen, weil den Geist Gottes nur wieder ein Geist aus Gott erkennen kann. Dazu mußte Ich durch Mein Wort erst in ihr Herz den Funken legen; und als der Funke, in einer vollkommenen Seele die Fülle der rechten Nahrung findend, alsbald erstarkte, da erkannten sie auch alsbald Mich in Meinem Geiste und wissen nun schon intensiver denn ihr, mit wem sie es in Mir zu tun haben.

3. Das alles ist die Folge einer vollkommenen Seele. Eure Seelen werden zwar, bis auf ein paar, als Seelen für sich zu solch einer Erkenntnis nie gelangen, aber sie werden durch Meine übergroße Liebe zu euch also geläutert werden, daß sie zur vollen Aufnahme Meines Geistes als höchst geeignet dastehen werden. Werdet ihr dann, nicht etwa durch euer Verdienst, sondern lediglich nur durch Meine Liebe, Gnade und Erbarmung geisteswiedergeboren, so werdet ihr noch Größeres leisten denn diese Mohren, – aber nicht aus der Kraft der Vollkommenheit eurer Seelen, sondern aus der Kraft Meines eure für sich nur schwachen Seelen durchdringenden Geistes, durch den dann freilich auch eure Seelen für ewig stets lebenskräftiger werden!

4. Doch will Ich aus euch nicht Wundertäter, sondern wahre Wohltäter der Menschen machen! Wenn Mein in euch erweckter Geist volltätig wird, da wird es licht und helle werden in eurem Verstande, und durch den werdet ihr auf ganz natürlichen Wegen der Natur ihre Kräfte ablauschen und euch dienstbar machen ihre Geister oder respektive die seelischen Urspezifikalsubstanzen; dadurch werdet ihr erreichen große irdische Lebensvorteile, die ihr aber zu Wohltaten für die ärmere Menschheit zu verwenden haben sollet!

5. Werden die großen Vorteile, in die euch mit der Zeit Mein Geist leiten wird, in Meiner Ordnung verwendet, so werden sie euch eine tausendfache Segnung in allem bringen; werdet ihr sie aber dann etwa mit der Zeit wider Meine Ordnung selbstsüchtig zu gebrauchen anfangen, so werden sie für die Menschen zu Brutanstalten alles erdenklichen irdischen Unheils werden!

6. Was Ich zu euch nun rede, das rede Ich auch zu allen, die euch in tausend und noch tausend Jahren, was darüber oder was darunter, folgen werden. Nachher kommt wieder eine andere Schicht der Erde zur Durchgärung und Bearbeitung mit und ohne Menschen; denn die Erde ist groß, und ihrer Geister sind viele, die da im Gerichte harren der Löse.

7. Ein jeder Wiedergeborene kann zwar auch Wunder wirken, aber nicht so wie diese Mohren ohne die Erkenntnis Meines Namens und Meines Willens, sondern mit der vollen Erkenntnis Meines Namens und Meines Willens und Meiner unwandelbaren Ordnung. Denn würde jemand etwas anderes wollen, so würde das nicht geschehen können, weil ihm dazu Mein Geist in ihm keine Kraft leihen würde; denn da würde nur die Seele für sich wollen, weil der Geist wider Meinen Willen nie etwas wollen könnte!

8. Es wird aber durch des Geistes Wiedergeburt in die Seele der Seele nicht benommen ihr eigener, freier Wille und ihr äußeres Erkennen in den Reihen der großen Schöpfungen, die fort und fort hervorgehen werden aus Meiner Liebe, aus Meiner Weisheit, Ordnung, Macht und Kraft.“

226. Kapitel. Das Verhältnis zwischen Seele und Geist.

1. (Der Herr:) „Die Seele wird sich zum Geiste stets so verhalten, wie der irdische Leib zur Seele. Der Leib einer noch so vollkommenen Seele hat gewisserart auch einen eigenen Genußwillen, durch den die Seele verdorben werden kann, so sie in denselben eingehet. Eine recht erzogene Seele wird wohl nie in des Leibes Freßwillen eingehen und stets ein Herr über ihren Leib bleiben; aber bei den verbildeten Seelen ist solches sehr möglich.

2. Zwischen Seele und Geist waltet aber dennoch nur ein solches Verhältnis wie zwischen einer urvollkommenen Seele und ihrem Leibe. Der Leib mag für sich Begierlichkeiten haben, so viele er will, und die Seele reizen zur Gewährung und Befriedigung mit allen seinen oft sehr scharfen Stacheln, so sagt die vollkommene Seele dennoch stets ein wirkungsreiches Nein dazu! Und auf ein Haar dasselbe tut Mein Geist in der Seele, in die er vollends übergegangen ist!

3. Solange die Seele in des Geistes Willen vollkommen eingeht, so lange geschieht alles auf ein Haar nach dem Willen des Geistes, was da auch Mein Wille ist; wenn aber die Seele infolge ihrer Rückerinnerung etwas mehr die sinnlichen Dinge Betreffendes will, so tritt in solchen Momenten der Geist zurück und überläßt der Seele allein die Ausführung des Wunsches, aus der gewöhnlich nichts wird, besonders wenn das Vollbringenwollen sehr wenig oder oft auch gar nichts Geistiges in sich als wohlbezwecklich enthält.

4. Die Seele, ihre selbstische Schwäche und Ungeschicklichkeit bald merkend, läßt von ihren Selbstlustträumereien denn auch alsbald ab, vereinigt sich wieder mit dem Geiste auf das innigste und läßt seinen Willen vorwalten. Da natürlich ist dann wieder Ordnung und Kraft und Macht in der Fülle.“

5. Fragt endlich, etwas kleinlaut, doch wieder einmal Cyrenius: „Herr, durch Dein vieles nunmaliges Reden und Ermahnen bin ich nun wohl hinter eine Kluft gekommen, in der ich einen Hauptmangel in der Sphäre meiner Erkenntnisse gemerkt habe und ihn jetzt noch immer besser merke!

6. Du sagtest ehedem, daß das Selbstische der Seele, wenn auch Dein Geist in ihr durch den Akt der geistigen Wiedergeburt sie ganz durchdringt und völlig einnimmt, dennoch nicht derart in den Geist übergegangen ist, daß sie es in gewissen Momenten von selbem nicht mehr sondern könnte. Sie besitzt also gleichfort noch ihr Selbstisches und kann sogar ganz für sich denken und wollen wie vor der Wiedergeburt des Geistes in ihr substantielles Wesen.

7. Kann sie zuvor selbst wollen und denken, so muß sie ja auch ein freies, für sich bestehendes Erkenntnisvermögen besitzen und muß damit erkennen den namenlosesten Vorzug dessen, was ihr aus ihrem Geiste einfließt, vor dem, was ihr ihre eigenen Sinne bieten. Erkennt sie aber notwendig das, wie möglich kann sie noch je etwas für sich denken und wollen, was ihr nicht der Geist eingehauchet hat?! Muß denn nicht ihr sehnlichster und ihr ganzes Wesen beseligendster Wunsch vor allem der sein, ganz vollkommen eins mit dem Geiste für ewig zu sein und unwandelbar zu verbleiben?! – Ich finde in der bleibenden selbstischen Denk-, Wollens- und Erkennensfähigkeit eigentlich noch eine Unvollkommenheit im geistigen Sein des Menschen.

8. Sonderbar aber klingt auch das, daß die in ihren Geist hinüber so ganz eigentlich neugeborene Seele – die denn doch viel kräftiger sein sollte als die pure, urvollkommene Seele eines dieser Mohren, bei denen von einer geistigen Wiedergeburt noch lange keine Rede ist und auch um so weniger früher je eine war – für sich viel weniger vermag als eine solche für sich allein dastehende pure, urvollkommene Seele eines dieser Mohren! Wenn solche Seelen etwas wollen, so geschieht es; wenn aber eine in ihrem Geiste wiedergeborene Seele – was doch sicher mehr sagen will als bloß eine urvollkommene Seele sein – etwas so aus sich wollte, so geschieht's nicht, weil es der Geist nicht will!

9. Den Seelen dieser Mohren wird sicher auch jenseits die wunderbare Fähigkeit innewohnen, laut der sie wenigstens so viel Wundersames wie hier werden zu bewirken imstande sein; unsere in den Geist hinüber wiedergeborene Seele aber sollte dann für sich, gewisserart zu ihrem Privatvergnügen, gar nichts vermögen? Wahrlich, Herr, das ist mir nun zum ersten Male etwas, was ich durchaus nicht zu fassen vermag! Denn ich finde dazu weder irgendeinen Grund, noch irgendeinen für die Vernunft annehmbaren Anhaltspunkt. Wolle Du also die Gnade haben, uns Weißen diese Sache in ein etwas helleres Licht zu setzen; denn das ist eine unverdauliche Kost für uns!“

227. Kapitel. Gehirn und Seele.

1. Sage Ich: „Ich habe es euch schon früher einmal gezeigt, wie eine Seele und am Ende der ganze Mensch durch eine verkehrte Erziehung um alle menschlichen, Mir ähnlichen Herrlichkeitsfähigkeiten kommt! Wenn du bei einem Kinde zuerst den Verstand einer gewissen Bildung unterziehst, und es ist das Gehirn noch nicht zu zwei drittel Teilen reif ausgebildet und wird dennoch belästigt, Worte, Bilder und Zahlen in einer Unzahl auf die noch sehr weichen und auch noch wäßrigen, in der besten Ausbildung begriffenen Gehirntäfelchen entsprechend bildlich aufzunehmen, so werden diese obbenannten Täfelchen einerseits zu sehr abgehärtet und anderseits durch zu starke Memorialanstrengungen in eine gänzliche Unordnung gebracht, infolgedessen dann solche Kindlein später als Jünglinge und noch später als Männer beständig von Kopfschmerzen geplagt sind, von denen sie zeitlebens nie völlig befreit werden können.

2. Das ganze Gehirn wird schon lange vorher mit allerlei Zeichen überkleistert und für die Aufnahme der ganz subtilen Zeichen, die, aus dem Gemüte zuerst aufsteigend, sich den sehr empfänglichen Gehirntäfelchen einprägen sollen, ganz unempfänglich gemacht. Wird später der Seele auch etwas vom Gemüte, irgendeine höhere geistige Wahrheit, vorgetragen, so hat diese keine Haft irgend, und die Seele kann sie nicht fassen, weil diese Wahrheit der Seele nicht irgendmehr für länger als auf einen Moment nur beschaulich dargestellt werden kann.

3. Zudem hat die Seele stets eine Menge der materiellen, groben Weltbilder wie einen dichten Wald vor sich und kann unmöglich durch diese die gar zarten, kleinen, endlos vielen, nur ganz schwach eingeprägten Zeichen erschauen. Erspäht sie auf Augenblicke die ganz leise aufgetragenen Dunstbilder, die aus dem Herzen aufgestiegen sind, so erscheint ihr das als ein Zerrbild, das sie unmöglich fassen und klar genug erschauen kann, weil die groben Materiebilder vor das geistige Bild zu stehen kommen und dasselbe zum Teile verdecken und zum Teile zerstören.

4. Nun würdest du meinen und sagen: ,Ja, wozu muß denn die Seele gerade auf die Gehirntäfelchen sehen? Sie befasse sich nur gleich mit dem Herzen und gehe also ein in ihres Geistes Licht!‘ Wäre alles recht, wenn man nur gleich so, das Leben unbeschadet, die einmal gestellte Lebensordnung ganz umgestalten könnte!

5. Wäre es denn nicht auch wohl füglich, so man jemandem, der durch was immer für Ursachen entweder schon im Mutterleibe oder nachher auf der Welt blind geworden ist, etwa am Kinn oder auf der Stirne oder auf der Nase ein paar Augen erschaffen würde? – Das wäre ganz gut, wenn so ein paar neue, anderorts angebrachte Augen nur nicht auch einen ganz andern Leibesorganismus benötigten!

6. Denn beim Mechanismus des Menschenleibes besteht eine so strenge, mathematische Ordnung, dernach alles auf seinem Platze nicht um ein Haar verrückbar steht und ohne gänzliche Veränderung des ganzen Organismus des Leibes nicht verändert werden kann. Es ist demnach ganz unmöglich, jemandem ein Sinneswerkzeug an irgendeine andere Stelle des Leibes hinzusetzen, ohne den ganzen Leib total umzugestalten, ihm zu geben eine andere Form und eine ganz andere innere Einrichtung.

7. Wie man aber dem Leibe keine anderortigen Sinne anstatt der schon rechtorts bestehenden aus dem wohlgezeigten Grunde hinstellen kann, so ist das auch bei der Seele, die ein noch viel zarterer, geistiger Organismus ist, um so mehr der Fall! Sie kann nur sehen und hören durch das Gehirn des Leibes; die andern Eindrücke, die aber stumpf und unerklärbar sind, kann die Seele freilich auch mit anderen Nerven wahrnehmen, aber sie müssen dennoch mit den Gehirnnerven in einer ununterbrochenen Verbindung stehen, da sonst der Gaumen keinen Geschmack und die Nase keinen Geruch hat.“

228. Kapitel. Die rechte Bildung des Gehirns.

1. (Der Herr:) „Solange die Seele den Leib bewohnt, ist und bleibt das Gehirn das Hauptsehorgan der Seele. Ist dieses recht gebildet, so wird die Seele die aus dem Gemüte dem Gehirn eingeprägten Lebensbilder gut und genau erschauen und wird auch danach denken, schließen und handeln; denn kann die Seele auch in gewissen entzückten Momenten durch die Auflegung der Hände eines Glaubens- und Willensstarken aus der Magengrube für sich allein helle sehen, wie euch unser Zorel ein Beispiel abgab, so nützt ihr das fürs reelle Leben wenig oder nichts, denn es kann ihr davon in der finstern Behausung ihres Fleischleibes auch nicht die allerleiseste Rückerinnerung bleiben.

2. Wo bei irgendeinem Schauen und Wahrnehmen der Seele während ihres Leibeslebens das Gehirn des Hauptes nicht mitbetätigt ist, da bleibt der Seele keine Erinnerung, sondern höchstens nur eine dumpfe Ahnung; denn für das, was die Seele in ihres Hauptes Gehirn aufnimmt, hat sie ebensowenig irgendeine Sehe, als der Leib irgendeine Sehe hat, die inwendig das besehen könnte, was alles sich durch die Augen und durch die Ohren in die vielen Gehirntäfelchen bildlich eingeprägt hat. Solches kann nur die Seele beschauen, die inwendig alles Fleischlichen ist.

3. Was aber dann entsprechend im seelischen Gehirne haften bleibt, das kann die Seele mit ihren Augen, die so wie die des Leibes nur nach außen gerichtet sind, nicht erschauen und mit ihren Ohren nicht vernehmen, sondern das kann nur der Geist in ihr, darum ein Mensch auch erst dann etwas rein Geistiges vollends erkennen kann, so der Geist, in der Seele vollauf erwacht, in diese übergegangen ist.

4. Was aber inwendig im Geiste ist, das erkenne Ich und aus Mir dann wieder des Menschen Geist, der mit Mir oder mit Meinem Geiste identisch ist; denn er ist Mein Abbild in der Seele also, wie die Sonne ihr volles Abbild legt in einen Spiegel.

5. Solange demnach eine Seele den Leib bewohnt, ist ihr ein recht gebildetes Leibesgehirn zum wahren, hellen Schauen unumgänglich nötig; aber ein verbildetes Gehirn nützt ihr fürs geistige Schauen gar nichts, wie ihr auch das Schauen durch die Magengrube nichts nützt, weil sie davon, wie es gezeigt wurde, keine Rückerinnerung behalten kann. Denn wenn solches auch in ihrem geistigen Gehirne haften bleibt für ewig, so hat sie dafür doch kein Auge und kein Ohr, was erst der in ihr erwachte Geist hat.

6. Wenn sonach das Gehirn aus dem Herzen richtig und recht nach Meiner Ordnung gebildet wird und die geistigen Lebensbilder, welche ein Licht sind, sich den Gehirntäfelchen eher einprägen als die materiellen, so werden dann die darauf folgenden außenweltlichen durchleuchtet und dadurch leicht in allen ihren Teilen gar wohl verständlich und der wahren Weisheit nach begreiflich und faßlich. Und das daraus durchgehende Licht erfüllt dann nicht nur den ganzen menschlichen Organismus, sondern strömt in geistig hellen Strahlen noch weit über denselben hinaus und bildet so die Außenlebenssphäre, mit der ein Mensch dann, wenn sie mit der Zeit notwendig stets dichter und kräftiger geworden ist, in die Außenwelt auch ohne die Wiedergeburt des Geistes Wunderbares wirken kann, wie ihr solches bei unseren Mohren gesehen habt.

7. Ist aber beim Menschen das Gehirn verkehrt gebildet und haften auf dessen Gehirntäfelchen nur matte Schattenbilder, zu deren Beschauung die Seele am Ende all ihr Lebenslicht verwenden muß, um sie nur höchst oberflächlich nach den äußersten Formumrissen zu erkennen, so kann die Seele selbst ja nie also leuchtend werden, daß sich aus ihrem überschwenglichen Lichte ein Außenlebenskreis bilden könnte.

8. Nur durch eine rechte Demut, durch die mächtigste Liebe zu Gott und zum Nächsten und durch ein besonderes Streben nach geistigen Dingen werden die materiellen Bilder im Gehirne erleuchtet und dadurch in geistige verkehrt, und das Gehirn wird dadurch zu einiger Ordnung gebracht, – aber im Leibesleben dennoch nimmer zu derjenigen, wie ihr sie bei diesen Mohren ersehet.

9. Aber es macht solches nichts; denn Mir ist ein Wiedergeborener aus euch lieber denn 99 solche naturvollkommenen Seelen, die noch nie einer Buße bedurft haben. Denn Meine rechten Kinder müssen aus ihrer Schwäche stark werden!

10. Hast du, Mein Cyrenius, nun solches alles wohl verstanden, und sind deine Fragen nun wohl beantwortet?“

229. Kapitel. Cyrenius bittet um Verdeutlichung der Gehirnlehre.

1. Sagt Cyrenius: „Herr, aufrichtig gefühlt und gesprochen, um diese Deine Erklärung ganz richtig verstehen zu können, müßte man doch irgendeine Kunde vom Gehirn im Menschenkopfe haben, da man sich sonst doch unmöglich die Gehirntäfelchen, auf die entweder in der rechten Bildungsweise die seelisch-geistigen Bilder oder bei der schlechten und verkehrten Bildungsweise die materiellen, groben Weltbilder zuerst gezeichnet werden, irgend richtig vorstellen kann und noch weniger, wie auf solche Täfelchen die verschiedenartigen Lebensbilder gezeichnet werden.

2. Wäre es Dir, o Herr, denn nicht genehm – da Dir doch alle Dinge möglich sind –, uns so ein Beispiel oder Ebenbild eines Gehirntäfelchens, sowohl des Vorderhauptes wie auch des Hinterhauptes, vorzustellen, auf daß wir dann auch eine richtige Vorstellung von dem, was Du Selbst als Wichtigstes zu erkennen angeraten hast, überkommen möchten?! Denn wenn man bei einer so ungeheuer wichtigsten Belehrung sich von einer dabei vorkommenden Sache keinen völlig richtigen Begriff machen kann, so muß dann offenbar auch das Ganze darunter leiden!

3. Unsere Seele ist sicher noch viel zu lichtlos, um selbst des Hauptes Gehirntäfelchen sowohl ihrer Form als auch ihrer Brauchbarkeit nach richtig zu beurteilen oder gar hellseherisch zu beschauen, um sich selbst davon einen rechten Begriff zu schaffen. Es ist also notwendig, daß uns schwachseelischen Weißen wenigstens von jenem Organismus unseres Leibes eine richtige Kenntnis verschafft wird, von dessen gerechter Ausbildung des Menschen Lebenswohl oder -übel sozusagen nahezu ganz allein abhängt. Wenn, wie gesagt, o Herr, es Dir genehm wäre, so möchte ich wohl gerne so ein oder mehrere Gehirntäfelchen zu sehen bekommen; aber auch, wo tunlich, mit den rechten und dann mit den unrechten Zeichnungen!“

4. Sage Ich: „Ich wußte es ja, daß Ich euch darauf hinbringen werde, wo ihr das Mangelnde an euch selbst erkennen und ein rechtes Bedürfnis fühlen würdet, die Lücken in euch auszufüllen; und siehe, dies dein Verlangen ist Mir lieber denn ein anderes, laut dessen du dich ehedem nahezu aufgehalten hast, als Ich zu erkennen gab, daß die Seele selbst eines völlig wiedergeborenen Menschen für sich in der materiellen Kreaturenwelt nimmer das Wunderbare leisten wird, das eine urunverdorbene Seele für sich und aus sich vollbringt!

5. Ich sagte dir zwar wohl, daß ein Wiedergeborener das zu leisten vermöchte, was Ich Selbst zu leisten vermag, freilich nur in und durch Meine Ewigkeitsordnung; aber damit schienst du nicht so ganz zufrieden gewesen zu sein! Du beachtest aber dabei nicht, daß diese urvollkommenen Seelen sonst auch nichts vermögen als nur das, was in Meiner Ordnung zulässig und nutzbringend wohl möglich ist.

6. Denn alles, was sie mit der Kraft ihrer seelischen Außenlebenssphäre als euch scheinend Wunderbares wirken, ist etwas, das ebenso natürlich ist, als wie natürlich es ist, daß hier dieser Boden mit Moos und Gras bewachsen ist und das Wasser dieses Binnenmeeres in der großen Grube stehenbleibt vermöge der ihm innewohnenden Schwere. Findest du aber diese beiden dir nun angeführten Naturerscheinungen in der Ordnung und vollen Natürlichkeit, so wirst du auch das ganz leicht in derselben Ordnung und Natürlichkeit finden, was diese urvollkommenen Seelen als für ihre irdische Lebenssphäre und für das von ihnen bewohnte Land notwendig zu leisten imstande sein müssen.

7. Diese Mohren haben wohl eine sehr schwarze Haut, aber dafür eine desto lichtvollere Seele. Sie kennen auch zum größten Teile die wichtigsten Organe ihres inneren Hauptleibeslebensorganismus, und die Gehirntäfelchen sind ihnen wohlbekannt; denn ihre urvollkommenen Seelen können von innen heraus ihren Leib beschauen, und ist am selben etwas krank, so sehen sie die Stelle, wo das Übel sitzt, wie auch das, worin das Übel besteht.

8. Mit ihrer Außenlebenssphäre, die in solchen Momenten sehr kräftig wirkt, finden sie auch bald das Kraut, durch dessen Gebrauch das Übel so oder so bald beseitigt wird. Nur wenn bei ihnen die Sehnen und Spannadern faul und schlaff werden und dicker das Blut, so glauben sie, daß es dann kein Kraut mehr gäbe, dem allgemeinen Gebrechen des alt und aus ganz natürlichen Gründen schwach und sehr müde und träge gewordenen Leibes abzuhelfen; dann sei es schon am besten, daß die Seele für sich sorge, sich zusammenraffe und den für weiterhin gänzlich unbrauchbar und häßlich gewordenen Leib verlasse und sich begebe, von allen irdischen Banden frei, in das Land der Wonne, das da sei zwischen Sonne, Mond und Erde für immerdar und ewig.

9. Diese Menschen haben denn auch nicht die geringste Furcht vor dem Tode, wohl aber fürchten sie eine Krankheit des Leibes, weil dadurch die Seelenkräfte unnötigerweise in einen tätigsten Anspruch genommen würden und dadurch die Seele selbst nachher auf eine Zeitlang schwach und somit unvollkommen bleiben müßte.“

230. Kapitel. Die Folgen der Unkeuschheit.

1. (Der Herr:) „Was da aber betrifft Züchtigkeit des Fleisches und des Lebens und eine wahre jungfräuliche Keuschheit, so gibt es auf der Erde wohl kein Volk, das dieser Tugend mehr ergeben wäre als eben diese Schwarzen, und dem das Laster der Hurerei, Unzucht und Unkeuschheit weniger eigen wäre als eben wieder diesen Mohren.

2. Das ist aber auch etwas von der größten Lebensbedeutung; denn würden die weißen Menschen dieses Laster meiden und den Beischlaf nur so oft begehen, als wie oft er zur Erweckung einer Frucht in eines ordentlichen Weibes Leibe notwendig ist, Ich sage es euch: Nicht einen gäbe es unter euch, der nicht mindestens ein Hellseher wäre! So aber, wie es unter euch Sitte ist, vergeudet der Mann wie das Weib die besten Kräfte durch das oft tägliche Verpuffen der alleredelsten und seelenverwandtesten Lebenssäfte und hat demnach nimmer einen Vorrat, aus dem sich am Ende ein stets intensiveres Licht in der Seele ansammeln könnte!

3. Darum aber werden sie stets mehr und mehr träge und polypenartig genußsüchtige Wesen. Sie sind selten eines hellen Gedankens fähig und sind furchtsam, feig, sehr materiell, launisch und wetterwendisch, selbstsüchtig, neidisch und eifersüchtig. Sie können schwer oder oft gar nimmer etwas Geistiges begreifen; denn ihre Phantasie schweift immer im Reize des stinkenden Fleisches umher und mag sich nimmer zu etwas Höherem und Geistigem emporzuerheben. Und gibt es darunter schon auch dann und wann etwelche Menschen, die wenigstens in fleischgierlichkeitslosen Momenten irgendeinen flüchtigen Blick nach oben senden, da kommen doch gleich, wie schwarze Wolken am Himmel, fleischsinnliche Gedanken und verdecken das Höhere derart, daß die Seele dessen rein vergißt und sich gleich wieder in den stinkenden Pfuhl der Fleischeslust stürzt!

4. Bei solchen Menschen nützen zumeist ihre nicht selten ganz guten Vorsätze wenig oder nichts. Sie gleichen zumeist den Schweinen, die sich mit stets erneuter Gier in die allerabscheulichsten Kotlachen stürzen und darin mit dem ganzen Leibe herumwühlen, und den Hunden, die zu dem, was sie gespien haben, wieder zurückkehren und es mit Gier wieder auffressen.

5. Darum aber sei es euch auch für vollwahr gesagt, daß Hurer und Huren, Ehebrecher und Ehebrecherinnen und Unzüchtlinge aller Art und jeden Geschlechts in Mein Gottesreich schwer oder auch gar nie den Eingang finden werden!

6. So du nun in deinem Herzen das für etwas zu stark hältst, da versuche du, so einen fleischsinnlichen Menschen umzugestalten! Fange an, ihn auf die Gebote Gottes aufmerksam zu machen, sage zu ihm: ,Der Friede sei mit dir, das Reich Gottes ist dir nahegekommen! Laß ab von deinem lasterhaften Leben, liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst! Suche die Wahrheit, suche das Reich Gottes in deines Herzens Tiefen! Laß ab von der Welt und ihrer losen Materie, und suche zu wecken in dir des Geistes Leben! Bete, forsche und handle in der Ordnung Gottes!‘ – und du wirst diese Worte an völlig taube Ohren gerichtet haben! Er wird dich verlachen, dir den Rücken kehren und zu dir sagen: ,Fahre ab, du frömmelnder Narr, reize mich mit deiner Dummheit nicht, sonst nötigst du mich, dich ins Gesicht zu schlagen!‘

7. Sage Mir, was würdest du dann noch weiteres gegen solch einen Fleischwüstling unternehmen, vorausgesetzt, daß in deinen Händen keine Staatsgewalt läge?! Ermahnst du ihn zum zweiten Male, so hast du eine noch ärgere Grobheit zu erwarten, als da war die erste! Was nachher? –

8. Du wirst ein Wunder vor seinen Augen wirken! Wird ihm das vielleicht Ohren und Augen öffnen? O siehe, das wird er für eine Zauberei ansehen und zu dir sagen: ,Noch mehr dergleichen unterhaltende Stücke!‘ – aber ohne Nachteil für ihn, sonst vergreift er sich an dir und kämpft mit dir auf Leben und Tod; und lähmst du ihm die Glieder, so wird er dich bedienen mit den gräßlichsten Flüchen!

9. Darum ist ein Hurer nicht nur ein sinnlicher Sündenbock, sondern in seiner Gereiztheit auch ein gar böser Mensch; er ist voll des wilden Feuers und blind und taub für alles Gute und Wahre des Geistes. Einen Räuber bekehrest du lange eher denn einen echten Hurer und Ehebrecher.“

231. Kapitel. Der Segen einer geordneten Zeugung.

1. (Der Herr:) „Nun, wo unter den Menschen die Geilheit und Hurerei als eine wahre Seelenpest eingerissen ist, da hat das Predigen des Evangeliums sein Ende erreicht! Denn wie sollte man, und wie könnte man vor tauben Ohren reden und vor blinden Augen Zeichen wirken? Wo aber die Wahrheit nicht gepredigt wird und nicht mehr gepredigt werden kann, die allein die Seele stärken und frei machen kann und sie erleuchten durch und durch, weil die Seele nur durch die Wahrheit tätig, voll Liebe und sonach auch voll Lichtes wird, wie sollte da von irgendwo anders her ein Licht in die Seele kommen, und aus was anderem, als aus eben dem Wahrheitslichte der Seele, sollte sich dann die Außenlebenssphäre bilden?!

2. Wo demnach Unzucht und Hurerei bei einem Volke sehr eingerissen sind, da sind die Menschen ohne alle Außenlebenssphäre, träge, feig und gefühllos und finden an nichts mehr irgendein erhebendes und beseligendes Vergnügen und keine Lust an einer schönen Form und Gestalt. Ihre Sache ist der stumme, tierische Fleischtriebsgenuß; für alles andere haben sie entweder nur einen sehr geringen oder gar keinen Sinn!

3. Sorget darum vor allem, daß dieses Laster nirgends einreiße, und die Eheleute sollen nur so viel tun, als da zur Zeugung eines Menschen unumgänglich notwendig ist!

4. Wer sein Weib stört während ihrer Schwangerschaft, der verdirbt die Frucht schon im Mutterleibe und pflanzt derselben den Geist der Unzucht ein; denn welch ein Geist die Gatten nötigt und reizt, sich über die natürliche Gebühr zu beschlafen, derselbe Geist geht dann potenziert in die Frucht über.

5. Daher soll auch bei der Zeugung dieses wohl und sehr gewissenhaft beachtet werden, daß erstens die Zeugung nicht aus gemeiner Geilheit verübt werde, sondern aus wahrhafter Liebe und seelischer Neigung, – und zweitens, daß das einmal empfangen habende Weib noch gut sieben Wochen nach der Ausgeburt ihrer Frucht in der Ruhe ungestört belassen werde!

6. Kinder, auf diese ordentliche Art gezeugt und im Mutterleibe ungestört ausgereift, werden erstens schon seelenvollkommener in die Welt kommen, weil die Seele in einem vollkommen ausgebildeten Organismus doch sicher eher und leichter für ihren geistigen Herd sorgen kann als bei einem ganz verdorbenen, an dem sie gleichfort zu bessern und zu flicken hat; und zweitens ist sie selbst reiner und heller, weil sie nicht von den geilen Unzuchtsgeistern, die durch die oft täglichen geilen Nachzeugungen in des Embryo Fleisch und auch Seele hineingezeugt werden, verunreinigt ist.

7. Wie leicht kann solch eine Seele ihr Gemüt schon in der zartesten Kindheit gleich einem Samuel zu Gott erheben aus wahrer kindlicher, allerunschuldigster Liebe! Und welch eine herrliche Urlebensgrundzeichnung wird auf diese Weise aus der wahren Gemütstiefe dem jungen, zarten Gehirne vor jeder materiellen Zeichnung ganz licht und hell eingeprägt, aus welchem Lichte sich dann ein Kind die später kommenden Bilder aus der materiellen Welt in der rechten Bedeutung und Beziehung erklären wird, weil diese Bilder auf einen lichtvollen und lebenswahren Grund gewisserart eingepflanzt werden und erweitert und wie in ihre Einzelteile zerlegt und, als durch und durch besterleuchtet, von der Seele auch leicht durch und durch beschaut und begriffen werden.

8. Bei solchen Kindern fängt sich schon frühzeitig eine Außenlebenssphäre zu bilden an, und sie werden bald und leicht hellsehend, und ihrem Willen wird sich alles in Meiner Ordnung Seiende zu fügen anfangen. – Was sind dagegen die schon im Mutterleibe verdorbenen Kinder? Ich sage es euch: Kaum mehr als scheinbelebte Schattenbilder des Lebens! Und was ist hauptsächlich daran schuld? Das, was Ich euch bisher sattsam als Folge der Geilheit gezeigt habe!

9. Wo irgend in der späteren Zeit Mein Wort von euch gepredigt wird, soll diese Lehre nicht fehlen; denn sie bearbeitet des Lebens Grund und Boden und macht ihn frei von allen Dornen und Gestrüppen und Disteln, von denen noch nie ein Mensch Trauben und Feigen geerntet hat. Ist der Grund und der Boden einmal gereinigt, so ist es dann ein leichtes, den edlen Lebenssamen in die vom Gemütslichte durchleuchteten und von der Flamme der Liebe lebensdurchwärmten Furchen zu streuen. Nicht ein Körnlein wird fallen, ohne sogleich zu keimen und in Kürze sich zu entfalten zur Tragung einer reichlichen Lebensfrucht! Aber auf einem wilden, ungereinigten Boden könnet ihr säen, was ihr wollet, so werdet ihr damit doch niemals eine gesegnete Ernte erzielen!

10. Denn ein Mensch, der Mein Wort austrägt und streuet unter die Menschen, gleicht einem Säemann, der ein schönstes Getreide nahm und streute es auf jeden Boden, dahin er immer kam.

11. Da fiel etliches auf dürren Sand und auf Felsen. Als darauf ein Regen fiel, so fingen wohl die Körnchen an, ganz zarte Keime zu treiben; aber der Regen hörte bald auf, und es kamen Winde und der Sonne glühende Strahlen und verzehrten bald alle Feuchtigkeit des harten Bodens, und damit erstarben auch die zarten, kaum getriebenen Keime, und es kam zu keiner Frucht.

12. Ein anderer Teil aber fiel unter Dorngestrüppe und hatte Feuchtigkeit und keimte wohl und ging auf; aber nur zu bald ward es von dem Unkraute der Weltbegierden überwuchert und erstickt, und es brachte somit auch keine Frucht.

13. Ein Teil fiel aber auf den Weg der menschlichen Gemeinheit; der keimte nicht einmal, sondern ward bald teils zertreten und teils von den Vögeln der Luft verzehrt! Daß der auch keine Frucht abwarf, braucht nicht extra berührt zu werden.

14. Nur ein Teil fiel auf ein gutes Erdreich; der keimte, ging gut auf und gab eine gute und reichliche Ernte.

15. Dieses Bild diene euch aber dazu, daß ihr einsehet, daß man die Perlen nicht den Schweinen vorwerfen soll! Vor allem heißt es, den Boden erst reinigen und düngen und sodann erst darauf mit der Aussaat des lebendigen Wortsamens beginnen, so wird man sich mit der schweren Arbeit sicher keine vergebliche Mühe gemacht haben! Denn bei der Arbeit der Ausbreitung Meines lebendigen Wortes reicht der gute Wille allein wohl nicht völlig aus; da muß ihn eine rechte und wahre Lebensweisheit leiten, – sonst könnte ein bloß gut- und festwilliger Austräger Meines Wortes mit dem Propheten Bileam verglichen werden, dessen Esel weiser war als er!

16. Siehe, du Mein Freund Cyrenius, in allem dem, was Ich dir bis jetzt gesagt habe, hast du zwar die Antwort auf dein Begehren als tatsächlich nicht erhalten, und du bist im Herzen schon immer im Zuge, Mich daran zu erinnern, – aber Ich sage dir, daß dir dein alsogleich erfülltes Verlangen eben keinen großen Nutzen gebracht hätte, so Ich das nicht vorangeschickt hätte.“

232. Kapitel. Der Bau des menschlichen Gehirns.

1. (Der Herr:) „Nun aber werden wir sehen, ob wir uns ein Gehirntäfelchenwerk zu eurer näheren Belehrung werden zu verschaffen imstande sein! Wir könnten uns nun zwar aus Rom durch den Raphael sogleich ein paar natürliche Menschenköpfe herschaffen lassen – denn soeben sind zwei Hauptverbrecher in Rom, sogar auf dem Kapitol, enthauptet worden! –, aber es wäre uns mit diesen Bösewichtsschädeln wenig oder nichts geholfen!

2. Es soll denn geschehen, daß uns der Engel vier ganz taugliche weiße und ganz reine Kiesel aus irgendeinem Bache herbeischafft. Aus diesen werden wir ein menschliches Gehirn darzustellen suchen, so gut sich das mit der Materie nur immer tun läßt. – Raphael, gehe und besorge das Verlangte!“

3. Raphael ward nun auf einmal unsichtbar, etwa sieben Augenblicke lang; dann aber stand er wieder plötzlich bei uns und legte vier ganz schneeweiße Kiesel vor uns, das ist vor Mir, auf den Tisch. Zwei waren größer und zwei kleiner, entsprechend dem großen Vorderhauptsgehirn für Lichtbilder und dem kleinen Hinterhauptsgehirn für die Zeichen der Töne.

4. Als die Steine vor Mir in rechter Ordnung lagen, rührte Ich sie an, und sie wurden durchsichtig wie ein reinster Bergkristall. Darauf hauchte Ich sie an, und sie teilten sich in Millionen vierflächiger Pyramidchen, jedes bestehend aus drei Seiten oder Außenflächen und aus der Unterfläche.

5. Die zwei zu Meiner Rechten aufgestellten Steine stellten das Gehirn in rechter Ordnung und die zu Meiner Linken das Gehirn in der durch die falsche Erziehung und durch andere nachträglich böse Einflüsse verkehrten Ordnung dar, wie es gewöhnlich unter den Menschen vorkommt.

6. Da aber waren nicht lauter Pyramiden, sondern nebst den wenigen Pyramiden waren nahezu alle in der Meßkunst vorkommenden stereometrischen Formen, Figuren und Typen zu ersehen, was um so genauer zu ersehen war, als Ich durch einen Anhauch die vorliegenden Gehirnnachgebilde ums Zehnfache vergrößert hatte, so daß nun vier ganz große Haufen vor uns auf dem Tische, der zu dem Behufe von Raphael schnellst um ein Bedeutendes vergrößert werden mußte, vor den Augen der überaus erstaunten Jünger wohlaufgerichtet lagen.

7. Ich sagte: „Nun könnet ihr die Tafelformen aller vier Gehirnhaufen wohl absonderlich und gut unterscheidbar betrachten!

8. Seht, hier zur Rechten besteht das große Vorderhauptsgehirn aus lauter höchst regelrechten Pyramiden, und ebenso das kleine Hinterhauptsgehirn aus den gleichen Pyramiden, – nur sind sie ums Dreifache kleiner, aber zur Aufnahme von lauter Luftvibrationszahlen für die Seele dennoch groß zur Übergenüge.

9. Besehet aber nun auch die beiden Haufen zu Meiner Linken! Da gibt es schon sehr verschiedene Formen, wie schon früher bemerkt, und sie passen nirgends gut zusammen; bald ist da, bald dort ein hohler Raum und gibt Anlaß zu allerlei falschen Abspiegelungen, wie ihr solches später tatsächlich erschauen werdet. Das Hinterhaupt, ganz dem Vorderhaupte gleichend, hat ebenfalls ums Dreifache kleinere Tafelformen denn das Vorderhaupt. – Betrachtet nun einmal die Formen!“

10. Nun kommen alle, um zu betrachten das nun aus den vier Kieselsteinen künstlich im vergrößerten Maße dargestellte Gehirn – bis jetzt noch bloß nur in seinen Pyramidaltäfelchen-Formen ohne innere Kammerabteilung und ohne Verband der Gehirntäfelchen untereinander.

11. (Der Herr:) „Wenn alle sich davon einen möglichst klaren Begriff werden genommen haben, werde Ich durch einen wiederholten Anhauch die Gehirntäfelchen in Kammern absondern und sie in jeder Kammer polarisch verbinden sowie die Kammern selbst und das Vorderhaupt mit dem Hinterhaupte, damit dadurch die Gehirntäfelchen, welcher Art sie auch seien, bilder- und zeichenaufnahmefähig werden.“

12. Cyrenius kann sich vor lauter Staunen gar nicht erholen und sagt endlich: „Ah, nun geht mir ein Licht auf! Die Urägypter, die zuerst ihre Schulhäuser in der Gestalt der Pyramiden erbaut haben, waren sicher noch urvollkommene Seelenmenschen, also von innen voll Lichtes, und konnten beschauen ihres Leibes organischen Bau! Denen werden diese Pyramidalformen, als für das Erkennen des Menschen die wichtigsten, sicher auch beschaulich gewesen sein, und sie haben hernach denn auch diese Form bei der Erbauung ihrer großartigsten Schulhäuser gewählt. Ja, sie werden auch den Bau einer jeden einzelnen Gehirntafelpyramide möglichst genau durchschaut und durchmustert und dann einer jeden Pyramide auch innerlich eine solche Einrichtung im größten Maßstabe gegeben haben, als wie organisch eingerichtet sie eine Gehirntafelpyramide gefunden haben!

13. Darum hat so eine Pyramide innerlich eine solche Menge von allerlei Gängen und Gemächern, bei und mit denen sich ein nun auch schon allervernünftigster Mensch unmöglich mehr auskennen kann, wofür das eine oder das andere gut war! – Herr, habe ich nun wohl so ganz recht geurteilt?!“

14. Sage Ich: „Ganz vollkommen recht und richtig; denn also war es, und die Ägypter haben denn auch die Flächen der Pyramiden besonders von innen mit allerlei Zeichen und Schriften und Bildern bemalt, die entsprechend alles mögliche anzeigten, was ein Mensch auf dieser Erde in seinem Fleische durchzumachen und zu erkämpfen hat, wie er sich selbst zu erkennen hat, und wie die wahre Liebe der Mittelpunkt alles Lebens ist.“

233. Kapitel. Der Zusammenhang des Vorderhauptgehirnes mit dem Hinterhauptsgehirn.

1. (Der Herr:) „Aber nun hauche Ich unsere vier Gehirnhaufen noch einmal an, und du wirst dann auch etwas Ähnliches wie die zwei und zwei Oubeliske (Spitzsäulen) vor den Pyramiden erschauen. Die Spitzsäulen waren wohl zu einem andern Zwecke bestimmt als die je zwei und zwei Säulchen vor jeder Fläche der Gehirnpyramidentäfelchen; denn die Spitzsäulen vor den Pyramiden zeigten bloß an, daß in den Pyramiden die Weisheit zu suchen sei, wozu freilich nur ein erwiesen reiner Mensch zugelassen wurde.

2. Die zwei Spitzlein vor den Gehirntäfelchenflächen, deren somit jedes Gehirnpyramidlein acht besitzt, sind die Schreibstifte, mit denen mittels der Bewegung der dazu eigenen Gehirnnerven, die mit den Seh- und Gehörnerven in einer höchst kunstvollen und organisch-mechanischen Verbindung stehen, die Täfelchen entweder nach einer gewissen Ordnung beschrieben oder mit noch anderen entsprechenden geistigen Lichtbildern bezeichnet werden.

3. Gebt aber nun ganz besonders acht auf alles, was da vorkommen wird! Wir wollen nun diese Schreibstifte mit einer Lymphe füllen und zuerst unsere Betrachtungen bei dem ordentlichen Gehirne anfangen! – Ich will, daß die Täfelchen dieses Gehirnes zuerst ordentlicherweise, wie von einem Gemüte ausgehend, sowohl seh- als auch gehörseits, ganz ordentlich überzeichnet werden!“

4. Nun strengten alle nach Möglichkeit die Augen an und starrten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit nach unserem Gehirnapparate. Ich mußte hier freilich die Lichtbilder auch von materiellem Grellichte entstehen lassen; denn mit dem Seelenlichte wäre für die Fleischaugen Meiner Jünger so gut wie nichts zu sehen gewesen. – Was bemerkten denn nun die aufmerksamsten Beobachter?

5. Sie bemerkten, wie sich aus den Spitzen rötliche und bläuliche Sternlein über die Gehirntäfelchen ergossen, und zwar in einer solchen Ordnung, daß ein recht scharfes Auge aus diesen zahllosen Sternlein auf den Gehirntäfelchen allerlei der wundersamsten Bildchen zu entdecken begann.

6. Ich bewirkte für diesen Augenblick freilich auch, daß die Augen der Beobachtenden auf einige Augenblicke die stark vergrößernde Eigenschaft eines Mikroskopes bekamen, was hier sehr notwendig war, weil sonst die Beobachter von den wunderbaren Lichtzeichenbildern und -formen nicht viel ausgenommen haben würden. Da hätte die frühere zehnfache Vergrößerung der Gehirnpyramidchen nicht ausgelangt. Da sie aber nun die Gehirntäfelchen ums Tausendfache größer ersahen, so konnten sie schon immer recht sehr vieles entdecken.

7. Ich fragte denn nun auch den Cyrenius, was er nun alles sähe. Und er sagte: „Herr, Wunder über Wunder! Aus den sehr beweglichen und aus sehr vielen Organen nach der ganzen Länge und nach kreuz und quer bestehenden Vorpyramid-Obelisken strömen fortwährend eine Menge Sternlein von lichtrötlicher und lichtbläulicher Farbe. Die beiden gleichsam Fühlhörner jeder der vier Pyramidenflächen sind ununterbrochen tätig und fahren mit ihren funkensprühenden Spitzen ununterbrochen auf der ihnen gegenüberstehenden Pyramidenfläche mit aller Emsigkeit umher und bestreuen diese mit den Sternlein. Man sollte meinen, daß durch dieses scheinbar sinnlose und wie zufällige Herumfahren auf der Dreikanttafel nichts als ein Gekritzel herauskommen könne; aber es wächst wie von selbst allerlei ordentliches Gebildwerk heraus und ist gar lieblich anzusehen.

8. Nur merke ich nun, daß die beiden Säulchen ganz ruhig werden, wenn eine Fläche einmal voll angezeichnet ist. Es ist aber kaum glaublich, daß diese tausendmal tausend Zeichen und Bildchen in der kurzen Zeit von den zwei lebendigen Zeichenstiften auf eine solche Dreiecktafel haben hingezeichnet werden können! Die Formen sind zwar noch sehr klein, obwohl wir so eine Fläche in der größten Manneshöhe erschauen; aber so rein stehen diese kleinen Bildchen und Zeichlein da, daß man sich schon nichts Reineres und Vollendeteres denken kann.

9. Aber warum sind denn im Hinterhaupte auf den dem Vorderhaupte ganz ähnlichen Täfelchen keine Bildchen zu entdecken? Ich entdecke darauf nichts als pure Linien, Punkte und anderes hakenförmiges Zeichenwerk, aus dem ich nicht klug werden kann. Was soll denn das zu bedeuten haben?“

10. Sage Ich: „Das sind Zeichen der Töne und Zeichen des Wortes; sie stehen aber dennoch nicht allein für sich da, sondern stehen stets mit einer Fläche eines Vorderhauptsgehirntäfelchens in einer polarischen Verbindung, und der Ton oder der Begriff, der auf des Hinterhauptes Täfelchen mittels Linien, Punkten und anderer hakenförmiger Zeichen aufgetragen wird, wird im selben Momente auch gewöhnlich auf die zuunterst liegende Pyramidenfläche des Vorderhauptes als ein entsprechendes Bildlein aufgezeichnet und so der Seele zur leichtere Erkennung dargestellt.

11. Um das zu bewerkstelligen, müssen eine Menge von Nervenfäden von jedem Gehirnpyramidchen des Hinterhauptes zum entsprechenden Pyramidchen des Vorderhauptes gezogen sein, ansonst sich niemand von einem vernommenen Begriffe, von einer mit Worten beschriebenen Gegend oder Handlung eine klare Vorstellung machen könnte.

12. Unartikulierte Töne, auch Musik, werden nicht übertragen, daher sich denn auch kein Mensch unter einem Tone oder unter einer Harmonie oder einer Melodie irgendein Bild oder irgendeine Sache vorstellen kann; denn, wie gesagt, es werden solche Töne nicht auf des Vorderhauptes Gehirntäfelchen wiedergezeichnet, sondern bleiben allein auf einer entsprechenden Pyramidenfläche des Hinterhauptes haften als Linien, Punkte und Häkchen.

13. Von den mit puren Tönen angezeichneten Hinterhauptspyramidflächen gehen aber dafür Nerven durch das Rückgratmark zu den Magengrubennerven (Ganglien) und von da zum Herzen, aus welchem Grunde denn die Musik, wenn sie ganz rein ist, auch hauptsächlich nur auf das Gemüt wirkt, es ergreift und nicht selten zart und weichfühlend macht.

14. Aber vom Gemüte ausgehend und aufsteigend, können die Töne dennoch durch das Licht der Liebe als die Sternlein durch zwei Obelisklein auf die Gehirntäfelchen in Formen gezeichnet werden und sind dann der Seele nicht selten wahre Wegweiser in die großen Lebenshallen des Geistes, und aus diesem Grunde kann eine rechte und ganz reine Musik der Seele sehr behilflich sein zur vollen Einigung mit ihrem Geiste. Daher lernet und lehret auch die reine Musik, wie sie dereinst David betrieb!

15. Daß eine reinste Musik das vermag, könnet ihr auch daraus ersehen, daß ihr auf einem Platze Feinde und Freunde aufstellen und dann in ihrer Mitte erschallen lassen könnet die reine Musik, und ihr werdet statt der Feinde bald lauter gemütliche Freunde erblicken. Aber es bringt diese Wirkung nur eine reinste Musik zustande; eine unreine und zotige Musik bewirkt gerade das Gegenteil.

16. Du hast denn nun gesehen, wie auch die Töne auf einem Umwege dennoch auch als etwas Beschauliches der Seele vorgestellt werden, wennschon nicht als Sachbilder, so doch als höhere geistige Formen in Gestalt von allerlei Zeichen, wie man ähnliche auch auf den alten Denkmälern Ägyptens antrifft. Ich meine, daß dir das bisher Gezeigte so ziemlich klar sein wird, und so setze Ich da nichts Weiteres mehr hinzu, als daß das alles nur bei einem wohlgeordneten und unverdorbenen Gehirne vorkommt in der ordentlichen Vorbildung aus dem Gemüte, wo die Gehirntäfelchen zuerst mit dem Lichte mit allerlei seelischen und geistigen Formen beschrieben werden.“

234. Kapitel. Die Verbindung der Sinnesorgane mit dem Gehirne.

1. (Der Herr:) „Da wir aber nun diese gar wichtigste Vorarbeit beschaut und begriffen haben, so müssen wir, um die Sache ganz zu verstehen, auch noch ganz kurz auf das einige Blicke richten, wie endlich die Seele auch die Bilder aus der materiellen Welt denselben Gehirntäfelchen einprägen läßt.

2. Sehet nun her, es sollen nun denn auch Bilder, durch die Augen kommend, den Gehirntäfelchen eingeprägt werden! – Ich will es, und also geschehe es!

3. Besehet nun die besonders vor zwei Flächen angebrachten Schreibstifte oder Obelisken, wie sie nun auf einmal ganz dunkel geworden sind! Es hat das Ansehen, als wären sie mit einem sehr dunklen Safte angefüllt worden, und sehet, schon sind wir alle, zum Reden getroffen, auf die Gehirntäfelchen von Zug zu Zug, nebst den Bäumen und nebst allem, was uns da zu Gesichte kommt, gezeichnet! Aber nicht nur einseitig und tot, sondern allseitig und wie lebendig!

4. Jede Bewegung, die wir machen, wird hier ein wie tausendmal tausend Male wiedergegeben, und dennoch bleibt eine frühere oder auch tausend frühere Stellungen, in der Pyramide inneren Gemächern eingezeichnet, dem Auge der Seele gleichfort ersichtlich, weil vom geistig-seelischen Lichte gleichfort erhellt; und das bewirket das, was man zum Teil ,Gedächtnis‘ und zum Teil ,Erinnerung‘ nennt, weil es inwendig der Gehirnpyramiden haftet. Dieses vervielfacht sich aber auf dem Wege der vielfältigsten Reflexion so, daß man einen und denselben Gegenstand dann unzählige Male in sich tragen kann.

5. So trägt ein jeder Mensch, besonders in seiner Seele und noch unaussprechbar mehr in seinem Geiste, die ganze Schöpfung vom Größten bis zum Kleinsten ihrer Teile in sich, weil er daraus genommen ist.

6. Beschaut er nun die Sterne oder den Mond oder die Sonne, so wird alles das von neuem wieder in seine Gehirnorgane gezeichnet auf die euch nun gezeigte Art, und die Seele beschaut es und hat ein rechtes Wohlgefallen daran, und es wird das Geschaute durch die rechte Lust der Seele gleich in der Gehirnpyramidchen Inneres und Innerstes, natürlich in sehr verkleinertem Maßstabe, vielfach auf dem Wege der inneren Reflexion eingegraben und kann von der Seele allzeit wieder gefunden und vollkommener beschaut werden.

7. Alle die Zeichnungen aus der Sphäre der äußeren Welt erscheinen zwar für sich nur als dunkle Bilder; aber die hinter ihnen stehenden Lichtbilder aus einer bessern Lebenssphäre erhellen die Naturbilder, und diese sind daher selbst und in allen ihren Teilen zur Genüge erhellt, so daß sie die Seele in ihrem Innerstgefüge gar wohl durchschauen, erforschen und begreifen kann.

8. Zudem aber steht besonders das Vordergehirn mit den Geruchs- und Geschmacksnerven in einer steten Verbindung, so wie das Hinterhaupt mit den allgemeinen Gefühlsnerven. Diese hinterlassen denn auch auf den eigens dazu bestimmten Gehirntäfelchen gewisse Merkmale, aus denen die Seele gleich und ganz leicht wieder erkennt, wie zum Beispiel eine oder die andere Blume oder Salbe riecht, oder wie diese oder jene Speise, Frucht oder dieses und jenes Getränk schmeckt und auch wieder riecht; denn es ist die Einrichtung also getroffen, daß jedes Geruchs- und Geschmackstäfelchen durch sehr reizbare Nerven in strenger Verbindung mit einem oder dem andern Sachtäfelchen steht.

9. Sobald nun ein bekannter Geruch die Geruchsnerven jemandes in Bewegung setzt, so repräsentiert sich das auch gleich auf einer entsprechenden Geruchs- oder Geschmackstafel, und von der aus wird sogleich die entsprechende Sachtafel angeregt, und die Seele erfährt dadurch schnell und leicht, womit sie unter jenem Geruche oder Geschmacke zu tun hat. Ebenso repräsentiert sich der Seele auch von seiten des allgemeinen Gefühls durch das Hinterhaupt die Sache, durch die irgend das Gefühl erregt worden ist, in ihrer Form und Beschaffenheit. Aber das alles geschieht wohl erkenntlich nur bei einem, wie nun gezeigt, höchst geordneten Gehirne; bei dem andern, ungeordneten Gehirne werden wir hie und da kaum entfernte Ähnlichkeiten mit diesem geordneten Gehirne finden, wie wir uns davon gleich faktisch und praktisch überzeugen werden.

10. Ihr bemerket dieses zweite Gehirn in seinem Tafelgefüge und in der Unregelmäßigkeit der Haupt- und Nebenkammerabteilungen schon als ein Gemenge von allerlei stereometrischen Figuren, darunter auch Scheiben, Kugeln, Sphäroiden und sonstige breiartige Klumpen. Die Obelisken vor den Flächen sind zumeist gar nicht als daseiend ersichtlich; und wo sie noch ersichtlich sind, da sind sie wie ganz verkümmert und selten von irgend gleicher Größe und Stärke!

11. Wie kann solch ein Gehirn einer Seele dienlich sein? Dies Gehirn, wie es sich nun darstellt, kam aus den gezeigten Gründen schon also zerrüttet aus dem Mutterleibe. Wir werden aber nun sogleich ersehen, welchen Verlauf es mit der gewöhnlichen Weltbildung nehmen und zu welch einem Ende und Ziele es gelangen wird. Gebet nun alle wohl acht darauf!“

235. Kapitel. Das unverdorbene und das verdorbene Gehirn.

1. Fragt Cyrenius etwas verblüfft: „Herr, ist denn dies nur von Dir allmächtiger- und somit wunderbarerweise hierhergeschaffene Gehirn auch schon in einem Mutterleibe seiend verdorben worden durch die sinnlich- wollüstigen Nachbeischläfe?“

2. Sage Ich: „Aber Freund, welch eine Frage von dir! Sagte Ich denn nicht ehedem, daß dieses alles nur also dargestellt wird, wie es in der Wirklichkeit vorkommt? Wem könnte es denn je beifallen, daß dieses hier nur der Belehrung wegen künstlich dargestellte Gehirn je im Ernste in einem Mutterleibe wäre verdorben worden?! Es sieht nur genau also aus, und darum sagte Ich: Dies Gehirn kam schon also zerrüttet, wie es sich zeigt, aus dem Mutterleibe! Das ist nur eine etwas bestimmtere Diktion des leichteren Verständnisses wegen und darum an sich nur eine nachgebildete Wirklichkeit, aber keine genitative, wahre Realität! – Bist du nun im klaren?“

3. Sagt Cyrenius: „Herr, vergib mir meine große Dummheit; denn ich sehe sie nun schon ein!“

4. Sage Ich: „Das wußte Ich wohl, daß du es einsehen wirst; aber zu deiner nun höchst albernen Frage hatte dich so ein reminiszierender (erinnernder) Weltspritzer in dein Gehirn verleitet, und du kannst daraus ersehen, welch eine Weisheit alle sogenannte Weltklugheit einer nach Wahrheit lechzenden Seele bietet oder bieten kann!

5. Alle Fragen der Weltklugen sind an und für sich schon über alle die Maßen dumm; wie sieht es dann erst mit den Antworten aus, die andere Weltkluge den fragenden Weltklugen geben? So ihr Licht schon Nacht und Finsternis ist, wie sehr Nacht und Finsternis wird dann erst ihre wirkliche Nacht und Finsternis sein?

6. Darum hütet euch vor aller Weisheit der Welt; denn Ich sage es euch, daß sie um vieles finsterer und böser ist als das, was die hochangesehene Weltweisheit Dummheit nennt! Denn einem Weltdummen ist leicht zu helfen, während einem so recht aus der Wurzel Weltweisen gar nicht mehr oder nur höchst schwer zu helfen ist. Ihr fragt läppischerweise, ob denn der eigentlichen Weltweisheit gar nicht mehr zu helfen wäre? Das liegt doch nun mit diesem zweiten, verdorbenen Gehirne klar am Tage vor euch!

7. Seht dies rechts aufgestellte urgeordnete und ganz unverdorbene Gehirn an! Welch eine Klarheit in seinen Gebilden! Alles Licht und Licht, und alle Formen, sowohl ihrer äußern Umfassung, wie auch ihrem innern organischen Gefüge nach, sind da in höchster Klarheit rein ausgebildet zu sehen! Welch klare Begriffe und Vorstellungen muß eine solche Seele von all den Dingen und Verhältnissen bekommen! Wie weise und wie in jeder Hinsicht lebenskräftig steht ein solcher Mensch da! Wer aus der Zahl der vielen Weltkinder kann sich mit ihm messen?! Was eine urgeordnete Seele alles vermag, das habt ihr früher an den Schwarzen zu beobachten Gelegenheit gehabt!

8. Nun aber haben wir ein verdorbenes Gehirn vor uns und werden es schauen, wie dieses durch eine nachträgliche, allerschlechteste und verkehrteste Erziehung noch mehr verdorben wird, und ihr werdet daraus mehr denn klar doch wohl ersehen können, wie gänzlich frucht- und weisheitslos so eine Weltweisheit gegenüber der wahren, himmlisch geordneten Weisheit sich ausnimmt! Sehet an nun dieses wahre Chaos von einem Gehirne! Nirgends ein geordneter Zusammenhang; hie und da nur ein verkrüppeltes Gehirnpyramidchen! Die ganze Geschichte sieht lange eher einem Schotterhaufen denn irgendeinem Gehirne gleich!

9. Eine solche Gestalt bekommt das Gehirn schon im Mutterleibe! Was soll aus einem Menschen in der Folge werden, welche Fortschritte wird er in der wahren Lebensschule machen mit solch einem Gehirne?! Ja, wenn man es noch beließe und finge mit einer sorgfältigen Bildung des Gemütes an bei zehn Jahre lang! Aber wo bleibt die Gemütsbildung?! Es wird ihrer gar nie mehr gedacht, in den höherstehenden Volksklassen schon gar nicht! Die untere Volksklasse aber weiß ohnehin weder von einer Seelen- noch Lebensbildung irgend etwas Besseres mehr als die lieben Tiere der Wälder, und ihre Eigenschaften gleichen vollkommen jenen Urbewohnern der Wälder, die vom Raube und Blute anderer sanfterer Tiere sich ernähren und leben.“

236. Kapitel. Der Charakter des Weltweisen und sein jenseitiges Unglück.

1. (Der Herr:) „So schlecht aber derartige Menschen auch notwendig sind, so ist aus ihnen dennoch eher ein vollkommener Mensch zu machen als aus einem echten Weltweisen. Die Weltweisen haben zwar in mancher Hinsicht – das heißt auf einen Punkt hingezielt, meistens auf den selbstsüchtigen – einen recht scharfen Verstand, und das auf Grund dessen, weil die Pyramidalgehirntäfelchen sich zum wenigsten in der Mitte des Gehirns bei jedem Menschen teil- und zeilenweise erhalten, und das macht, daß viele Weltweise in einem gegenseitigen Rathalten mitunter, aber nur für rein irdische Zwecke, irgend etwas Besonderes herausbringen; aber alles Innere, Tiefere – Geistige bleibt ihnen dennoch fremd. Denn zwischen den Vorteilen der Welt und jenen ewig dauernden des Geistes und der Seele bleibt eine unübersteigbare Kluft, über die ewig nimmer auch der schärfste Weltverstand je eine Brücke finden wird.

2. Und seht, das liegt alles in der Grundverdorbenheit des menschlichen Gehirnbaues schon im Mutterleibe und darauf in der nahe noch schlechteren Erziehung des Herzens und des Gemüts; denn würde wenigstens nach der Geburt eine rechte Erziehung des Herzens und des Gemütes erfolgen, so würde durch diese das im Mutterleibe verdorbene Gehirn zum größten Teile wieder zurechtgebracht werden, und die Menschen könnten in der Folge zu so mancher Helle und Lebenskraft gelangen, und durch eine fortgesetzte rechte Demut und wahre Herzensgüte würde sich, freilich nach Jahren, das Verlorene wieder ganz finden oder ersetzen lassen.

3. Denn wer da sät auf ein gutes Erdreich, bei dem kann die Ernte nicht unterm Wege bleiben; aber so in das ohnehin ganz magere und schlechte Erdreich weder ein Dünger und noch weniger je ein Same der vollen Wahrheit des Lebens gestreuet wird, wie und von woher soll da eine Frucht oder gar eine reichliche Lebensernte zu erwarten sein?

4. Ja, die Weltmenschen verstehen es wohl recht, den materiellen Boden der Erde gleich den Schweinen und Schermäusen zu durchwühlen und mit allerlei Früchten zu bebauen. Sie machen bedeutende Ernten, füllen ihre Scheuern und Getreidekästen bis obenan und werden darauf voll Stolzes und Hochmutes und darum desto härter und gefühlloser gegen die arme Menschheit, welcher die zu große Habgier der Weltreichen und darum Mächtigen keine Spanne breit Erdreichs zum sich selbst erhaltenden Eigentume zukommen ließ.

5. Also das verstehen die Weltmenschen ganz vortrefflich; aber das Erdreich des Geistes, des ewigen Lebens, lassen sie gleichfort brachliegen und kümmern sich wenig darum. Ob darauf Dornen oder Disteln wuchern, das kümmert sie wenig oder nichts, und es wird darum begreiflich, wie und warum die Menschen dieser Erde anstatt besser stets schlechter und elender werden. Wenn sie sich nur prachtvolle Paläste erbauen können, liegen auf weichen Betten, und sie haben, um ihren Bauch mit den besten Leckerbissen zu stopfen und ihre Haut zu bekleiden mit weichen, königlichen Kleidern, dann haben sie genug und sind zufrieden; denn sie haben ja das, was ihr selbstsüchtigstes Fleischleben nur immer verlangen kann durch die kurze Zeit ihres irdischen Lebens.

6. Wenn aber dann kommt der stark hinkende Bote, die böse Krankheit und ihr folgend, der Tod, dann geht ihre verkümmerte Seele von einer großen Angst in eine stets noch größere, endlich in die volle Verzweiflung, Ohnmacht und endlich gar in den Tod über, und lachende Erben teilen sich dann in die hinterlassenen großen Schätze und Überflüsse des verstorbenen Weltnarren. Und was hat dieser dann jenseits? Nichts als in jeder Hinsicht die größte Armut, die größte Not und das größte, für diese Welt unbeschreibbare Elend, und nicht etwa nur so auf eine kurze Zeit, sondern auf für eure Begriffe undenkbar lange Zeiten, die ihr ganz sicher mit dem Begriffe ,ewig‘ bezeichnen könnet, was aber auch ganz natürlich ist; denn woher soll eine Seele, die nie für etwas anderes gesorgt und gearbeitet hat als nur für ihren Leib, die Mittel nehmen, um sich zu vollenden in einer Welt, die in nichts anderem bestehen kann und darf als nur in dem, was eine Seele in sich hat und dann durch ihren geistigen Außenlebenslichtäther in eine sie umgebende Wohnwelt umgestaltet.

7. In solch einer Welt sollte ihre neue, liebtätigste Wirtschaft in ihrem höchst eigenen Geisterreiche beginnen. Wie soll aber das möglich sein, wenn ihr Gemüt, respektive Herz, verhärtet und unempfindsam ist, stets tiefer in einen sich selbst bedauernden Ärger versinkt, Zorn und Rache brütet, und wenn in ihr der Geist wie völlig tot, taub, stumm und blind ist und somit der Seele Gehirntäfelchen nimmer beschauen und in den hellen Augenschein nehmen kann?

8. Und würde ein solcher himmlischer Geist, so es möglich wäre, sich in der total verkümmerten Seele auch aufrichten, um zu beschauen und zu befühlen, was alles im Gehirne der Seele für Dinge vorhanden sind, um ihr daraus ein neues Wohn- und Wirkungsreich schaffen zu helfen, so würde er im Gehirne der Seele dennoch nichts finden, woraus er selbst, ihr helfend, das zu bewerkstelligen vermöchte. Denn von all dem Materiellen, was die Seele in dieser Welt in ihr total verdorbenes Fleischgehirn aufgenommen hatte, konnte unmöglich etwas in ihr eigenes geistiges Gehirn gelangen, weil ihr für solch eine Übertragung das Hauptlebensmittel, das Licht aus der Lebensliebesflamme zu Gott und daraus zum Nächsten, gänzlich fehlte!“

237. Kapitel. Die Folgen eines geistig finsteren Gehirns.

1. (Der Herr:) „Oder gebet ihr einen noch so hellen Spiegel in einen total finstern Keller, ob sich wohl die im Keller befindlichen Gegenstände darauf abbilden werden? Ihr werdet, als mit eurem Keller ganz vertraut, mit eurem Tastsinne die darin befindlichen Gegenstände nach ihrer Art wahrnehmen und zur Not auch ohne ein Licht erkennen; aber einen Spiegel werdet ihr umsonst in dem finstern Keller aufstellen, denn der wird euch ohne Licht nie ein feines Abbild von den Kellerdingen für eure Augen liefern.

2. Also ist es auch bei einem Menschen mit einem weltgebildeten, verdorbenen und finsteren Gehirne der Fall. Von dem aus geht kein die entsprechenden geistigen Formen in sich tragender Lichtstrahl aus dem finstern materiellen Gehirne in das seelische, also schon geistige Gehirn über, und die gänzlich verkümmerten Gehirntäfelchen der Seele bleiben in sich selbst finster und leer; dränge dann auch des Geistes Licht auf die Täfelchen, so würde das dem Geiste und der Seele ebensoviel nützen, als so da jemand stellte ein Licht in ein vollkommen leeres, nur allein mit Kalk übertünchtes Gemach.

3. Was wird er darin erschauen? Nichts als die leeren Wände! Welche Studien wird er wohl darin vornehmen? Sicher keine anderen als die der verzweiflungsvollen Langweile! Und den Sinn fassend, wird er sich selbst zurufen: ,Hinaus mit dir und deinem Lichte aus dieser leeren Kammer; denn da ist nichts! Dahin mit dem Lichte, allwo es etwas zu beleuchten gibt! Mit dem Lichte soll etwas gewirkt werden, – warum damit die leeren vier Wände erhellen, die, lichtvoll wie lichtlos, leer dastehen?!‘

4. Wenn des Geistes Augenlicht in der Seele Gehirntäfelchen blickt, und sie sind leer, dann dringt kein Licht eines Geistesauges mehr hinein, und es bleibt darin finster gleich schon so gut wie nahe für ewig! Wenn aber unwiderlegbar also und nicht anders, woher soll dann jenseits eine Seele das Baumaterial zur Erbauung einer für sie bewohnbaren Welt hernehmen? Wie wird sie das anfangen? Ihr meinet, daß Ich auch solch einer armen Seele werde helfen können? O ja, aber ewig nie durch eine Art schwachen, menschlichen, zu unzeitigen Erbarmens, sondern nur nach Meiner ewig unwandelbaren Ordnung, die aber bekanntlich überlange, langmütige und der höchsten Geduld volle Arme hat!

5. Erst infolge der den höchsten Kulminationspunkt erreicht habenden höchsten Not, in der die Seele durch den mächtigen Druck aller Verzweiflung in eine Art Glühleuchten übergehen wird, werden aus der höchsten Angst ihres Herzens, also aus ihrem beklommensten Gemüte wie aus einer verzehrenden Feueresse Glühfünklein in ihr Gehirn aufsteigen, und es werden sich daraus Dämmerbilder ihrer Not, ihrer Qual, ihrer Pein, ihrer Schmerzen, ihres Elends, ihrer Ohnmacht, ihrer Verlassenheit in ihre Gehirntäfelchen einprägen; dann erst wird sie selbst wieder zu einigen magersten Ideen gelangen und nach langen Zeiten imstande sein, anzufangen, aus solchen höchst kläglichen Bildern sich eine höchst magere Wohnwelt aus sich anzulegen!

6. Um solch einen Besitz aber wird sie sicher wohl niemand beneiden, und es wird abermals höchst lange hergehen, bis so eine Seele aus sich eine Verbesserung ihrer Zustands-Wohnwelt bewirken wird. Dazu werden lauter Gewaltmittel zur tätigen Belebung ihres Gemüts von neuem nötig sein! Erst aus den vielen und vielen Notständen wird solch eine Seele zu einer Copia von wenigstens lauter höchst traurig aussehenden Begriffen in ihr über sich selbst gelangen und wird sich daraus also auf ihrem Grund und Boden Wege zu ordnen anfangen, auf denen sie nicht so leicht mehr in die allerhöchste Not und Verzweiflung geraten könnte!

7. Nun, das könnte man dann schon mit Fug und Recht ein Kapital und eine eigene Ernte nennen; aber welch eine Beschränktheit noch darin, welche Magerkeit und welch eine Unbehilflichkeit!

8. Wenn jemand unmündige Kinder in einem dichten Walde aussetzete, so wäre ein möglicher Fall, daß eines oder das andere aufkäme im Walde. Nehmen wir an, es kämen ein Männlein und ein Weiblein davon, weil sie gerade unter einem Feigenbaum ausgesetzt wurden, dessen Früchte, ihnen in den Schoß fallend, sie anfänglich ernährten bis zu einem gewissen Alter, in welchem sie, als ganz verwildert, sich dann auch eine andere Kost zu suchen anfangen würden! Sie wüchsen nun auf, erreichten ein mannbares Alter, zeugeten Kinder, und es würde aus ihnen in ein paar Jahrhunderten ein Volk; das aber bliebe ohne Unterricht und ohne Offenbarung von oben!

9. Gehe hin zu solch einem Volke und erkundige dich nach seiner Bildung, und du wirst dich überzeugen, daß du statt Menschen Tiere antreffen wirst, die viel wilder und reißender sind als alle Tiger, Hyänen, Wölfe und Bären! Du wirst unter ihnen keine Sprache, sondern nur eine Nachahmung von allerlei Naturlauten antreffen, mit denen sie sich nur ihre Gier und ihren allerrohesten Willen mitteilen. Sie werden die fremden Menschen, Tiere und Früchte roh auffressen – und bei großem Hunger auch sich selbst. Ihre Beschäftigung wird in einer beständigen Jagd nach Nahrung bestehen.

10. Erst wieder nach ein paar Jahrhunderten – wenn sie ihre ländergroßen Urwälder überschritten haben und an irgendein gebildetes Volk gestoßen sind, von dem sie zurückgetrieben und etliche von ihnen gefangen und einer Bildung übergeben wurden, und sage, nach öfter wiederholten solchen Fällen und nach der Rückkunft der gewitzigten und einiger zwar gefangen gewesener, aber nun mit einiger Bildung versehenen Landsleute – wird der ganze Stamm mit der Zeit zu einiger Bildung gelangen, die aber freilich von einer rein geistig menschlichen Bildung himmelweit entfernt sein wird!

11. Wie lange wird so ein Volk darauf aber noch zu tun haben, bis es nur wenigstens eure äußere, weltliche Kultur erreicht haben wird, und wie lange bis zu eurer nunmaligen geistigen, das heißt, auf dem bloß sich selbst überlassenen Naturwege!“

238. Kapitel. Die Entwicklungsschwierigkeiten einer verweltlichten Seele im Jenseits.

1. (Der Herr:) „Natürlich durch Offenbarung von oben her dürfte es mit der Bildung solch eines Naturvolkes schneller hergehen! Eine Offenbarung kann aber einem Volke auf dieser Welt leichter gegeben werden denn jenseits einer Seele, die vorbeschriebenermaßen aber auch nicht ein Fünklein dessen mit nach jenseits hinübergebracht hat, was nur von fernehin einer göttlichen Ordnung gliche.

2. Wenn eine so ganz vermaterialisierte Seele durch eine Unzahl von allerlei Notständen und unmenschlichen Bedrängnissen jenseits endlich dahin kam, daß sie zu gewissen Begriffen und Ideen gelangt ist, und aus der größeren Regsamkeit ihres Gemütes ein mattes Licht in ihr substantielles Gehirn kommt, woraus sie sich infolge ihrer sehr dürftigen Einbildung und ihres Wollens eine schimärische (trügerische) Notwohnwelt bildet, die natürlich noch lange keinen Bestand haben kann, weil noch zu ferne von der einigen Wahrheit und der göttlichen Ordnung daraus, – so ist es dann erst möglich, durch Sendlinge, die, ganz ihr ähnlich scheinend, sie besuchen, sie ganz behutsam und so unvermerkt als möglich mit mehreren und besseren Begriffen zu versehen und zu bereichern.

3. Und da sind oft noch hundert Erdjahre ein zu geringer Zeitraum, um die auf dieser Welt so gänzlich verdorbene Seele in eine ganz kümmerliche Ordnung der Himmel zu bringen.

4. Höher aber als bis zum untersten, ersten und puren Weisheitshimmel sie zu fördern, ist und bleibt nahezu unmöglich; denn ihr Gehirn verliert die traurigen ersten Merkmale nimmer, aus denen sich von Zeit zu Zeit stets noch eine Art Racherecht und -weisheit entwickelt, was im nun stets mehr erleuchteten Gehirne auch wieder ein Bild hinterläßt und der Seele Gemüt dahin stimmt, daß sie einsieht, daß es ihr zwar ganz gut geht, aber dies Gutgehen lange kein Ersatz ist für alles das, was sie bis dahin ausgestanden hat.

5. Sie gleicht einem alten römischen Soldaten, der seines Alters und seiner vielen Wunden und Narben wegen vom Kaiser einen Bauerngrund zum Geschenk erhielt, auf dem er sich durch seiner Hände Fleiß ein ganz gutes Auskommen verschaffen kann. Aber der alte Soldat murret dennoch, wenn er seiner Wundnarben ansichtig wird, und sagt: ,Gut ist gut, aber viel zuwenig für mich, der ich für Kaiser, Volk und Vaterland so oftmals mein Leben in die Schanze geschlagen habe! Meine Nachbarn haben nie wider einen mächtigen und bösen Feind gekämpft, haben einen gesunden und geraden Leib und können ihre Felder leicht bebauen. Ich habe wohl auch Diener und Dienerinnen, die mir arbeiten helfen; aber dennoch muß auch ich selbst die Hand ans Werk legen, wenn ich etwas Ordentliches haben will. Ich brauche freilich dem Kaiser keine Steuern und keinen Zehent zu geben, solange ich lebe, und auch meine Kinder bis ins fünfte Nachkommenglied nicht, besonders so einer meiner Söhne für Kaiser und Staat die Kriegsrüstung tragen wird. Aber das ginge unsereinem noch ab, nun auch noch dem Kaiser Steuern zahlen zu müssen! Aber dennoch, auch ohne Steuern, ist dieser sehr angesehene Lohn für mich viel zuwenig!‘

6. Und so auf diese Weise schmollen denn auch die Seelen des untersten Himmels in einem fort, besonders wenn sie sich erinnern, daß sie viel ausgestanden haben und nun als Selige selbst arbeiten müssen, und das mit vielem Fleiße auch noch dazu, um sich den nötigen Lebensunterhalt zu verschaffen gleichwie dereinst als Menschen auf der Erde, nur mit dem leidigen Unterschiede, daß sie sich dort keinen übermäßigen Überfluß erwerben können; denn das gibt's drüben nicht, weil solches die Vorsteher der Vereine auf das sorgfältigste zu vermeiden und zu hintertreiben verstehen. Und so sind denn diese seligen Seelen nie so ganz glücklich, weil ihnen vermöge ihrer Natur immer etwas abgeht.

7. Ja, es geht ihnen freilich so hübsch viel ab; aber das Abgängige ist für die meisten von ihnen so gut wie völlig für ewig unerreichbar, weil dazu die Grundelemente in ihnen gar nicht vorhanden sind. Sie gleichen auch den Menschen, die gar so gerne gleich den Vögeln in der Luft herumfliegen möchten und darum oft ganz traurig sind, weil ihnen als Menschen solche vorzüglichen Eigenschaften versagt sind, deren sich so viele unvernünftige Tiere in einem höchst vollkommenen Grade erfreuen können.

8. Aber was nützt den Menschen solch ein Trauern? Es fehlen ihnen zum Behufe des Fliegens die Grundelemente, und so können sie trotz aller Trauer und trotz alles Schmollens dennoch nicht erreichen, was die Vögel besitzen, nämlich das herrliche, freie Fliegen.

9. Nun habe Ich dir, du Mein Cyrenius, und euch allen so ganz klar gezeigt, zu welchen Erfolgen eine Seele jenseits durch ihre diesseitige Verweltlichung gelangen muß, weil ihr außer Meiner ohnehin alles umfassenden Ordnung durchaus nicht zu helfen ist, – außer man müßte ihr Sein ganz aufheben und ein fremdes an seine Stelle setzen, womit aber der Seele auch sicher nicht gedient wäre!

10. Eine jede Seele muß sich entweder hier leicht oder jenseits schwer einmal selbst bilden, wozu ihr die Mittel eingepflanzt sind. Versäumt sie es hier, weil sie sich zu sehr von der Welt und ihren verlockenden Schätzen hat umstricken lassen, so wird sie es jenseits tun müssen. Auf welche Art und Weise, das habe Ich euch soeben ganz klar gezeigt und eure Herzensfragen zur Genüge beantwortet. Machet ihr nun keine gar zu freundlichen Gesichter dazu, so kann Ich euch dennoch nicht helfen und kann es unmöglich anders machen, wie es gemacht und gestellt ist; denn drei mal drei kann nie sieben, sondern stets nur neun sein und ausmachen! Der Apfelbaum muß ewig Äpfel und der Feigenbaum ewig Feigen als Frucht tragen!“

239. Kapitel. Der Einfluß einer falschen Erziehung auf das Gehirn.

1. (Der Herr:) „Um aber alles das noch heller und handgreiflicher zu verstehen, wollen wir zu dem Behufe das Gehirn hier zu Meiner Linken mit der größten Aufmerksamkeit in seinen weiteren Ausbildungsperioden verfolgen!

2. Es ist bis jetzt noch ganz unverändert also zu sehen, wie es, schon im Mutterleibe verdorben, in die Welt ausgeboren wird. Wir werden aber nun gleich sehen, welches Gesicht und was für eine Farbe es annehmen wird, wenn das Kind etwa nach fünf Jahren Alters die ersten Züge einer verkehrten Erziehung bekommt, in der man da anfängt, sein Gedächtnis mit allerlei Auswendiglernereien zu belästigen und soviel als möglich zu verwirren.

3. Sehet an, Ich will, daß nun die ersten Weltbegriffe dem Gehirne eingeprägt werden! Sehet nun nur recht genau her, und ihr werdet es leicht bemerken, wie die Obelisken vor einem oder dem andern zerstreut vorkommenden Gehirnpyramidchen ganz plump und mit einer sehr trägen Bewegung anfangen, auf eine Gehirntafel von einer Sache ein sehr mageres Bild mit einer ganz dunklen Substanz zu schmieren!

4. Die erste Anlage ist kaum als etwas anderes als eine pure, ganz sinnlose Schmiererei anzusehen, daher die Seele solch eines Kindes sich anfangs in dem vorgesagten Sachbegriff auch lange nicht zurechtfinden kann. Hundert Male darf es dem Kinde vorgesagt oder vorgezeigt werden, bis es sich davon wohl endlich einmal eine gemerkte, aber immer nur eine höchst dunkle Vorstellung machen kann.

5. Der Grund davon liegt erstens in der Unreife der etlichen, an und für sich selbst noch ganz ordentlichen Pyramidalgehirntäfelchen. Die vor ihnen angebrachten Zeichenstifte (Obelisken), selbst noch ganz schwach und ungeübt, werden mit äußerer Gewalt genötigt, zu zeichnen ohne die gehörige, aus dem Gemüte hervorgegangene Übung und ohne Besitz der rechten Substanz, und das auf die rohen, noch lange nicht zum Daraufzeichnen gehörig präparierten Täfelchen. Daher verrinnt das Bild immer von neuem wieder und muß nicht selten von den ordentlich genotzüchtigten Obelisken zum hundertsten Male von neuem gezeichnet werden, bis einmal ein Bild, ganz schwach nur, auf der unreifen Tafel haften bleibt.

6. Und welchen Gewinn hat dann eine Seele von solch einem puren Schattenbilde? Sie erschaut nun bloß die matten äußersten Umrisse. Von einem Eindringen in die Sache selbst ist bei solch einem Bilde wohl von weitem keine Möglichkeit! Wer könnte aus einem matten Schatten eines Menschen ersehen, wie er innerlich beschaffen ist?! Durch vieles und mühsames Zwingen und Nötigen werden die brauchbaren Gehirntäfelchen zum größten Teile mit schwarzer Tünche übersudelt, auch die Gotteslehre wird gleich dem Einmaleins in das Gehirn hineingekeilt, und des Gemütes Bildung besteht bloß in den Raststunden von der materiellen Verstandeskeilerei.

7. Erst, wenn der junge, geplagte Mensch nach zurückgelegten sogenannten ,Berufs‘verstandesquetschereien (Studien) irgendein Amt überkommen hat, wird sein Herz um etwas freier; er sieht sich nach einer ihm wohlgefälligen Maid um, um sie zum Weibe zu nehmen. Die kurze Zeit des eigentlichen Verliebtseins ist für den jungen Menschen noch die beste, weil während ihrer Dauer der Mensch doch ein wenig in seinem Gemüte eine kleine, wennschon sehr untergeordnete Erregung überkommt, durch die so viel Licht in sein Gehirn kommt, daß er sich erst mit Hilfe dieses wenigen Lichtes in allem dem, was er jahrelang mühsam erlernt hat, doch ein wenig praktischer auszukennen anfängt und also für ein weltliches Amt ein etwas tauglicheres Individuum wird.

8. Menschen aber, die sogar von dieser Liebe in ihrem Gemüte nicht irgend wärmer erregt werden, bleiben höchst selbstsüchtige und stoische Pedanten, die sich fürderhin nicht um ein Haarbreit über ihre stereotyp besudelten Gehirntäfelchen erheben und in nichts anderem herumwühlen als nur in ihren Gehirnschattenbildern, deren Zahl keine große sein kann, und was noch da ist, ist finster, schwarz und fürs Sehvermögen der Seele rein unwahrnehmbar.

9. Die Seele eines solchen Stoikers ist daher so gut wie vollends blind. Wie auch ein jeder sonst noch so scharf sehende Mensch in einer stockfinsteren Nacht ebensogut als vollkommen blind ist und sich zur Not nur mit dem Greifen fortbringen kann, also kann auch die Seele so eines rechten Selbstsüchtlers nicht etwa beschauen, was auf ihren Täfelchen gezeichnet ist, sondern weil bei einer so gänzlich verkehrten Gehirnbildung, wo nur durch oft wiederholtes Besudeln einer Gehirntafel ein Bild am Ende ganz stereotyp und plastisch auf derselben haften bleibt, durch irgendeine regere Gemütsbewegung, die nicht vorkommt, gar kein Licht ins Gehirn für bleibend aufsteigt, so muß sich die Seele aufs Befühlen ihrer finsteren, aber stereotypen Gehirntafelbilder verlegen.

10. Weil aber eine solche verrumpelte Seele nur durchs Betasten ihrer bezeichneten Gehirntafeln sich ihre Weisheit schafft, so wird es etwa doch auch begreiflich sein, warum eine solche Seele in allem ihrem Tun und Lassen so abgemessen pedantisch und stereotyp wird und nichts als ein Etwas annimmt, was sie nicht allergröbst und materiellst mit den Händen greifen und betasten kann. Eine solche Seele hält am Ende auch das, was sie in der Außenwelt mit ihren Augen sieht, für eine optische Täuschung, und was sie hört, für Lüge; nur was sie nach allen Seiten hin mit den Händen betasten kann, hält sie für eine reelle Wahrheit. Wie es dann mit der Weisheit und höheren geistigen Kultur einer solchen Seele aussieht, davon kann sich ein jeder leicht einen Begriff machen, der dieses von Mir nun Gezeigte und hinreichend Erklärte nur einigermaßen aufgefaßt hat.

11. Besehet nun noch einmal zum Überflusse dieses Gehirn links da! Es stellt nun gerade die finstere Weisheitskammer eines so recht stereotypen Weltweisen dar, und du, lieber Freund Cyrenius, als mit sehr scharfen Augen begabt, rede, was du darin nun alles erschaust!“

240. Kapitel. Das Gehirn eines Weltweisen.

1. Sagt Cyrenius: „Herr, das Vorder- wie auch das Hintergehirn sehen dunkelgrau auf ihrer Oberfläche aus; tiefer hinein ist trotz des darauffallenden Sonnenlichtes alles schwarz und finster, und die dazwischen herausglitzernden, weißgrauen Punkte stellen gar nichts vor. Und so bin ich denn eigentlich auch schon fertig mit allem, was da zu sehen ist. Nur eine Frage erlaube, o Herr, mir noch, und diese bestehe darin: Was hat es denn in diesem verdorbenen Gehirne mit jenen anderen Gehirngebilden, die als die Meistzahl keine pyramidale Bildung haben, für eine fürdere Bewandtnis?“

2. Sage Ich: „Diese sind für nichts; sie sind eine wahre Wüste im Gehirne und erzeugen in der Seele bloß das leidige Gefühl eines unendlichen Nichtwissens und Nichterkennens. Und willst du solch einer Seele gleich von höheren, überirdischen Dingen und Verhältnissen etwas vorzureden anfangen, so wirst du bald die Bitte, davon zu schweigen, bekommen; denn so sie darüber weiter nachdächte, müßte sie offenbar ein Narr werden. Es ist darum mit solchen Menschen nichts zu reden, weil sie solches, wie du nun den wahren Grund einsehen kannst, unmöglich einsehen und irgend begreifen können. Sie werden ganz natürliche, irdische Dinge schwer oder gar nie völlig begreifen, geschweige geistige und himmlische.

3. Siehe, ein Ochse hat auch ein Maul, im selben eine sehr bedeutende Zunge und Zähne und hat auch eine Stimme. Die Folge davon sollte sein, daß er auch ganz wohl sollte reden lernen; allein, versuche, ob du es mit einem Ochsen in zwanzig Jahren dahin bringen wirst, daß er dir nur ein einsilbiges Wort auszusprechen imstande sein wird! Und doch sage Ich dir, daß es eher noch möglich wäre, einen Ochsen reden zu machen, als einem mit solchem Gehirne versehenen Menschen etwas Übersinnliches als begreiflich beizubringen! Denn so du mit ihm von so etwas, das zu sehr über seinen beschränktesten Wissenshorizont steigt, wirst zu reden anfangen, so wird er dich höchstens ganz gutmütig auslachen und dich für einen Narren zu halten anfangen. Und wirst du es fortsetzen, ihn mit derlei für ihn zu fabelhaften Dingen zu belästigen, so wird er toll werden und dich ganz grimmig zur Türe hinausweisen!“

4. Sagt Cyrenius: „Ja, wie wird man denn hernach solchen Menschen, deren es doch eine Unzahl gibt, Dein Wort vortragen?“

5. Sage Ich: „Findet ihr bei den Menschen, zu denen ihr kommen werdet, ein teilnehmendes Herz, und werden sie euch aufnehmen in ihre Wohnungen, so bleibet und suchet vor allem ihr mit einigem Leben behaftetes Gemüt soviel als möglich zu beleben! Werdet ihr das tun, so wird solcher Menschen stets tätiger werdendes Gemüt anfangen, ein Licht im Gehirne zu verbreiten, und die Wärme dieses Lichtes wird dann anfangen, die Gehirntäfelchen mehr und mehr in eine erträgliche Ordnung zu bringen, und es werden dann solche Menschen für eine höhere Lehre bald aufnahmefähiger werden und so von Stufe zu Stufe emporsteigen zum stets reineren Lichte.

6. Findet ihr aber ein ganz totes Gemüt bei dem, zu dem ihr kommet, da ziehet nur schnell weiter! Denn da sollet ihr die Perlen den Schweinen nimmer vorwerfen! – Verstehet das alles nun wohl! Wer noch in etwas nicht ganz im reinen ist, nun, der frage noch, und es soll ihm eine rechte Antwort werden! Sonst sollen die beiden Gehirne weggeschafft werden.“

7. Kommt der alte Markus herbei und sagt: „Herr, es nahet der Mittag! Soll ich noch nicht fürs Mittagsmahl zu sorgen anfangen?“

8. Sage Ich: „Das ist schon ganz löblich von dir, daß du Mich fragest; aber das Mittagsmahl für Seele und Geist, das aus Meinem Munde kommt, hat vor deinem leiblichen Mittagsmahle einen unberechenbar großen Vorzug! Daher wollen wir noch einige geistige Gerichte vorher verspeisen, und Ich werde es dir dann schon sagen, wann es an der Zeit sein wird, für ein leibliches Mittagsmahl zu sorgen! Gut ist gut, aber besser ist besser!“

9. Mit dem gibt sich Markus ganz zufrieden und bleibt mit seinen Söhnen stehen, um zu sehen und zu hören, was da Weiteres vorkommen werde.

241. Kapitel. Die Frage nach dem Ursprung der Sünde.

1. Zugleich aber tritt auch der Oubratouvishar zu Mir und sagt: „Herr, Herr, wußten denn die weißen Brüder das ehedem nicht, was Du ihnen nun so weise erklärt hast? Bei uns, Dir alles Lob darum, wissen das sogar unsere Kinder; denn sie können sich alle inwendig beschauen und haben allzeit eine große Freude, wenn sie uns von ihren schönen Gärten, die sie in sich von Zeit zu Zeit beschauen, etwas erzählen können. Was haben denn diese weißen Brüder getan, daß sie solcher allerwichtigsten Anschauungen unfähig geworden sind? Wenn sie solcher allerwichtigsten Fähigkeiten bar sind, da sind sie ja eigentlich keine ordentlichen Menschen, sondern große Affen, wie sie bei uns vorkommen, nur um die Sprachfähigkeit vollkommener!

2. Wir alle haben große Augen gemacht, als Du da bei diesen Gehirnen mit Erklärungen zum Vorscheine kamst, die uns doch nahezu noch bekannter sind als unsere Wohnhütten daheim. Wir sind freilich im ganzen organischen Baue unseres Leibes nicht bewandert, aber unser Gehirn kennen wir von Punkt zu Punkte. Es sind bei uns wohl noch sehr viele Täfelchen leer, da wir nichts haben, sie alle vollzuzeichnen; aber die da angezeichnet sind, die stehen gerade also da, wie Du sie nun beim rechten Gehirne als ganz in Deiner Ordnung gezeigt und überhinreichend klar erklärt hast. Aber wissen möchte ich wahrlich, wie denn diese Menschen das in sich gar nicht wahrnehmen mögen, was uns Schwarzhäuten doch für immer klarst ersichtlich ist! Was haben sie denn so ganz eigentlich angestellt? Wer hat da zu solch einem Verderben den Grund gelegt? Einer muß da einmal einen schlechten Grund gelegt haben; aber wer, warum und bei welcher Gelegenheit?“

3. Sage Ich: „Wer da der eigentliche Urheber ist, danach forsche du nicht! Denn so manches liegt verborgen im Rate Gottes, was die Menschen auf dieser Erde nicht völlig auf den Grund zu wissen vonnöten haben! Wenn der Mensch nur weiß und erkennt, was zu tun ihm vor allem notwendig ist in Meiner Ordnung! Tut er das, wozu er die anweisenden Gesetze hat, gegeben aus den Himmeln, so wird bei ihm alles in der besten Ordnung sein; alles andere aber wird ein jeder Mensch, der Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst liebt und dadurch im Geiste wiedergeboren wird, vollkommen erfahren.

4. Es handelt sich nun bloß darum, ob alle die weißen Brüder das alles wohl verstanden haben, und daß der Mensch, so er in sich verspürt eine Leere, fragt, was ihm noch fremd ist, und es soll ihm dann solches so hell als möglich berichtet werden. Das ist nun vor allem nötig! Das aber, um was du gefragt hast, wird jedem noch früh genug bekannt werden, wenn er zur Wiedergeburt seines Geistes gelangen wird.“

5. Der Oubratouvishar ist damit ganz zufrieden und bespricht sich darauf in seiner Landeszunge mit den Seinen.

6. Es tritt aber nun auch einmal wieder Mathael hervor und sagt: „Herr, Du unser Leben, Du unsere Liebe, da Du das Fragen erlaubt hast, so bitte ich im Namen meines Schwiegervaters, meines lieben Weibes und im Namen meiner vier Gefährten, daß Du über einen kleinen dunklen Punkt in dieser Sache uns ein rechtes Licht verschaffen möchtest! Es ist das gewisserart eine Rechtsfrage, und ich glaube, daß diese Dir gegenüber ein jeder Mensch, so er zum Gebrauche seiner Vernunft gekommen ist, ganz bescheiden aufzustellen berechtigt ist. Ist ja doch der Mensch ursprünglich nicht sein, sondern nur Dein Werk, was mir alle Himmel ewig nie in Abrede stellen können!

7. Und so scheint mir denn besonders in der jenseitigen Führung der Geister oder eigentlich Seelen von sehr verdorbener Art bei Deinen Liebe- und Allmachtsmitteln der Weg doch ein wenig zu langwierig und zu hart zu sein! Es ist zwar wahr, daß Du uns auch in dieser Hinsicht schon gar vieles zur klarsten Rechtfertigung Deiner einmal von Ewigkeit her gefaßten und fest gestellten göttlichen Ordnung gesagt, gezeigt und erklärt hast; aber über alles das drängt sich mir denn doch noch diese wahre Rechtsfrage auf:

8. Kann der Apfel darum, so ihn ein Sturm vom Aste gerissen hat, oder kann ein zersplitterter Baum darum, daß er einem verderblichen Blitze zur Zielscheibe dienen mußte, oder kann das ruhige Meer darum, wenn es durch die Wut eines Orkans zu berghohen Wogen aufgestaucht wird?! Was kann die Klapperschlange darum, daß ihr Biß tötend ist?! Und die Tollkirsche hat sich nicht selbst das Gift gegeben! Es treibt überall ein Keil den andern, und es kann am Ende keiner darum, daß er getrieben wird!

9. Von einer hohen Felswand stürzte ein locker gewordenes großes und schweres Stück herab und machte zufällig bei einer zuunterst der Wand entlang weidenden Herde eine große Verheerung. Welcher Schuldige wird da den Schaden ersetzen? Wenn ich über einen Stein auf dem Wege in der Nacht gestolpert und endlich auch gefallen bin, wer ist da schuld daran gewesen, – die Nacht, der Stein, oder mein augenloser Fuß? Kurz und gut, es gibt da eine Menge der kitzlichsten Kreuz- und Querfragen, in denen allen eine wahre gegenseitige Verletzung des individuellen Urnaturrechtes mit Händen zu greifen ersichtlich wird! Von wem stammt sie prinzipiell?

10. Ein Gleiches entdeckte ich nun beim Menschen. Diese Schwarzen sind noch im vollen Besitze der urmenschlichen Eigenschaften, – wir Weißen haben davon keine Ahnung bis auf diesen Tag gehabt! Ja, warum denn nicht? Es heißt: wegen unserer seelischen Verdorbenheit, und die Seele wieder mußte verdorben werden, weil des Menschen Gehirn schon im Mutterleibe verdorben wurde und späterhin noch mehr durch eine ganz verkehrte Erziehung! Und ich muß da offen der vom Oubratouvishar gestellten Frage beipflichten und sage denn auch: Ja, ja, die Menschheit ist schlecht und verdorben im Grunde und Boden; wer aber hat sie ursprünglich verdorben, und wer hat sie verderben lassen? Infolge solcher Verdorbenheit können die Menschen nur etwas ganz Verkehrtes wollen und können darum nie besser, sondern nur stets schlechter und elender werden!“

242. Kapitel. Scheinbare Ungerechtigkeiten der Seelenführung im Diesseits und Jenseits.

1. (Mathael:) „Nun, auf dieser Welt tut es sich für manchen noch so ziemlich! Er macht sich irgendein Paradieslein, so gut er's nur kann und mag. Freilich müssen andere zu Tausenden dafür mehr leiden, und das darum, weil sie sicher nicht so gut verstanden haben, sich ein Paradieslein zu schaffen, wie der eine Pfiffige! Diese werden darum vor Neid und Zorn in ihrer Seele zerstört – und jener Paradiesleinbesitzer vor lauter Wollust und Üppigkeit! Die ersten sind verdammt vor lauter Not und Elend – und der Reiche wegen seines Wohllebens!

2. Lassen wir aber die diesseitigen Verhältnisse, denn sie seien die Frucht der nun gründlichst bekannten Seelenverdorbenheit, und wenden uns zu den allerschaudererregendsten Folgen im einstigen großen Jenseits! Die Haare sträuben sich, nur daran ernstlich zu denken, in welch einen überscheußlich erbärmlichsten Zustand solch eine so oder so verdorbene Seele gerät! Welcher Fluch kann zu solch einer Darstellung einem menschlichen Munde die gehörig gefärbten Worte leihen?! Nur die größten Qualen des Zornfeuers in der Seele selbst können sie auf dem Wege einer namenlos bösen Witzigung in einen etwas erträglicheren Zustand bringen, wozu allzeit gleich so ein bißchen was von einer Ewigkeit, der Zeitendauer nach, erfordert wird! Wie gar viele Seelen werden sonach von jetzt an in Myriaden von Erdjahren gerade so erst recht ins tiefste und schauderhafteste Elend gelangen, um erst wieder nach abermaligen Myriaden von Erdjahren sich gerade etwa um ein Haar freier und somit erträglicher zu befinden!

3. Herr, ich stelle das genau nach Deinen Worten auf und setze nichts hinzu, nehme aber auch nichts hinweg! Wenn ich nun einerseits Deine Allmacht, Güte und Liebe betrachte und anderseits die gewisse prinzipiell unverschuldete Verdorbenheit einer jeden elenden Seele und die nahe ewig dauernden Folgen der haarsträubendsten Art und am Ende aller der unbeschreiblichsten Qualen einen Seligkeitshimmel, der kaum um ein Haar besser als ein ganz wohlbestellter Sklavenstand auf dieser lieben Mutter Erde aussieht, da muß ich trotz aller der Gnaden, die Du, o Herr, mir erteilet hast, Dir offen bekennen, daß ich das mit meiner Vernunft höchst sonderbar finde und als Mensch, begabt mit einem fühlenden Gemüte, eine Ungerechtigkeit darin entdecke, gegen welche alle die von den Menschen begangenen größten und himmelschreiendsten Ungerechtigkeiten eine barste Null sind. Und ich bedanke mich ganz gehorsamst für ein solches Dasein, möge es am Ende hinauslaufen, wohin es wolle!

4. Es ist schon ganz richtig von Dir, o Herr, gezeigt, wie ein jeder Mensch, um vor Deiner nackten Gottheit bestehen zu können, sich selbst wesenhaft gestalten muß, und wie Du ihm dazu nur die Gelegenheit und sonst nichts bieten kannst. Kurz, das alles sehen wir nun ganz gut ein, und es bedarf dafür kein erklärend Wort mehr. Aber daß Menschenseelen, die schon seit mehr denn tausend Jahren auf die gleiche Weise eingefleischt und sodann auf dieselbe Weise erzogen werden, wie sie leider nun besteht, im Jenseits darob nahezu ewig leiden sollen, um nur um ein Haar besser zu werden, das kommt mir in jedem Falle sehr hart vor! Du lehrtest uns selbst, mild, sanft und nachsichtig mit kranken Seelen zu verfahren! Ist aber eine kranke Seele hier auf dieser Welt nicht genesen, sondern tritt als noch durch und durch krank ins große Jenseits hinüber, – so ihr da kein Funke irgendeiner Liebe und Milde mehr erwiesen und erzeiget werden kann oder darf, da meine ich denn doch, daß auch hier Gnade und Liebe an die Stelle der zu strengen Ordnung und Gerechtigkeit treten könnten!

5. Ich will es ja recht gerne zugeben, daß ein vollendetes Leben der Seele, mit dem Geiste aus Gott vereint, aller Güter höchstes ist; aber die Erfahrung lehrt daneben doch auch wieder, daß ein Gut dadurch viel an seinem Werte verliert, so man es irgend zu lange und mit großen Beschwerlichkeiten suchen muß.

6. Jemand wollte sich ein Weib nehmen. Er kennt schon die Erwählte seines Herzens. Als er aber um deren Hand bittet, so werden ihm da Bedingungen gemacht, die er alle erst in tausend Jahren vollkommen lösen könnte, und die damit verbundenen Beschwerden sind von nahezu unbesiegbarer Art! Ja, ist es denn da ein etwa gar zu großes Wunder, wenn so ein Mensch am Ende gar kein Begehren nach dem Besitze des gewählten vornehmen Weibes mehr in seinem Herzen trägt und sich schon lange mit einer Maid ganz geringen Herkommens verheiratet hat, zu deren Gewinnung ihm ganz erträgliche und leicht zu erfüllende Bedingungen gestellt wurden?

7. Darin, o Herr, also besteht mein hoffentlich ganz wohl begründeter Anstand und vielleicht eine Schwäche meines Herzens! Ich fragte Dich darum, weil Du uns alle Selbst aufgefordert hast, über etwas noch Unverstandenes zu fragen! So es Dir genehm wäre, könntest Du mich darin wohl mit Deiner Gnade erleuchten?“

243. Kapitel. Das Wesen Gottes. Des Erdenlebens notwendige Probeschwere.

1. Sage Ich: „Ja ja, das ist eben der Knoten, den Ich auf die Gehirnerklärung nicht nur in dir, sondern in mehreren von euch entdeckt habe, und Ich habe euch auch eben darum zu fragen aufgefordert.

2. Es versteht sich ja von selbst, daß Gott, als die höchste und purste Liebe von Ewigkeit unverändert gleich, nimmerdar irgend lieblos sein kann, und daß Sie alle Ihr zu Gebote und zu Diensten stehenden Mittel auf das allerlebhafteste anwenden wird, um irgendeine wie immer kranke Seele zu heilen. Aber der Seele ihr eigenes charakteristisches Ich kann Sie nicht nehmen, sondern muß es belassen und die Seele in solche Zustände kommen lassen, die sie, wenn sonst alles nichts nützt, durch eine Art Witzigung zurechtbringen!

3. In einem äußersten Falle kann dieser Weg freilich nur ein äußerst langwieriger werden; aber es trägt dann niemand die Schuld als die zu sehr starr- und eigensinnig gewordene Seele, die freilich das zumeist nur infolge dessen wurde, was Ich euch von ihrer Unvollkommenheit ehedem erzählt und erklärt habe.

4. Aber es ist das ja der vollstarke, höchst eigene Wille der Seele; sie will es also und tut immer nur, was ihr gut dünkt! Nun, da geht es mit einem allmächtigen und also gewaltigsten Entgegenwirken nicht; denn das würde der Seele erst die allerunerhörtesten Qualen bereiten! – denn schon ein leisestes Einfließen bereitet ihr die unsäglichsten Schmerzen; was würde sie bei einem allzustarken Einfließen erst auszustehen haben?!

5. Gott ist in Sich das höchste Feuer alles Feuers und das stärkste Licht alles Lichtes! Wer aber kann ein Feuer ertragen, wenn er nicht selbst Feuer, und das höchste Licht, wenn er nicht selbst Licht ist?! Da siehe das linke noch hier seiende Gehirn! Ersiehst du irgendein Feuer darin oder irgendein Licht, auch nur so stark leuchtend wie ein Sonnenwendkäferlein in der Nacht? Was gehört dazu, bis dieses Gehirn ganz Feuer und hellstes Licht wird?!

6. Wollte Ich aber mit aller Gewalt hier einzufließen anfangen, so wirst du diese beiden Linksgehirnhaufen nicht mehr schauen; denn sie werden sofort in jene dir noch bekannten Feuerzünglein aufgelöst werden und sich zerstreuen, bis Mein Wille sie irgend erfaßt und aus ihnen ein neues Wesen bildet. Was ist aber dann mit dieser gegenwärtigen Wesenheit?!

7. Damit aber kein Wesen, das einmal besteht, ewig je irgend in seiner seelischen Sphäre zerstört und in ein anderes Wesen übergehen kann und verlieren das Ur- Ich, so ist dahin Meine als ewig unwandelbar fest gestellte Ordnung ja auch gut! Und mag eine Seele mit ihrer Vollendung noch solange zu tun haben, so bleibt sie dennoch ihr eigenstes Ur-Ich und wird sich als solches auch für ewig unwandelbar erkennen, was denn hoffentlich doch tröstender ist, als so die Seele als völlig zerteilt in ein anderes Individuum übergehen würde, allwo alle Erinnerung an ein früheres Sein notwendig verschwinden müßte und keine Spur von einem früheren konkreten Sein übrigbliebe! Wozu wäre dann ein sich selbst frei bestimmendes Vorleben gut gewesen? Wäre da ein Mensch wohl besser daran denn ein kriechender Wurm im Staube?!

8. Das Vorleben ist doch zumeist mit allerlei Drangsalen gesegnet. Der Mensch, und sei er ein Königssohn, muß von seiner Geburt bis zum Grabe hin so manche sehr schwere Probe mitmachen. Er hat sich oft tausend Pläne gemacht, die er alle auf das gelungenste ausführen wollte; aber es traten bald unvorhergesehene Hindernisse entgegen, und aus allen den schönen Plänen wurde nichts. An ihre Stelle traten allerlei Plackereien, Krankheiten, Verdrießlichkeiten, – kurz, auf einen Anmutstag kommen gewöhnlich fünf Tage, von denen keiner etwas besonders Erfreuliches aufzuweisen hat, und in einem Lebensjahre hat ein Mensch sicher dreißig ganz vollendet schlechte Tage gehabt!“

244. Kapitel. Das Ich des Menschen als eigener Herr seines Geschickes.

1. (Der Herr:) „Wenn man denn so das Leben des Menschen selbst in seinen irdisch günstigsten Verhältnissen durchmustert, so ersieht man es leicht, daß demselben eben nichts geschenkt ist. Vom Könige bis zum Bettler hat ein jeder mit des Lebenssommers Fliegen, die voll Stacheln sind, den Kampf zu bestehen, der durchaus nichts Anmutiges in sich faßt. In der Kindheit wird der Mensch mit der Schwäche geplagt, als Mann mit allerlei Sorgen und als Greis mit beiden, und die letzte Lebensstunde hat noch nie jemand für die angenehmste seiner Zeit gefunden.

2. So schleicht das irdische Leben stets zumeist zwischen Dornen und Disteln hin, und wem diese nicht gefallen, der wird sich von dem Erdfleischleben am Ende wenig Angenehmes und Beseligendes vorzuerzählen imstande sein; und je eigenliebiger jemand war, desto mehr Beleidigungen hatte er auch zu bestehen gehabt. Wer sich jedoch, als am wenigsten eigenliebig, aus all den vorkommenden Lebenssommerstechfliegen und aus all den ihn verkleinernden und verunglimpfenden Dornen und Disteln nichts gemacht hat, und wen auch allerlei körperliche Leiden, Armut, öfterer Hunger und Durst, Kälte, schlechte Kleider und ebenso schlechte Wohnung und daneben noch allerlei anderes Elend nicht aus der Fassung gebracht haben, der wird am Ende seines Lebens noch von mancher Lebensanmut zu erzählen wissen, während selbst ein König trotz all des ihm gestreuten Weihrauches am Ende seiner Erdenlebensbahn über nichts als lauter Unzufriedenheiten über Unzufriedenheiten sich wird zu beklagen haben.

3. Denn wo etwa lebt der König, der alles das, was er sich beim Antritte seiner Regierung vorgenommen hatte, in eine glückliche Ausführung gebracht hätte?! Weil aber solches unmöglich war und er am Ende manchen gar groben Rechnungsfehler bei sich selbst entdeckt hat, so ist er total unglücklich, und es ist eine alte, bekannte Sache, daß die Könige zumeist aus Folgen eines geheimen inneren Grames sterben.

4. So befindet sich demnach der sich selbst bestimmende und bildende Mensch die Zeit seines Erdenlebens hindurch in seinem vollkommen bestimmten Bewußtsein seiner selbst, in und unter welchem er diese Erdenlebensprobe durchgemacht hat. Ob in oder außer Meiner Ordnung, das wollen wir nun in diesem Falle als einerlei annehmen; denn in jeder Hinsicht hatte das Erdenleben ihm wenig Anmutiges, aber dafür desto mehr allerlei Bitteres erwiesen. Darum auch die großen Weltweisen der Heiden auf der Welt gar niemanden glücklich preisen wollten, und sie nur jene glücklich priesen, die wieder in den Schoß der Erde zurückgekehrt sind.

5. Was hätte denn dann eine Seele für alle die ausgestandenen Mühsale, so sie nach der Ablegung des Leibes ihr Bewußtsein als das unvertilgbare Ur-Ich verlöre und entweder gar aufhörete zu sein oder ihr Ich zerteilt bekäme in tausend andere Ichs?! Wäre von euch wohl jemand zufrieden mit solch einer Einrichtung Meiner Ordnung? Sicher niemand! Daher meine Ich, daß es dennoch immer besser sein wird, die Sache bei der alten Ordnung zu belassen und vor allem darauf zu sehen, daß ja wohl ewig nie jemandes noch so schlecht bestelltes Ich irgendeinen Schaden erleiden solle in seiner Identität!

6. Daß ein Ich erst dann ein vollkommen glückliches werden kann und muß, wenn es, sich selbst bestimmend, in Meine Ordnung eingegangen ist, das wisset ihr nun vollkommen; denn darum habe Ich euch ja nun seit nahe sieben Tagen in einem fort gepredigt und habe euch zurückgeführt auf die Urwurzeln aller Schöpfung der Geister- und Sinnenwelt. Daß aber im Gegenteil eine Seele auch so lange in keine wahre und dauernde Glückseligkeit eingehen kann, als bis sie nicht, sich selbst frei bestimmend, in Meine Ordnung eingegangen ist, das habe Ich euch auch schon gar vielfach gezeigt durch Worte, Taten und viele schaubare Beispiele und habe es euch wiederum durch Worte dargetan. Wie kann hernach irgendeine Lieblosigkeit, Unbarmherzigkeit, Härte und Ungerechtigkeit in Mir vorhanden sein? Oder kannst du das, was zum Sein eines Menschen notwendig ist, wohl eine Härte in Mir nennen? Ja, mit einem Grane weniger Geduld und mit um ebensoviel weniger Langmut wäre Ich hart und ungerecht; aber also durchaus nicht!“

245. Kapitel. Die selbständige Entwicklung der zur Kindschaft Gottes berufenen Menschenseele.

1. (Der Herr:) „Daß du, Mathael, aber sagst, daß am Ende dennoch auf Mich die Schuld falle, daß mit der Länge der Zeiten die Menschen in eine so gänzliche böse Lebensverkehrtheit übergegangen sind, in der sie offenbarst zugrunde gehen müßten, da stelle Ich dir auch gleich das entgegen und sage: Seelen, wie die dieser Schwarzen, sind bis jetzt zur Kindschaft Gottes noch nicht berufen gewesen, und als das, was sie vorzustellen haben, genügte ihnen eine mehr stereotyp fest erhaltene Vollkommenheit ihrer Seele; denn sie ist nicht etwa als eine besondere Folge ihrer vortrefflichsten Selbstentwicklung anzusehen, sondern sie ist ihnen gegeben gleichwie ihre schwarze Haut. Wenn sie aber auch die Kindschaft Gottes werden erreichen wollen, dann wird ihnen dieses alles nicht mehr gegeben werden, sondern allein die Lehre.

2. Werden sie nach dieser sich selbst bestimmen und suchen, die Vollendung ihrer Seele aus eigenen Kräften zu erstreben, und dadurch erwecken in sich Meinen Geist der Liebe, sodann werden sie freilich gleich sein wie ihr nun; aber solange ihre Seelenvollkommenheit zu zwei drittel Teil eine gegebene und nur zu einem Teile eine selbsterworbene ist, können sie mit solch einer Seelenvollkommenheit den Geist in sich nimmer erwecken und bleiben auch jenseits das, was sie hier sind: ganz gute, aber mehr mechanisch selige, vollkommene Seelen, bei denen die Grenzen der Seligkeit denn sicher notwendig fest gestellt sein müssen, was nimmer anders zu denken möglich ist.

3. Wo das eine und Vorhergehende gegeben ist, da kann das daraus Hervorgehende und darauf Folgende doch sicher keine freie Selbsterworbenheit sein; denn wer dir den Kopf gegeben hat, der hat dir doch sicher auch die Hände, den Leib und die Füße hinzugegeben! Oder meinst du wohl, daß diese von selbst aus dem Kopfe hervorgegangen sind?

4. Ah, ganz was anderes ist es bei einer sich selbst bestimmenden und sich selbst nach dem vernommenen Gottesworte ausbildenden Seele! Was die hat, das ist ihr volles Eigentum, und sie kann sich daraus tausend Himmel erbauen und mehr; denn sie hat nun ja ihren eigenen Stoff und ihre eigene Materie und durch ihren in ihr erweckten Geist der Liebe auch die vollkommen gottähnliche Kraft, solches zu tun und so vollkommen in allem zu sein, wie auch der Vater im Himmel vollkommen ist! – Und nun weiter!

5. Mit einer Seele, wie da diese Schwarzen sie zuversichtlich besitzen, ist jenseits leicht und bald fertig zu werden; denn was sie hat, das hat sie, und es bleibt ihr. Sie hat für sich ewig kein höheres Bedürfnis und ist vollkommen glücklich, gleich einer Biene, wenn sie einen reichen, mit Honig gefüllten Blumenkelch angetroffen hat; aber über diesen Honig hinaus fühlt sie für ewig kein Bedürfnis. Wenn die Biene hat, was sie gesucht, dann hat sie schon alles; alle die anderen Schätze der ganzen Unendlichkeit sind ihr eine Null.

6. Aber ganz anders verhält es sich mit einer sich selbst vollkommen machenden Seele! Um das realisieren zu können, mußten ihr ja doch alle dazu nötigen Mittel vollkommen zu Gebote gestellt werden, durch die sie, wenn sie dieselben gebrauchen will, notwendig und unfehlbar die Vollendung erreichen muß; aber die dazu erforderlichen Mittel werden der Seele, die zur freien Kindschaft Gottes berufen ist, doch sicher niemals aufgedrungen, sondern ihr nur gestellt, so wie da einem weisen Baumeister die Materialien, die zum Aufbaue eines Hauses notwendig sind. Von da gebraucht sie der Baumeister nach seinem hocheigenen Gutdünken und erbaut daraus ein Haus nach seiner Ansicht und nach seinem Geschmacke, und das erbaute Haus ist dann vollkommen sein Werk und nicht etwa ein Werk dessen, der ihm das Material gestellt hat. So du aber auch das beste Material gestellt hast, um dir ein gutes Wohnhaus zu erbauen, du erbaust es aber nicht selbst, sondern berufst dir einen Baumeister, der dir das verlangte Haus erbaut, kannst du da auch sagen: ,Sehet, dies nun schöne und bestens eingerichtete Haus ist mein Werk!‘? Sicher nicht; denn das Haus bleibt immer ein Werk dessen, der es erbaut hat nach seinem Gutdünken und Erkennen!

7. Und siehe, ebenso sind die vollendeten Seelen der Schwarzen nicht ihr Werk! Sie sind freilich gar sehr wohl erbaut, aber die Schwarzen haben nur wenig dazu beigetragen. Weil aber also und nicht anders, so können sie vorderhand die Kindschaft Gottes nicht erreichen; aber würde es etlichen auch erteilt werden, diese zu erreichen, dann würden ihre Seelen gleich unvollkommener auszusehen anfangen. Da aber einer zur Kindschaft Gottes berufenen Seele nur das Material zum Baue ihrer selbst zu geben ist und daneben die Lehre, wie der Bau zu führen ist, so ist es wohl sicher einsichtlich zur Genüge dargetan, daß einer jeden Seele auch jenseits nicht mehr getan werden darf, so sie in ihrer Ichheit verbleiben soll. Ist dann eine Seele noch so verdorben, so darf sie dennoch nicht mit Meiner Allmacht ergriffen werden, sondern es wird ihr nur das Material in dem Maße gestellt, als sie es zu verarbeiten imstande ist; es darf ihr auch nicht mehr aufgebürdet werden, als wie groß da ist ihre Kraft.“

246. Kapitel. Gottes Gründe für die selbständige Vollendung einer freien Menschenseele.

1. (Der Herr:) „Nun ist aber eine sehr verdorbene Seele auch gewöhnlich und eigentlich immer sehr schwach, so daß sie nicht einmal ihre Menschenform aufrechtzuerhalten imstande ist und daher jenseits gewöhnlich in einem halb-, manchmal auch ganztierischen Zerrbilde erscheint. Nun, da wird ihr, nach und nach freilich, mehr und mehr Kraft, ihr unbewußt, verliehen; aber da wird die größte Vorsicht angewendet, auf daß dadurch die Seele in ihrer Ichheit ja nicht gestört werde. Zugleich verursacht solch eine Unterstützung stets große Schmerzen, weil eine solche schwache Seele äußerst empfindlich und reizbar ist.

2. Würde Ich sie auf einmal mit zu viel Kraft aus den Himmeln versehen wollen, so würde solch eine himmlische Munifizenz die Seele in eine allergräßlichste Schmerzverzweiflung bringen, wodurch sie endlich verschlossen würde ärger denn ein Diamant und in sie nichts mehr hineinzubringen wäre, bevor man sie nicht gänzlich auflösete, wodurch ihr Ich freilich einen derartigen Stoß erleiden würde, dem dann nicht leichtlich ein selbstisches Gegengewicht, als von der Seele ausgehend, gestellt werden könnte. Es ginge dadurch das sich selbst bewußte Ich auf wenigstens eine Äone von Erdjahren verloren und müßte sich von da an wieder zu sammeln und zu erkennen anfangen, was der Seele in ihrem freien, unkörperlichen Zustande um vieles schwerer ist denn hier, wo sie den Leib als ein tauglichstes Werkzeug zu dem Behufe hat.

3. Dich, Mein lieber Mathael, hat die außerordentliche Länge der Zeit allzusehr in eine Beklemmnis gebracht; aber würdest du einsehen, was dazu gehört, eine Seele derart frei darzustellen, daß sie das wird, was sie nun schon in dir ist, so würdest du an der Länge der Zeit sicher keinen Anstoß genommen haben! Was meinst du wohl, wie lange es hergegangen sein mochte, bis du als nun schon sehr vollendeter Seelenmensch diesen deinen gegenwärtigen Lebensgrad erreicht hast? Wenn Ich dir alles vorrechnen würde, da würde dich ein Grauen erfassen, und du würdest das nun noch lange nicht zu fassen imstande sein! Unser Raphael aber weiß es wohl und fasset es in der rechten Tiefe der Tiefen.

4. Aber so viel kann Ich dir wohl sagen, daß hier niemandes Seele jünger ist denn die ganze sichtbare Weltenschöpfung! Du fühlst dich nun unbehaglich darob, so Ich dir der Wahrheit getreu sage, daß eure Seelen schon viel mehr als äonenmal Äonen von Erdjahren alt sind; sollte etwa Ich Selbst Mich auch darum unbehaglich zu fühlen anfangen, weil Ich ewig bin und unter Mir und aus Mir schon Äonen von Vorschöpfungen bloß um euretwillen in für euch nie denkbar langen Zeiten erfolgt sind?!

5. Ja, Mein Freund, eine Sonne, eine Erde und alle die Dinge auf ihr zu erschaffen, ist eine leichte Sache! Dazu bedarf es keiner so langen Zeit. Auch gerichtete Tier- und Pflanzenseelen erschaffen, ist nicht schwerer. Aber eine Seele herzustellen, die in allem Mir völlig ähnlich sei, ist auch für den allmächtigen Schöpfer eine durchaus schwere Sache, weil Mir da die Allmacht nichts nützen kann, sondern nur die Weisheit und die größte Geduld und Langmut!

6. Denn bei der Hervorbringung einer Mir völlig ähnlichen Seele, also einer zweiten Gottheit, darf Meine Allmacht nur sehr wenig, alles aber der neu werdende Gott aus Mir zu tun und zu versehen haben. Von Mir aus bekommt er nur das Material geistig und nach Bedarf auch naturmäßig. Und wäre es nicht also, und könnte es anders sein, so würde Ich wohl nicht, als der ewigste Urgeist, Mir Selbst infolge Meiner Liebe die saure Mühe aufgebürdet haben, Selbst Fleisch anzunehmen, um die bis zu einem gewissen Punkte gediehenen Seelen nicht etwa durch Meine Allmacht, sondern lediglich durch Meine Liebe weiterzuleiten und ihnen zu geben eine neue Lehre und den neuen Gottgeist aus Mir, auf daß sie nun, so sie es ernstlich wollen, mit Mir in kürzester Zeitenfrist vollkommen eins werden können.

7. Ich sage es euch: für Meine ewigen Vorarbeiten fängt nun erst die Ernte an, und ihr werdet wohl Meine ersten ganz vollendeten Kinder sein, was aber noch immer bei eurem und nicht bei Meinem Willen steht. Und nun meine Ich, daß du, Mathael, Mich bei dir wohl entschuldigen wirst, da du nun hoffentlich alles das einsehen wirst, was du früher noch nicht eingesehen hast! – Bist du nun im klaren?“

247. Kapitel. Vom Besessensein. Die langsame Ausbreitung des Evangeliums.

1. Sagt Mathael: „Ja, Herr, darin bin ich nun vollends im klaren; aber ich war ja auch samt meinen vier Gefährten unter dem Hunde schlecht, ich war ein Teufel, und dennoch hat Dein allmächtiger Wille mich schnellst geheilt, und ich habe darum das Selbstbewußtsein und die Erinnerung an alles Frühere nicht verloren! Wie ist denn hernach das? Da hat doch Deine Allmacht uns schnellst völlig geholfen!“

2. Sage Ich: „Ja, Mein Freund, das war ein ganz anderer Fall; da waren nicht eure Seelen, sondern lediglich nur eure Leiber dadurch verdorben, daß sich in deren Eingeweiden eine Menge böser Geister eingenistet hatten! Diese bemächtigten sich insoweit des leiblichen Organismus, daß sie darin schalten und walten konnten, wie sie wollten, und eure Seelen zogen sich unterdessen, als gegen die Masse der Geister noch viel zu wenig kräftig, zurück und mußten die argen Geister im Leibe schalten und walten lassen, wie diese es nur immer wollten.

3. Dadurch aber litten eure Seelen nicht den geringsten Schaden; denn es werden solche Besitznahmen auch nur da zugelassen, wo einen Leib eine schon insoweit gediegene Seele bewohnt, daß ihr die argen, noch höchst unreifen Seelengeister aus dem Jenseits, so sie sich wegen ihrer vermeinten Besserung noch einmal eines Fleisches bedienen, durchaus nichts anhaben können.

4. Da ist Meine leiseste Machtäußerung hinreichend, um tausendmal tausend solcher Seelen aus dem Leibe zu schaffen, wovon dich ein heute noch erfolgendes Beispiel noch mehr überzeugen wird. Sind die Geister einmal aus dem Leibe, so wirst du freilich eine bedeutende Schwäche in dem Leibe verspüren, die so lange anhält, bis die Seele sich wieder des gesamten Leibesorganismus bemächtigt hat. Ist dieser Aktus bald erfolgt, so beherrscht den Leib wieder die alte, ganz gesunde Seele; da ist also nur dem Leibe und nicht der Seele durch Meine Allmacht geholfen worden. Wo aber eine Seele in sich selbst zerstört ist durch ihr Wollen, da kann Meine Allmacht nicht helfen, sondern nur die Liebe, Lehre und Geduld, weil eine jede Seele selbst zu bauen anfangen und sich mit dem ihr verschafften Materiale selbst vollenden muß. – Verstehst du nun das? Wenn dir noch etwas unklar ist, da frage nur weiter; denn nun ist die Zeit der vollkommenen Aufklärung über alles da, und ihr bedürfet viel Lichtes, um alle andern in allen ihren finsteren Lebensgemächern bestens zu erleuchten!“

5. Sagt Mathael: „Herr, Du allein Weisester und Liebevollster von Ewigkeit! Ich bin nun ganz im klarsten Lichte und glaube, in meiner Lebenskammer der Seele wenig Finsternis mehr zu besitzen; aber wie es mit manchen andern steht, das weißt Du, o Herr, natürlich ganz allein! Bei meinem Schwiegervater und bei meinem Weibe wird's wohl noch so manches dunkle Kämmerlein geben; allein da werde ich mit Deiner Gnade und Hilfe schon das Abgängige getreulichst nachtragen!“

6. Sage Ich: „Tue das nur; denn dein Schwiegervater und dein Weib waren bis jetzt noch Heiden, aber Heiden von der besten Art, von denen Ich sagen kann: Da ist Mir einer lieber denn tausend Abkommen Israels zu Jerusalem und auch in den andern zwölf Städten des ganzen Gelobten Landes! Denn diese alle wollen von einem nahen Gott nichts hören und wissen; ein irgendwo unendlich weit entfernter Gott ist ihnen lieber, weil sie geheim bei sich in ihrer groben Dummheit denken, daß ein irgendwo endlos weit fern stehender Gott doch leichter zu täuschen sei als ein sehr nahe stehender!

7. O des gröbsten Irrtums unter den Juden in dieser Welt! Aber was kann man da wieder anderes tun, als mit aller Geduld und selbst mit der Aufopferung des eigenen Fleischlebens, so es nötig wäre, die Menschen durch Lehre und entsprechende Taten zum Urlichte alles Seins und Lebens zurückzuführen?!

8. Und das ist nun Meine Mir Selbst gestellte Aufgabe für euch, und die eure an die Nebenmenschen wird folgen! Freilich dürfet ihr euch nicht der Hoffnung hingeben, als werde das alles schon in wenigen Jahren erfolgen können! Ich sage es euch: In tausend Jahren und darüber wird mehr denn die halbe Bevölkerung der Erde von diesem Meinem Worte noch nicht eine Silbe vernommen haben!

9. Aber es macht das eben nicht soviel Schädliches an der Sache; denn auch jenseits wird den Geistern aller Weltteile dieses Evangelium gepredigt werden. Seid aber hier darum dennoch voll Eifers; denn die rechte Kindschaft Gottes für Meinen innersten und reinsten Liebehimmel wird nur von hier aus zu erlangen sein! Für den ersten und auch zweiten Himmel kann noch jenseits Sorge getragen werden.“

248. Kapitel. Vom Wunderwirken zur rechten Zeit.

1. (Der Herr:) „Du, Mathael, bist denn nun vollkommen im klaren, das heißt insoweit eine Menschenseele im klaren sein kann, solange sie noch nicht völlig eins mit ihrem Geiste geworden ist; daher lasse dein Licht denn auch leuchten vor allen deinen Brüdern! Erwecke aber auch deinen Glauben an die Kraft Meines Namens; denn nur in Meinem Namen wirst du im Falle der Notwendigkeit auch Zeichen tun können vor den Menschen für die erste Erweckung des Glaubens an Mich!

2. Denn wer Mein Wort den Menschen predigt und kann aber nichts wirken durch die Macht desselben, der ist noch ein schwacher Diener Dessen, der ihn gesandt hat, zu bringen den Völkern der Erde das neue Wort alles Lebens aus den Himmeln.

3. Ich will aber damit nicht etwa sagen, als solle sich ein rechter Apostel Meiner Lehre stets und allzeit produzieren vor den Menschen, um dadurch Meiner Lehre bei den Völkern der Erde Eingang zu verschaffen. Nein, das sei ferne; denn die Wahrheit muß für sich selbst sprechen, und wo sie nicht verstanden wird, da folge eine nähere Erklärung, und das so lange, bis die Wahrheit für sich begriffen wird! Aber dennoch kommen eben bei der Erklärung Fälle vor, wo die Erklärung allein besonders bei noch sehr rohen und ungeschlachten Völkern nicht hinreicht; da ist es dann sehr notwendig, auch durch ein mäßiges Zeichen die Erklärung selbst in ein helleres Licht zu stellen.

4. Doch soll ein gewirktes oder noch zu wirkendes Zeichen niemals von einer zu grellen und schlagenden Art sein, durch das die Menschen in eine große Angst und Furcht und dadurch auch in ein sie nötigendes Gericht geraten könnten; denn dadurch würde für die freie Entwicklung der Seele aus sich selbst wenig oder nichts gewonnen sein.

5. Ein zu wirkendes Zeichen hat demnach stets einen solchen Charakter anzunehmen, daß es fürs erste stets in einer besonderen Wohltat besteht und stets in der Art, als folge diese auf den Glauben dessen, dem die außerordentliche Wohltat erwiesen wurde; und fürs zweite muß das Zeichen von der Natürlichkeit nie so weit abstehen, daß auch ein sogenannter Weltweiser keinen natürlich erklärenden Weg mehr übrig hätte! Bei den sogenannten Weltaufgeklärten muß das Zeichen sie wohl stutzen, aber niemals völlig glauben machen; denn diese haben schon immerhin so viel Begriffsfähigkeit, eine Wahrheit auch ohne Zeichen als das gar wohl zu erkennen, was sie ist.

6. In dieser Zeit der Magier und Zauberer aber können die Zeichen schon so ziemlich stark und handgreiflich aufgetragen werden; denn wo nun auch ein Zeichen gewirkt wird, haben die Menschen zuvor schon hundert Zaubereien von persischen und ägyptischen Magiern aufführen sehen, und es macht darum ein von uns gewirktes Zeichen eben keinen besondern Eindruck bei den Weltweisen. Zudem sind wir auch von den Essäern nach allen Seiten hin umlagert, die vor dem blinden Volke mit Leichtigkeit allerlei Zeichen tun, um es mit der Zeit ganz für sich zu gewinnen. Und so machen nun unsere stärker und wunderbarer auftretenden Zeichen das Volk im allgemeinen wenigstens stutzen, wenn sie es auch nicht völlig überzeugen, und das ist gerade das rechte Maß, und es wäre dem Volke zu keinem Heile, so wir mit den Zeichen noch einen größeren Aufwand machten.

7. Wenn Ich alle die Kranken heile, ja sogar die Toten auferwecke, so macht das eben vor dem Volke den Essäern gegenüber kein zu großes Aufsehen, – wohl aber bereitet das den Templern einen möglichst größten Ärger, die aber auch den ihnen gerade auf der Nase sitzenden Essäerorden schon lange zu allen Teufeln gewünscht haben. Denn seit sich dieser auch in Judäa breitgemacht hat, tragen den Pharisäern ihre Wunderkuren gar nichts mehr ein, und das macht alles der Essäer pfiffige Erweckung der Toten, ein uns zwar sehr wohlbekanntes, aber den Pharisäern total unbekanntes Geheimnis.

8. Es ist aber auch ein ordentlicher Scherz, da Ich gerade ein Wasser auf die Mühle der Essäer bin, und ihr werdet es noch erleben, daß man zu euch sagen wird, daß auch Ich ein aus der Schule dieses Ordens hervorgegangener Jünger sei und arbeite nun für das Gedeihen dieses Ordens, der nun selbst der Meinung ist, daß er moralisch bald alle Welt beherrschen werde. Diesen Orden haben wir daher vorderhand nicht wider uns, und er dient uns, auch ohne uns eigentlich dienen zu wollen; denn er mildert uns unsere Zeichen vor dem Volke am meisten, und es bleibt daneben den Menschen noch immer ein großer, freier Spielraum ihrer Gedanken und mannigfachen Urteile. Ansonst dürften wir mit unseren Zeichen nicht einen so mächtigen Zug tun!

9. Ich habe aber das alles für diese Zeit also vorgesehen und alles also entstehen und werden lassen, daß wir nun daneben ganz leicht und in allem unbeirrt für das wahre, freie Heil der Menschen möglichst vieles wirken können, ohne jemanden durch unser Wirken zur Wahrheit hin besonders zu nötigen. Für diese Zeit machen demnach unsere stark aufgetragenen Zeichen kein besonderes Aufsehen für den oberflächlichen Betrachter. Nur wer bei uns tiefer eingegangen ist, der wird zwischen den von Mir gewirkten Zeichen und zwischen jenen der Magier und der Essäer freilich wohl gleich einen unaussprechlich großen Unterschied finden. Aber dem wird diese Erkenntnis darum auch keinen Schaden an seiner Seele zufügen, weil er schon zuvor die Wahrheit erkennen mußte, bevor er imstande war, einen wahren Unterschied zwischen Meinen und der Essäer Zeichen zu finden. Er ist sonach schon rein, und dem Reinen ist dann alles rein.“

249. Kapitel. Das Zeichenwirken bei der Ausbreitung der Lehre Jesu.

1. (Der Herr:) „Ich könnte nun auch für Jerusalem Zeichen wirken, durch die ganz Jerusalem derart breitgeschlagen würde, daß es sich sicher nicht zwei Augenblicke lang bedünken ließe, im Glauben an Mich ordentlich sich anschmieden zu lassen; aber was wäre das für ein Glaube? Das wäre Sklavenglaube aus Furcht und Angst und wäre den Menschen ein Gericht, aus dem sie sich in mehreren tausend Jahren nicht mehr zurechtfinden würden!

2. Denn blinder, fanatischer Glaube, ob auf Wahrheit oder Lüge beruhend, hat einmal fürs Leben keinen inneren Wert, und ist in der Folge schwer irgendwann mehr von einem davon befangenen Volke zu entfernen. Und solange ein Volk in einem fanatischen Glauben lebt, steht es geistig im Gerichte und somit in der tiefsten Seelensklaverei, und es ist ihm nicht zu helfen, weder hier noch jenseits, außer durch einen langwierigen Unterricht durch Worte und Taten und durch eine allergründlichste und zugleich faßlichste Erklärung alles des Wunderbaren, das eigentlich des Volkes Seelen gefesselt hielt.

3. Das beste Mittel aber ist das Schlecht-, Falsch- und Lügenhaftwerden der Priester, die späterhin sich noch bei jeder Gotteslehre wie Pilze aus der Erde herangebildet haben und sich dann dem Volke als Stellvertreter der Gottheiten aufdrangen, – zuerst freilich als weise und ganz sanfte Ermahner, Belehrer, Tröster und Hilfeleister, und später, wenn sie sich einmal so recht in die Gunst des Volkes gesetzt hatten, aber dann auch schon als Richter, als Bestrafer und als Herrscher über die Throne der Könige sogar!

4. Nun, da geschieht es dann zumeist, daß das Volk hinter ihre argen Kniffe gelangt, und der alte, faulgewordene, fanatische Glaube fängt an, morsch zu werden und stets größere Risse und Löcher zu bekommen; und es mag da an ihm noch so emsig herumgeflickt werden, so nützt das nichts mehr, und es gibt dann schon bald wenige mehr, die nicht bei der nächsten besten Gelegenheit sogleich den alten, ganz zerflickten, engen Rock gegen einen neuen umtauscheten. Aber bis ein Volk dahin gebracht wird, dazu gehören mindestens ein paar Tausende von Jahren!

5. Daher seid denn wohl äußerst vorsichtig bei der Ausbreitung Meiner Lehre, daß ihr sie ja niemandem aufdränget, weder durch das Schwert und noch weniger durch zu auffallende Zeichen! Die Wunde mit dem Schwerte ist zu heilen, aber die eines zu grellen Wunderzeichens nahezu nimmer.

6. Wo ihr demnach mit dem Worte ausreichet, da wirket ja keine Zeichen; denn diese sind bis jetzt noch allzeit die Mittel der falschen Propheten gewesen, mit denen sie allezeit die blinden Völker noch blinder gemacht haben, als sie ehedem waren. Ich will aber damit freilich nicht sagen, als sollet ihr auch im Notfalle keine Zeichen wirken! Ihr werdet kommen zu allerlei Heiden, deren Priester sich gar wohl darauf verstehen, allerlei Zeichen zu wirken und allerlei Weissagungen zu machen, die entweder infolge einer feingestellten, doppelsinnigen Diktion oder durch weitverzweigte, verabredete Mittel allzeit in die Erfüllung gehen, was da alles eine Eingebung des Satans und seiner Engel ist, und was alles sich in dem bösen Willen und Wollen des Menschen kundgibt.

7. Also solchen erzfalschen Propheten gegenüber ist es am rechten Platze, entweder ein tüchtiges Gegenzeichen zu wirken oder dem besseren Teile des Volkes die falschen Wunder seiner Priester so recht augenfällig zu erklären; dadurch fängt wenigstens der bessere Teil des Volkes an, starken Verdacht gegen seine Priester zu schöpfen, und ihr habt dann schon so gut wie ein gewonnenes Spiel.

8. Darauf erst könnet auch ihr ein aber stets nur wohltätiges Zeichen wirken, als etwa allerlei Kranke heilen durch die Auflegung der Hände in Meinem Namen, und hie und da sättigen die Hungrigen und Durstigen, auch hie und da abwenden einen verheerenden Sturm durch die bloße Nennung Meines Namens gegen die unheilschwangeren Wolken in der Luft, die bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich voll der zotigsten und ärgsten Geister sind. Dadurch werdet ihr keines Menschen Seele wie mit Ketten gefangennehmen, sondern sie also ganz freien Ganges führen, wie da führet ein guter Hirte seine Lämmer, die ihm auf jedem Schritt und Tritt freiwillig gerne folgen, weil sie stets nur lauter Gutes von ihm zu erwarten haben.

9. Nun weißt du, Mein lieber Mathael, auch, wie du vollkommen Meinem Willen gemäß mit der Ausbreitung Meiner Lehre durch Wort und Tat bei den Völkern, über die du künftighin gebieten wirst, vorzugehen hast, und desgleichen auch deine vier Gefährten!“

250. Kapitel. Schwierigkeiten bei der Verbreitung der reinen Lehre.

1. (Der Herr:) „Du wirst aber besonders in den nördlichsten Teilen deines Reiches, das dereinst wohl der Erde größtes werden wird, gar überaus finstere Heiden antreffen, bei denen es sehr schwer sein wird, das Licht der Wahrheit unter sie zu bringen; tue ihnen aber von deiner verliehenen Macht keine irgend zu harte Gewalt an! Du kannst sie schon, wo es nötig ist, irgend mit einem rechten Ernste angehen, aber ja nicht mit dem Schwerte oder mit zu auffallenden Zeichen; denn das Schwert würde ihnen nur äußerlich den alten, tief eingewurzelten Aberglauben nehmen, ihn innerlich aber noch um so bitterer befestigen. Mit gar zu grellen Zeichen aber würdest du bloß einen Umtausch eines Fanatismus für den andern bewirken! Denn jene Völker, die deine Zeichen sähen, würden bald die größten Feinde ihrer noch ungläubigen Nachbarn verbleiben und sie verfolgen mit Feuer und Schwert, und die Altgläuber würden den Neugläubern dasselbe tun. Was wäre dann damit gewonnen?

2. Da aber Meine Lehre eine wahre Friedensbotschaft aus den Himmeln ist, so soll sie nicht Zwietracht, Unfrieden und Krieg stiften unter den Menschen und Völkern der Erde! Das soll soviel als nur immer möglich vermieden werden. Um von Mir aus das zu vermeiden, brauchte Ich euch bloß fest unter die Macht Meines allmächtigen Willens zu nehmen, wonach ihr freilich unfähig würdet, anders zu denken und zu handeln, als es gerade Mein gemessener Wille wäre; aber wie sähe es da mit eurer eigenen Willensfreiheit aus?! Und hätte Ich das gewollt, so hätte Ich Selbst nie notwendig gehabt, ins Fleisch dieser Welt zu treten; denn Meine ewige Allmacht hätte euch auch ohne dies Fleisch ergreifen können und nötigen, dies und jenes zu reden und zu handeln, gleichwie sie dereinst die Propheten dazu anzutreiben verstand. Wäre das aber für euch ein Nutzen? Ihr würdet dadurch wohl gleich diesen Schwarzen zu vollkommenen Naturseelenmenschen geworden sein, aber schwerlich je vollkommene Kinder Gottes.

3. Darum aber, daß ihr selbst vollkommen freie Verkünder Meines Wortes würdet für alle Zeiten der Zeiten, kam Ich ja ins Fleisch zu euch auf diese Erde, allwo Ich die Pflanzschule Meiner Kinder für die ganze Unendlichkeit aufgerichtet habe, auf daß ihr als Meine freien Kinder auch frei aus Meinem Munde die Lehre vernehmet, sie beurteilen und dann auch weiter ausbreiten könnet unter den Völkern der Erde; und wer sie in ihrer Reinheit auch frei annehmen wird, der wird damit auch frei überkommen die Anwartschaft auf die allerbeseligendste Kindschaft Gottes.

4. Wer aber diese Meine nun an euch ergangene Lehre nicht frei, sondern mit was immer für Gewalt aufgedrungen überkommt, wird so lange keinen Anteil an der Anwartschaft zur wahren Kindschaft Gottes haben können, bis er sich frei aus höchst eigenem Antriebe entweder hier oder auch jenseits um Mich und Mein reines Wort allerlebendigst zu bekümmern anfangen und es freiwillig zu seiner Lebensrichtschnur machen wird.

5. Ich sehe es leider, wie es auch mit dieser Meiner Lehre in wenigen Jahren, nachdem Ich wieder heimgegangen sein werde, gar recht sehr traurig im allgemeinen aussehen wird. Aber Ich sehe auch, wie sie sich in kleinen Gemeinden sonnenrein bis ans Ende der Zeiten dieser Erde erhalten wird! Und das ist eine große Erquickung Meinem wahrhaftigsten Vaterherzen. Aber das Allgemeine kümmere euch Reine wenig oder auch gar nicht; denn aus den vielen Schweinen werdet ihr nie Philosophen bilden. Für diese Geschöpfe ist dann auch bald ein Futter gut genug. Wohl rufe Ich: ,Kommet alle zu Mir, die ihr mühselig und beladen seid, denn Ich will euch alle erquicken!‘; aber dieser Mein Lebensruf wird von gar vielen unerhört und unbefolgt bleiben!“

251. Kapitel. Das Schwert als Züchtigungsmittel bei ungläubigen Völkern.

1. (Der Herr:) „Es werden Zeiten kommen, wo die Weisen aus Meinem Worte rufen werden: ,Herr, nun ist es wahrhaftig schwer, Mensch zu sein; die Wahrheit darf man bei angedrohter Strafe nicht reden, sondern höchstens ganz geheim! Das aber, was die falschen Propheten wollen, ist offenbare Lüge und somit Gotteslästerung! Herr, so rüste Dich doch einmal und ziehe aus gegen Deine Feinde, bevor sie ganz verderben Deinen Lebensacker!‘

2. Ich aber werde noch und noch verziehen und sagen zu jedermann, der Mich also fragend anrufen wird: ,Geduldet euch noch eine kurze Weile, bis voll wird das gegebene Maß! Verharret bis ans Ende, und ihr werdet selig sein; denn der Zwang der Welt wird euch Reinen von keinem Schaden sein an euren Seelen, und ihr als Meine jüngsten Kinder, die ihr in allerlei Drangsal, Not und Elend den Weg des Fleisches durchgemacht habt, werdet desto näher ruhen an Meinem Herzen in Meinem Reiche, und euch werde Ich zu Richtern machen der Welt und derer, die euch mit Not und Drangsalen aller Art gepeinigt haben ohne Grund und Recht von Mir aus!‘

3. Kurz, daran werden allzeit Meine wahren Jünger zu erkennen sein, daß sie sich untereinander lieben werden also, wie Ich euch alle liebe, und daß sie Meinen Namen und Mein Wort niemals mit dem Schwerte verkünden!

4. Ja, wenn einmal ein Volk ganz in Meinem Lichte stünde, und es wäre bedroht durch hartnäckige, blinde, äußere heidnische Völker, die den Glauben an Mich durchaus nicht annehmen wollten, wohl aber verfolgen mit aller Hast und Wut Meine Lämmer, dann ist es Zeit, das Schwert zu ergreifen und die Wölfe von den frommen Herden für immer zu verscheuchen. Wird aber einmal gegen die Wölfe in Meinem Namen das Schwert ergriffen, dann soll es aber auch mit allem Ernste ergriffen sein, auf daß die Wölfe des Schwertes gedenken, das sie in Meinem Namen ergriffen hat. Denn wo einmal ein Gericht in Meinem Namen auftritt, soll es nicht das Aussehen eines nur kaum halben Ernstes haben!

5. Gegen blinde Heiden, deren Seelen zu weit noch von Meiner Ordnung entfernt sind und Mein Wort unmöglich verstehen können, aber ihrem Glauben sonst mit einem besonderen Eifer obliegen, soll das Schwert bloß als ein Hüter der Grenzen auf so lange aufgestellt sein, bis die nachbarlichen Heiden sich nach und nach in Meine Ordnung zu fügen angefangen haben; ist dieses erfolgt, dann vertrete des Schwertes Stelle das Zeichen der brüderlichen Eintracht und Liebe.

6. Aber ganz was anderes ist es, wenn fürder Menschen, die vom Anbeginne das ,Volk Gottes‘ genannt und belehrt und beschützt wurden, – ah, wenn die anhaltend sich dieser Meiner Lehre widersetzen werden und werden sie verfolgen mit ihrem allerbösesten und selbstsüchtigsten Eifer, ja, gegen die wird es wohl kein anderes Mittel mehr geben denn das allerschärfste und unnachsichtigste Schwert! Wehe ihnen, wenn es losgelassen wird; dann wird es keinen Stein auf dem andern lassen, und die Kinder im Mutterleibe werden nicht verschont werden! Und wer da fliehen wird wollen, den werden die Pfeile des Bogens ereilen und ihn töten, darum er aus Selbstsucht wider seine innere Überzeugung ein Mörder Meines Wortes und Meiner hatte werden wollen; denn gegen die Ich mit den Meinen ins Feld ziehen werde, die werden einen schweren Kampf zu bestehen haben, aus dem sie ewig nimmer als Sieger hervorgehen werden!

7. Nun habt ihr auch die Regel, wie und wann ihr in Meinem Namen das Schwert zu gebrauchen habt! – Habt ihr das alles ganz wohl und richtig aufgefaßt?“

8. Sagt Mathael: „Herr, Du meine einzige Liebe, nach allem dem, was bisher von Dir allergnädigst gesagt und erklärt ward, finde ich nichts Dunkles mehr in mir, und ich sage Dir nun aus dem tiefsten Grunde meines Herzens den allerlebenswärmsten Dank dafür und auch schon zum voraus den Dank aller jener Menschen und Völker, die ich durch meinen Eifer für Dein Wort und für Dein Reich gewinnen werde!“

9. Sagt Cyrenius: „Herr, den ganz gleichen Dank bringe auch ich Dir dar und wage vor Dir, o Herr, nun einen schwachen Propheten zu machen aus dem, was Du eben der Erklärung des Schwertgebrauches beigefügt hast, über das bekannte Volk Gottes: dieses dürfte sehr in Jerusalem vertreten sein! Über dieses Volk möchte ich schon jetzt mit dem allerschärfsten Schwerte ein unmenschlich großes Kreuz schlagen; denn das scheint mir fürs Schwert schon überreif zu sein!“

10. Sage Ich: „Noch nicht ganz; es fehlen ihm noch drei Meisterstücke der allerunmenschlichsten Bosheit! Wenn es auch diese trotz aller Lehren und Warnungen verübt hat, dann erst, Freund, soll über diese Stadt und alle ihre Bewohner dein unmenschlich großes Kreuz mit dem schärfsten Schwerte geschlagen werden! Wir wollen aber mit dem Volke noch eine Geduld von vierundvierzig Jahren und noch etwas darüber haben und wollen es vor dem Untergange noch sieben Jahre lang durch allerlei Boten, durch Erscheinung der Toten und durch viele und große Zeichen am Firmamente warnen lassen! Und, Freund, sollte auch das alles vergebens sein, dann erst wird dein unmenschliches Zeichen im größten Maße und mit dem schärfsten Schwerte über sie geschlagen werden! Ich wollte, daß es zu verhindern wäre!

11. Aber was da noch geschehen wird, das weiß der Vater allein und sonst kein Wesen in der ganzen Unendlichkeit! Wem es aber Der noch zur rechten Zeit offenbaren wird, der wird es auch wissen!“

12. Da sagt Cyrenius: „Aber Du, o Herr, wirst wohl ganz genau darum wissen; denn in Deinem Geiste bist Du ja der Vater Selbst!“

252. Kapitel. Der "Vater" und der "Sohn" in Jesus.

1. Sage Ich: „Hast ganz wohl geredet! Der Vater ist in Mir in aller Fülle; aber Ich als der äußere Mensch bin dennoch nur ein Sohn von Ihm und weiß in Meiner Seele auch nur das, was Er Mir offenbart! Ich bin wohl die Flamme Seiner Liebe, und Meine Seele ist das Licht aus dem Feuer der Liebe des Vaters; ihr aber wisset ja, wie das Licht wirket allzeit und allenthalben wunderbar!

2. Die Sonne, von der das Licht ausgeht, hat eine wundersame innere und allerinnerste Einrichtung; diese aber ist nur dem Innersten der Sonne selbst bekannt. Das äußere, obgleich alles belebende Licht weiß nichts darum und zeichnet auch nirgends ein Bild hin, aus dem man der Sonne innere und innerste Einrichtung erschauen könnte.

3. Ja, der Vater ist in Mir schon von Ewigkeit; aber Sein Innerstes offenbart sich auch nur dann in Meine Seele, wenn Er es Selbst will. Ich weiß aber dennoch um alles, was von Ewigkeit her im Vater war; aber der Vater hat dennoch gar vieles in Seinem Innersten, darum der Sohn nicht weiß. Und will Er darum wissen, so muß auch Er den Vater darum bitten!

4. Aber es kommt bald die Stunde, in der der Vater in Mir auch mit Seinem Allerinnersten vollends eins wird mit Mir, dem einzigen Sohne von Ewigkeit, gleichwie auch des Vaters Geist in euren Seelen jüngst völlig eins wird mit den Seelen in euren Leibern noch; und erst dann wird euch durch des Vaters Geist in euch alles offenbar werden, was euch jetzt noch unmöglich offenbar gemacht werden könnte! Und so weiß nun der Vater in Mir noch um so manches, um das der Sohn nicht weiß! – Verstehet ihr dieses wohl?“

5. Sagen nun mehrere Jünger: „Ei doch, ist das wieder einmal eine so recht steinharte Lehre! Da würden wir wohl wieder um eine Erklärung bitten! Denn wenn Du und der Vater eines seid, wie kann der Vater in Dir denn hernach mehr wissen denn Du? Und doch bist Du nach Deinen nachträglichen Lehren der Vater Selbst?! Ei, das begreife, wer es kann und mag, – wir begreifen das nicht! Es kommt immer dicker und dicker! Es mag schon etwas dahinter sein; aber was nützt das? Wir verstehen es nicht! Herr, wir bitten Dich darum, daß Du uns dieses heller und klarer sagst; denn mit dem ist uns sonst wohl um nichts geholfen!“

6. Sage Ich: „O Kinder, o Kinder! Wie lange werde Ich euch noch zu ertragen haben, bis ihr Mich fassen werdet?! Ich rede nun als Mensch zu euch Menschen, und ihr verstehet den Menschen nicht; wie wollet ihr für späterhin ein reines Gotteswort verstehen?! Um euch aber dafür dennoch fähiger zu machen, so will Ich euch die Sache etwas näher auseinandersetzen, und so höret Mich denn gar sehr wohl an!

7. Stellet euch unter dem ,Vater‘ dieser unserer Sonne eigentlichen Körper vor, in welchem alle Bedingungen vorhanden sind, durch die die euch sichtbare, außerordentlich stark leuchtende Lichthülle in einem fort gleich und gleich erzeugt wird. Die Lichthülle ist um den Sonnenkörper ungefähr das, was bei dieser Erde die atmosphärische Luft ist, die auch die ganze Erde auf einige tausend Mannshöhen hoch gleichmäßig umgibt und somit mit der Erde, etwa vom Monde aus besehen, eine ziemlich stark leuchtende, große, scheinbare Scheibe bildet.

8. Wie wird aber die Luft der Erde gebildet? Aus dem innersten Lebensprozesse der Erde! Der Erde Inneres ist sonach zuerst voll Luft, und nur das sehr bedeutende Superplus sammelt sich stets im gleichen Maße um die Erde. Damit aber das Innere der Erde gleichfort die Luft erzeuge, so muß darin ein immerwährendes Feuer tätig sein, das sich aus der großen Tätigkeit der inneren Geister erzeugt.

9. Stellet euch nun also vor: Das inwendigste Feuer entspricht dem, was Ich ,Vater‘ nenne, und aus allen durch das innere Feuer aufgelöst werdenden Elementen wird die Luft erzeugt, welche aber dem entspricht, was wir ,Seele‘ nennen.

10. Das Feuer aber könnte ohne die Luft nicht bestehen, und die Luft könnte ohne das Feuer nicht erzeugt werden. Das Feuer ist demnach auch Luft, und die Luft ist auch Feuer: denn die Flamme ist wahrlich auch nur Luft, deren Geister sich in der größten Tätigkeit befinden, und die Luft in sich ist auch pur Feuer, aber im Zustande der Ruhe ihrer Geister, aus denen sie besteht. Es ist daher nun leicht einzusehen, daß im Grunde des Grundes Feuer und Luft eines sind. Aber bevor die Luftgeister nicht bis auf einen gewissen Grad erregt werden, bleibt die Luft immer nur Luft, und es ist daher zwischen der erregten Feuerluft, als schon Feuer, und zwischen der noch ruhigen eigentlichen Luft ein großer Unterschied.

11. Im Feuer selbst ist das Licht und somit, geistig genommen, das reinste und höchste Wissen und Erkennen; in der Luft, die vom Lichte des Feuers durchdrungen ist, ist dann ebenfalls ein volles Wissen und Erkennen vorhanden, jedoch offenbar in einem schon minderen Grade. Wird aber die ruhigere Luft auch also erregt, daß sie selbst Feuer und Licht wird, so ist dann auch in ihr allenthalben das höchste Wissen und Erkennen vorhanden.

12. Die Erde mit solcher ihrer Einrichtung gleicht demnach einem Menschen. Das innerste Feuer ist der Liebegeist der Seele in seiner Tätigkeit, und die Luft ist gleich der Seele, die durchaus auch ein Feuergeist sein kann, wenn sie von der Liebe des Geistes, das ist von seiner Tätigkeit, ganz durchdrungen wird, wo sie dann ganz eines ist mit dem Geiste! Und das wird die Seele durch die Wiedergeburt des Geistes.

13. Und sehet, ganz das gleiche Verhältnis findet ihr in der Sonne. In ihrem Innersten ist ein allerheftigstes Feuer, dessen Lichtkraft die Lichtstärke der äußeren Lichtatmosphäre ums unaussprechliche übertrifft. Aus diesem Lichte entfaltet sich gleichfort die reinste Sonnenluft, und diese Luft wird auf ihrer Oberfläche selbst Feuer und Licht, jedoch in einem Mindergrade, als da ist das Feuer und dessen allermächtigstes Licht im Großzentrum der Sonne. Aber die äußere Sonnenlichtatmosphäre ist darum dem Wesen nach doch ganz gleich dem Feuer im Zentrum der großen Sonne! Sie bedarf nur derselben höchsten Erregung, dann wird sie auch ganz dem innersten Feuer gleichen.

14. Nun, dieses innerste Feuer der Sonne ist also gleich dem Vater in Mir, und Ich bin das aus dem Grundzentralfeuer stets gleich hervorgehende Licht und auch Feuer, durch das alles, was da ist, erschaffen ward, lebt und besteht. Also bin Ich in Meinem gegenwärtigen Sein das Äußere und Auswirkende des innersten Vaters in Mir, und es ist sonach alles des Vaters Mein und wiederum alles Meine des Vaters, und Ich und der Vater müssen da ja notwendig vollkommen eins sein, nur mit dem Unterschiede, daß in dem innersten Feuer stets ein tieferes Wissen und Erkennen vorhanden sein muß als in dem äußeren Lichte, das von dem inneren Feuer nur stets in dem Grade erregt wird, als es notwendig ist.

15. Ich könnte Mich aber auch alsogleich miterregen; aber dann wäre es um euch geschehen, gleichwie es um alle die Weltkörper, die um diese Sonne bahnen, geschehen wäre, so einmal der Sonne Außenlichtatmosphäre sich entzünden würde in der Kraft des innersten Sonnenfeuers und Lichtes, dessen Macht alle Geister im weiten Schöpfungsraume derart erregen würde, daß er augenblicklich zu einem alle Materie urplötzlich auflösenden, unendlichen, allermächtigsten Feuermeere würde! Nun, das Innere der Sonnenmaterie ist freilich also eingerichtet, daß es dieses Feuer aushält, und die fort und fort auf dasselbe strömenden mächtigen Gewässer infolge des beständigen Kreislaufes – wie beim Menschen der Kreislauf des Blutes – geben dem Feuer fortwährende Beschäftigung zur Auflösung und zu neuer Bildung der Luft und daraus wieder des Wassers, und es kann darum den eigentlichen Sonnenkörper nicht zerstörend angreifen; und werden davon auch immer Teile aufgelöst, so ersetzen sie sich bald wieder durchs hinzuströmende Wasser. Und es muß also alles in der beständigen Ordnung verbleiben.

16. Wenn ihr nun dieses Bild ein wenig näher betrachten wollet, so muß es euch ja doch einigermaßen klar werden, was eigentlich der ,Vater‘ und was der ,Sohn‘ ist, und was die Seele und was der Geist in ihr! – Saget Mir's nun, ob ihr denn jetzt auch noch nicht im nahe völlig klaren seid!“

253. Kapitel. Die Erscheinungen bei der Taufe Jesu. Die Ewigkeit Jesu.

1. Sagt Simon Juda: „Herr, als Du Dich vor mir im Flusse Jordan vom Johannes mit dem Wasser taufen ließest, da sahen wir alsbald eine Flamme in der Art einer Taube über Deinem Haupte schweben, und man sagte, dies sei Gottes heiliger Geist! Und man vernahm damals auch eine Stimme wie aus der Luft: ,Seht, dies ist Mein geliebter Sohn, an dem Ich ein Wohlgefallen habe; den sollet ihr hören!‘ Was war denn das? Woher kam jene heilige Flamme, und von wem wurden die deutlich vernommenen Worte gesprochen? Wie sollen wir solches fassen und verstehen?“

2. Sage Ich: „Von wo anders her konnte das wohl kommen, als allein nur von Mir her und von Mir aus?! Oder meinst du, daß etwa hinter den Sternen ein Vater im endlosen Raume wohnt, der die Flamme über Mein Haupt herabkommen ließ und dann etwa auch aus der unendlichen Höhe die gewissen Worte herab auf diese Erde geredet hat? O du schöne blindeste Blindheit der Menschen! Wenn der ewige Vater in Mir, Seinem ebenso ewigen Sohne, wohnt in der Art, wie Ich sie euch nun klar genug gezeigt habe, von woher kann da die Flamme und die Stimme gekommen sein? Da siehe her, und wieder wirst du dieselbe Flamme über Meinem Haupte erschauen! Und horche, und du sollst dieselben Worte abermals vernehmen!“

3. Da ersahen alle die Flamme in der Gestalt eines flammenden Kreuzes oder irrig so ziemlich in der Gestalt einer Taube, die im Grunde auch ein Kreuz darstellt, schweben, und gleichzeitig vernahmen auch alle die schon bekannten Worte.

4. Ich aber sagte: „Das war die Stimme des Vaters in Mir, und die Flamme entstand aus Meiner unendlichen Außenlebenssphäre, die da ist Mein auswirkender heiliger Geist! – Verstehst du, Simon Juda, nun auch dieses wohl?“

5. Und alle sagten: „Ja, Herr, nun ist uns auch das klar, obwohl wunderbar über wunderbar!“

6. Sagt darauf Mathael: „Herr, Herr, Du Weisester von Ewigkeit, unerforschbar große Dinge hast Du uns erklärt und gezeigt Deine Ordnung, wie sie ist und war von Ewigkeit! Ich kann nun denken hin und her, und siehe, es ist mir alles hell und klar, was alle die unwandelbaren Verhältnisse zwischen Dir, dem Schöpfer, und uns, Deinen Geschöpfen, betrifft! Alle Deine Einrichtungen sind so weise gestellt, daß auch der schärfste Verstand und die hellste Vernunft nirgends etwas finden können, das in sich und mit sich selbst nur im geringsten Widerspruche stünde.

7. Nur wenn ich mich mit meinen Gedanken so recht in den tiefsten Hintergrund aller Zeit und Ewigkeit versetze, so muß ich mir denken, daß alles das Geschaffene, was da ist, alle Urerzengel, alle Himmel, alle Welten – als Sonnen, Erden, Monde, alle die Sterne, die nach Deiner Erklärung auch nichts anderes sind als Sonnen, Erden und deren Monde, die wir Sterblichen mit unseren Fleischaugen wegen der zu großen Ferne freilich nie wahrnehmen können –, denn doch einmal einen Anfang habe nehmen müssen, ansonst die Möglichkeit ihres Daseins wenigstens für mich nicht so recht gut denkbar wäre! Denn ich denke es mir da in gewissen positiven Beziehungen also: Ein Wesen, Ding oder eine Sache, die zu sein nie angefangen hat, kann eigentlich auch gar nicht dasein! Oder könnte ein Ding wohl aus nichts entstehen, das Du als Schöpfer Dir Selbst nie gedacht hast?!

8. Also muß eine daseiende Sache, wie zum Beispiel eine Urzentalsonne, doch einmal von Dir zuvor gedacht worden sein in Deiner gradativen (stufenweisen) Ordnung, bevor sie, freilich erst dann, als eine konkrete Ursonne in ihrer Sphäre zu wirken begann. Sie könnte aber, nach meinem Verstande gerechnet, nicht dasein, so Du zuvor auch nicht eines Atoms ihrer Wesenheit gedacht hättest! Kurz, sie könnte nicht dasein, wenn sie zu sein nie angefangen hätte! Sie kann wohl äonenmal Äonen Säkula alt sein, auch noch tausendmal tausend älter, das macht nichts; so sie unleugbar da ist, hat sie auch müssen einmal dazusein anfangen. Wann, das ist hier gleich und ein Etwas, um das man sich weiter gar nicht zu kümmern hat!

9. Nun könnte man den Satz umgekehrt freilich auch auf Dich anwenden, und es fiele demnach Deine ganz vollkommenst solide Ewigkeit ohne einen genommenen Anfang auch in ein allerschönstes Nichts! Allein, da sagt mir mein klarer Verstand und meine helle Vernunft wieder ganz etwas anderes! Ich kann mir, wenn ich mich in meinen Gedanken auch in Ewigkeiten der Ewigkeiten zurückversetze, kein Ende denken. Es bleibt der unendliche Raum und mit ihm die ebenso unendliche Zeitendauer.

10. In diesem also notwendig ewigen, unendlichen Raume muß denn doch auch jene urewige Kraft gegenwärtig gewesen sein, die die unendliche Ausdehnung des Raumes ewig gleichfort bedingt, ohne die der Raum ebensowenig als diese Kraft ohne ihn denkbar wäre. Diese Kraft kann nur eine sein, wie der Raum auch nur einer ist; sie muß in sich ebenso irgendein Zentrum und gewisserart einen Schwerpunkt haben wie der unendliche Raum selbst. Weil aber der Raum als solcher da ist, so muß auch in ihm sich das unendlichste und somit freieste Sein, als sich selbst fühlend, aussprechen; denn wie könnte er sein, so er nicht in seiner höchsten Ungebundenheit wahrnähme, daß er ist?!

11. Was aber vom Raume gilt, das gilt auch von der in ihm enthaltenen Kraft; auch sie muß sich notwendig als solche daseiend fühlen, ansonst sie unmöglich da wäre. Kurz, das sind in sich begriffene, derartig durch sich selbst bedungene Notwendigkeiten, daß eine ohne die andere gar nicht dasein kann! Das alles ist aber ja ursprünglich und allereigentümlichst Dein geistigstes Ursein Selbst und kann demnach Deinem Geiste nach nie und nimmer hinweggedacht werden!

12. Du bist also nach meinem Verstande ebenso notwendig ewig, als wie notwendig alles andere, wenigstens in seinem formellen Bestande, nur zeitlich sein kann! – Aber nun kommt erst eine ganz andere Frage!

13. Weil alle diese sichtbare und auch unsichtbare Schöpfung denn doch einmal vor noch so undenklich langen Zeiten einen Anfang genommen hat, was hast Du, o Herr, vor diesem Anfange Ewigkeiten hindurch getan? Ich merke zwar aus Deinem freundlich lächelnden Antlitze, daß ich meine Frage etwas dumm gestellt habe; aber dessen bin ich doch sicher, daß sie nicht ganz gehaltlos ist! Und Du, o Herr, wirst uns auch hierin ein kleines Lichtlein anzünden! Meine forschende Seele will nun einmal schon völlig im klaren sein.“

254. Kapitel. Die Größe der Schöpfung.

1. Sage Ich: „Mein lieber Freund Mathael, der unübersteigbare Unterschied zwischen Gott und dem geschaffenen endlichen Menschen, selbst der allervollkommensten Art und Gattung, bestehet dennoch gleichfort, und es kann nicht aufgehoben werden in alle Ewigkeit, daß Gott in Seinem Urwesen durchgängig ewig und unendlich in allem ist und sein muß, während der Mensch wohl ewig hinfür stets vollkommener in seinem Geistwesen bestehen wird, aber dem unendlichen Urwesenmaße nach Gott doch nimmer erreichen kann und erreichen wird.

2. Der Mensch kann Gott ähnlich werden in der Form, auch in der Liebe und in ihrer Kraft, aber dennoch ewig nie völlig im wesenhaften Ausmaße der endlosesten Weisheit in und aus Gott; und so könnten die langen Ewigkeiten in ihren zahllosen Ewigkeitsperioden wohl so manches fassen, das im endlosesten Raume sicher Platz findet, wovon sogar einem Urerzengel sicher noch nie etwas geträumt hat! Denn auch ein Urerzengel hat dafür noch eine zu ungeheuer beschränkte Fassungskraft; erst wenn ein jeder Urerzengel gleich Mir den Weg des Fleisches wird durchgemacht haben, dann wird er auch mehr zu fassen imstande sein, – aber alles in der ganzen, ewig nie endenden Unendlichkeit unmöglich je wann!

3. Ja, ihr werdet ewig fort und fort für euch neue Wunder kennenlernen und euch zu finden anfangen in denselben, aber das Ende derselben dennoch ewig nie und nimmer erreichen, – wofür ihr aber auch daraus euch den Grund leicht einleuchtend machen könnet, so ihr euch denket, ob es wohl möglich wäre, so lange zu zählen, bis man erreicht das Ende der Zahlen! So Ich aber dem Geiste nach von aller Ewigkeit her als immerwährend ein und derselbe Gott bestehe, denke, will, handle und wirke aus der stets gleichen Liebe und Weisheit, die in sich durch jede Schöpfungsperiode sich freilich durch das für alle künftigen Ewigkeiten vollendet gelungene Werk auch vollendeter und gediegener selig fühlen müssen, so könnet ihr Weiseren es euch wohl von selbst denken, daß Ich, wie der Vater nun in Mir und aus Mir spricht, bis zu dieser Schöpfungsperiode sicher nicht in irgendeinem Unendlichkeitspunkte im ewigen Raume eine Art Winterschlaf gehalten habe! Möge eine Schöpfungsperiode von ihrem Urbeginn an bis zur gesamten endlichen geistigen Vollendung auch tausendmal Tausende von äonenmal Äonen von Tausenderdjahrszyklen andauern, so ist solch eine Schöpfungsperiode dennoch nichts gegen Mein ewiges Sein, und ihre für euch unmeßbarste Ausdehnungsgröße ist dem Raume nach ein Nichts im unendlichen Raume!

4. Du, Mathael, kennst die Sternbilder der alten Ägypter wohl, und der Regulus im großen Löwen ist dir wohlbekannt! Was ist er deinem Auge? Ein schimmerndes Pünktchen, – und ist dort, wo er ist im Raume, dennoch ein so großer Sonnenweltkörper, daß ein Blitz, der doch in vier Augenblicken eine Strecke von 400000 Feldwegen durchmacht, nach dir, Mathael, wohlbekannten altarabischen Zahleneinteilungen über eine Trillion von Erdjahren zu tun hätte, um die Strecke von seinem Nord- bis zu seinem Südpole zurückzulegen! Sein eigentlicher Name ist Urka, besser Ouriza (die erste oder der Anfang der Schöpfung von äonenmal Äonen Sonnen in einer nahe endlos weit umhülsten Schöpfungsglobe); sie ist die Seele oder der Zentralschwerpunkt einer Hülsenglobe, die aber an und für sich nur einen Nerv im großen Weltenschöpfungsmenschen ausmacht, deren der gedachte Großmensch freilich ungefähr so viele hat als die Ganzerde des Sandes und des Grases, – welcher Großweltenmensch aber eigentlich nur eine Schöpfungsperiode ausmacht von seinem Anfange bis zu seiner geistigen Vollendung.

5. Eine solche Urka und noch mehr eine ganze Hülsenglobe sind sonach schon ganz respektabel große Dinge, und noch unnennbar größer ist ein solcher Weltenschöpfungs-Großmensch! Aber was ist er gegen den ewigen, unendlichen Raum? Soviel als nichts! Denn alles notwendig Begrenzte, wenn an und für sich für eure Begriffe auch noch so endlos Große, ist im Verhältnisse zum unendlichen Raume soviel als nichts, weil es mit demselben in gar kein je berechenbares Verhältnis treten kann.

6. Nun frage Ich dich, Mein lieber Mathael, ob du nun aus dem Gesagten schon so ein bißchen zu spannen angefangen hast, wo's eigentlich da hinausgehen wird!“

7. Sagt Mathael: „O Herr, ja wohl, ja wohl spanne ich; aber bei dieser Spannung fange ich an, mich so ziemlich ganz zu verlieren und mich aufzulösen ins Nichts! Denn Deine ewige Macht und Größe, der unendliche Raum und die ewige Zeitendauer verschlingen mich völlig. So dunstig wird's mir wohl und – ob ich's recht verstanden habe, was Du, o Herr, so gewisserart hingehaucht hast, weiß ich natürlich kaum oder eigentlich auch schon gar nicht – so kaum aussprechlich schimmerig hell, daß Du solcher Schöpfungsperioden nicht etwa – um auch nach arabischer Art zu zählen – nur dezillionen- oder äonenweise hinter Dir hast, sondern unzählige! Denn wenn ich, nach rückwärts der Zeitendauer nach zählend, bei dieser gegenwärtigen anfange, so würde ich mit dem Zählen sicher nie fertig werden und ewig nie zu der kommen, von der man sagen könnte, sie wäre Deine erste!

8. Kurz, Dein Anfang ist keiner, und so haben auch Deine Schöpfungen unmöglich je einen Anfang gehabt, und soviele derer auch der ewige Raum fassen kann, so ist darunter doch keine, von der man sagen könnte: ,Sieh, das war die erste! Vor dieser ist nichts erschaffen worden!‘ Denn hinter solch einer sein sollenden ersten steckt ja doch wieder eine vollkommen ganze Ewigkeit! Was hättest Du diese hindurch dann gemacht bei Deiner stets gleichen Wesenheit? Platz haben im endlosen Raume auch endlos viele Schöpfungen; wenn ihre Distanzen auch noch so endlos groß sind, so macht das nichts! Der endlose Raum hat Platz genug für alle die ewig endlos vielen und wird ewig noch Platz für äonenmal Äonen viele und so ewig fort und fort für noch zahllose neue haben, und diese künftigen werden die schon von Ewigkeit her vorhandenen auch gewisserart um nichts vermehren; denn ein end- und zahllos Vieles kann darum nie ein Mehreres werden, weil es ohnehin ein endlos Vieles ist.

9. Ja, wenn ich diese Periode mit eins zu zählen anfange, so wird sie um eine, wie in den künftigen Äonen-Zeiten oder -Ewigkeiten sicher stets um eins und eins und eins weiterhin vermehrt werden können; aber wo die Hinterzahl schon ohnehin eine endloseste ist, da ist keine Vermehrung derselben mehr denkbar! Die neuen Schöpfungen zählen wohl für sich noch etwas, – aber zur Anzahl der Vorschöpfungen gar nichts!

10. So lautet meine mich nun ganz vernichten wollende Spannung. Aber hinweg mit solchen Gedanken, die wegen ihrer endlosen Größe meine dafür zu kleine Seele gänzlich erdrücken und zunichte machen! Wenn ich nur ein ewiges Leben habe, die Liebe und Gnade dazu und eine solche Gegend, wie diese da ist, so werde ich es mir fürder nimmer wünschen, auch nur den Mond oder gar unsere Sonne näher kennenzulernen! Ich sehe nun auch ein, wie dumm es von mir war, Dich um etwas zu fragen, was sich für einen beschränkten Menschen zu wissen ganz und gar nicht ziemt! Herr, vergib Du mir meine große Dummheit!“

255. Kapitel. Die Menschwerdung Jesu in unserer Schöpfungsperiode und auf unserer Erde. Die Allgegenwart des Geistes.

1. Sage Ich: „Nein, Mein Freund, Dummheit ist das eben keine, aber so ein für dieses Erdenleben nun etwas zu weit und tief gehender Vorwitz; denn solange die Seele nicht völlig eins mit Meinem Geiste in ihr geworden ist, kannst du derlei Dinge unmöglich in der rechten Tiefe fassen und begreifen. Wirst du jüngst auch zur geistigen Wiedergeburt gelangen und sogar drüben im Reiche Gottes dich geistig als eine vollendete Wesenheit befinden, so wirst du vieles wohl bis auf den tiefsten Grund einsehen, aber freilich nur insoweit, als es diese gegenwärtige Schöpfungsperiode betrifft, in deren Ordnung jede vorhergegangene ihren Bestand hatte und als irgend vollendet jetzt und immerfort bestehend geistig noch hat. Dennoch aber besteht zwischen dieser und all den vorangegangenen Schöpfungsperioden, gleichwie zwischen dieser Erde und all den andern zahllosen Weltkörpern des Urschöpfungsmenschen, ein allergewaltigster Unterschied.

2. Bei all den ewig zahllos vielen Vorschöpfungen, die alle einen Urgroßweltenmenschen darstellten und ausmachten, bin Ich nicht auf irgendeiner Erde derselben als ein Mensch ins Fleisch gehüllt worden durch die Kraft Meines Willens, sondern korrespondierte mit ihren Menschengeschöpfen nur durch für jene Schöpfung geschaffene reinste Engelsgeister. Nur diese Schöpfungsperiode hat die Bestimmung, auf irgendeinem kleinen Weltenerdkörper, welcher gerade diese Erde ist, Mich für alle die vorhergehenden wie für alle in der nie endenden Ewigkeit nachfolgenden Schöpfungen in Meiner ewig urgöttlichen Wesenheit im Fleische und in engster Form vor sich zu haben und von Mir Selbst belehrt zu werden.

3. Ich wollte für alle künftigen Zeiten und Ewigkeiten Mir wahre und wirkliche, Mir völlig ähnliche Kinder nicht nur wie gewöhnlich erschaffen, sondern durch Meine väterliche Liebe wahrhaft zeihen, damit sie dann mit Mir beherrscheten die ganze Unendlichkeit.

4. Um aber das zu erzielen, nahm Ich, der unendliche, ewige Gott, für das Hauptlebenszentrum Meines göttlichen Seins Fleisch an, um Mich euch, Meinen Kindern, als schau- und fühlbarer Vater zu präsentieren und euch Selbst aus Meinem höchst eigenen Munde und Herzen zu lehren die wahre, göttliche Liebe, Weisheit und Kraft, durch die ihr dann Mir gleich beherrschen sollet und werdet nicht nur alle die Wesen dieser gegenwärtigen Schöpfungsperiode, sondern auch die vorangegangenen und alle die noch künftig folgenden.

5. Und es hat demnach diese Schöpfungsperiode vor allen anderen den für euch noch lange nicht hell genug zu erkennenden Vorzug, daß sie in der ganzen Ewigkeit und Unendlichkeit die einzige ist, in der Ich Selbst die menschliche Fleischnatur vollkommen angezogen und Mir im ganzen, großen Schöpfungsmenschen diese Hülsenglobe, in dieser des Sirius Zentralsonnenallgebiet, von den zweihundert Millionen ihn umbahnenden Sonnen eben diese und von ihren sie umkreisenden vielen Erdkörpern gerade diesen, auf dem wir uns nun befinden, erwählt habe, um auf ihm Selbst Mensch zu werden und aus euch Menschen Meine wahren Kinder für die ganze Unendlichkeit und Ewigkeit nach vor- und rückwärts zu zeihen. Und so du, Mathael, als einer der gediegensten Rechner das so recht ins Auge fassest, so wird dich dann die Ewigkeit und des Raumes Unendlichkeit nicht mehr gar so stark drücken.

6. Für die noch so weise, endliche und begrenzte Seele sind die Unendlichkeits- und Ewigkeitsbegriffe freilich etwas sie notwendig immerwährend drückend Unbegreifliches; aber nicht mehr also für den einmal vollkommen erweckten Geist in ihr. Denn der ist frei und in allem Mir gleich, und seine Bewegung ist schon einmal von der Art, daß alle Räumlichkeitsverhältnisse für ihn eine barste Null sind, und das, Freunde, ist schon eine gar gewichtigste Eigenschaft des Geistmenschen!

7. Stellet euch alle die noch so schnellen Bewegungen der Körper vor, wie Ich sie euch schon bei einer früheren Gelegenheit hinreichend erklärt habe, und ihr werdet es bald finden, daß die allerschnellsten euch bekanntgemachten Bewegungen der Zentralsonnen, in ihrer Schnelligkeit dazu noch veräonfacht oder zur äonsten Potenz erhöht, gegen die Schnelligkeit des Geistes eine wahre Schneckenpost sind, weil sie, um eine überaus große Raumesferne zu durchwandern, dennoch gleichfort einer Zeit nach Verhältnis der Entfernung bedürfen, während dem Geiste jede noch so unermeßbare Raumferne gleich ist; denn für den Geist ist hier und noch so unermeßlich ferne irgendwo ,dort‘ eins, während die Verschiedenheit der Raumferne für jede andere Bewegung einen gar sehr wesentlichen Unterschied macht.

8. Ferner mache Ich dich darauf aufmerksam, wie vom Geiste des Menschen, wenn solcher auch noch nicht völlig eins geworden ist mit der Seele, dennoch ein eigentümliches Gefühl in die Seele überfließt und sich dadurch als ein rein Geistiges bemerkbar macht, daß es sich alle Fakta – und mögen diese eine Ewigkeit hinter dieser Gegenwart geschehen sein! – stets also vorstellt, als geschähen sie jetzt, oder als wäre der Geist damals auch schon als ein Augen- und Ohrenzeuge dabeigestanden. Das Fernestehen solcher längst geschehenen Fakta malt sich hernach erst die beschränkte Seele selbst in ihrem Gehirne aus. In der Seele tritt die Erinnerung an die Stelle dieses geistigen Gefühls; aber diese vergegenwärtigt das Faktum nicht, sondern stellt es dem Zeitraume nach dahin, wann es begangen wurde. Der Geist aber stellt sich ganz als gegenwärtig in die Handlungsperiode zurück und vergegenwärtigt sich auch eine künftige derart, als wäre sie schon gegenwärtig vor ihm, entweder als begonnen oder auch schon als lange vollendet.

9. Die Weltweisen nennen dieses rein geistige Gefühl der Vergegenwärtigung entweder längst vergangener oder auch erst künftig zu erfolgen habender Fakta die Phantasie des Menschen. Allein das ist es nicht, weil man Phantasie nur das nennen kann, was die Seele selbst aus dem Vorrate ihrer Bilder als etwas Neues zusammenstellt und also eine sonst irgend in der freien Naturwelt nicht vorhandene Form oder ein Werk zustande bringt. Aus diesem pur seelischen Vermögen sind hervorgegangen alle Gerätschaften, alle Gebäude und Kleidung des Menschen und Fabeln und allerlei Dichtungen, deren Hintergrund sicher entweder sehr selten eine volle Wahrheit, zumeist aber nur eine barste Lüge und eigentlich gar nichts ist.

10. Das ist demnach das, was man Phantasie nennen kann; aber das vorerwähnte Vergegenwärtigungsgefühl entweder vergangener oder auch erst künftiger Fakta ist eine Lebenseigentümlichkeit des Geistes, und der rein denkende Mensch kann daraus entnehmen, wie der Geist im Menschen weder mit dem Raume und ebensowenig mit der Zeit etwas zu tun hat und dadurch über beiden herrschend steht.

11. Für den Geist gibt es sonach nur dann einen Raum, wenn er einen schafft und haben will, und unter ganz denselben Bedingungen auch eine Zeit. Will er keine Zeit, so tritt an ihre Stelle sogleich die ewige Gegenwart des Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen.

12. Endlich könntet ihr noch eine dritte rein geistige Eigenschaft in euch bemerken, wenn ihr so recht aufmerksam darauf wäret! Diese Eigenschaft aber besteht darin, daß ihr euch irgendeine noch so große Sache als plötzlich in allen ihren Teilen vollendet vorstellen könnet und mit einem Blicke überschauen ein ganzes Sonnengebiet. Die Seele mit ihrem Sinnenwahrnehmungsvermögen muß eine Sache nach allen Seiten hin langsam und zeitweilig betrachten, betasten und behorchen und muß sie zergliedern, um sich von ihr erst nach und nach eine Totalvorstellung machen zu können. Der Geist aber umfliegt eine ganze Zentralsonne von aus- und inwendig in einem kaum denkbar schnellsten Augenblick und ebensoschnell auch eine Unzahl von solchen Sonnen und aller ihrer Planeten; und je mächtiger der Geist ist durch die Ordnung der Seele, desto heller und bestimmter ist eben des Geistes Über- und Durchblick der größten und noch endlos komplizierten Dinge der Schöpfung.

13. ,Ja‘, saget ihr und mit Recht sogar, ,wie ist dem Geiste denn solch ein schnellster Totalüberblick möglich?‘ Und Ich sage und antworte euch: In einer vollkommensten Art eben auf die Weise, wie einer vollkommenen, naturordnungsgemäß gediehenen Seele das Fern- und Durchfühlen mittels ihres Außenlebensäthers möglich ist, – wie ihr solches an den Schwarzen hinreichend erprobt habt. Aber bei der nur substantiellen Seele ist solch eine Eigenschaft immerhin bei aller ihrer noch so großen Intensität gegen die ähnliche des Geistes in keinen rechten Vergleich zu stellen, weil sie notwendig noch räumlich beschränkt und da nur unter gewissen transzendent-naturmäßigen Urelementen außer ihrer Grundform zu denken und zu fühlen imstande ist, und das, je näher ihrer eigentlichen Menschenlebensform, desto fühlbarer und gediegener. Nach sehr weit weg gelingt es ihr dann selbst in ihrem vollkommensten, natürlich bloß seelischen Zustande schlecht; und mag eine Seele eine noch so kräftige Außenlebenssphäre besitzen, so wird sie, als von hier ausstrahlend, bis nach Afrika hin schon gar nichts mehr wahrzunehmen imstande sein.“

256. Kapitel. Die Außenlebensphäre der Seele und die des Geistes.

1. (Der Herr:) „Ah, wenn zu Zeiten eines gewissen Verzücktwerdens auf einige Augenblicke der Geist mit seinem Urlebensfeueräther in die vollkommene Seele überstrahlt, dann wird das Fernfühlen, Fernwirken und – schauen sehr potenziert, und der Seele ist es dann in solchen Momenten möglich, sogar bis zu den sehr weit abstehenden Sternen zu reichen und sie dort mit einer großen Genauigkeit zu überblicken; aber wie der Geist sich in der Seele wieder ordnungsmäßig zurückzieht, so kann die Seele mit ihrer puren Außenlebenssphäre nur so weit wirksam reichen, als wieweit sie im günstigsten Falle noch etwas ihr elementar Entsprechendes findet. Es gleicht ihre Außenlebenssphäre der Ausstrahlung eines irdisch ersichtlichen Lichtes. Je weiter von der Flamme abstehend, desto matter und schwächer wird sie, bis am Ende von ihr gar nichts mehr übrigbleibt als Nacht und Finsternis.

2. Aber nicht also steht es mit der Außenlebenssphäre des Geistes. Diese ist gleich dem Äther, der den ganzen, endlosen Raum als völlig gleich verteilt erfüllt. Wenn der Geist denn einmal, als in der Seele frei auftauchend, sich erregt, so erregt sich auch seine Außenlebenssphäre im selben Augenblick endlos weit hinaus, und sein Schauen, Fühlen und Wirken geht dann ohne die geringste Beschränkung so endlos weit hinaus, als der Äther zwischen den Schöpfungen und in denselben den Raum durch und durch erfüllt; denn dieser Äther ist – unter uns gesagt – eigentlich ganz identisch mit dem ewigen Lebensgeiste in der Seele. Dieser ist nur ein kondensierter Brennpunkt des allgemeinen Lebensäthers, der die ganze Unendlichkeit erfüllt. Und wie er als ausgewachsen durch die Seele mit dem Außenäther in die Berührung kommt, so vereint sich sein Fühlen, Denken und Schauen augenblicklich mit dem unendlichen Außenlebensäther in die endlosesten Fernen hin ungeschwächt, und was der große Lebensäther im endlosen Raume allenthalben alles umfließend und durchdringend fühlt, sieht, denkt, will und wirkt, das fühlt, sieht, denkt, will und wirkt auch im selben Augenblick der Sondergeist in einer Seele, und das sieht, fühlt, denkt, will und wirkt dann auch die Seele, solange sie von ihrem Geiste durchdrungen wird und dieser im Verbande steht mit dem ihm innigst verwandten unendlichen und allgemeinsten Außenlebensäther.

3. Der Unterschied zwischen der Außenlebenssphäre einer noch so vollkommenen Seele für sich und dem Außenlebensäther des Geistes ist demnach gar leicht begreiflich ein endlos und unaussprechlich großer, und ihr werdet nun etwa wohl schon so einen kleinen Dunst davon zu bekommen anfangen, wie es einem Geiste dann so ungefähr möglich ist, sich fühlend, sehend, denkend, wollend und wirkend in eine noch so große Ferne hin zu versetzen, ja die ganze Unendlichkeit für sich zu durchdringen, weil er in der ganzen, ewigen Unendlichkeit als völligst ununterbrochen auf allen Punkten des ganzen, ewigen Raumes ungeschwächt einer und derselbe ist.

4. Wenn denn durch die Inwohnung in den Seelen Teile des allgemeinen Geistes als abgesondert da sind, so bilden sie aber dennoch gleichfort ein vollkommenes Eins mit dem Allgeiste, sobald sie die Seele infolge der bedungenen Geisteswiedergeburt ganz durchdringen. Sie verlieren dadurch ihre Individualität aber ganz und gar nicht, weil sie als Lebensbrennpunkte in der Menschenform der Seele auch dieselbe Form besitzen und dadurch mit ihrer Seele, die eigentlich ihr Leib ist, als gleich alles sehende und fühlende Geister auch notwendig das fühlen und höchst klar wahrnehmen, was alles als besonders individuell in ihren sie umfassenden Seelen vorhanden ist. Aus diesem Grunde aber kann dann auch eine Seele, die von ihrem Geiste einmal durch und durch erfüllt ist, alles das sehen, fühlen, hören, denken und wollen, weil sie also denn vollends eins ist mit ihrem Geiste.

5. So euch bei dieser nun schon handgreiflichen Erklärung noch kein Licht über das Wesen des Geistes und seiner Fähigkeiten aufgehen sollte, da wüßte Ich Selbst für die Folge wahrlich nicht mehr, auf welche Weise Ich euch das vor eurer Geisteswiedergeburt in eure Seele noch klarer machen könnte! Darum redet ihr nun alle ganz offen, ob ihr Mich nun endlich in diesem allerwichtigsten Punkte wohl verstanden habt!“

257. Kapitel. Die Allwissenheit Gottes.

1. Sagen Mathael und mehrere andere: „O Herr, nun wohl, nun sind wir vollends im klaren und wüßten kaum noch, um was Weiteres wir Dich noch fragen könnten oder sollten! Herr, frage Du nun uns um Verschiedenes; denn Du wirst es am besten wissen, wo es uns noch irgend abgeht!“

2. Sage Ich: „Das ist wohl etwas Ungeschicktes, so Ich euch eigentlich fragete um irgend etwas also, als müßte Ich solches erst von euch erfahren, da Ich doch alles weiß und sehe, was da vorgeht in euch! Ja, sogar eure geheimsten Gedanken, um die ihr kaum wisset, sind Mir, wie euch die Sonne am Himmel, klarst ersichtlich, und Ich sollte euch da noch um etwas fragen, als wüßte Ich's zuvor nicht?! Wäre das nicht ungeschickt oder zum wenigsten eine unnütze, zeitvergeuderische Mund- und Zungenwetzerei?!“

3. Sagt hier der danebenstehende Schwarze: „Herr, das kommt mir nicht folgerichtig vor; denn meines Wissens hast Du nun vor einer kurzen Zeit doch Selbst Deine weißen Jünger gefragt, ob sie dies oder jenes wohl verstanden haben! Das ist ja doch auch eine Frage, mittels welcher man von jemandem etwas erfahren will, von dem man früher noch nicht die rechte Aufhellung erhalten hatte! Warum fragtest Du da die Jünger? Wußtest Du denn nicht, ob sie Deine großen und weisesten Enthüllungen wohl verstanden oder auch nicht verstanden haben?“

4. Sage Ich: „O du Mein schätzbarer schwarzer Freund! In bezug auf das Fragen erkundigt man sich lange nicht allzeit nur um das, was man zuvor etwa selbst nicht weiß, sondern man fragt gar oft, und das aus gutem Grunde, prüfend, um durch die Frage seinen Nebenmenschen zum Nachdenken zu bewegen.

5. So fragt ein Lehrer seine Schüler um Dinge aus, die er auch ohne die Antwort der kleinen Jünger zuvor gar gut weiß und wissen muß. Und der Richter fragt den Sünder am Gesetze, was er verschuldet habe, nicht etwa, um nun erst zu erfahren, was dieser wider das Gesetz getan hat – darum weiß der Richter schon lange! –, sondern er will von dem Inquisiten nur das Eigengeständnis und züchtigt den verschmitzten Sünder, wenn er beharrlich alles das ableugnet, von dem der Richter durch die gleichen Aussagen mehrerer Zeugen schon lange in die hellste Überzeugung gelangt ist!

6. Und so kann auch wohl Ich, als ein rechtester Lehrer und als ein allergerechtester Richter, an euch Menschen allzeit Fragen stellen, nicht etwa, um von euch etwas zu erfahren, das Ich zuvor etwa nicht gewußt hätte, sondern um euch dadurch zum Nachdenken und Sichselbstprüfen zu nötigen! Also in der Art kann Ich wohl jedermann fragen; aber so Ich jemanden von euch also fragen würde, als wollte Ich Mich überzeugen, ob dieser oder jener von den Jüngern Meine Lehre wohl verstanden hätte oder nicht, so wäre das von Mir aus ein eitles und ungeschicktes Fragen, da Ich das auch ohne alle Fragen als Gott ohnehin schon seit Ewigkeiten her habe wissen können, wer und wie er Mich in dieser Zeit auf dieser Erde wohl verstehen wird! – Bist du nun darüber auch im hellen!“

7. Sagt der Schwarze: „Ja Herr, und ich bitte Dich um Vergebung darum, daß ich nun Dich, o Herr, mit meiner höchst ungeschickten Frage belästigt habe! In der Folge werde ich so etwas sicher nicht mehr tun, wenn es mir vergönnt sein sollte, mich mit den Meinigen noch länger in Deiner heiligen Nähe aufhalten zu dürfen!“

8. Sage Ich: „Solange du willst, kannst du dich bei Mir aufhalten und auch fragen! Wenn du noch irgend etwas hast, was dir nicht helle genug ist, da hast du, so wie jeder andere, das freie und volle Recht zu fragen! Denn nun gebe Ich Mich ganz offen an diesem Orte; späterhin wird eine Zeit kommen, in der Ich auf eine Zeitlang von niemandem eine Frage anhören werde. Es ist in dir noch etwas Lückenhaftes; erforsche dich und frage, und es soll dir auch darin Licht werden!“

9. Sagt der Schwarze: „O Herr, da bedarf es nicht, daß ich mich lange erforschete; denn meine Lücken kenne ich schon seit langem! Und siehe, es ist das eine Hauptlücke, daß ich mir Gottes Allwissenheit am allerwenigsten erklären kann! Wie kannst Du denn gar so um alles in der ganzen Unendlichkeit wissen?“

10. Sage Ich: „Ja, wenn du das nun noch nicht verstehst, so hast du ehedem eben Meine Enthüllungen vom Außenlebensäther des Geistes nicht tief genug aufgefaßt! Das wirst du doch begriffen haben, wie der ewige Schöpfungsraum ewig und unendlich ist, und wie er mit nichts anderem erfüllt ist als nach allen Seiten ewig fort und fort mit Meinem Geiste, welcher da ist pur Liebe, also Leben, Licht, Weisheit, klarstes Selbstbewußtsein, ein bestimmtestes Fühlen, Gewahrwerden, Schauen, Hören, Denken, Wollen und Wirken.

11. In Mir ist zwar dieses ganz einen und ewig gleichen Geistes Brennpunkt, der aber eins ist mit seinem unendlich großen und alle Unendlichkeit erfüllenden Außenlebensäther, der bei Mir mit dem Hauptlebensbrennpunkte stets mit allem, was er faßt, in der innigsten Verbindung steht. Dieser Mein Außenlebensäther aber durchdringt alles und umfaßt alles in der ganzen, ewigen Unendlichkeit und sieht, hört, fühlt, denkt, will und wirkt überall auf eine und ganz dieselbe Weise.

12. Auf eine gewisse Ferne vermag das ja deine Seele auch, und es würde jemandem schwer sein, in deiner Nähe einen bösen Gedanken zu fassen, ohne daß du solchen sogleich erkennetest. Wie du solches aber vermagst mittels der kräftigen Außenlebenssphäre deiner Seele, die mit ihr stets im innigsten Verbande steht und somit dein klares Ich weit über dich hinaus ausbreitet, – also ist es auch bei Meinem Geistesaußenlebensäther der Fall, nur mit dem Unterschiede, daß deiner Seele Außenlebenssphäre nur auf einen gewissen Raum beschränkt ist, weil sie als Substanz, wegen der Verschiedenheit der ihr begegnenden fremden Elemente, sich nicht weiter ausbreiten kann.

13. Des Geistes Außenlebensäther aber kann ewig auf keine fremden Elemente stoßen, weil im Grunde alles er selbst ist; und so kann er auch allerfreiest und ungehindertst endlos über alles alles sehen, fühlen, alles hören und bestens verstehen. Und siehe, darauf basiert denn ganz klar und leicht faßlich die dir so schwer begreifliche Allwissenheit Gottes! – Sage, bist du nun darüber im klaren?“

258. Kapitel. Die Sprache der Tiere.

1. Sagt der Schwarze mit ganz aufgeheitertem Gesichte: „Ja, ja, ja, – nun sehe ich auch das völlig ein und glaube, daneben nun noch so manches einzusehen, was ich früher auch nie so recht klar eingesehen habe! So verstehen wir offenbar die Sprache der Tiere ganz und gar, und wer sich die Mühe geben will, die wenigen Laute der Tiere nach der Art der inneren Empfindung und der naturseelischen Intelligenz zu modulieren – wozu freilich eine kleine Übung erforderlich ist –, der kann mit den Tieren wie mit den Menschen ganz förmlich reden und von ihnen so manches erfahren, was in vollem Ernste oft von keiner geringen Bedeutung ist. Ich habe selbst mich versucht, habe es aber dennoch nie zu einer allen Tieren verständlichen Sprache bringen können, weil meine Organe nicht danach eingerichtet waren und auch jetzt nicht eingerichtet sind; aber verstehen kann ich alles, was irgendein Tier mit seinesgleichen abmacht.

2. So habe ich einmal daheim zwei Ichneumone ganz deutlich am Nil in meiner von ihnen unbemerkten Nähe folgendes miteinander abmachen hören: Das wohlkennbare Männchen sagte zum Weibchen: ,Du, mir wird bange um unsere Kinder, die eine Tagereise von hier am Unterstrome Jagd nach des Mokels (Krokodil) Eiern machen! Ich fürchte, daß unser ältester Sohn, wenn er am Ufer träge und voll angefressen ruhen wird, von einem bösen Aar gepackt, in die Luft getragen und darauf auf einem Felsen jämmerlich zerfleischt und bis auf die Beine aufgezehrt wird! Wenn wir beide sehr behende eilen, so könnten wir diesem Unglücke noch vorbeugen! Gegen Abend kommen die Löwen und Panther zum Nil zur Tränke, da wäre die Reise für uns gefährlich; verlassen wir aber nun schnell diesen Platz, an dem ohnehin nicht viel zu gewinnen ist, so haben wir keine Gefahr auf der weiten Reise dahin zu bestehen, und wir retten unsern ältesten Sohn!‘ Da richtete sich das Weiblein auf und sagte nichts als: ,So eilen wir denn in der uns gewohnten Hast!‘ Und als das Weibchen das aussprach, da ging es gleich pfeilschnell über Stock und Stein dem Nil entlang.

3. Nach etwa vierzehn Tagen kam ich wieder an jene Stelle, weil ich in mir wahrnahm, daß sich dort nun eine ganze Ichneumonfamilie aufhalte. Ich eilte leisen Trittes hinzu und fand sieben Ichneumone auf einer Sandbank sich herumtummeln und miteinander schäkern und sich gegenseitig freundlich necken. Diesmal aber nahm ich auch meinen Diener mit, weil er ganz besonders gut mit vielen Tierarten zu reden verstand.

4. Als wir beide uns ganz ruhig und still hinter einem Busche der Stelle am Strome nahten und ihr Geschwätze ganz gut vernehmen konnten, da sagte das mir recht wohl bekannte Weibchen zu ihrem Männchen: ,Du, sieh dich um nach jenem Busche; hinter ihm lauern zwei Menschen! Fliehen wir; denn diesen ist nie und nimmer zu trauen!‘ Darauf schnupperte das Männchen etliche Male gegen uns beide herüber und sagte darauf zum Weibchen: ,Sei ruhig, Weiblein! Diese beiden kenne ich; das sind keine bösen Menschen, und sie werden uns schon am wenigsten irgendein Leid zufügen. Sie verstehen uns, und einer könnte sogar reden mit uns, so er wollte. Wir werden uns mit ihnen noch recht gut unterhalten, und sie werden uns dann Milch und Brot zu essen geben!‘

5. Auf das ward das Weibchen ruhig und fing an, freudenvoll wieder herumzuhüpfen und -zutanzen; denn es hatte eine große Freude daran, seinen in großer Gefahr schwebenden Sohn gerettet zu haben. Der Sohn aber war auch ein ganz besonders wohlgestaltetes Tier und verriet eine Art von Selbstgefühl, was man in unserer menschlich moralischen Sphäre Stolz nennen könnte.

6. Mein Führer meinte, daß wir uns nun dieser muntern Gesellschaft der Ichneumone ohne Bedenken ganz ruhig nähern könnten und sie würden nicht fliehen vor uns. Wir taten das, und siehe, das alte Männchen erwies uns sogar eine Art Höflichkeit und wies uns einen ganz bequemen Platz zum Zuschauen an, sagte aber, die Sandbank möchten wir nicht betreten, weil in ihr viele Mokeleier verscharrt wären und er nun beschäftigt sei, seine Jungen im Aufsuchen dieser bösen Eier zu üben.

7. Wir taten das, und mein Diener gab dem Männchen die volle Versicherung, daß er und seine Gesellschaft nicht nur nichts zu befürchten hätten, sondern daß wir sie die ganze Zeit ihres dasigen Aufenthaltes reichlich mit Milch und Milchbrot (Käse) versehen würden. Da sagte das Männlein: ,Das wird sehr gut sein, und ich werde dir darum den Strom von allen Mokeleiern reinigen. Aber warte mit deiner Wohltat noch zwei volle Tage; denn meine Jungen müssen zuvor durch Hunger genötigt werden, Mokeleier zu vertilgen, dann erst wird am dritten Tage der süßschmeckende Lohn am rechten Platze sein!‘

8. Darauf fragte der Diener das Männchen abermals, wie denn in diese Gegend Mokeleier verpflanzt würden, da man in diesem Stromgebiete doch noch nie eine Mokel gesehen habe. Da sagte das Männchen: ,Die Mokel sind ganz gescheit und sehr naturkundig. Sie wissen es aus ihrer Natur und Erfahrung, daß ihre Eier in diesen Hochgebieten des Stromes besser und gesünder gedeihen als in des Stromes Niedergebieten. Daher schleichen sie gleich nach der Regenzeit in den Nächten schwimmend hierher und noch etliche Tagereisen weiter von hier aufwärts bis in das Gebiet der harten Wasser des Stromes und verscharren da eine Unzahl Eier in den warmen Sand. Sind sie mit dieser Arbeit gerade in der Zeit fertig, in welcher ihr großen Menschen euch vor Schlamm den Ufern des Stromes samt uns nicht leichtlich nahen könnet, so begeben sie sich eben wieder zur Nachtzeit schwimmend nach den Unterlanden, wo es reiche Herden gibt, auf die sie zur Nachtzeit eine stets sehr erfolgreiche Jagd machen können. Wenn aber die Jungen hier ausgebrütet werden, so steigen sie auch sogleich dem Wasser zu und schwimmen ganz bequem dorthin, wo ihre Alten sich gewöhnlich aufhalten. Dort finden sie auch gleich Nahrung und gedeihen sehr schnell. Da wir aber wohl wissen, wo sich ihre kräftigsten Eier befinden, so ziehen wir denselben nach, suchen sie nach Möglichkeit zu vernichten und nähren uns von dieser unseren Gaumen sehr wohlschmeckenden Kost. Nur mit dem Auffinden geht es im Anfange etwas schlecht, und dazu belästigen uns oft noch ein paar Feinde; der eine ist ein mächtiger Bewohner der Luft, der Aar, und der zweite ist die verwünschte Klapperschlange. Aber wenn wir unser mehrere beisammen sind, da mögen uns beide nichts anhaben. – Nun aber gebet acht, wie wir die Eier suchen, finden und sogleich auch vernichten werden!‘

9. Hierauf sprang das Männchen von uns und quitscherte fürs menschliche Ohr einige eintönige, unartikulierte Laute, deren Sinn ich nicht sehr genau verstand; aber mein feinhöriger Diener sagte, daß das Männchen nun den Befehl zum Aufsuchen der Eier gegeben habe. Und richtig, die Tierchen fingen an, in den Sand hineinzuschnippern, und sowie sie eine Stelle fanden, an der sich im Sande eine Lage Eier befand, gaben sie einen ganz eigenen Laut von sich, gruben sich höchst schnell in den Sand hinein und stellten die Eier frei, worauf es dann gleich ans Vertilgen der vorgefundenen Beute herging. Sie verzehrten aber nur die kleineren; die großen zerbissen sie wohl, warfen sie dann aber höchst behende mit den Vorderpfoten ins Wasser. Darauf aber ging die Jagd gleich wieder von neuem an.

259. Kapitel. Beispiele von der Intelligenz der Tiere.

1. (Der Schwarze:) „Wir sahen ihnen einen halben Tag ganz ungestört zu und unterhielten uns recht gut, da wir bei jedem Schritte und Tritte dieser Tierchen eine gewisse Ordnung und einen ganz wohlberechneten Plan ganz klar und deutlich abnehmen konnten und zugleich uns stets sehr hoch über die besondere Geschicklichkeit verwundern mußten, mit welcher diese wahrlich übermenschlich intelligenten Wesen ihr Werk ausführten. Ich dachte an eine Ermüdung dieser Arbeiter; aber keine Spur davon. Je länger die Arbeit dauerte, mit einem desto größeren Eifer wurde sie stets von ganz neuem wieder begonnen.

2. Etwa so nach drei Stunden nach eurer Zeitmessung kam das Männlein wieder und sagte: Mit dieser Sandbank würden sie in vier Tagen kaum fertig, dann wäre gegenüber am linken Ufer auch eine bedeutende Sandlehne, in der auch viele Mokeleier verscharrt seien. Dieselben müßten sie auch vertilgen, sonst würde es in einem Jahre nur wimmeln von lauter Mokels, und in zehn Jahren würden sie sich so sehr vermehren, daß kein Mensch einen Schritt im ganzen Unterlande tun könnte, ohne irgend auf einen Mokel zu stoßen. Die Menschen dieser Länder könnten ihnen, den Ichneumonen, daher nicht zur Genüge dankbar sein für die stetige Vernichtung der bösen Mokel im ganzen Unter- und Oberlande zu beiden Seiten dieses Stromes.

3. Mein Diener aber fragte das muntere Männchen, wie es denn bei solchem ihrem Fleiße doch immer kommen mag, daß sich noch immer Mokel in dem Strome aufhalten und fortkommen. Da sagte das Männchen, sich ganz ernst stellend: ,Das will der große Geist aller Natur, daß die Mokel für diesen Strom nie ganz ausgerottet werden dürfen; denn auch ihre Bestimmung ist, der Erde und ihren Bewohnern zu nützen. Nur überhandnehmen dürfen sie nicht; dafür sind wir da, um ihre Vermehrung in den rechten Schranken zu halten. Der große Geist hat das alles also weise vorgesehen, und es muß das alles also geschehen, damit ein Leben in dem andern seine Vervollkommnung finden kann. Die Übergänge sind stets bitter, aber dafür ist dann das höhere Sein ein angenehmes!‘

4. Der Diener fragte es, wie's denn zur Kenntnis eines höchsten Geistes gelangt sei. Da fing das Männchen an zu kichern, und es war das eine Art des Lachens. Als sich das Männchen ausgekichert hatte, sagte es zum Diener: ,Sehen wir doch täglich Seine Sonne am Himmel, und wie aus derselben allerart gute Geister zu uns herüberströmen! Woher sollen sie denn anders kommen als vom großen Lichtgeiste aus der Sonne?!‘

5. Und wieder fragte der Diener das Männchen: ,Verehret ihr auch solchen großen Lichtgeist?‘ Sagte das Männchen: ,Ist aber das für einen großen Menschen doch eine seltsame Frage! Ihr werdet doch nicht dümmer sein als wir schwachen Tiere? Wenn wir das allzeit gerne und unverdrossen tun, was uns Sein Wille in unser Naturleben gelegt hat, dann ehren wir ja am besten den großen Geist! Oder könnet ihr euch gegenseitig besser ehren, als so einer freudig tut den Willen seines Nächsten?! Sieh, darin liegt alles, daß man den Willen Dessen tut, den man wahrhaft ehrt!‘ Mit dem verließ das Männchen uns wieder und ging wieder mit allem Fleiße seiner Arbeit nach. Wir aber verließen darauf den Ort und gingen wieder nach Hause zur Bestellung unserer Hausgeschäfte.

6. Ein paar Tage darauf versahen wir die Tierchen mit Milch und Käse, welche Kost sie mit großem Wohlgefallen verzehrten, aber darauf richtig einen ganzen Tag von ihrer Arbeit ruhten.

7. Der Diener fragte das Männchen, ob für Menschen Mokelfleisch auch zu essen wäre, freilich zuvor beim Feuer gebraten. Da sagte das Männchen: das Bauchfleisch wohl, weil solches verdaulich sei; aber mit dem andern Fleische wäre nichts zu machen, es sei unverdaubar hart. Das Nilpferd wäre besser, und noch besser das Nilkalb, das sich aber stets mehr in der Nähe des Meeres zumeist in der Tiefe aufhalte und sich nur zu Zeiten der unterwässerlichen Stürme auf die Oberfläche begebe und da mit den Fahrzeugen der Menschen spiele.

8. Nach dieser Erklärung sprangen wieder alle sieben von uns und setzten übers Wasser ans jenseitige Ufer, wohin wir ihnen dann nicht mehr folgten, weil wir nun ihre Natur und ihren Charakter hinreichend hatten kennengelernt.

9. Ich habe hier bloß darum dieses Beispiel von Ichneumonen erzählt, weil es für mich etwas ganz Neues war, und weil ich so viel Klugheit in gar keinem mir bekannten Tiere gefunden habe.

10. Es gibt auch unter den Vögeln ganz weise Charaktere. Vor allem gehören dazu die Ibisse und Störche, die Kraniche, die Wildgänse und die Schwalben. Unter den vierfüßigen Erdtieren aber sind das Kamel und noch mehr der große Elefant, der Esel, der Hund, der Affe, die Ziege, dann der Fuchs, der Bär und der Löwe sicher die intelligentesten und führen eine recht deutliche Sprache. Der anderen Haustiere Intelligenz ist schwächer, und ihre Sprache ist mehr unverständlich und dumm. Unter den kaltblütigen Tieren aber steht die große Eidechse obenan; denn diese wird bei uns als ein ordentlicher Prophet angesehen und verkündet uns oft mehrere Tage zum voraus, was da alles kommen werde. Daher werden bei uns diese Tiere auch besonders gepflegt und mit Milch und Käse gefüttert.

11. Es ist im höchsten Grade zu verwundern, woher diese Tiere ihre Wissenschaft nehmen. Nun, ich erzählte hier durchaus keine Fabel, obwohl dies von mir nun Erzählte den unerfahrenen Weißen als eine Fabel vorkommen muß. Wenn sie es aber durchaus nicht glauben können, daß sich alles das also verhält, so führet des praktischen Beispieles halber etwa einen ganz fremden Esel her, und mein Diener wird an ihn Fragen richten und dem Esel auftragen, etwas Bestimmtes zu tun, und das Tier wird das auch sicher ganz pünktlich tun, was der Diener von ihm begehren wird!“

260. Kapitel. Unterhaltung des tiersprachkundigen Nubiers mit dem Esel des Markus.

1. Sagt der alte Markus zu Mir: „Herr, soll ich wohl einen Esel, aber einen von meinen ganz natürlichen, hierherstellen? Denn die zwei neugeschaffenen könnten da zu einem Vorurteile Anlaß geben!“

2. Sage Ich: „Ja ja, tue das; denn es wird daraus noch eine gar wichtige Lehre gefolgert werden!“

3. Schnell entfernte sich Markus, brachte ein Eselmännlein zu uns und sagte etwas lächelnd zum Schwarzen: „Da wäre so ein Weltweiser; tue nach deinem Gutdünken mit ihm!“

4. Da berief der Schwarze seinen Diener. Dieser richtete sogleich in seiner dem Eselsgeplärre ähnlichen Weise allerlei Fragen an das Tier, und siehe da, das Tier gab ihm eine Menge Dinge von dem Haushalte des Markus kund, wie auch von seinem früheren sehr rohen Besitzer, dessen Namen und noch so eine Menge der überraschendsten Daten, um die sonst der schwarze Diener nicht leichtlich hätte wissen können, was den Markus im hohen Grade frappierte. Endlich gebot der Diener dem Esel, ihm zu Gefallen dreimal um unsern Tisch zu laufen und am Ende siebenmal recht laut sein ,J-a‘ hören zu lassen. Und sogleich befolgte das der Esel und entfernte sich darauf von selbst.

5. Darauf fragte der schwarze Anführer unsere Gesellschaft, ob das nun wohl auch eine kaum glaubbare Fabel wäre.

6. Da sagte der nicht genug staunen könnende Cyrenius: „Nein nein, Freund, Fabel ist das keine; aber beinahe möchte ich nun schon zu glauben anfangen, daß auch unser berühmter Fabeldichter Äsop mit den Tieren hat reden können! Herr, da ist ja schon wieder eine neue Tugend der Schwarzen, von der wir früher keinen noch so schwachen Dunst hatten! Ja, wenn das so fortgeht, da werden wir mit den Schwarzen noch lange nicht fertig werden! Es kommt immer besser, immer unglaublicher und unerklärlicher! In den Büchern eurer Schrift las ich wohl einmal von einem Esel, der mit seinem ihn zu sehr mißhandelnden Propheten namens Bileam geredet habe; aber was ist das gegen das, wo dieser Schwarze sich nun von diesem ganz harmlosen Esel dessen ganze Biographie ganz klassisch hererzählen läßt! Und daß es keine Dichtung des Schwarzen war, das bezeugte der alte Markus!

7. Es ist das, dies und jenes, schon ganz gut und recht, und ich habe da gar nichts dawider, wenn ich bei all dem, was ich nun schon alles für weise Lehren vernommen habe, mir diese neue wunderbare Erscheinung nur ein wenig versinnlichen könnte, wie es möglich ist, sich mit den Tieren sprachlich zu verständigen! Es wird an solcher Kunde des Menschen Heil wohl auch nicht gelegen sein; aber da die höchst sonderlich wunderbare Erscheinung, von rein menschlicher Seite ausgehend, einmal da ist, so möchte ich das Wie- und Wodurchmöglich denn doch ein wenig näher erkennen! Wie können sich die Tiere mit dem Menschen sprachlich verständigen, und wie der Mensch mit den Tieren? – Herr, gib uns darüber nur so einige ganz kurze Winke!“

8. Sage Ich: „Menschen, die so etwas vermögen, sind darum nicht vorzüglicher denn ihr, die ihr das nicht vermöget; denn je näher irgendeines Menschen Seele den Tierseelen steht, desto mehr solches Vermögens, mit denselben sich zu verständigen, besitzt sie natürlich in ihrem lebensordnungsmäßigen, vollreinen Zustande. Verfleischt sie sich zu sehr, so ist es dann auch aus mit den besonderen Eigenschaften, und die finsteren Gesetze der Materie treten dann an ihre Stelle, und der Seele schadet dann auch alles, was nur immer dem Fleische schaden kann.“

261. Kapitel. Das Wachstum der menschlichen Außenlebensphäre.

1. (Der Herr:) „Aber es bedarf zu dem Vermögen, sich mit den Tieren vollkommen zu verständigen, nicht gerade der Mohren. Auch die Weißen können das erlangen, wenn sie sich vollkommen gereinigt haben. Ist einmal eine Seele ganz rein und somit auch ganz gesund und kräftig, so fängt sie an, den Überfluß ihrer Außenlebenssphäre gewisserart über die Grenzen ihres Leibes hinauszuschieben, und das stets um so weiter, je lebensgediegener sie in sich selbst geworden ist.

2. Es ist dies ungefähr also zu nehmen, als so sich jemand von euch eine noch matt glühige Kohle vorstellte in einer ganz finsteren Kammer. Die Kohle wird nun kaum so viel Lichtes in ihrer allernächsten Nähe um sich verbreiten, daß man sie mit genauer Not ersehen wird, wo sie liegt. Bläst man die sie verfinsternde Asche als gewisserart Seelenmaterie von ihrer Oberfläche hinweg, so wird ihr Licht um sie schon so stark und so weithin ausströmen, daß man ihre nächste Umgebung schon ganz gut wird ausnehmen können. Verstärkt man das Gebläse noch mehr und mehr, so wird aus ihrer schon lichtglühenden Oberfläche sich schon so viel Lichtes auszubreiten anfangen, daß man schon zur Not in der ganzen Kammer die darin befindlichen Gegenstände recht klar wird auszunehmen anfangen. Wird die Kohle dann erst ganz weißflammenglühig gemacht, so wird es dadurch schon in der ganzen Kammer ganz gut helle werden, und man wird nun schon alle Sachen in derselben zur Genüge erleuchtet auch ihren Farben nach reiner ausnehmen können.

3. Also steht es auch mit der puren Seele. Die glühige, mit Asche umlagerte Kohle gleicht einer ganz ins Fleisch verwachsenen Seele. Sie braucht all ihr mattes Lebensfeuer nur zur Bildung ihrer sie umlagernden, finsteren Materie; da ist es sonach mit der Bildung einer Außenlebenssphäre soviel als nichts! Und solch eine sehr materielle Seele kann unmöglich je von einer besonderen und höheren Eigenschaft etwas verspüren. Da ist es nichts mit der Meisterschaft über alle Kreatur, ebenso nichts mit dem Schauen in die Sphären des seelischen Lebensbereiches, nichts mit dem Vernehmen einer innern Geistesstimme und noch viel mehr nichts mit einem Verstehen der Tier- oder gar Pflanzensprache, – lauter Dinge, die den Altvätern so bekannt waren wie euch die allerbekannteste Außenform eines Dinges oder irgendeiner Sache. Denn was sollte doch der Seele geistige Außensphäre als lebendig beleuchten, wenn sie als selbst leuchten sollend nicht so viel des Lebensleuchtäthers über sich hinausbringt, daß sie sich selbst erschauete, daß und wie sie ist?!

4. Solch eine Seele weiß am Ende von ihrem eigenen Dasein kaum etwas, kennt ihre Unterlage durchaus nicht, und hört sie irgend Geistiges über sich, so widert sie solches an; sie erschrickt bis zu einer Art Ohnmacht, so sie nur etwas erschaut, das irgend eines Abgeschiedenen Seele ähnlich sieht, und verzagt beim Anblick großer Wunder. Was soll es mit solch einer Seele?

5. Ah, wenn aber eine Seele, nachdem sie von irgendwoher entweder durch eine verbürgte Nachricht oder durch Selbstüberzeugung geistig angeweht worden ist und gleich der vorbezeichneten Kohle lebensglühig wird, da fängt sie auch schon an, sich fürs erste einmal als Seele seiend zu fühlen und ihren Grund zu erkennen, auf dem sie basiert. Werden die Anwehungen stärker und stärker, so wird sie, als selbst stets mehr Licht und Licht, ihr Selbstisches stets heller, reiner und von der Materie unterscheidlicher erkennen, und es wird ihr Licht schon anfangen, über sie hinauszureichen und ihre Außenlebenssphäre zu erhellen.

6. Je heftiger und unausgesetzter aber dann die geistigen Lebenswinde die Seele anfachen, desto lebensweißglühender und weiter über sich hinaus leuchtender und heller wird auch die Außenlebenslichtsphäre der Seele, und was dann in solche seelische Außenlebenslichtsphäre tritt, das wird auch seelenlebensdurchleuchtet und von der leuchtenden Seele bald und leicht völlig erkannt und bestens beurteilt.

7. Hat es eine Seele einmal für sich zum möglich höchsten Lichte, also vergleichlich zur flammenden und weißglühenden Kohlenglut gebracht, so wird ihre Außenlebenslichtsphäre, als allein von der Seele ausgehend, auch die möglich weiteste und intensivste Ausbreitung erreicht haben, mittels welcher sie dann schon als Beherrscherin aller Kreatur dasteht, weil sie sich mittels solcher ihrer Außenlebenslichtsphäre schon in eine vollkommen intelligente und kräftigst wirksame Korrespondenz mit aller ihr in rechter Nähe stehenden Kreatur setzen kann.“

262. Kapitel. Die Außenlebenslichtsphäre des Moses und der Patriarchen.

1. (Der Herr:) „Die alten, frommen Patriarchen hatten eine so starke Außenlebenslichtsphäre, daß sie in der Nacht leuchteten, auch von irdischen Augen gesehen. Des Moses Seele leuchtete am Tage vor Liebeglut zu Gott, nachdem er auf dem Sinai mit Ihm zu tun hatte, so hell, daß sein Angesicht herrlicher und heller strahlte denn das Licht der Sonne am Mittage und Moses sich sein Gesicht mit einer dreifachen Decke verhüllen mußte, damit die andern Menschen ihn anschauen konnten. Des Moses Seele hatte hernach auf dieser Erde unter den Menschen wohl die überschwenglichste Vollendung erreicht; daher mußte ihm aber auch alle Kreatur auf das allerpünktlichste gehorchen. Er befand sich in der allerintelligentesten Korrespondenz mit allen kreatürlichen Wesen, fand dadurch auch Meinen Willen überall, zeigte ihn den blinden Menschen und zeichnete ihnen auch die Wege genau vor, auf denen ein jeder Mensch, so er nur fest will, zur Vollendung seiner Seele gelangen kann. Er errichtete zu dem Behufe auch eine eigene Prophetenschule, die in dieser Zeit zwar noch besteht, aber in der Art freilich wie die neue, falsche Bundeslade, da die echtmosaische schon lange ohne Kraft und Wirkung geworden ist.

2. Hätte Moses zu seiner höchst vollendeten Seele auch des Geistes Eingeburt erreichen können, die ihm auch dann erst zuteil wird, wenn Ich aufgefahren sein werde nahe gleich einem Elias, doch ohne einen Feuerwagen, so hätte dieser größte aller Propheten dieser Erde allen Sternen neue Bahnen bestimmen können, und die großen Sonnen hätten sich seinem Willen gleich den Wogen des Roten Meeres fügen müssen, und gleich wie der harte Granitfels gerade an der Stelle eine reiche Wasserquelle entstehen lassen mußte, wo sie Moses haben wollte; denn er gebot es den gebannten Geistern des Steines, und diese verstanden wohl die Zunge Mosis und wurden tätig nach seinem von ihnen erkannten Willen.

3. Daß die alten Weisen aber zumeist nicht nur mit den Tieren, sondern mit allen Pflanzen und sogar mit Steinen und Metallen, mit dem Wasser, mit der Luft, mit dem Feuer und mit allen Geistern der Erde korrespondieren konnten, davon sprechen als laute und sicher ganz glaubwürdigste Zeugen aus der gesamten Schrift namentlich das Buch der Richter, der Propheten, die fünf Bücher Mosis und noch eine Menge anderer Bücher und Aufzeichnungen und einige freilich schon stark entstellte Traditionen im Volke. Die künstlich konstruierte Gras-, Baum-, Fels- und Wasserrederei der Essäer in ihren Wundergärten ist nichts als eine bloße Nachahmung dessen, was dereinst in lebendiger Wirklichkeit bestand!

4. Diese Schwarzen aber haben es euch nun vielseitig gezeigt, in welcher Kraft sich eine unverdorbene Menschenseele befindet, und Ich Selbst habe euch nun den Grund vielfältig sonnenhell erklärt, und so meine Ich nun, daß ihr solches jetzt gar wohl als eine ausgemachte Wahrheit annehmen könnet, und das um so mehr, so Ich euch noch hinzusage, daß solches bei den Menschen stattgefunden hat, noch jetzt stattfindet und noch fürderhin stattfinden wird.

5. Zugleich habt ihr an euren Hirten noch heutzutage darin einen laut sprechenden Beweis dafür, daß sehr sorgsame Hirten durch gewisse eigentümliche Namen und Laute ihre Herden leiten, ihnen ihren Willen zu erkennen geben und die Herden sich plötzlich danach richten. Oder versteht der Esel oder Ochse, wenn auch etwas mühsam, nicht völlig den Wink seines Herrn und Führers? Wem ist es unbekannt, daß sogar der grimmige Löwe seinen Wohltäter allzeit erkennt und ihm nimmer, selbst in seinem grimmigsten Zorne, etwas zuleide tut? Das beweist, daß die Tiere nach ihrer Art auch ein Verständnis, eine Beurteilung und oft ein sehr scharfes Erkennen besitzen und bei vielen Gelegenheiten dem Menschen durch allerlei Gebärden und Bewegungen und oft auffallende Widersetzlichkeiten eine ihn erwartende Gefahr andeuten und den Menschen retten, wenn er darauf achtet.

6. Woher wohl stammen die noch heutzutage unter den Heiden seienden Haruspices (Opferdeuter), die da aus dem Gesange und Fluge der Vögel und aus der Gebärdung der anderen Tiere allerlei erkennen wollen? Sie sind Schatten jener einst gewesenen Wirklichkeit, von der wir soeben reden.“

263. Kapitel. Der Grund der Erklärungen Jesu.

1. (Der Herr:) „Ich erkläre euch das aber nicht darum etwa, als wollte Ich euch in jene Urzustände der ersten Menschen der Erde zurückführen, sondern nur darum, um euch bei solchen noch immer möglichen Vorkommnissen auf jenen reinen Wissensstand zu stellen, von dem aus ihr alles das nicht mehr abergläubisch wunderlich, sondern der vollen und ganz natürlichen Wahrheit gemäß beurteilen und euch danach richten sollet. Denn kämet ihr ohne diese Meine Erklärung einst bei der Weiterverbreitung Meiner Lehre zu Völkern, wie diese Schwarzen nun da vor uns sind, und ihr sähet sie Handlungen begehen, wie ihr sie nun sattsam gesehen habt, so würdet ihr dadurch bald so sehr befangen werden, daß ihr euch dann von solchen wundertätigen Völkern ein anderes Evangelium vorpredigen ließet und bald von Meinen Wegen abwichet und dadurch schwerlich je zur Wiedergeburt Meines Geistes gelangen könntet, anstatt daß ihr den fremden Völkern Mein Evangelium überbrächtet.

2. Wisset ihr aber nun um alles, wie es in der Welt war und geschah und noch ist und geschieht, so ist bei euch dann von einer Gefahr, verführt zu werden, so leichtweg keine Rede mehr, außer ihr müßtet euch höchstens durch einen in jemand neuerwachten Eigennutz dazu verleiten lassen, was aber dann auch ganz natürlich, richtig gefolgert, euer Untergang wäre.

3. Ihr brauchet eure Seelen nun aber nicht mehr darum zu vollenden, um euch in alle jene euch nun treu bekanntgegebenen Eigenschaften der Alten zu versetzen – denn das gibt keiner Seele ein wahres, seliges ewigstes Leben –, sondern von nun an hat ein jeder von euch den ganz neuen Grund, seine Seele möglichst zu vollenden und zu reinigen, um aus der tatsächlichen Befolgung Meines Wortes zur dadurch bedingten Wiedergeburt des Geistes in seine gesamte Seele zu gelangen. Denn wer das erreicht hat, der hat dann auf einmal mehr der wundervollsten Fähigkeiten in sich, als alle alten Väter bei aller ihrer Seelenvollkommenheit je besaßen! Er wird in einem Augenblick leichter alle Sternenwelten und Sonnen durchschauen und sogar deren noch so entfernteste Sprache hören und verstehen, als die alten Seher und Wundertäter ihre nächste Landesnähe zu durchschauen und zu beurteilen vermochten.

4. Ja, sie verrichteten Wunder, – aber verstanden dieselben nicht. Sie waren kräftig, vermochten aber die Kraft nicht wohl zu erkennen und konnten dieselbe nur dann richtig und nützlich anwenden, wenn sie von Meinem sie zuzeiten durchdringenden Geiste dazu erweckt wurden. Sonst aber bedienten sie sich ihrer Kraft auch oft, wo es gar nicht notwendig war, nahe den Kindern gleich, die bei ihren Spieltätigkeiten auch oft eine höhere Kraft dazu anwenden, wovon sie doch nie und nimmer einen Nutzen haben können, außer höchstens den einer Übung ihrer Naturkraft.

5. Aber ganz anders verhält es sich mit der Allkraft des Geistes, so er einmal vollkommen in die Seele herüber wiedergeboren, eigentlich eingeboren, ist; denn dadurch tritt er in die volle Gemeinschaft Meiner unendlichen und ewigen Allmacht, Meiner Liebe und Meiner Weisheit, Einsicht, Erkenntnis und Meines Willens! Ist er aber im Vollbesitze alles dessen als Mein dadurch erst wahrhaftigstes Kind, wie sollte er dann noch einen Wunsch in sich haben können, Dinge bewerkstelligen zu können, die einst die Alten, wie noch jetzt diese Mohren, nur stückweise und das nur unvollkommen haben verrichten können?!

6. Daß solches ihr zwar nun nicht mehr vermöget, daran schuldet nicht euer Wille, sondern die Zeit und ihre verkehrten Sitten. Darum aber bin Ich ja nun Selbst gekommen, um euch für das kleine verlorene Paradieslein den ganzen Himmel des reinsten und mächtigsten Geistes aus Mir Selbst zu geben, – und da meine Ich an eurer Statt, daß ihr da schon vollkommen zufrieden sein könnet!

7. Freilich braucht ihr, um die Durchgeistung eurer Seele zu erreichen, auch viele Mühe und Tätigkeit; allein, wo es sich um eine bestimmte und höchst gewisse Erreichung des allergrößten und allerhöchsten Lebensgutes handelt, da könnet ihr euch so ein bißchen was gefallen lassen! Denn alle die wunderbaren Eigenschaften einer für sich vollkommenen Menschenseele und alle die Schätze dieser Erde sind ja nicht ein kleinster Tautropfen zu nennen gegen das große Weltmeer dessen, was euch aus der genauen Beachtung Meines Wortes und Willens um vieles sicherer erwartet als der einstige Materietod euren Leib, der euch aber im Grunde ebensowenig genieren wird, als es euch genieret ein altes, morsches und alle Stund zum Zusammenfallen bereites Haus zu verlassen und dafür ein neues zu beziehen für immer und ewig, – ein Haus, dem keiner Zeit Stürme etwas anzuhaben vermögen werden!

8. Denn wahrlich, sage Ich es euch: Alle aus Meinem Worte und der Tat danach Wiedergeborenen werden des Leibes Tod weder fühlen noch ihn gleich den Weltmenschen und manchen Tieren ängstlich ahnen, sondern sie selbst werden ganz freiwillig den Körper verlassen, wenn Ich, sie zu höheren Zwecken benötigend, sie von dieser Welt in Mein Haus berufen werde! – Habt ihr nun dieses alles wohl beherziget und begriffen?“

9. Sagen alle: „Ja, Herr, Du unsere höchste Liebe, Du unser alles! Alles, alles geben wir um Deine Liebe, um Deine so unendlich große Gnade, die Du uns hier erweisest! Nun wüßten wir auch wahrlich um nichts mehr zu fragen!“